Industrie-Applikationen 584 Krebsforschung durch die schnelle Herstellung rekombinanter Antikörper beschleunigt – ein Fallbeispiel Hartmut Merz1, Achim Knappik2 1Medizinische Universität Schleswig Holstein, Campus Lübeck, 2Morphosys AG, Martinsried Monoklonale Antikörper (mAks) sind seit Jahrzehnten ein unverzichtbares Werkzeug für das forschende Labor. Dies gilt umso mehr im Zeitalter von Proteomics, in dem spezifische und sensitive Nachweisreagenzien auf Proteinebene unerlässlich sind. Bisher war die Herstellung neuartiger mAks aber sehr personal- und zeitaufwändig und daher auch teuer: Das Antigen muss zunächst in ausreichender Menge hergestellt und in ein Tier injiziert werden; die Immunantwort wird abgewartet, die B-Zellen isoliert und immortalisiert, und schließlich vereinzelt sowie auf Produktion von spezifischen mAks hin durchgemustert. Typischerweise verschlingt dieser Prozess sechs bis neun Monate, in denen der Forscher warten muss, bis er das Reagenz in Händen halten kann. In dieser Zeit ruhen gezwungenermaßen wichtige Projekte und es ist auch dann keineswegs sicher, dass der mAk überhaupt in den notwendigen Assays funktio- niert. Die Herstellung solcher mAks kann so zum Flaschenhals für das Forschungsvorhaben werden. Unnötige Wartezeit verkürzen Der Einsatz von in vitro-Selektionstechnologien wie der Phage Display-Technik (Abb. 1) im Zusammenhang mit riesigen synthetischen Antikörperbibliotheken ist inzwischen eine bei Pharmaunternehmen etablierte Methode, um humane Antikörper zu generieren, die für die Medikamentenentwicklung essenziell sind[1]. Ein halbes Dutzend Biotech-Firmen haben diese rekombinanten Technologien in den letzten Jahren zur Marktreife gebracht und bieten sie für die Entwicklung therapeutischer Antikörper an. Neben der Tatsache, dass diese rekombinanten Antikörper aus humanen Sequenzen bestehen, bringt diese Technologie weitere Vorteile. Sie ist zum einen deutlich schneller. Nach 4 bis 6 Wochen sind die Antikörper isoliert, nach weiteren 2 bis 4 Wochen stehen mg-Mengen gereinigt und für Tests zur Verfügung (www.A-byD.com). Zum zweiten liegen nach der Selektion die Antikörpergene auf E. coli-Expressionsplasmiden vor, die dann einfach und schnell modifiziert werden können, um etwa die Valenz zu verändern oder die Antikörper mit Peptid-Tags oder Enzymen zu fusionieren. Schließlich ist diese in vitro-Methode automatisierbar und erlaubt die Herstellung von Antikörpern gleichzeitig gegen viele Antigene. Dringend benötigt: anti-CD33 Antikörper Am Beispiel des Oberflächenantigens CD33 soll ein typisches Projekt zur Antikörpergenerierung mittels Phage Display skizziert werden. Bei CD33 handelt es sich um ein Leukozyten-Differenzierungsantigen, das in hämatopoietischen Zellen verstärkt exprimiert wird und eine prominente Expression auf frühen granulozytopoitischen Vor- Expression in E.Coli Fab fragment Antigen X IgG Mini Antibody Fab scFv Abb. 1: Bakteriophagen, die ein passendes Antikörperfragment auf ihrer Oberfläche tragen, werden in mehreren aufeinander folgenden Screening-Runden isoliert. Die Expression des Phagengenoms in E.coli ermöglicht die Produktion der Antikörper. stufen zeigt. Die Expression von CD33 erlaubt ferner die Unterscheidung zwischen myeloischen und lymphatischen Leukämie-Formen, was dieses Antigen für eine gewebebasierte Tumordiagnostik äußerst interessant macht. Obwohl das CD33Gen kloniert ist, ist dessen Funktion bislang nahezu unbekannt. CD33 gehört zu der Familie der Sialoadhäsine und zeigt daher Kohlehydrat-bindende Eigenschaften. Das Protein mit einer Gesamtlänge von 363 Aminosäuren (AS) weist eine extrazelluläre Ig-ähnliche Domäne mit 241 AS Länge auf und liegt als Homodimer vor. Da CD33 auf sehr vielen myeloischen Leukämien exprimiert wird, ist es nahe liegend, dass Antikörper gegen CD33 derzeit in klinischen Studien auf ihre Einsatzmöglichkeit in der Therapie überprüft werden. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der humanisierte Antikörper Mylotarg, der mit dem cytotoxischen Agens Calicheamicin konjugiert ist[2]. Bislang gelang es allerdings mit konventionellen Methoden nicht, CD33 auf humanem Formalin-fixiertem Gewebe spezifisch nachzuweisen, da es keine verfügbaren mAk’s gibt, die CD33 in diesem diagnostischen Verfahren effektiv erkennen. Die als Therapeutikum entwickelten Antikörper erwiesen sich hierfür als nicht geeignet. Als möglicher Grund kommen posttranslationale Modifikationen mit zahlreichen Zuckerseitenketten in Frage, die potenzielle Epitope maskieren könnten. Mit Hilfe eines Phage Display-Ansatzes sollte jetzt versucht werden, einen solchen Antikörper zu gewinnen und so einen Grundstein für eine moderne Diagnostik der Leukämieformen zu legen. Woche -2 bis 0: Herstellung des Antigens Ausgehend von der cDNA wurde der Abschnitt, der für die Aminosäure 154 bis 259 des humanen CD33 Precursors kodiert (SWISSPROT P20138) mittels PCR amplifiziert, in ein E.coli BIOspektrum · Sonderausgabe · 10. Jahrgang Industrie-Applikationen 585 Expressionsplasmid überführt und nach Expression gereinigt (zur Methodik siehe[3]). Aus 250 ml E. coli Kultur konnten so 6 mg gereinigtes Protein gewonnen werden. Literatur [1] Kretzschmar, T., & von Rüden, T. (2002): Antibody discovery: phage display. Current Opinion in Biotechnology 13, 598-602. [2] Bernstein, I.D. (2000): Monoclonal antibodies to the myeloid stem cells: therapeutic implications of CMA-676, a humanized anti-CD 33 antibody calicheamicin conjugate. leukemia 14(3): 474-475. Woche 1 bis 4: Isolierung der Antikörper Das auf einer Mikrotiterplatte immobilisierte Antigen wurde gegen die HuCAL GOLD® Bibliothek getestet (HuCAL, Human Combinatorial Antibody Library, siehe[4]). Hierbei handelt es sich um eine Sammlung von mehr als 15 Milliarden humanen Antikörpern, deren genetische Information an das jeweilige Antikörperprotein gekoppelt vorliegt. Nicht-bindende Antikörper wurden durch Waschen entfernt, die bindenden Antikörper eluiert und die im Phagen vorliegende genetische Information in E.coli überführt. Anschließend wurden die Bakterienzellen vereinzelt, einige hundert Kolonien in eine Mikrotiterplatte überführt und die Antikörperexpression induziert. Nach Lyse der Zellen wurden die Extrakte mittels ELISA auf Bindung an CD33 untersucht. Etwa 20 Kulturen produzierten einen Antikörper mit ELISASignalen, die deutlich (mehr als 10-fach) über der Kontrolle (kein Antigen) lagen. [3] Frisch, C., Brocks, B., Ostendorp, R., Hoess, A., von Rüden, T., & Kretzschmar, T. (2003): From EST to IHC: human antibody pipeline for target research. Journal of Immunological Methods 275, 205-214. Abb. 2: Jamshidi-Trepanat mit representativem Knochenmark aller drei Reifungslinien: Immunhistochemische Detektion des CD33 Antigens mit #97, 1:500. Starke positive Reaktion auf myeloischen Vorläufer-Zellen und monohistiozyäre Zellen; Promyelozyten lassen sich dabei am stärksten markieren, die reiferen Zellen der Granulopoise zeigen eine zunehmend niedrigere Expression von CD33. Zusätzlich wurden einzelne jugendliche Megakaryozyten markiert, die Erythropoiese wird nicht angefärbt. Resultat: Der Antikörper wurde nun auf verschiedenen formalin-fixierBIOspektrum · Sonderausgabe · 10. Jahrgang Human Combinatorial Antibody Libraries (HuCAL®) Based on Modular Consensus Frameworks and CDRs Randomized with Trinucleotides. The Journal of Molecular Biology 296, 57-86. Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Hartmut Merz Medizinische Universität Schleswig Holstein Campus Lübeck Ratzeburger Allee 160 D-Lübeck 23538 Tel.: 0451-5002714 [email protected] Dr. Achim Knappik MorphoSys AG Lena-Christ-Straße 48 D-82152 Martinsried/Planegg Tel.: 089-89927-304 [email protected] www.A-by-D.com Woche 5 bis 8: Produktion und QC Nach Sequenzierung eines Teiles der positiven Antikörper wurden drei Kandidaten, #97, #98 und #99 – jeweils formatiert als bivalente Fab-Moleküle mit Myc- und His-tag am C-Terminus der schweren Kette – im Schüttelkolben exprimiert und mittels NiNTA-Chromatographie gereinigt. Aus 250 ml Kultur konnten 1,7 mg (#97), 0,6 mg (#98) und 2,2 mg (#99) gereinigter Antikörper gewonnen werden. Die Spezifität wurde im ELISA überprüft und bestätigt. [4] Knappik, A., Ge, L., Honegger, A., Pack, P., Fischer, M., Wellnhofer, G., Hoess, A., Wölle, J., Plückthun, A., & Virnekäs, B. (2000): Fully Synthetic Abb. 3: Gewebeschnitt einer humanen Tonsille: Immunhistochemischer Nachweis von CD33 mit #97, 1:500. Einzelne Histiozyten, so genannte Sternhimmelmakrophagen, zeigen eine distinkte zytoplasmatische granuläre Reaktion. Selten werden Granulozyten in kleinen Gefäßen oder im Gewebe schwach positiv markiert. Alle anderen Gewebekomponenten sind negativ für CD33. ten Gewebeschnitten untersucht. Einer der drei getesteten Antikörper (#97) lieferte dabei sehr gute Ergebnisse (Abb. 2 und 3). Mittels rekombinanter Antikörper Technologie konnte also in kurzer Zeit ein IHC-gängiger mAk entwickelt werden. Dieser CD33 Phagen-Antikörper kann nun eingesetzt werden, um myeloische Zellen im formalin-fixiertem Gewebe zuverlässig nachzuweisen.