Wie isst die Welt? - Zentrum für Mission und Ökumene

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welt
SCHWERPUNKT
Wie isst die Welt?
JUNI - JULI 2010
C 51 78
Nordelbisches
Missionszentrum
Unser aktuelles Projekt
in Orissa/Indien
Aus dem Inhalt
Kurz vor dem Essen
Unser täglich Brot gib uns heute
Ohne die Schulheime der Jeypore-Kirche in Orissa hätten viele Kinder keine Chance auf Schule und Ausbildung. Denn noch immer fehlen Schulen und Möglichkeiten einer schulnahen Unterbringung. Unsere indische
Partnerkirche ist Trägerin für 43 Schulen in der Region
und fördert in ihren zwölf Wohnheimen zurzeit 575
Schülerinnen und Schüler. Für gutes Lernen und die
Entwicklung der Kinder sind die gesicherten Mahlzeiten
wichtig. Aber die Versorgung der Kinder wird immer
teurer, denn die Preise für Grundnahrungsmittel sind in
Indien in den letzten Jahren enorm gestiegen. Helfen Sie
uns mit Ihrer Spende, die Mädchen und Jungen in Indien
auf ihrem Weg zu unterstützen.
Nähere Informationen zu Indien
auf den Seiten 12-13 und 22 und
zum aktuellen Projekt auf der Heftrückseite.
Fotos: E. v.d. Heyde (1), C. Plautz (2), Sarah Wiener Stiftung (1), bilderbox.com (1), Deutscher Teeverband (1), N. Gehm (1), M. Hanfstängl (1), E. Fuchs (1)
4
Der globale
Kochtopf
Die Globalisierung ist längst im
Kochtopf angekommen. Unsere
Esskultur hat aber auch Auswirkungen auf die Menschen des
Südens.
7
„Abbild der
Gesellschaft“
Essen ist längst zu einem Industrieprodukt gewordent. Sarah Wiener erläutert im Interview, wie sich
Verbraucher gesünder ernähren
und besser für sich sorgen können.
9
Mamaligutza!
Mamaligutza! – so heißt der Maisbrei in Rumänien. Sein Genuss
wird von den Bewohnern regelrecht zelebriert.
10
Von Ameisensaft
bis Zitronenfisch
„Essen ist für das Volk der Himmel“, so
heißt es in China. Welche Rolle hat
das Essen heute, in einem Land, wo
die Menschen von sich behaupten,
„alles zu essen, was Beine hat“?
weltbewegt-Postanschrift: NMZ, Postfach 52 03 54, 22593 Hamburg, Adresse: Agathe-LaschIMPRESSUM: weltbewegt (breklumer sonntagsblatt fürs Haus) erscheint sechsmal jährlich. HERAUSGEBER UND VERLEGER: Nordelbisches Zentrum für
Weltmission und Kirchlichen Weltdienst, Breklum und Hamburg (NMZ). Das NMZ ist ein Werk der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche. DIREKTOR:
Pastor Dr. Klaus Schäfer (V.i.S.d.P.), REDAKTION: Ulrike Plautz, GESTALTUNG: Christiane Wenn, KONZEPT: Andreas Salomon-Prym, SCHLUSS KORREKTUR:
Constanze Bandowski, ADRESSE: Agathe-Lasch-Weg 16, 22605 Hamburg, Telefon 040/881 81-0, Fax: 040/881 81-210, www.nmz-mission.de.
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weltbewegt
Editorial
12
Kochen ist auch
Männersache
Nicht nur Gewürze prägen die
indische Esskultur, sondern auch
Rituale. So wird vor großen Festen
gefastet und Männer machen den
Abwasch, wenn gefeiert wird.
16+21 Kulturwochen
Im Rahmen der „Kulturwochen
Mittlerer Osten“ konnten sich
Menschen aus Orient und Okzident begegnen, wie auf dem
Orientalischen Family Day.
18
Geiz ist
verpönt
Einen kulinarischen Tag in Tansania beschreibt Jendrik Peters,
der dort als „Freiwilliger“ von
„weltwärts“ lebt und die herzliche
Gastfreundschaft genießt.
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Künstlermission
Erstmals hatte das NMZ Künstler aus Indien, Papua-Neuguinea und Deutschland zu einem
mehrwöchigen Künstleraustausch eingeladen.
Liebe Leserin, lieber Leser,
kaum ein Thema ist so umfassend, vielschichtig, komplex, aber
auch so sinnlich und vor allem existentiell, wie das Thema Essen und
Ernährung. So hat auch der Lutherische Weltbund das Thema in den
Mittelpunkt seiner diesjährigen Vollversammlung im Juli
gestellt. Auf dem begrenzten Umfang von 28 Seiten können wir
nur einen Bruchteil dessen abbilden, was zum Thema zu denken und zu sagen wäre. So wollen wir diesmal vor allem zeigen,
wie reich die Traditionen, wie vielfältig die Ernährungsgewohnheiten der Menschen weltweit sind – und wie groß die
Gastfreundschaft ist. Vor allem in Ländern des Südens scheint
sie ungebrochen, trotz der Erfahrung des Mangels. Ein Mangel,
der nicht dadurch entsteht, dass es an Kompetenz fehlt, sondern
weil etwa afrikanische Bauern das Geld nicht haben, um Dünger, Traktoren oder guten Samen zu kaufen. Im Gegensatz zu
uns können die meisten Länder des Südens nur einen geringen
Teil ihres Haushaltes in die Landwirtschaft stecken, da sie fast
alle Devisen für den Schuldendienst brauchen. Während bei
uns jährlich 30.000 neue Produkte von der Lebensmittelindustrie lanciert werden, leidet weltweit eine Milliarde Menschen an Hunger. Dabei gäbe es genug zu essen für alle – wenn
die Lebensmittel gerechter verteilt wären. Grundlegende Veränderungen in der Landwirtschaft wie die Stärkung von Kleinbauern, wären eine wichtige Maßnahme. Hier sind wir als
Konsumenten gefragt.
Wir können durch den Kauf von fair gehandelter und
umweltfreundlich produzierter Ware dazu beitragen, dass kleine Produzenten ein gutes Auskommen haben. Wir können je
nach Saison und Region einkaufen – und tun durch den Genuss
von schmackhaften, gesunden Produkten nicht zuletzt auch
uns etwas Gutes.
„Essen ist für das Volk der Himmel“ heißt es in China.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen den Himmel auf
Erden und eine anregende Lektüre
Ihre
Weg 16, 22605 Hamburg, Telefon 040/881 81-0, Fax -210, E-Mail: [email protected]
DRUCK, VERTRIEB UND VERARBEITUNG: Wachholtz Druck GmbH, Neumünster, JAHRESBEITRAG: 15,– Euro, SPENDENKONTEN: VR Bank eG, BLZ 217 635
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des Autors / der Autorin und nicht unbedingt die Ansicht des herausgebenden Werkes wieder. Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte redaktionell zu bearbeiten.
Gedruckt auf TCF – total chlorfrei gebleichtem Papier.
weltbewegt
3
Der globale Kochtopf
Frank Kürschner-Pelkmann
S
Grundnahrungsmittel auch in
El Salvador: Mais
Reisopfer im Gottesdienst
in Indien
4
weltbewegt
ie ist im Kochtopf angekommen, die Eine Welt. Avocadosuppe und Kängurukeule, Koriander und Langusten haben ihre festen
Plätze in Kochbüchern und Kochtöpfen erobert. In der Küche entfaltet die Globalisierung ihre schmackhafte Seite. Gut sortierte Küchenschränke und Kühlschränke enthalten Produkte, die in dreißig oder
vierzig Ländern zu Hause sind. Und
wer nicht selber kochen will, der hat
selbst in kleineren Städten die Auswahl zwischen chinesischen, italienischen und griechischen Restaurants.
Es hat mehrere Hunderttausend
Jahre gedauert, bis der Kochtopf global wurde. Lange vorbei die Zeiten,
als von Horde zu Horde die Erfahrung weitergegeben wurde, dass man
zähes Elchfleisch mit Salz zu einem
schmackhaften Gericht verarbeiten
kann. Später zogen Karawanen mit
Gewürzen aus Asien durch die Wüste
zum Mittelmeer und verkauften ihre
Kostbarkeiten zu Höchstpreisen. Und
in der Neuzeit erlebten die britischen
Eroberer in Indien überrascht, wie
köstlich gut gewürztes Essen munden kann. Alle Epochen der Menschheit und alle Völkerwanderungen
haben ihre Spuren in den Kochtöpfen
hinterlassen, und meist waren es sehr
wohlschmeckende Spuren.
Essen muss geteilt werden
Allerdings, es gab schon immer
unterschiedliche Kochtöpfe. Die
Kochtöpfe der Reichen waren mit
Köstlichkeiten gefüllt, die der
Armen blieben oft leer. Die aus der
Sklaverei geflüchteten Israeliten
erinnerten sich angesichts der kargen Kost in der Wüste an die
Fleischtöpfe Ägyptens. Davon hatten sie nur selten probieren dürfen,
aber gemessen an Hunger und Durst
in der Wüste waren selbst diese
wenigen Erinnerungen Anlass zu
Murren und Rebellion.
Es kamen bessere Zeiten, lesen
wir in der Bibel. Ein Linsengericht
war so köstlich, dass Esau sogar das
Erstgeburtsrecht dafür hergab. Später
konnten der Wanderprediger Jesus
und seine Schar von Jüngerinnen
und Jüngern sich gelegentlich ein
gutes Mahl leisten oder wurden als
arme Schlucker dazu eingeladen.
Dass es dazu auch einmal Wein gab,
brachte Jesus den Vorwurf ein, ein
„Fresser und Weinsäufer“ zu sein.
Jesu Botschaft war nicht ein Evangelium der leeren Kochtöpfe. Im
Gegenteil: Als er vor einer großen
Menschenmenge predigte und es
Abend wurde, sorgte Jesus dafür,
dass alle satt wurden. Die „Speisung
der Fünftausend“ zählt zu den eindrucksvollsten Schilderungen des
Neuen Testaments. Zum wunderbaren Geschehen gehört, dass die Menschen bereit waren, miteinander zu
teilen. Danach blieb sogar noch körbeweise Essen übrig. Dass Essen eine
Gemeinschaft stärken kann, wurde
beim letzten Mahl Jesu und seinen
Jüngern unübersehbar deutlich.
Schwerpunkt
Eine Botschaft Jesu lautete: Gutes
Essen sollen nicht exklusiv einige
Wenige genießen, wie es im Römischen Reich gar zu oft der Fall war.
Selbst von den Hecken und Zäunen
sollten Gäste zum Festmahl geladen
werden. Dieses gute Mahl wurde mit
dem Reich Gottes verglichen. Aber
wer den Armen nicht einmal die Brosamen vom Tisch zukommen lässt,
der schließt sich selbst aus jener
Gemeinschaft aus, die Gott gestiftet
hat. Das Gebet Jesu für das tägliche
Brot ist Ausdruck der Hoffnung, dass
alle satt werden sollen.
Fotos: B. Fünfsinn (1), C. Kienel (1), C. Plautz (1), Illustrationen: C. Wenn
Warum noch immer Menschen hungern
Heute, im Zeitalter der Globalisierung, sind die Zusammenhänge
rund ums Essen kompliziert geworden. Das Kalb, dessen zartes Filet
man gerade genießt, ist vielleicht
mit Soja aus Brasilien gefüttert worden. Dort werden dafür Urwaldflächen gerodet. Der knackige Salat
stammt aus Südspanien, wo er unter
Einsatz großer Wassermengen
wächst. Die Übernutzung des
Grundwassers trägt dort dazu bei,
dass Südspanien zur ersten Wüste
Europas zu werden droht. Die leckere Avocado hat eventuell schon
einen Langstreckenflug hinter sich,
zum Schaden des Klimas.
Die hiesigen Essgewohnheiten
haben direkte Auswirkungen auf die
Menschen im Süden der Welt. Weil
hier vor allem die Brust und die Flü-
gel von Hühnern gefragt sind, werden die übrigen Teile der Tiere nach
Westafrika exportiert und dort sehr
billig verkauft. Das hat katastrophale
Auswirkungen für die dortigen Tierzüchter, weil sie ihre Absatzmärkte
verlieren. Verheerend sind auch die
Folgen eines exzessiven Fleischkonsums in einer wachsenden Zahl von
Ländern der Welt. Damit ein Tier ein
Kilogramm Fleisch ansetzt, benötigt
es als Futter etwa sieben Kilogramm
Getreide. Das treibt die weltweiten
Getreidepreise in die Höhe und führt
dazu, dass immer mehr wertvolle
Ackerflächen für die Erzeugung von
Viehfutter genutzt werden.
Gleichzeitig ist das gegenwärtige
globale Ernährungssystem von einer
gigantischen Verschwendung geprägt:
Bei uns wird jedes fünfte Brot weggeworfen und Lebensmittel im Wert
von 500 Millionen Euro im Jahr landen im Abfall. Was nicht rasch zu
verkaufen ist, wird „entsorgt“. Inzwischen holen die vielerorts entstandenen „Tafel“-Initiativen wenigstens
einen kleinen Teil dieser Nahrungsmittel ab und verteilen sie an Arme.
Inmitten einer Welt des Überflusses leidet eine Milliarde Menschen
auf der Welt Hunger. Dabei gäbe es
genug zu essen für alle – wenn die
Lebensmittel gerechter verteilt wären.
Aber in den Kochtöpfen zeigen sich
heute die krassen Unterschiede zwischen Arm und Reich auf der Welt.
Deshalb gehört es zu den Protestformen im Süden der Welt, dass Frauen
auf leere Kochtöpfe schlagen und so
lautstark durch die Geschäftsviertel
der Reichen ziehen.
Damit alle Menschen mittags aus
vollem Herzen und vor einem vollen
Teller „Mahlzeit“ sagen können, sind
grundlegende Veränderungen in der
weltweiten Landwirtschaft erforderlich. Besonders wichtig ist die Förderung von Kleinbauernfamilien. Die
meisten Hungernden leben auf dem
Lande. Sie besitzen so kleine Äcker
und Weiden, dass sie von der Ernte
nicht leben können. Sie brauchen
mehr Land, bessere Landwirtschaftsberatung und angemessene Preise für
ihre Produkte. In vielen Ländern hat
sich gezeigt, dass eine ökologisch verantwortungsbewusste Produktion
nicht nur der Natur nützt, sondern
auch Ernten und Einnahmen der
Bauernfamilien vergrößert.
Demgegenüber erweist sich die
Gentechnik in der Landwirtschaft als
Sackgasse. Entgegen aller Propaganda wurden die genveränderten Pflanzen nicht selbstlos für die Armen der
Welt entwickelt, sondern dafür, dauerhaft lukrative Geschäfte zu machen.
Die Bauern werden von dem genveränderten Saatgut der großen Agrarkonzerne abhängig, statt weiter ihr
bewährtes lokales Saatgut zu nutzen.
Unternehmen wie Monsanto sichern
sich weltweit die Patentrechte an
Saatgut und genveränderten Tieren.
Monsanto versucht nach Angaben
von Greenpeace gegenwärtig sogar,
Patente auf Schinken und Schnitzel
zu erlangen, wenn die Tiere mit Gengetreide gefüttert wurden.
weltbewegt
5
Die Globalisierung der Wirtschaft
kann sich auch bei uns negativ auf
die Ernährung auswirken. Dies gilt
besonders für die wachsende Zahl
armer Haushalte. Fast jedes zweite
Kind aus Familien mit geringem
Einkommen geht morgens ohne
Frühstück in die Schule. Aber auch
in vielen wohlhabenden Kreisen fallen gemeinsame Mahlzeiten der
Familie immer öfter aus, weil alle
im Stress sind und weil es keine
gemeinschaftliche Esskultur mehr
gibt.
Die Wirtschaftskrise der letzten
Jahre hat sowohl Discountern wie
Lidl und Aldi, als auch FastfoodKetten wie McDonald’s höhere
Marktanteile gesichert. Nur noch elf
Prozent des Haushaltseinkommens
werden in Deutschland für das Essen
ausgegeben, in der Nachkriegszeit
war der Anteil mehr als vier Mal so
hoch. Das geht zulasten der Qualität
der Lebensmittel und zulasten der
nur noch an möglichst niedrigen
Kosten ausgerichteten Tierhaltung.
Bedenklich auch, dass die Zahl der
Deutschen sinkt, die kochen können
– und das trotz aller Kochsendungen
im Fernsehen.
„Functional Food“, das war hierzulande vor wenigen Jahren noch ein
unbekannter Begriff. Inzwischen
sind diese Produkte in den meisten
Supermärkten zu finden. Die Lebensmittelindustrie verspricht, dass man
6
weltbewegt
beim Essen auch gleich etwas für
seine Gesundheit tun kann: Probiotischer Joghurt beugt einem Herzinfarkt vor, mit bestimmten Vitamindrinks vermindert man das Krebsrisiko, Hormonbrot hilft gegen die
Beschwerden der Wechseljahre und
selbst ein Anti-Aging-Bier ist im
Angebot. Teurer sind solche Produkte auf jeden Fall. Dass sie irgendeine
der versprochenen Wirkungen erzielen, bezweifeln viele Ernährungswissenschaftler. Sie empfehlen, weiter
auf die positiven Wirkungen von
Obst und Gemüse zu vertrauen. Dennoch, der Absatz des „funktionalen“
Essens boomt – ein Zeichen dafür,
wie erfolgreich Werbung sein kann.
ebenso vorteilhaft ist wie für die
eigene Gesundheit.
Die Verfechter von „Slow Food“
setzen sich dafür ein, Essen nicht
herunterzuschlingen, sondern es sich
auf dem Gaumen zergehen zu lassen.
Gefragt ist eine neue Kultur des
Kochens und genussvollen und
zugleich gesunden Essens. Dann
können wir uns mit noch mehr Überzeugung einen guten Appetit wünschen und unserem Schöpfer für das
köstliche Mahl danken.
Fair, langsam und gut
Also, nur noch verzweifelt im Kochtopf herumrühren und über die
Schlechtigkeit der Welt klagen? Mitnichten. Es gibt viele einfache
Schritte, um schmackhaft zu essen
und dabei zugleich die Umwelt zu
schonen und den Produzenten ein
gutes Auskommen zu sichern. Frische Ökoprodukte aus der Region
zu kaufen, ist inzwischen eine Maxime vieler Verbraucherinnen und
Verbraucher. Ebenso kaufen viele
nur noch Obst und Gemüse der Saison. Fair gehandelte und umweltfreundlich produzierte Güter aus
dem Süden der Welt erleben wachsenden Zuspruch. Und viele sehen
ein, dass eine Verminderung des
Fleischkonsums für das Klima
Fotos: C. Kunze (1), C. Palutz (1), Illustrationen: C. Wenn , Sarah Wiener Stiftung (2)
Billig und schnell – die hiesigen Ernährungstrends
Schwerpunkt
„Abbild der
Gesellschaft“
Interview mit der Köchin und
Gastronomin Sarah Wiener
Ulrike Plautz
Sie sind seit über 20 Jahren Köchin
und betreiben heute drei Restaurants und einen Event-Catering Service in Berlin. Was lieben Sie am
Kochen?
Ich mag einfach das Handwerk. Ich
liebe es, Zwiebeln anzufassen oder
Karotten und Auberginen. Die
Zubereitung von Mahlzeiten hat
etwas sehr, sehr Sinnliches. Dazu
kommt, dass ich anderen und
schließlich auch mir selbst etwas
Gutes tun kann und dann bekommt
man für sein Essen auch noch Anerkennung und Liebe. Das ist doch
wunderbar!
Sie nutzen Ihren Einfluss als Köchin
und setzen sich in der Öffentlichkeit
für eine gute und gesunde Ernährung ein. Was verstehen Sie darunter?
Im Grunde geht es doch darum,
wieder ein natürliches Verhältnis
für gute, nahrhafte Produkte zu
bekommen. Dafür möchte ich Menschen sensibilisieren und ihr
Bewusstsein schärfen. Das bedeutet,
unabhängig zu werden von der
Lebensmittelindustrie, die unsere
Geschmacksnerven inzwischen so
weit beeinflusst, dass Verbraucher
zu dem Schluss kommen, unverarbeitete Nahrung schmeckt nicht.
Das ist doch Unsinn! Naturbelassene Produkte haben ihren Eigengeschmack, brauchen keine künstlichen Aromen; sie sind vor allem
gesünder, weil sie das enthalten, was
wir erwarten und was der Köper
braucht. Natürlich hat sich die ökologische Landwirtschaft auch große
Verdienste in Aufzucht und Anbau
erworben. Trotzdem muss man
nicht immer Bio-Produkte kaufen.
Wenn ich den Bauern aus der Nachbarschaft kenne und weiß, wie er
seine Produkte anbaut und seine
Tiere behandelt, dann wäre es doch
unsinnig, Biotomaten aus Spanien
zu kaufen.
Was kritisieren Sie an der Lebensmittelindustrie?
Die Industrie ist letztlich an der
eigenen Gewinnmaximierung interessiert und nicht primär am Vorteil
für den Verbraucher durch Qualität,
Gesundheit und Transparenz. Sie
verarbeitet viele Produkte so stark,
dass vielfach nur noch Unmengen
von Kalorien enthalten sind und sie
kaum Nährwert haben. Die Werbung arbeitet mit leeren Versprechen, gaukelt Bilder vor, die der
Realität nicht entsprechen. Auch die
Behauptung, dass Fertigprodukte
billiger seien, stimmt natürlich
nicht. Es muss alles mit bezahlt werden wie Aufzucht, Anbau, Löhne,
Verpackung, Transport und Werbung. Wenn man Nahrungsmittel
zu immer tieferen Preisen anbieten
möchte, dann geht das letztlich nur
auf Kosten der Qualität. Der Qualität der Tiere, des Bodens des Bauern
und des Produktes. Das ist völlig
widernatürlich - und letztlich
respektlos gegenüber dem Lebensmittel. Verbraucher können aber
auch bewusst gegensteuern. Wenn
ich mein Obst und Gemüse nur aus
der Region esse, stärke ich meine
unmittelbaren Nachbarn, die Kleinbauern und die Biodiversität.
Gleichzeitig habe ich damit eine
große Kontrolle, was ich da eigentlich kaufe.
Was fehlt unserer Esskultur?
Die Wertschätzung der gemeinsamen Mahlzeit und der Lebensmittel. Wenn Menschen auf der
Straße eilig große Happen Fertignahrung herunterwürgen und
manchmal gar nicht wissen, was sie
in sich hineinstopfen, kann es mit
unserer Esskultur nicht weit her
sein. Essen ist für mich auch immer
ein Abbild der Gesellschaft. Hinter
mangelnder Achtsamkeit auf das,
was ich esse, steckt doch oft auch
eine geringe Wertschätzung meines
eigenen Körpers.
Ich bin überzeugt:
Du bist, was Du
isst.
Sarah Wiener mit
Kindern aus einem
ihrer Kochkurse
Wie kommt es zu
der mangelnden
Achtsamkeit?
Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Die
Infrastruktur ist
ein wichtiger Faktor in jeder (Koch-)
Kultur. Heute, wo
Nahrung in unweltbewegt
7
Wodurch wird das Essverhalten
noch geprägt?
Das Klima spielt natürlich eine
große Rolle. Wir beziehen zum Beispiel unser tierisches Protein vom
Fleisch großer Haus(nutz)tiere. In
anderen Ländern, wo es diese Nutztiere nicht gibt, essen Menschen
andere tierische Eiweißspender wie
Heuschrecken oder Maden.
Sie betonen oft die Wichtigkeit der
gemeinsamen Mahlzeit. Warum?
Das gemeinsame Essen stabilisiert
menschliche Beziehungen und verbindet Generationen miteinander.
Es ist Ausdruck von Bodenständigkeit und gliedert gleichzeitig den
Tag, in vielen Kulturen sogar das
Leben mit seinen Fest- und Fastentagen . Das gemeinsame Mahl kann
auch etwas Tröstliches haben in
8
weltbewegt
einer Welt, die immer schneller und
unübersichtlicher wird.
Sie kochen auch mit Kindern und
haben, eine Stiftung ins Leben gerufen, um Kindern eine gute Ernährung und das eigene Kochen wieder
nahe zu bringen. Was begeistert
Kinder am Kochen?
Kinder sind grundsätzlich sehr
begeisterungsfähig. Alles Sinnliche
spricht sie an. Gemeinsam zu
kochen ist aber auch ein sozialer
Akt. Es hat mit Kommunikation
und der Bereitschaft zu teilen zu
tun. Darüber hinaus fördert es die
Feinmotorik. Kinder lernen beim
Kochen mehr als nur die Zubereitung von Speisen. Sie stärken ihr
Selbstvertrauen und ihre Kreativität. Darüber hinaus schulen sie den
Geschmack, und das Essverhalten
der Kinder verändert sich im günstigsten Fall. Was sie selbst gekocht
haben, schmeckt viel besser. Kinder,
die nur Spaghetti und Pizza kannten, lernen auch Artischocken und
Mirabellen kennen und lieben.
Kochen kann auch eine spannende
Reise in ein genussvolles, unbekanntes Land sein.
Wie können Menschen ihr Essverhalten ändern - was sollten sie
beachten?
Meine wichtigste Empfehlung lautet: Selber kochen! Man muss dabei
ja nicht immer den großen Zampano machen. Es reicht ja durchaus,
Kartoffeln mit Quark und vielleicht
noch etwas Salat anzurichten. Einfach mal kochen, was einem schon
immer geschmeckt hat. Beim Einkauf sollten Verbraucher umsich-
tiger einkaufen, die Etiketten genau
lesen, auf Herkunft und Produktionsbedingungen achten. Der billige
Preis, den ich in meiner Geldbörse
unmittelbar spüre, hat meist noch
einen anderen höheren Preis, den
die Umwelt, die Tiere oder die
Gesellschaft zahlen müssen. Ich
empfehle, regional und saisonal
einzukaufen – also zum Beispiel
keine Erdbeeren im Winter. Konsumenten müssen auch aushalten, dass
nicht immer alles zur Verfügung
steht. Ich plädiere dafür, inne zu
halten und der eigenen Gier zu
misstrauen. So paradox das klingen
mag: Zum Genuss gehört auch der
Verzicht. Das kann wiederum ein
großer Gewinn sein – nicht nur für
uns.
Sarah Wiener (47) lernte im Restaurant ihres
Vaters und machte sich 1990 als Köchin mit
einem Crew-Catering selbständig. 1999 eröffnete sie in Berlin ihr erstes Restaurant.
Inzwischen betreibt sie drei Restaurants und
einen Event-Catering-Service mit mehr als
100 Mitarbeitern. Bundesweit bekannt wurde sie durch Fernsehserien und als Buchautorin. Sarah Wiener engagiert sich für artgerechte Tierzucht, ist Schirmherrin der Aktion
„Haushalt ohne Genfood“ und Botschafterin
für Biolandbau. Mit ihrer 2007 gegründeten
Sarah Wiener Stiftung „Für gesunde Kinder
und was Vernünftiges zu essen“ vermittelt
sie Kindern praxisnah ein Bewusstsein für
gesunde Ernährung.
Fotos: C. Plautz (1), bilderbox.com (1), C. Wenn (1), Illustration: C. Wenn (1)
seren Breitengraden kaum etwas
kostet, setzen viele Menschen andere Prioritäten und sind überfordert,
sich auch noch mit einer ausgewogenen Ernährung zu beschäftigen.
Es gibt aber auch kulturhistorische
Gründe. Die Menschen im Norden
waren eben stark durch den asketischen Calvinismus geprägt, wo
Arbeit hoch geschätzt wurde und
Essen nur dazu diente, den Motor
am Laufen zu halten. Frankreich
zum Beispiel hat dagegen eine ganz
andere Geschichte. Als Folge der
französischen Revolution gab es
schlagartig viele arbeitslose Köche
aus den Adelsfamilien. Sie gründeten zum Überleben Restaurants und
prägten auf diese Weise die Esskultur. Aber Kulturen ändern sich zum
Glück auch ständig.
Schwerpunkt
Mamaligutza!
Jutta Weiß
N
ein, ein Essen für ein Buffet ist
es nicht, wovon ich hier erzählen will. Es sieht nicht sonderlich
attraktiv aus: etwas gelblicher als
Griesbrei. Aber ist der Name nicht
vielversprechend: Mamaligutza! ?
Für zwei Wochen hatte es mich in
Rumänien wirklich aufs Dorf verschlagen: Als der Bus von der Hauptstraße abgebogen war, keuchte er 15
Kilometer durch die Schlaglöcher
eines Feldweges. Schließlich spie er all
die Menschen aus, die drei- und vierfach auf den Sitzen gehockt hatten. Es
goss in Strömen.
Ich wollte in diesem Dorf am Ende
der Welt teilnehmen an einem Sommercamp der orthodoxen Studentengemeinde. 14 Tage lang spielten wir
tatsächlich mit den Kindern des Dorfes, gestalteten ein Ferienprogramm
für sie, sangen, tanzten, bastelten: 24
junge Menschen voller Ideale und ich,
die ich hätte die Mutter dieser jungen
Leute sein können. Dennoch ließen
sie mich mit ihnen in einem der Zelte
schlafen. Und ich erlebte ein paar Tage
lang, wie die Studentinnen in kleinen
Gruppen die hungrige Meute mit
Essen versorgten: Neben der Kirche
auf dem Berg kochten sie in einem
Häuschen auf einer Feuerstelle. Wasser schleppten sie mit Eimern vom
Fuße des Berges dorthin. Morgens,
mittags und abends wurde hier mit
richtigem Hunger gegessen: am liebsten zweimal am Tag warm!
Schließlich kam die Reihe zu
kochen auch an mich: Ich zog mich
aus der Affäre, indem ich Nudelsalat
herstellte. Das kannten sie überhaupt
nicht. Ich hatte dazu Gemüse-Konserven aus der Stadt mitgebracht.
Es war ein Erfolg. Nach dem ersten
staunenden: Was ist denn das?, nach
dem ersten Kosten, verschwand der
Nudelsalat in Windeseile, und es war
ein Essen voller Aufgeregtheit: Etwas
Exotisches war auf den Tisch gekommen.
Ich war erleichtert, dass eine Studentin mit Bestimmtheit erklärt hatte,
sie wollte mir beim Abendessen helfen: Sie würde Maisbrei kochen. Mir
stand noch das Mittagessen für den
kommenden Sonntag bevor. Und ich
erlebte, dass es Knochenarbeit ist, für
24 ausgehungerte Jugendliche auf
einer Feuerstelle zu kochen und viele
Male das Wasser heranzuschleppen.
Während ich Vorbereitungen für
das sonntägliche Essen startete, be-
gann die Studentin mit großer Ruhe,
den runden Topf voller Wasser über
die Feuerstelle zu hängen. Ein spezieller Topf für Maisbrei ist üblich in
den Häusern dieser Gegend. Ich
bemerkte kaum, wie der Mais quoll.
Die junge Frau hatte ihn offensichtlich schon viele, viele Male bereitet:
Maisbrei, das Nationalessen der Moldauer. Und dann kam auch noch eine
Bäuerin aus dem Dorf vorbei und
brachte wie selbstverständlich zwei
Liter Milch.
Die Hungrigen stürmten heran.
Bevor sie auf den kargen Holzbänken
Platz nahmen, sprachen sie das Vaterunser. Dann wurde der Maisbrei ausgegeben, die Milch gereicht.
Und mit einem Male breitete sich
eine Stille in dem viel zu engen Raum
aus, die mich völlig überraschte und
zugleich sehr ergriff. Wie anders
saßen meine Freundinnen und Freunde jetzt vor ihren Tellern als mittags
beim Nudelsalat. Mit andächtig
gebeugtem Nacken löffelten sie still
den Maisbrei, nachdem sie den Löffel
zuvor in die Milch getaucht hatten.
Für einen Moment war mir, als sähe
ich bei ihnen ihre Großmütter und
Großväter sitzen, ganz in derselben
Haltung. “Mamaligutza“, der zärtliche Name für ein Essen, das es in
vielen moldauischen Häusern sicher
täglich gibt, wenn die Ernte denn gut
war. Ich meinte, die Ehrfurcht geradezu riechen zu können vor der Tatsache, dass der Topf mit dem Brei so gut
gefüllt war. Und dann sogar Milch!
Ehrfurcht von Generationen. Ein heiliges Essen! Mamaligutza! Nein, es
gehört nicht auf den Tisch eines Buffets! Aber es stillt einen Hunger, der
schwer beschreibbar ist.
Jutta Weiß, Pastorin
in Kiel, war bis
Oktober 2009
Referentin für
Ökumenische
Spiritualität des NMZ
im Christian Jensen
Kolleg, Breklum
weltbewegt
9
Wie wird der Tee zum Tee?
Chinesische Impressionen
Katrin Fiedler
E
ssen ist für das Volk der Himmel“, sagt eine chinesische
Redensart. Und wer in China reist,
glaubt dies schnell. Ein unsichtbarer
Reis-Nudel-Äquator teilt das Land
und schafft bereits bei der Hausmannskost eine unübersichtliche
Vielfalt: Im Westen wandern Buchweizen, im Norden Weizen und im
Süden Reisprodukte in die Essschalen; hinzu kommen regionale Spezialitäten, die von Algensuppe über
Wildkräuter bis zu zappelfrischen
Fischen reichen.
Reisanbau in
Guangxi
10
weltbewegt
Acht große Regionalküchen kennen die Chinesen, aus deren Hunderten von Zubereitungsformen es ungefähr acht nach Deutschland geschafft
haben. Wer sich nach dem Besuch
des einen oder anderen deutschen
Chinarestaurants aufmacht, ist auf
das kulinarische China so gut vorbe-
reitet wie ein Italienreisender nach
seiner ersten Dose Ravioli.
Insbesondere den Kantonesen
sagt man nach, „alles zu essen, was
Beine hat, außer dem Esstisch, und
alles, was Flügel hat, außer Flugzeugen“. So führt der jüngste Wohlstand
auch zu experimenteller Kreativität
im Spannungsfeld zwischen neuen
Geschmackserlebnissen und Geschäftsgelegenheiten: Ob Ameisensaft in der Dose, Maisbonbons oder
Fünf-Geschmacks-Erdnüsse – wo ein
Wille ist, da ist auch ein Markt. Geradezu klassisch mutet dagegen die in
den letzten Jahren sehr populäre
Schildkröte an, die man dem Ehrengast, in ihrer klaren Brühe treibend,
zur privilegierten Verkostung vorsetzt.
Die unter Kadern und städtischen
Neureichen mancherorts bereits ausufernde Bankettkultur ist auch ein
Produkt jahrzehntelanger Mangelernährung. Trotz massiver Fortschritte
im Bereich der Ernährungssicherung
sind Schätzungen zufolge immer
noch zehn Prozent der chinesischen
Bevölkerung unterernährt. Auch
langfristig wird Ernährungssicherung für China ein Thema bleiben,
denn das Land verfügt nur über sieben Prozent der Welt-Anbaufläche,
um damit 22 Prozent der Weltbevölkerung zu ernähren. Neben der
gesteigerten landwirtschaftlichen
Produktivität sind es daher im
Moment vor allem auch Agrarimporte, die die Ernährung im Riesenreich
sicherstellen. Jahr für Jahr fallen weitere Ackerflächen der Verwüstung
im Norden sowie der Industrialisierung zum Opfer. Die Angst vor dem
Verlust von Ackerflächen hat bereits
dazu geführt, dass Erdbestattungen
– die in China nicht auf Friedhöfen,
sondern als Einzelbestattung nach
Feng-Shui-Kriterien stattfinden –
von der Regierung ungern gesehen
werden. Handtuchgroß sind zum Teil
die Parzellen, aus denen sich die
„Ackerfläche“ von Familien in vielen
Bergdörfern zusammensetzt.
Geboren sind daher die „typisch
chinesischen“ Eigenarten der Küche
auch aus der Not. Da Brennmaterial
knapp ist, werden die Zutaten zuvor
in Stücke gehackt und dann nur noch
kurz im Wok, „pfannenrührend“,
gegart; wer keinen Sonntagsbraten
zerschneiden muss, kommt mit Holzstäbchen prima zurecht und wo die
landwirtschaftlichen Überschüsse
nicht zur Aufzucht von Vieh reichen,
plündert man seit Jahrhunderten die
Wildbestände. Vor allem im ländlichen China lautet bis heute der höfliche Gruß: „Hast du schon gegessen?“
Grenzen zwischen Nahrung
und Medizin sind fließend
Befördert wurde die Herausbildung
der monumentalen chinesischen
Esskultur auch durch die philosophischen Grundlagen der chinesischen Medizin. Wo „Gesundheit“
Fotos: Deutscher Teeverband (1), NMZ-Bildarchiv (1), A. Knuth (1), Illustration: C. Wenn
Von Ameisensaft
bis Zimtblütenfisch
Und was trinkt man zum Essen? Regionaler
Tee gehört zu einem chinesischen Bankett
wie der örtliche Wein in manchen Regionen
Deutschlands: blumiger Jasmintee im Norden, erdiger Schwarztee in der Provinz Anhui,
eleganter Drachenbrunnentee am Westsee,
pfirsichartige Wulongtees an der Südküste…
Teekultur hat eine lange Geschichte in China.
Bereits im 8. Jahrhundert n. Chr. verfasste der
Connaisseur Lu Yu den Klassiker zum Tee,
das „Chajing“, und legte damit die Grundlagen der chinesischen Teekultur.
Bis ins 9. Jahrhundert n. Chr. lässt sich okzidentaler Handel mit chinesischem Tee nachweisen. Zum eigentlichen Exportschlager
Schwerpunkt
Schwerpunkt
wurde er aber erst über die neuzeitlichen
Handelswege. Den unterschiedlichen Einfallspunkten, über welche die ausländischen Handelsgesellschaften dabei mit China in Kontakt
kamen, verdanken wir noch heute die beiden
großen Wortstämme für das Wort „Tee“ in den
verschiedenen Weltsprachen. Dort, wo man
und „Körper“ mit demselben Wort
– shenti – bezeichnet werden, wird
der Ernährung als Quelle der
Gesundheit besondere Bedeutung
beigemessen. Die Grenzen zwischen
Nahrung und Medizin sind fließend, auch wenn chinesische Hausfrauen und -männer nicht nach den
Prinzipien der “Fünf-ElementeKüche“ kochen – ein Begriff, den
man in China selbst nie hört. Aber
selbstverständlich werden in vielen
Haushalten Nahrungsmittel in
„heiße“ und „kalte“ Speisen eingeteilt. In dem Zusammenhang ist
nicht ein Aggregatzustand gemeint,
sondern Substanzen, die den Körper
wärmen, beziehungsweise kühlen.
Manche Wohnungen durchzieht
auch der strenge Geruch einer Suppe
zur Stärkung der weiblichen Körperfunktionen. Bei bikulturellen
Paaren wundern sich - laut Studie die nicht-chinesischen Ehepartner
anfangs des öfteren über die „seltsamen Zutaten im Kühlschrank“.
Über die medizinische Bedeutung
hinaus wird Gerichten oft auch ein
symbolischer Gehalt zugeschrieben.
So sollte man an der Küste während
des Essens nie den Fisch auf der Servierplatte umdrehen, um nicht das
Kentern des nächsten Fischerboots
zu provozieren. Süße Reisbällchen
verkörpern zum chinesischen Neujahr die Einheit der versammelten
Familie und gehören auf jeden
Esstisch; am Vorabend zu Neujahr
sollte auf jeden Fall Fisch (yú) geges-
Tee über zentralasiatische Handelswege
bezog, kannte man ihn unter dem nordchinesischen Begriff „chá“, woraus sich das russische, türkische und persische „chai“ in ihren
unterschiedlichen Schreibweisen ableiten.
Wo hingegen der Tee zunächst über die
Hafenstadt Xiamen bezogen wurde, setzte
sich der Begriff „Tee“ beziehungsweise „tea“
durch – abgeleitet vom Begriff „tê“, der im
örtlichen südchinesischen Dialekt das Getränk
bezeichnet. So trat „thee“ im Gepäck der
Dutch East India Company seinen Siegeszug
um die Welt an (und fand zum Beispiel über
den Umweg des Kolonialismus seinen Weg ins
Afrikaans), während die mit dem kantonesischsprachigen Macao handelnden Portugiesen bis heute „chá“ trinken.
sen werden, der Überfluss verspricht
(ebenfalls yú), und an Geburtstagen
verheißen langgezogene Nudeln ein
langes Leben.
Trotz der Exotik so mancher
Zutat ist für viele Ausländer im chinesischen Alltag das einfache Frühstück am schwierigsten zu bewältigen. Mit Wasser zubereiteter Reisschleim und dazu sauer eingelegtes,
kaltes Gemüse spiegeln die ländlichen Wurzeln der Küche wieder. In
Armutsgebieten müssen Menschen
zum Teil bis heute mit zwei gestreckten Mahlzeiten auskommen und
durch Einlegen konserviertes Gemüse stellt im Winter eine wichtige Vit-
Schriftzeichen
für „Tee“
aminquelle dar. Umso wichtiger ist
daher allen Chinesen die sorgfältige
Zubereitung der jeweils zur Verfügung stehenden Zutaten, ob es sich
dabei um ein pochiertes Ei oder
geschmorte Froschschenkel handelt.
Wenn, wie Soziologen sagen, Kulturen sich durch Ekelgrenzen unterscheiden dann sind die Grenzen in
China sehr, sehr weit gezogen. Wer
bereit ist, sich auf Ameisensaft und
Zimtblütenfisch einzulassen, darf
sich zugehörig fühlen, ob als chinesischer Inländer in der Nachbarprovinz oder als ausländischer Gast.
Màn màn chi – guten Appetit – oder
wörtlich: Iss’ langsam!
weltbewegt
11
Kochen ist auch
Männersache
Kulinarische Eindrücke aus Orissa/Indien
S
Anna-Katharina
Chand mit ihrer
Wasserträgerin
Niru
12
weltbewegt
zenen aus dem Dorf:
Zwei Nachbarinnen
halten Small-Talk auf der
Straße: “Bist Du schon mit
Kochen fertig?“ „Welches
Curry hast Du denn heute
gekocht?“ Über das Wetter
wird sich nicht unterhalten.
Nach einigen Tagen
kommt der Sohn wieder,
die Mutter fragt zuerst
besorgt, was er denn in dem
anderen Dorf zu Essen
bekommen hat.
Um 13 Uhr kommen
Bekannte aus einem Nachbardorf zu Besuch, eigentlich wollten sie nur kurz
vorbeischauen, außerdem
haben sie zuhause schon
gegessen. Trotzdem werden
sie genötigt, zum Mittagessen zu bleiben. Erst als sie
gegessen haben, ziehen sie
weiter. Die Hausfrau kocht
danach für die eigene Familie noch einmal. Heute gibt es eben
erst um 15 Uhr Mittagessen.
Essen spielt in Indien eine große
Rolle, allein auch schon deshalb, weil
die Zubereitung des Essens viel Zeit
in Anspruch nimmt. Es gibt, zumindest auf den Dörfern, kein Fastfood,
und so kann die Zubreitung einer
Mahlzeit mindestens zwei Stunden
dauern.
Die Mahlzeit besteht aus Reis, als
Sauce Linsen, dazu als Beilage gebratenes Gemüse, das als Curry bezeichnet wird. Das Gemüse ist natürlich
scharf, gewürzt mit Chili-, Gelb-
wurzpulver und eben Garam Masala,
der Gewürzmischung, die wir in
Deutschland als Curry bezeichnen.
Das Garam Masala stellt jede Hausfrau selbst her und kann daher von
Familie zu Familie unterschiedlich
schmecken. Mittlerweile gibt es das
Gewürz aber auch hier schon fertig
zu kaufen.
Auf dem Dorf kochen die meisten
Familien auf Feuerholz, welches in
mühsamer Arbeit gesammelt werden
muss. Dafür werden oft weite Wege
zurückgelegt, da das Holz immer
knapper wird. Das ist die einzige
Gelegenheit für Frauen, in die alten
Jeans ihres Mannes zu schlüpfen,
damit sie so, vor Dornen geschützt,
in die Berge ziehen können, um Holz
zu schlagen. Langsam halten auch
Kerosin-, Gas- oder Elektroherd Einzug, aber Feuerholz ist der günstigste,
wenn auch mühsamste Weg, um zu
kochen. Gegessen wird zwei bis drei
Mal täglich. Also wird auch zwei Mal
täglich gekocht. Zum Frühstück gibt
es entweder den Reis vom Vorabend,
Hirsebrei oder seltener, in Öl gewendete Weizenfladen.
Grundsätzlich wird mit der rechten Hand gegessen, die linke Hand
gilt als unrein. Der Reis, die Linsen
und das Gemüse lassen sich auch zu
schönen Bällchen formen, die ein
besonderes Geschmackserlebnis versprechen. Wenn kein Geld da ist, um
Gemüse zu kaufen oder auch im heißen Sommer, wird der Reis mit Wasser, Salz, grünen Chilischoten und
Anna-Katharina Chand ist
Krankenschwester und lebt
seit 2008 wieder in Litiguda,
zusammen mit ihrem Mann,
der dort als Pastor tätig ist.
rohen Zwiebeln gegessen. Den Reis
gibt es nicht fertig abgepackt zu kaufen, sondern er kommt aus eigener
Ernte. Er muss dann entweder selbst
gemahlen werden oder wird neuerdings auch zur Mühle gebracht, um
ihn von der Schale zu befreien. Bevor
der Reis gekocht werden kann, muss
er noch von Steinen und manchmal
auch von Würmern befreit werden.
So sieht man am Nachmittag Frauen
in Gruppen vor den Häusern sitzen
und jede ist damit beschäftigt, ihren
Reis zu säubern.
Früher wurden die Lebensmittel
wie Linsen, Mehl, Zucker in vorgefaltetes Zeitungspapier gepackt. Dies
hat sich aber schon innerhalb der
letzten fünf Jahre geändert: Alles
wird in Plastiktüten verpackt, was
natürlich ein Problem darstellt, wenn
es keine Müllabfuhr gibt.
Es gibt ein Schönheitsideal,
zumindest auf dem Dorf, nicht unbedingt dünn zu sein, da Dünnsein für
die Menschen hier immer mit
Fotos: E. v. d.heyde (1), E. Hofmann (1), Illustration: C. Wenn
Anna Katharina Chand
Junge in Litiguda
Feiern, wenn der erste Reis
kommt
Kranksein zusammenhängt. Sieht
man einen Menschen nach langer
Zeit wieder, so unterhält man sich
erst darüber, ob dieser nun zu- oder
abgenommen hat. Wenn man dann
direkt zu hören bekommt: “Du bist
aber dicker geworden”, ist dies nicht
beleidigend, sondern durchaus als
Kompliment gemeint.
Langsam stellen sich aber viele
die Frage, warum gerade die sechs
beleibteren Leute im Dorf in den letzten Jahren an Diabetes mellitus
erkrankt sind.
Auf dem Dorf gibt es nur frisches
Gemüse. Dosen oder fertig geschnittenes Gemüse aus der Tiefkühltruhe
gibt es nicht. So ändert sich der
Speiseplan je nach Ernte- und Jahreszeit. Dass die Ernte dabei jedes
Mal gut ausfällt, ist nicht selbstverständlich. Sobald die ersten Früchte
oder das Gemüse heranreifen, wird
dieses als Dank innerhalb eines
Gottesdienstes zum Altar gebracht.
Selbst wenn eine Kuh das erste Mal
Milch gibt oder eine Henne das erste
Mal ein Ei legt, werden diese Produkte als Dank in die Kirche
gebracht. Bevor der erste Reis nach
der Ernte gegessen wird, sitzt die
Familie zusammen, betet gemeinsam und isst dann den ersten Reis in
der Form von süßem Milchreis. In
Orissa gibt es sogar einen regionalen
Feiertag, um den frisch geernteten
Reis zu essen. Auch die beginnende
Mangozeit wird unter den Christen
feierlich an Ostern begonnen. So
verspeisen die Frauen ihre Mangos,
nachdem sie ein Bad genommen
haben, am Fluss.
Essen ist lebensnotwendig, aber
um sich auf andere Dinge besser konzentrieren zu können, wird vor großen Festen als Vorbereitung gefastet:
vor der Konfirmation, vor der Hochzeit oder teilsweise auch vor dem
Abendmahl. Viele Menschen fasten
ein bis zwei Mal in der Woche, mittwochs und freitags, und nehmen am
Fastengebet teil. Der durch die eingesparte Mahlzeit gewonnene Erlös
wird gespendet, um arme Menschen
zu unterstützen.
Kochen ist nicht nur Frauensache.
Einmal im Monat, wenn die Frau
ihre Menstruation hat und hier als
unrein gilt, kochen die Ehemänner.
An großen Festen sind das Kochen,
Bedienen und der Abwasch Männersache. Zu Hochzeiten, zu denen Hunderte von Menschen aus allen Religionen und Kasten zusammen kommen, werden nur Brahmanen, die
Schwerpunkt
höchste Kaste, als Köche engagiert.
Das Essen aus ihrer Hand gilt als rein
und kann ausnahmslos von allen
Kasten gegessen werden.
Wenn ein Gast zu einer Mahlzeit
eingeladen wird, so wird dieser in
besonderer Form geehrt: Alleine
nimmt er die Mahlzeit ein, es wird
nachgefüllt, auch wenn der Teller
noch nicht geleert ist. Erst nachdem
der Gast die Mahlzeit beendet hat,
unterhält man sich. Die Gastgeber
essen erst anschließend.
Mahlzeiten werden nicht gemeinsam am Tisch eingenommen, zumal
es in den meisten Häusern keinen
Tisch gibt und auch nicht den Platz,
um zusammen zu sitzen. Die Kommunikation findet während der langen Zubereitungszeit statt. Während
der Mahlzeiten konzentrieren sich
alle nur auf das Essen und schweigen
meistens, um in den vollen Genuss
des Mahles zu kommen.
Es ist eine Frage der Zeit und des
Geldes vielleicht, bis Fastfood hier
Einzug hält, aber mindestens so lange
gilt hier das Sprichwort, dass nur das
Essen mundet, das mit Zeit und Liebe
zubereitet ist.
Zu dieser indischen Gewürzmischung gehören
1 - 2 Kardamonkapseln
1/4 - 1 EL schw. Pfefferkörner
2 - 3 Kreuzkümmelsamen
3 - 4 EL Koriandersamen
1/2 - 1 TL Chilipulver
1 TL Gewürznelken
1 - 2 Zimtstangen
1 EL Fenchelsamen
1/2 - 1 TL Ingwerpulver
1/4 geriebene Muskatnuss
Alle Gewürze einzeln leicht in der Pfanne
rösten (außer Chili, Pfeffer, Muskatnuss und
Ingwerpulver!) und in eine Schüssel geben.
Mit einem Mörser oder Mixer fein vermahlen.
In einem luftdicht verschließbaren Glas aufbewahren.
weltbewegt
weltbewegt
13
13
Der Welthungerindex (WHI) erfasst statistische
Daten zu Hunger und Unterernährungssituationen
in Staaten der Erde. Er wurde 2006 erstmals von
dem Internationalen Forschungsinstitut für Ernährungspolitik entwickelt und zusammen mit der
Welthungerhilfe veröffentlicht. Seit 2007 gehört
auch die irische Nichtregierungsorganisation Concern Worldwide dazu. Jedes Jahr wird der Index
zu einem Schwerpunktthema ermittelt. Im Jahr
2009 waren es 121 Entwicklungs- und Schwellenländer, deren Daten erhoben wurde, 84 davon
wurden in einer Rangliste klassifiziert.
14
weltbewegt
Im WHI werden unterschiedliche Aspekte von
Hunger und Unterernährung angegeben. Dazu
werden drei gleichwertige Indikatoren zugrunde
gelegt:
Indikator 1: Anteil der Unterernährten
(Menschen, die ihren täglichen Kalorienbedarf
nicht decken können) an der Bevölkerung eines
Landes in Prozent
Indikator 2: Anteil der Kinder unter fünf Jahren mit
Untergewicht (die als Folge davon an Gewichtsverlust bzw. zu geringem Wachstum leiden)
Indikator 3: Die Sterblichkeitsrate von Kindern
unter fünf Jahren (Relation von Nährstoffmangelversorgung und schlechtem Gesundheitszustand)
Very
British
W
Quelle: Welthungerindex 2009
Quelle: Wikipedia
John Beer
ie die Deutschen können auch die
Briten über ihr Essen definiert werden. Denken Sie an Roast Beef, das oft mit
„Yorkshire Pudding“, gemacht aus einer Art
Eierkuchenteig, gegessen wird. Der französische Einfluss hat uns merkwürdige Namen
für Fleisch gegeben: Wir essen „beef“
(bœuf), nicht „cow“ (Rindfleisch), „pork“
(porc), nicht „pig“ (Schweinefleisch), „mutton“ (mouton), nicht „sheep“ (Hammelfleisch). Wir umhüllen auch ein Fischgericht in Teig und essen es mit frittierten
Kartoffeln – „Fish and Chips“. Die Schotten
lieben ein merkwürdiges Gericht mit dem
Namen „Haggis“. Es wird aus Herz, Leber
und Lunge eines Schafes zubereitet. Und
wir lieben sahnigen Kartoffelbrei („creamed
mashed potato“) mit der Art von Würstchen, die kein Deutscher, der etwas auf sich
hält, Würstchen nennen würde!
Aber seit den 70er Jahren hat uns unsere
multikulturelle Gesellschaft indisches und
chinesisches Essen gebracht. Auch italienische Pasta und Pancetta. Tikka Masala, das
ein Engländer als typisch indisches Gericht
erfunden hat, verkauft sich besser als jedes
andere Gericht im Supermarkt. Und es sind
Supermärkte, die unsere „cheap food culture“ befördert haben, bei der der Preis und
nicht die Qualität alles ist und Tiefkühlprodukte und Fertiggerichte als die schnellste
Zubereitungsweise von Essen verkauft werden. Viele Familien haben selten gemeinsame
Mahlzeiten und machen dafür Zeitmangel
oder das Fernsehen verantwortlich. Damit ist
ein wichtiges Bindeglied für Beziehungen
verlorengegangen. Mahlzeiten sind häufig zu
„Tankstellen“ geworden und werden immer
seltener genutzt, um miteinander zu reden.
Fotos: E. Fuchs (2), C. Hunzinger (1)
Die Daten für den WHI 2009
wurden aus verschiedenen
Quellen aus den Jahren 2002 2009 zusammengestellt. Der
bestmögliche Wert liegt bei 0
und der schlechteste bei 100.
Je höher der Wert, desto
schlechter die Ernährungslage.
Schwerpunkt
Paradoxerweise sind die britischen Medien gesättigt von Sendungen über Essen und
Trinken mit Sterneköchen und Rezepten.
Der Wunsch zu kochen ist sicherlich vorhanden. Doch scheinbar sehen sich die Menschen lieber Köche im Fersehen an, anstatt
selbst zu kochen. Auch durch den wachsenden Wohlstand ist es für viele erschwinglicher geworden, auswärts zu essen und sogar
der traditionelle britische „Pub“, der einst
nur Getränke servierte, bereitet gutes, wenn
nicht billiges, Essen und verdient Geld, indem
er Wein mit einer Gewinnspanne von 300
Prozent anbietet!
Fettleibigkeit ist zu einem wichtigen
gesundheitlichen Problem geworden. Es gibt
zu viel Fett, Salz, Zucker. Aber billiges Essen
braucht Fett und Salz, um es schmackhaft zu
machen, und schon kleine Kinder können
leicht Geschmack an diesen Dingen finden.
Abnehmen wäre da gut. Aber es scheint, als
würden sich auch in dem Fall viele lieber
Fernsehsendungen zum Thema anschauen,
statt selbst abzunehmen.
Es ist viele Jahrzehnte her, dass die britische Durchschnittsfamilie Eier und Schinken
zum Frühstück aß. Die meisten essen nun
Müsli, Cornflakes und Obst, aber anders als
die Deutschen keine Wurst oder Käse. Doch
wenn sie sich im Urlaub etwas Gutes gönnen
wollen, bestellen die Briten „a full English
breakfast“ (gebratener Speck, Ei, Würstchen,
Bratkartoffeln, Pilze).
Gleichwohl, wenn dieser Engländer nach
Nordelbien kommt, verlangt ihn nach diesen
wundervollen deutschen Frühstücken, und,
wenn es richtig kalt ist, Grünkohl – natürlich
ohne das Schweinefett!
The Venerable John Beer, Archdeacon
of Cambridge und Vorsitzender des
“Northelbe Committee” in der englischen Partner-Diözese Ely –
Übersetzung: Christa Hunzinger
weltbewegt
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15
Orientalischer
Family Day
D
er Orient gibt an diesem herrlichen Sonnabend ein Gastspiel
in Othmarschen. In der kleinen
Küche des Gemeindehauses der
Christuskirche wirbeln zwei Männer und drei Frauen, arabische
Zurufe gehen hin und her, exotische
Düfte liegen in der Luft. Auf den
Küchentischen stehen Schüsseln
und Bleche voller geschnittener
Zwiebeln, Artischocken, Gurken
und Knoblauchzehen. Im Flur
schneiden Helfer Tomaten und
Paprika, dazwischen toben Kinder.
Ein Essen mit fünf Gängen soll der
Höhepunkt des „Orientalischen
Family Day“ sein. Knapp 70 Gäste
sind der Einladung des Nordelbischen Missionszentrums an
diesem Sonnabend nach Othmarschen gefolgt. „Wir wollen Räume
schaffen, um Begegnung zu ermöglichen“, beschreibt Dr. Detlef Görrig
vom NMZ die Intention der Veranstaltung, die ein Programmpunkt
der „Kulturwochen Mittlerer Osten“
ist. Das Essen soll dafür quasi ein
Katalysator sein. „Heute kochen wir
typisch arabische Gerichte, aber
16
weltbewegt
alles vegetarisch“, sagt Dr. Mohammed Khalifa, „zum Beispiel Bamia
mit Okra-Schoten, Zwiebeln und
Tomaten oder Moussaka, ein Auflauf mit Auberginen und Kartoffeln.“ Der freundliche Ägypter ist im
Hauptberuf Dozent für Arabistik,
Geschichte und Kultur des Vorderen
Orients an der Universität Hamburg.
Heute ist Khalifa quasi Küchenchef,
koordiniert die 15 Helfer, die das
Essen vorbereiten.
In der Küche setzt Kejal Hasan
gerade Kartoffeln auf. „Bei uns hilft
man sich immer gegenseitig“, sagt die
Kurdin aus dem irakischen Teil Kurdistans, die seit zehn Jahren in
Deutschland lebt. „Das geht nicht
nur schneller, sondern macht auch
noch mehr Spaß.“ Dann eilt sie in
den benachbarten Saal, wo ihr Sohn
einen Auftritt hat. Er gehört zum
Kindermusikensemble „Sol“, das auf
der Bühne unter der Leitung des irakischen Musikers Ali Shibly arabische und deutsche Lieder darbietet,
zum Beispiel das alte deutsche Kinderlied „Alle Vöglein sind schon da“
in arabischem Gewand – mit Mandolinen, Klavier und Schlaginstrumenten. Auch eine interkulturelle Begegnung.
Nach dem Auftritt der Kinder hat
Mohammed Khalifa ein wenig Zeit,
in einem Nebenraum Fragen zur orientalischen Esskultur zu beantworten. „Im arabischen Orient ist es
Sitte“, so führt er aus, „dass man
nicht allein isst. Wenn man kocht,
dann fragt man automatisch den
Nachbarn oder einen Freund, ob er
mit einem essen möchte.“ Auch wenn
unangemeldet Gäste kämen, so seien
die selbstverständlich zum Essen eingeladen. In Deutschland sei es dage-
gen oft noch etwas Offizielles, jemanden zum Essen einzuladen.
Während der gestresste Mitteleuropäer die Nahrungsaufnahme häufig eher nebenbei erledigt, wird dem
Essen im arabischen Kulturraum
tendenziell noch mehr Bedeutung
beigemessen. „Orientalen lassen sich
mehr Zeit, die Dinge zu genießen.
Das Essen hat eine zentrale Bedeutung“, sagt Khalifa, „und wenn man
isst, lässt man sich dabei auch nicht
stören.“ Eine große Rolle spielt das
Essen auch beim höchsten islamischen Fest, dem Opferfest. „Es wird
gemeinsam gekocht, mit viel Fleisch.
Nach dem Besuch der Moschee
besucht man Verwandte und Bekannte, es gibt Kleinigkeiten zu essen und
zu trinken, die Kinder bekommen
Süßigkeiten“, erklärt der Ägypter.
Als er aus seiner Heimat nach
Deutschland kam, machte Khalifa in
Bayern die erste Bekanntschaft mit
der deutschen Küche. „Klöße kannte
ich aus Ägypten nicht“, berichtet er
lachend, „und Sauerkraut auch nicht.
Das hab ich richtig genossen.“ Dass
an diesem Sonnabend Deutsche ins
Gemeindehaus der Christuskirche
gekommen sind, um orientalische
Küche kennenzulernen, freut ihn,
auch wenn er auf mehr deutsche
Besucher gehofft hatte: „Aber da ist
wohl doch noch eine Hemmschwelle.“ Die Veranstaltung sei auf jeden
Fall „ein Signal dafür, dass sich die
Araber voll integrieren wollen“.
Eine besondere Tradition des Orients ist auch die Gastfreundschaft,
die sogar in einzelnen Suren des
Korans ausdrücklich als Verpflichtung benannt wird. „Gäste sind bei
uns heilig“, sagt dazu Mahmoud
Khalifa, der Bruder von Mohammed
Fotos: N. Gehm (4), Illustration: C. Wenn
Kristian Stemmler
Schwerpunkt
Während die Erwachsenen kochen, gibt es ein
Märchen für die Kinder
Khalifa, der zu den freiwilligen Helfern in der Küche gehört. „Das ist
auch bei ärmeren Leuten so, die selbst
nicht viel zu essen haben. Haben sie
einen Gast, wird alles aufgetragen,
selbst wenn die Familie am nächsten
Tag nichts mehr zu essen hat.“
Von dieser orientalischen Großzügigkeit weiß auch Hanna Lehming
vom NMZ zu berichten. Sie erzählt
die Geschichte von einer Deutschen,
die mit einem Ägypter verheiratet ist
und Besuch von den Schwiegereltern
empfing. „Bevor die Schwiegereltern
zum Stadtbummel aufbrachen, fragte die Frau sie, wieviel Kartoffeln sie
zum Mittagessen haben wollten“, sagt
Hanna Lehming. „Die wären fast
abgereist.“ Im Orient ist es üblich,
dass als Zeichen der Gastfreundschaft so lange Speisen gereicht werden, bis der Gast abwinkt oder vom
Tisch aufsteht. Da wurde die Frage
der Schwiegertochter als unhöflich
empfunden.
In der Küche sind die
Vorbereitungen für das
Essen abgeschlossen, die
Helfer können sich ausruhen. Im benachbarten
NMZ unterhält ein Märchenerzähler die Kinder,
die Kleineren spielen auf
dem Spielplatz hinter dem
Gemeindehaus, die Erwachsenen sitzen draußen in der Sonne. Hanna
Lehming freut sich über die „entspannte Atmosphäre“.
Von der Qualität der orientalischen Küche können sich die Besucher dann beim gemeinsamen Essen,
dem Höhepunkt des Programms
überzeugen. Im Flur werden Tische
zusammengestellt und mit weißen
Tischtüchern bedeckt. Dann werden
die Schüsseln aufgetragen. Bevor es
los geht, versammeln sich alle um die
Tische und singen für ein Mädchen,
das heute Geburtstag feiert: „Zum
Geburtstag viel Glück!“ – auf deutsch,
arabisch und kurdisch. Nach diesem
verbindenden Erlebnis ist das Buffet
freigegeben.
Die Besucher verteilen sich mit
dem Essen im Flur und in den Räumen. In einer Ecke des Eingangsbereichs genießen Silke Kröger und
Doris Möller, beide Lehrerinnen an
der Grundschule Lurup, den Nach-
tisch, Konafa, der
mit Butter, Creme
Caramel und Ananas gemacht
wird. „Super lekker“, finden sie
übereinstimmend. Auch die Kartoffeln und die Okraschoten haben
ihnen geschmeckt. Was sie mit orientalischer Esskultur verbinden? „Dass
man sich viel Zeit lässt“, antwortet
Silke Kröger.
Auch Barbara Greiner findet das
Essen „köstlich“. Sie lobt die Initiative: „Es ist ein gelungener Tag. Ich
halte es für wichtig, derartige Veranstaltungen zu initiieren, um zu einer
besseren Verständigung zu kommen.“ Sie verbindet mit orientaltischer Esskultur vor allem Großzügigkeit und Vielfalt.
Nach dem Essen gibt es noch
einen kleinen Sprachkurs mit Dr.
Khalifa und seinem Bruder, die einige arabische Vokabeln vermitteln.
Wer will, dem wird sein Name in
arabischen Schriftzeichen aufgeschrieben. Detlef Görrig sei „insgesamt zufrieden“ mit dem Verlauf der
Veranstaltung. Seine Bilanz: „Es sollte in Zukunft darum gehen, noch
mehr Begegnungsräume für Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zu schaffen. Wenn Menschen
gemeinsam etwas tun, zum Beispiel
eine Mahlzeit vorbereiten und
zusammen essen, spricht man viel
eher über alltägliche Dinge. Das
kommt in herkömmlichen Diskussionsveranstaltungen oft zu kurz. Veranstaltungen wie diese sind ermutigend für die Zukunft.“
Mohammed Khalifa am
orientalischen Büfett
Hanna Lehming,
Referentin für
christlich-jüdischen
Dialog und Dr. Detlef
Görrig, Referent für
christlich-islamischen Dialog,
gehören zu den
Initiatoren der
Veranstaltung
weltbewegt
17
Geiz ist
verpönt
Ein kulinarischer Tag
in Tansania
D
ie Sonne geht gerade auf über
Mbeya, einer der kleineren
Großstädte Tansanias im SüdWesten des Landes. Überall in der
Stadt wird Wasser auf Kohle- oder
Gaskochern zum Brodeln gebracht.
Man trifft Vorbereitungen zum
ersten Tee am Tag. Danach wird es
auch noch etwas Festes zum Frühstück geben. Von Cassava, Kochbananen und frittiertem Ge-bäck über
Eier und Teigtaschen mit Fleisch
gefüllt bis hin zu Rinder- oder Hühnersuppe. Für jede Einkommensklasse und jeden Geschmack etwas.
Schulkinder, die in den Schulen
wohnen, bekommen in der Regel
eine Art Brei aus Maismehl mit sehr
viel Zucker.
Anschließend werden Kühe und
Ziegen nach draußen in den Garten
oder an den Straßenrand zum Grasen gebracht. Einige Dorfbewohner
18
weltbewegt
bugsieren ihr Schwein in ein Fass auf
den Gepäckträger eines Fahrrades,
um es zum Schlachter zu bringen.
Einen Karren kann sich nicht jeder
leisten.
Heute ist ein ganz normaler Tag
auf dem Markt. Überall hört man
Händler feilschen und ihre Ware
anpreisen. Im Hintergrund kreischen
Hühner. Die ersten Stände, die ich
entdecke, sind mit Saison-Früchten
gefüllt: Zurzeit sind es Orangen und
einige übrig gebliebenen Ananas.
Dahinter sehe ich Kartoffeln, Reis
und Maismehl – die Grundnahrungsmittel der Bevölkerung in dieser Region. Die Frau, bei der ich
immer mein Gemüse kaufe, kommt
freudig auf mich zu und begrüßt
mich strahlend. An ihrem Stand gibt
es fast alles: Kohl, Gurken, Tomaten,
Zwiebeln, Paprika, Karotten bis hin
zu Trauben und Äpfeln. Nach eini-
gem Handeln – das ist hier üblich –
gehe ich weiter zu dem Fleischstand.
Die Stücke hängen am Haken – und
sind damit luftig getrennt vom aufgeheizten Wellblechdach. Etwas weiter entfernt gackern Hühner in Käfigen. Fleisch gehört zu den Luxusgütern. Auf dem Markt gibt es sonst
alles, was man noch zum Kochen
braucht: Öl, Gewürze, auch Körbe,
Töpfe und sogar Kohleöfen.
Kurz vor Mittag beginnen die
Essensvorbereitungen. Es gibt Reis,
festen Maisbrei, Kochbananen oder
frittierte Kartoffelstücke mit Bohnen,
Erbsen, Spinat oder Fleisch und eventuell eine Banane oder Avocado zum
Dessert. Wer nicht selber kocht, kann
sich seine Mahlzeit von den zahlreichen Straßenverkäufern besorgen.
Gegessen wird meist im Freien.
Die Grundnahrungsmittel variieren in Tansania und sind abhängig
Fotos: J. Bollmann (1), M. Hanfstängl (1), J. Peters (1), Illustration: C. Wenn
Jendrik Peters
Schwerpunkt
UGALI mit Bohnenoder Gemüsesauce
Zutaten für eine Bohnen- oder Gemüsesauce (für 4 Personen)
500 g trockene Bohnen oder frisches Gemüse
3 Zwiebeln
2 grüne Paprika
500 g Tomaten
Öl
von der Region. An der Küste werden
meist Fisch und porridge (ugali) aus
Maismehl, Hirse, und Maniok gegessen. Im mittleren tropischen Hochland gehören Bananen zu den Grundnahrungsmitteln, die auf verschiedene Weise zubereitet werden. Dann
gibt es den „Maisgürtel“, in dem vorwiegend Mais gegessen wird. Fast die
Hälfte der Tansanier ernährt sich
vorwiegend von Fleisch und Milch
mit Porridge. Fast 80 Prozent der
Bevölkerung leben vom Ertrag ihrer
Landwirtschaft.
Am Abend bin ich bei einer tansanischen Familie zum Essen eingeladen. Sie gehört zu den etwas wohlhabenderen Familien. So gibt es hier
eine Soda als Willkommensdrink. In
der Regel werden zur Begrüßung Tee
oder – wie auf dem Dorf – eine frische Kokosnuss serviert.
Die Mahlzeit wird von den Frauen des Hauses vorbereitet. Nur zur
Begrüßung schaut die Gastgeberin
einmal kurz ins Wohnzimmer. Es
soll ein Huhn geben. Der Sohn der
Familie zeigt mir, wie man es schlachtet, rupft und ausnimmt.
Als das Essen fertig ist, begeben
wir uns ins Esszimmer. Zu Beginn
bringt die Gastgeberin warmes Wasser zum Hände waschen. Anschließend wird ein längeres Gebet gesprochen. Man bedankt sich für das, was
man am Tag geschenkt bekommen
hat. Das kann auch schon einmal
fünf Minuten dauern.
Als Gast wird mir zuerst angeboten, dann bekommen Gastgeber und
die Erst-Geborenen, danach sind die
Jüngeren dran. Unauffällig versuche
ich, am Essen zu schnuppern. Eine
Geste, die als unhöflich gilt. Sie wird
als Misstrauen dem Essen gegenüber
gedeutet. Inzwischen hat mir die
Hausherrin eine Riesenportion aufgetan. Gastgeber versuchen grundsätzlich immer mehr zu geben, als sie
eigentlich haben. Bereits am Morgen
serviert man übervolle Becher Tee,
um nicht als geizig zu gelten.
Ich sitze nun vor meinem Teller
gefüllt mit Pilau, einem Gemisch aus
Reis, Fleisch und Kartoffeln und
Hähnchen – alles mit Gewürzen veredelt. Stolz erzählen sie mir, dass alles
aus eigenem Anbau beziehungsweise
vom eigenen Feld kommt. Sie bauen,
wie viele andere, auch an, um durch
den Verkauf der Ernte Geld dazu zu
verdienen. Wir beginnen zu essen,
alle mit der rechten Hand, wie es sich
gehört. Ich bin inzwischen in Übung
– denke ich. Trotzdem biete ich
Anlass zu Gesprächsstoff und einigen Lachern. Man isst langsam. Nach
dem Essen wird erneut Wasser geholt.
Nach ausführlichem Bedanken fürs
Essen und Kommen werde ich von
den Gastgebern nach Hause gebracht
– und bin wieder um eine herzliche
Erfahrung reicher.
Bohnen waschen und einige Stunden oder
über Nacht weichen lassen. Danach auf kleiner Flamme kochen lassen. Zwiebeln, grüne
Paprika und Tomaten schneiden. Zwiebeln
und Paprika in etwas Öl braten, bis die Zwiebeln hellbraun sind. Tomaten hinzufügen und
braten, bis alles gar ist. Die gekochten Bohnen hinzufügen, mit den übrigen Zutaten gut
durchmischen und etwas Wasser hinzufügen
für eine Sauce. Weiter auf kleiner Flamme
kochen, bis es servierfertig ist.
Zutaten für Ugali (Porridge)
1 kg Mais, Hirse, Maniok (Körner o. Mehl)
500 ml Wasser
Mais (oder Hirse, Maniok) mit dem Mörser
zerstoßen oder Maismehl nehmen. Mit einem
Drittel des Wassers verrühren und es langsam
über der Feuerstelle aufkochen. Anschließend
unter Rühren mehr und mehr Mehl – und bei
Bedarf Wasser – hinzufügen und verrühren.
Langsam etwa 5 bis 10 Minuten weiterrühren,
dabei die Hitze reduzieren, bis der Brei sehr
dick wird.
Vorbereitungszeit: 30 Minuten (die Bohnen
müssen vorher eingeweicht werden), Kochzeit:
40 Minuten.
Jendrik Peters lebt zurzeit in Mbeya/
Tansania. Er besucht das Land als
„Freiwilliger“ im Rahmen des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes „weltwärts“.
weltbewegt
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MUMU – ein Festessen für viele Menschen
„Essen hält die
Familie zusammen“
Interview mit Hofagao Kaia
Ulrike Plautz
Haben sich die Gewohnheiten geändert?
Leider ja. Es wird süßer gegessen als früher und man
kann beobachten, dass in den letzten fünf Jahren Menschen dicker geworden sind. Aber noch hat sich diese
Entwicklung nicht durchgesetzt. Nach wie vor essen die
Menschen sehr traditionell. Es gibt mittlerweile zwar
einige Restaurants, die jedoch meist von Touristen und
nur wenigen wohlhabenden Einheimischen besucht
werden.
Welchen sozialen Stellenwert hat das Essen in Ihrer
Kultur?
Der ist hoch. Die gemeinsame Mahlzeit hält die Familie
zusammen. Häufig werden auch Nachbarn kurzfristig
zum Essen eingeladen. Die Mahlzeit ist demnach nicht
nur für die Familie, sondern auch für den sozialen
Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft sehr wichtig.
In einer Erdkuhle werden Steine und Holz aufgeschichtet und ein Feuer angezündet (1). Auf die
erhitzten Steine werden Bananenblätter, Gemüse und Fleisch gelegt (2). Zur Abdeckung wieder
Bananenblätter, darüber heiße Steine (3). Alles
zusammen gart ein paar Stunden (4). Nach ca.
drei Stunden ist das Essen fertig (5).
20
weltbewegt
Fotos: H. Lehming (2), C. Wenn (1), M. Khalifa (1), H. Heidenreich (5), Illustration: C. Wenn/NMZ
Wie sieht die Esskultur der Menschen in Papua-Neuguinea aus?
Es wird jeweils zwei Mal am Tag gekocht und zwar eher
etwas Herzhaftes. Meist gibt es Süßkartoffeln, unser
Grundnahrungsmittel, dazu etwas Gemüse. Anders als
ich es hier kennen gelernt habe, gibt es morgens kein
Brot zum Frühstück. Zwischendurch gibt es dann etwas
Obst, zum Beispiel Passionsfrüchte, Mangos, Ananas
und Bananen, die bei uns übrigens ganz anders schmecken als hier. Manche essen zwischendurch auch Zuckerrohr. Die Menschen leben von dem, was sie selbst
anbauen. Das ist natürlich abhängig von der Region. Auf
dem Hochland wird eher Gemüse gegessen und an der
Küste gibt es viel Fisch, zum Beispiel Aal oder Krabben
und Muscheln. Immer mehr Menschen kochen mit Reis,
allerdings sind das eher die Wohlhabenden in der Stadt,
da Reis importiert werden muss.
Die Zubereitung des Essens kann eine Stunde und länger dauern, da alles aus frischen Zutaten gekocht wird.
Die Mehrheit, die in den Dörfern lebt, kocht über
offenem Feuer. Dagegen bereiten die Stadtbewohner ihr
Essen auf einem Elektroherd zu. Kochen gilt bei uns
übrigens als unmännlich und ist Frauensache. Dass
meine Brüder kochen, ist eher eine Ausnahme.
Schwerpunkt
Forum
Forum
Erfolgreiche
Begegnungen
Detlef Görrig
M
it 22 Veranstaltungen und
rund 2000 Besuchern sind die
„Kulturwochen Mittlerer Osten“
erfolgreich verlaufen. Aber was
heißt Erfolg, wenn es um die Vermittlung eines Kulturraumes geht,
der so facettenreich wie unabgrenzbar, so historisch und religiös
bedeutsam wie politisch konfliktreich ist. Ein erster Erfolg besteht
darin, diese Vielschichtigkeit zuzulassen. Orient, arabische oder islamische Welt, das sind Zuschreibungen, die die komplexe Wirklichkeit verkürzen. Der Mittlere Osten
ist nicht nur islamisch oder arabisch, er ist auch persisch und
syrisch, aramäisch und armenisch,
jüdisch und christlich. Das zu sehen
bewahrt davor, Grenzen zu ziehen,
wo es Übergänge und Mischungen
gibt. Der Neffe des äthiopischen
Kaisers, Dr. Asserate, betonte die
Veränderlichkeit von Kultur: Kulturen bekämpfen sich nicht, sie fließen zusammen, zitierte er im Völkerkundemuseum.
Ein weiterer Erfolg ist die Wahrnehmung der Vielfalt hier bei uns.
Unzählige Menschen leben in Hamburg, die biographisch in der Region
zwischen Mittelmeer und Indischem
Ozean, zwischen Rotem und Kaspischem Meer ihre Wurzeln haben.
Zudem sind viele Hamburgerinnen
und Hamburger mit dem Mittleren
Osten durch Reisen, persönliche
Freundschaften oder ehrenamtliches
Engagement verbunden. Es gibt
Gesellschaften, die sich bestimmten
Länderbeziehungen widmen, Organisationen, die Hilfsprojekte unterstützen und Vereine, die sich für den
kulturellen Austausch engagieren.
Sie alle miteinander ins Gespräch zu
bringen, war eines der Ziele beim
Kulturfest Marhaba, zu dem etwa
120 Personen kamen.
Gemeinsame Wurzeln
entdecken
Schließlich ist es ein Erfolg zu nennen, wenn wir uns auf die verschiedenen religiösen Traditionen einlassen, die ihren Ursprung im Nahen
und Mittleren Osten haben. Ob
Mekka oder Jerusalem – die Wallfahrtsorte der monotheistischen
Religionen sind seit alters her durch
Karawanenwege, politische Großreiche und regen Handel verbunden.
Es ist die Region, in der auch die
Überlieferungen von Abraham lokalisiert werden, ein Gott Suchender,
der sich auf den Weg machte. Judentum, Christentum und Islam haben
unterschiedliche Traditionen, aber
in allen spielt Abraham, spielt das
Pilgern eine Rolle. Das wurde beim
Podium über die Pilgerziele der
Religionen deutlich. Nach islamischer Vorstellung wandelten
Abraham und sein Sohn die Kaaba
zum Pilgerort um, und das Opferfest, zu dem jedes Jahr Millionen
muslimischer Pilger nach Mekka
aufbrechen, erinnert an die durch
Gott unterbundene Opferung des
Sohnes Abrahams, von der schon
Eröffnung der Fotoausstellung
mit arabischen Fotografen
die Bibel erzählt. Die jährlichen
jüdischen Passah-, Wochen- und
Laubhüttenfeste waren bis zur
Zerstörung des Jerusalemer
Tempels ebenfalls Wallfahrtsfeste und noch heute machen
sich Juden aus aller Welt zu den
Festtagen auf den Weg nach
Jerusalem, um dort an der
Westmauer des ehemaligen
Tempels ihre Gebete zu sprechen. Christen, die sich in Jerusalem und Galiläa auf die Spuren
Jesu begeben, erleben das oft als
Fünftes Evangelium. Es gibt viel zu
entdecken – im Mittleren Osten und
bei uns. Die Kulturwochen haben
das gezeigt, und sie haben gezeigt,
wie erfolgreich es sein kann, sich zu
begegnen.
Gemeins am feiern
und essen
Dr. Asserate
Konzert mit
Elija Avital
Zur aktuellen
Situation im Iran
weltbewegt
21
„An old man in a hurry“
Zum Tod von Dr. Kunchala Rajaratnam
D
r. Kunchala Rajaratnam verstarb am 7. April 2010 im Alter
von 89 Jahren. Er hinterlässt vier
Kinder, Enkel und Urenkel.
Es sind vor allem die kleinen Szenen, die mich immer wieder an ihm
beeindruckt und tief bewegt haben.
Studenten, die auf ihn zutraten und um
Hilfe baten, fanden ein offenes Ohr und
Unterstützung. Jugendliche hatten in
ihm ein Sprachrohr, wenn es darum
ging, auf Missstände in der Kirche hinzuweisen und nach neuen Formen
gelebten Glaubens zu suchen. Er war
für alle ansprechbar und hatte immer
Zeit.
Ich traf Dr. Rajaratnam das erste
Mal im Frühjahr 1995. Wir, eine Gruppe von Vikarinnen und Vikare der
Nordelbischen Kirche, saßen in Chennai im Church Women’s Center und
warteten auf den „Doctor“, wie er von
vielen nur genannt wurde. Seinem
klangvollen Namen ging bereits ein Ruf
voraus. Als er dann – mit angemessener
Verspätung – in unserer Runde Platz
nahm, nahm er scheinbar selbstverständlich alle unsere Aufmerksamkeit
in Beschlag. Er beeindruckte durch
seine konzentrierte Präsenz und Lebendigkeit. Er hörte alle Fragen so interessiert, als erfahre er sie zum ersten Mal
– und antwortete mit einem Engagement und einer Begeisterung für die
Sache, die es uns erleichterte, seine
Sache auch zu unserer zu machen.
Dr. Kunchala Rajaratnam hatte die
Gabe, Ideen zu entwickeln und Menschen zu bewegen, ihren Glauben in
aktives Handeln umzumünzen. Er lebte
die Vision, dass die Kirche eine Dienerin der Welt sei und ließ nicht nach,
dies immer wieder und in voller Konsequenz anzumahnen.
Kunchala Rajaratnam studierte
Wirtschaftswissenschaften und pro22
weltbewegt
movierte 1964 an der London School of
Economics. Dieser Blickwinkel blieb
auch in allen seinen kirchlichen Aktivitäten unübersehbar.
Seit 1971 hat er das Gurukul Lutheran College and Research Institute geleitet. Er hat sich dort dafür eingesetzt,
dass die Ausbildung der zukünftigen
Pastorinnen und Pastoren den Kontext
von Armut und Ausgrenzung der indischen Gesellschaft wahrnehmen und
reflektieren muss. Dalit Theologie und
Women’s Studies wurden verpflichtende Studienfächer.
Beobachter und Mahner
Von 1975 bis 1979 arbeitete er für
den Lutherischen Weltbund (LWB)
als Asienreferent in der damaligen
Abteilung für Kirchliche Zusammenarbeit. Von 1985 bis 1990 war er
Mitglied des Exekutivkomitees des
LWB. Zurück in Indien gründete
Dr. Kunchala Rajaratnam 1979 das
Forschungszentrum für eine neue
internationale Wirtschaftsordnung
(Centre for Research on New International Economic Order) mit Sitz
in Chennai. Hier verband sich das
wirtschaftswissenschaftliche Interesse mit dem Wunsch, die Kirchen
in ihrem Engagement für die Rechte
der Ausgegrenzten und Armen zu
beraten, Menschen zu schulen und
fortzubilden. Das Dorfentwicklungsprojekt WIDA, das gemeinsam
mit dem NMZ und dem LWB aufgebaut wurde, ist ein Produkt der
neuen Ideen und entwicklungstheoretischen Ansätze, die in diesem
Zusammenhang entwickelt wurden.
Bis 2002 fungierte er als Exekutivsekretär der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche in Indien (UELCI)
– der insgesamt elf lutherische Kirchen
angehören – und war auch Chefredakteur des Kirchenmagazins „The Indian
Lutheran“. Viele Jahre war er Vorsitzender des Nationalkomitees des LWB in
Indien.
Daneben hielt er als engagierter
Bürger und lutherischer Christ weitreichende Verbindungen zu Wissenschaft,
Politik, Gesellschaft und engagierte
sich für ein enges Zusammenwachsen
aller Kirchen in Indien. „Die Kirche ist
ein Verein für Nichtmitglieder“, war ein
Satz, den er gern zitierte und durch den
er immer wieder darauf verwies, dass
die Wahrhaftigkeit der Frohen Botschaft sich angesichts der Lebenswirklichkeit der Menschen zeigen muss.
Bis zum Schluss blieb er ein wacher
Beobachter und scharfzüngiger Mahner angesichts der gesellschaftlichen
und politischen Entwicklungen in seiner Kirche, in seinem Land und in der
Welt.
In den letzten Jahren seines Lebens
hat ihn die Sorge um die Zukunft dessen, was er mit so zahlreichen Institutionen und Organisationen aufgebaut
hat, nicht losgelassen. „An old man in
a hurry“ hat er ein spätes Projekt für die
Absicherung der UELCI und des Gurukul Colleges genannt. Dies war das
Stichwort seines inneren Pulsschlages.
Täglich hat er – und wenn auch nur für
wenige Stunden – seinen Schreibtisch
weiter aufgesucht. Die große Aufgabe
hat ihn unablässig beschäftigt.
Mir wird Dr. Rajaratnam als lebensfroher, liebenswerter und vielseitig
interessierter Mensch, als engagierter
Christ und unerbittlicher Mahner, als
guter Zuhörer und wunderbarer Freund
in Erinnerung bleiben. Ich bin dankbar
für alle Gelegenheiten gemeinsamer
Arbeit. Ich habe viel von ihm gelernt.
Fotos: C. Kienel (1), E. v. d. Heyde (1), NMZ-Bildarchiv (2), S. Geßner (1)
Eberhard von der Heyde
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