3.1. Molekulare Bindungen Fragestellungen in der Molekülphysik: Warum und wann verbinden sich neutrale Atome zu Molekülen? Wie sehen die Energieniveaus von Molekülen aus (z.B. auch unter Berücksichtigung von Schwingungen und Rotationen der Moleküle)? Wie können chemische oder biologische Prozesse auf der molekularen Skala verstanden werden? Palmitat (Fettsäure) dAMP (Nucleotide) 191 3.1.1. Das H2+-Molekül als ein einfaches Beispiel Das einfachste Molekül ist das Wasserstoff-Molekülion (H2+-Molekül). eDas H2+-Molekül e+ S e+ Die Coulomb-Wechselwirkungsenergie im Wasserstoff-Molekülion ist: Somit ist die zu lösende Schrödingergleichung: Eigenwertproblem für das H2+-Molekül 192 Eine (grobe) Näherung für das Problem ist zunächst die Vernachlässigung der kinetischen Energie der (im Vergleich zum Elektron) schweren Kerne. Die Kerne werden als starr miteinander verbunden angenommen. Born-Oppenheimer-Näherung Das zylindersymmetrische Problem ist dann: Durch geeignete Koordinatenwahl lässt sich dieses Problem analytisch lösen. Die Wellenfunktion des Elektrons im 2-atomigen Molekül ist durch folgende Quantenzahlen charakterisiert: Hauptquantenzahl Z-Projektion des Drehimpulses Z-Projektion des Spin 193 Der räumliche Anteil heisst Molekülorbital. Die Eigenenergien hängen von dem Parameter R (Abstand der Kerne) ab: Beispiel für Molekülorbitale: Schematische Darstellung von Potentialkurven [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 194 Beispiel für Molekülorbitale: 1sσg 1sσu 2sσg 2sσu 2pπg 2pπu 195 Ein wichtiges Näherungsverfahren für (meistens) nicht analytisch lösbare Probleme ist das LCAO-Verfahren (linear combination of atomic orbitals). Prinzip: Konstruktion der Molekül-Wellenfunktion als Linearkombination von atomaren Wellenfunktionen z.B. für das H2+-Molekül: s-Wellenfunktion für das Atom A s-Wellenfunktion für das Atom B Ansatz für die Molekül-Wellenfunktion: komplexe Koeffizienten 196 Für die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte folgt dann: heisst Überlappintegral Da die räumliche Wellenfunktion symmetrisch oder antisymmetrisch sein muss folgt: Je nach Vorzeichen ergeben sich unterschiedliche Fälle für den symmetrischen, bzw. antisymmetrischen Fall. rechts: symmetrische, bzw. antisymm. Wellenfunktion (a) und Aufenthaltswahrschlkt. (b) [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 197 Mit der symmetrischen Wellenfunktion , bzw. der antisymmetrischen Wellenfunktion lassen sich die Energieeigenwerte bzw. in Abhängigkeit vom Kernabstand berechnen. bindender Zustand antibindender Zustand Energieniveaus von bindendem/antibindendem Zustand [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] Die LCAO-Methode kann auch für komplexere Moleküle angewendet werden, z.B. das H2-Molekül. 198 Die unteren Abbildungen zeigen Vergleiche von LCAO-Näherungen mit exakten Rechnungen. Vergleich von LCAO und exakter Rechnung für den H2-Grundzustand Exakte Rechnung (rot) und LCAO-Näherung (schwarz) [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 199 Bemerkungen zur Notation: Im Grundzustand des H2-Moleküls sind beide Elektronen im bindenden (symmetrischen) Grundzustand. Anzahl der Elektronen in diesem Zustand Hauptquantenzahl Bahndrehimpuls d. Atomorbitals bindender Zustand Betrag d. Projektion d. Drehimpulses 200 In Molekülen können auch die angeregten Zustände bindend oder antibindend sein. 2-atomige Moleküle, die im Grundzustand antibindend und einem angeregten Zustand bindend sind heissen Excimere; z.B.: Ar*2, ArF, KrF Energieniveaus von Li2 Energieschema von Excimeren [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 201 3.1.2. Typen von Molekülbindungen Existiert für einen bestimmten Abstand R0 zwischen zwei Atomen ein Potentialminimum, so kommt es zu einer Bindung. [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] Es existieren verschiedene Arten von Bindungen: A) Kovalente Bindung (Beispiel: H2-Molekül) • Räumliche Umverteilung der atomaren Valenzelektronen führt zu einem Bereich negativer Ladung zwischen den beiden positiven Atomrümpfen • Die grössere räumliche Ausdehnung der gemeinsamen Elektronenwellenfunktion führt zu einer Verringerung der mittleren kinetischen Energie der Valenzelektronen (Heisenbergsche Unschärferelation!) • Bindungsreichweite im Überlappbereich der Atome 202 B) Ionische Bindung (Beispiel: NaCl-Molekül) • Starke Überhöhung der Elektronendichte an einem Atom (Cl-) und Verringerung am anderen (Na+) bewirkt elektrostatische Anziehung • Langreichweitige Coulombwechselwirkung ~1/R Potentialkurve von NaCl 203 C) Dipol-Dipol-Bindung (van der Waals Bindung) • Dipol-Dipol-Wechselwirkung (in erster Näherung) zwischen permanenten polaren Molekülen führt zu einer attraktiven Wechselwirkung mit der Reichweite ~1/R3 • Auch zwischen unpolaren Atomen kann eine Dipol-Dipol-Wechselwirkung auftreten: spontanes Dipolmoment in Atom A induziertes Dipolmoment in Atom B attraktive Wechselwirkung Das Potential entspricht phänomenologisch der Form: Lennard-Jones-Potential Lennard-Jones-Potential [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 204 D) Wasserstoffbrückenbindung (Beispiel: grosse organische Moleküle) • H+-Atome (Protonen) können eine attraktive Wechselwirkung zwischen Atomen vermitteln. 205 3.2. Spektroskopie von Molekülen 3.2.1. Born-Oppenheimer-Näherung Die Spektren von Molekülen sind wesentlich reichhaltiger als die der Atome. Grund: Zusätzliche Freiheitsgrade wie die Rotation und die Vibration führen zu weiteren diskreten Energieniveaus und somit zu zusätzlichen optischen Übergängen Notwendig: Behandlung der Bewegung der Atomrümpfe Die Bewegung der Kerne ist sehr langsam auf der Zeitskala der Bewegung der Elektronen. Elektronenkonfiguration wie im statischen Fall für einen bestimmten Kernabstand R als Parameter Separation der Wellenfunktion Born-Oppenheimer-Näherung Wellenfunktion der Kernbewegung Wellenfunktion der Elektronen für festes RA, RB 206 3.2.2. Schwingungen Die Kerne führen Schwingungen in einem mittleren Potential V aus: mittlere kinetische Energie der Elektronen gesamte potentielle Energie In erster Näherung kann man das Potential um sein Minimum als harmonisch betrachten. Es folgt dann für die Schwingungsenergien: Energieniveaus der Molekülschwingung (harmonischer Oszillator) Genauer ist die Näherung durch ein Morsepotential: Damit: Übergangsenergien 207 3.2.3. Rotationen Ein weiterer Freiheitsgrad ist die Rotation: klassische Rotationsenergie Der quantenmechanische Ausdruck ist: Energieniveaus der Rotation Gleichgewichtsabstand Bemerkungen: • Schwingung und Rotation treten gleichzeitig auf Schwingung ändert Trägheitsmoment des Moleküls Kopplung zwischen Evib, Erot und Epot • Die Energieabstände für die Rotation sind im Mikrowellenbereich • Die Energieabstände für die Vibration liegen im Infraroten Rotationszustände [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 208 3.2.4. Optische Übergänge in Molekülen Folgendes Schema zeigt mögliche Übergänge in Molekülen Die Übergänge zwischen zwei Zuständen können in der Quantenmechanik störungstheoretisch berechnet werden. Lehrbücher der Molekülphysik (ni, νi, Ji) (n´i, ν´i, J´i) Rotationsquantenzahl Vibrationsquantenzahl Quantenzahl des elektronischen Zustands Absorptions- und Emissionsvorgänge im Molekül [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 209 Bemerkungen zur Stärke optischer Übergänge in Molekülen: 1. Der elektronische Anteil ist durch den Überlapp der elektronischen Wellenfunktion bestimmt. 2. Der Schwingungsanteil ist durch den Überlapp der Schwingungswellenfunktion bestimmt. Frank-Condon-Faktor (insbesondere ist Δν=0,+1, oder -1) 3. Der Rotationsanteil bestimmt die räumliche Verteilung der emittierten Strahlung. man bezeichnet den Übergang ΔJ=+1 R-Linien im Rotationsspektrum ΔJ=0 Q-Linien im Rotationsspektrum ΔJ=-1 P-Linien im Rotationsspektrum Nur wenn keiner der drei Anteile null ist, findet ein Übergang statt! Einige Eigenschaften der optischen Übergänge lassen sich direkt in der Pfeildarstellung im Energieniveauschema einzeichnen: • Langsame Bewegung der Kerne im Vergleich zur Dauer des optischen Übergangs senkrechte Pfeile im Übergangsdiagramm • Grösster Überlapp der Schwingungswellenfunktionen am Ort grösster Aufenthaltswahrscheinlichkeit, d.h. an den klassischen Umkehrpunkten (f. höhere Schwingungszahlen) 210 Beispiel eines Schwingungsspektrums (CS2) Frank-Condon-Prinzip bei Molekülübergang (rot=wahrscheinlicher Übergang) 211 Beispiel von Infrarot (IR)-Spektroskopie IR Absorptionsspektrum (oben) und Raman-Spektrum von CS2 212 Beispiel eines Schwingungsspektrums (N2) (a) exp. Schwingunsspektrum (b) Schema (c) Zoom mit Rotationsspektrum [aus Tipler Physik] 213 Beispiel eines Rotationsspektrums (HCl) P-Zweig R-Zweig R-Zweig ν [Hz] P-Zweig Prinzip der P- und RRotationsübergänge Infrarot-Absorptionsspektrum von HCl (Aufspaltung durch die zwei Isotope 35Cl und 37Cl) [aus Tipler Physik] [aus Tipler Physik] 214 In Molekülen kommt es i.A. zu einer Verschiebung zwischen Absorptionsund Emissionsspektrum: Stokes-Verschiebung Relaxation absorption Prinzip der Stokesverschiebung durch schnelle Relaxation im angeregten Zustand emission Absorptions- und Emissionsspektrum von Terylen 215 3.3. Mehratomige Moleküle 3.3.1. Wassermolekül Auch in mehratomigen Molekülen tragen i.W. die Elektronen auf den äusseren „Schalen“ zur Bindung bei. s-Elektron σ-Bindung p-Elektron π-Bindung Die Elektronenkonfiguration des Wassermoleküls ist: Sauerstoff: (1s2)(2s2)(2px)(2p2y)(2pz) Wasserstoff: (1s) Ein Überlapp der einfach besetzten px-, py-Orbitale von Sauerstoff mit dem s-Orbital von Wasserstoff führt zur Bindung. [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 216 Die bindenden Orbitale im Wassermolekül sind dann Superpositionen: Tatsächlich ist der Bindungswinkel im Wasserstoffatom nicht 90°, sondern 105°! Grund: Ladungsverschiebung im 2s-Orbital führt zu einem besseren Überlapp der s- und p-Orbitale und damit zu einem energetisch niedrigerem Zustand. Tatsächliche Form des Wassermoleküls [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 217 3.3.2. Hybridisierung Bisweilen ist es energetisch günstiger, dass ein Elektron aus einer abgeschlossenen Schale (z.B. s-Schale) in eine höhere Schale (z.B.) p-Schale angehoben wird. Die bindenden Orbitale sind dann Linearkombinationen (Hybride) dieser Schalen. Man spricht von Hybridisierung. Beispiel: Kohlenstoff (C) mit der Elektronenkonfiguration: (1s2)(2s2)(2px)(2py) sp-Hybridisierung Linearkombinationen aus s-und p-Orbital: [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] lineare Molekülkonfiguration, z.B. Azethylen (C2H2) 218 sp-Hybridisierung in Azethylen (C2H2) getrennte Atome Azethylen-Molekül (3-fach Bindung) H C C H Elektronenkonfiguration 219 sp2-Hybridisierung Linearkombinationen aus einem s-und zwei p-Orbitalen: i=1,2,3 ebene Molekülkonfiguration, z.B. Ethen (C2H4) Ethen-Molekül [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 220 sp2 -Hybridisierung in Ethen (C2H4) σ-Bindung π-Bindung Ethen-Molekül (2-fach Bindung) H2 C C H 2 221 sp3-Hybridisierung Linearkombinationen aus einem s-und drei p-Orbitalen: i=1,2,3,4 tetraedische Molekülkonfiguration, z.B. Methan (CH4) [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 222 3.3.3. NH3-Molekül Das Ammoniak-(NH3)-Molekül hat eine pyramidenförmige Struktur. H H N H Die zwei Konfigurationen des Ammoniak-Moleküls Das Stickstoffatom kann oberhalb bzw. unterhalb der Ebene der drei Wasserstoffatome liegen. Es existiert eine Energiebarriere zwischen den beiden Konfigurationen, die durch Tunneln überwunden werden kann. Doppelmuldenpotential beim Ammoniak 223 3.3.4. Benzol-Molekül Die Bindung im Benzolmolekül (C6H6) kommt zu Stande durch: • lokalisierte Bindungen zwischen 2C-Atomen oder zwischen einem C- und einem H-Atom • delokalisierte Elektronen (π-Orbitale), die über den gesamten Ring verteilt sind Das Benzol-Molekül [aus Demtröder: Experimentalphysik 3] 224 Lokalisierte/delokalisierte Bindungen in Benzol: σ-Bindung (lokalisiert) π-Bindung (delokalisiert) 225 3.3.5. Desoxiribonucleinacid (DNA) Das DNA-Molekül ist Träger der Erbinformation Doppelhelix-Struktur der DNA Nobelpreis f. Watson/Crick 1962 Prinzip der Replikation 226