Grabreden und keine Leiche: Über Interessen der Sekundärliteratur am sogenannten "Satz vom Ende der Kunst" in Hegels Vorlesungen über die Ästhetik Thomas Steinfeld German Studies Review, Vol. 10, No. 2. (May, 1987), pp. 299-319. Stable URL: http://links.jstor.org/sici?sici=0149-7952%28198705%2910%3A2%3C299%3AGUKLUI%3E2.0.CO%3B2-4 German Studies Review is currently published by German Studies Association. Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of JSTOR's Terms and Conditions of Use, available at http://www.jstor.org/about/terms.html. JSTOR's Terms and Conditions of Use provides, in part, that unless you have obtained prior permission, you may not download an entire issue of a journal or multiple copies of articles, and you may use content in the JSTOR archive only for your personal, non-commercial use. Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained at http://www.jstor.org/journals/gsa.html. 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Trotzdem gehört jener "Satz vom Ende der Kunst", den Hegel in mehr oder minder deutlicher Form verfaßt haben soll, zu den bekanntesten Thesen, die der "Ästhetik" zugeschrieben werden. J a mehr noch: Szondi bemerkt in seiner nach wie vor aktuellen Einführung in Hegels "Ästhetik", daß ein solcher Satz zu den "umstrittensten Gedankenu1dieser Vorlesungen gehört, und erwähnt im gleichen Zusammenhang, daß von einem allgemeinen "Ende der Kunst" in der "Ästhetik" gar keine Rede sein darf. Man fragt sich, was also diesen Satz, den es wenigstens in Rigorosität als "Satz vom Ende der Kunst" gar nicht geben soll, so interessant werden läßt. Hegel und das "Ende" Zur Rekapitulation die Textgrundlage: auf der Basis einer Trennung des ästhetischen Ausdrucks in die Seite der Form, der 1. Peter Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie I, Studienausgabe der Vorlesung Bd. 2, Hegels Lehre von der Dichtung (Frankfurt a m Main: Suhrkamp, 1974), P. 290. 300 GERMAN STUDIES REVIEW Materie, und in die Seite des Inhalts, des "Geistes", konstruiert Hegel die historische Folge der "symbolischen", der "klassischen" und der "romantischen" Kunstform als die Teleologie einer Bewegung von der Dominanz des Sinnlich-Materiellen zu dessen allumgreifender Beherrschung durch den Geist. Eben weil dies eine idealistische Konstruktion ist, eben weil es sich dabei u m eine Teleologie handelt, existiert eine im folgenden zu bestimmende Form eines Summenbegriffs. Darin kulminiert eben noch jede Teleologie. Der Summenbegriff wird gesetzt durch die volle Entfaltung des romantischen Prinzips oder den Ubergang in explizite Theorie.2 Die historische Folge der Kunstformen erweist sich für Hegel in der Theorie der Kunst, d.h. im "notwendigen" tfbergang in den Begriff der Kunst, in Philosophie, als abgeschlossen. Ein "Ende" scheint Hegel zufolge n u r insofern stattfinden zu müssen, als e r vom Standpunkt der idealistischen Philosophie der Kunst attestiert, ihren Kriterien nicht länger gerecht werden zu können. Hegel drückt dies so aus: Der Fortgang und der Schluß der romantischen Kunst. . . ist die innere Auflösung des Kunststoffes selber, ein Freiwerden seiner Teile, mit welchem umgekehrt die subjektive Geschicklichkeit und die Kunst der Darstellung steigt und je loser das Substantielle w i r d , u m desto m e h r sich vervollkommnet.3 Diese im wesentlichen negative Bestimmung von "Fortgang" und "Schluß" hat zu i h r e m positiven Bezugspunkt das "Klassische", und das ist für Hegel das griechisch-antike Kunstideal. Nur dies scheint ihm in der angenommenen Gleichwertigkeit von Materie und Geist die prästabilierte Harmonie zu verwirklichen. Die harmonische Mitte einer Antinomie, die e r darin konstruiert - und die sich darin als unerreicht erweist, daß sie Ideal ist - wird bei Hegel zu dem Standpunkt, der deF Kunst eigentlich adäquat sein soll. So als sei klassische "Harmonie" das Kriterium der Kunst im eigentlichen Sinne. So als gebe es einen Mangel der Kunst, der darin besteht, nicht dem klassischen Harmoniegedanken verpflichtet zu sein. 2. Vgl. Thomas Steinfeld, Symbolik-Klassik-Romantik, Versuch einer Formanalyse der Hegelschen Ästhetik. (Königstein/Taunus: Athenäum-HainHanstein, 1984) vor allem S. 378-388. 3. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesung über die Ästhetik, Vol. 13, 14, und 15, Werke in zwanzig Bänden, Theorie Werkausgabe (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1970 f . ) XIV, S. 197. Thomas Steinfeld 301 Hegels Standpunkt ist hier leicht zu widerlegen: Denn der "Kunststoff selber" löst sich ihm entgegen nicht auf, wenn anderes zum Ausdruck gebracht wird als die prästabilierte Harmonie des Klassischen - und sei es die Dokumentation einer Subjektivität, die ihr absolutes Ungenügen an der Welt in romantischer Weise als die scheinbar bedingungslose Darstellung von Innerlichkeit zum Ausdruck bringt. Poetische Vorstellung und poetischer Ausdruck bilden eben auch jenseits des "klassischen" Ideals immer wieder neue Einheiten. Hegels Kritik an der "romantischen" Kunst besteht daher nicht zuletzt darin, nicht mehr Klassik zu sein und andere Inhalte in anderer Weise zu präsentieren. In bezug auf ein faktisches "Ende" der Kunst scheint damit Hegels Standpunkt bereits weitgehend erschöpft zu sein. Die Verwendung des Wortes "Schluß", das ja sowohl chronologisch als auch logisch gemeint sein kann, ist jedenfalls nicht hinreichend f ü r die Identifikation mit einem historischen Ende. Demgegenüber spricht Hegel vom "Fortgang", und für die "Auflösung des Kunststoffes" wird kein zeitlicher Rahmen angegeben. Im Gegenteil: im Aspekt der Technik scheint Hegel noch viel erreichbar zu sein. So ist es n u r konsequent, wenn e r wenig später meint: ". . . das weite Pantheon der Kunst . . . , dessen Bauherr und Werkmeister der sich selber erfassende Geist des Schönen ist, . . . (wird) aber die Weltgeschichte erst in ihrer Entwicklung der Jahrtausende vollenden. . .".4 Dieser Satz steht im Futur, und für diese Zukunft hat Hegel auch noch einige gute Wünsche: "Man kann wohl hoffen, daß die Kunst immer mehr steigen und sich vollenden werde, aber ihre Form hat aufgehört, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein".5 Natürlich läßt Hegel auch hier n u r die Kriterien der eigenen Philosophie gelten, und so wird ihm die Kunst sukzessive zur Marginalie der Geistesgeschichte. Und das heißt nicht zum "historisch überholten Modus", wie Bürger6 schreibt, sondern z u m zunehmend peripheren "Modus der Erfassung von Wahrheitw7,wie Bürger ebenfalls bemerkt. Auf die Erfassung von Wahrheit und die ihr angemessene Form kommt es hier tatsächlich an, indem Hegel von einer Defizienz der Kunst ausgeht, die tatsächlich immanente 4. Hegel, XIII, S.123. 5. Hegel, XIII, S. 142. 6. Peter Bürger, Zur Kritik d e r bürgerlichen Ästhetik (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1983), S.23. 7. Ibid. 302 GERMAN STUDIES REVIEW Beschränkung der Kunst ist: Denn Kunst erscheint ja kaum als Begriff eines Gegenstandes, eines Motivs oder eines Problems, sondern als dessen ästhetische Darstellung, als imaginierte praktische Verlaufsform. Sie erscheint also nicht im Medium des Gedankens, der reinen Theorie, sondern sinnlich-anschaulich. Darin hat die Kunst ihre Grenze, soll sie leisten, was der Philosophie zueignet. Diese immanente Beschränkung durch die Eigenart des Mediums stellt für Hegel den Mangel der Kunst dar, das "sinnliche Scheinen der Idee" zu sein und nicht sein Begriff in der Ästhetik bzw. die angemessene Darstellung der Idee in der Philosophie. Von daher kommt e r auf den "Schluß" der Kunst, indem e r nämlich in Perspektive auf den Impetus seiner Philosophie die "Idee" in reiner, d.h. in ihrer begrifflichen Form haben will. Der angebliche "Satz vom Ende der Kunst" repräsentiert daher viel eher die Grenze des Ästhetischen, die Hegel historisch zu fassen sucht, als eine "GrabredeV8 anläßlich ihres "Todes" (ibid). Damit ist die Textgrundlage des berühmt-berüchtigten "Satzes" a u c h s c h o n i m w e s e n t l i c h e n u m r i s s e n . Die Mannigfaltigkeit und Bedeutung, die die entsprechenden Aussagen der "Ästhetik" in all ihrer Begrenztheit gewinnen, ist angesichts dessen wahrhaft erstaunlich - kaum ein Kunsttheoretiker scheint es nicht zu seinem Repertoire an Referenzen zu zählen, kaum einer scheint es nicht irgendwann und irgendwie einmal erwähnt zu haben, wobei in der Vielzahl eine gewisse Tendenz zum Spekulieren nicht zu übersehen ist. Einer ubersicht über einige der prominenteren Interpretationen zum "Ende der Kunst" - zugegebenermaßen etwas zusammenhanglos, da die Interpretationen kaum auf einen, nicht einmal den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen sind - folgt meinerseits eine Spekulation über den Grund all dieser Spekulationen. Die Hypothek von Klassizisten Hegel wäre ein schlechter Vertreter einer Ästhetik, die an der griechisch-antiken Kunst zwar ihr Ideal, nicht aber ihren Zielpunkt hat, wenn stimmen würde, was Szondi gesagt haben soll: "Die Vorbildlichkeit der Griechen hat zur Folge, daß Hegel die Kunst von der Reflexion überflügelt siehtU.g 8. Ren6 Wellek, A History of Modern Criticism: 1750-1950, The Romantic Age (New Haven: Yale University Press, 1955), S. 321. 9. Szondi, S. 303. Thomas Steinfeld 303 Denn nicht die alten Griechen haben in Hegels "Ästhetik" die Verantwortung für die Existenz der Kunst an der Peripherie der "Bedürfnisse des Geistes" zu tragen, sondern die Teleologie der philosophischen Konstruktion: Der Philosoph setzt die Philosophie an den Schluß der Geschichte. Insofern kann Hegel schlecht durch Klassizismus entschuldigt werden - dieser ist ihm Mittel, nicht aber Zielpunkt seiner Theorie. Was nun aber bei Szondi lediglich ein Problem des Referats bzw. der Nachschrift sein mag, ist der positive Ausgangspunkt eines ganzen Gedankengangs bei Heller. Denn ihm steht in seinem Werk "Die Reise der Kunst ins Innere" Hegel als Zeuge dafür, die Ursache der "romantischen Malaise" - eine Formel, der gewiß im gesamten Werk Hegels nichts entspricht - im folgenden Verhältnis gefunden zu haben: ". . . der Geist, seiner Bestimmung gemäß, (geriet) in wachsenden Widerspruch mit der Welt: die Seele (löste sich) von den Umständen des Daseins. . . und die menschliche Innerlichkeit von den äußeren GegebenheitenW.lo Der Autor berührt mit dieser Aussage zwar einen der wesentlichen Gedanken der Hegelschen "Ästhetik", nimmt ihn jedoch einseitig auf. Denn in der Philosophie Hegels entwickeln sich die einander entgegengesetzten Prinzipien "Innen" und "Außen" zu einem in der subjektiven Versöhnung positiv und als Ausgleich bestimmten "Triumph über das Äußerev.1l Heller allerdings begreift jenen Gegensatz von Subjektivität und Objektivität lediglich als "wachsenden". Die Voraussetzung des Subjekts - oder besser: der Intelligenz - im Sinne einer Aufhebung dieses Gegensatzes tätig zu werden, erscheint bei Heller n u r von ihrer negativen Seite als das Prinzip einer Antinomie, deren Extrempunkte adversativ auseinanderlaufen. Mit dieser These geht für Hegels Begriff des "Romantischen" verloren, daß sich das in i h r gestaltete Verhältnis von "Äußerlichkeit" und "Innerlichkeit" als der Versuch einer Gleichung darstellt: eines Ausgleichs des Gegensatzes von Subjekt und Lebenssphäre nicht im Objektiven, aber im Subjektiven. Und wenn zuzugeben ist, daß sich eine solche Gleichung in der Romantik als Ungleichung herausstellt - da ihre objektive Grundlage im Subjektiven nicht auszugleichen ist - so nimmt doch die These einer bloßen - und auch noch "wachsenden' - 10. Erich Heller, "Die Reise der Kunst ins Innere," in Die Reise der Kunst ins Innere und andere Essays (Frankfurt am Main, 1968), S.125. 11. Hegel, XIII, S. 113. GERMAN STUDIES REVIEW 304 Ungleichung fort, daß ein solcher Versuch des Ausgleichs gewiß keinen Gegensatz zum Ziel hat. F ü r die These vom "wachsenden Widerspruch" versucht Heller, den "Satz vom Ende der Kunst" - und dieser wird von ihm ganz wörtlich gemeint - produktiv werden zu 1assen.Dementsprechend heißt es: Hegels Mytaphysik (verhängt) das Todesurteil sowohl über die klassische wie die romantische Kunst. Die klassische Kunst mußte untergehen, weil es bei dem einmalig-vollkommenen Einverständnis zwischen Geist und sinnlicher Wirklichkeit nicht bleiben konnte . . . , die romantische Kunst mußte vergehen, weil sie der wahren Idee der Kunst zuwiderlief.12 Gleich dreimal wird Hegel in dieser Passage falsch referiert. Denn zunächst enthält die "Ästhetik" kein "Todesurteil" über die Kunst - siehe oben. Sodann ist "Einmaligkeit" nicht der Grund (vgl. auch die oben zitierte Szondi-Passage), warum sich der "Ästhetik" zufolge die Klassik auflöst - das ist bei Hegel vor allem die historisch verlaufende Teleologie des "Geistes". Und schließlich "vergeht" die "romantische" Kunst nicht, weil sie der "wahren Idee der Kunst" zuwiderliefe - denn Philosophie ist auch bei Hegel etwas anderes als die "Idee der Kunst". Kern dieses sehr freien Referats scheint zu sein, die "wahre Idee der Kunst" mit dem "einmalig-vollkommenen Einverständnis" zu identifizieren. Heller nimmt für diesen Zweck Hegels Definition des Klassischen so positiv, daß e r gleich Hegel von einer Existenz solcher Harmonie als historisch gewesener ausgeht - so als hätte jenes "Einverständnis" je anders existiert denn als Vorstellung von Harmonie. So bezieht sich Heller auf Hegel zur Bestätigung des eigenen Klassizismus - und scheint den normativen Charaktei der "Ästhetik" übertreffen zu wollen, indem e r Hegels Kriterium für das "Klassische", die Harmonie der zur Antinomie gesetzten Momente Materie und Geist, zur "wahren Idee der Kunst" erhebt. Auf dieser Grundlage verfehlt auch Bürger das Ineinander von Klassizismus und Teleologie des "Geistes", wenn e r den "Schluß" der Kunst bei Hegel so zu zitieren sucht: ". . . die Mythologie verfällt der rationalistischen Kritik, die sie als Aberglaube enthüllt, die formale Seite der Kunst aber wird Gegenstand eines 'unterhaltenden Spiels'".13 12. Heller, S. 138 f. 13. Bürger, S.24. Thomas Steinfeld 305 Noch einmal: Grund für den Ubergang der "klassischen" in die "romantische" Kunstform und deren Auflösung zu einem marginalen I n t e r e s s e d e s "Geistes" ist das angebliche Fortschreiten des idealistischen Prinzips, die nach Hegel sich sukzessiv steigernde Dominanz des "Geistes", der Subjektivität. Von "rationalistischer Kritik" - was im übrigen ein Pleonasmus ist - keine Spur. Die Stellung zur Klassik, die Hegel hier unterschoben wird, hat ein ganz anderes Problem: nämlich das Verhältnis von Glaube und Wissen. Und für diesen Zweck sucht Bürger eine Verbindung zwischen Mythologie und Kunst - wobei allerdings die Mythologie im eigentlichen Sinne nach Hegel zur "symbolischen" Kunstform gehört. Daher gehört auch die "Versöhnung von Freiheit und NotwendigkeitU,l4die Bürger als Anliegen d e r "Ästhetik" ausgibt, g a r nicht zu Hegels "emphatischem Kunstbegriff". Denn gerade Notwendigkeit spricht Hegel den Repräsentanten seines klassischen Ideals ab: ". . . (die) Bestimmtheit (der Götterindividuen ist) nicht an und für sich notwendig und somit von Hause aus der Zufälligkeit preisgegen . . .".I5 Das "Ende" der Kunst und die historische Perspektive Zuweilen ist es wirklich überraschend, zu welch entgegengesetzten Stellungnahmen die Hegelsche "Ästhetik" Anlaß gibt: so war für Heller der Klassizismus Hegels Grund für die Erhebung der griechischen Antike zu nicht wieder zu erreichender Höhe der Kunst; umgekehrt ist die "Ästhetik" für Heinz Schlaffer aufgrund ihrer historischen Perspektive Ausdruck einer vollkommenen Gleichgültigkeit vor der Kunst. Schlaffer identifiziert das "Ende der Kunst" mit dem "Anfang des Historismus" - wobei das "Ende" wörtlich verstanden zu sein scheint. Das "Ende" dient ihm hier z u r Kennzeichnung e i n e r seiner Meinung nach problematischen Herangehensweise an die Kunst: Der Ästhetisierung von Geschichte kommt auf halbem Wege die Historisierung der Kunst entgegen. . . . Den Anfang des Historismus verkündet bereits Hegels berühmtes Diktum von dem Ende der Kunst: . . . Wesentlich existiert demnach die Kunst in der Moderne als Gegenstand der Kunstgeschichte. I m wissenschaftlichen Umgang mit der Kunst aller Zeiten bleibt 14. Bürger, S.25. 15. Hegel, XIV,S. 107 306 GERMAN STUDIES REVIEW das ästhetische Bewußtsein rein bei sich: es stellt durch den gerechten Gleichmut gegenüber den Werken, den Kants "interesseloses Wohlgefallen" vorbereitet hat, seine eigene Solidität unter Beweis.16 Auf diese Weise wandelt Schlaffer die Funktion, die die Kunstwissenschaft für Hegel hat - nämlich den Standpunkt der Reflexion gegen die Kunst durchzusetzen - dahingehend ab, daß es nun auf einmal die Kunstgeschichte sei, auf die es in der "Ästhetik" ankommen soll. F ü r diese allzu weit hergeholte Bezugnahme auf Hegel wendet Schlaffer die These von der Säkularisation der Kunst in dem Sinne an, daß die Kunst mit ihrem angeblichen "Ende" in ein Verhältnis getreten sei, in dem sie die Bedeutung, die sie früher einmal gehabt haben soll, nicht mehr habe. Entsprechend diesem Verfahren, das die Bedeutung der Kunst historisierend aus dem erschließen will, was ihr nicht mehr zueignet, registriert Schlaffer e i n e Analogie zwischen Kunstwissenschaft und Geschichtswissenschaft. Und diese Analogie soll einen Standpunkt der Gleichgültigkeit gegenüber den Werken der Kunst hervorbringen. Diese Gleichgültigkeit mag nun vielleicht das Verfahren manch einer Kunstgeschichte beschreiben; auf die "Auflösung" der Kunst nach Hegel wie auch auf andere Elemente der "Ästhetik" kann sie sich nicht berufen. Hegel offenbart alles andere als Gleichmut, wenn e r an der "klassischen" Kunst "Ruhe", "Glück", "Befriedigung", "Größe", "Heiterkeit" und "Seligkeit"17 empfindet - daß e r sie nicht mehr für das "höchste Bedürfnis des Geistes" hält, macht ihn nicht "gleichmütig", wodurch sich der Anknüpfungspunkt dieser Behauptung Schlaffers als reine Erfindung erweist. Das "Ende" als Möglichkeit für Astheten Eines scheint Heller und Schlaffer bei aller Gegensätzlichkeit ja gemeinsam zu sein: das angebliche "Ende" der Kunst nach Hegel bezeichnet ihnen einen als problematisch gewerteten Standpunkt der Kunst bzw. der Kunstwissenschaft. Aber auch bei diesem kleinsten gemeinsamen Nenner gibt es keine Einigkeit: für andere Rezipienten der "Ästhetik" ist das "Ende" kein kritischer Punkt, 16. Heinz und Hannelore Schlaffer, Studien zum ästhetischen Historismus (Frankfurt a m Main: Suhrkamp, 1975), S. 16. 17. Hegel, XIV, S. 24. Thomas Steinfeld 307 s o n d e r n positiver A u s g a n g s p u n k t e i n e s i n n o v i e r e n d e n Kunstbegriffs. So soll das "Ende" bei Dieter Henrich für eine Analytik d e r Moderne produktiv gemacht werden. I m Vordergrund stehen dabei für Henrich die Reflexion des Künstlers auf sein Werk, die Beherrschung der ästhetischen Techniken sowie die "Partialität der Kunst" und ein "Verzicht auf Utopie", die die Kunst der Gegenwart kennzeichnen sollen. Zur "Partialität" heißt es dabei zunächst: In der Prosa der philosophischen Wissenschaften und des modernen staatlichen Lebens findet die Kunst keinen, sei es auch nur dienenden Platz. . . . F ü r Hegel selbst ergibt e r (SC.der partiale Charakter der Kunst) sich nicht aus einer Beschränkung auf gewisse Gegenstände. Er ist an ihrer Unfähigkeit gelegen, den Zusammenhang der Wirklichkeit als einer in sich vernünftigen zur Darstellung zu bringen.18 Daß die Kunst in der "Prosa" keinen Platz haben soll, kann bei einem einfachen Vergleich mit der Erfahrung nicht einleuchten: denn Kunst stellt sich doch auch oft genug explizit als der Versuch dar, gerade angesichts einer als problematisch wahrgenommenen Realität eine Sphäre zu schaffen, die den Gegensätzen der Realität nicht sich fügt. Indem aber eine Identität von Interesse und Welt eben nur jenseits der sachlichen Bedingungen eines Lebens stattfindet, nichts anderes als höchstens "subjektive Versöhnung" wird, ist nicht zu übersehen, daß die Beziehung zwischen moderner Kunst und der "Prosa" und dem "staatlichen Leben" doch existiert - und Hegel beschreibt auch noch das Wie, indem e r sie als Versöhnung im Subjektiven bestimmt. Diese These Henrichs, auf die Formel gebracht als die "Partialität der modernen Kunst", scheint zu implizieren, die Kunst sei ehedem mehr gewesen als ein Teil, als ein Partielles dessen, was unter "Prosa" gefaßt wird. Hier wird unterstellt, Kunst sei als vorherrschende Bewußtseinsform abgelöst worden - was sie aber, bei aller Leidenschaft, wohl nur im Bewußtsein einiger Ästheten gewesen sein kann. Daß Hegel als Beleg dieser Behauptung angerufen wird, h a t zwar insofern seine 18. Dieter Henrich, "Kunst und Kunstphilosophie der Gegenwart, uberlegungen mit Rücksicht auf Hegel,"in W. Iser, ed.,Poetik und Hermeneutik 11: Immanente Ästhetik-ästhetische Reflexion, (München: Fink, 1966),S. 11-37, hier: S. 16. 308 GERMAN STUDIES REVIEW Berechtigung, als e r von "Klassik" als dem auch gelebten Ideal spricht. Indes ist bei ihm von einer "Partialität" der Kunst in anderer Weise die Rede, als dies bei Henrich wiedergegeben wird. Denn eine Partialität, d.h. eine Beschränkung, ergibt sich bei Hegel aus dem idealistisch interpretierten Charakteristikum der Kunst, nicht im Medium des Begrifflichen, der Theorie zu erscheinen, sondern die sinnliche Vorstellung zur tfbermittlung ihrer Inhalte zu benutzen. Daher wird in der "Ästhetik" die "Sinnlichkeit", gemessen am Standpunkt der Philosophie, zum Grund für die "Partialität" der Kunst. Diese immanente Beschränkung der Kunst erscheint bei Henrich nicht in ihrem Hegelschen Sinne, sondern als angebliche Funktionslosigkeit für die Realität. Diese Behauptung wird darin ausgeführt, die Kunst sei nunmehr "unfähig", das "Vernünftige" der Wirklichkeit darzustellen. Auch diese These kann nicht hingenommen werden - zunächst einmal in Rücksicht auf Hegel, der ja der Kunst als Mangel attestiert, nicht Philosophie zu sein. Bei Henrich wird daraus die anscheinend willkürlich in den Raum gestellte Behauptung, Kunst sei "unfähig", weil nicht der Begriff einer vernünftigen Wirklichkeit. Aber auch innerhalb der These Henrichs scheint etwas nicht zu stimmen: denn es ist wohl nicht zu bestreiten, daß eine "Vernünftigkeit" der Kunst in bezug auf die Realität darin existieren kann, daß sie virtuell als subjektive Auflösung eines Gegensatzes zur Realität existiert. Auf der Grundlage der zweifelhaften These, moderne Kunst finde jenseits von "Prosa" oder der gesellschaftlichen Realität statt, folgert Henrich, Thema der Kunst sei nicht mehr die Auflösung eines Gegensatzes zwischen Subjekt und Realität, sondern die bedingungslose Freiheit des Künstlers - so als sei die Gestaltung subjektiver Freiheit nicht auch Produkt einer im Subjektiven verbleibenden V e r a r b e i t u n g jenes Gegensatzes. H e n r i c h formuliert dies in der These, der "Verzicht auf Utopie" sei Kennzeichen der Moderne. Und diesen "Verzicht auf Utopie" erklärt Henrich zum Resultat einer kritischen Weiterführung von Bemerkungen Hegels aus dem Zusammenhang des sogenannten "Endes der Kunst". Dazu heißt es: (Auf Utopie wird verzichtet) . . . nicht nur, weil sie unausdenkbar, sondern weil sie mit dem Ausdenkbaren unvereinbar ist. . . . Jede Kunst der Zukunft wird vom Bewußtseinsstand der Gegenwart ausgehen müssen. Und in ihr hat der Künstler ein freies Verhältnis zu seinem Thomas Steinfeld 309 Gegenstand erreicht, von dem alle zukünftige Kunst auszugehen hat, die nicht einer Epoche der Regression in der Geschichte des Menschen zugehört.19 Der von Henrich beanspruchte Bezug auf Hegel scheint vor allem darin seine Grundlage zu haben, daß Hegel in gewissem Sinne doch versucht, den Grad einer Befriedigung durch ästhetische Vorstellung zum Kriterium f ü r die Auflösung des supponierten Gegensatzes von Subjektivität und Objektivität zu machen. Nur geschieht dies in der "Ästhetik", u m die Chronologie der Kunstformen zu belegen und der Kunst einen immanenten Mangel nachzuweisen. Henrich aber identifiziert dieses Kriterium mit einem per se utopischen Gehalt jener Vorstellung. Und e r stellt mit Blick auf die Gegenwart fest, daß eine solche Vorstellung - die Imagination einer positiven Auflösung jenes Gegensatzes gerade nicht mehr dasjenige sei, was mit der Kunst vermittelt wird. Henrichs Bezugnahme auf Hegel beruht hier also darauf, Hegels Kritik an der Kunst nicht ernst zu nehmen und aus ihr eine Kritik an der utopischen Vorstellung zu machen. An die Stelle eines doch auch immanenten "Schlusses" als die idealistisch gesetzte Notwendigkeit, die Kunst durch reine Theorie zu ersetzen, tritt bei Henrich die Unmöglichkeit, das phantastische Projekt einer Identität von Subjekt und Welt zu verbildlichen. Henrichs Kriterium für diese Abwandlung des Hegelschen Diktums ist die "Freiheit", welche die Künstler wie die Kunst der Moderne auszeichnen soll. Nun wird allerdings auch das "freie Verhältnis" des Künstlers zu seinem Gegenstand nicht immanent - oder, wie man sagen könnte, in der Logik und Unlogik dieses Verhältnisses - besprochen, sondern oberflächlich als die willkürliche Stellung des Künstlers zum oben benannten Gegensatz. Daß es gar nicht mehr u m die Auflösung des Gegensatzes gehen kann, indem die Freiheit des Künstlers zur Bedingung sine qua non wird, indem also die Objektivität und die durch sie gesetzten Kriterien nicht mehr Gegenstand der Kunst, sondern in das Belieben des Künstlers aufgelöst sind, kommt in Henrichs Besprechung gar nicht mehr vor. So fehlt - auch wenn Henrich in der Willkür des Künstlers ein Kriterium für die Analyse moderner Kunstwerke erwähnte - sowohl Argumentation als auch die Einlösung des beanspruchten Bezugs auf Hegel. Henrichs Assoziation zum "Ende der Kunst" ist allerdings folgenreich - u.a. für eines der wichtigsten Werke der Literatur19. Henrich, S.14. 310 GERMAN STUDIES REVIEW wissenschaft in den siebziger Jahren: Hans Robert Jauß' "Literaturgeschichte als Provokation". J a u ß referiert in diesem Zusammenhang zustimmend die Ausführungen Henrichs und meint in bezug auf den "historischen Befund des Hegelschen Satzes vom Ende der KunstV2O:"(Der Hegelsche Satz). . . enthält.. . den Ansatz einer von Hegel nicht mehr ausgeführten Theorie der modernen Kunst, der es ermöglicht, Hegels 'Ästhetik' in die Progression der Geschichte zurückzuholen und sie vom Ballast ihrer allzu kurzatmigen Prognosen über die Zukunft der Kunst im 19. Jahrhundert zu befreien1'.21 Hegel bekommt hier eine Aktualität bestätigt, die weit jenseits dessen liegt, was e r mit der "Ästhetik" wollte - es war mit Sicherheit nicht sein Interesse, Prognosen aufzustellen. Diese Differenz der Behauptung Jauß' zu den Ausführungen der "Ästhetik" bleibt an dieser wie an anderen Stellen der "Literaturgeschichte als Provokation" unvermittelt. Erstaunlich ist in diesem Kontext auch, daß J a u ß einerseits auf den Superlativ in der Formulierung "das höchste Bedürfnis des Geistes" hinweist.22 Damit dürfte von einem "Satz vom Ende der Kunst'' nicht mehr die Rede sein. Andererseits erscheint nun dieses "Ende" trotzdem bei Jauß, und nicht einmal als "Ende", sondern merkwürdigerweise als Anfang: . . . die von Hegel wie von Heine und Stendhal formulierte Prognose . . . (ist), daß die Periode der schönen Kunst zu Ende gehe und eine neue "Literatur der Bewegung" sich auf den Emanzipationsprozeß der Geschichte öffnen m ü ~ s e . ~ 3 Es ist fast, als gebe es den Text der "Ästhetik" gar nicht: Hegel spricht davon, daß sich in seiner Philosophie die Entwicklung des "Geistes" zu s i c h s e l b s t v o l l e n d e t h a b e . Mit e i n e m "Emanzipationsprozeß der Geschichte", der anstünde, kann dieser wesentliche P u n k t des Hegelschen Denkens unmöglich übereinstimmen - wobei die in Jauß' These enthaltene Annahme, die Zeit selber sei fortschrittlich, dem Hegelschen Idealismus eine moderne Variante zugesellt. Darüber hinaus stellt die angebliche Öffnung der Literatur auf Geschichte einen krassen Widerspruch 20. Hans-Robert J a u ß , Literaturgeschichte als Provokation (Frankfurt a m Main: Suhrkamp, 1970), S. 113. 21. J a u ß , S. 113 f. 22. Jauß, S. 114. 23. Jauß, S. 9. Thomas Steinfeld 311 innerhalb der Aussagen Jauß' über das "Ende der Kunst" bei Hegel dar. Denn auf der einen Seite übernimmt e r die These Henrichs, die Kunst der Neuzeit sei "partial". Und auf der anderen Seite soll sie bei aller Beschränktheit nichts Kleineres thematisieren als den "Emanzipationsprozeß der Geschichte". Ende und Anfang Das Verfahren, vom "Ende der Kunst bei Hegel" zu reden und dennoch diese Vereinfachung des Hegelschen Gedankens gar nicht ernst zu nehmen, sondern darin - wenigstens theoretische Möglichkeiten der Innovation von Kunst zu sehen, findet sich nicht allein bei Henrich und Jauß. Von Wiese ist ihnen darin vorausgegangen, wobei das "Ende zum Ausgangspunkt eines erklärten Kulturoptimismus wird -Kunst soll mit ihrem "Ende" zur Sphäre des "universal Menschlichen" werden. Der Widerspruch zwischen "Ende" u n d Universalisierung von K u n s t bleibt d a r i n unvermittelt: Hegels These vom Ende der Kunst im Zeitalter der Philosophie macht zwar das tradierte Ende einer bisher immer nur in ihren nationalen Bedingungen verankerten Kunst zu einer Aufgabe philosophischen Begreifens, schafft aber damit zugleich die Möglichkeit, die Kunst als eine n u r sich selbst gehörende Sphäre des Menschlichen überhaupt erst und noch zu diesem späten Zeitaugenblick d e r Geschichte zu konstatieren. . . . e r (durchschaute) zwar die romantische Poesie im Stadium ihrer Selbstauflösung . . . , . . . begriff aber zugleich Poesie als Element des universal Menschlichen.24 Auch der hier der "Ästhetik" unterstellte Zielpunkt des "universal Menschlichen" hat wenig mit den Ausführungen Hegels gemein. Denn eine nationale Kunsttradition erscheint an keiner Stelle als Thema innerhalb Hegels Darstellung der "romantischen" Kunstform. Auch wird umgekehrt keine Aufgabe d e r Philosophie d a r i n geschaffen, sich m i t nationaler Kunstgeschichte zu beschäftigen. Ebensowenig konstituiert Hegel mit der Philosophie der Kunst eine "sich selbst gehörende Sphäre des Menschlichen" - wer hätte die Kunst im Tierreich vermutet? 24. Benno von Wiese, "Das Problem der ästhetischen Versöhnung bei Schiller und Hegel," in Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft, Bd. I X , 1965,S. 167-188, hier: S. 187. GERMAN STUDIES REVIEW 312 Aufgabe dieser höchst zweifelhaften Bezugnahme auf Hegel scheint ein Beleg der These zu sein, Kunst als solche sei, weil national, noch nicht universell. Und für diese Universalität soll die Philosophie stehen, so daß sich für von Wiese eine einfache Gleichung von "Kunst im Zeitalter der Philosophie" und dem "universal Menschlichen" zu ergeben scheint, die in nichts außer eben diesem Dogma ausgewiesen ist. Hegels angeblicher "Satz" wird auf diese Weise für das Ideal einer unendlich menschlichen Kunst herangezogen. Mehr noch: für dieses Ideal beansprucht e r nicht n u r das sogenannte "Ende", sondern u.a. auch eine Beschreibung bürgerlicher Verhältnisse, die bei Hegel ganz anders lautet: (Hegel begriff die Poesie in ihrer unbegrenzten Gegenständlichkeit) . . . ,deren Verwirklichung die moderne Freiheit und Unabhängigkeit voraussetzte, wie sie frühere Epochen noch nicht besitzen konnten.25 Hegel spricht demgegenüber in aller Deutlichkeit von der "AbhängigkeitV26 des modernen Menschen in seiner praktischen Lebenssphäre sowie von der "Gedrängtheit" seiner Verhältnisse. Kunst und reflektierte Kunst Wieses Gedanke, die Kunst trete mit ihrem angeblich von Hegel konstatierten Ende in das Stadium neuer Möglichkeiten, erscheint u.a. bei Gadamer in anderer Variante - nicht unmittelbar in der Ausrufung einer "nach-romantischen" Kunstform, sondern in einem Plädoyer für die Möglichkeiten der Kunsttheorie: F ü r den Konflikt mit dem überzeitlichen Anspruch des Ästhetischen und der geschichtlichen Einmaligkeit von Werk und Welt stellt sie (SC.Hegels "Asthetik") bis heute die einzige wirkliche Auflösung dar, indem sie beides zusammen denkt und damit Kunst als ganze "erinnerlich" macht. . . . Der Ubergang von Reflexionskunst zur kunstreflexion macht den sachlich ausweisbaren Gehalt von Hegels Einsicht aus. Die 25. Ibid. 26. Vgl. z.B. Hegel, XIII, S. 197 f . Thomas Steinfeld 313 Reflexionskunst ist eben nicht nur eine Spätphase des Zeitalters der Kunst, sondern ist der tfbergang in das Wissen, für das Kunst erst zu Kunst ~ i r d . 2 ~ Als Leistung der Kunstphilosophie Hegels erscheint in ihrer Würdigung durch Gadamer, das Ästhetische in einem Verhältnis der Motive der Darstellung - "überzeitlich", insofern die Motive sich gleichbleiben - und ihrer Existenz als historisches Faktum zusammenzubringen. Unerklärt bleibt das Problem, das der Entdeckung Gadamers an Hegels "Ästhetik" zugrundeliegt: denn wieso sollte es einen "Konflikt" zwischen der allgemeinen Gültigkeit eines Motivs und dessen Entstehungsgrundlage - Ort und Zeit - geben? Und auch wenn wir heute vom Problem eines "ius primae noctis" seltener berührt werden, ist dadurch doch kein Konflikt mit der Einmaligkeit von "Emilia Galotti" samt der Grundlegung dieses Werks in der spätfeudalen Gesellschaft geschaffen. Was aber will dann Gadamer mit der Konstruktion dieses Konflikts? Mir scheint die Zustimmung, die Hege1 hier erfährt, darauf zu beruhen, daß die in der "Ästhetik" vollzogene Verbindung von Logik und Kunstgeschichte positiv genommen und die Auflösung dieser beiden Elemente in der Kunstphilosophie von Gadamer so uminterpretiert wird, daß erst die Philosophie Gehalt und Geschichte der Kunstwerke erschließen können soll. Für diese These geht e r so weit zu behaupten, erst im "Wissen" werde "Kunst zu Kunst". Das allerdings ist absurd: für Gadamer ist ein Faktum erst dann ein Faktum, wenn es im eigentlichen Sinne gar keines mehr ist, sondern seine Theorie. Indem so Gadamer die Kunsttheorie zur Bedingung von Kunst erklärt, wird die Kunst zur Leistung ihrer Theorie. Mit ähnlichem Ausgangspunkt wie Gadamer, nämlich an der Feststellung, die Reflexion über Kunst sei angesichts ihrer Auflösung ihre neue Möglichkeit, entwickelt Figal seine Version des "Schlusses" der romantischen Kunstform: Die Folge seiner (SC. Hegels) theoretischen Konzeption, nämlich die Freisetzung der Reflexion auf die Kunst als Bestimmungsform von Wirklichkeit generell, und das heißt, als für sich leere Bestimmungsform - denn ihre Bestimmung 27. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (Tübingen, 1960), S . 23. Thomas Steinfeld 315 Ein Ende ohne Ende Von einer Interpretation Schlaffers zum Thema "Der Hegelsche Satz vom Ende der Kunst" war bereits die Rede. In einer späteren Arbeit erscheint es wieder, allerdings - und das ist in diesem Kontext offenbar gar nicht erstaunlich - unter vollkommen anderen Kategorien. Nicht mehr genealogischer Punkt einer historischen Betrachtungsweise soll das "Ende" sein, sondern Beleg einer Beherrschung der Kunst durch Theorie, die in der rhetorischen Form der Allegorie ihren spezifischen Ausdruck haben soll. Die "Auflösung" der Kunst nach Hegel gilt Schlaffer nun als Element einer vermutlich universalgeschichtlich zu fassenden Bewegung vom Konkreten zum Abstrakten. Hegel versteht die Kunstwissenschaft und damit seine eigene Ästhetik als Ergebnis und Teil der spezifisch modernen Uberlegenheit des Wissens über die sinnliche Anschauung.29 I m Verfolg der immanenten Logik von Hegels Ästhetik gewinnt die Allegorie die Würde, der e r sie durch ästhetische Kritik enthoben hatte, geschichtsphilosophisch zurück. Unvermeidlich wird nämlich der Schluß, daß die Allegorie das Ende der Kunst im Medium der Kunst selbst darstelle. "Im Medium der Kunst" muß heißen: im Ubergang der Kunst zur Nicht-Kunst, in d e r T r e n n u n g zwischen sinnlicher Erscheinung und gedanklicher B e d e ~ t u n g . ~ ~ Schlaffers Interpretation hat ihre Grundlage darin, daß Hegel die Kunst als nunmehr zunehmend peripheres Moment der Geschichte des "Geistes", als Vorstufe der Durchsetzung der reinen Theorie versteht. Dementsprechend ist seine "Ästhetik" als Teil der philosophischen Wissenschaften konzipiert - ohne daß es allerdings dabei u m "Uberlegenheit" ginge. Diese Kategorie Schlaffers enthält aber nicht nur deswegen kein sachliches Moment der Ausführungen Hegels zum Ubergang der Kunst in Philosophie. Schlaffer sieht die "ffberlegenheit" im Verhältnis des Wissens oder der "gedanklichen Bedeutung" zur "sinnlichen Anschauung" - wobei die Tatsache, daß beide Seiten dieses Verhältnisses Pleonasmen sind, mißtrauisch macht. Die 29. Heinz Schlaffer, Faust-Zweiter Teil, Die Allegorie des 19. Jahrhunderts (Stuttgart: J.B.Metzler , 1981), S. 43. 30. Schlaffer, Faust, S. 46. 316 GERMAN STUDIES REVIEW Pleonasmen scheinen der Konstruktion eines Antagonismus zwischen Anschauung und Bedeutung zu dienen, die Schlaffer vergessen läßt, daß es sich beim Verhältnis dieser beiden Momente u m eine einfache logische Ableitung handelt. Sinnlich erfaßtes Material ist stets noch Ausgangspunkt eines Gedankens. Nun aber macht Schlaffer aus der Kommensurabilität der tfbergänge, die das Bewußtsein hin zum Wissen macht, die Inkommensurabilität ihrer Inhalte. Und so erhält e r sein Ergebnis, das Resultat im Wissen sei seinem Ausgangspunkt überlegen. Schlaffer schafft sich so unter Berufung auf Hegel einen Gegensatz von Geist und Sinn, der in der "Ästhetik" zwar auch vorkommt, aber ganz anders verläuft, als ihn Schlaffer haben will: denn was bei Schlaffer in einen Antagonismus zerfällt, soll bei Hegel mit dem tfbergang von Kunst in Philosophie aufgehoben sein. Indem aus dieser Verdrehung des Standpunktes des "Geistes" in der "romantischen" Kunstform eine Bewegung vom Konkreten zum Abstrakten werden soll, versucht Schlaffer zu begründen, warum ausgerechnet die Trope "Allegorie" der ästhetische Repräsentant des kunstgeschichtlichen Standpunkts "tfberlegenheit des Wissens über die Anschauung" sei. Ohne daß hier auch das kleinste Element einer Analyse der rhetorischen Form "Allegorie" vorläge, erscheinen ihre Momente nun doppelt getrennt: erstens in der Trennung des Gedankens von seinem Ausgangspunkt, zweitens in der Trennung einer Bedeutung bzw. ästhetischen Vorstellung von ihrer Erscheinung 2.B. als Allegorie. Denn wie bei jedem Zeichen: es existiert auch die Bedeutung der Allegorie n u r im Medium ihrer Erscheinung oder Form. Eine Trennung der so ineinander existierenden Momente entsteht allein theoretisch, d.h. in ihrer Analyse. Schlaffer verwandelt dieses Verhältnis in eine Differenz der Sache selbst und gelangt so zu dem geschichtsphilosophischen Schluß, in der Kunst der Neuzeit finde eine Bewegung zum Abstrakten ihren Abschluß, deren Ausdruck die Allegorie sein soll. In der Selbstzerstörung weiterbestehen Die zuletzt besprochenen Autoren haben ein Gemeinsames darin, im letzten Stadium der "romantischen" Kunstform, im tfbergang der wesentlichen Bedürfnisse des "Geistes" in Philosophie, Entwicklungsmöglichkeiten für die Kunst selbst aufzufinden. An diesem Punkt tut es ihnen Adorno gleich, auch wenn in seiner Interpretation des "Schlusses" der Kunst diese n u r noch als ihr Scheitern soll positiv existieren können. So heißt bei Thomas Steinfeld 317 Adorno die immanente Auflösung der Kunst, wie sie bei Hegel im Zusammenhang des sogenannten "Endes der Kunst" besprochen wird, "Selbstzerstörung", wobei diese das zentrale Moment fortschrittlicher Kunst sein soll: Hegel visierte die Unwiderstehlichkeit von Vergeistigung geschichtsphilosophisch in der Theorie des von ihm so genannten romantischen Kunstwerks. Seitdem ist alles sinnlich Gefällige, darüber hinaus jeglicher stofflicher Reiz ins Vorkünstlerische hinabgestürzt. Vergeistigung, als ständige Ausbreitung des mimetischen Tabus über Kunst, das einheimische Reich von Mimesis, arbeitet an ihrer Selbstzerstörung, aber auch als mimetische Kraft, wirksam in Richtung der Gleichheit des Bildes mit sich selbst, die das ihm Heterogene ausscheidet und dadurch seinen Bildcharakter verstärkt. . . . Nur radikal vergeistigte Kunst ist noch möglich, alles andere kindisch.31 Adorno scheint also der "Ästhetik" darin zuzustimmen, daß so etwas wie "Vergeistigung" die letzte Etappe der "romantischen" Kunstform darstelle - nur: in der "Ästhetik" geht die "romantische" Kunstform nicht auf "radikale Vergeistigung". Denn Hegel macht an diesem Punkt der Chronologie der Kunstformen vielmehr die "Endlichkeit" zum Objektbereich künstlerischen Wirkens. Adorno entgegen bemerkt Hegel an der Kunst seiner Zeit zwei Tendenzen, nämlich die zur "subjektiven Darstellungn32 und die zur "Befriedigung an der Äußerlichkeit" (!)33, beide vermittelt in einem "Vertiefen des Gemüts in den G e g e n ~ t a n d " ~Anders ~. formuliert: indem die "höchsten Bedürfnisse des Geistes" oder die "substantiellen Mächte" zum "Schluß" der "romantischen" Kunstform Hegel zufolge jenseits der Kunst ihr Bestehen haben sollen, werden sie frei für die totale Entfaltung ihrer Gegenstände und ihrer Techniken. Hegel setzt für die "spätromantische" Kunst eher das Kriterium "weniger Vergeistigung", indem die Kunst nicht mehr für die "Substanz" steht. Denn diese soll ja in die Philosophie übergehen. Das Argument von der "Vergeistigung" dient Adorno zur Begründung der These, moderne Kunst folge einer Dialektik, die 31. Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie (Frankfurt a m Main: Suhrkamp, 1970), S. 142. 32. Hegel, XIV, S. 240. 33. Ibid. 34. Ibid. 318 GERMAN STUDIES REVIEW sich u n m i t t e l b a r widerspricht: "Selbstzerstörung" u n d "mimetische Kraft". J e mehr "Vergeistigung", desto mehr "Bild", scheint Adornos unbewiesenes Postulat zu heißen, wobei e r mit "Bild" wohl anderes im Sinn hat als "Abbildung". Denn "Mimesis" versteht e r offenbar so, daß es sich in den bildlichen bzw. sinnlichen Qualitäten eines Kunstwerks u m Bilder handeln soll, die es gar nicht geben kann: denn ein "Bild", das n u r sich selber gleich sein soll, kann eigentlich n u r pure Erscheinung sein, also gar nichts bedeuten - vielleicht so, wie Adorno es in der "Ästhetischen Theorie" als "apparition" umschreibt. Adorno bestreitet demnach in bezug auf die moderne Kunst dem Bild die wesentliche Qualität, das Moment, das es zum Bild erst macht: eine Gleichheit mit dem Abgebildeten aufzuweisen. Zielpunkt der These von der "Vergeistigung" scheint also eine Erscheinung zu sein, die Ausdruck ist, ohne etwas zum Ausdruck zu bringen. Adorno proklamiert damit im Grunde genommen ein einfaches Dasein einer ästhetischen Erscheinung, die nichts bedeuten darf geistloses Sein, gewissermaßen, worin das Gegenteil seiner These zur "Vergeistigung" liegt. Der Bezug auf Hegels "Ästhetik" ist in diesem Zusammenhang willkürlich und nicht mit Verweisen auf dessen Werk - weder die "Ästhetik" noch ein anderes - zu belegen. Das Ende als Anlaß zur Spekulation Hegel schrieb die "Ästhetik" als Teil der von ihm so konzipierten philosophischen Wissenschaften. In ihnen liegt der Maßstab, mit dem e r die Kunst betrachtet. Und an diesem gemessen weist die Kunst eine immanente Beschränkung auf: lediglich "sinnliches Scheinen" der Idee zu sein, nicht ihr Begriff. Kunst erscheint, und darin hat e r recht, nicht i m Medium des Gedankens, sondern in dem der Vorstellung. Insofern aber die "Idee" in ihrer reinen, begrifflichen Form der Zielpunkt der Hegelschen Teleologie ist, wird die Differenz zwischen "Scheinen" und Begriff der Grund für den "Schluß" der Kunst in der "Ästhetik"; den ffbergang in den Begriff schafft nur die Philosophie, auch wenn e r wenigstens zum Teil in der Kunst stattfinden kann. Auch hier läßt sich Hegel insofern zustimmen, daß in der romantischen Literatur, in psychologisierenden Werken, in solchen ästhetischen Schriften, die einen Anspruch auf Umsetzung in die Realität erheben, so ein ffbergang tatsächlich anzuliegen scheint. Und darin liegt der rationale Kern jenes berühmt-berüchtigten "Satzes" und vermutlich auch der Grund Thomas Steinfeld 319 für die zahlreichen, gegeneinander und im Verhältnis zum Originaltext stark divergierenden Interpretationen zu diesem Thema. Anders gesprochen: der rationale Gehalt jenes "Schlusses" ist darin zu suchen, daß die Existenz der Kunst als Veranschaulichungssphäre von "Idee" dann zum Problem werden muß, wenn sie am Begrifflichen gemessen wird bzw. das erreichen soll, was der Begriff leisten mag. Dieser Punkt ist erreicht, wenn in der Kunst und an der Kunst begonnen wird, über die dem Ästhetischen eigenen Bedingungen zu reflektieren - wenn also die Kunst in ein wissenschaftliches Verhältnis zu sich selbst tritt. Sie gibt sich das Problem, an ihr Ende gelangt zu sein, indem sie sich und ihre Möglichkeiten in Frage stellt. Dies müßte in der Regel dann geschehen, wenn in der Reflexion auf einen Gegensatz zwischen den Interessen, die mit ästhetischen Mitteln verwirklicht werden sollten, und ihrer praktischen Geltung bei den Adressaten sich die Frage nach der Funktion und Potenz der Kunst einstellt. Und das ereignet sich vor allem, wenn bemerkt wird, daß die ästhetische Vorstellung nicht die Zwecke erreicht, die ein Künstler bzw. ein Ästhet m i t i h r v e r b i n d e n mag: a u c h e i n e praktische Verwirklichung der mit den Kunstwerken verbundenen Ideale hervorzubringen. Diese Frage, ob der Kunst nicht ein Ende gesetzt sei, muß sich als solche erhalten, wenn am ästhetischen Ausdruck als Mittel der Problembewältigung festgehalten werden soll, so daß eine problematisierende Stellung des Künstlers zu seinen Werken gewissermaßen Bestandteil seiner Tätigkeit wird. Dies kann einerseits für die Kunst gelten, indem sie ihre eigenen Implikationen für fraglich erklärt und damit innerhalbihrer selbst zur eigenen Wissenschaft wird. Dies kann andererseits für die Kunstwissenschaft selbst gelten, indem sie in entsprechender Fragestellung weniger über die Kunst, wie sie existiert, als über die Möglichkeiten des Seins und Nicht-Seins von Kunst diskutiert. Damit stellt sie sich allerdings ein Thema, das als die Frage, ob ihr Gegenstand denn eigentlich eine legitime, in Hinsicht auf den jeweiligen Anspruch des Kunstwissenschaftlers fungible Existenz führe oder nicht, ein endloses Feld der Debatte eröffnet. Darin scheint der Grund dafür zu liegen, daß einem angeblichen Ende der Kunst, wie es bei Hege1 weitaus weniger rigoros erscheint, ein Interesse entgegengebracht wird, das die wenigen Seiten, die in der "Ästhetik" dieses Thema betreffen, jenseits aller Proportionalität gegenüber dem gewiß nicht weniger interessanten Rest dieses Werkes gewichtet.