Schulverpflegung

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Auf dem Weg zu einer guten und kostenfreien Schulverpflegung
Fachtagung des AK 1 der Fraktion DIE LINKE im Bundestag am 18. Oktober 2012 in Berlin
Zusammenfassung1
Dr. Kirsten Tackmann (MdB)
Leiterin des AK 1 und agrarpolitische Sprecherin, Fraktion DIE LINKE im Bundestag:
Das Thema der Schulspeisung und gesunden Ernährung von Kindern beschäftigt die Fraktion
DIE LINKE im Bundestag schon seit Jahren. Bereits im November 2011 hat sich der Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in einer Anhörung mit der Schulverpflegung befasst.
Es ist aus unserer Sicht nicht nur wichtig, dass die Kinder gesund ernährt werden sonder
möglichst aus der Region. Es ist wichtig die regionale Erzeugung und Versorgung wieder näher aneinanderzurücken. Wir müssen vom anonymen Weltmarkt wegkommen, der sozial
und ökologisch blind ist. Uns ist vor allem wichtig, dass Kinder überhaupt an einer Schulspeisung teilhaben können.
Die Frage der Finanzierung ist deshalb auch entscheidend. Bei der Ausschuss-Anhörung hatten uns Experten in der Forderung nach einer kostenfreien Schulverpflegung gestärkt. Bisher
ist die Schulspeisung viel zu bürokratisch und daher am Ende teurer, als wenn wir sie kostenfrei zur Verfügung stellen.
Karin Binder (MdB)
Obfrau im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Fraktion
DIE LINKE im Bundestag
Unsere Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert: Schichtarbeit, Spätund Nachdienste, Rufbereitschaften, aber auch lange Anfahrtswege und die Situation von
Berufspendlern stellen hohe Anforderungen an die Beschäftigten und an das Familienleben.
Auch veränderte Geschlechterrollen, Berufstätigkeit beider Eltern, wie auch Alleinerziehende
prägen andere Tagesabläufe. Es wird seltener gekocht und gemeinsam gegessen. Das prägt
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Zusammenfassende Wiedergabe des Audiomitschnitts vom 18. Oktober 2012. Das Audiodokument (Größe
181 MB) kann im MP3-Format unentgeltlich unter [email protected] angefordert werden.
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schon früh das Essverhalten vieler Kinder. Die Erleichterungen durch die Lebensmittelindustrie mit Fertig- oder Halbfertigprodukten werden in einem modernen Arbeitnehmerhaushalt
deshalb gerne angenommen.
Immer mehr Kinder und Jugendliche kommen aber ohne Frühstück und ohne ein Vesper in
die Schule. Gekocht wird, wenn überhaupt abends. So kann kein Kind gesund aufwachsen
sowie körperliche und geistige Leistungsfähigkeit entwickeln. Schulverpflegung ist deshalb
eine Fürsorge- und Vorsorgeaufgabe des Staates. Um die Kinder und Jugendlichen zu erreichen, muss diese Vorsorge an den Bildungseinrichtungen angedockt werden und an den Kitas und den Schulen stattfinden.
Eine bundesweit flächendeckende und kostenfreie Verpflegung in Schulen und Kitas soll gewährleisten, dass alle Kinder die Chance haben, ihre Potentiale zu entfalten. Schulverpflegung darf nicht an der fehlenden Finanzkraft von Kommunen und Ländern scheitern. Schulverpflegung darf auch nicht an der Einkommenssituation armer Familien scheitern. Die Hartz
IV-Regelsätze für Kinder und Jugendliche sind viel zu niedrig und lassen eine anspruchsvolle
hochwertige Schulverpflegung nicht zu. Aber auch andere einkommensschwache Familien
oder Alleinerziehende können sich Schulverpflegung oft nicht leisten. Herstellungskosten
zwischen vier und fünf Euro pro Essen sind für eine hochwertige Verpflegung mindestens
anzusetzen, wenn wir nicht wollen, dass Billigangebote die Qualität beeinträchtigen. Durch
hohe und verbindliche Qualitätsstandards, z.B. den Standards der Deutschen Gesellschaft für
Ernährung (DGE), und durch verstärkte und effizientere Lebensmittelkontrollen in dem sensiblen Bereich der Gemeinschaftsverpflegung muss Mängeln vorgebeugt werden.
Eine gute Schulverpflegung soll ausgewogen sein sowie aus hochwertigen Zutaten und ohne
Zusatzstoffe und Aromen hergestellt sein. Es soll schmecken und Kinder und Jugendliche in
der Wachstumsphase satt machen. Es muss ein altersgruppengerechtes Angebot zur Auswahl stehen, das auch kulturellen und religiösen Ansprüchen gerecht wird. Essen ist nicht
nur Nahrungsaufnahme sondern Genuss und Kultur, deshalb muss auch die Atmosphäre
stimmen. Der Speisesaal oder Pausenraum spielt eine wichtige Rolle. Essen in Gesellschaft
schafft soziale Kontakte. Die Lehrer oder Erzieher haben hier eine Vorbildfunktion und sollten Teil der Gruppe sein. Essen will gut vorbereitet und angerichtet sein, mit ordentlichem
Geschirr und Besteck, mit Serviette und auch fürs Auge, das mitisst. Manchmal soll es auch
gemeinsam zubereitet sein. Kochen macht Spaß und will gelernt sein, ebenso der richtige
Umgang mit Lebensmitteln.
Die Nutznießer sind die Kinder und Jugendlichen, die Eltern und die Lehrer, unsere Sozialversicherungssysteme, die weniger Kosten für ernährungsbedingte Krankheiten aufzuwenden
haben. Deshalb sieht DIE LINKE den Bund in der Verantwortung, für eine flächendeckende
Schul- und Kitaverpflegung die Finanzierung sicherzustellen. Unsere Gesellschaft darf bei der
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Verpflegung der Kinder keine sozialen Unterschied machen. Kinder und Jugendliche wollen
keine Almosen. Sie wollen gleich behandelt werden und nicht die Diskriminierung erfahren,
die ein Gutschein mit sich bringt. Kein Kind darf in diesem reichen Land hungrig in der Schule
sitzen.
Deshalb haben wir folgende Fragen aufgeworfen:
1.
Wie muss eine hochwertige Schulverpflegung aussehen, damit Kinder und Jugendliche sie gerne annehmen, und welche Anforderungen muss sie erfüllen?
2.
Welche rechtlichen Aspekte haben wir zu beachten (Föderalismus, Kooperationsverbot etc.) und kann der Bund trotzdem in die Pflicht genommen werden?
3.
Welche ersten Schritte können wir unternehmen um die Situation, die Verpflegung
der Kinder, der Schüler im G8, in Gemeinschafts- und in Ganztagesschulen zu verbessern?
Erster Teil: Voraussetzungen für eine gute Schulverpflegung
Dr. Elke Liesen
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)
Die DGE hat bereits die dritte Auflage des Qualitätsstandards für die Schulverpflegung veröffentlicht. Die DGE wurde vom BMELV zur Erstellung eines bundesweit gültigen Qualitätsstandards beauftragt. Ein wesentlicher Grund war das enorme Wachstum der Ganztagsschulen. Zudem hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) 2004 beschlossen, dass am Ganztagsschulen eine Mittagsverpflegung bereitgestellt werden muss. Wie die Verpflegung aussehen
sollte, wurde dabei jedoch nicht ausgeführt. Ziel war es, einheitliche Voraussetzungen zu
schaffen, die für alle Kinder gelten. Hinzu kamen dann noch die Erkenntnisse des Moduls
EsKiMo aus der KiGGS-Studie, wonach Kinder zu wenig pflanzliche Nährstoffe aufnehmen
und der Konsum an Fleisch, Süßwaren und Limonaden zu hoch seien. Zu viele Kinder leiden
auch deshalb an Übergewicht, was auch typische Krankheiten nach sich zieht.
Mittlerweile erarbeitet ein breiter Personenkreis von 60 Fachleuten die Standards. Die DGE
lässt sich nicht von der Industrie beeinflussen. Sie sind zwar nicht verbindlich, aber alle 16
zuständigen Ministerien der Bundesländer tragen sie mit. Auch die Vernetzungsstellen
Schulverpflegung in den Ländern sind seit der letzten Überarbeitung daran beteiligt. Dadurch
erhält die DGE die erforderliche Rückkopplung von vor Ort. In den Landesschulgesetzen sind
die Standards bisher nicht verankert.
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Die Standards betrachten die optimale Lebensmittelauswahl mit Blick auf die Getränkeauswahl, die Zwischenverpflegung und die Mittagsverpflegung. Für das Mittagsessen wurden
für die sieben Lebensmittelgruppen aus dem Ernährungskreis Qualitäten festgelegt. So sollen bei Getreide und Getreideprodukten Vollkorn eingesetzt werden, bei Kartoffeln die frischen Kartoffeln bevorzugt werden. Auch Obst und Gemüse sollte immer frisch verwendet
werden. Alternativ sollten tiefgekühlte Produkte verwendet werden und keine Konserven.
Für Milch und Milchprodukte wurden Fettgehalte festgelegt und bei Getränken stehen das
Wasser bzw. zuckerfreie Tees in Vordergrund. Für eine vernünftige und ausgewogene Ernährung wurden dann Häufigkeiten der Verwendung vorgeschlagen, wofür Tabellen vorliegen.
Zu betonen ist, dass keine Lebensmittel oder Zubereitungsformen ausgeschlossen werden.
Es ist alles erlaubt, aber in bestimmten Maßen.
Die DGE-Standards fordern auch ein saisonales und vegetarisches nichtsüßes Angebot. Die
Warmhaltezeit, gemessen von der Fertigstellung bis zum Tisch, darf drei Stunden nicht überschreiten. Es wurden auch Rahmenbedingungen für die Schulen festgelegt. Die Essenszeit
soll mindestens 60 Minuten betragen. Auch der Weg zur Ernährungsbildung ist beschreiben.
Ernährung soll im Unterricht behandelt werden. So werden die Kinder theoretisch vorbereitet, um zu wissen, was in der Praxis gegessen wird. Ganz wichtig für Kinder ist auch freundliches Ausgabepersonal. Die Mensa soll ordentlich und sauber aussehen. Natürlich werden
auch Hygienevorschriften und Personalqualifikation vorausgesetzt. Zudem wird ein vernünftiges Schnittstellenmanagement gefordert, damit man Ansprechpartner hat und Verantwortlichkeiten geklärt sind.
Die Festlegung auf Regionalität ist zwar wünschenswert aber schwierig, weil das bei Ausschreibungen als wettbewerbsverzerrend gilt. Es gibt auch Nachhaltigkeitskriterien, wie Abfallvermeidung und wiederverwendbares Geschirr. Ziel insgesamt ist es, die Qualität der
Schulverpflegung einschließlich guter Rahmenbedingungen zu verbessern und zu sichern.
Man kann sich auf Grundlage der DGE-Standards zertifizieren lassen.
Prof. Dr. Berthold Koletzko
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Universität München
Wir haben die Situation, dass es an Ganztagsschulen keine richtigen Strukturen gibt, um eine
Verpflegung zu realisieren. Ernährung ist in keinem Alter wichtiger als im Kindesalter. Sie
müssen nicht nur ihren Erhaltungsbedarf decken, sie wachsen und entwickeln sich zum Teil
sehr rasant. Besonders auch die Entwicklung der Organe ist abhängig von der Ernährung.
Das, was Kinder essen und trinken, hat auch langfristig Auswirkungen auf die körperliche
Entwicklung. Auch für das Problem des Übergewichts in unserer Gesellschaft werden die
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Weichen im Kindesalter gestellt. Lebensstile, auch was die Ernährung und Bewegung betrifft,
beeinflusst Entwicklungen wie Übergewicht und Krankheiten. Das hat auch gesundheitsökonomische Konsequenzen. Musterungsuntersuchungen bei jungen Männern zeigen den dramatischen Verlauf an. Dabei wurde auch der Body-Mass-Index (BMI) erhoben. Die Zahl der
Fettleibigen (BMI über 30) ist zwischen 1989 und 1998 um das 1,7fache gestiegen. Die Zahlen zeigen auch, dass das Risiko vom sozioökonomischen Status abhängig ist. Besonders
hoch ist der Anteil an fettleibigen jungen Männern bei einer geringen Bildungsdauer von
unter zehn Jahren Schulbesuch. Das wiest darauf hin, dass sozial Schwache ein besonders
wichtige Gruppe sind, bei denen im Kinder- und Jugendalter gesundheitsfördernde Lebensgewohnheiten zu unterstützen sind. Das gilt auch für die Schulverpflegung.
Auch nach der letzten Kinder- und Jugendstudie des Robert-Koch-Instituts sind 15 Prozent
der Kinder übergewichtig und 6,4 Prozent haben die krankhafte Form des Übergewichts. Das
Problem ist bei Jungen und Mädchen sowie in den alten und neuen Bundesländern etwa
gleich groß. Übergewicht hat viele medizinische Konsequenzen, aber nicht nur gesundheitliche Auswirkungen sondern auch starke psychosoziale Folgen. Viele betroffene Kinder haben
ein eingeschränktes Selbstbewusstsein und sind die Verlierer im Sport. Sie haben im Vergleich zu normalgewichtigen Kindern deutlich schlechtere Bildungsabschlüsse und teilweise
Schwierigkeiten eine Lehrstelle zu bekommen. Im Erwachsenenalter haben sie weniger stabile Partnerschaften und haben geringere Einkommen. Die Lebensstile werden im Kindesalter
geprägt. Es ist wichtig Eltern, die den Alltag mit ihren Kindern nicht allein bewältigen können, auch in Bildungseinrichtungen zu unterstützen.
Ein weiterer Aspekt sind die Auswirkungen auf die Bildungsleistung der Kinder. Das, was Kinder und Jugendliche essen und trinken, beeinflusst die Konzentration und Schulerfolg. Kurzfristig durch die Energie. So haben Kinder die nicht gefrühstückt haben im Laufe des Vormittags einen deutlich stärkeren Leistungsabfall und sind schlechter konzentriert. Auch der
Blutzuckerverlauf und die Flüssigkeitszufuhr spielen eine Rolle. Langfristig ist die Qualität der
Nährstoffversorgung wichtig. Bei guter Versorgung können sich Kinder auch später besser
konzentrieren und haben eine lang anhaltende Aufmerksamkeit.
Regelmäßige ausgewogene Mahlzeiten und das Trinken von Wasser fördern die körperliche
und geistige Leistungsfähigkeit bei Kindern deutlich. Gerade kleinere Kinder haben noch weniger Reserven um Zufuhrunterbrechungen auszugleichen. Kinder ohne Frühstück haben
nach dem Abendessen bis zur Mittagspause 18 Stunden nichts gegessen. Sie haben dann
gerade am Vormittag einen deutlich schlechteren Verlauf der typischen Leistungskurve. 20
bis 30 Prozent der Kinder gehen ohne Frühstück in die Schule – mit zunehmender Zahl im
höheren Alter. gerade sozioökonomisch schwache Familien schicken ihre Kinder aus einer
Vielzahl von Gründen ohne Frühstück in die Schule. Das bedeutet erhebliche Nachteile bei
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den schulischen Leistungen. Dieser Faktor wäre relativ leicht zu beeinflussen, indem ein gutes Verpflegungsangebot in der Schule besteht. Gerade in der Kita und der Grundschule sollte ein gemeinsames Frühstück angeboten werden. Gerade kleine Kinder nehmen ein tägliches Angebot an Wasser, Obst und Gemüse in der Gruppe sehr gut an. Schulverpflegung ist
eine große Chance, gesundheitsfördernde Lebensweisen langfristig zu prägen und damit die
Kosten für ernährungsbedingte Krankheiten zu reduzieren. Eine gute Schulverpflegung könnte am Ende also Geld sparen.
Die Auswahl der Getränke hat als ganz einfache Maßnahme einen sehr großen Einfluss. Regelmäßiger Verzehr von zuckerhaltigen Getränken hat einen starken Einfluss auf das Übergewicht. Bei Kindern hat schon die Menge von 250 Millilitern täglich messbare Auswirkungen, vermutlich auch weil Gewohnheiten in der Schule diejenigen außerhalb der Schule mit
beeinflussen. Dort wo Kinder durch das Angebot eines Wasserbrunnens ein Glas Wasser
mehr am Tag trinken, ist der Effekt mit 30 Prozent weniger Übergewicht dramatisch. Wir
brauchen also ein kostenloses Angebot an Wasser durch frei zugängliche Wasserbrunnen,
denn zuckerhaltige Getränke sind ein starker Risikofaktor für Übergewicht und Krankheit.
Schulen können die Ernährungsgewohnheiten der Kinder nachhaltig verbessern, vor allem
wenn das Essen nicht für sich allein steht sondern wenn der Unterricht und die Praxis des
Essens miteinander verknüpft werden. So erreichen wir auch die Familien. Deshalb ist es
wichtig, eine gesunde und attraktive Schulverpflegung anzubieten. Diese sollte für alle Schüler unabhängig von der finanziellen Lage der Familie zugänglich sein. Denn gerade Kinder aus
schwachgestellten Familien profitieren ganz besonders. Die Qualitätsstandards der DGE
müssen dazu auch mithilfe der Vernetzungsstellen Schulverpflegung nur umgesetzt werden.
Eine gute Pausenverpflegung ist für unsere Kinder genauso wichtig wie der Mathe- und Englischunterricht.
PD Dr. Thomas Ellrott
Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie, Universitätsmedizin Göttingen
Wir können die Schüler nicht zwingen zu tun was wir denken das gut für sie ist. Eine Schule
ist kein Ort in dem alles vorgegeben werden kann. Wir sind für ein erfolgreiches Verpflegungsangebot auf die Mitarbeit der Schüler angewiesen.
Bei Vorlieben für bestimmte Mahlzeiten gibt es erhebliche kulturelle Einflüsse und eine genetisch geprägte Vorliebe für Süßes. Auch das mütterliche Verhalten beeinfluss das kindliche
Essverhalten schon in der Schwangerschaft und beim Stillen. Der stärkste Einflussfaktor auf
das Essverhalten bei Kindern ist die Vorbildfunktion der Eltern. Sie beobachten emotional
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positiv besetzte Vorbilder und übernehmen deren Verhalten auch beim Essen. Das bedeutet
auch, dass die Schule nicht alles kompensieren kann, was zuhause falsch gemacht wurde.
Schulen können und sollten gute Rahmenbedingungen für die Verpflegung schaffen, aber die
Eltern nicht aus der Verantwortung entlassen. Typische Vorbilder sind neben den Eltern größere Geschwister, Freunde und Großeltern. daneben gibt es neue Vorbilder aus den Medien,
mit denen jetzt auch kleine Kinder in Kontakt kommen. Es handelt sich um „Celebrity Ikonen“ in der Werbung. Diese Vorbilder machen den Kindern Lust etwas zu essen, wovon sie
eigentlich schon genug essen. Eigentlich bräuchte man die Werbung für diese Produkte
nicht, sondern für die Produkte von denen die Kinder noch nicht genug essen. Ein gutes Beispiel sind die Figuren „Peb und Pebber“ die auf pädagogisch sinnvolle Art Werbung für solche Lebensmittel machen. So verwenden sie niemals die Wörter „gesund“ oder „Ernährung“.
Denn „gesunde Ernährung“ ist aus der Sicht der Kinder kein Grundbedürfnis. Es wäre hilfreich, wenn bekannte Vorbilder, wie Sebastian Vettel, auch für ernährungswichtige Lebensmittel werben würden. Es gilt: Man kann alles zu Lieben lernen, wenn das Umfeld stimmt.
Wenn wir willentlich Einfluss auf das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen nehmen
wollen, müssen wir die Verpflegung mit der Ernährungserziehung verknüpfen. Wenn es um
die Beeinflussung des praktischen Essverhaltens geht, reicht das Wissen über Essen nicht
aus. Tatsache ist auch, dass sich Kinder anders ernähren, als sie aus Sicht der Fachgemeinschaft tun sollten. Ernährungserziehung mit dem erhobenen Zeigefinger verfängt bei den
Kindern wenig. Das liegt daran, dass negative Verhaltenskonsequenzen (Diabetes, schlechte
Zähne Dickleibigkeit) erst nach langer zeitlicher Verzögerung eintreten. Eine sofortige Verhaltenskonsequenz, wie ein tolles Geschmackserlebnis, hat viel stärkere Folgen, als eine
stark zeitlich Verzögerte. Zudem gibt es keine Garantie auf negative Verhaltenskonsequenzen. Kinder merken schnell, dass viele negative Folgen gar nicht eintreten, denn sie leben in
kurzen Zeithorizonten. Kinder müssten also Belohnungsaufschub lernen. Auf eine sofortige
Belohnung zugunsten einer möglichen Belohnung in ferner Zukunft zu verzichten, ist selbst
Erwachsenen kaum zu vermitteln. Lebensqualität wird vielmehr im Jetzt als in der Zukunft
erlebt, wobei die Zukunftsplanung auch vom Bildungsniveau abhängt.
Verbote, zum Beispiel von ungesunden Lebensmitteln, funktionieren nur in geschlossenen
Systemen. In offenen Systemen können Verbote das Gegenteil von dem verursachen, was
man eigentlich will. Ein Beispiel aus Hessen zeigt, dass ein Verbot gesüßter Getränke zugunsten reiner Milchprodukte zu einem deutlichen Rückgang des Milchkonsums führte. Viele
Hausmeister haben in der Folge den Verkauf aufgrund von Unwirtschaftlichkeit ganz eingestellt. Die Schüler wurden in die Entscheidung nicht mit einbezogen, was zu einer Ablehnung
führte. Ein solcher Top-Down-Ansatz funktioniert im Justizvollzug aber nicht an Schulen, weil
diese offene Türen haben. Die Schüler weichen also nach außen zum nächsten Kiosk oder
Lebensmittelladen aus und greifen möglicherweise zu noch ungünstigeren Softdrinks. Ver7
knappung steigert die Attraktivität von Lebensmitteln, weshalb Verbote eine gegenteilige
Wirkung haben können. Ernährungswissen spielt beim Essverhalten der Kinder deshalb keine
oder nur eine geringe Rolle.
Wissensvermittlung ist also keine gute Strategie, um das Essverhalten der Kinder zu beeinflussen. Vielmehr zählen Fertigkeiten beim Umgang mit Essen und die Verfügbarkeit. Kinder
die stärker in den Einkauf oder die Essenszubereitung eingebunden werden, haben eine höhere Ernährungsqualität und wählen gesünder aus, obwohl sie keinen Ernährungsunterricht
hatten. Die Verzehrstudie zeigt, dass Personen mit hohen Kochfertigkeiten gesünder auswählen, als diejenigen mit geringen Kochfertigkeiten. Für die Schulverpflegung bedeutet
dies, dass neben einem tollen Schulessen eine Lehrküche sinnvoller ist als Ernährungsbildung. Wir müssen uns in die Situation der Schülerinnen und Schüler versetzen. Gesunde Ernährung ist absolut irrelevant für Kinder. Wichtig ist ihnen Familie, Freundschaft, Geborgenheit und Vertrauen. Auch Spaß ist Kindern über alle Maßen wichtig, weil dies eine sehr zeitnahe Belohnung für Verhalten ist. Sie lernen auch, dass der Begriff „gesund“ im Zusammenhang mit Lebensmittel nichts Gutes bedeutet, wenn er mit Zwang und Bevormundung einhergeht. Familien gelingt es praktisch nie, den Begriff „gesund“ positiv zu besetzen.
Eine gute Möglichkeit ist deshalb das Vorbilder-Lernen. Für die Schule stellt sich also die Frage, welche Vorbilder in der Schule zählen. Das sind in vielen Fällen die Lehrer, weshalb diese
gemeinsam mit den Kindern in der Mensa essen sollten. Verpflegung muss auch mit Vertrautheit, Geborgenheit und Gemeinschaft einhergehen. Fastfood-Unternehmen haben dieses Prinzip erkannt und werben vordergründig mit ansprechenden Botschaften, wie frisch,
lecker und knusprig. Mit „gesund“ erreichen wir nur die Gesundheitsbewussten, machen es
aber für alle Anderen noch unwahrscheinlicher, sich besser zu ernähren.
Ein Beispiel für die Gemeinschaftsverpflegung ist der Caterer Biond aus Kassel. Hier wurde
zunächst „Mangold-Lasagne“ angeboten, was zu einer Ablehnung bei der Kindern führt. Zwei
Wochen später wurde das gleiche Produkt lediglich als „Lasagne“ angeboten, woraufhin fast
alle Kinder davon aßen. Man sollte also darauf achten, dass man Schulessen anbietet ohne
Barrieren aufzubauen. So sollte man statt „Vollkornnudeln“ nur „Nudeln“ in die Speisekarte
schreiben, um die Akzeptanz bei den Kindern zu erhöhen.
Konsequenzen:

Eine gute Schulverpflegung ist ein essenzieller Bestandteil eines gesundheitsfördernden Lebensstils.

Sie fördert die Leistung wie auch eine gute körperliche Entwicklung der Kinder.

Sie trägt gleichzeitig zur Chancengleichheit bei und fördert die soziale Gemeinschaft
in der Schule
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
Aber Vorsicht: die Umsetzung darf nicht in Belehrung und Bevormundung ausarten.
Denn gesunde Ernährung ist für die Kinder kein Core need.

Wir müssen die Kinder von vornherein mit ins Boot holen. Die besten Konzepte für
Schulverpflegung haben die Schüler von Beginn an involviert. Sie müssen bei der Gestaltung der Mensa und beim Speiseangebot mitbestimmen. Das kann zwar zur Folge
haben, dass man mehr Zeit braucht, um beispielsweise die DGE-Qualitätsstandards
zu erreichen. Man erreicht dafür aber alle Kinder.

Keine vordergründige Kommunikation mit „Gesundheit“ gegenüber den Kindern.

Für praktische Ernährungsbildung ist die Lehrküche das Bestmögliche.
Niklas Schüßler, Lena Ghebreselasie, Roya Haupt
Schülerinnen und Schüler der Offenen Schule Waldau
Die offene Schule Waldau wird vom Essenslieferanten Biond beliefert. Es gibt viele Stationen
zum Essengehen, feste Essenszeiten und eine Stunde Pause. Alle 877 Schüler besitzen einen
Essensausweis, mit dem sie Essen gehen können. Er kostet 42 Euro im Monat. Die Schule
liegt in einem Gebiet, in dem viele Familien ein niedriges Einkommen haben. Falls sich Familien das Schulessen nicht leisten können, gibt es einen Zuschuss oder auch eine Übernahme
der Kosten durch den Förderverein der Schule. Die Hilfe wird diskret geregelt, damit niemand mitbekommt, wer gefördert wird.
Die Schülerinnen und Schüler scannen im Mensabereich den Ausweis und können sich dann
nehmen was und so viel sie wollen. Angeboten wird täglich ein Hauptgericht, Suppe, Nudeln,
Pizza, Wok, Salat und eine Nachspeisetheke. Es gibt ungesüßte Tees und Wasserspender,
aber keine zuckerhaltige Getränke. Hervorzuheben ist die große Auswahl. An zwei Tagen in
der Woche (Dienstag und Donnerstag) werden Fleischgerichte serviert. An den anderen Tagen ist das Angebot vegetarisch. Meist Freitags gibt es einen Fischtag. Fetthaltige Gerichte
werden kaum angeboten. Die Schüler sind mit dem Essen zufrieden. Auf religiöse belange
wird Rücksicht genommen.
Alle Lehrer gehen in den Pausen gemeinsam mit den Schülern essen. Sie haben sich dazu
verpflichtet. Die Produkte des Lieferanten Biond sind meist Bio und kommt aus der Region.
Ein Essen kostet zwischen zwei und drei Euro. Vollkorn bei Pizzateig und Nudeln sind gewöhnungsbedürftig. Dennoch wird auch dieses Angebot von allen angenommen. 500 bis 600
Schüler essen täglich in der Mensa. Die anderen Schüler nehmen das Angebot in der Cafeteria wahr, die von einem anderen Anbieter betrieben wird und wo es meist Nudelgerichte
gibt. Die Schüler können also auch selbst entscheiden, wo sie Essen gehen. Damit die Warteschlangen nicht so lang sind, sind die Pausenzeiten nach Jahrgängen gestaffelt.
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Biond kocht das Essen vor. An der Schule wird es dann aufgewärmt. Biond hat aber ein spezielles Verfahren, durch das die Lebensmittel möglichst frisch gehalten werden. Die Gerichte
werden ganz heiß verpackt und schnell herunter gekühlt. Sie werden kühl geliefert und gelagert und dann in der Schule im Dampfgarer zubereitet. So wird versucht, die Vitamine aufrecht zu erhalten.
Jede Klasse hat einmal im Jahr Mensadienst. Dadurch fällt jeweils die Stunde vor und nach
der Mittagspause aus. Die Klasse bedient dann auch die anderen Schülerinnen und Schüler,
gibt das Essen aus und sorgt für Nachschub. In der Frühstückspause gibt es eine Milchbar mit
Kakao und Frucht. Die Milchmixgetränke werden von den Schülern selbst kreiert. Sie haben
möglichst wenig Zucker, sind aber so zubereitet, dass sie den Schülern auch schmecken. Der
Caterer ist sehr kooperativ. Die Schülervertretung trifft sich regelmäßig mit dem Caterer und
kann jederzeit Verbesserungsvorschläge machen, auf die auch eingegangen wird. Biond versucht den Wünschen der Schüler zu entsprechen, damit sie auch gern Essen gehen.
An der Schule gibt es zwei Wasserspender, jeweils mit und ohne Sprudel. Jeder kann sich in
den Pausen seine Flaschen auffüllen. Trinken ist auch im Unterricht erlaubt. An der Schule
sind nur Wasser, ungesüßte Tees und Saftschorlen erlaubt. Während der Schulzeit dürfen die
Schüler das Schulgelände nicht verlassen. Damit ist die Möglichkeit genommen, andere Getränke und anderes Essen zu kaufen. In den Jahrgängen Fünf und Sechs ist ein gutes Obstangebot in den Klassen sichergestellt.
Alle Inhaltsstoffe sind einsehbar. So können Schüler auch sicher vegan essen. Hierfür gibt es
eine abwechslungsreiche Auswahl. Auch Schüler, die Allergien haben können die Inhalte
kontrollieren. Sollte das Angebot dennoch nicht ausreichen, kann man mit dem Mensaverein
sprechen und auch sein Essen mitbringen. Was bei den Schülern gut ankommt, ist die große
Auswahl und die Transparenz zwischen der Schülervertretung, dem Caterer und dem Mensaverein. In einem Wahlpflichtkurs können Schüler auch selbst kochen und bereiten dann
auch Essen für die oberen Jahrgänge zu, das dann in der Cafeteria serviert wird. Leider gibt
es zu wenig Lehrpersonal, um die Kurse auf die anderen Jahrgänge auszuweiten. Ein weiteres offenes Kursangebot zum Thema Kochen wurde mit Hilfe der Sarah-Wiener-Stiftung
entwickelt. Das Projekt läuft jetzt ohne die Stiftung weiter.
Diskussion
Landesschülervertretung Rheinland-Pfalz: Wie gehen die Schüler in der Praxis mit dem Verbot gesüßter Getränke um und wurde schon einmal versucht diese zuzulassen?
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OSW: Das Verbot gesüßter Getränke an der Schule besteht erst seit einigen Jahren, wird
aber von den Schülern akzeptiert. Außerhalb der Schulzeit kann man ja trinken, was man
möchte. Natürlich bringen sich einzelne Schüler trotzdem Süßgetränke mit.
Selbsthilfegruppe Alleinerziehender in Brandenburg: Wieso ist es nicht möglich, die Verpflegung in den Landesschulgesetzen zu verankern und wie können wir die einzelnen Lebensbereiche anbinden, z.B. im Rahmen der Jugendhilfe (SGB 8) ein Angebot der Familienbildung für die Ernährung machen?
Dr. Liesen: Schon die Zusammenarbeit mit einzelnen Ländern, wo gleich mehrere Ministerien für die Schulverpflegung verantwortlich sind, ist nicht einfach. Wenn etwas ins Schulgesetz aufgenommen wird, erwachsen daraus auch Anforderungen. Die DGE hat einen Konsens
der Inhalte geschaffen, die Umsetzungsverantwortung liegt bei den Ländern.
Viele Institutionen befassen sich mit den Thema Ernährung. Die stark aufgestellten Vernetzungsstellen in den Ländern versuchen auf anderen Einrichtungen zuzugehen. Diese haben
oft andere Schwerpunkte. Da wo eine Zusammenarbeit möglich ist, findet eine Vernetzung
statt. Hygienevorschriften machen gemeinsames Kochen mit Eltern und Schülern an Schulen
oft schwierig. Mit eigenen Lernküchen könnte man das Problem umgehen.
Nitschke: Wie setzt sich der Essenpreis an der OSW tatsächlich zusammen? In Ostdeutschland kann Biond für zwei Euro kein Essen liefern.
DIE LINKE im Thüringer Landtag: Bei der jüngeren Generation von Müttern und Vätern ist
relativ viel Ernährungswissen verloren gegangen. Ist es nicht sinnvoll, den Aspekt der Aufklärung über Ernährung besser in den Unterricht zu integrieren?
Dr. Ellrott: Sie fordern ein, was zuhause an Kochkompetenz verloren gegangen ist. Wenn
man Ernährungsunterricht in der Schule macht, sollte man tendenziell eher Kochen, als den
Kindern etwas über Eiweiße, Fett, Kohlenhydrate und Kalorien mit auf den Weg zu geben.
Denn das Kognitive hat wenig Auswirkungen auf die Verhaltensweise. An der Schule sollte
also die Esskultur weitergegeben werden. Gemeinsames Kochen mit lokalen Köchen (satt
Spitzenköchen), das Betreiben eines gemeinsamen Schulgartens oder die Kooperation mit
einem Landwirt, wo man gemeinsam Felder bestellen kann, sind ideale Möglichkeiten. So
kann man praktische Ernährungsbildung in die Schule bekommen. Das hat für das Essverhalten der Kinder eine höhere Relevanz als die alte kognitive Ernährungserziehung.
Erwerbsloseninitiative Neukölln, Berlin: Inwieweit wird der Essensausweis an der OSW gesponsert?
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OSW: Der Mensaverein überprüft gemeinsam mit Betroffenen, ob sie Anspruch auf einen
Bildungsgutschein haben und hilft bei der Beantragung. Darüber hinaus unterstützt der
Mensaverein Hilfsbedürftige aus der Vereinskasse. Stufenweise kann der Beitrag abgesenkt
oder erlassen werden. In der Praxis zahlen die Familien so viel, wie sie können.
Gesellschaft für Arbeitslehre in Berlin: In Berlin verfügen die meisten Sekundarschulen über
eine Lehrküche. Die Stundenpläne sind aber nicht gut darauf ausgelegt. Erforderlich wären
Teilungsstunden, um mit einem Teil der Klasse gut arbeiten zu können. Nur so können die
Lehrküchen auch sinnvoll genutzt werden.
Kalkoffen: Leider wird es immer mehr zur Ausnahme, das zuhause gemeinsam Mittag gegessen wird. In den Schulen haben wir dafür bisher keinen adäquaten Ersatz gefunden. Das Ernährungswissen basiert auf gemeinsamem Kochen und Essen. Für diese Themen bleibt gerade bei „G8“ kein Platz mehr. Dafür ist die Kultusministerkonferenz verantwortlich. Wie können wir darauf Einfluss nehmen?
Dr. Ellrott: Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Heute gibt es eine bunte Vielfalt an Lebenskonzepten. Schulen sind nicht ausreichend mitgegangen, sich an diese Veränderungen anzupassen. Unsere Schulen sehen im Vordergrund immer noch die Vermittlung kognitiven Wissens.
Das ist wichtig, aber zu wenig, um die junge Generation zu fördern. In Kanada beispielsweise
gibt es Lehrer, die keinen Unterricht geben, sondern nur Persönlichkeitsbildung betreiben.
Schüler sollen dort auch außerhalb der Schule soziale Verantwortung übernehmen. Soetwas
gibt es hierzulande nicht. Bildungseinrichtungen sind vielmehr gefordert, in Bereiche hineinzugehen, wo Familien überfordert sind.
Schering: Wie können wir eine ganzheitliche Ernährungsbildung im Hier und Jetzt umsetzen,
auch wenn häufig die strukturellen Voraussetzungen nicht immer gegeben sind, und wie
können die Qualitätsstandards der DGE an den Schulen durchgesetzt und die Einhaltung
kontrolliert werden?
Dr. Ellrott: Es ist klar, dass viele Schulen keine optimalen Voraussetzungen haben, dennoch
gibt es Spielräume, die genutzt werden können. Praktische Ernährungskonzepte gehen auch
im Bio- oder Physikraum. Das ist dann sicherlich schlechter als die Lehrküche, aber immer
noch besser als kognitiver Unterricht. Auch bei der Verpflegung muss man nach Kompromissen suchen. Ganz wichtig dabei ist es, die Schüler von vorn herein mit ins Boot zu holen,
denn sonst macht man etwas, was die Schüler nicht annehmen.
Dr. Liesen: Die DGE kann nur im Rahmen der bewilligten Projekte arbeiten. Immerhin gibt es
die 16 Vernetzungsstellen, bei denen Honorarkräfte beschäftigt sind. Insgesamt befassen
sich 250 bis 300 Personen mit den Qualitätsstandards für die Implementierung an den Schu12
len. Es gibt aber auch Hürden, die die DGE nicht klären kann. Wenn eine Schule keine Räumlichkeiten für die Schulküche hat, wird es schwierig. Für die Einrichtung der Schulküchen sind
die Kommunen zuständig. Für die Ausschreibungen ist der Schulträger zuständig. Hier hat die
DGE keinen Einfluss. In Zusammenarbeit mit den Vernetzungsstellen wurde aber ein Handlungsleitfaden für die Leistungsbeschreibung erstellt. Die DGE kann nur beratend tätig sein
und bietet eine Zertifizierung in zwei Stufen an. Dazu werden die Einrichtungen zur
Erstauditierung besucht. Diese wird dann jedes Jahr wiederholt. Der Vertrag wird über drei
Jahre geschlossen.
Schering: Die Finanzierung der Schulverpflegung an der Offenen Schule Waldau gestaltet
sich wie folgt: Die 42 Euro werden jeden Monat durchgehend bezahlt. Das bedeutet im Jahr
zwölf Beiträge je 42 Euro. Bei 180 Schultagen bedeutet das pro Mahlzeit 2,80 Euro. Die Infrastruktur- und Personalkosten werden anders finanziert. Zudem ist die Verpflegung über den
Mensaverein organisiert. Dieser führt 19 Prozent Mehrwertsteuer ab und bekommt eine
Erstattung für sieben Prozent.
Zweiter Teil: Finanzierung und rechtliche Aspekte einer kostenlosen Schulverpflegung
Staatssekretär Dr. Heinrich-Daniel Rühmkorf
Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg
Die Länder legen die Minimalanforderungen für die Schulverpflegung fest und kontrollieren
sie. Dabei stellt sich auch die Frage der Regionalität. Ein regionaler Lieferant ist kein Garant
für regionale Produkte. Auch kleine Küchen bedienen sich der globalen Lieferkette, wie der
Vorfall mit Durchfall-Erkrankungen bei Schülerinnen und Schülern durch tiefgekühlte Erdbeeren gezeigt hat. Ein Problem war hier die unsachgemäße Zubereitung der Speisen. Auch
das lange Warmhalten von Speisen führt zu einer starken Vermehrung von Krankheitskeimen. Das ist nur mit kleinen Küchen zu vermeiden, die tatsächlich regional sind. Das schlägt
sich dann aber im Preis wider. Die Akzeptanz für Schulessen sinkt aber mit zunehmendem
Preis. Die Preise bewegen sich in Brandenburg bei rund zwei Euro.
Die Verbraucherzentrale bekommt vom Land Brandenburg Mittel, um auch für die Schulverpflegung beratend tätig zu sein. Daneben gibt es die Vernetzungsstelle Schulverpflegung.
Damit das Essen attraktiv ist, muss die Schulleitung mitziehen, die erforderlichen Räumlichkeiten zur Verfügung stellen und für ausreichend Pausenzeit sorgen. Die Kosten spielen eine
zentrale Rolle. Gute Ernährung hat aber seinen Preis. Allein für die Ausschreibungen zeigt
sich, dass Qualitätskriterien wichtig sind, aber auch dafür, dass die Schülerinnen und Schüler
das Essen auch annehmen.
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Dr. Michael Polster
Vorsitzender des Deutschen Netzwerk Schulverpflegung e.V. (DNSV)
In Schweden finanzieren die Kommunen die Schulverpflegung beispielhaft. Das Entscheidende für den Erfolg dort ist, dass die Verpflegung im Mittelpunkt steht. Deswegen sollten wir
auch von Schulrestaurants und nicht von Kantinen sprechen. Dann sind auch die Essensteilnehmer Gäste. In Deutschland wird leider relativ wenig getan, um die Schulverpflegung zu
verbessern. Der Auftrag der Schulen ist es auch, den Kindern auf ihrem Lebensweg zu helfen.
Das umfasst auch die Frage, wie man sich richtig ernährt. Eltern sind durchaus bereit, mehr
Geld für Schulessen zu bezahlen, wenn die Qualität stimmt. Ziel muss es sein, Zeit und Raum
für eine Esskultur zu schaffen. Schulessen ist ein Querschnittsthema.
Etwa 40 Prozent der Kinder haben gegenwärtig Angst vor der Schule. Das ist ein Problem.
Nur 15 bis 20 Prozent nehmen am Schulessen teil. 90 Prozent der Schulen erfüllen nicht die
Anforderungen für ein ausgewogenes Schulessen. Derzeit ist Schulverpflegung eher ein Experimentierfeld für Caterer, Elternvertreter und Fördervereine auf der Suche nach Konzepten, die Schüler von Mensaverweigerern zu Mensagängern machen wollen. Wir haben 16
Bundesländer und 16 Schulgesetze. Nur in vier Schulgesetzen steht, dass ein adäquates Mittagessen anzubieten ist. Die Aufgabe wird zumeist an die untere Ebene abgewälzt. Hier fehlen aber Kompetenz und Zeit. Die Billigvariante wird gewählt. Die Ausbildung der Lehrkräfte
ist nicht hinreichend, um die heutigen Fragen der Ernährungsbildung und Ernährungspraxis
zu realisieren. Selbst Lehrer lehnen die Schulspeisung ab und beschränken sich auf die Aufsicht.
In Schweden ist das umgekehrt: die unterste Ebene setzt um, es gibt ausgebildete Schulköche, einheitliche Konzepte und Küchen in fast allen Schulen. Es gibt eine verbindliche Qualifikation, eine gesetzliche Vorgabe und strenge Kontrollen. Ein anderes Beispiel ist die Stadt
Rom. Dort gibt es den Grundsatz strenger Kontrollen. Der Vertragspartner für Caterer ist
ausschließlich die Stadt Rom und nicht die Schule oder Kommune. Auch für die Eltern ist der
Vertragspartner die Stadt. Sie zahlen etwa 3,20 Euro für ein Schulessen. Der Caterer bekommt 5,60 bis sechs Euro. Die Differenz übernimmt die Stadt Rom. Zudem gibt es ein 100Punkte-System, an das sich die Caterer halten müssen. Werden die 100 Punkte nicht erreicht
schmälert das den Gewinn bei den Caterern. Auch Caterer aus Deutschland sind dort erfolgreich tätig. Der Erfolg ist also eine Frage der Organisation und Kontrolle. Zur Finanzierung der
Schulverpflegung in Deutschland muss der Bund einspringen. Dieser finanziert auch andere
Aufgaben. Ein Beispiel: Betreuungsgeld: 1,9 Milliarden Euro, Ehegattensplitting: 20 Milliarden Euro, steuerliche Absetzung spritfressender Dienstwagen: 5,5 Milliarden Euro pro Jahr.
Wir müssen darüber nachdenken, was uns wichtig ist.
14
Es bedarf gesetzlicher Regelungen für die Qualifikation, um Schulessen anbieten zu dürfen.
Bund und Länder spielen sich die Verantwortung zu. Auch im Bundestag gibt es ganze Fraktionen, die sich des Themas Schulverpflegung nicht annehmen. Ein Signal wäre die Absenkung
der Mehrwertsteuer. Zudem muss die Ernährungsbildung Gegenstand langfristiger Schulprogramme und der Pädagogenausbildung sein. Jede Schule soll einen Schulgarten haben, denn
Praxis geht vor Theorie. Wir brauchen eine verpflichtende Zertifizierungen für die Schulverpflegung. Entscheidend ist, dass man es will.
Schweden hat gesetzliche Regelungen, die von den Kommunen umgesetzt werden. Schüler
bekommen von der ersten bis zur sechsten Klasse ein kostenloses Mittagessen, das vom
Staat finanziert wird. Die Qualitätsstandards werden laufend verbessert. Dazu gibt es ein
webbasiertes Qualitätssystem. Zudem will man gewährleisten, dass alle Schulen eine Schulküche bekommen. Wenn eine Schule keine eigene Küche hat, wird sie von der nächstgelegenen Schule beliefert. Alle Produkte kommen aus der Region. Die Transportwege sind maximal sechs Kilometer. Das Essen darf nicht länger als zwei Stunden warmgehalten werden.
Das gibt es so in Deutschland nicht. Solange die Qualitätsstandards der DGE nur Empfehlungen sind, sind wir meilenweit von einer guten Schulverpflegung entfernt. Wir brauchen einen radikalen Wandel in der Schulverpflegung und keine Reparatur am alten System.
Anna Hakala
2. Botschaftssekretärin der Botschaft von Finnland
Finnische Schüler schneiden bei der Pisa-Studie in den Bereichen Lesen und Schreiben,
Rechnen und Naturwissenschaften weltweit am besten ab. Es gibt eine lange Tradition der
Schulverpflegung. Der Beschluss über eine unentgeltliche Schulverpflegung wurde schon
1943 gefasst. Seit 1948 müssen die Kommunen allen Schülern ein unentgeltliches Schulessen
bereitstellen. Gründe sind lange Schulwege. Zudem arbeiten 80 Prozent der berufstätigen
Frauen ganztägig. In Finnland besteht eine Tradition, das Mittagessen außerhaus einzunehmen. Auch weiß man, dass sich die Ernährung auf die Lernfähigkeit auswirkt. Ziel der Schulverpflegung ist es, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Schüler zu fördern und Energie
für die Schularbeit zu liefern.
Heute erhalten 900.000 Schüler und Studierende unentgeltliche Mahlzeiten. Dabei handelt
es sich in der Regel um finnische Grundnahrungsmittel. Das Essen besteht aus einem warmen Hauptgericht, Salat, Rohkost, Brot, Brotaufstrich und einem Getränk. Die Mahlzeit soll
etwa ein Drittel des täglichen Energiebedarfs decken. Mindestdauer der Pause ist 30 Minu-
15
ten. Alle ethnischen und religiösen Gesichtspunkte werden berücksichtigt. Schüler, die an
zusätzlichen Aktivitäten teilnehmen, bekommen eine Zwischenmahlzeit.
Die Schulverpflegung ist gesetzlich geregelt. Die Kommunen und Schulen sind für die Bereitstellung und Durchführung der Schulverpflegung zuständig. Sie entscheiden selbst über die
Auswahl, befolgen aber die Empfehlungen des staatlichen Schulausschusses. Die Finanzierung erfolgt aus kommunalen Steuergeldern und einer staatlichen Beteiligung aus dem Budget des Finanzministeriums. Über die Verwendung des staatlichen Anteils bestimmen die
Kommunen selbständig. Der Kostenanteil der Schulverpflegung an den Gesamtkosten des
Grundunterrichts beträgt sechs Prozent. Das entsprich 488 Euro pro Schüler im Jahr. Eine
Mahlzeit kostet im Schnitt 2,58 Euro einschließlich Arbeitskosten.
Die Schüler werden regelmäßig zum Schulessen befragt und an der Planung beteiligt. Alle
politischen Parteien halten die Schulverpflegung für wichtig. Die kostenfreie Schulverpflegung wurde bisher nur einmal infrage gestellt. Sie ist eine Investition in die Zukunft, die langfristig zu Ersparnissen in der Bildungs- und Gesundheitspolitik führt.
Dr. Johanna Wolff
Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV), Speyer
Zu prüfen ist die Frage, ob eine Finanzierung der Schulverpflegung durch den Bund mit einer
Mehrheit im Bundestag beschlossen werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die
gefundene Mehrheit auch den Anforderungen des Grundgesetzes genügen muss. Das Thema
ist in der juristischen wissenschaftlichen Fachwelt bisher unbeleuchtet geblieben. Man kann
aber von verwandten Fragen Rückschlüsse ziehen.
Nach dem Grundgesetz in seiner geltenden Fassung ist der Weg einer vollen und direkten
Finanzierung der Schulverpflegung durch den Bund verschlossen. Der Grund ist der Föderalismus. Er dient dem Schutz der Länder von der direkten Beeinflussung des Bundes. Wenn
man dem Bund die Möglichkeit gib mitzufinanzieren, räumt man ihm auch die Möglichkeit
ein mitzubestimmen. Nach dem Grundgesetz soll sich der Bund also möglichst zurückhalten,
um die Länder nicht zu beeinflussen. Das ergibt sich aus Artikel 104a des Grundgesetzes. Der
Bund darf danach Aufgaben in den Ländern in zwei Fällen finanzieren, nämlich wenn es sich
um seine eigenen Ausgaben handelt oder wenn das Grundgesetz eine Ausnahme an anderer
Stelle zulässt. Entscheidend ist also die Frage, ob die Finanzierung der Schulverpflegung eine
Bundesaufgabe ist oder ob es dazu eine Spezialregelung im Grundgesetz gibt. Das ist beides
nicht der Fall, denn grundsätzlich sind die Länder für die Erfüllung der Staatsaufgaben zuständig.
16
Die Schulverpflegung kann verschiedenen Bereichen zugeordnet werden. So kann es sich um
eine Bildungs- oder eine Gesundheitsaufgabe handeln. Beide Bereiche, und insbesondere die
Bildung, liegen im Schwerpunkt in der Zuständigkeit der Länder. Die im Grundgesetz vorgesehenen Kooperationen zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich sind sehr restriktiv
ausgestaltet, weshalb man hier im Allgemeinen von einem Kooperationsverbot spricht. Die
Zusammenarbeit beschränkt sich auf die Bereiche Wissenschaft und Forschung, also auf die
Bildung, die nach der Schule kommt. Im Bereich der Kitas und Schulen gibt es keine Kooperationen. Eine Finanzierung der Schulverpflegung durch den Bund ist über diesen Weg auch
nicht gegeben.
Eine weitere Möglichkeit wären Finanzhilfen des Bundes an die Länder. Auch dazu gibt es
Spezialregelungen im Grundgesetz. Es kann also sein, dass der Bund helfen darf wenn ein
Land mit seiner Aufgabenerfüllung überfordert ist. Das ist z.B. durch Artikel 104b für bedeutsame Investitionen möglich. Eine tägliche Leistung, wie die Schulverpflegung, umfasst das
aber nicht, da es sich nicht um eine Investition handelt. Allerdings könnte die Einrichtung
einer Mensa als bedeutsame Investition angesehen werden. Die Voraussetzung für Finanzhilfen des Bundes ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes in dem entsprechenden Bereich.
Natürlich bleibt eine Änderung des Grundgesetzes möglich. Dazu ist eine Zustimmung von
zwei Dritteln des Bundestags und des Bundesrats erforderlich. In anderen Zusammenhängen
wird über die Finanzierung der Bildung und über mehr Einfluss des Bundes diskutiert. Dazu
wird vorgeschlagen, eine „Gemeinschaftsaufgabe Bildung“ einzuführen. Als andere Möglichkeit gibt es den Vorschlag, „Bildungsvereinbarungen“ zwischen Bund und Ländern zu schließen. Das Problem bei solchen Vereinbarungen ist, dass alle Länder und der Bund einer Meinung sein müssen. Einzelne Länder hätten also eine Vetoposition. Ansonsten wird vorgeschlagen, Sondervermögen oder Stiftungen für Bildungsaufgaben zu gründen. Aber auch
damit darf man den grundgesetzlichen Föderalismus nicht aus den Angeln heben bzw. umgehen. Eine Grundgesetzänderung würde immer ein Schwächung der Länderposition zu
Gunsten des Bundes bedeuten. Andererseits ist eine finanzielle Besserstellung der Länder
und Kommunen wenig realistisch. Zudem ist die Frage, ob eine globale finanzielle Stärkung
der Länder zu einer besseren Schulverpflegung führt.
Es gibt aber noch andere Möglichkeiten der Beteiligung durch den Bund. Zum einen könnte
der Bund die Schulverpflegung indirekt durch Zahlungen an Eltern oder Schüler fördern. Die
indirekte Bildungsleistung ist vom BAföG als direkte Zahlung an Studenten bekannt. Somit
kauft sich der Bund keine Mitspracherechte bei den Ländern. Allerdings ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bei der Ausbildungsförderung im Bund vorgesehen. Beim
Schulessen ist das erst einmal nicht der Fall. Allerdings hat der Bund die Kompetenz für die
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öffentliche Fürsorge. Hier sagt das Bundesverfassungsgericht, dass der Begriff relativ weitgehend zu verstehen ist. Ob das Schulessen darunter fällt, ist bisher nicht untersucht. Eine
Versorgung der gesamten Schülerschaft, egal ob arm oder reich, wird man darunter kaum
fassen können. Denn derjenige, dem eine öffentliche Fürsorge zuteil kommt, ist generell
hilfsbedürftig. Geld bekommt also nur, wer es auch braucht. Bei der Kompetenz für die Sozialversicherung ist das ebenso zu sehen. Eine indirekte Leistung im Rahmen der Schulverpflegung ist also nur an finanzschwache Haushalte möglich.
Zum anderen kann man über die Gesetzgebungskompetenz in der Steuergesetzgebung
nachdenken. Denn Schulverpflegung ist oft mit hohen Steuersätzen belastet. Im Steuerrecht
sind Umsatzsteuerbefreiung und -ermäßigung möglich. Allerdings nur, wenn der Anbieter
des Essens gemeinnützig ist. Eine Befreiung ist nur möglich, wenn er Mitglied im Wohlfahrtsverband ist. Im klassischen Fall der Belieferung durch einen Caterer ist die volle Umsatzsteuer fällig. Die Ausnahme ist, wenn der Caterer keine Dienstleistungen erbringt und nur das
Essen abliefert. Man könnte diese Situation gesetzlich ändern, was verfassungsrechtlich auch
unbedenklich ist.
Allerdings könnte es in Konflikt mit dem höherrangigen Europarecht stehen, hier gilt die
Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. Das Bundesfinanzministerium sieht
aufgrund der EU-Richtlinie keine Möglichkeit, das Schulessen von der Mehrwertsteuer zu
befreien. Demnach sieht sich die Bundesregierung sogar verpflichtet, 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Schulessen zu erheben. Allerdings sieht die Mehrwertsteuerrichtlinie auch Ausnahmen vor. Artikel 132 der Richtlinie sieht vor, Schul- und Hochschulunterricht und damit
eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen
des öffentlichen Rechts von der Steuer zu befreien. Daneben dürfen auch andere Einrichtung
mit vergleichbarer anerkannter Zielsetzung befreit werden. Es spricht zunächst nichts dagegen, dass auch Caterer für die Schulverpflegung darunter fallen. Der Bundesfinanzhof dazu
festgestellt, dass Einrichtungen auch solche mit Gewinnerzielungsabsicht sein können. Auch
bei der Anerkennung hat er gesagt, dass diese nicht zwingend rechtlich geregelt sein muss.
Das heißt, ein Gesetz über die Schulverpflegung könnte auch eine Anerkennung im Sinne der
Richtlinie sein. es bestehen also im Gegensatz zur Auffassung der Bundesregierung durchaus
Spielräume zur Änderung des Steuerrechts.
Diskussion
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte: Im Föderalismus ist Deutschland eine Bedrohung für sich selbst. Eine Lösung für die Schulverpflegung wird blockiert. Die Kultusministerkonferenz ist untätig.
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Dr. Rühmkorf: Die Schulverpflegung gehört zur Bildung dazu. Zur Durchsetzung muss politischer Druck aufgebaut werden. Die Absenkung der Mehrwertsteuer wäre zur Unterstützung
einer besseren Schulverpflegung ein erster Schritt.
Dr. Polster: In der Praxis ist es so, dass Caterer das essen liefern. Die Schulen können einen
Mensaverein gründen. Das Essen wird dann für 19 Prozent Mehrwertsteuer geliefert und der
mensaverein gibt das Essen für sieben Prozent aus. derzeit gibt es Überlegungen im Finanzausschuss des Bundestags, Unternehmen im Bildungsbereich von der Umsatzsteuer zu befreien. Das könnte auch für Caterer gelten. Warum zahlen Hoteliers nur sieben Prozent und
Schulessen kostet 19 Prozent?
Dr. Wolff: In der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie ist der ermäßigte Satz für Hotels explizit erwähnt, ist also europarechtlich zulässig.
Bürgermeister aus Brandenburg: Die Mehrwertsteuer ist nicht das Hauptkampffeld. Bei einer kostenfreien Versorgung fällt das Problem mit der Mehrwertsteuer weg. Die Diskussion
um die Schulverpflegung muss auch in den Landesparlamenten geführt werden. Es wäre
wünschenswert gewesen, wenn ein hochrangiger Bildungspolitiker der Linkspartei anwesend
gewesen wäre. In Brandenburg stehen im Durchschnitt zwei Euro pro Essen zur Verfügung.
da muss man sich nicht wundern, was dabei herauskommt. In der Gemeinde wird für jede
Einrichtung ein eigener Konzessionsvertrag für Caterer ausgeschrieben. Darin kann vieles
geregelt werden. Am Ende entscheiden die Eltern über die Angebote. Sie suchen sich nicht
das billigest Angebot heraus. Allerdings gibt es nur vier Anbieter. Bei den Eltern treffen nur
15 bis 20 Prozent bewusst eine Ernährungsentscheidung für ihre Kinder. Dies dominieren die
Entscheidung zur Caterer-Auswahl. Wie funktioniert die Finanzierung der Schulverpflegung
in Schweden und ist es richtig, dass diese Aufgaben in Schweden und Finnland kommunalisiert sind? Wie können die Kommunen in Finnland über die Zuschüsse der Zentralregierung
entscheiden? Warum wurde bezüglich der Schulverpflegung das Feld der Jugendhilfe nicht
geprüft?
Hakala: Die Kommunen bekommen eine staatliche Förderung für die Bildung. Sie können
selbst wählen, wie viel sie für die Schulverpflegung einsetzen.
Dr. Polster: In Schweden bekommt der Schuldirektor ein Jahresbutget, das sich nach der
Anzahl der Schüler richtet. Ein fester Anteil ist für die Verpflegung vorgesehen.
Dr. Wolff: Die Beteiligten scheinen die Schulverpflegung nicht als Jugendhilfe zu sehen, sondern ordnen es der Bildung zu. Rechtlich ist das Thema dort auch besser zugeordnet, da es
eng mit den Schulen verknüpft ist.
19
Für eine Gemeinschaftsaufgabe Schulverpflegung in seiner kleinteiligen Definition ist das
Grundgesetz nicht gedacht. Grundsätzlich ist das aber möglich.
DIE LINKE im Thüringer Landtag: Es ist lobenswert das Thema auf die Bundesebene zu heben. Wegen gemeinsamer Bildungs- und Lebensstandards gehört das Thema auf die Bundesebene. es ist wichtig, auf allen Ebenen Initiativen auf den Weg zu bringen.
Dr. Rühmkorf: Brandenburg bräuchte 100 bis 150 Millionen Euro für eine flächendeckende
Schulverpflegung. Angesichts des jährlich zurückgehenden Etats des Landes, der heute bei
etwa zehn Milliarden Euro liegt und der aufgrund der Schuldenbremse auf acht Milliarden
Euro reduziert werden muss, ist die Summe schwerlich aufzubringen. Die Kommunen und
Kreise stehen vor einer ähnlichen Aufgabe.
Dr. Polster: Es gibt eine ganze reihe von Initiativen in den Ländern. Im Saarland werden ab
2013 die DGE-Qualitätsstandards für die Schulverpflegung Gesetz. Die Thüringische Ministerpräsidentin fordert dazu eine Bundesratsinitiative. Das Erlassen der Mehrwertsteuer wäre
eine weitere Hilfe. Wenn wir die DGE-Standards gesetzlich verankern, werden wir auch Qualität bekommen. Wir müssen professionelles Handeln fördern.
Kalkoffen: Die Maßnahme zur Verankerung der DGE-Standards im Landesgesetz ist eine gute
Idee, aber niemand hat darüber nachgedacht, wie das dann finanziert werden soll. Denn die
Finanzierung der Verpflegung bleibt auch im Saarland nach wie vor beim Schulträger, sprich
bei den Kommunen. Diese bekommen aber keinen Cent mehr. Derzeit ist der DGE-Standard
an vielen Schulen nicht zu erreichen.
Dritter Teil: Erste Schritte zu einer kostenfreien und hochwertigen Schulverpflegung
Melanie Nitschke
Vernetzungsstelle KiTa- und Schulverpflegung Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt ist die Schulverpflegung im Schulgesetz verankert. Danach hat der Schulträger im Einvernehmen mit Elternrat und Schülerrat schultäglich eine warme Vollwertmahlzeit zu einem sozial angemessenen Preis bereitzustellen. Sachsen-Anhalt profitiert von der
gewachsenen Struktur der DDR-Zeit. An 98 Prozent der Schulen gibt es ein Verpflegungsangebot. Ein Manko ist die Qualität der Verpflegung. Zu 90 Prozent wird Warmverpflegung
ausgereicht. Fünf Prozent des Angebots ist eine Mischküche, zwei bzw. drei Prozent sind
Cook & chill und Cook & freeze. Sachsen-Anhalt ist ein Flächenland, in dem die Transportwege sehr lang sind. Das sorgt für qualitative Einbußen.
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Dem Bemühen der Vernetzungsstelle und der Akteuren um eine qualitative Verbesserung
des Essens sind durch die Preissituation Grenzen gesetzt. An 81 Prozent der Schulen beträgt
die Preisspanne zwischen 5,51 und 1,86 Euro. Damit hat Sachsen-Anhalt im Bundesvergleich
das zweitniedrigste Niveau. Das ermöglicht den Caterern keine großen Sprünge. Häufig sehen sich auch die Schulträger nicht in der Verantwortung oder finanziell in der Lage, die erforderliche Ausstattung zu bieten. Viele Caterer sind von den ausschreibenden Behörden
beauftragt, die Schulküchen auszustatten.
Dennoch sind die DGE-Qualitätsstandards eine Orientierungshilfe. Es wäre gut, wenn sie
verbindlich werden. Für die Umsetzung müssen aber die erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Damit kommt man an der Preisdiskussion nicht vorbei. Die Schulen
müssen entsprechend ausgestattet werden. Es muss ein für Schüler attraktives Ambiente
geschaffen werden, damit sie gern zur Mittagsverpflegung gehen. Die Länderministerien
müssen darüber ins Gespräch kommen, dass Bildung und Essen eng miteinander verknüpft
sind und dass Esskultur ein Teil der Schulkultur werden sollte. Derzeit gibt es eine strenge
Trennung zwischen Bildung und Schulverpflegung. Bund, Länder und Kommunen sollen gesetzlich festlegen, wer für die Schulverpflegung verantwortlich ist. Lokale Strukturen und
Arbeitskreise um die Schulen herum müssen besser gefördert werden. Auch bei den Eltern
müssen wir das Bewusstsein schaffen, dass gesunde Ernährung etwas wert ist und dass man
Qualität nicht zum Nulltarif bekommt. Neben der kostenfreien Schulverpflegung sollte auch
eine Zuschuss-Variante für finanziell benachteiligte Familien diskutiert werden. Die jetzigen
Maßnahmen reichen nicht aus. Nur für jedes fünfte berechtigte Kind wurden Leistungen aus
dem Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung beantragt. Anscheinend sind hier die
Hürden relativ hoch.
Schering: Sind die DGE-Qualitätsstandards für unter zwei Euro nicht zu haben oder sind die
Standards möglicherweise zu hoch angesetzt? Ist es richtig, dass im Schulgesetz keine Hinweise zu Qualitätsstandards gemacht werden?
Nitschke: Qualitätsstandards sind im Landesschulgesetz nicht verankert. Es gibt den Begriff
„vollwertige Verpflegung“. Zunächst ist es ein wichtiger Schritt gewesen, Qualität zu definieren. Die Partner aus der Praxis bescheinigen, dass es wichtig ist eine Orientierung zu haben.
Um zu beschreiben, was eine ausgewogene Ernährung ist, braucht es Vorgaben. Die DGEQualitätsstandards haben aber ihre Grenzen unter dem Kostenaspekt. Zusammen mit Schulen und Caterern gibt es derzeit wenig Gestaltungsspielraum. So wird versucht, Fertigbestandteile durch frische Produkte auszutauschen. Zu den DGE-Qualitätsstandards gehören
auch die Rahmenbedingungen der Verpflegung. So muss das ganze Lehrerkollegium dahinterstehen, eine Mittagspause von 60 Minuten umzusetzen. Verzögerungen im Unterricht
und Abfahrtzeiten von Bussen sind abzustimmen. Dafür braucht es einen langen Atem.
21
Niklas Schüßler, Lena Ghebreselasie, Roya Haupt
Schülerinnen und Schüler der Offenen Schule Waldau
Ein großes Problem bleibt trotz 60 Minuten Mittagspause die lange Wartezeit, bis man an
sein Essen kommt. Auch trotz eines Mensaanbaus bleibt die gleichzeitige Versorgung von
über 800 Schülern eine Herausforderung. Es ist auch eine Herausforderung für Schulen, ein
ausreichend großes Angebot an Speisen möglich zumachen, denn es gibt viele Wünsche und
krankheitsbedingte und religiöse Anforderungen. Das muss auch finanziert werden. An der
OSW ist das gut gelungen.
Martin Kalkoffen
Stadtratsfraktion DIE LINKE. Saarbrücken
Der Saarbrücker Stadtrat hatte etwa 2006 beschlossen, an den Grundschulen ein kostenfreies Mittagessen anzubieten. Noch im gleichen Jahr wurde der Beschluss widerrufen, weil kein
Geld dafür aufgebracht wurde. DIE LINKE ist 2009 in den Stadtrat in Saarbrücken eingezogen
und fordert seither eine kostenfreie Schulverpflegung für alle Grundschulen mit Ganztagsangebot. Im Saarland gibt es meist ungebundene Ganztagsschulen mit Betreuung durch verschiedene freie Träger. Entsprechend breit ist das Angebot für die Mittagsverpflegung. Die
Kosten schwanken zwischen 1,70 und 3,50 Euro. In Saarbrücken werden die Schulen durch
kleine regionale Anbieter und zum Teil über Wohlfahrtsverbände versorgt. Ein Problem: die
Arbeiterwohlfahrt lieferte an die Kinder das gleiche Essen, wie es an Seniorenheime ging,
was für die Schüler ungeeignet war.
Saarbrücken hat ein Modellversuch zur kostenfreien Verpflegung an zwei Schulen begonnen,
an dem mittlerweile fünf Schulen teilnehmen. Damit wird etwa ein Viertel der Kinder in
Ganztagsschulen versorgt. Das Essen für die Kinder wird unabhängig vom Einkommen der
Eltern voll finanziert. Das Jahresbudget beträgt etwa 250.000 Euro und ist bis 2014 gesichert.
Mit dem Jobcenter der Stadt wurde ein Übereinkommen getroffen, Überschüsse aus dem
Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung in die Schulverpflegung zu stecken. Dazu
müssen die Kinder formal aus dem kostenlosen Mittagessen ausgeschlossen werden. So
kann das Jobcenter die Finanzierung übernehmen. Das geschieht ohne formale Antragstellung. Das Geld fließt an die Stadt als Teilfinanzierung. Vor Beginn des Modellprojektes lag die
Teilnahmequote der Kinder am Mittagessen bei 40 Prozent. Mittlerweile essen alle Kinder
mit.
22
Diskussion
Gemeinschaftsschule Fritz Karsen, Berlin: Die Fritz-Karsen-Schule bildet eine positive Ausnahme. Der Vollwert-Caterer „eßkultur“ kocht in der Schule. Dadurch besteht eine gute Essensversorgung. In der Grundstufe gibt es ein Essen, ab der siebten Klasse zwei Essen. Die
Kinder sitzen gemeinsam mit den Lehrkräften am Tisch. Es wird in Schüsseln serviert, damit
die Kinder auswählen können. Die Schüler zahlen 23 Euro im Monat. der Caterer bekommt
vom Bezirk 2,40 Euro pro Essen als Zuschuss. Die Auswahl des Caterers wurde von Eltern
bekämpft, weil nicht Schweinefleisch und Pommes im Mittelpunkt des Angebots stehen.
Heute haben sich alle beteiligten an das Essen „gewöhnt“ und es kommt gut an. Auch die
Pädagogen haben dazugelernt. In einem Essen-Ausschuss beraten Eltern, Schüler und Lehrer
über die Zusammenstellung des Speiseplans.
Im Schulprogramm steht, dass Essen verpflichtend ist. Das wird teilweise skeptisch gesehen.
Essen ist ein Grundrecht, darf aber auch kein Zwang sein. Essen soll mit Lust, Freude und
Genuss stattfinden und das geht auch mit gesunder, vollwertiger Ernährung.
OWS: An der OWS müssen sich die Schüler verpflichtend zum Essen anmelden. Die Schüler
sind nicht gezwungen zu essen. Das kann jeder selbst entscheiden. Es muss lediglich gewährleistet sein, dass der volle Betrag gezahlt wird, um die Verpflegung zu finanzieren. Das gewährleistet auch, dass die Versorgung unabhängig von der sozialen Situation gesichert ist
und alle Schüler teilnehmen können.
Verbraucherministerium Brandenburg: Im Rahmen von IN FORM sind die DGE-Standards
entwickelt worden und die Vernetzungsstellen Schulverpflegung entstanden. Eine Finanzierung für weitere drei Jahre durch den Bund zeichnet sich ab, steht danach aber in Frage. Die
Länder müssten die Finanzierung allein übernehmen. Es ist aber wichtig, dass die aufgebauten Strukturen in den Vernetzungsstellen bestehen bleiben, damit auch weiterhin jemand
bei den Schülern und Schulleitern für eine gute Schulverpflegung eintritt. Das ist Grundvoraussetzung für die Verbesserung der Situation. Das Wegbrechen der Vernetzungsstellen
wäre ein Rückschlag für die Weiterentwicklung einer guten Schulverpflegung.
Karin Binder (MdB): Ein Wegbrechen der Vernetzungsstellen wäre ein Problem, weil die
Schulträger die Schulverpflegung dann allein organisieren und gewährleisten müssten. Die
Schulen sind ohnehin ausgelastet. Einrichtungen wie die Vernetzungsstellen sind in der Lage
Beratungen für Organisation und Management von Verpflegung und Qualifikation durchzuführen. Dafür sind die Vernetzungsstellen bisher noch zu wenig ausgestattet. Gleichzeitig
brauchen die Lehrer mehr Wissen zum Thema Ernährung und Verpflegung, damit es im Unterricht mitgedacht wird.
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Nitschke: Hervorzuheben ist, dass die Struktur der Vernetzungsstellen wirtschaftsunabhängig ist. Die Beratung ist neutral und unabhängig. Bei privaten Dienstleistern auf dem Markt
sind viele Schulen verunsichert. Die Beratungsanfragen nehmen stetig zu. Wichtig ist, dass
neben dem Bund auch die Länder die Vernetzungsstellen weiter mitfinanzieren.
Lehrerin aus Jena: Die Schule hat eine Mittagsstunde im Stundenplan eingeplant. Die Schulleitung setzt sich für gesunde Ernährung ein. Leider kann die Selbstkochküche nicht finanziert werden. Benötigt werden 80.000 Euro.
Vernetzungsstelle Berlin: Die Vernetzungsstellen in den 16 Bundesländern sind unterschiedlich angebunden: an Landesministerien, Landesarbeitsgemeinschaften Gesundheit, DGESektionen oder Verbraucherzentralen. Sie sind auch nicht Teil des DNSV. Hier gibt es durchaus Differenzen.
Man merkt einen deutlichen Unterschied bei der Gestaltung der Mittagspause und des Mittagsessens zwischen Schulen mit echtem Ganztagsbetrieb (acht bis 16 Uhr) und Halbtagsschulen mit Nachmittagsbetreuung. Gebundene Ganztagsschulen gestalten die Mittagspause
als Mitte des Tages als integralen Bestandteil des Konzeptes. Bei den offenen Ganztagsschulen ist es oftmals so, dass die Verantwortung für die Mittagsverpflegung zwischen Schulleitung und Hortleitung hin und her geschoben wird. Sie ist nicht Teil von Schulentwicklung und
wird nicht als Bestandteil des schulischen Angebots betrachtet.
Verpflichtende Essensteilnahme ist sinnvoll. Wer acht Stunden arbeitet, braucht ein entsprechendes Mittagessen. Für Berlin bedeutet das, dass der Unsinn aufhören muss, Eltern privatrechtliche Verträge mit Caterern schließen zu lassen. Das ist eine Sache, die zwischen den
Eltern und dem Schulträger zu klären ist. Der Schulträger schließt Verträge mit dem Caterer.
Die Zahlen für die Inanspruchnahme des Bildungs- und Teilhabepaketes sind deutlich geringer, als man es erwarten müsste. Welchen verwaltungstechnischen Aufwand macht die Umsetzung des Pakets für das Mittagessen (es sind zusätzliche Stellen für die Abrechnung geschaffen worden, es fallen auch bei Caterern zusätzliche Kosten an) aus, und könnte man
damit die bestehenden Defizite bei der Verpflegung aufheben? Wir brauchen mehr Geld, um
ein besseres Schulessen auf den Tisch zu bekommen.
DIE LINKE im Thüringer Landtag: Das allgemeine Problembewusstsein für Ernährungsfragen
ist relativ gering. In Deutschland werden nur zehn Prozent des verfügbaren Einkommens für
Lebensmittel ausgegeben in anderen Ländern sind es 30 Prozent. Das heißt, die meisten Leute wollen vor allem billig essen. Die Wertschätzung von Essen muss auch in die Hochschulausbildung und in die Lehrpläne aufgenommen werden. Das Thema sollte als Bildungsauftrag in den Ländern verankert werden.
24
Kalkoffen: Es gibt überhaupt keine Infrastruktur für Küchen und Verpflegung. Ohnehin wurden viele Schulen zusammengelegt und kleinere Schulen geschlossen. Die Zustände sind katastrophal. In der Praxis wird improvisiert, Kinder essen im Keller. Es müsste massiv investiert werden, damit wir kindergerechte Schulen bekommen.
Koletzko: Lebensgewohnheiten und speziell Essverhalten kann relativ wenig durch kognitives Wissen geprägt werden. Unser Verhalten wird durch erlernte Gewohnheiten und durch
Kopieren von Modellverhalten geprägt. Wenn in der Schule nur Wasser angeboten wird, hat
sich ein Verhalten eingeübt, wird zum normalen Verhalten. Was wir regelmäßig essen, das
schmeckt uns. Es gehört in die Schulbauverordnung, dass ein Wasserspender aufgestellt
wird. Zuckerhaltige Getränke gehören nicht in die Schule. Die DGE-Standards sind auch nicht
zu hoch. Das Schulobstprogramm zeigt: wo Obst frei angeboten wird, steigt der Verzehr
deutlich an, besonders wenn die Kinder es selbst mit zubereiten. Wenn sie das jeden Tag in
der Kita machen, essen sie auch zuhause mehr Obst und Gemüse.
Nitschke: Die Vernetzungsstelle in Sachsen-Anhalt hat das Schulobstprogramm im Auftrag
des Landes evaluiert. In einer Vor- und Nachbefragung wurden Schüler, Eltern und Schulen
befragt. Dabei sind folgende Ergebnisse zustande gekommen: Die Schüler essen mehr Obst
und Gemüse. Das Mitgabeverhalten der Eltern hat sich dagegen verändert. Sie haben weniger Obst und Gemüse mitgegeben, weil die Versorgung über das Schulobstprogramm gesichert war. Die Schüler hatten eine deutlich höhere Affinität zu Obst und Gemüse. Zuhause
wurde kaum mehr Ost und Gemüse gegessen (plus zwei Prozent). Die Schüler haben das
Schulobstprogramm vermisst, als es nicht mehr weitergeführt wurde.
Seit sechs Jahren begleitet die Vernetzungsstelle die Errichtung von Trinkbrunnen zur kostenfreien Abgabe von Wasser. Das Modellprojekt wurde auf 60 Schulen in Sachen-Anhalt
ausgeweitet. Die Vernetzungsstelle hat dazu auch eine Handlungsempfehlung formuliert. Die
Kosten für einen Trinkbrunnen belaufen sich alles in allem auf rund 2 000 Euro.
Leider ist die Wertschätzung der Ernährung in unserer Gesellschaft nicht so hoch wie es zu
wünschen wäre. Das belegt die Discounterlandschaft in Deutschland. Um ein Umdenken
anzustoßen, wäre es zu begrüßen sich auf die Schulen zu konzentrieren. Die Schüler verbringen einen Großteil des Tages in der Schule. Hier ist ein Raum, in dem Verpflegung selbstverständlich sein sollte, auch für ein konzentriertes Arbeiten und für Leistungsfähigkeit. Wir
müssen uns auf allen Ebenen für eine bessere Schulverpflegung einsetzen.
Schering: Interessant an der Untersuchung zum Schulobstprogramm in Sachsen-Anhalt war,
dass bei Gemüse die höhere Akzeptanz nur bei Mädchen gestiegen und bei Jungen rückläufig
ist. Das bevorzugte Obst ist mit Abstand der Apfel, das bevorzugte Gemüse ist die Karotte.
Das zeigt, dass eine heimische und regionale Versorgung machbar ist. Eine Auswertung zum
25
Schulobstprogramm in Nordrhein-Westfalen hat gezeigt, dass die kostenfreie Abgabe von
Lebensmitteln nicht zu einer geringeren Wertschätzung der Lebensmittel führt.
OSW: Eine gute und kostenfreie Verpflegung ist schon im Kindergarten wichtig, denn das
Essverhalten wird früh geprägt.
Prof. Koletzko: In Schweden gibt es die kostenlose Verpflegung von Beginn an. Das gilt von
der Kita bis zum Abitur für alle Kinder und Jugendlichen in allen Bildungseinrichtungen.
Karin Binder (MdB): An folgende Punkte kann die Fraktion DIE LINKE anknüpfen:

Wir müssen am Thema Mehrwertsteuer arbeiten.

Wir müssen auch die Kindertagesstätten besser einbeziehen, denn je früher wir anfangen desto eher werden Verhaltensweisen auch für den Schulalltag geprägt.

Die Qualitätsstandards müssen besser verankert werden. Hier muss es bundesweit
verbindlichere Regelungen geben.

Die unterschiedlichen Lebensstandards in Deutschland stellen eine Hürde dar. Hier
muss es zu einer Angleichung kommen.

Wir müssen die Vernetzungsstellen stärken, auch weil das Thema Schulverpflegung in
allen 16 Bundesländern eine wichtige Rolle spielen muss.

Bund und Länder können besser zusammenarbeiten. Hierzu kann auch DIE LINKE im
Bundestag mit den Fraktionen in den Landtagen das Thema befördern.

Offene juristische Fragen müssen beantwortet werden.
Herzlichen Dank für die rege Beteiligung. Wir bewegen das Thema weiter.
Für das Protokoll:
Björn Schering
Büro Karin Binder (MdB)
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Telefon: 030-22770599
[email protected]
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