Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts: Übertragen von Verantwortung auf globaler Ebene Bildung für eine nachhaltige Zukunft Daisaku Ikeda, Präsident der Soka Gakkai International Die Zeit ist reif für Veränderung Mehr als 10 Jahre sind seit dem Umweltgipfel von Rio de Janeiro vergangen. Die größte Klimakonferenz des 20. Jahrhunderts hat das allgemeine Bewusstsein für den globalen Umweltschutz geschärft. Seitdem ist der Begriff nachhaltige Entwicklung zum festen Bestandteil unserer Sprache geworden. Obgleich sich Verbesserungen abzeichnen, wurden viele der in Rio getroffenen Vereinbarungen nicht umgesetzt. Die Schwächung lebenserhaltender Systeme unseres Planeten schreitet schneller voran, als die bereits errungenen Resultate Wirkungen zeigen. Diese Entwicklung darf sich so im 21. Jahrhundert nicht fortsetzen. Die Bewältigung der ökologischen Krise verlangt nach umfassendem Know-how, Zukunftstechnologien und entsprechenden finanziellen Mitteln. Was wir noch dringender benötigen, ist eine solidarische Grundeinstellung aller Menschen, ein gemeinsames Ziel und ein klares Bewusstsein dafür, dass wir für die Erhaltung der Lebensqualität kommender Generationen verantwortlich sind. Im Juni 2002 hatte ich die Gelegenheit Herrn Tommy E. Remengesau Jr. zu treffen, den Präsidenten der Insel-Republik Palau, auch Juwel des Pazifik genannt. Als wir die weltweite Umweltkrise thematisierten, brachte Präsident Remengesau seine Befürchtung zum Ausdruck „dass die globale Erwärmung der Erde gerade für die Menschen von Palau besonders schwerwiegende Folgen hat. Der Meeresspiegel ist angestiegen und Salzwasser bereits ins Grundwasser eingedrungen. Auch ist die natürliche Schönheit unserer Inseln bedroht. Durch El Niño hat es weniger geregnet und die Zerstörung unserer Korallenriffe ist weiter fortgeschritten. Wegen der höheren Wassertemperaturen haben sich die Korallen weiß verfärbt und sterben nun ab (…).“ Der Präsident erwähnte weiterhin, dass Palau sich aktiv an der Erforschung und Einführung alternativer Energiequellen zur Reduzierung der Treibhausgase beteiligt. Wir dürfen nicht länger passiv die Veränderungen in unserer Umgebung beobachten und uns als Opfer äußerer Umstände fühlen. Unsere Zeit verlangt nach aktiven Antworten – nicht nur von Regierungsseite, sondern auch auf persönlicher Ebene. Der Film „A Quiet Revolution“, der vom Earth Council speziell für den Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (World Summit on Sustainable Development, WSSD) im Jahr 2002 produziert wurde, zeigt inspirierende Beispiele eines derartigen Engagements einfacher Bürger. Er dokumentiert, wie die Dorfbewohner von Nimi in Indien dem ständigen Wassermangel begegnen, die Menschen in der Slowakei auf die Bedrohung durch schwer abbaubare organische Schadstoffe im See Zemplinska Sirava reagieren und sich in Kenia einfache Frauen für den Schutz ihrer Wälder einsetzen. Die Soka Gakkai International (SGI), die bei der Produktion des Filmes mitwirkte, unterstützt dessen Zielsetzung: Die zentrale Botschaft dieses Films, dass eine einzige Person die Welt verändern kann, vermittelt unserer Überzeugung nach genau den Mut und die Hoffnung, die wir benötigen. © SGI-D /// Soka Gakkai International – Alle Rechte vorbehalten. Eines der Ziele der WSSD war es, einem Rahmenplan zur Umsetzung der Dekadenziele zuzustimmen, auf dessen Basis sich das 21. Jahrhundert zu einem Zeitalter der kreativen Koexistenz zwischen Mensch und Natur entwickeln kann. Der ehemalige UN Generalsekretär Kofi Annan bezeichnete den Weltgipfel als Indikator für die Entschlossenheit der jeweiligen Länder. Ich hatte bereits vor dem WSSD Anfang 2002 drei Reformvorschläge für das internationale System zum Schutz der Umwelt erarbeitet und schriftlich vorgelegt: 1. Die Ernennung eines UN-Hochkommissars für Umweltfragen, der Kraft seines Amtes Initiativen zur Lösung globaler Umweltprobleme auf den Weg bringen soll. 2. Die schrittweise Zusammenführung derjenigen Sekretariate, welche die Implementierung der zahlreichen Umweltabkommen beaufsichtigen, verbunden mit der Einrichtung eines weltweiten Umweltfonds. 3. Die Zustimmung zu einem Abkommen zur Förderung erneuerbarer Energien. Es ist unumgänglich, dass die Menschen ihr Bewusstsein für den Schutz der Umwelt schärfen und damit ihre gewohnten Denkweisen revidieren. Für eine dauerhafte Lösung müssen neben den bereits genannten „top-down“ Reformen, also z. B. den gesetzlichen und institutionellen Vorgaben, auch „bottom-up“ Reformen eingeleitet werden, also Reformen, die von einfachen Menschen initiiert werden und ihr solidarisches Denken und Handeln stärken. Dies sind zwei untrennbar miteinander verbundene Voraussetzungen für Veränderungen auf globaler Ebene. In vorliegendem Vorschlag soll es um folgende Kernfrage gehen: Wie kann man weltweit Solidarität unter den Menschen fördern und dadurch eine Lösung für die globale Umweltkrise finden? Internationale Dekade für Bildung für nachhaltige Entwicklung Wenn die Menschen den Umweltschutz zu ihrem persönlichen Anliegen machen und ihre Bemühungen für eine bessere Zukunft aufeinander abgestimmt werden sollen, dann kommt der Bildung dabei ein besonderer Stellenwert zu. Einzig Bildung hat die Kraft, Einstellungen und starre Meinungen von Menschen zu ändern und ein neues, stärkeres Verantwortungsbewusstsein hervorzurufen. Deshalb hatte die SGI angeregt, der Dekade der Vereinten Nationen für Menschenrechtserziehung ab 2005 eine UN-Dekade der Bildung für Nachhaltige Entwicklung folgen zu lassen. Diese Anregung wurde beim Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg in den Rahmenplan zur Umsetzung der Dekadenziele aufgenommen. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen stimmte diesem Vorschlag im Dezember 2002 zu und beauftragte die UNESCO mit der Koordinierung der Maßnahmen. Die Dekade hat das Ziel, Bildung so zu fördern, dass sie zur Grundlage einer Kultur der Nachhaltigkeit wird. Des Weiteren soll die zwischenstaatliche Zusammenarbeit und Kommunikation hinsichtlich internationaler Umweltabkommen und anderer relevanter Vereinbarungen gestärkt werden. Die Bedeutung der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung wurde im Aktionsplan der Agenda 21 auf dem Umweltgipfel in Rio im Jahr 1992 deutlich hervorgehoben. Kernpunkt dieses Aktionsplanes ist die Nachhaltigkeit. In der Thessaloniki-Erklärung der Internationalen Konferenz über Umwelt und Gesellschaft von 1997 heißt es: „Das Konzept der Nachhaltigkeit umfasst nicht nur den Schutz der Umwelt, sondern auch die Bekämpfung der Armut und des Elends, die demographische Entwicklung, © SGI-D /// Soka Gakkai International – Alle Rechte vorbehalten. die Gesundheit, Sicherung der Nahrungsmittelressourcen, die Menschenrechte und den Frieden.“ Weil der Schutz unserer natürlichen Umwelt eng mit diesen globalen Fragen verknüpft ist, müssen wir unsere bisherige Lebensweise hinterfragen – und dies nicht nur als Einzelpersonen oder Volksgemeinschaften, sondern auch als Weltgemeinschaft. In diesem Sinne schlage ich zur Unterstützung der Dekade der Bildung für nachhaltige Entwicklung die drei folgenden Zielsetzungen vor: - Erlernen und Vertiefen von Umweltbewusstsein - Reflektieren der menschlichen Lebensweise und deren Veränderung im Sinne der Nachhaltigkeit - Den Menschen die Verantwortung übertragen, angesichts der drängenden Probleme konkret zu handeln Erlernen Es ist entscheidend, unser Verständnis und Bewusstsein für uns selbst sowie unsere Umgebung zu vertiefen. Am Anfang steht die Kenntnis grundlegender Fakten: das Ausmaß der weltweiten Zerstörung unserer Wälder zum Beispiel, oder den Grad der Luft-, Wasser und Bodenverschmutzung und die entsprechenden Konsequenzen für das gesamte Ökosystem unseres Planeten. Wir müssen aber auch die Ursachen der Umweltzerstörung und die ihnen zugrunde liegenden gesellschaftlichen Strukturen verstehen. Darüber hinaus müssen wir lernen, uns in die Wirklichkeit leidender Menschen einzufühlen und ihr Leid als unser eigenes Leid begreifen − in der Erkenntnis, dass alle Menschen untrennbar miteinander verbunden sind. Aus diesem Bestreben entsteht ein neues Bewusstsein füreinander und die Entschlossenheit zu handeln. Die gezielte Förderung empathischer Verhaltensweisen sollte grundsätzlich in den Lehrplänen von Grundschulen verankert werden. Kinder im Grundschulalter sind sensibel, einfallsreich und kreativ – und ihre Lern- und Aufnahmefähigkeit ist in diesem Alter an ihrem absoluten Höhepunkt. Mehrere Länder haben Umwelterziehung bereits als wichtigen Bestandteil in die Lehrpläne aufgenommen. Der erste Schritt, die Zukunft unserer Kinder zu sichern, besteht darin, dass wir den Schutz der Erde und den tiefen Respekt vor der Natur zu ihrem größten Herzenswunsch werden lassen. Schüler der Soka Junior High School in Kansei (Japan) beteiligten sich an einem Projekt für experimentelles Lernen: Sie filmten die Erde aus dem Space-Shuttle und der internationalen Raumstation, die Bestandteil des „EarthKam“-Programms der NASA waren. Bei dieser Gelegenheit konnten sie mit eigenen Augen sehen, wie weit die Zerstörung der Erde schon fortgeschritten ist. Als Gründer dieser Schule war ich von der pädagogischen Wirkung dieser Maßnahme sehr beeindruckt. Seit einigen Jahren setze ich mich für einen Weltgipfel der Pädagogen ein, der nicht nur die Verantwortlichen der Bildungspolitik der jeweiligen Länder an einen Tisch bringen soll, sondern auch diejenigen, die im Bildungswesen an vorderster Front stehen. Die Dekade für Bildung für nachhaltige Entwicklung, die im Jahr 2005 beginnt, wäre ein angemessener Zeitpunkt für eine internationale Konferenz, bei der © SGI-D /// Soka Gakkai International – Alle Rechte vorbehalten. sich Erzieher aus der ganzen Welt über Ideen, Erfahrungen und Methoden ihres Fachgebietes austauschen könnten. Parallel dazu könnten Bürgerinitiativen mit gezielten Aktivitäten in der breiten Öffentlichkeit das Bewusstsein für die globale Umweltkrise schärfen. Die Ausstellung Toward a Century of Hope: Environment and Development der SGI im offiziellen Rahmenprogramm des Umweltgipfels von Rio verfolgte genau dieses Ziel. Die SGI hat in Japan und den USA in Zusammenarbeit mit anderen Nichtregierungsorganisationen die Ausstellungen EcoAid und Ecology and Human Life konzipiert und damit einen Beitrag zur ökologischen Allgemeinbildung geleistet. Gleichzeitig hat sie veranschaulicht, welche Bedeutung Initiativen einfacher Bürger für den Schutz der Umwelt haben können. Reflektieren Ebenso wichtig wie das Vermitteln exakter Informationen ist die Klärung der Frage, welche ethischen Wertvorstellungen wir Menschen teilen. Dies gilt insbesondere für die Umweltthematik, die oft so weit reichend und komplex ist, dass. Information und Wissen allein die Menschen oft nicht persönlich erreichen und ohne konkrete Auswirkungen auf ihr Handeln bleiben. Um Gefühlen von Machtlosigkeit und dem Getrenntsein von unserer natürlichen Umgebung entgegen zu wirken, hat Bildung hier die Aufgabe, unser Verständnis dafür zu fördern, inwiefern ökologische Probleme unseren ganz persönlichen Alltag betreffen. Bildung sollte zudem unsere Überzeugung stärken, dass jeder sowohl die Kraft besitzt als auch die Verantwortung dafür übernehmen kann, positive Veränderungen auf globaler Ebene herbeizuführen. Die Thessaloniki-Erklärung definiert Nachhaltigkeit folgendermaßen: „Nachhaltigkeit ist in letzter Konsequenz eine moralische und ethische Notwendigkeit auf der Basis des Respekts vor der kulturellen Vielfalt und dem tradierten Wissen der Menschheit.“ Wir können von dem reichen spirituellen Erbe und den vielfältigen kulturellen Traditionen lernen, die im Laufe der Menschheitsgeschichte entstanden sind. Sie enthalten äußerst wertvolle Lektionen und philosophische Erkenntnisse darüber, wie man als Mensch leben sollte. Der Entwurf einer Erd-Charta wurde vom Generalsekretär des Umweltgipfels in Rio, Maurice Strong, und dem Präsidenten der Internationalen Vereinigung Green Cross, Michael Gorbatschow, initiiert. Die Erd-Charta verbindet das sich aus vielen verschiedenen Quellen speisende Wissen der Menschheit miteinander. Die vier Pfeiler der Erd-Charta lauten: 1. Achtung vor dem Leben und Sorge für die Gemeinschaft des Lebens 2. Ökologische Ganzheit 3. Soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit 4. Demokratie, Gewaltfreiheit und Frieden (bitte noch mal überprüfen, 4 Punkte weichen vom englischen Text ab!!!) Die Erd-Charta bietet einen umfassenden Überblick über die Werte und Prinzipien einer nachhaltigen Zukunft und ist deshalb für die Bildung von unschätzbarem Wert. © SGI-D /// Soka Gakkai International – Alle Rechte vorbehalten. Neben den inhaltlichen Aspekten ist vor allem die Entstehung dieser „Charta der Menschheit“ bemerkenswert. Beim Entwurf der Charta wurde großer Wert darauf gelegt, das lebenswichtige Wissen und die daraus resultierenden Bräuche aller Regionen der Erde zu berücksichtigen. In der Sprache der Erd-Charta schlagen sich somit sorgfältige Erwägungen von Experten ebenso nieder wie die Erfahrung vieler einfacher Menschen. Bis heute hat die SGI weltweit Workshops und Symposien veranstaltet, um die Prinzipien der Erd-Charta ins Bewusstsein der Menschheit zu rücken. Ich möchte meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass möglichst viele Menschen von der Erd-Charta lernen, sie sich in Studienprogrammen niederschlägt und ihre ethischen Prinzipien konkret auf spezielle Fragestellungen vor Ort angewendet werden. Ein wichtiger Grundgedanke der Green Belt-Bewegung Kenias lautet, dass die Wüste nicht in der Sahara, sondern im Garten hinter dem eigenen Haus anfängt. Aus einem Gefühl der Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen haben die Mitglieder der Bewegung, insbesondere Mütter und Kinder, bis heute mehr als 20 Millionen Bäume gepflanzt und gepflegt. Die Kinder haben sich dabei in einem fröhlichen Wettbewerb darin gemessen, welcher der gepflanzten Schösslinge am schnellsten von allen wächst und gedeiht. Initiativen wie diese sind deshalb so wertvoll, weil die Menschen – und besonders die jungen Leute – durch derartige Erfahrungen nicht nur ein Bewusstsein für ihre lokalen Umweltprobleme entwickeln, sondern auch Einsichten in globale Dimensionen gewinnen. Der Gründer der Soka Gakkai, der japanische Erzieher Tsunesaburo Makiguchi (1871-1944), beschrieb die direkte Umgebung als Welt im verkleinerten Maßstab. Er betonte, wie wichtig es ist, die Augen der Kinder für die Welt als Ganzes zu öffnen, indem sie in ihrer direkten Umgebung lernen, dort wo Geschichte, Natur und Gesellschaft eng miteinander verknüpft sind. Ich glaube, dass diese Pendelbewegung − die Welt einmal aus der Perspektive der direkten Umgebung zu betrachten und dann wieder unsere eigene Umgebung aus einer globalen Perspektive anzuschauen − sehr wichtig ist, wenn wir eine von ethischen Grundsätzen geprägte Wertschätzung für die Natur entwickeln wollen, die in direktem Zusammenhang mit unserer täglichen Realität steht. Verantwortung übertragen Drittens muss jedem Einzelnen Verantwortung übertragen werden, so dass er mutig und zuversichtlich erste konkrete Schritte in seinem direkten Umfeld wagen kann. Selbst wenn wir uns auf gemeinsame ethische Grundsätze und Verhaltensmaßregeln verständigt haben, wird sich die ernste Lage erst dann konkret ändern, wenn sich mehr und mehr Menschen diese Prinzipien zu Eigen machen und konsequent danach leben. Wenn sich ethische Grundsätze also nicht wirklich mit unserem Lebenswandel verbinden können, sondern lediglich als Instrument zur Reglementierung betrachtet werden − eine uns von außen auferlegte Verpflichtung, der wir nur passiv Folge leisten − dann werden wir außerstande sein, den sich ständig verändernden Umständen adäquat zu begegnen, und die ethischen Grundsätze bei der kleinsten Krise aufgeben. Aus diesem Grunde sollte Umweltethik ein tiefes persönliches Versprechen sein, dessen Umsetzung uns mit Freude und Verantwortungsbewusstsein erfüllt. © SGI-D /// Soka Gakkai International – Alle Rechte vorbehalten. Unlängst hatte ich einen Dialog mit der Wirtschaftswissenschaftlerin und Zukunftsforscherin Dr. Hazel Henderson. Sie berichtete, wie ihr Wunsch, die eigene Tochter vor der schädlichen Luftverschmutzung zu schützen, zu ihrem Engagement für die Umwelt führte. „Es engagierten sich hauptsächlich Mütter bei Citizens for Clean Air, weil wir uns der Verantwortung für unsere Kinder bewusst waren. Deshalb hatten wir den Wunsch, unseren Kindern die beste Zukunft zu ermöglichen. Wenn ich zurück denke, wird mir klar, dass uns diese Haltung die Stärke gegeben hat, die verschiedensten Hetzkampagnen und Verleumdungen auszuhalten und den Kampf bis zum Ende durchzustehen.“ Ethische Grundsätze sind nur dann wirkungsvoll, wenn sie sich mit spontanen, natürlichen Empfindungen verbinden, jenem unwiderstehlichen Impuls zum Handeln, der uns bewegt, wenn wir geliebte Menschen und unsere geliebte Erde in Gefahr sehen. So entsteht eine gelebte Ethik, die jede Faser unseres Menschseins durchdringt. Wie aber können solche Werte aussehen, die die Menschheit tatsächlich einen und aufrichtige Solidarität unter den Menschen stiften? Die eigentliche Substanz dieser zu definierenden Werte muss eine tiefe Verehrung für das Leben selbst sein. Die Achtung vor der Würde des Lebens kann jedem Menschen ein Gefühl dafür vermitteln, sowohl mit allem Leben auf diesem Planeten als auch mit den zukünftigen Generationen eins zu sein. Dieses Verständnis von der Einheit und Verbundenheit allen Lebens war seit je her ein fester Bestandteil vieler kultureller Traditionen; es wurde weitergegeben und existiert noch heute bei vielen Eingeborenenvölkern. Es ist entscheidend für die Menschheit, ob sie sich dieser lebendigen Weisheit öffnet. Die Desana − ein Amazonas-Volk an der brasilianisch-kolumbischen Grenze − sind davon überzeugt, dass die Menschen nur in Harmonie mit ihrer Umwelt überleben können. Die Irokesen Nordamerikas ermahnen uns, nicht nur die gegenwärtigen sondern auch die kommenden Generationen in unsere Entscheidungen mit ein zu beziehen – selbst diejenigen, „deren Gesichter sich noch unter der Erde befinden, also die Ungeborenen der Zukunft“. Im Weltbild der Irokesen werden alle Tiere und Pflanzen als unsere Geschwister betrachtet. Unseren Beitrag zum Leben leisten Viele Religionen betonen diese Achtung vor dem Leben. In der buddhistischen Tradition, auf der die Aktivitäten der SGI beruhen, finden sich folgende Worte: „Mögen alle Wesen, die sichtbaren und die unsichtbaren, die nahen und die fernen, die geborenen und die, die sich danach sehnen, geboren zu werden, mögen alle Lebewesen glücklich sein.“ Diese Worte wurzeln in der Erkenntnis, dass alles Leben miteinander verbunden ist und sich gegenseitig bedingt − eine Beziehung, die im Buddhismus als „abhängiges Entstehen“ (Jap. engi) bezeichnet wird. Entscheidend ist: Die Essenz unseres gegenseitigen Verbundenseins ist unser aller Wunsch, glücklich zu sein. Aus diesem Grund betonen die buddhistischen Lehren unsere eigene Verantwortung für alle positiven Veränderungen. Indem wir verstehen, welchen Einfluss die Umgebung auf uns hat, richtet sich unser Augenmerk auf den aktiven und bewussten Umgang mit ihr und anderen Formen des Lebens. Die Antriebskraft dieses dynamischen Veränderungsprozesses, ist unsere Sorge um andere und unser Mitgefühl für sie. © SGI-D /// Soka Gakkai International – Alle Rechte vorbehalten. Durch Dialog und aktives Engagement entwickelt sich in uns selbst und unserem Gegenüber tiefe Freude und ein Gefühl für den Sinn unseres Lebens. Damit beginnt ein Prozess der grundlegenden Veränderung, der unser Empfinden für unsere wahre Identität unermesslich erweitert: Wir entdecken unser großes Selbst. Das höchste Ziel der Aktivitäten der SGI ist es, weltweit eine Philosophie der Achtung vor dem Leben erblühen zu lassen, deren Ausgangspunkt die innere Erneuerung eines jeden individuellen Lebens ist, die „menschliche Revolution“. In seinem 1930 erschienenen Buch The Pedagogy of Value-Creating, rief uns Tsunesaburo Makiguchi zu einer völlig neuen Lebensweise auf. Er prangerte eine passive, abhängige Lebensweise an und erklärte, dass selbst ein aktives, unabhängiges Leben unzureichend sei. Er rief zu einem bewusst interaktiven und interdependentem Lebensstil auf, einer Lebensweise, die sich bewusst dem Wohl der anderen widmet. In einem passiven und in Abhängigkeit von äußeren Umständen geführten Leben mangelt es an einer klaren Empfindung für das eigene Selbst und man läuft Gefahr, zum Spielball sich ständig verändernder Umstände zu werden. Ein unabhängiger Lebensstil vermag zwar vielleicht ein klar definiertes Gefühl für die eigene Identität zu vermitteln − jedoch keinen Sinn für die Lebenswirklichkeit und Bedürfnisse anderer. Im Gegensatz dazu basiert ein Lebensstil, der sich Anderen widmet, auf der Erkenntnis, dass alles Leben voneinander abhängig ist; wer so lebt, ist sich darüber vollkommen bewusst, dass wir in direkter Beziehung zu anderen und unserer Umgebung stehen. Wer so lebt, setzt sich aktiv für das eigene Glück und das Glück aller anderen Menschen ein. Das Übertragen von Verantwortung nimmt in diesem Lebensmodell eine zentrale Rolle ein, insbesondere der Dialog, der unser unermesslich großes inneres Potenzial freisetzt, und andere dazu inspiriert, für den Frieden und das Glück aller Menschen auf der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Ich erinnere mich an die Worte von Aurelio Peccei, dem Mitbegründer des Club of Rome, dessen Bericht Grenzen des Wachstums der Welt das Ausmaß der Umweltkrise bewusst machte. In unserem Dialog stellte er folgendes fest: “Die Palette der Fähigkeiten, die in jedem Menschen schlummern, ist so groß, dass wir aus ihnen die größte menschliche Ressource machen können. Wenn wir diese Fähigkeiten pflegen und weiter entwickeln und sie den neuen Lebensbedingungen auf der veränderten Erde anpassen, dann und nur dann können wir es schaffen, ein Mindestmaß an Ordnung und Harmonie in unsere Angelegenheiten zu bringen – und dazu gehört auch unsere Beziehung zur Natur – um uns sodann sicher nach vorne zu bewegen.“ Nichts ist heute wichtiger als eine humanistische Erziehung, die den Menschen befähigt, ein Gefühl für die Verbundenheit allen Lebens zu entwickeln, das unbegrenzte Potenzial im Leben jedes Einzelnen anzuerkennen und dieses schlummernde menschliche Potenzial vollends zu entfalten. Wie komplex uns die globalen Probleme auch erscheinen mögen: Wir sollten uns daran erinnern, dass wir selbst es waren, die sie verursacht haben. Deshalb kann es nun unmöglich unsere Kraft übersteigen, für eben diese Probleme Lösungen zu finden. Wir müssen uns neu unserer Menschlichkeit besinnen, uns verändern und unsere inneren Fähigkeiten öffnen - diese Form der individuellen menschlichen Revolution vermag es, wirkungsvolle Verbesserungen und das Übertragen von Verantwortung auf globaler Ebene hervorzurufen. © SGI-D /// Soka Gakkai International – Alle Rechte vorbehalten. Um meinen tiefen Wunsch zur erfolgreichen Umsetzung aller Pläne des WSSD in Worte zu fassen, möchte ich Esther Gress, eine preisgekrönte dänische Dichterin, zitieren. Wenn Du die Welt verändern willst Musst Du die Menschen verändern. Wenn Du die Menschen verändern willst, erwecke die Sehnsucht in ihnen, sich selbst zu ändern. Esther Gress (1921-2002) Außerdem möchte ich Ihnen die Worte des nigerianischen Schriftstellers Ben Okri aus seinem Gedicht mit auf den Weg geben, das er dem neuen Jahrhundert gewidmet hat: Du kannst die Welt nicht erneuern, wenn Du Dich nicht selbst erneuerst. Jede neue Ära beginnt in Dir. Sie ist ein inneres Ereignis, mit unerwarteten Möglichkeiten für Deine innere Befreiung. Ben Okri (1959) Originaltitel: Seeds of Change: A Proposal on Education for a Sustainable Future, 2002 Übersetzung: Übersetzergruppe der SGI-Deutschland © SGI-D /// Soka Gakkai International – Alle Rechte vorbehalten.