Erving Goffman

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Erving Goffman
• Goffman interessiert sich für die vielfältigen
Ausdrucksformen von Individuen in sozialen
Interaktionen und für die sozialen Regeln, auf die
Individuen zurückgreifen, wenn sie ihrer Identität
gegenüber den vorgegeben Rollen abgrenzen.
• Dabei beschränkt sich Goffman nicht auf soziales
Handeln in Institutionen und Berufssystemen,
sondern bezieht das Alltagshandeln in öffentlichen
Einrichtungen wie Restaurants, Fahrstühlen oder
Jahrmärkten in seine Analyse ein.
Annahmen der Rollentheorie
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1.
•
Zwei Annahmen für Goffman’s Rollentheorie
unterscheiden sich grundlegend von der strukturellen
Rollenanalyse:
Goffman beschränkt sich auf „situierte
Aktivitätssysteme“ = „ein geschlossener, sich
selbstkompensierender und selbstbeendender Kreislauf
voneinander unabhängiger Aktionen“
So bilden z.B. das Karussellfahren oder eine Operation
im Krankenhaus jeweils situierte Aktivitätssysteme, in
denen die Kooperation von mehreren „situierten“ Rollen
in einem räumlich und zeitlich abgegrenzten
Handlungsprozess beobachtet werden kann.
Annahmen der Rollentheorie
2.
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Goffman betrachtet nicht länger die Rollenstruktur als
Grundeinheit der Analyse, sondern macht das
Individuum zum „Bezugssystem“ seiner Rollentheorie
und zur Grundeinheit der Analyse.
Zur Betrachtung von situierten Aktivitätssystemen wird
man als Bezugssystem das „Individuum als
Partizipationseinheit“ auswählen.
Individuen nehmen in diesem Falle als „Parteien“ an
einen Interaktionssystem teil, wobei sie als „Einzelne“
oder in einem „Miteinander“ auftreten.
Begriffe
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Rollenspiel =„tatsächliches Verhalten eines besonderen
Individuums“.
ist vom typischen Rollenhandeln im Sinne der
Verhaltensnormen zu unterscheiden
Rolle : im soziologischen Sinne: ein Bündel von
Verhaltenserwartungen, die an bestimmte soziale
Positionen geknüpft sind.
bei Goffman: die Ausübung von Rechten und Pflichten,
die mit einem bestimmten sozialen Status verbunden
sind.
Typische Rolle: bezieht sich auf das tatsächlich
ablaufendes Verhalten
Rollendistanz
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drückt die Relation eines Individuums zu seiner Rolle aus,
wobei der Grad der Abgrenzung auf einer Skala variiert.
Falls keine Rollendistanz auftritt, befinden wir uns am
Nullpunkt der Skala, den Goffman mit dem Begriff
„Erfassung“ der Rolle kennzeichnet.
Wer eine Rolle erfasst, hat
1. eine starke innere Bindung an die Rolle
2. demonstriert seine Fähigkeit zur souveränen
Durchführung
3. zeichnet sich durch aktiven „Einsatz und spontanes
Einbezogensein in das Rollenhandeln aus.
Als Beispiel für die Erfassung einer Rolle beschreibt Goffman
drei- bis vierjährige Kinder beim Karussellpferdreiten.
Formen der Rollendistanz
Stufen der
Rollendistanz
Stufe O: Erfassen
der Rolle
Stufe 1:
Abgrenzung der
eigenen von der
durch die Rolle
angezeigten
Identität
Stufe 2:
Distanzierung von
Verhaltensnormen
der Rolle
Stufe 3:
Expressive
Gestaltung der
Distanzierung von
Verhaltensnormen
Altersstufe von
Expressive
Distanzierung von Aktive
Karussellpferdreitern Ich-Leistung Verhaltensnormen Gestaltung
der
Distanzierung
3-4 Jahre
Keine
Keine
keine
5 Jahre
Ja
Keine
keine
7-8 Jahre
Ja
Ja
keine
11-12 Jahre
ja
ja
ja
Quellen und Funktionen der Rollendistanz
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Die Frage nach den Ideen zur Gestaltung der
Rollendistanz führt dazu, die Quellen der IchLeistung genauer zu untersuchen.
Goffman tut dies am Beispiel der Chirurgie als
Handlungssystem.
stellt die These auf, dass die Rollendistanz aus
anderen Rollenverpflichtungen oder aus
Erfordernissen des situierten Aktivitätssystems
erwächst --> weist eine soziale Komponente auf.
3 Gründe für die Rollendistanz:
1. wenn, jemand einer anderen Rolle zu stark
verpflichtet ist.(Chirurg und Ehemann)
2. wenn, Fähigkeiten und Kenntnisse des
Positionsinhabers in der Rolle nicht ausreichend
zur Geltung kommen (junge Mediziner mit
untergeordneter Rolle bei einer Operation)
3. spezielle Form der Rollendistanz, die sich auf
die Funktion innerhalb eines situierten
Handlungssystems bezieht, d.h. deren Aufgabe
es ist, das Funktionieren des Handlungssystems
auf Dauer zu garantieren (Chefchirurg im
Operationsteam)
Zusammenfassung
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•
Goffman betrachtet nicht die individuellen Variationen des
Rollenspiels, sondern die zugrunde liegenden Regeln und
Handlungsroutinen.
Der Bezugsrahmen der interaktionistischen Rollentheorie
besteht:
1. aus der Grundannahme, das Individuum als
Bezugssystem zu betrachten
2. das Rollenspiel des einzelnen als Beobachtungseinheit
festzulegen
3. aus den drei Elementen von Rollen:
– normativer Aspekt
– typische Rolle
– Rollenspiel
Zusammenfassung
•
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Goffman entwickelt eine Skala der Rollendistanz, deren
Abstufung sich durch die Kombination von zwei Mitteln der
Distanzierung ergeben:
1. die Expression von Identität durch aktive Gestaltung
2. die Distanzierung von Rollenpflichten
Als Quellen für Rollendistanzierung verweist Goffman nicht
auf den individuellen Kern, sondern benennt soziale Gründe
für Rollendistanz, wie z.B. die Identifikation mit anderen
Rollen oder Funktionserfordernissen des situativen
Handlungssystems.
Das explizite Modelle setzt sich somit aus den Quellen,
Regeln und Funktionen den Rollendistanz zusammen.
Zusammenfassung
•
•
Die Kombinationsregel der Modellelemente ergibt sich
aus seinem Konzept des Individuums, das Identität durch
die Übernahme von Rollen festlegt und gleichzeitig nach
Mittel und Wegen sucht, sich von dieser Festlegung zu
distanzieren, um auf diese Weise dem
Interaktionspartner deutlich zu machen, das sich seine
Identität nicht in dem augenblicklichen Rollenhandeln
erschöpft.
Diese Mittel und Wege, die das Individuum zur
Abgrenzung verwendet, basieren auf bestimmten
sozialen Regeln und Mechanismen, die den Kern des
expliziten Modells der Rollendistanz bilden (Beispiele:
Karussellreiten und chirurgisches Handlungssystem).
Totale Institutionen
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•
Hauptmerkmal totaler Institutionen bei
Goffman: „dass der Insasse alle Bereiche seines
Lebens im Anstaltsgebäude, in unmittelbarer
Gesellschaft mit anderen, die ähnlich wie er von
der Umwelt abgeschnitten sind, verbringt“
(Goffman, Asyle 1973 S. 198).
Im Hinblick auf die Relation zwischen
Individuum und Rolle : Insassen werden in eine
Rolle hineingedrängt, mit der sie ihre Identität
nicht ausdrücken können.
Totale Institutionen
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Der Insasse wird einem Prozess der „Diskulturation“
(macht den betreffenden unfähig mit bestimmten
Gegebenheiten der Außenwelt fertig zu werden)
unterworfen, der durch „Trimmen“ und
„Programmierung“ und durch „Degradierungen,
Demütigungen und Entwürdigungen seines Ich“
gekennzeichnet ist.
Durch diese Abtrennung von seiner biographisch
bedingten Identität sowie von anderen Rollen wie Beruf
und Familienmitglied wird dem Individuum eine
wesentliche Quelle der Rollendistanz entzogen.
Totale Institutionen
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Das situierte Aktivitätssystem des Tagesablaufs in der Anstalt
eröffnet keinen Boden für Rollendistanz, weil eine aktive
Rollengestaltung das Funktionieren der Anstalt eher stört als
fördert:
der beste Insasse ist der total angepasste Insasse. Schließlich sichern
die Anstaltsregeln, dass auftretende Rollendistanz jederzeit
ausgeblockt werden kann.
Einen solchen Unterdrückmechanismus bildet nach Goffman der
„Looping-Effekt“
Die Looping-Technik besteht darin, mit negativen Sanktionen die
Ausdrucksformen der Rollendistanz zu unterbinden.Wenn z.B. eine
Insasse für eine Regelverletzung bestraft wird, achten die
Aufsichtsführenden nicht allein darauf, dass der Insasse die ihm
auferlegte Strafmaßnahme korrekt ausführt, sondern die reagieren
auch auf jede Ausdrucksform von Auflehnung der Insassen mit
neuen Bestrafungen.)
Sekundäre Anpassungsmechanismen
–
–
Fraternisation:plötzliche gegenseitige Hilfeleistung von
Insassen, ohne soziale Bindung zu einander. Entwicklung zu
einer einzigen egalitären Schicksalsgemeinschaft als
Gegenkultur zum System.
Cliquenbildung: hier werden Insassen mit der Zeit zu
Kameraden oder Freunden, die sich helfen und emotional
Unterstützen
• Strategie:Rückzug aus der Situation oder auch Regression:
der Insasse zeigt für nichts Interesse, außer für die Dinge die
ihn unmittelbar körperlich umgeben. Diese sieht er nur unter
der Perspektive, die von den übrigen Anwesenden nicht
geteilt wird.
• Strategie:Kompromisslosen Standpunkt:der Insasse bedroht
die Institution absichtlich, indem der die Zusammenarbeit
mit dem Personal verweigert. Das führt manchmal zu einer
hohen individuellen Moral.
Sekundäre Anpassungsmechanismen
–
–
–
Kolonialisierung: Der Insasse nimmt den Ausschnitt der
Außenwelt, den die Anstalt anbietet für die ganze, und aus den
maximalen Befriedigungen die in der Anstalt erreichbar sind,
wird eine stabile, relativ zufriedene Existenz aufgebaut.
Konversion: der Insasse macht sich das amtliche Urteil über
seine eigene Person zu eigen und versucht die Rolle des
perfekten Insassen zu spielen.
Ruhig Blut bewahren: eine mehr oder minder opportunistische
Kombination von sekundären Anpassungen, Konversion,
Kolonialisierung und Loyalität gegenüber der Gruppe der
Insassen, wobei der einzelne Insasse unter den bestehenden
Verhältnissen die besten Aussichten hat, physisch und psychisch
ohne Schaden zu bleiben.
Schlussfolgerungen
•
Für die Grundfrage der Beziehung zwischen Individuum
und Rolle ergeben sich aus der Studie zu den totalen
Institutionen zwei Schlussfolgerungen:
1. Rollen können so restriktiv sein, dass sie dem
Individuum weder durch Erfüllung der
Verhaltsnorm noch durch Gestaltung der
Distanzierung die Möglichkeit bieten, die eigene
Identität auszudrücken
2. schaffen sich Individuen auch unter solchen
Bedingungen Freiräume, um ihrer Identität
gegenüber der Bedrohung durch die Institutionen
zu schützen.
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