Universität Essen M.A. Studiengang Praktische Sozialwissenschaften Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades eines Magister Artium (M.A.) im Studiengang Praktische Sozialwissenschaften, Fach Soziologie. Virtuelle Wissensnetze und Nachhaltigkeitsstrategien Europäische Willensbildung durch ökologische Kommunikation Vorgelegt von: Jürgen Schäfer Anschrift: Waterloostrasse 41 45141 Essen [email protected] Datum: 19. April 2002 Inhaltsverzeichnis 1 Inhaltsverzeichnis Abstract für eilige Leser...................................................................................3 For international readers..................................................................................5 1 2 3 4 Einleitung ...................................................................................................7 1.1 Thematische Einordnung und Aufbau der Arbeit.............................................. 7 1.2 Die Theorie der „Ökologischen Kommunikation“ ............................................ 11 1.3 Exkurs – Zur Kritik der „Ökologischen Kommunikation“ ................................. 13 Virtuelle Wissensnetze und Organisation .............................................16 2.1 Die Organisationen der Gesellschaft.............................................................. 16 2.2 Organisation und Wandel............................................................................... 18 2.3 Die virtuelle Organisation ............................................................................... 20 2.4 Wissensnetze und Wissensmanagement....................................................... 23 2.5 Wissensgemeinschaften – Keimzellen lebendigen Wissensmanagements .... 25 2.6 Von der virtuellen Organisation zur gesellschaftlich legitimierten Institution ... 27 Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft...............................................30 3.1 Nachhaltige Entwicklung – Historischer Kontext ............................................ 30 3.2 Strategien und Erfordernisse ......................................................................... 33 3.3 Nachhaltige Wissensgesellschaft................................................................... 35 3.4 Die kulturell-institutionelle Dimension............................................................. 37 3.5 Wissen als Ereignis........................................................................................ 39 3.6 Steuerungsmöglichkeiten............................................................................... 41 3.7 Wissensnetze: Schnittstellen im Willensbildungsprozess ............................... 44 Zivilgesellschaft und Nicht-Regierungs-Organisationen .....................47 4.1 NGOs – Phänomen der Globalisierung .......................................................... 47 Inhaltsverzeichnis 5 6 7 2 4.2 Globalisierung, Global Governance und Weltzivilgesellschaft ........................ 49 4.3 NGOs – Netzwerke der Politikverflechtung .................................................... 51 4.4 Probleme der demokratischen Legitimation ................................................... 53 Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten .55 5.1 Der europäische Integrationsprozess............................................................. 55 5.2 NGOs und europäische Politik ....................................................................... 57 5.3 Lobbying und Interessengeflecht in Brüssel................................................... 60 5.4 European Governance................................................................................... 62 5.5 Europäisches Regieren – Anspruch und Wirklichkeit ..................................... 65 5.6 Subsidiarität, Kommunen und ‚Glocal Governance’ ....................................... 67 Europäische Union und ökologische Kommunikation.........................72 6.1 Ökologische Kommunikation und Umwelt NGOs ........................................... 72 6.2 Die Greening the Treaty – Kampagne............................................................ 75 6.3 Europäische Grüne und der Vertrag von Amsterdam..................................... 78 6.4 Von Amsterdam nach Göteborg – Meilensteine der Umweltintegration.......... 80 6.5 Nachhaltigkeit für die EU – Blockaden und Chancen ..................................... 83 6.6 Die politische Öffentlichkeit in Europa............................................................ 85 Bilanz und Perspektive............................................................................89 Literaturverzeichnis........................................................................................93 Anhang ..........................................................................................................102 A.1 Abbildungsverzeichnis .................................................................................... 102 A.2 Abkürzungsverzeichnis................................................................................... 102 A.3 Interview zur Greening the Treaty Kampagne................................................. 104 Abstract für eilige Leser 3 Abstract für eilige Leser Bedingungen der Wissensgesellschaft Als Entscheidungs- und Produktionsressource wird der Faktor Wissen zunehmend wichtiger. Um in für die Gestaltung der Zukunft relevanten Fragen richtig entscheiden zu können und auch in Zukunft die richtigen Entscheidungen zu fällen, ist der Zugang zur Ressource Wissen eine primäre Bedingung. Zunehmendes Wissen und komplexe Aufgaben stellen veränderte Anforderungen nicht nur an Entscheidungsprozesse, sondern auch an die Strukturen gesellschaftlicher Organisation zur Nutzung und Generierung von Wissen. Neues Wissen erhöht potentiell die Komplexität der Umwelt und erfordert von Organisationen Anpassungsprozesse, um mit erhöhter Komplexität umgehen zu können. Die erhöhte Komplexität und die potentiell größere Problemlösungskapazität der Wissensgesellschaft erfordert und produziert zugleich neue Formen gesellschaftlicher Organisation. Zum Teil virtuell basierte Wissensnetze setzen neue Maßstäbe der Kommunikation und der Kooperation. Die Kommunikationsrevolution des ausgehenden 20. Jahrhunderts schuf die Voraussetzungen für neue Infrastrukturen, die, zunächst militärisch und dann wissenschaftlich genutzt, heute breiten Teilen der Bevölkerung – zumindest in den OECD Ländern – zur Verfügung stehen. Verschiedenste gesellschaftliche Gruppen äußern in elektronischen Foren und Plattformen ihre Positionen. Bürgerliches Engagement erfreut sich einer neuen Form der Vernetzung. Diese neuen Verkehrsformen bieten völlig neue Möglichkeiten auch der politischen Partizipation. Die Zivilgesellschaft organisiert sich relativ unabhängig von Zeit und Raum. Sie formiert und artikuliert sich nunmehr auch jenseits herkömmlich institutionalisierter Kommunikationskanäle. Ökologische Kommunikation und Europäisches Regieren Die globalen ökologischen Auswirkungen etwa durch das Ozonloch oder das Waldsterben sensibilisierten in den 1980er Jahren viele Menschen für ökologische Probleme.1 Die Gesellschaft alarmierte sich selbst über ökologische Gefährdungen, indem sie 1 Die Umweltprobleme erreichten eine Intensität, „die sich als nicht länger ignorierbares, störendes ‚Rauschen’ der menschlichen Kommunikation aufzwingt.“ Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 3. Auflage, Opladen, S. 12. Abstract für eilige Leser 4 begann, ökologisch zu kommunizieren. Unter anderem auch durch das Buch „Ökologische Kommunikation“ von Niklas Luhmann, das seine Gedanken zur Systemtheorie auf ökologische Fragestellungen anzuwenden versucht und dieser Arbeit als kritisch zu reflektierendes Theoriekonzept zugrunde liegt. Mit dem Vertrag von Amsterdam hat die EU das Ziel der nachhaltigen Entwicklung als eines ihrer primären Politikziele festgeschrieben. Ökologisch kommunizierende Organisationen der Zivilgesellschaft waren in ganz erheblichem Maße daran beteiligt, dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung seinen jetzigen Stellenwert in der europäischen Politik zu verschaffen und sie haben mit dazu beigetragen, dass es nicht irgendwo in den Verträgen erwähnt wird, sondern in Artikel 2 (EUV) und Artikel 6 (EGV) verankert wurde. Die Wissensnetze der in Brüssel vertretenen europäischen Umweltverbände starteten im Vorfeld der Regierungskonferenz zur Revision des Maastrichter Vertrages (1996/97) die „Greening the Treaty Kampagne“. Der Erfolg der Kampagne war das Ergebnis eines selbstorganisierten Wissensnetzes der Zivilgesellschaft und ist ein Beispiel dafür, wie sich insbesondere seit der UNCED-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 die (Selbst-)Organisation der Zivilgesellschaft verändert hat. Seither kommt gerade zivilgesellschaftlichen Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) eine mehr oder weniger zwischenstaatliche Funktion der Interessensvermittlung zu, da die Problemlösungskompetenzen der Nationalstaaten angesichts globaler und komplexer Bedingungen ihre Grenze erreicht zu haben scheint. Konsequenzen Als virtuelle Wissensnetze organisierte NGOs stärken die Position der Zivilgesellschaft und können mit ihrem innovativen Potential in Willensbildungsprozesse eingreifen und die Gestaltung und Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung entscheidend fördern. Der Netzwerkcharakter und die große Heterogenität ihrer Mitglieder erhöhen die Reflexionspotenziale und machen sie zu Tentakeln in funktional differenzierten Gesellschaften. Europäisches Regieren braucht für die Realisierung einer nachhaltigen Entwicklung die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft, deren Organisationen notwendige Steuerungsimpulse erzeugen können. Als Plattformen politischer Öffentlichkeit sorgen sie für eine entsprechende intersystemische Kommunikation und sind in der Lage, Nachhaltigkeit kommunikativ anzuschließen und gleichzeitig mehr Demokratie zu ermöglichen. For international readers 5 For international readers Conditions for Knowledge-based Societies Knowledge is growing in importance as a resource for decision-making as well as an input for production. The approach to ‘knowledge‘ as a resource is a primary condition for making decisions on matters relevant for the design of the future and for decisions taken in the future. The growing volume of knowledge and complexity of problems do not only change the requirements for processes of decision-making, but also toward the structures of social organisation regarding the production and the application of knowledge. New knowledge potentially raises the environment’s complexity and forces organisations to undergo adaptation processes in order to face higher grades of complexity. Increased complexity and potentially higher capacity for problem-solving at the same time require and provide new forms of social organisation. Networks of knowledge, partly existing on a virtual basis, create new standards for communication and cooperation. The revolution of communications having taken place at the end of the 20th century provided the conditions for new infrastructures which, at first used by the military and then by science, can – at least in the OECD-countries – nowadays be used by large parts of the population. Several kinds of social groups already publicise their positions in electronic forums and platforms. Civic commitment is enjoying a new form of integration and networking. These new ways of interaction provide new possibilities for political participation as well. Civil Society organises itself independent of space and time. It now constitutes and articulates itself beyond conventionally institutionalised channels of communication. Ecological Communication and European Governance Global ecological effects such as the depletion of the ozone layer or the dying of forests sensitised the public to ecological problems during the 1980s.2 Society became alarmed at the existence of ecological dangers by beginning to communicate in eco- 2 Environmental problems reached an intensity ”which forces itself upon human communication like an interfering noise and can no longer be ignored.“ Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 3. Edition, Opladen, p. 12. For international readers 6 logical terms. Niklas Luhmann among others also did this with his book “Ökologische Kommunikation“ (Ecological Communication), in which he attempts to apply his concept of systems-theory to ecological questions. This book served as a basis for this thesis, functioning as a theoretical concept critically reflected upon. With the Treaty of Amsterdam the EU has made sustainable development one of its primary political goals. Through ecological communication organisations part of civil society have on a large scale helped bring the concept of sustainable development to its present position in European politics. They contributed to the fact that it does not appear just anywhere in the treaties, but was firmly established in article 2 (EUT) and article 6 (ECT). The establishment of knowledge-based networks of European environmental associations in Brussels started the “greening the treaty campaign“ during the preparations for the inter-governmental conference (IGC) on the revision of the Treaty of Maastricht (1996/97). The success of the campaign was the outcome of a self-organised knowledge-network of civil society and is an example for the change of (self-) organisation of the civil society especially since the UNCED-conference in Rio de Janeiro in 1992. Since then non-governmental organisations (NGOs) are involved in the function of lobbying and negotiating interests on environmental issues between nations. This is necessary as the competence of nation states for solving global environmental problems seems to have reached its limit. Consequences NGOs being organized as virtual networks of knowledge strengthen the position of civil society and their innovative potential can thus be used to influence processes such as developing an informed opinion and essentially promoting the design and realisation of a sustainable development. The network character and high grade of heterogeneity of their members enhance their abilities of reflection and make them work like tentacles in functionally differentiated societies. The active participation of civil society in the European Governance process is necessary for the generation of steering impulses and thereby the realisation of sustainable development. While acting as platforms of the political public arena they can appropriate inter-systemic communication, they are able to convey the notion of sustainability and allow more democracy at the same time. Einleitung 1 Einleitung 1.1 Thematische Einordnung und Aufbau der Arbeit 7 Seit etwa Anfang der 1990er Jahre gewann der Begriff der sogenannten Globalisierung3 in der Folge großer politischer und technischer Veränderungen enorme Popularität. Er charakterisiert die Verquickung von Phänomenen, die eine neue Epoche begründet zu haben scheinen und seither die Weltordnung tiefgreifend verändern. Die Postmoderne sei angebrochen, so MENZEL (1998: 8), und führe mit der Auflösung der alten Ordnungsmuster zu einer neuen Unübersichtlichkeit, „in der die Welt als ein Tollhaus“ erscheine.4 Die Globalisierung, mit der Ängste als auch Hoffnungen verbunden werden, soll hier zunächst verstanden werden als die Ausweitung und Verdichtung grenzüberschreitender Transaktionen bei gleichzeitiger Verdichtung von Raum und Zeit.5 Neue Kommunikationstechnologien, die Überwindung der in zwei Blöcke geteilten Welt und das Entstehen eines neuen Weltwirtschaftsraumes in Ost- und Südasien bieten der Finanzwelt völlig neue Möglichkeiten der Geldanlage, des Geldtransfers und der Spekulation. Neue Transporttechnologien ermöglichen den schnelleren Austausch von Rohstoffen und Gütern und beschleunigen den Prozess der global positionierten und internationalen Arbeitsteilung. Die zivile Nutzung des Internet sorgte für eine Kommunikationsrevolution mit stetig im Wachsen begriffenen Datentransferkapazitäten, die den weltweiten und sofortigen Austausch von Information und Wissen ermöglichen. Es liegt auf der Hand, dass die durch diese Veränderungen bedingte Verdichtung sozialer Handlungszusammenhänge eine neue Qualität von Steuerungsproblemen mit sich 3 Eine erste, sehr allgemeine und dadurch „profilarme“ Definition von HÖFFE bestimmt „Globalisierung als Zunahme und Verdichtung der weltweiten sozialen Beziehungen.“ Im Weiteren konkretisiert er die Begriffsbestimmung ausführlich: Höffe, Otfried (1999): Demokratie im Zeitalter der Globalisierung. München, S. 13 – 25; ZÜRN beobachtet „in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten“ eine Verdichtung von „wirtschaftlichen Handlungszusammenhängen innerhalb der OECD-Welt.“ Der Begriff der Globalisierung sei aufgrund der „OECD-Zentriertheit“ dieser Veränderungen nicht angemessen. Er schlägt daher den Begriff der „gesellschaftlichen Denationalisierung“ vor: Zürn, Michael (1998): Regieren jenseits des Nationalstaates. Globalisierung und Denationalisierung als Chance. Frankfurt am Main, S. 65 ff. 4 Vgl.: Menzel, Ulrich (1998): Globalisierung versus Fragmentierung. Frankfurt am Main, S. 25. 5 Dazu gehört z. B. Kommunikation; aber auch Umweltverschmutzung: Angelehnt an die Definition gesellschaftlicher Denationalisierung von: Zürn, Michael (1998): Regieren jenseits des Nationalstaates. Globalisierung und Denationalisierung als Chance, S. 73 – 75. Einleitung 8 bringt. Die durch die Globalisierung wirksam werdenden Marktkräfte und die grenzüberschreitenden Auswirkungen der Entscheidungen weltweit operierender Akteure bedürfen einer neuen Ordnungspolitik, die auf globaler Ebene über das System zwischenstaatlicher Beziehungen hinausgeht.6 Es besteht eine Tendenz zum Ökonomismus: der Verdrängung der Politik durch den Markt.7 Konsequenz daraus wäre, dass nicht mehr Staaten, sondern Märkte die Regeln und Grenzen von Morgen definieren. Gerade bei der Gestaltung einer neuen Ordnungspolitik ist die Zivilgesellschaft8 herausgefordert, sich an transnationalen Willensbildungsprozessen zu beteiligen. Ebenso wie das System Wirtschaft profitiert auch die Zivilgesellschaft von den neuen technischen Möglichkeiten der Vernetzung und es entstehen neue Arenen der Meinungsbildung. Angesichts der potentiell erzeugten multidimensionalen Problemlagen erfordern die weitreichenden Konsequenzen der Entscheidungen einzelner Akteure transnationale Legitimität. In diesem Prozess der Politikgestaltung spielen die Nicht-RegierungsOrganisationen9 (NRO; non-governmental-organisations: NGOs) zunehmend eine tragende Rolle.10 Sie vertreten die Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen 6 Vgl.: Messner, Dirk; Nuscheler, Franz (1996): Global Governance. Organisationselemente und Säulen einer Weltordnungspolitik, in: dies. (Hg.): Weltkonferenzen und Weltberichte. Ein Wegweiser durch die internationale Diskussion. Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), Bonn, S. 17 ff. 7 Höffe, Otfried (1999): Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 26. 8 Hier ausgehend vom Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft als Abgrenzung zum Staat nach HEGEL: „Die konkrete Person, welche sich als besondere Zweck ist, als ein Ganzes von Bedürfnissen und eine Vermischung von Naturnotwendigkeit und Willkür, ist das eine Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft, - aber die besondere Person als wesentlich in Beziehung auf andere solche Besonderheit, so daß jede durch die andere und zugleich schlechthin nur als durch die Form der Allgemeinheit, das andere Prinzip, vermittelt sich geltend macht und befriedigt.“ Hegel, Georg W. F. (1821 / 1972): Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. und eingeleitet von Helmut Reichelt. Frankfurt am Main et al, § 182, S. 168 f.; mit aktuellem Bezug auf NGOs vgl. z. B. die Definition von KLEIN: „Zivilgesellschaft ist jene vorstaatliche oder nicht-staatliche Handlungssphäre, in der eine Vielzahl pluraler (auch konkurrierender) Organisationen und Assoziationen ihre spezifischen Angelegenheiten autonom organisieren und Interessen artikulieren [...].“ Klein, Ansgar (2000): Die NGOs als Bestandteil der Zivilgesellschaft und Träger einer partizipativen und demokratischen gesellschaftlichen Entwicklung, in: Altvater, Elmar; Brunnengräber, Achim; Haake, Markus; Walk, Heike (Hg.): Vernetzt und verstrickt. Nicht-Regierungs-Organisationen als gesellschaftliche Produktivkraft. 2. Auflage, Münster, S. 322 f. 9 Zur Definition von NGOs siehe ausführlich z. B.: Roth, Roland (2001): NGO und transnationale soziale Bewegungen: Akteure einer „Weltzivilgesellschaft“?; in: Brand, Ulrich; Demirovic, Alex; Görg, Christoph; Hirsch, Joachim (Hg.): Nichtregierungsorganisationen in der Transformation des Staates. Münster, S. 43 – 63. 10 Vgl.: Walk, Heike; Brunnengräber, Achim; Altvater, Elmar (2000): Einleitung, in: Altvater, Elmar; Brunnengräber, Achim; Haake, Markus; Walk, Heike (Hg.): Vernetzt und verstrickt. NichtRegierungs-Organisationen als gesellschaftliche Produktivkraft, S. 10 f. Einleitung 9 (Stakeholder) und sind potentiell dazu befähigt, im internationalen Kontext losgelöst von wirtschaftlichen oder nationalstaatlichen Interessen zu agieren.11 Auf globaler Ebene haben sich NGOs besonders auf dem Gebiet des Umweltschutzes Gehör verschafft und verdient gemacht. Insbesondere seit dem Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 forcierten die NGOs den „Trend zur Vernetzung“12 und es begann die „Konjunktur der Supernova am Firmament globaler Politik.“13 „Am Medienhimmel ist ein neuer Stern aufgegangen“, konstatieren W ALK / BRUNNENGRÄBER / ALTVATER (2000: 10) und beschreiben so die Zunahme des öffentlichen Interesses an NGOs und die damit verbundene verstärkte öffentliche Kommunikation über NGOs. Die vorliegende Arbeit widmet sich den Einflussmöglichkeiten der NGOs als organisierte, wissensbasierte Netzwerke der europäischen Zivilgesellschaft auf Willensbildungsprozesse. Am Beispiel der Verankerung des Leitbildes der „nachhaltigen Entwicklung“14 im Vertrag von Amsterdam und der im Vorfeld der Verhandlungen umgesetzten „Greening the Treaty Kampagne“ europäischer Umweltverbände wird dargestellt, wie die so organisierte Zivilgesellschaft die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen unterstützen und befördern kann. In diesem Zusammenhang findet sich im Anhang das komplette Interview mit dem Koordinator dieser Kampagne. In Kapitel zwei werden zunächst die veränderten Bedingungen sozialer Beziehungen in einer ‚Wissensgesellschaft’ und ihre Auswirkungen auf organisationale Prozesse unter organisationssoziologischen Gesichtspunkten näher betrachtet. Kapitel drei widmet sich strukturellen Blockaden und möglichen Optionen für eine Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen in der veränderten Organisationsumwelt der Wissensgesellschaft. Die Geschichte globaler 11 Auch wenn „sich immer einmal wieder U-Boote“ unter dem Namen NGOs versteckten, so Weizsäcker, Ernst U. von (2001a): Zur Frage der Legitimität der NGOs im globalen Machtkonflikt. Ein einführender Beitrag, in: Brunnengräber, Achim; Klein, Ansgar; Walk, Heike (Hg.): NGOs als Legitimationsressource. Zivilgesellschaftliche Partizipationsformen im Globalisierungsprozess. Opladen, S. 24. 12 Altvater, Elmar; Brunnengräber, Achim; Haake, Markus; Walk, Heike (Hg.) (2000): Vernetzt und verstrickt. Nicht-Regierungs-Organisationen als gesellschaftliche Produktivkraft. Vorwort, S. 7. 13 Walk, Heike; Brunnengräber, Achim; Altvater, Elmar (2000): Einleitung, S. 10. Begriffserklärung: Wenn von nachhaltiger Entwicklung, Nachhaltigkeit, sustainable development oder Sustainability gesprochen wird, liegt diesen Begriffen die Definition des BrundtlandBerichtes (1987) zugrunde: „Dauerhafte Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können", in: Hauff, Volker (Hg.) (1987): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven, S. 46. 14 Einleitung 10 Konzepte zur Beteiligung der Zivilgesellschaft an politischen Willensbildungsprozessen und die auch durch den Einfluss der NGOs veränderte Realität der Politikverflechtung sowie die damit verbundenen Möglichkeiten und Probleme werden in Kapitel vier umrissen, bevor dann in Kapitel fünf neben Anspruch und Realität europäischen Regierens die europäische Integrationspolitik und der Einfluss von NGOs bei europäischen Willensbildungsprozessen thematisiert werden. Die Möglichkeiten ökologischer Kommunikation in der Europäischen Union (EU) werden in Kapitel sechs reflektiert. Anhand des „Greening the Treaty“ Prozesses werden Rolle und Auswirkungen des NGO Engagements für den Integrationsprozess von Umweltthemen in die europäische Politik dargestellt. Kapitel sieben fasst die Erkenntnisse zusammen und bietet einen Ausblick. Bei der Kommunikation und Umsetzung des Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung ist es von Bedeutung, die Funktionsweise der gesellschaftlichen Organisation zu verstehen, um strukturelle Blockaden zu erkennen und Reformen einzuleiten. Die dafür nötige Abstraktion kann mit der Hilfe von Theorien ermöglicht werden. Der theoretische Kontext der vorliegenden Arbeit ist die Theorie der „Ökologischen Kommunikation“ von Niklas Luhmann (1927-1998) als Anwendung seiner Systemtheorie auf den Umgang der Gesellschaft mit ökologischen Problemen. Im folgenden Teil der Einleitung wird die Theorie zunächst kurz erläutert. Sie soll als Orientierung dienen und die Kommunikation speziell ökologischer Probleme in Entscheidungsprozesse hinein problematisieren und somit zum Verständnis auftretender Schwierigkeiten in Kommunikationsprozessen beitragen. Da seine Theorie nicht nur in der Literatur zur Nachhaltigkeitsdebatte häufig auf Kritik stößt, ist es im darauf anschließenden Exkurs notwendig, die Hauptstränge der Kritik kurz darzustellen und die wichtigsten in der vorliegenden Literatur genannten theoretischen Alternativen zu skizzieren. Denn: „Die Theorie funktionaler Systemdifferenzierung ist ein weitreichendes, elegantes, ökonomisches Erklärungsinstrument für positive und negative Aspekte der modernen Gesellschaft. Ob sie auch zutrifft, ist natürlich eine andere Frage.“ LUHMANN (1990: 74) Einleitung 1.2 11 Die Theorie der „Ökologischen Kommunikation“ Ein grundlegendes Element zur Gestaltung und Umsetzung eines Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung ist die Kommunikation dieses Prozesses. In der Theorie Luhmanns stellen aber die Kommunikationsmöglichkeiten als solche das Kernproblem jeglicher Vermittlung dar. Als ökologische Kommunikation soll hier zunächst die Generierung und Weitergabe von Wissen mit Folgen für die Umwelt bezeichnet werden. Grundlage für den Einstieg in die komplexe Theorie des Bielefelder Soziologen ist die Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft in funktionale Teilsysteme15, mit ihren je eigenen spezifischen Kommunikationscodes, die „somit jene operationell geschlossenen, selbstreferentiellen Systeme bilden,“ die eine gesamtsystemische Kommunikation verhindern.16 Es sind sogenannte autopoietisch operierende Systeme, die ihre Elemente17 und damit sich selbst durch ein Netzwerk eben dieser Elemente selbst reproduzieren. Das System schließt seine Selbstreproduktion durch intern zirkuläre Strukturen gegen die Umwelt ab.18 „Man muß mindestens auch mit der Möglichkeit rechnen, daß ein System so auf seine Umwelt einwirkt, daß es später in dieser Umwelt nicht mehr existieren kann. Die primäre Zielsetzung autopoietischer Systeme ist immer die Fortsetzung der Autopoiesis ohne Rücksicht auf Umwelt, und dabei wird der nächste Schritt typisch wichtiger sein als die Rücksicht auf Zukunft, die ja gar nicht erreichbar ist, wenn die Autopoiesis nicht fortgesetzt wird.“ LUHMANN (1990: 38) Im Falle sozialer Systeme stellt die Kommunikation als eigenständige autopoietische Operation das Medium der Abgrenzung dar.19 „Die wichtigsten Funktionssysteme strukturieren ihre Kommunikation durch einen binären, zweiwertigen Code, der unter dem Gesichtspunkt der jeweils spezifischen Funktion universelle Gestaltung bean- 15 „Als Differenzierung im allgemeinen lässt sich jede Steigerung der Komplexität eines Systems durch Untersystembildung bezeichnen. Eine funktionale Differenzierung liegt vor, wenn die Untersysteme nicht als gleiche Einheiten nebeneinandergesetzt, sondern auf spezifische Funktionen bezogen und dann miteinander verbunden werden.“ Luhmann, Niklas (1997): Legitimation durch Verfahren. 4. Auflage, Frankfurt am Main (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 443), S. 242. 16 Vgl.: Groß, Matthias (2001): Die Natur der Gesellschaft. Eine Geschichte der Umweltsoziologie. Mit einem Vorwort von Wolfgang Krohn. Weinheim / München, S. 210. 17 Elemente sind z. B. Kommunikationen, Handlungen, Zahlungen, Gedanken; für autopoietische Systeme sind sie aber zugleich immer Ereignisse. Vgl.: Krause, Detlef (2001): LuhmannLexikon. Eine Einführung in das Gesamtwerk von Niklas Luhmann. 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart, S. 122. 18 Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? S. 40. 19 Ebda., S. 266 f. Einleitung 12 sprucht und dritte Möglichkeiten ausschließt.“20 Teilsysteme mit spezifischen Codes kommunizieren auf ihre spezifische Weise und selektieren so ihre Umweltwahrnehmung.21 Der Code des Systems Wirtschaft z. B. ist Haben bzw. Nichthaben; Geld ist das Medium und „vermittelt ausschließlich die systemeigenen Operationen.“22 „Jedes System muß Umweltkomplexität reduzieren – vor allem dadurch, daß es die Umwelt selbst nur beschränkt und kategorial vorformiert wahrnimmt.“23 Die Komplexität gewinnt an Bedeutung als Differenz zwischen System und Umwelt24. So erlangt jedes System eine eigene Rationalität und z. B. der Begriff Natur hat in den Systemen eine Bedeutung mit jeweils unterschiedlicher Relevanz. Für das Wirtschaftssystem bedeutet Natur Rohstoffe, für die Politik hat sie eine räumliche Funktion und für eine Religion ist sie etwas Göttliches.25 Luhmann beschreibt das Verhältnis von System und Umwelt durch den Begriff der Resonanz. Ein System kann nur in Ausnahmenfällen durch Faktoren der Umwelt irritiert werden. Es kann dann aufgeschaukelt und in Schwingung versetzt werden. „Eben diesen Fall bezeichnen wir als Resonanz.“26 D. h., dass diese Irritationen ein System in Schwingung versetzen, aber nur, wenn sie auch in das System hineingelangen. Autopoietische Systeme besitzen in ihren symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien unterschiedlich schwingungsfähige codierte Sensoren, die eigenselektiv auf Umweltanreize ansprechen.27 Mit dem Begriff der „Kopplung“ bezeichnet Luhmann die Form der selektiven Beziehungen des Systems mit seiner Umwelt. Er spricht von „Kopplung“ um zu verdeutlichen, dass es „nirgends vollständige 20 Ebda., S. 75 f. 21 Und damit scheidet „eine Gemeinsamkeit von Elementen zwischen Systemen“ aus; „nicht aber eine Gemeinsamkeit von Ereignissen, die je systemrelativ anders codiert [...] werden.“ Vgl.: Krause, Detlef (2001): Luhmann-Lexikon, S. 123. 22 Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? S. 103. 23 Ebda., S. 33. 24 Luhmann unterschiedet in zwei Arten von Umweltbeziehungen. Zum einen die „gesellschaftsinterne Umwelt“ eines Teilsystems innerhalb des Gesellschaftssystems, die aus den anderen Teilsystemen besteht. Zum anderen besteht für die Teilsysteme und für das System als Ganzes die natürliche Umwelt in Form von Mensch und Natur. Luhmann, Niklas (1981): Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat. München (Analysen und Perspektiven, Bd. 8/9), S. 57; Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? S. 22 f. 25 Vgl.: Groß, Matthias (2001): Die Natur der Gesellschaft. Eine Geschichte der Umweltsoziologie. Mit einem Vorwort von Wolfgang Krohn. Weinheim / München, S. 210. 26 Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? S. 40. 27 Vgl.: Krause, Detlef (2001): Luhmann-Lexikon, S. 194. Einleitung 13 Punkt-für-Punkt-Übereinstimmungen zwischen Systemen und Umwelt gibt.“ Daher stellt das System zu seiner Umwelt nur sehr selektive Zusammenhänge her, auch weil es „sich durch seine Grenzen immer auch gegen Umwelteinflüsse abschirmt“.28 „Wäre diese Selektivität der Resonanz oder der Kopplung nicht gegeben, würde das System sich nicht von seiner Umwelt unterscheiden, es würde nicht als System existieren.“29 Informationen über ökologische Probleme etwa müssen also vom System selektiert werden. Angewandt auf Fragestellungen „der ökologischen Bedingtheit und den ökologischen Gefährdungen des gesellschaftlichen Lebens“ bedeutet das: Es sei „aufs Ganze“ und „systemtheoretisch gesehen eher unwahrscheinlich“, dass „Sachverhalte und Veränderungen der gesellschaftlichen Umwelt in der Gesellschaft Resonanz finden.“30 Nur „wenn ökologische Problemlagen diese Doppelfilter der Codierung und Programmierung durchlaufen, gewinnen sie systeminterne Relevanz und gegebenenfalls weitreichende Beachtung – so und nur so!“31 Das bedeutet: Soll die Umwelt auf die Menschen, bzw. auf die Systeme, zurückwirken, so muss sie „kommunikativ angeschlossen werden“ um zu bewirken, „daß sich soziale Systeme zu Problemen der Ökologie in ein rationales Verhältnis setzen.“32 „Es mögen Fische sterben oder Menschen, das Baden in Seen oder Flüssen mag Krankheiten erzeugen, es mag kein Öl mehr aus den Pumpen kommen und die Durchschnittstemperaturen mögen sinken oder steigen: solange darüber nicht kommuniziert wird, hat dies keine gesellschaftlichen Auswirkungen. Die Gesellschaft ist ein zwar umweltempfindliches, aber operativ geschlossenes System. Sie beobachtet nur durch Kommunikation. Sie kann nichts anderes als sinnhaft kommunizieren und diese Kommunikation durch Kommunikation selbst regulieren. Sie kann sich also nur selbst gefährden.“ LUHMANN (1990: 63) 1.3 Exkurs – Zur Kritik der „Ökologischen Kommunikation“ SCHARPF (1989: 10) konstatiert eine „konsequent fortschreitende Radikalisierung, Zuspitzung und Vereinfachung des Luhmannschen Denkens.“ „Der radikale SteuerungsPessimismus“ finde „seine Begründung [...] in der funktionalen Differenzierung moder- 28 Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? S. 41. 29 Ebda. 30 Ebda., S. 41 – 42. 31 Ebda., S. 220. 32 Ebda., S. 200. Einleitung 14 ner Gesellschaften, [...] deren Elemente weder durch Menschen noch durch Handlungen, sondern durch Kommunikation gebildet werden.“33 Und in der Tat finden sich bei Scharpf die zentralen Elemente der Kritik an der Luhmannschen Theorie, die auch in der Literatur zur Nachhaltigkeitsdebatte immer wieder zu finden sind. Daher muss auch hier in Kürze die Tradition der kritischen Auseinandersetzung mit der Luhmannschen Theorie in Form eines Exkurses fortgesetzt werden.34 Jenseits der konkreten Kritik an der „Ökologischen Kommunikation“ spiegeln sich in der Debatte die zentralen Bezugspunkte der „zwei Soziologien“35 wieder. Zum einen die individualistisch-subjektiven Positionen der akteurszentriert-handlungstheoretischen Ansätze und zum anderen die kollektivistisch-objektiven Modelle des Funktionalismus, Strukturalismus und der Systemtheorie, die Strukturen, Funktionen und Systeme betonen. Systemtheorie und Handlungstheorie, welche „mit dem Gegensatzpaar ‚System’ versus ‚Akteur’ gekennzeichnet werden.“36 Jedoch scheinen beide Sichtweisen – für sich genommen – nicht geeignet, in realistischer Weise ein Abbild der gesellschaftlich-kulturellen Sozialisation des Menschen zu vermitteln, „wenn man von dem interaktionistischen Denkansatz der wechselseitigen Beeinflussung von Person und Umwelt im Handeln ausgeht.“37 Offensichtlich ist vielmehr eine Synthese beider Theoriestränge geeignet, um eine adäquate theoretische Abstraktion zu gewährleisten. Unter anderem habe Anthony Giddens (1984 / 1995) mit der Strukturationstheorie einen einflussreichen Versuch unternommen, diesen Gegensatz zu überwinden, so DIEKMANN / JAEGER (1996: 22). So findet Giddens Theorie in der aktuellen Forschung zur Nachhaltigkeitsdebatte große Beachtung.38 GIDDENS (1995: 55) geht davon aus, dass „die reflexive Steuerung des Handelns seitens des 33 34 Scharpf, Fritz W. (1989): Politische Steuerung und Politische Institutionen, in: Politische Vierteljahresschrift, 30 Jg., Heft 1, S. 10. Vgl. z. B.: BRAUN (1993); DIEKMANN / JAEGER (1996); SCHNEIDEWIND (1998); DIEKMANN / PREI(2001); GROß (2001). SENDÖRFER 35 Vanberg, Victor (1975): Die zwei Soziologien. Tübingen, zitiert nach: Diekmann, Andreas; Jaeger, Carlo C. (1996): Aufgaben und Perspektiven der Umweltsoziologie, in: dies. (Hg.): Umweltsoziologie. Opladen (= Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie; Sonderheft 36), S. 22. 36 Diekmann, Andreas; Jaeger, Carlo C. (1996): Aufgaben und Perspektiven der Umweltsoziologie, S. 22. 37 Vgl.: Siebenhüner, Bernd (2001): Homo sustinens – Auf dem Weg zu einem Menschenbild der Nachhaltigkeit. Marburg, S. 232 f. 38 Die Strukturationstheorie ist erwähnt u. a. bei SCHNEIDEWIND (1998; 2001), SCHNEIDEWIND / PETERSEN (1998), SIEBENHÜNER (2001) und KOPFMÜLLER ET AL (2001). Einleitung 15 Akteurs [...] ein integraler Charakterzug des Alltagshandelns“ sei und sich nicht nur auf das eigene Verhalten des Akteurs, „sondern auch auf das anderer Akteure“ richtet. Somit steuern die Akteure „kontinuierlich den Fluß ihrer Aktivitäten“ und „kontrollieren routinemäßig ebenso die sozialen und physischen Aspekte des Kontextes, in dem sie sich bewegen.“39 Mit der „Dualität von Struktur“ bezeichnet Giddens den wechselseitigen Einfluß von Subjekt und Struktur. Strukturen als Regeln und Ressourcen organisieren soziale Systeme und bestimmen das Handeln; das Handeln wiederum kann Einfluss nehmen auf die gesellschaftlichen Strukturen.40 Die sozialen Systeme sind hier die reproduzierten „Beziehungen zwischen Akteuren oder Kollektiven“ und „als regelmäßige soziale Praktiken“ organisiert. Sie werden durch Interaktionszusammenhänge produziert und reproduziert. D. h., dass erlernte Regeln – vom System bestimmt – auf die Subjekte zurückwirken. Umgekehrt können die Subjekte Einfluss darauf nehmen, was gelernt wird.41 DIEKMANN / JAEGER (1996: 21) sind der Ansicht, Luhmanns „Ökologische Kommunikation“ als Anwendung seiner Theorie sozialer Systeme auf ökologische Fragestellungen sei „eine recht eigenwillige Variante systemtheoretischen Denkens“ und es bleibe „reichlich unklar, wie die Theorie ‚ökologischer Kommunikation’ mit dem in empirischen Untersuchungen angestrebten Erfahrungswissen verknüpft werden kann.“42 „Es fällt nun auf, daß in all diesen Systemen Symbole gehandelt werden. Wie verhält es sich aber mit solchen Systemen, die in materiellem Stoffwechsel mit der Natur stehen, wie Organismen, Technik, Landwirtschaft, industrielle Produktion? Hier findet eine stoffliche Kommunikation mit der äußeren Umwelt statt, die nicht beliebig codiert werden kann. Sie bleibt zwar unterhalb der Totalitätsebene (was dann als Umweltstörung auftritt), doch kann ihre Lernfä43 higkeit nicht prinzipiell bestritten werden.“ „Das Umweltproblem ist der Maulwurf auf dem Feld der Systemtheorie“, so Kurt Jacobs, Rezensent der „Ökologischen Kommunikation“ (1988).44 39 Giddens, Anthony (1995): Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. 2., durchgesehene Auflage. Frankfurt am Main / New York, S. 55. 40 Ebda., S. 67 – 81. 41 Zur Kritik an GIDDENS wiederum siehe u. a.: Diekmann, Andreas; Jaeger, Carlo C. (1996): Aufgaben und Perspektiven der Umweltsoziologie, S. 22. 42 Ebda., S. 21. 43 Sieferle, Rolf Peter (1987): Nachzulesen als Rezension in: Politische Vierteljahresschrift – PVS Literatur, 28 Jg., Heft 2, S. 194. 44 Nachzulesen in: Jacobs, Kurt (1988): Rezension: Ökologische Kommunikation, in: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften. 30 Jg., Nr. 167-172, Berlin 1988, S. 916 – 918. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 2 16 Virtuelle Wissensnetze und Organisation Abstract: In diesem Kapitel geht es von der Systemebene zunächst zurück auf die Organisationsebene – einer Ebene der Subsysteme. Zum einen haben hier die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien völlig neue Formen der Kooperation und Koordination möglicht gemacht. Virtuell basierte Wissensnetze gelten als besonders innovativ und haben eine potentiell hohe Problemlösungskompetenz. Zum anderen erfordert die zunehmende Wissensproduktion neue Formen der Vernetzung, die gegenüber herkömmlich strukturierten Organisationsformen in der Lage sind, mit gesteigerter Komplexität umzugehen. Wissensmanagement wird zunehmend ein wichtiger Begriff in der wissensbasierten Organisation und ist hier neben den Bedingungen für virtuelle Wissensnetze grundlegende Notwendigkeit für organisatorischen Wandel. 2.1 Die Organisationen der Gesellschaft Organisationen sind Voraussetzung und Merkmal für funktional differenzierte Gesellschaften. Sie sind soziale Gebilde, die auf spezifische Ziele ausgerichtet sind. In der Organisationssoziologie bezeichnet eine Organisation die „Gesamtheit aller geplanten und ungeplanten sozialen Prozesse, die innerhalb des sozialen Systems bzw. im Rahmen der Außenbeziehungen mit anderen organisatorischen Gebilden ablaufen [...].“45 Das Ziel einer Organisation bestimmt seine Struktur. Es definiert Normen und Regelungen, bestimmt Kommunikationswege, Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und Autoritätsbeziehungen. Die Organisation ist immer auch ein Herrschaftsverband. Organisationen stabilisieren und entlasten soziales Handeln, indem sie die Kontingenz beschränken und Komplexität reduzieren. Sie definieren Normen und bilden Strukturen im Alltag. Als Instrumente menschlichen Zweckhandelns sind Organisationen – ausgerichtet auf die Erfüllung bestimmter Funktionen – integrale Bestandteile der jeweiligen Teilsysteme der funktional differenzierten Gesellschaft. Dabei kommt es zur Ausbildung eigener und sehr spezieller Sinn-Zusammenhänge innerhalb der auf „spezifische und nur für sie vorrangige“ Funktionen eingestellten Teilsysteme. 45 Ausführlich in: Zimmermann, Gunter E. (1998): Art. Organisation, in: Schäfers, Bernhard (Hg.): Grundbegriffe der Soziologie. 5. Auflage, Opladen (= UTB für Wissenschaft 1416), S. 261 – 264. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 17 „Dieses Formprinzip erklärt den gewaltigen Leistungs- und Komplexitätszuwachs der modernen Gesellschaft; und es erklärt zugleich die Probleme der Integration, das heißt der Resonanzfähigkeit sowohl zwischen den Teilsystemen der Gesellschaft als auch im Verhältnis des Gesellschaftssystems zu seiner Umwelt.“ LUHMANN (1990: 74) Der Kompetenz der Subsysteme für ihre eigenen Zwecke und innerhalb ihrer eigenen Codes entspricht die Inkompetenz des Gesamtsystems. Die Eigenlogik der Teilsysteme führt zur Entkoppelung voneinander, sodass die mit einer ungeheuren Effizienz zu ermöglichenden Ziele bezogen auf das Gesamtsystem kontraproduktiv wirken können. Dieser Antagonismus war die Ursache der Nachhaltigkeitsdebatte und der Auslöser einer Suche nach Gleichgewichten, die die erheblichen ökologischen, sozialen und ökonomischen Nebenfolgen des wirtschaftlichen Fortschritts zu relativieren helfen.46 In den Teilsystemen „wimmelt“ es nur so von Organisationen und „organisationsfreie Interaktionen“, die sich zudem nur einem Teilsystem der Gesellschaft zuordnen lassen sind schwer zu entdecken.47 Organisationen existieren innerhalb der Gesellschaft als eine besondere Form, „Gesellschaft durch verdichtete Kommunikation fortzusetzen.“48 Keine Organisation „ist in der Lage, den Zustand des jeweiligen Funktionssystems zu determinieren [...]“, durch Organisationen können aber wichtige Variablen der Funktionssysteme durch organisierte Kommunikation verändert werden.49 „Organisationen sind die einzigen Sozialsysteme, die regulär als ‚kollektive Akteure’ auftreten können; die einzigen Sozialsysteme, die im Kommunikationssystem Gesellschaft ‚im eigenen Namen’ kommunizieren können.“50 Die durch sie entstehenden Entscheidungsspielräume, „die es andernfalls nicht gäbe,“ ermöglichen es, die Irritabilität eines Systems zu steigern.51 Für die programmatische Integration einer nachhaltigen Entwicklung kommt gerade deshalb den Organisationen eine besondere Rolle zu. Ihr Einfluss mag bereits durch ihre Verankerung im Gesellschaftssystem vorstrukturiert sein; die Umsetzung einer 46 Vgl.: Schneidewind, Uwe (2002): Nachhaltige Wissensgesellschaft, in: Bleicher, K.; Berthel, J. (Hg.): Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft. Frankfurt am Main (erschienen 2001), S. 193. 47 Vgl.: Luhmann, Niklas (1994): Die Gesellschaft und ihre Organisationen, in: Derlien, Hans U.; Gerhardt, Uta; Scharpf, Fritz W. (Hg.): Systemrationalität und Partialinteresse. Festschrift für Renate Mayntz. Baden-Baden, S. 189. 48 Vgl.: Ebda., S. 190. 49 Ebda., S. 195. 50 Ebda., S. 191. 51 Ebda., S. 190. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 18 nachhaltigen Entwicklung erfordert dennoch weitreichende institutionelle Reformen und setzt als eine große Herausforderung an die Organisationen genau dort an. Denn: „Daß im Namen von Organisationen kommuniziert werden kann, lässt noch offen, was kommuniziert wird.“52 2.2 Organisation und Wandel WILLKE (1998) schildert die Notwendigkeit des Umbaus der „traditionell tayloristischen Organisation“ zur „intelligenten Organisation“.53 Der gegenwärtig laufende Übergang von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft transformiere Produkte und Dienstleistungen zu „wissensbasierten, intelligenten Gütern.“ Grundlage für den zukünftigen Erfolg von Organisationen sei die „Wissensarbeit“, die in organisierter Form das Wissen zu einer Produktivkraft entfalten könne und „gegenwärtig dabei ist, die herkömmlichen Produktivkräfte (Land, Arbeit, Kapital) in ihrer Bedeutung zu überflügeln.“54 Doch nicht nur eine zum Großteil wissensbasierte Ökonomie kennzeichnet die Wissensgesellschaft. „Völlig neue Formen der gesellschaftlichen Organisation und Wertschöpfung“ finden ihren Ausdruck in zeitlich und räumlich entkoppelten und virtualisierten Koordinationsprozessen, die mittels neuer Informations- und Kommunikationstechnologien für eine „erheblich Beschleunigung von Handlungen, Geschäfts- und Organisationsprozessen“ führen.55 Um die Organisationsziele unter sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen weiterhin erfolgreich erfüllen zu können, müssen Organisationen ihre formale Struktur entsprechend anpassen. SIEBENHÜNER (2001: 417 ff.) unterscheidet hier zwei Möglichkeiten des organisationalen Anpassungsprozesses an veränderte Umweltbedingungen. Zum einen den „als ‚sozialtechnologisch’ kritisierten“ Ansatz der Organisationsentwicklung und zum anderen den partizipatorisch orientierten Ansatz des organisationalen Lernens. Organisationsentwicklung bezeichnet den Anpassungsprozess an den gesellschaftlichen Wandel und drückt sich u. a. aus durch flache Hierarchien, „Ver- 52 Vgl.: Ebda., S. 191. 53 Willke, Helmut (1998): Systemisches Wissensmanagement, S. 1. 54 Ebda., S. 5. Angelehnt an die Definition der Wissensgesellschaft von SCHNEIDEWIND eines „breiteren ökonomischen und gesellschaftlichen Verständnisses“; vgl. Schneidewind, Uwe (2002): Nachhaltige Wissensgesellschaft, S. 199 - 200. 55 Virtuelle Wissensnetze und Organisation 19 ringerung der horizontalen Differenzierung innerhalb der Organisation zugunsten vernetzter Strukturen mit verstärkter horizontaler und vertikaler Kooperation [...].“56 Die Dynamik der Veränderung generiert sich beim Modell der Organisationsentwicklung aber nicht aus „der Mitte des Unternehmens selbst“.57 Die Veränderung von Strukturen und Verhalten der Organisation ist nur durch den Einsatz gezielt ausgebildeter Spezialisten möglich und wirkt so zunächst von ‚außen’ auf die Organisation ein. Organisationsentwicklung ist meist ein vom Management ausgehender ‚top-down’ Prozess, der „die Mitarbeiter stark in eine Ausführungsrolle drängt.“58 Grundsätzlich stellt ein organisatorischer Wandel „ein besonderes Problem“ dar, da sich evtl. die Organisationsziele ändern und ein veränderter Sinnzusammenhang direkt auch die individuellen Interessen der Organisationsmitglieder betrifft. Ohne die Lösung der daraus entstehenden Konflikte wird die formale Struktur der Organisation in Hinblick auf ihre Ziele dysfunktional.59 Zur Internalisierung veränderter Ziele scheint daher das Konzept des organisationalen Lernens besser geeignet, welches auf die kreativen Kräfte der Organisationsmitglieder setzt. Der kreative und selbst-organisierte Lernprozess orientiert sich weniger an konkret vorgegebenen Zielen, „sondern beinhaltet einen nicht – oder nicht vollständig – geplanten bzw. nicht planbaren Wandel“.60 Diese ‚bottom-up’ Struktur einer lernenden Organisation zielt auf einen „permanenten Wandel der gesamten Organisation“ und gerät u. U. auch „in Konflikt mit den Zielen des Managements“.61 Übergeordnetes Ziel organisationaler Lernprozesses ist der „Wissenszuwachs auf der kollektiven Ebene des gesamten Unternehmens“.62 SIEBENHÜNER (2001: 419) favorisiert in Hinblick auf eine nachhaltigkeitsorientierte Unternehmensführung den partizipatorischen Ansatz des organisationalen Lernens, wenngleich sich auch Elemente der Organisati- 56 Vgl.: Zimmermann, Gunter E. (1998): Art. Organisation, S. 263. 57 Siebenhüner, Bernd (2001): Homo sustinens – Auf dem Weg zu einem Menschenbild der Nachhaltigkeit, S. 417 f. 58 Mehr zur Definition von Organisationsentwicklung und lernender Organisation siehe: Ebda. 59 Eine Dysfunktion beschreibt diejenige Wirkung eines sozialen Elements, welche die Umweltanpassung, Integration, Zielverwirklichung und Strukturerhaltung das Systems beeinträchtigt. Vgl.: Reimann, Bruno W. (1994): Art. Dysfunktion, in: Fuchs-Heinritz, Werner; Lautmann, Rüdiger; Rammstedt, Otthein; Wienold, Hanns (Hg.): Lexikon zur Soziologie. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Opladen, S. 154; siehe auch: Zimmermann, Gunter E. (1998): Art. Organisation, S. 263. 60 Siebenhüner, Bernd (2001): Homo sustinens – Auf dem Weg zu einem Menschenbild der Nachhaltigkeit, S. 418. 61 Ebda. 62 Ebda. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 20 onsentwicklung für „kurzfristiger angelegte Veränderungsprozesse“ eigneten. Die Integration der Nachhaltigkeitsziele in den organisatorischen Wandel bedeutet hier die funktionale Anpassung von Struktur und Ziel der Organisation. Dieser Prozess erfordert neben der Steuerung der zu erwartenden Konflikte ein hohes Maß an Innovation auf organisationaler als auch auf institutioneller Ebene. Um Steuerungsmechanismen in einer hochkomplexen Welt zu entwickeln und anhand neuer Ideen ganz neue Wege zu gehen, braucht es Innovationen, die von den alten Apparaten, vor allen den Großkonzernen, scheinbar nicht effizient genug initiiert werden können. Durch den Erfolg vergangener Jahre fällt es ihnen besonders schwer, den notwendigen organisationalen Wandel zu gestalten. Die starke Kultur des „großen WIR“ verursacht eine ausgeprägte konsensuale Ordnung und Bindung an tendenziell überkommene organisationale Modi.63 Die fest geschlossenen Strukturen und Kulturen klassischer Organisationsgesellschaften sind daher „wohl kaum noch einladend (für) freies Engagement und die Offenheit kreativen Lernens.“64 So blockiert die eigene Organisation den strukturellen Fortschritt. Organisationale Lernprozesse durchbrechen nur langsam die festen Strukturen, deren Stabilität den Erfolg von Gestern sicherte, den von Morgen aber nicht mehr garantiert. 2.3 Die virtuelle Organisation65 Ausdruck des organisationalen Wandels in einer zunehmend komplexen und vernetzten Umwelt sind Netzwerkstrukturen, die geeignet erscheinen, sich „geänderten Umweltbedingungen in schneller und effektiver Art und Weise“ anzupassen.66 Sie sind zugleich Auslöser und Reaktion „einer gestiegenen Wissensvermehrung, einer erhöhten Wahlfreiheit von Individuen und Gruppen und einer damit größer gewordenen 63 Vgl.: Pankoke, Eckart; Stellermann, Rolf (2000): Werte und Wissen im Wandel. Zur kommunikativen Kultur organisationalen Lernens. Lehrforschungsprojekt im Studiengang ‚Praktische Sozialwissenschaft’. Essen, S. 122. 64 Ebda. 65 Eine ausführliche Darstellung der Konzepte virtueller Organisationen findet sich bei: Scholz, Christian (2000): Strategische Organisation. Multiperspektivität und Virtualität. 2., überarbeitete Auflage, Landsberg/Lech, S. 320 – 391. 66 Vgl.: Pankoke, Eckart; Stellermann, Rolf (2000): Werte und Wissen im Wandel. Zur kommunikativen Kultur organisationalen Lernens, S. 16. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 21 Komplexität von technischen und sozialen Interaktionen“67. In zunehmender Zahl kooperieren kompetente Netzwerke, hochflexibel und innovativ auch über Organisationsgrenzen hinweg und lösen als die Testlabore organisationaler Entwicklung die alten Apparate mit ihren starren Strukturen ab und etablieren sich als neue Signalgeber einer innovativen Organisationskultur. Virtuelle Wissensnetze bezeichnen solche neuen Organisationsformen, in welchen die Organisationsmitglieder neue Formen der Zusammenarbeit entwickeln. Eine Zusammenarbeit in Netzwerken kennzeichnet sich durch das Herauslösen aus Organisationsstrukturen, die i. d. R. aufgrund des hohen Grades der erreichten Arbeitsteilung für sehr spezielle Ziele angelegt sind und die die Reduktion von Komplexität maximieren. Die Komplexität wird durch die Zusammenarbeit in Netzwerken potentiell erhöht; insbesondere dann, wenn über Organisations- und Sachgebietsgrenzen hinweg kommuniziert wird. Ursprünglich bezeichnet das Wort virtuell etwas der Anlage nach als Möglichkeit Vorhandenes (Brockhaus). Abgeleitet vom lateinischen virtus = Tüchtigkeit als die Möglichkeit zu etwas in sich begreifend (Duden). Es existiert somit keine reale Eigenschaft einer Sache, sondern eine Möglichkeit. „Virtualität spezifiziert also ein konkretes Objekt über Eigenschaften, die nicht physisch, trotzdem ihrer Leistungsfähigkeit nach vorhanden sind.“68 Die heute gängige Bezeichnung von Virtualität ist eng verknüpft mit der Terminologie des Computerzeitalters und hat sich seit Mitte der 1990er Jahre „zu einem intensiv benutzten Schlagwort entwickelt.“69 Virtualität findet statt im virtuellen Raum – im Cyberspace: einer künstlich inszenierten Wirklichkeit, die als real erfahren wird. Und tatsächlich schafft die Informationstechnologie als Konsequenz der Computerisierung für die Arbeitswelt solche computerbasierten Welten, die scheinbar entgrenzt von Zeit, Raum und Kultur als Kommunikationsplattformen dienen; die zur ‚Heimat’ der virtuellen Gemeinschaften geworden sind. Die virtuelle Organisation ist eine Konsequenz der „Suche nach Gestaltungsformen, die räumliche, zeitliche und funktionale Grenzen flexibilisieren und [...] aufweichen.“70 In der virtuellen Organisation verschwimmen die organisatorischen Grenzen und die Bildung und Abgrenzung organisatorischer Einheiten verändert sich. Diese Organisationsform ist gleichzeitig Ausdruck einer neuen Qualität organisatorischer Gestaltung und impliziert „eine neue Sichtweise 67 Vgl.: ebda. 68 Scholz, Christian (2000): Strategische Organisation. Multiperspektivität und Virtualität, S. 328. 69 Ebda., S. 320. 70 Ebda. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 22 auf Organisationen“, so SCHOLZ (2000: 320). Eine nicht sehr trennscharfe, aber dennoch „wegweisende Grundauffassung von virtuellen Unternehmen“, die noch immer Bestand habe, so Scholz (2000: 324), lieferten BYRNE, BRANDT und PORT (1993: 36 ff.): „Danach ist es charakteristisch für diese Organisationsform, daß sich die involvierten Einheiten bis auf ihre Kernkompetenzen hin reduzieren, um sich dann flexibel zu neuen Einheiten zusammenschließen.“71 Im virtuellen Raum konstituierte Organisationen und ihre Mitglieder profitieren von der höheren Geschwindigkeit des Informationsaustausches. Ihr Ziel ist die Vernetzung und die Vergrößerung der Wissensbasis. Virtuelle Organisationen erlangen Wettbewerbsvorteile durch geringere Kosten für die Infrastruktur, die ihrerseits als extensive Kommunikationsinfrastruktur Abstimmungsprozesse der Organisation verbessert und zu einer „effektiveren und effizienteren Ressourcennutzung“ beiträgt.72 Die relative Ungebundenheit weitgehend losgelöst von physischen Zwängen wie etwa Gebäuden etc. senkt nicht nur Kosten; sie ist auch Ausdruck einer größeren Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.73 Virtuelle Organisationen sind strukturell dazu befähigt, Expertenwissen flexibel zusammenzuführen. Ihre Konstitution scheint besonders geeignet in wissensintensiven Bereichen wie der Informationstechnologie und in Forschung und Entwicklung. Als Plattformen für den Wissensaustausch können sie die Problemlösungskompetenz durch einen reflexiven Umgang mit multidimensionalen Problemlagen steigern sowie flexibel und schnell auf Veränderungen der Umwelt reagieren. Auch und gerade für Non-Profit-Organisationen ist diese Form der Vernetzung von Wissensträgern eine attraktive organisationale Alternative. Virtuelle Organisationen sind nicht länger „als Resultat eines organisationsstrukturellen Urknalls anzusehen, sondern als Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung in einem mehrdimensionalen Raum.“74 71 Vgl.: Byrne, John A.; Brandt, Richard; Port, Otis (1993): The Virtual Corporation, in: Business Week v. 8.2.1993, S. 36 – 40; zitiert nach: Scholz, Christian (2000): Strategische Organisation. Multiperspektivität und Virtualität, S. 324. 72 Vgl.: Ebda., S. 337. 73 Vgl.: Ebda., S. 336 f. 74 Ebda., S. 332. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 2.4 23 Wissensnetze und Wissensmanagement Wissen ist Macht – diese Redewendung geht zurück auf den englischen Juristen, Staatsmann, Philosophen und Schriftsteller Francis Bacon (1561 – 1626). Im lateinischen Original heißt es bei dem bedeutenden europäischen Denker der Übergangszeit von der Renaissance zur Neuzeit: „Ipsa scientia potestas est“. Dem lateinischen Wort „potestas“ kommt hier eine besondere Bedeutung zu; kann es doch nicht ohne weiteres mit Macht übersetzt werden. Vielmehr beschreibt es das Vermögen – ein Potenzial – etwas bewirken zu können.75 So interpretiert kann Wissen daher nicht zwangsläufig mit Macht gleichgesetzt werden. Im Sinne von Bacon muss dieses Potenzial erst genutzt, das heißt richtig angewendet, richtig verteilt und richtig zugänglich gemacht – also richtig gemanagt werden, um so zur Machtentfaltung zu verhelfen. In komplexen Organisationen wird diese Aufgabe heute mit dem illustren Begriff des Wissensmanagements abgebildet. Illuster deshalb, weil es DAS Wissensmanagement sicherlich nicht gibt und prinzipiell jede Organisation ein auf sie zugeschnittenes Bündel an Maßnahmen entwickeln muss, die Produktivkraft Wissen bei ihren Mitarbeitern zu bergen, um sie für ihren Zweck nutzen zu können.76 Für das Wissensmanagement von Bedeutung ist die Unterscheidung des Wissens in explizites und implizites Wissen.77 Implizites Wissen ist an Personen gebunden, die nicht unbedingt wissen müssen, dass sie dieses Wissen haben und die auch nicht erklären müssen, was sie können. Explizites Wissen dagegen ist formuliertes Wissen, „ein Wissen also, von dem der Wissende weiß und über das er sprechen kann.“78 Für ein gelingendes Wissensmanagement ist es daher von Bedeutung, „die Übergänge zwischen implizitem und explizitem Wissen zu gestalten und in Bewegung zu bringen“.79 Eine wissensbasierte Organisation gelangt dann zu einer Generierung innovativen Wissens, wenn diese Übergänge in organisationale Prozesse gefasst werden die fördern, „daß individuelles Wissen artikuliert und durch Zugänglichkeit verbreitet 75 Vgl.: Stehr, Nico (2001): Wissen und Wirtschaften. Die gesellschaftlichen Grundlagen der modernen Ökonomie. Frankfurt am Main (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1507), S. 62 f. 76 Mehr zur Definition von Wissensmanagement siehe z. B.: Willke, Helmut (1998): Systemisches Wissensmanagement; Probst, Gilbert; Raub, Steffen; Romhardt, Kai (1999): Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen. 3. Auflage, Wiesbaden. 77 Willke, Helmut (1998): Systemisches Wissensmanagement, S. 12 f. 78 Ebda., S. 13. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 24 wird.“80 Dies setzt organisationales Lernen überhaupt erst voraus. Wissensmanagement bedeutet also die Transformation von personalem Wissen in organisationales Wissen und umgekehrt. Das Wissen ist nicht mehr länger in den Köpfen der Menschen gespeichert, sondern „in den Operationsformen eines sozialen Systems.“81 Dabei ist zum einen die systemische Erfassung von Wissensbeständen z. B. in Datenbanken nötig; zum anderen aber auch die Gewährleistung des personalen Austausches zwischen den Organisationsmitgliedern in „communities of practice“ (personalisierte Netzwerke). So „wird implizites Wissen vom Individuum gelöst und kollektiv nutzbar gemacht.“82 Ein systemisches Lernen gelingt nur im „anspruchsvollen Kontext gemeinsamen Lernens.“ „Communities of practice“ bilden hier diese gemeinsam geteilte Erfahrungswelt.83 Wissensnetze als soziale Netzwerke bilden ein Geflecht aus sozialen Beziehungen. Die sozialen Einheiten können Personen, Gruppen, Organisationen und Institutionen sein.84 Der Begriff der sozialen Beziehung bezeichnet dabei die potentiell und real wiederholbaren Kontaktaufnahmemöglichkeiten zwischen Personen, Gruppen, Organisationen und anderen sozialen Gebilden.85 Diese Beziehungen sind i. d. R. von länger dauerndem Bestand. Wissensnetze können also als das Geflecht der sozialen Beziehungen bezeichnet werden, welche „als Ganzes betrachtet das Verhalten der verbundenen sozialen Einheiten“ beeinflussen „und zur Interpretation dieses Verhaltens herangezogen werden“ können.86 Die als virtuelle Organisationen konstituierten Wissensnetze interagieren als „soziale Phänomene“ im Beziehungsgeflecht der Datennetze und ermöglichen als Wissensgemeinschaften dialogische Kommunikation und Raum für Reflexion. 79 Ebda., S. 14. 80 Ebda., S. 15. 81 Ebda., S. 16. 82 Vgl.: Pankoke, Eckart; Stellermann, Rolf (2000): Werte und Wissen im Wandel. Zur kommunikativen Kultur organisationalen Lernens, S. 77. 83 Vgl.: Ebda., S. 72. 84 Wegmann, Jutta; Zimmermann, Gunter E. (1998): Art. Netzwerk, soziales, in: Schäfers, Bernhard (Hg.): Grundbegriffe der Soziologie, S. 251. 85 Gukenbiehl, Hermann L. (1998): Art. Beziehung, soziale, in: Schäfers, Bernhard (Hg.): Grundbegriffe der Soziologie, S. 40. 86 Vgl.: Wegmann, Jutta; Zimmermann, Gunter E. (1998): Art. Netzwerk, soziales, S. 251. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 2.5 25 Wissensgemeinschaften – Keimzellen lebendigen Wissensmanagements Ein Instrument des Wissensmanagements moderner Organisationen seien die Wissensgemeinschaften, so NORTH, ROMHARDT und PROBST (2000: 52–62). Als die „Keimzellen lebendigen Wissensmanagements“ taugen sie womöglich als Instrument, die Ressource Wissen „in den Griff zu bekommen“ und effizienter einzusetzen.87 „Wissen ist an den Menschen gebunden und Resultat von Reflektion.“88 Neues Wissen entsteht durch Interaktion im Kontext der Zusammenarbeit und des Austausches. Die Wahl der Kommunikationsform ist daher entscheidend für die Qualität der Interaktion. Das persönliche Kennen der Mitglieder einer Wissensgemeinschaft erleichtert den weiteren Austausch über elektronische Medien. An Personen und Erfahrungen gebundenes implizites Wissen kann leichter durch persönliche Kommunikation ausgetauscht werden; „je mehr explizites Wissen ausgetauscht wird, desto mehr ist die Nutzung elektronischer Medien möglich.“89 Auf der Suche nach neuen Plattformen des Wissensaustausches könnten Wissensgemeinschaften als Beispiel virtueller Organisationen eine Alternative bieten, die Problematik der potentiellen Wissensintransparenz in einer Organisation auflösen zu helfen und Synergien durch Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. Gleichzeitig dienen sie als Foren, die Reflexivität ermöglichen und Innovationen entwickeln können. Wissensgemeinschaften können dazu dienen, Wissen zugänglich zu machen. Tauchen z. B. ähnliche Probleme an unterschiedlichen Orten auf, so bildet die Wissensgemeinschaft eine Struktur, die den Kontakt zwischen Wissenden und Unwissenden herzustellen vermag. Wissen ist in großen Organisationen i. d. R. breit verteilt und gestreut. Eine Förderung von Dialogen zwischen Wissensanbietern und Wissensnachfragern kann durch Wissensgemeinschaften vorstrukturiert werden. Synergien durch Erfahrungs- und Wissensaustausch aus ungeplantem Dialog lassen die Ideen für die Geschäfte von Morgen entstehen. Zudem kann Wissen potenziert werden, indem es geteilt wird. Wissen teilen sorgt für Anerkennung der Organisationsmitglieder und kann durch Wissensge- 87 North, Klaus; Romhardt, Kai; Probst, Gilbert (2000): Wissensgemeinschaften: Keimzellen lebendigen Wissensmanagements, in: io Management, 69 (2000) 7/8, S. 52. 88 Ebda., S. 56. 89 Ebda., S. 60. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 26 meinschaften kultiviert werden. „Wissensteilung, Kreativität und Gemeinschaft“ als menschliche Grundbedürfnisse fördern gleichzeitig die Motivation.90 Wissen ist Macht – Auf dem Weg vom Wissen zur Macht bergen Wissensgemeinschaften die Wissens- und Innovationspotenziale in Organisationen. Nur innovative Strukturen scheinen unter den beschleunigten Bedingungen der Wissensgesellschaft, in der sich die Halbwertzeit von Wissen verringert,91 geeignet, im Wettbewerb um Wissen nicht den Anschluss zu verlieren. Zusammengefasst können Wissensgemeinschaften dazu dienen, vorhandenes Wissen zugänglich zu machen, Innovationen zu ermöglichen und neues Wissen zu generieren. Diese Forderungen implizieren weitreichende Bedingungen für das Arbeitsumfeld und die Organisationsstruktur, die kurz anhand einer idealtypischen Definition dargestellt werden. Angelehnt an die Definition von NORTH, ROMHARDT und PROBST (2000: 58) einer idealtypischen Wissensgemeinschaft wird unterschieden in strukturelle Aspekte der Organisationsform und personelle Bedingungen für die Mitglieder von Wissensgemeinschaften. Strukturell bietet eine Wissensgemeinschaft ihren Mitgliedern eine Kommunikationsplattform, die Wissensaustausch fördert. Hierunter fallen Zeit und Raum für (auch informelle) Gespräche, aber ebenso auch die Möglichkeiten zur elektronischen Kommunikation. Ferner motiviert sie zum Teilen von Wissen und gewährleistet einen lebendigen Wissensfluss, z. B. durch die gemeinsame Entwicklung von Ideen, um Organisationsziele erfolgreich erreichen zu können. Wissensgemeinschaften sind räumlich und zeitlich relativ unabhängig. Die Vernetzung ihrer Mitglieder erlaubt die Kommunikation in einem virtuellen Raum auch über Organisationsgrenzen hinaus. Dieses strukturbildende Element erweitert hier den Idealtyp der o. g. Autoren zur Erleichterung der Abgrenzung zu Communities of Practice (CoPs; Praxisgemeinschaften), die nicht zwangsläufig eine Wissensgemeinschaft sind, sondern auch eine Abteilung oder Arbeitsgruppe in herkömmlich strukturierten Organisationen bezeichnen können.92 90 Angelehnt an: ebda., S. 52. 91 Zur Verfallszeit des Wissens vergleiche z. B.: Degele, Nina (2000): Informiertes Wissen. Eine Wissenssoziologie der computerisierten Gesellschaft. Frankfurt am Main / New York, S. 43. 92 Vgl. ebda., S. 55; sowie: Wenger, Etienne C. (1999): Communities of practice: Learning, meaning and identity. First paperback edition, Cambridge, insbes. S. 72 ff.; obwohl HENSCHEL seine Definition einer CoP insofern ausweitet, dass ihre Mitglieder sehr wohl verschiedenen Organisationen angehören können, siehe: Henschel, Alexander (2001): Communities of Practice. Plattform für individuelles und kollektives Lernen sowie den Wissenstransfer. Dissertation: Universität St. Gallen, S. 50. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 27 Mitglieder von Wissensgemeinschaften zeichnen sich aus als Menschen, ! die ein Thema vollständig durchdringen wollen ! die sich alle als Lehrer und Schüler verstehen ! die sich einem Thema ganz öffnen ! die ihre wahren Überzeugungen und Erfahrungen äußern ! die offen über Fehler und Misserfolge reden ! die genügend Raum und Zeit für das Teilen dieser Erfahrungen zur Verfügung haben ! die sich gegenseitig schützen ! die nicht an bestehenden Konzepten festhalten, sondern bereit sind, alles neu zu überdenken ! die einander zuhören und versuchen, ein gegenseitiges Verständnis zu erreichen ! die mit ihrem Wissen nicht in wirtschaftlichen Wettbewerb treten wollen Als Beispiel aus der Praxis wird in diesem Zusammenhang die Linux Gemeinde immer wieder genannt. Diese ‚open source’ Gemeinschaft beschäftigt sich mit der Weiterentwicklung eines Betriebssystems für Computer, dessen Quellcode für jedermann frei zugänglich ist. 2.6 Von der virtuellen Organisation zur gesellschaftlich legitimierten Institution „Virtuelle Organisationsformen stehen erst am Anfang der Institutionalisierungsphase“, so Scholz (2000: 331). Ihre zunehmende Institutionalisierung als besonders für wissensintensive Prozesse geeignete Kommunikationsplattform wäre daher als Konsequenz zunehmender Wissensarbeit in einer Wissensgesellschaft anzunehmen. Die vorindustriellen Institutionenlehren begründeten Institutionen als eine Erscheinung der „übergeordneten Macht, die in dieser Welt für Ordnung, Gestalt und Form sorgt.“93 Zu den Institutionen zählten der Ackerbau, die Ehe,94 und natürlich Kirche und Staat, die als „die Schwerter Gottes“ legitimiert waren und eine „außerordentliche Würde“ genossen. Übergeordnet als Zuchtmeister oder als Heilsweg waren Staat und Kirche Institutionen – von oben gegründet – und dem moralischen Wesen Mensch und all 93 Jonas, Friedrich (1966): Die Institutionenlehre Arnold Gehlens. Tübingen (= Soziale Forschung und Praxis; Bd. 24), S. 2. 94 Vgl.: Hegel, Georg W. F. (1821 / 1972): Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 350, S. 298; § 203, Anmerkung, S. 181. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 28 seinen Schwächen verordnet.95 Auch heute noch prägen Institutionen das Zusammenleben in der Gemeinschaft. Sie sind soziale Einrichtungen, die auf Dauer bestimmen, „‚was getan werden muß’.“96 Sie sorgen für Strukturen, definieren Regeln und bestimmen Ziele. Der Begriff ist in der Soziologie auch heute noch ein nicht eindeutig geklärtes Konzept.97 Esser (2000: 2) definiert Institutionen zunächst als „eine Erwartung über die Einhaltung bestimmter Regeln, die verbindliche Geltung beanspruchen.“ Institutionen grenzen sich ab von Organisationen, „in denen soziale Regeln zwar angewandt werden, die aber nicht allein daraus bestehen.“ Organisationen sind für einen bestimmten Zweck menschlichen Handelns eingerichtete soziale Gebilde. Institutionen repräsentieren dagegen die in den Erwartungen der Akteure verankerten und sozial verbindlich geltende Regeln des Handelns. Institutionelle Regeln „sind der Kern aller gesellschaftlichen Strukturen“.98 Institutionen sind der Versuch des Menschen, sich vor der Überkomplexität der Welt zu schützen um durch individuelle Orientierung und kollektive Ordnung Alltagsprobleme lösen zu können. In einer funktionalistischen Perspektive sind Institutionen die Problemlösungen, die sich durchgesetzt haben, um die zentralen Aufgaben der Gesellschaft zu erfüllen. In Hinblick auf neu entstandenen Problemdimensionen ist der institutionelle Wandel eine notwendige Bedingung, damit institutionelle Rahmenbedingungen auch in Zukunft Sinn machen. „Institutioneller Wandel ist die Änderung einer bereits bestehenden institutionellen Ordnung.“99 Wird die Organisation von Nutzenproduktion ineffizient oder die Interessen der Menschen an der Geltung der Institution widersprüchlich, führt dies zu einer Änderung institutioneller Ordnung. Sozialer Wandel äußert sich auch in der Umund Neugründung von Institutionen; in der Neudefinition ihrer normativen Wirkung zur Beschränkung der Beliebigkeit und Willkür sozialen Handelns und der Definition von Pflichten als Resultante und Steuerungsinstanz des Handelns.100 Organisationen und Institutionen sind Bestandteile und Ausdruck kultureller Evolution und es ist anzunehmen, dass sich durch neue Kommunikationskulturen Organisations- 95 Jonas, Friedrich (1966): Die Institutionenlehre Arnold Gehlens, S. 2. 96 Lipp, Wolfgang (1998): Art. Institution, in: Schäfers, Bernhard (Hg.): Grundbegriffe der Soziologie, S. 148. 97 Vgl.: Esser, Hartmut (2000): Soziologie. Spezielle Grundlagen, Band 5: Institutionen. Frankfurt am Main / New York, S. 1. 98 Ebda., S. 6 f. 99 Ebda., S. 367. Virtuelle Wissensnetze und Organisation 29 strukturen und damit verbunden auch die Institutionen verändern werden. Institutioneller Wandel geht von der „Basis“ aus; ist also ein „bottom-up“ Prozess.101 Neu entstehende Organisationen und Institutionen sind u. a. das Ergebnis einer neuen Kultur der Kommunikation; aber auch einer neuen Kultur des Problembewusstseins und Problemverständnisses sowie der Notwendigkeit, multidimensionale Problemlagen angemessen bewältigen zum können. Die Institutionalisierung, d. h. „die Einrichtung und Absicherung einer institutionellen Ordnung mit Geltungsanspruch“102, hier: von virtuellen Organisationen, wird legitimiert durch „[...] die auch subjektive Geltung der Institution bei den Akteuren als verbindliches und anerkanntes Modell des Handelns.“103 100 Lipp, Wolfgang (1998): Art. Institution, S. 148 ff . 101 Vgl.: Esser, Hartmut (2000): Soziologie. Spezielle Grundlagen, Band 5: Institutionen, S. 367. 102 Ebda., S. 38. 103 Ebda., S. 9. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 3 Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 30 104 Abstract: Das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung ist eine Antwort auf globale und multidimensionale Problemlagen. Klimaerwärmung, der Nord-Süd Konflikt, die digitale Spaltung der Welt, der Umwelt- und Ressourcenverbrauch und die ungerechte Verteilung von Wohlstand stellen zentrale Herausforderungen für eine neue Weltordnungspolitik dar. Die Wissensgesellschaft und ihre Organisationskultur eröffnen für die Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung völlig neue Möglichkeiten und Chancen. Die Zukunftsfähigkeit – oder Nachhaltigkeit – erfordert ebenso wie die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele nachhaltige Organisationsstrukturen zivilgesellschaftlicher Beteiligung und eine durch veränderte Rahmenbedingungen institutionalisierte Kultur politischer Auseinandersetzung. 3.1 Nachhaltige Entwicklung – Historischer Kontext Die Geschichte des Begriffes Nachhaltigkeit geht bis in das frühe 18. Jahrhundert zurück. Der sächsische Oberberghauptmann von Carlowitz soll ihn – darauf deutet zumindest die Häufigkeit der Erwähnung dieser Quelle – erstmals im Jahre 1713 in seiner Abhandlung „Sylvicultura Oeconomica“ gebraucht haben.105 Er gebrauchte ihn, um das Prinzip einer nachhaltigen Forstwirtschaft zu bestimmen, dass nur soviel Holz in einem bestimmten Zeitraum geschlagen werden darf wie auch nachwachsen kann. Die Grundidee beschreibt also ein Erhaltungsziel, von den Erträgen einer Substanz zu leben und nicht die Substanz selbst aufzuzehren.106 Anfang des 20. Jahrhunderts gewann das Prinzip an Bedeutung in der Fischereiwirtschaft und in den 1940er Jahren auch in den Wirtschaftswissenschaften.107 „Darüber hinaus fand es in der Folgezeit allerdings keine Anwendung, nicht für Umwelt- und Ressourcen- und auch nicht für 104 Mehr zur Definition des Begriffs Wissensgesellschaft siehe u .a.: Stehr, Nico (2001): Wissen und Wirtschaften. Die gesellschaftlichen Grundlagen der modernen Ökonomie, S. 117 – 131. 105 Vgl.: Kopfmüller, Jürgen; Brandl, Volker; Jörissen, Juliane; Paetau, Michael; Banse, Gerhard; Coenen, Reinhard; Grunwald, Armin (2001): Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet. Konstitutive Elemente, Regeln, Indikatoren. Berlin, S. 20. 106 Ebda., S. 21. 107 Ausführlicher in: Ebda., S. 21. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 31 intergenerative Verteilungsfragen.“108 Nicht nur in der Literatur des 19. Jahrhunderts wurde die Frage gestellt: „Wieviel Erde braucht der Mensch?“ (Leo Tolstoi, 1828 – 1910); auch die klassische Nationalökonomie befasste sich in der Zeit der beginnenden Industrialisierung mit den ökonomischen und sozialen Folgen von Besitzgier, Wachstum und Naturverbrauch. Der britische Philosoph und Nationalökonom John Stuart Mill (1806 – 1873) erkannte in seinen „Principles“ (1848), dass eine dem Primat des Wachstums folgende Ökonomie die schonungslose Nutzung von Ressourcen sowie die Zerstörung natürlicher Lebensräume zur Konsequenz haben müsse.109 Der vom Wachstum abhängige Fortschrittsbegriff ist aber seiner Natur nach endlich, da die ökologischen Grenzen ein unendliches Wachstum verhindern. Daher liege „am Ende des sogenannten Fortschrittzustandes der stationäre Zustand“, so Mill. In dieser späten Stufe des menschlichen Fortschrittes stehe nicht mehr die Akkumulation von Kapital und die bloße Zunahme der Produktion im Mittelpunkt menschlichen Handelns. Auch der Konsum von (überflüssigen) Gütern, die außer als Schaustellung des Reichtums „nur wenig oder gar keine Freuden“ verschafften, wird obsolet. In seinen Vorstellungen eines stationären Zustandes von Kapital und Vermögen identifiziert Mill gleichzeitig die soziale Ungleichheit als ein Verteilungs-, und nicht als ein Wachstumsproblem, welches mit dem Paradigma Fortschritt = Wachstum nicht zu lösen sei. Denn, so fährt er fort: „der beste Zustand für die menschliche Natur ist doch der, daß keiner arm ist, niemand reicher zu sein wünscht, und niemand Grund zu der Furcht hat, daß er durch die Anstrengungen anderer, die sich selbst vorwärts drängen, zurückgestoßen werde.“ MILL (1921: 391 f.) Mills Hoffnung, seine Nachwelt möge sich mit dem Ruhezustand zufrieden geben, „[...] lange, bevor eine Notwendigkeit sie zwingt, sich mit ihm zufrieden zu geben“, wurde nicht erfüllt und seine Idee einer Ökonomie des stationären Zustandes blieb Vision.110 108 Ebda. 109 Mill, John Stuart (1921): Grundsätze der politischen Ökonomie mit einigen ihrer Anwendungen auf die Sozialphilosophie. Nach der Ausgabe letzter Hand (7. Auflage 1871) übersetzt von Wilhelm Gehrig und durchgesehen von Dr. Johannes Müller-Weimar. Zweiter Band, Jena (= Sammlung sozialwissenschaftlicher Meister; Band 18), S. 394 – 395. 110 Siehe hierzu das Kapitel über den stationären Zustand in den „Principles“: ebda., S. 387 – 396; mehr zur aktuellen Diskussion um eine „Steady State Ökonomie“ findet sich z. B. in: Omann, Ines; Nordmann, Axel (2000): Gutes Leben statt Wachstum des Bruttosozialprodukts, in: Boeser, C.; Schörner, T.; Wolters, D. (Hg.): Kinder des Wohlstands - Auf der Suche nach neuer Lebensqualität. Mit einem Vorwort von Hans-Peter Dürr. Frankfurt am Main, S. 176193; einen ausführlichen Einblick in die Theoriegeschichte der Nachhaltigkeit bietet: Luks, Fred (2001): Die Zukunft des Wachstums. Theoriegeschichte, Nachhaltigkeit und die Perspektiven einer neuen Wirtschaft. Marburg. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 32 Etwas mehr als 100 Jahre später wurden die Folgen der von Mill skizzierten Fortschrittslogik zu einer existenziellen Bedrohung für die Zukunft der Menschheit und der globalen Ökosysteme. Der fortwährende Kampf menschlicher Wesen gegeneinander und die Stimulation menschlicher Tatkraft durch den Kampf um Reichtum als eine „notwendige Stufe für den Fortschritt der Zivilisation“111 überdauerten länger als gedacht. Die mit diesen Verhaltensmustern und Wertvorstellungen verbundenen Akkumulations-, Produktions- und Konsumgewohnheiten offenbarten jetzt die Widersprüche zwischen Ökonomie und Ökologie. Mit dem Erscheinen des ersten Berichts des Club of Rome mit dem Titel "Die Grenzen des Wachstums" im Jahre 1972 wurde erstmalig einer ganzen Generation bewusst gemacht, dass die Ausbeutung der Erde, sowie sie der Mensch betreibt, ihre Grenzen haben muss.112 Es vergingen 15 Jahre, bis im Jahre 1987 der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung den Begriff einer „dauerhaften Entwicklung“ definierte, aus dem sich das Konzept der Nachhaltigkeit entwickelte.113 Steigender Konsum und Ressourcenverbrauch, die gegenwärtigen ökologischen Probleme sowie der Nord-Süd Konflikt erfordern spätestens seither eine neue Politik des langfristigen Denkens und neue Verteilungs- und Governance- Mechanismen, die auf globaler Ebene Wohlstand produzieren, für soziale Gerechtigkeit und für ein ökologisches Gleichgewicht sorgen können. Der Brundtland-Bericht gilt als ein wichtiger Meilenstein in diesem Prozess und hat seit seinem Erscheinen zu einer vermehrten Produktion von dafür relevantem Wissen gesorgt. 111 Mill, John Stuart (1921): Grundsätze der politischen Ökonomie mit einigen ihrer Anwendungen auf die Sozialphilosophie, S. 391. 112 Der Club of Rome wurde im Frühjahr 1968 von europäischen Managern, Wissenschaftlern und Politikern in Rom gegründet. Ihr Ziel war es, ein tieferes Verständnis für die komplizierten Wechselwirkungen globaler politischer, kultureller, wirtschaftlicher und ökologischer Systeme und der daraus resultierenden Probleme zu wecken. Siehe hierzu den vielbeachteten ersten Bericht des Club of Rome: Meadows, Dennis; Meadows, Donella; Zahn, Erich; Milling, Peter (1972): Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart. 113 Siehe: Hauff, Volker (Hg.) (1987): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 3.2 33 Strategien und Erfordernisse Es sind drei Säulen oder Dimension, auf die sich das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung stützt. Ein Konzept für eine nachhaltige Entwicklung soll im Wesentlichen zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Interessen vermitteln um die strukturell erzeugten Ungleichgewichte als Resultat funktional differenzierter Gesellschaften auszugleichen.114 Auf der Ebene der politischen Programmatik erfreut sich das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung „weltweit breiter gesellschaftlicher Zustimmung.“115 Es bleibt jedoch zunächst ein Konsens der kleinsten gemeinsamen Nenner. Angesichts der globalen Probleme erscheint es vernünftig, gemeinsam für den Schutz der Umwelt zu plädieren, sich für soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit auszusprechen und damit verknüpft auch ökonomisch profitieren zu wollen. Jedoch gibt es abseits der Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit „wenig Einverständnis über die Werte, von denen nachhaltige Entwicklung durchdrungen sein sollte.“116 Diese Kontroverse wird auch begründet durch den Einfluß normativ-moralischer Aspekte im Konzept selbst, deren Gewichtungen und Interpretation wesentlich von den Interessen, Wertvorstellungen und moralischen Grundhaltungen gesellschaftlicher Akteure zu Entwicklungsfragen abhängen.117 Nachdem die Notwendigkeit zu einer nachhaltigen Entwicklung allgemein akzeptiert scheint, richten sich daher die Fragen nunmehr nach dem „Wie“ ihrer Umsetzung.118 Dabei werden in Hinblick auf die ökologische Dimension sowohl Effizienz- als auch Suffizienzstrategien diskutiert. Effizienzstrategien setzen vor allem auf technisch induzierte Lösungen für bessere „Input-Output-Bilanzen“, während die Suffizienzstrategien grundsätzlich eine Abkehr „vom Denken in materiellen Wohlstandskategorien“ in den Vordergrund stellen.119 Ein weiteres Problem der Integration von Nachhaltigkeitszielen 114 Siehe Kapitel 2.2 in dieser Arbeit. 115 Kopfmüller, Jürgen; Brandl, Volker; Jörissen, Juliane; Paetau, Michael; Banse, Gerhard; Coenen, Reinhard; Grunwald, Armin (2001): Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet. Konstitutive Elemente, Regeln, Indikatoren, S. 13. 116 Redclift, Michael R.; Skea, James F. (1996): Globale Umweltveränderungen: Der Beitrag der Sozialwissenschaften, in: Diekmann, Andreas; Jaeger, Carlo C. (Hg.): Umweltsoziologie, S. 388. 117 Vgl.: Kopfmüller, Jürgen; Brandl, Volker; Jörissen, Juliane; Paetau, Michael; Banse, Gerhard; Coenen, Reinhard; Grunwald, Armin (2001): Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet. Konstitutive Elemente, Regeln, Indikatoren, S. 29. 118 Vgl.: Ebda., S. 33. 119 Vgl.: Ebda. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 34 ist ihre Operationalisierung. Begründete Nachhaltigkeitsregeln müssen formuliert werden und in Form von Indikatoren messbar gemacht werden. Um Regeln zu formulieren und ihre Akzeptanz zu sichern bedarf es jedoch eines breiten Konsens und der Anerkennung dieser Regeln. Nachhaltige Entwicklung impliziert in der Tat weitreichende gesellschaftliche Veränderungen, die „nicht ohne tiefgreifenden Wandel der dominanten Produktions- und Konsumptionsmuster“, einer „Neuorientierung von Planungs- und Entscheidungsprozessen“ und ebenfalls nicht ohne neue Verteilungs- und Governance- Mechanismen bewältigt werden können.120 Das Konzept der Nachhaltigkeit ist ein langfristig angelegtes Projekt und seine Umsetzung erfordert integrierte Lösungsansätze und strukturelle Veränderungen, die sich nicht nur in der Umsetzung der einen oder der anderen Strategie erschöpfen werden. „Denn nur wenn sich technische Innovationen und sozialer Wandel wirksam ergänzen, können die Umweltprobleme, die sich heute im lokalen wie globalen Maßstab stellen, gelöst werden.“121 In diesem Prozess des vorauszusetzenden sozialen Wandels spielen die Organisationen der Gesellschaft eine bedeutende Rolle. Funktionale Ziele der Organisationen können durch Inhalte des Nachhaltigkeitskonzeptes beeinflusst werden, sodass sie ihre Strukturen und Wertvorstellungen entsprechend anpassen müssen. Dies macht Organisationsstrukturen in doppeltem Sinne nachhaltig. Zum einen bezogen auf die erfolgreiche Umsetzung der Organisationsziele unter den Bedingungen der Nachhaltigkeit zur eigenen Existenzsicherung und zum anderen durch die Effekte der Umsetzung so veränderter Organisationsziele auf die gesamte Gesellschaft. Organisationen werden so zum Mittel des Zwecks Nachhaltigkeit und können dafür sorgen, dass sich nachhaltige Strukturen institutionell verfestigen und sich in den Institutionen der Gesellschaft fortpflanzen. Die Vernetzungskultur neuer Organisationsformen könnte so für eine entsprechende Kopplung der Systeme sorgen und wäre ein wichtiges Stabilitätskriterium für das Erkennen objektiver ökologischer Gefahren. So könnten Wissensnetze institutionelle Konfigurationen darstellen, „die nicht nur die partikularen Resonanzen erhöhen, sondern auch dazu beitragen, die gesellschaftsinternen Grenzen selektiver Informationsverarbeitung zu überschreiten.“122 120 Vgl.: Ebda. 121 Diekmann, Andreas; Jaeger, Carlo C. (1996): Aufgaben und Perspektiven der Umweltsoziologie, S. 24. 122 Kopfmüller, Jürgen; Brandl, Volker; Jörissen, Juliane; Paetau, Michael; Banse, Gerhard; Coenen, Reinhard; Grunwald, Armin (2001): Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet. Konstitutive Elemente, Regeln, Indikatoren, S. 305. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 3.3 35 Nachhaltige Wissensgesellschaft „Etwa alle zwölf Jahre verdoppelt sich die Menge wissenschaftlicher Informationen. Der aktuelle Wissensbestand ist heute 16-mal so groß wie vor 50 Jahren; in noch einmal 50 Jahren wird er 256-mal so groß sein“ (müssen). ZIMMER (2000: 45) HEGMANN (2000: 19) meint in diesem Zusammenhang, man solle „deshalb eher von einer Unwissens- als von einer Wissensgesellschaft sprechen.“123 Tatsache ist jedoch, dass die sogenannte Wissensgesellschaft große Mengen an Wissen produziert. Durch neue Möglichkeiten der Informationstechnologie verbreitet sich dieses Wissen zudem schneller als früher. „Wissen ist die einzige Ressource, welche sich durch Gebrauch vermehrt“.124 Gebrauch von Wissen statt Verbrauch von Ressourcen sorgt für Innovationen, die eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch beschleunigen können, um so dem von Mill, der diesen Produktionsfaktor noch nicht berücksichtigte, erträumten Idealzustand näher zu kommen. Wissen könnte dabei als Machtfaktor und als ‚neutrale’ Ressource die alte Wachstumslogik zu durchbrechen helfen und die Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung beschleunigen. Ein Indiz für die positiven Auswirkungen der Wissensgesellschaft könnte der Primärenergieverbrauch in Deutschland sein. Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen 1991 und 1999 in Deutschland real um annähernd 11 Prozent zunahm, sank der Primärenergieverbrauch (PEV) total um ca. 3 Prozent – die ‚Energie-Effizienz’ ist also erheblich gestiegen und der Ressourcenverbrauch im Energiesektor hat sich vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt.125 Zu Verdanken ist dies sicherlich auch den Innovationen alternativer Energieerzeugung sowie Effizienzsteigerungen durch Kraft-Wärme Kopplung etc. Gleichzeitig aber ist der PEV im weltweiten Vergleich von 1990 bis 1997 um mehr als 10 Prozent gestiegen.126 Die Wissensgesellschaft führt aber bei weitem nicht „automatisch in ein gesellschaftliches und ökologisches Paradies“. Die „vermeintlich materielose“ Wissensgesellschaft – 123 Hegmann, Horst (2000): Die Konsequenzen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts für die normative Demokratietheorie, in: Simonis, Georg; Martinsen, Renate; Saretzki, Thomas (Hg.): Politik und Technik. Analysen zum Verhältnis von technologischem, politischem und staatlichem Wandel am Anfang des 21. Jahrhunderts. Wiesbaden (= Politische Vierteljahresschrift; Sonderheft 31/2000), S. 19. 124 Probst, G.; Raub, Steffen; Romhardt, K. (1999): Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen, S. 17. 125 Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2000) (Hg.): Zahlen und Fakten. Energie Daten 2000. Nationale und internationale Entwicklung. Bonn, S. 11. 126 Ebda., S. 38. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 36 symbolisiert z. B. durch das papierlose Büro – produziert erhebliche Mengen an Computerschrott und schleppt einen gewaltigen „ökologischen Rucksack“.127 Die aus der technischen Weiterentwicklung und unter Einsatz von Wissen ermöglichten Innovationen etwa in der Heimelektronik- und Computerbranche sorgen für immer neuere Produkte und schnellere Produktzyklen, die zwar die jeweiligen Geräte immer kleiner und leistungsfähiger machen, die aber auch in größeren Stückzahlen produziert und verkauft werden können und verkauft werden. Ähnliche Entwicklungen sind im Automobilsektor zu beobachten, wo die Ausstattungen und Motorleistungen immer üppiger werden. Ein wichtiger Beitrag zur Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung ist es daher, diese ‚Rebound-Effekte’ einzudämmen und Ideen zu entwickeln für eine “Ecological Information Society“ (Eco-Info-Society, EIS).128 Um eine Nachhaltige Entwicklung in der Gesellschaft erfolgreich zu verankern wird die große Herausforderung sein, strukturbildende Maßnahmen zu entwickeln, die die Voraussetzungen für die Generierung und Weitergabe von definiertem und zielorientierten Wissen schaffen können. Diese Maßnahmen betreffen nicht nur die Leitlinien von Forschungsprogrammen; sie sind genauso relevant für die Umsetzung in der Bildungspolitik. Die Herausforderungen unter den Bedingungen einer nachhaltig zu gestaltenden Wissensgesellschaft erfordern dort, wo es nötig wird, überdies die strukturelle Überwindung funktional differenzierter Teilsysteme und die Überführung in eine neue Kultur der Kooperation und Kommunikation. Die komplexen Rahmenbedingungen einen Nachhaltigen Wissensgesellschaft erfordern von den Organisationsmitgliedern, über ihren „Tellerrand“ hinaus zu schauen. Die Vernetzung von Wissensträgern auch über Organisationsgrenzen hinweg zu Wissensgemeinschaften vermag es dann, die Innovationspotenziale so zu aktivieren, dass sie zwar der Erreichung der Organisationsziele dienlich sind und trotzdem – im institutionellen Rahmen eingebunden – auch einen Teilsysteme übergreifenden Nutzen haben. Zweifellos könnten sie so auch dazu beitragen, notwendige soziale und institutionelle Innovationen zu entwickeln. Ein weiter gefasstes – und nicht nur technisches – Innovationsverständnis böte die Grundlage dafür, „äußere Restriktionen zu überwinden, die eine Nachhaltige Entwicklung heute noch blockieren.“129 Für SCHNEIDEWIND (2002: 203) ist eines jedoch klar: „Eine Nachhaltige Wissensgesell- 127 Vgl.: Schneidewind, Uwe (2002): Nachhaltige Wissensgesellschaft, S. 191. 128 Quelle: www.seri.at/eis; zuletzt aufgerufen am 11. November 2001. 129 Schneidewind, Uwe (2002): Nachhaltige Wissensgesellschaft, S. 199. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 37 schaft wird sich nicht von selbst einstellen. Sie braucht die aktive Gestaltung durch Akteure in Unternehmen, Politik und Gesellschaft.“ „Es wird weithin angenommen, dass wir die Zeugen der Geburt der wissensgestützten Gesellschaft sind, in der die wirtschaftliche und soziale Entwicklung weitgehend von verschiedenen Wissensformen und von der Erzeugung, dem Erwerb, der Nutzung und Wiederverwertung von Wissen abhängt.“ CABRERA (2001: 34) Weiterhin kann angenommen werden, dass die soziale und wirtschaftliche Entwicklung weder auf die ökologische Dimension noch auf institutionelle Reformen verzichten kann, wenn wir unsere Existenz und die zukünftiger Generationen erhalten wollen. Daher ist es nicht nur wichtig, dass Wissen generiert und ausgetauscht wird, sondern es ist vor allem wichtig, welches Wissen produziert wird. Eine Wissensgesellschaft nachhaltig zu gestalten erfordert daher: „die Suche nach Organisationsformen moderner Gesellschaften, die unter Rückgriff auf die Möglichkeiten neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK) viele der zu beobachtenden ökologischen und sozialen Nebenfolgen moderner Industriegesellschaften zu beherrschen fähig sind.“ SCHNEIDEWIND (2002: 192) 3.4 Die kulturell-institutionelle Dimension Die kulturell-institutionelle Dimension der Nachhaltigkeit soll hier verstanden werden als die Basis für Veränderungen der Organisationsumwelt und ihre Auswirkungen auf institutionelle Rahmenbedingungen als gültige Orientierung des Handelns. Eine Bezeichnung als vierte Dimension der Nachhaltigkeit würde ihrer Bedeutung nicht gerecht; vielmehr ist sie eine abstrakte Notwendigkeit um dem Anspruch einer nachhaltigen Entwicklung gerecht zu werden und unbedingte Voraussetzung ihrer Implementierung. Kulturell-institutionelle Innovationen und Reformen sind der Ausgangspunkt für die Fragen zur Integration von Nachhaltigkeit. Nachhaltige Entwicklung als normativ-moralisches Konzept äußert sich auf der Werteebene und ihre Umsetzung verändert potentiell die Organisationsziele. Die Integration des Leitbildes wird so zu einer notwendigen Organisationsfunktion. Aufgabe organisationaler Lernprozesse ist die Eingliederung der Werteebene in die Organisation. In diesem Lernprozess gewinnt die Übereinstimmung der Organisationsmitglieder mit den Organisationszielen und den damit verbundenen Sinnzusammenhängen an Bedeutung, die sich direkt auf die Motivation der Mitglieder auswirken. Besonders in Organi- Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 38 sationen des Dritten Sektors verlieren „die klassischen Kontrollmedien Geld und Macht“ an Einfluß und weichen einer wertorientierten sozialen Motivation.130 Die Kultur der Organisation repräsentiert die „Sinnpotenziale der Motivation“ und ermöglicht institutionelle Identifikation.131 Sinn als „die von uns selbst ins ‚Dickicht der Lebenswelt’ geschlagenen Perspektiven“ konstruiert sich durch die Kultur „unserer kommunikativen Kontexte und Kompetenzen“. Kommunikationstheoretisch wird Kultur daher verstanden als die „Kommunikation von ‚Sinn’.“132 Wissen kann Werte verändern. Werte können Sinn verändern. Durch Interaktion und Reflexion, Dialoge und Diskurse entwickelt sich der „handlungsleitende und gemeinschaftsbildende Sinn“ und verändert die Kultur menschlicher und gesellschaftlicher Re-Produktion.133 Umweltbewusstsein als Wert scheint in den meisten westlichen Ländern relativ stark verankert. Gleichzeitig ist die Korrelation der Umwelteinstellungen mit alltäglichen Verhaltensweisen nur gering. Eine Analyse von Umfragen aus den 1980er und 90er Jahren zeigt, dass das Umweltproblem immer dann als besonders wichtig erscheint, „wenn es – in Verbindung mit anderen gesellschaftspolitischen Problemen – auf einer separaten Rating-Skala erhoben wird.“ Befragt man allerdings die Personen nach einer Rangordnung der wichtigsten Probleme, so „kann es mitunter vorkommen, daß das Umweltproblem auf der Dringlichkeitsskala weit nach hinten abrutscht.“134 PREISENDÖRFER / FRANZEN (1996: 221) schließen daraus, „daß das Umweltproblem leicht Ge- fahr läuft, angesichts scheinbar dringenderer, aktueller Probleme aus dem Blickfeld der Bevölkerung zu verschwinden.“ Ebenfalls „bedeutend niedriger“ fällt die Zustimmung der Befragten für den Umweltschutz aus, wenn damit Kosten oder etwa ein niedriger Lebensstandard verbunden wären.135 RENN vertritt (1996: 28) die Ansicht, dass es die wesentliche Aufgabe der Sozial- und Kulturwissenschaften sei, „die Reflexion über die kulturellen Ziele und über die Mittel der Naturveränderung sowie die Hilfestellung bei der Abwägung von Zielkonflikten“ zu ermöglichen. 130 Pankoke, Eckart; Stellermann, Rolf (2000): Werte und Wissen im Wandel. Zur kommunikativen Kultur organisationalen Lernens, S. 105. 131 Vgl.: Ebda. 132 Vgl.: Ebda., S. 101 ff. 133 Vgl.: Ebda., S. 116. 134 Vgl.: Preisendörfer, Peter; Franzen, Axel (1996): Der schöne Schein des Umweltbewusstseins. Zu den Ursachen und Konsequenzen von Umwelteinstellungen in der Bevölkerung, in: Diekmann, Andreas; Jaeger, Carlo C. (Hg.): Umweltsoziologie, S. 219 ff. 135 Ebda., S. 222. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 39 Kultur ist ein Prozess, sich eine durch Arbeit gestaltete Umwelt zu schaffen. „Die kulturelle Gestaltung der Natur setzt aber die Existenz von Leitbildern und Vorstellungen über Ursachen und Wirkungen voraus. Beides ergibt sich im sozialen Prozeß der Wertbildung und der Wissensgenerierung.“136 „[...] Unsere Art, Umweltprobleme zu formulieren, als auch unsere Handlungen zur Abwehr oder Linderung solcher Probleme“ sind im Wesentlichen soziale Prozesse. REDCLIFT / SKEA (1996: 387 f.) stellen fest, „[...], daß wir, solange wir die Umweltprobleme mit unseren heutigen Werten zu lösen versuchen, höchstwahrscheinlich aus dem wachsenden Wissen über die globale Umwelt wenig Nutzen ziehen werden.“ Organisationen wie Umweltverbände oder ökologische Forschungsnetzwerke als die institutionalisierten kulturellen Produkte der Auseinandersetzung mit Umweltproblemen thematisieren aber mit zunehmendem Einfluss die ökologischen Auswirkungen und repräsentieren so einen auch durch neues Wissen ausgelösten Wertewandel.137 3.5 Wissen als Ereignis STEHR (2001: 119) begreift Wissen als konstitutiven Mechanismus einer Gesellschaft, deren Identität durch Wissen bestimmt sein wird.138 Wissen gewinnt eine zunehmende Bedeutung als Produktivkraft im Produktionsprozess; aber auch „als Ressource und Basis sozialen Handelns“.139 Die Potentiale von Wissen und seine Auswirkungen als gestaltendes Element erhalten so ihre gesellschaftstheoretische Relevanz. Das Abstraktum Wissen wird definiert zunächst als Abgrenzung von Zeichen, Daten und Informationen. „Die Zusammenhänge zwischen diesen Ebenen werden häufig als Anreicherungsprozeß dargestellt.“140 W ILLKE (1998: 7 ff.) unterscheidet Daten und In- 136 Renn, Ortwin (1996): Rolle und Stellenwert der Soziologie in der Umweltforschung, in: Diekmann, Andreas; Jaeger, Carlo C. (Hg.): Umweltsoziologie, S. 31. 137 Vgl.: Redclift, Michael R.; Skea, James F. (1996): Globale Umweltveränderungen: Der Beitrag der Sozialwissenschaften, S. 381. 138 Stehr, Nico (2001): Wissen und Wirtschaften. Die gesellschaftlichen Grundlagen der modernen Ökonomie, S. 219. 139 Stehr, Nico (1994): Arbeit, Eigentum und Wissen. Zur Theorie von Wissensgesellschaften. Frankfurt am Main, S. 39; zitiert nach: Degele, Nina (2000): Informiertes Wissen. Eine Wissenssoziologie der computerisierten Gesellschaft, S. 37. 140 Probst, Gilbert; Raub, Steffen; Romhardt, Kai (1999): Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen, S. 36 ff. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 40 formationen dadurch, dass Daten, „durch Einbindung in einen ersten Kontext von Relevanzen, die für ein bestimmtes System gelten“, zu Informationen werden.141 Wissen ist aggregierte und verarbeitete Information – eine Information höherer Ebene142 – und „entsteht durch den Einbau von Informationen in Erfahrungskontexte, die sich in Genese und Geschichte des Systems als bedeutsam für sein Überleben und seine Reproduktion herausgestellt haben.“143 Somit ist Wissen als Struktur und Prozess analysierbar. Wissen als Struktur „umfasst kognitive Bestände, die allerdings nicht personal gebunden sein müssen. In dieser Perspektive bildet Wissen die Ressource für soziales Handeln.“144 Systemtheoretisch ist Wissen nicht nur die Grundlage (Ressource), sondern zugleich auch „Mittel (Form) der Kommunikation, also der Operationsweise der Gesellschaft.“145 Die Gesellschaft ist alles kommunikativ Erreichbare. Damit ist jede Mitteilung von Informationen und Wissen an Kommunikation gebunden. LUHMANN (1987: 203) unterscheidet den Kommunikationsprozess als Synthese der Kategorien Information, Mitteilung und Verstehen. Grundsätzlich kann also neues Wissen als selektierte Information durch die Auswahl geeigneter Medien und der Entscheidung des Empfängers, wie diese Nachricht zu behandeln ist, in ein System gelangen.146 Es geht hier nicht um die bloße Übertragung von Informationen, sondern vielmehr um die Emergenz der Kommunikation, so DEGELE (2000: 45). Für den Nachhaltigkeitsdiskurs ist der Umgang mit Informationen und Wissen unter den Bedingungen der Generierung und Selektion von neuem Wissen daher insofern von Bedeutung, da dieser Umstand zu einer Sicht zwingt, dass Wissen nur durch einen Kommunikationsprozess gesellschaftlich wirksam werden kann.147 Wissensbestände müssen aktiviert werden, um eine Bedeutung zu erlangen.148 141 Willke, Helmut (1998): Systemisches Wissensmanagement, S. 8. 142 Vgl.: Degele, Nina (2000): Informiertes Wissen. Eine Wissenssoziologie der computerisierten Gesellschaft, S. 46. 143 Willke, Helmut (1998): Systemisches Wissensmanagement, S. 11 f. 144 Vgl.: Degele, Nina (2000): Informiertes Wissen. Eine Wissenssoziologie der computerisierten Gesellschaft, S. 40. 145 Ebda. 146 Vgl.: Ebda. 147 Vgl.: Ebda., S. 45. 148 Vgl.: Ebda. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 41 Soziale Kontexte und ihre entsprechenden Verwendungszusammenhänge sorgen dafür, dass sich Akteure Wissen aneignen.149 Wissen als kommunikativer Sachverhalt ist somit ein Vermittlungsfaktor zwischen Wissensträgern und Gesellschaft und gleichzeitig Ergebnis und Grund von Irritationen. Wissen entsteht durch Überraschungen und Enttäuschungen als Reaktion auf Irritationen und ist ein Ergebnis direkter und indirekter struktureller Kopplungen im Gesellschaftssystem.150 Wissensbasierte Operationen durchdringen die Strukturen und Prozesse der materiellen und symbolischen Reproduktion. „Wissen bewirkt etwas in der Welt.“151 Wissen als Kommunikation wird zum Ereignis – einem temporalisierten Element autopoietischer Systeme als Einheit der Differenz eines Vorher und Nachher. 3.6 Steuerungsmöglichkeiten Die Steuerungsproblematik ist eng verknüpft mit der Frage nach den gesellschaftlichen Akteuren, die einen für die Umsetzung der Nachhaltigkeit notwendigen „institutionellen Wandel initiieren und vorantreiben“ können.152 Ohne ein „erhebliches Maß an Steuerungsfähigkeit“ können die Veränderungen für eine zukunftsfähige Gesellschaft nicht realisiert werden.153 Steuerung im politikwissenschaftlichen Kontext bezeichnet zunächst die Fähigkeit zur „konzeptionell orientierten Gestaltung der gesellschaftlichen Umwelt durch politische Instanzen.“154 Neben dem Staat (Macht, Recht) zählte u. a. Luhmann „auch das Geld zu den generalisierten Kommunikations- bzw. Steuerungs- 149 Vgl.: Ebda., S. 44. 150 Vgl.: Ebda., S. 41. 151 Vgl.: Ebda., S. 48. 152 Schneidewind, Uwe; Feindt, Peter H.; Meister, Hans – P.; Minsch, Juerg; Schulz, Tobias; Tscheulin, Jochen (1997): Institutionelle Reformen für eine Politik der Nachhaltigkeit: Vom Was zum Wie in der Nachhaltigkeitsdebatte, in: Gaia 6 (1997), No. 3, S. 185. 153 Vgl.: Kopfmüller, Jürgen; Brandl, Volker; Jörissen, Juliane; Paetau, Michael; Banse, Gerhard; Coenen, Reinhard; Grunwald, Armin (2001): Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet. Konstitutive Elemente, Regeln, Indikatoren, S. 307. 154 Mayntz, Renate (1997): Soziale Dynamik und politische Steuerung. Theoretische und methodologische Überlegungen. Frankfurt am Main / New York (= Schriften des Max-PlanckInstituts für Gesellschaftsforschung Köln; Bd. 29), S. 189. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 42 medien“, und rückte den „Markt als eine alternative Steuerungsform ins Zentrum der Aufmerksamkeit.“155 Ohne Zweifel scheint in den letzten 25 Jahren „ein tiefgreifender Formwandel der staatlichen Aufgabenerfüllung stattgefunden“ zu haben.156 Das bedeutet, dass der Staat dabei nicht seine Bedeutung verliert, sondern dass er veränderte Rollen einnimmt. „Politik als Ausdruck für die ‚Lösung gesellschaftlicher Probleme’“ bleibt nicht auf den Staat beschränkt, „sondern vollzieht sich heute auf diversen Akteurebenen und in verschiedenen Akteurkoalitionen“157; gekennzeichnet durch ein stark binnendifferenziertes politisch-administratives System und einer „Vielzahl von korporativen Akteuren in den meisten gesellschaftlichen Regelungsfeldern“.158 Hierbei nimmt der Staat die Rolle eines Vermittlers und Moderators zwischen den Akteuren ein. SCHNEIDEWIND ET AL (1997: 186) machen dafür im Wesentlichen zwei Gründe aus: Zum einen „die Angewiesenheit des Staates auf die Informationen der gesellschaftlichen Akteure“ und zum anderen die Notwendigkeit, „diese zu aktiven eigenen Leistungen und Verhaltensänderungen zu motivieren“. „Der große Trend ist als Übergang von der zentralen Steuerung hin zur Hilfe zur Selbststeuerung beschrieben worden.“159 Luhmann, der mit seiner Systemtheorie die kollektivistische Position besonders betont, gesteht (zumindest) „den Individuen keinen eigenen, außerhalb der Funktionsprinzipien der sozialen Systeme liegenden Gestaltungsspielraum“ zu.160 Und auch nicht dem politischen System. Betreffend den „output“ des politischen Systems geht er davon aus, dass für politisches Entscheiden im Wohlfahrtsstaat nur Recht und Geld als Wirkungs- 155 Eine „dritte wichtige Steuerungsform“ ist die „Gemeinschaft oder Solidarität“ und weiterentwickelt die „soziale Steuerung“. Vgl.: Ebda., S. 189. 156 Schneidewind, Uwe; Feindt, Peter H.; Meister, Hans – P.; Minsch, Juerg; Schulz, Tobias; Tscheulin, Jochen (1997): Institutionelle Reformen für eine Politik der Nachhaltigkeit: Vom Was zum Wie in der Nachhaltigkeitsdebatte, S. 185; vgl. dazu auch Mayntz, Renate (1997): Soziale Dynamik und politische Steuerung. Theoretische und methodologische Überlegungen, S. 283 f. 157 Schneidewind, Uwe; Feindt, Peter H.; Meister, Hans – P.; Minsch, Juerg; Schulz, Tobias; Tscheulin, Jochen (1997): Institutionelle Reformen für eine Politik der Nachhaltigkeit: Vom Was zum Wie in der Nachhaltigkeitsdebatte, S. 183. 158 Mayntz, Renate (1997): Soziale Dynamik und politische Steuerung. Theoretische und methodologische Überlegungen, S. 275. 159 Schneidewind, Uwe; Feindt, Peter H.; Meister, Hans – P.; Minsch, Juerg; Schulz, Tobias; Tscheulin, Jochen (1997): Institutionelle Reformen für eine Politik der Nachhaltigkeit: Vom Was zum Wie in der Nachhaltigkeitsdebatte, S. 186. 160 Siebenhüner, Bernd (2001): Homo sustinens – Auf dem Weg zu einem Menschenbild der Nachhaltigkeit, S. 232. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 43 formen zur Verfügung stehen. „Alle anderen Wirkungsmittel, etwa direktes Einwirken auf Überzeugungen und Motive des Bürgers, treten demgegenüber zurück.“161 Die Kommunikationsmedien Geld und Macht der jeweiligen Teilsysteme „wirken als Handlungsauslöser selbst dann, wenn es um ein Verhalten geht, daß der Mensch, anthropologisch gesehen, von sich aus nie ausführen würde.“162 In Hinblick auf mögliche politische Steuerung bedeute die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Funktionssysteme zugespitzt, dass die Gesellschaft „über keine Zentralorgane verfügt. Sie ist eine Gesellschaft ohne Spitze und ohne Zentrum. [...] Die moderne Gesellschaft ist ein System ohne Sprecher und ohne innere Repräsentanz.“163 So konstatiert auch MAYNTZ (1997: 286): „Auf der Ebene des Gesamtsystems findet keine Steuerung statt, sondern lediglich Strukturbildung und Strukturwandel. Das bedeutet, daß es zwar Steuerung in der funktionell differenzierten Gesellschaft gibt, aber keine politische Steuerung der Gesellschaft.“ Ist es eine Schwäche in der Theorie Luhmanns, dass das politische System nicht als Steuerungszentrale über die anderen Systeme anerkannt wird, sondern nur als ein System wie jedes andere auch; ja vielleicht sogar anderen dominanten Systemen untergeordnet ist? Oder ist diese Analyse vielmehr eine Herausforderung? Bei aller Kritik am Luhmannschen Steuerungspessimismus164 ist gerade dieser „für die Nachhaltigkeitsdebatte von größter Wichtigkeit“: „Denn ohne die Beantwortung der von der Systemtheorie aufgeworfenen Fragen ist nicht einsehbar, wie eine realistische Gestaltung von Institutionen erfolgen könnte, die einerseits erfolgreich den Weg in eine nachhaltige Entwicklung eröffnet, ohne andererseits zentralistische (und letztendlich der Gefahr totalitärer Mechanismen ausgesetzten) Strukturen zu schaffen.“ KOPFMÜLLER ET AL (2001: 308; Fußnote) In Hinblick auf die Gestaltungskraft von Organisationen könnten sich die Möglichkeiten der Steuerung etwas aufhellen. LUHMANN (1994: 195) bezeichnet eine gesellschaftliche Funktion von Organisationen als „Verdichtung von strukturellen Kopplungen zwischen Funktionssystemen“. Strukturelle Kopplung bezeichnet hier die kausalen, nicht operativen Interdependenzen zwischen System und Umwelt. Die Auswirkungen kausaler In- 161 Luhmann, Niklas (1981): Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, S. 151. 162 Ebda., S. 20 f. 163 Ebda., S. 22. 164 Vgl. z. B.: SCHARPF (1989: 10-21); MAYNTZ (1997: 274); siehe auch Kapitel 1.3. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 44 terdependenzen – bspw. Umweltprobleme – können durch Organisationen verstärkt werden. Diese „mehrsprachigen Organisationssysteme“ können sich „dank eigener Autopoiesis (und nur so!) durch mehrere Funktionssysteme irritieren lassen“.165 Er bezweifelt trotzdem, dass durch solche „Sensibilitäten“ Steuerungschancen verbessert werden könnten. Erklärungen zur zukünftigen Politik etwa oder Eingriffe in den Finanzmarkt wirken als Steuerungsereignisse.166 „Und da die Ereigniseffekte rascher wirken als die intendierte Änderung der Bedingungen künftigen Handelns, macht die Steuerung die Steuerung selbst oft obsolet.“167 Dennoch: LUHMANN (1994: 196) gesteht den Organisationen zu, als Impulsgeber wirken zu können. „Systeme bestehen aus Operationen, das heißt aus Ereignissen. Im üblichen Steuerungskonzept denkt man nur an die Änderung der Bedingungen künftigen Handelns, also der Strukturen, der Programme, der Parameter. Man müsste zusätzlich mehr auf die Einführung dieser Änderungen achten, das heißt: auf Steuerung als Ereignis.“ LUHMANN (1989: 8) Die Chancen der Wissensgesellschaft könnten darin begründet sein, mit Wissen – als Ereignis kommuniziert, Steuerungseffekte auszulösen. Der Steuerungsimpuls Ereignis Wissen ist so zu verstehen als eine System-Umwelt-Differenz. Relevantes Wissen könnte dann dazu beitragen, die Steuerungsfähigkeit der Gesellschaft in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung zu erhöhen. 3.7 Wissensnetze: Schnittstellen im Willensbildungsprozess Die gesellschaftlichen Teilsysteme lassen sich aufgrund ihrer selbstreferentiellautopoietischen Reproduktion grundsätzlich „nicht durch externe Einwirkung steuern.“ Eine wechselseitige Perturbation der verschiedenen Funktionssysteme, „deren interne Verarbeitung Veränderungen auslöst“, tritt an die Stelle von Steuerung, bzw. muss zum Gegenstand der Steuerung werden.168 Begreift man nun die „inhaltliche Funktionsbestimmung der Politik“ als Management der teilsystemischen Interdependenzen, kann 165 Luhmann, Niklas (1994): Die Gesellschaft und ihre Organisationen, S. 196. 166 Vgl.: Luhmann, Niklas (1989): Politische Steuerung: Ein Diskussionsbeitrag, in: Politische Vierteljahresschrift, 30 Jg., Heft 1, S. 8. 167 168 Ebda., S. 8. Vgl.: Mayntz, Renate (1997): Soziale Dynamik und politische Steuerung. Theoretische und methodologische Überlegungen, S. 271. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 45 das Steuerungsdefizit abgebaut und „die fehlende Aufmerksamkeit der autonomen Subsysteme für ihre Umwelt kompensiert“ werden.169 Der Formwandel staatlicher Aufgabenerfüllung durch die Mitwirkung korporativer Akteure an Gestaltungsprozessen ist ein Ausdruck des Managements gesellschaftlicher Interdependenzen. Der Begriff des Korporatismus bezeichnet zunächst die unterschiedlichen Formen der Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen an politischen Entscheidungsprozessen. Die politische Reorganisation von Gesellschaft durch korporatistische Ordnungsmodelle und Realisierungsversuche findet ihre Ausdruck u. a. in Prozessen der Selbstorganisation der Zivilgesellschaft mit vernetzten Strukturen gegenseitiger Konsultationen und partizipativer Entscheidungsformen. Eine dritte Governanceform, die der sozialen Steuerung, vermittelt in Gestalt von Netzwerken und Verhandlungssystemen zwischen Staat und Markt.170 Die Organisationen der Zivilgesellschaft eröffnen als Verhandlungspartner des Staates kooperative Formen der Problembearbeitung und spielen bei dem Formwandel eine große Rolle. WILLKE (1998: 375) fände es „in der Tat merkwürdig“, würden die tiefgreifenden Veränderungen beim Umbau der Industrie- zu einer Wissensgesellschaft nicht die Suprastrukturen betroffener Gesellschaften erfassen. Als Suprastrukturen bezeichnet er die „institutionellen Verfestigungen, Regelsysteme, Steuerungsregime, kulturellen Orientierungen und (die) kollektiven Identitäten sozialer Systeme.“171 Die klassischhierarchischen Strukturen der Systemsteuerung verändern sich durch eine Abflachung der Hierarchien hin zu Heterarchien. Die hochspezialisierte Arbeitsteilung weicht „einer eher ganzheitlichen und integrierten Aufgabenbewältigung durch Projektteams, temporäre Arbeitsgruppen, autonome Geschäftseinheiten oder lose gekoppelte Netze von Experten.“172 Macht und Geld verlieren durch diese Prozesse an Einfluß als Steuerungsmedien. „Die kostbarste und knappste Ressource des neuen Steuerungsregimes ist Wissen und Expertise.”173 Der gegenwärtig stattfindende Transformationsprozess der Lösung vom Nationalstaat mit einem klassischen Verständnis staatlicher Aufgaben und in Deutschland mit einem 169 Ebda., S. 273. 170 Mehr zu den Begrifflichkeiten ‚Netzwerke’ und ‚Verhandlungssysteme’ vgl.: Ebda., S. 277 f. 171 Willke, Helmut (1998): Systemisches Wissensmanagement, S. 375. 172 Ebda. 173 Ausführlicher in Ebda., S. 375 ff. Nachhaltigkeit und Wissensgesellschaft 46 „institutionellen Setting“, das sich zur Überwindung der Herausforderungen der 1950er und 60er Jahre herausgebildet hat174, hin zu einer Integration in die Europäische Union mit supranationalen Strukturen und veränderten Steuerungsregimes führt zwangsläufig zu Verunsicherungen und (zumindest in der Übergangszeit bis zur Neukonstitution) zu demokratischen Defiziten. SCHNEIDEWIND ET AL (1997: 184) konstatieren “die Wiederkehr der demokratischen Frage”. Zum einen durch die „allmähliche Entfremdung“ der Bürger vom politischen Leben und zum anderen durch einen Verlust an Steuerungskapazität demokratische legitimierter nationaler Regierungen “im Zuge der ökonomischen Globalisierung.” Aktivierte Selbstorganisationspotenziale jenseits staatlichen Handelns können die Umsetzung einer Politik der Nachhaltigkeit fördern. Diese Ansätze zielen auf eine Stärkung der Beteiligungsrechte der Bürger als Ausgangspunkt jedes politischen und gesellschaftlichen Engagements, um so der zunehmenden Politikverdrossenheit entgegenzuwirken, die auch auf die mangelnde Beteiligung der Bürger an politischen Willensbildungsprozessen zurückgeführt wird.175 In der Tat ist es eine große Herausforderung für die Wissensgesellschaft, demokratische Prozesse zu gestalten – und für das Verständnis von Nachhaltigkeit ist Demokratie eine Grundfeste. Die moderne Kommunikationstechnologie erschließt völlig neue Demokratiepotenziale. Die als eDemocracy oder eGovernment bezeichneten Ideen können für mehr Transparenz sorgen und die Bürger effektiver in Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse involvieren. Vor allem auf kommunaler Ebene können so durch die unmittelbare Nähe zu den Ergebnissen politischer Entscheidungen Effekte erzielt werden, die das Interesse an politischen Prozessen begründen und stabilisieren helfen. 174 Vgl.: Schneidewind, Uwe; Feindt, Peter H.; Meister, Hans – P.; Minsch, Juerg; Schulz, Tobias; Tscheulin, Jochen (1997): Institutionelle Reformen für eine Politik der Nachhaltigkeit: Vom Was zum Wie in der Nachhaltigkeitsdebatte, S. 183 f. 175 Vgl.: Ebda., S. 189 f.; wenngleich – dieser Einwand muss erlaubt sein – nicht die Frage nach Politikverdrossenheit gestellt werden müsste sondern vielmehr nach Parteienverdrossenheit. Angesichts von Spendenaffären und Korruptionsskandalen ist eine Abkehr von Politik identifiziert mit dem Parteiensystem nicht verwunderlich, da die Parteien wichtige Akteure in der Politiklandschaft sind. Dass Bürger an Politik interessiert sind, zeigt unter anderem der Zulauf zu den NGOs (und belegt somit die These von SCHNEIDEWIND ET AL). NABU und BUND z. B. verzeichnen zusammen ca. 600.000 Mitglieder; Tendenz steigend (Quelle: taz Nr. 6518 vom 9.8.2001, S. 8; www.bund.net); und auch das Attac Netzwerk umfasst weltweit bereits 55.000 Mitglieder, 4.000 davon in Deutschland (Quelle: Attac Deutschland (Hg.) (2002): Eine andere Welt ist möglich. Hamburg.); während traditionell institutionalisierte Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften einen Mitgliederschwund zu verzeichnen haben. Zivilgesellschaft und Nicht-Regierungs-Organisationen 4 47 Zivilgesellschaft und Nicht-RegierungsOrganisationen Abstract: Die Zivilgesellschaft organisiert sich mit steigender Tendenz in NGOs. Globale Konzepte wie die Idee des Global Governance unterstützen diese Prozesse ausdrücklich. Im Wesentlichen aus der sozialen Bewegung der frühen 1960er und 70er Jahre kommend haben sich Funktion und Aufgaben der NGOs in den 1990er Jahren verändert. Insbesondere Umwelt-NGOs sorgten seit der Rio Konferenz 1992 für einen NGO-Boom und eine veränderte Realität der Politikverflechtung. Der Einfluss der NGOs auf die Politikgestaltung ist losgelöst von traditionellen, nationalstaatlichen Willensbildungsprozessen und wirft auch Fragen nach der demokratischen Legitimation ihrer Akteure auf. 4.1 NGOs – Phänomen der Globalisierung Der von der UN eingeführte – weit gefasste – Begriff der NGOs versammelt alle Organisationen, die Nicht-Regierung sind. Darunter zählen Lobbygruppen, Gewerkschaften, Umweltorganisationen und Industrieverbände. Es gibt eine Vielzahl von Definitionsversuchen, um das NGO Phänomen zu fassen.176 NGOs sollen hier verstanden werden als unabhängig von Regierungen und nichtprofitorientierte Organisationen, die sich freiwillig und aufgrund gemeinsamer Überzeugungen zusammengeschlossen haben. Es sind Gruppen in der Tradition der ‚neuen sozialen Bewegung’ mit umwelt-, entwicklungs-, friedens- und menschenrechtspolitischem Hintergrund. Also keine Gewerkschaften, Industrielobbyverbände o. ä.. NGOs als zivilgesellschaftliche Institutionen haben ihren Ursprung in der sozialen Bewegung. Im Umfeld der „‚partizipatorischen Revolution’ mit dem Schwergewicht auf ‚unkonventioneller’ politischer Beteiligung, die seit den 1970er Jahren Bürgerinitiativen 176 Krüger, Sabine (2001): Netzwerke für eine nachhaltige Gesellschaft? Zur Realität sozialökologischer Bündnisse zwischen Gewerkschaften und NGOs, in: Brunnengräber, Achim; Klein, Ansgar; Walk, Heike (Hg.): NGOs als Legitimationsressource. Zivilgesellschaftliche Partizipationsformen im Globalisierungsprozess, S. 215; siehe u. a. auch ausführlich zur Problematik der Definition: Roth, Roland (2001): NGO und transnationale soziale Bewegungen: Akteure einer „Weltzivilgesellschaft“?, S. 44 f. Zivilgesellschaft und Nicht-Regierungs-Organisationen 48 und neue soziale Bewegungen gedeihen ließ, [...]“ seien die NGOs entstanden, so ROTH (2001: 49). NGOs, wie wir sie heute kennen, mit dem stilbildenden Element der aktiven Mitgliedschaft auf lokaler Ebene (z. B. Amnesty International, gegründet 1961), entstanden zunehmend seit den 1960er Jahren.177 In das ‚Yearbook of International Organizations’ z. B. werden nur NGOs aufgenommen, die besondere Bedingungen erfüllen. Dort gelten NGOs als international operierende (d. h. in mehr als drei Ländern) Organisationen mit individuellen oder kollektiven Mitgliedschaften, die ihre Basis auf lokaler Ebene haben. Die NGOs müssen formal organisiert und unabhängig sein; sich ferner auszeichnen durch regelmäßige Aktivitäten und Repräsentationsorgane. Als Beispiele seien hier Greenpeace, Amnesty International, Friends of the Earth oder der WWF genannt, die sich für die Lösung globaler Probleme engagieren.178 Für solche transnationalen Netze als Akteure der sozialökologischen Kooperation scheint der Netzwerkbegriff durchaus angemessen. „Netzwerke werden als besondere Steuerungsform angesehen, die gemeinsames Handelns verschiedener Akteure koordinieren und moderieren.“179 Manche dieser auch transnationalen Organisationen wie Greenpeace oder der BUND sind schon in die Jahre gekommen. Wenn vom NGO-Boom die Rede sei, so W ALK / BRUNNENGRÄBER (2000: 120), seien dabei auch nicht die Organisationen selbst gemeint. Es sind vielmehr „die Reaktionen auf die Globalisierung und die Anpassungsprozesse an globale Bedingungen, die in dem Kürzel NGOs zum Ausdruck kommen“. ROTH (2001: 49) sieht im NGO-Wachstum einen Zusammenhang mit dem Wachstum anderer Akteure wie etwa der transnationalen Konzerne. „NGOs sind offensichtlich nur ein Element unter anderen im komplexen Prozeß der Globalisierung.“ Einer Veränderung der Suprastrukturen der Gesellschaft also, deren Akteure sich den Gegebenheiten anpassen müssen, um die Aufgaben der Zukunft bewältigen zu können. Für die Generierung und Weitergabe von dafür relevantem Wissen sind organisationale Lernprozesse und Innovationen eine wichtige Bedingung. Für EDWARDS (1997: 235 f.) zählt das Lernen als eine „essential component of organizations effectiveness in all sectors. [...] All NGOs aspire to be 'learning organizations'”. 177 Vgl.: Ebda, S. 49. 178 Vgl.: Ebda., S. 45. 179 Krüger, Sabine (2001): Netzwerke für eine nachhaltige Gesellschaft? Zur Realität sozialökologischer Bündnisse zwischen Gewerkschaften und NGOs, S. 217. Zivilgesellschaft und Nicht-Regierungs-Organisationen 49 Lernen ist die Grundlage und eine „key component [...] for accountability, dissemination and influence“; alles Eigenschaften, deren Bedeutung für die NGOs mit zunehmender Verflechtung in internationale Willensbildungsprozesse wichtiger werden. Er kommt zu dem Ergebnis: „[...] what matters most is that NGOs do learn, that they always try to learn more effectively, and that they do not stop learning even when they think they have found the answers.“180 4.2 Globalisierung, Global Governance und Weltzivilgesellschaft Die Auswirkungen der Globalisierung werden oft als Bedrohung empfunden und sie implizieren Steuerungsbedarf. Global operierende Konzerne produzieren dort, wo das Lohnniveau am günstigsten ist. Kapital wird dort angelegt, wo es die meisten Zinsen bringt. Die enormen Transaktionsgeschwindigkeiten bezeichnen den „Turbokapitalismus“, dessen Marktkräfte soziale Aspekte in den Hintergrund drängen, den Sozialstaat in Frage stellen und den Nord-Süd-Konflikt durch eine Umverteilung zugunsten westlicher und zu Lasten der armen Länder verschärft – auch dann oder gerade deshalb, wenn der Globalisierungsprozess OECD-zentriert ist. In einer globalisierten Welt haben die politischen wie wirtschaftlichen Entscheidungen einzelner Akteure, seien es Staaten oder Konzerne, internationale Konsequenzen und die Legitimation dieser Entscheidungen ist dadurch in Frage gestellt. Ausdruck der Globalisierung sind Strukturen, die sich aus nationalstaatlichen Kontexten herauslösen. Transnational operierende NGOs verdeutlichen diesen Prozess. Gleichzeitig beeinflussen diese Veränderungen z. B. durch neue Produktions- und Konsumptionsmuster, Reisen und einer vielfältigen Berichterstattung in den Medien auch das individuelle und kollektive Bewusstsein. So entsteht auch eine Globalisierung von Problemlagen, die die Notwendigkeit der Problembearbeitung aus ihren nationalstaatlichen Kontexten herauszulösen vermag und ein globales Verantwortungsbewusstsein möglich macht. Auf globaler Ebene gründete sich 1992 in Genf die Commission on Global Governance (CGG) „in dem Glauben, dass die internationalen Entwicklungen eine einmalige Möglichkeit geschaffen hatten, um durch eine verstärkte globale Kooperation die Heraus- 180 Edwards, Michael (1997): Organizational learning in non-governmental organizations: What have we learned?, in: Public Administration and Development, Vol. 17, Issue 2 1997, New York, S. 248. Zivilgesellschaft und Nicht-Regierungs-Organisationen 50 forderungen der Friedenssicherung, der Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung und einer Verbreitung der Demokratie besser bewältigen zu können.“181 Der Begriff Global Governance war geboren als ein Versuch, die nach dem Zerfall der alten Weltordnung entstandenen Unsicherheiten durch eine „neue Weltordnung“ zu dezimieren. Der Bericht der Kommission aus dem Jahre 1995 mit dem Titel „Our Global Neighbourhood“ (Nachbarn in einer Welt182) galt als ambitiöser Versuch, „[...] ein neues Konzept von Politik zu entwerfen.“183 Es versteht sich als ein Vorhaben, das „[...] Handlungskompetenzen auf lokale, regionale und globale Organisationen zur Lösung von Problemen (verteilt), die Nationalstaaten nicht mehr im Alleingang lösen können.“ Verkürzte nationale Problemwahrnehmungen sollen durch eine Verdichtung der internationalen Zusammenarbeit überwunden und durch verbindliche Kooperationsregeln, „[...] die auf eine Verrechtlichung der internationalen Kooperationen abzielen“ gestützt werden. Ziel ist das „Bewußtwerden gemeinsamer Überlebensinteressen“ und eine am Weltgemeinwohl orientierte Politik. Demokratisierung, Abbau von Entwicklungsunterschieden und die wirtschaftliche Verflechtung sollen die internationale Kooperationsfähigkeit verbessern. Die einseitige Macht- und Interessenpolitik eines Landes oder einer Wirtschaftsunion zur Mehrung eigener Vorteile wird durch dieses idealistische Konzept in Frage gestellt.184 Eine demokratische Weltzivilgesellschaft185, in der die Chancen gleich verteilt sind, benötigt ein hohes Maß an zivilgesellschaftlicher Partizipation. Zivilgesellschaftliche Institutionen dienen als Korrekturinstanzen der Politikgestaltung, „da staatliche Institutionen in vielen Politikfeldern nicht mehr über die notwendige Handlungsautonomie verfügen.“186 181 Übersetzt aus dem Englischen: „[…] belief that international developments had created a unique opportunity for strengthening global co-operation to meet the challenge of securing peace, achieving sustainable development, and universalizing democracy.” Quelle: Webseite der CGG: http://www.cgg.ch/TheCommission.htm; zuletzt aufgerufen am 7. April 2002. 182 Titel der deutschen Übersetzung. 183 Messner, Dirk; Nuscheler, Franz (1996): Global Governance. Organisationselemente und Säulen einer Weltordnungspolitik, S. 18. 184 Ebda., S. 20 – 21. 185 Mehr zur Definition u. a. in: Klein, Ansgar (2000): Die NGOs als Bestandteil der Zivilgesellschaft und Träger einer partizipativen und demokratischen gesellschaftlichen Entwicklung, S. 322 ff. 186 Messner, Dirk; Nuscheler, Franz (1996): Global Governance. Organisationselemente und Säulen einer Weltordnungspolitik, S. 24. Zivilgesellschaft und Nicht-Regierungs-Organisationen 51 Als „Keimzellen der internationalen Zivilgesellschaft“ haben die NGOs Zugang zum globalen Konsultationsprozess und werden von den Regierungen als Berater in die Entscheidungsfindung miteinbezogen.187 Sie dienen als der gesellschaftliche Unterbau der Global Governance Idee.188 4.3 NGOs – Netzwerke der Politikverflechtung Im Jahre 1992 fand in Rio de Janeiro die UNCED-Konferenz statt. Vor allem umweltund klimapolitisch aktive NGOs wirkten bei dem Gipfel aktiv mit und forcierten spätestens seither den Trend zu einer Kooperationsform, die inzwischen als Vernetzung bezeichnet wird.189 Bei der Vernetzung „handelt es sich um auf Dauer gestellte oder auch nur temporäre, lockerere und daher höchst flexible Formen der Kooperation zwischen nicht-staatlichen Organisationen und Akteuren aus Politik und Wirtschaft.“190 Diese Vernetzung verflechtet unterschiedliche Ebenen der Politikgestaltung, unterschiedliche Problemfelder und unterschiedliche Akteure miteinander und bietet so im günstigsten Fall die Möglichkeit besserer und effektiverer Entscheidungs- und Steuerungsprozesse.191 Nach dem Ende des kalten Krieges standen zunehmend andere Themen auf der globalen Agenda.192 U. a. neue Kommunikationstechnologien und ein durch die Friedensund Umweltbewegung bereits seit den 1980er Jahren entstandenes – die Grenzen des Nationalstaates sprengendes – Bewusstsein, bildeten ein Ereigniskonglomerat, das die Sensibilisierung für die globalen Auswirkungen lokaler Handlungen erst ermöglichte. „Global Denken – Lokal Handeln“ wurde zum geflügelten Wort der Agenda 21 Bewegung als Ergebnis der Weltklimakonferenz in Rio im Jahre 1992. In Rio wurde deutlich, 187 Ebda., S. 25. 188 Vgl.: Roth, Roland (2001): NGO und transnationale soziale Bewegungen: Akteure einer „Weltzivilgesellschaft“?, S. 43. 189 Vgl.: Altvater, Elmar; Brunnengräber, Achim; Haake, Markus; Walk, Heike (Hg.) (2000): Vernetzt und verstrickt. Nicht-Regierungs-Organisationen als gesellschaftliche Produktivkraft. Vorwort, S. 7. 190 Ebda. 191 Vgl.: Brunnengräber, Achim; Walk, Heike (2000): Die Erweiterung der Netzwerktheorien: Nicht-Regierungs-Organisationen verquickt mit Markt und Staat, in: Altvater, Elmar; Brunnengräber, Achim; Haake, Markus; Walk, Heike (Hg.): Vernetzt und verstrickt. Nicht-RegierungsOrganisationen als gesellschaftliche Produktivkraft, S. 67. 192 Vgl.: Ebda., S. 66 – 67. Zivilgesellschaft und Nicht-Regierungs-Organisationen 52 dass sich „eine zunehmend international vernetzte, aber noch schwach entwickelte ‚Zivilgesellschaft’, die sich in NRO organisiert“, von der lokalen bis zur globalen Ebene in die Politik einmischt.193 Solche netzwerkförmigen „Kommunikationsprozesse entstehen aufgrund von turbulenten Interdependenzen ‚globaler’ Probleme“.194 Mit Interdependenzen bezeichnet Luhmann die Beziehungen zwischen funktional ausdifferenzierten Teilsystemen, die als Irritationen der Systemumwelt, vermittelt durch strukturelle Kopplungen, für Resonanz sorgen können.195 Die UNCED-Konferenz in Rio könnte ein Ausdruck dieser Interdependenzen darstellen. Die 1990er Jahre waren das Jahrzehnt der Weltkonferenzen. Zu den Ergebnissen der Globalisierung von Problemlagen zählen der Weltkindergipfel (1990, New York), die Konferenz für Umwelt und Entwicklung (1992, Rio), die Menschenrechtskonferenz (1993, Wien), die Weltbevölkerungskonferenz (1994, Kairo), der Weltsozialgipfel (1995, Kopenhagen), die Weltfrauenkonferenz (1995, Peking), Habitat II (1995, Istanbul) und der Welternährungsgipfel (1996, Rom). Seit der Rio-Konferenz 1992 erlebte die Einbeziehung von NGOs in die Konferenzkonzeption ihren Durchbruch und führte zu einer neuen Qualität der NGO-Partizipation.196 „Die Konferenz löste eine regelrechte Aufbruchstimmung in der lokalen, nationalen und internationalen Politikarena aus“, verhalf den NGOs zu ihrem internationalen Aufstieg und war Ausdruck ihrer zunehmenden Bedeutung in politischen Willensbildungsprozessen.197 Dabei ist der Zugewinn an Einfluss der NGOs das Resultat – ein spin-off – des Globalisierungsprozesses an sich.198 193 Messner, Dirk; Nuscheler, Franz (1996): Global Governance. Organisationselemente und Säulen einer Weltordnungspolitik, S. 16. 194 Brunnengräber, Achim; Walk, Heike (2000): Die Erweiterung der Netzwerktheorien: NichtRegierungs-Organisationen verquickt mit Markt und Staat, S. 69. 195 Vgl.: Krause, Detlef (2001): Luhmann-Lexikon, S. 146. 196 Vgl.: Wahl, Peter (2000): Mythos und Realität internationaler Zivilgesellschaft. Zu den Perspektiven globaler Vernetzung von Nicht-Regierungs-Organisationen, in: Altvater, Elmar; Brunnengräber, Achim; Haake, Markus; Walk, Heike (Hg.): Vernetzt und verstrickt. NichtRegierungs-Organisationen als gesellschaftliche Produktivkraft, S. 295. 197 198 Walk, Heike; Brunnengräber, Achim; Altvater, Elmar (2000): Einleitung, S. 10 f. „Spin-off“ = unintendiertes Nebenprodukt oder Folgewirkung von sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen. Vgl.: Wahl, Peter (2000): Mythos und Realität internationaler Zivilgesellschaft. Zu den Perspektiven globaler Vernetzung von Nicht-RegierungsOrganisationen, S. 295. Zivilgesellschaft und Nicht-Regierungs-Organisationen 4.4 53 Probleme der demokratischen Legitimation NGOs nehmen stellvertretend die Partikularinteressen anderer war, die nicht zwangsläufig am Allgemeinwohl orientiert sind.199 Sie üben kein ihnen formell übertragenes Mandat aus und sind prinzipiell niemandem gegenüber rechenschaftspflichtig.200 Das Handeln der NGOs ist aber sehr stark abhängig von der Zustimmung der Öffentlichkeit – und bei großen Organisationen von der Zustimmung der lokalen Basis. Diese Tatsache impliziert eine informelle, aber mitunter höchst wirksame gesellschaftliche Kontrolle und zwingt die NGOs, ihre Akzeptanz immer wieder neu zu begründen und öffentlich zu rechtfertigen.201 Die NGOs sind somit auf die Akzeptanzsicherung durch die Medien angewiesen. Professionelle Medienarbeit dient hier neben der Legitimation der Existenz auch dem Versuch, die Verhandlungsprozesse in ihrem Sinne zu beeinflussen.202 „Insbesondere größere NGO [...] legen auf die Akzeptanz [...] in der (medialen) Öffentlichkeit [...] in der Regel einen größeren Wert als auf vereinsinterne Demokratie.“203 NGOs sind der Notwendigkeit ausgesetzt, „erhebliche finanzielle Mittel akquirieren zu müssen, um an der internationalen Politik teilnehmen zu können“; nicht zuletzt auch, um die notwendigen personellen Kapazitäten und die mediale Präsenz zu finanzieren.204 Problematisch ist die Abhängigkeit der Repräsentanz aufgrund ökonomischer Zwänge und der damit verbundenen ökonomischen Legitimation. Schwächere Gruppen, die die notwendigen finanziellen Ressourcen nicht aufbringen können, bleiben damit evtl. vom Partizipations- und Entscheidungsprozess ausgeschlossen. BRUNNENGRÄBER / W ALK (2000: 70 f.) vertreten die Ansicht, dass „im Zuge der Internationalisierung des NGO-Handelns [...] die Basisanbindung und Protestmobilisierung als Ressource der Einflussnahme an Bedeutung“ verliere. Das würde den Entzug der basisdemokratischen Legitimation auf lokaler Ebene bedeuten. Außer Zweifel stehe je- 199 Messner, Dirk; Nuscheler, Franz (1996): Global Governance. Organisationselemente und Säulen einer Weltordnungspolitik, S. 25. 200 Gebauer, Thomas (2001): “… von niemandem gewählt!“ Über die demokratische Legitimation von NGO, in: Brand, Ulrich; Demirovic, Alex; Görg, Christoph; Hirsch, Joachim (Hg.): Nichtregierungsorganisationen in der Transformation des Staates. Münster, S. 99. 201 Ebda. 202 Brunnengräber, Achim; Walk, Heike (2000): Die Erweiterung der Netzwerktheorien: NichtRegierungs-Organisationen verquickt mit Markt und Staat, S. 70. 203 Gebauer, Thomas (2001): “… von niemandem gewählt!“ Über die demokratische Legitimation von NGO, S. 101. 204 Brunnengräber, Achim; Walk, Heike (2000): Die Erweiterung der Netzwerktheorien: NichtRegierungs-Organisationen verquickt mit Markt und Staat, S. 70. Zivilgesellschaft und Nicht-Regierungs-Organisationen 54 doch, so MESSNER / NUSCHELER (1996: 25), „daß die Überlagerung und Ergänzung von Aktivitäten von Parlamenten, staatlichen Institutionen und privaten Organisationen zu deren wechselseitiger Demokratisierung beitragen können.“ NGOs sind nicht im klassischen Sinne durch freie und geheime Wahlen demokratisch legitimiert wie etwa die Volksvertreter in den Parlamenten. Die Frage nach ihrer Legitimität „könnte ein ganzes politisches Lehrgebäude der modernen Demokratie entwickeln!“, so VON W EIZSÄCKER (2001a: 24). Durch den Formwandel des Staates und angesichts multidimensionaler Problemlagen erlangen NGOs aber auch neue Funktionen. Sie vertreten schließlich auch die Belange der Zivilgesellschaft. In diesem Prozess der ‚Entstaatlichung’ ist es tatsächlich zweifelhaft, ob die demokratische Legitimität der NGOs mit den Kategorien andersartig strukturierter Politikprozesse aus der Vergangenheit in Frage gestellt werden darf. Zumal sich durch die Globalisierung nicht mehr nur das Legitimationsproblem der NGOs stellt, „sondern auch das Legitimitätsproblem einer Weltordnung, die Millionen von Menschen und weite Teile der Umwelt auf die Verliererstraße schickt.“205 NGOs als Korrekturinstanzen der Politik können die beschränkte Wahrnehmung von Problemlagen durch ihr Engagement und Wissen mit ihren konstitutionellen und organisationalen Besonderheiten reduzieren. Die institutionelle Einbindung von NGOs in internationale Konsultations- und Willensbildungsprozesse sorgt für eine erhöhte Problemlösungskompetenz. Auch Philipp Schepelmann, Europaexperte am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und seinerzeit Koordinator der „Greening the Treaty Kampagne“, ist der Auffassung, „dass die Organisationen der zivilen Gesellschaft ein wichtiges demokratisches Korrektiv darstellen.“ Angesprochen auf den Einfluss der nicht legitimierten Akteure konstatiert er für die „demokratische Landschaft in Brüssel“ einen „herben Verlust“, wären NGOs vor Ort nicht mehr an politischen Willensbildungsprozessen beteiligt.206 205 Weizsäcker, Ernst U. von (2001a): Zur Frage der Legitimität der NGOs im globalen Machtkonflikt. Ein einführender Beitrag, S. 26. 206 Interview und Fragebogen zum Thema: Die Verankerung des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung als Politikziel der Europäischen Union im Vertrag von Amsterdam und insbesondere zur „Greening the Treaty Kampagne“ europäischer Umweltverbände im Vorfeld der Vertragsverhandlungen zur Revision des Maastrichter Vertrages. Mit Philipp Schepelmann, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Wuppertal, 10. Dezember 2001, S. 107. Das Interview ist vollständig nachzulesen im Anhang A.3, S. 104 – 110 in dieser Arbeit. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 5 55 Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten Abstract: Der seit den 1980er Jahren verstärkt vorangetriebene europäische Integrationsprozess löst nationalstaatliche Strukturen zugunsten supranationaler Formen auf. Seit der Einführung des Subsidiaritätsprinzips im Vertrag von Maastricht 1992 werden zugleich die Regionen zu einer aktiven Politikgestaltung aufgefordert. Beide, zunächst widersprüchlich scheinende Prozesse sind Ausdruck des Übergangs hin zu neuen Formen des Regierens. NGOs gewinnen dabei, neben den traditionell in Brüssel ansässigen Lobbyisten, zunehmend an Einfluß. U. a. mit dem Weißbuch „Europäisches Regieren“ setzt die Union neue Maßstäbe für zukünftige Gestaltungsprozesse und die Rolle der Institutionen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen dabei oft weit auseinander. 5.1 Der europäische Integrationsprozess Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges war die Konzeption der Europäischen Gemeinschaft ein wesentliches Strukturelement der Zusammenarbeit der europäischen Staaten. Mit dem EGKS Vertrag von 1953207 begann zunächst die sektorale Integration der Montanindustrie. Diese erste supranationale Organisation begründete sich auf der Verquickung wirtschaftlicher Interessen, diente vor allem der politischen Stabilität und festigte die Notwendigkeit transnationaler Kooperation. „Dabei sollte nicht vergessen werden, daß Motor der europäischen Integrationsidee der Gedanke der Friedenssicherung und nicht rein wirtschaftliche Erwägungen war, der in der Präambel zum EGKS-Vertrag auch an erster Stelle genannt wird (Erhaltung des Friedens, Beitrag zu einem organisierten und lebendigen Europa und Erhaltung und Hebung des Lebensstandards).“ EUROPÄISCHE UNION: DER W IRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS (1999: 30) Mit den Römischen Verträgen wurden 1957 die Wirtschaftsgemeinschaft und die Atomgemeinschaft (EWG; EAG) gegründet. Ziel der EWG war die Realisierung einer Zollunion, die bis Ende der 1960er Jahre schrittweise umgesetzt wurde. 207 Unterzeichnung am 18. April 1951 in Paris durch die sechs Staaten Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien und Luxemburg. Trat am 23. Juli 1953 in Kraft. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 56 Nach dem zweiten ‚Ölschock’ kämpften die Länder Europas Anfang der 1980er Jahre mit wirtschaftlicher Stagnation und hoher Arbeitslosigkeit. Deutschland und Frankreich – namentlich Helmut Kohl und Francois Mitterand – machten sich die Überwindung der als „Eurosklerose“ bekannt gewordenen wirtschaftlichen Stagnation zu ihrer Aufgabe.208 Das europäische Integrationsprojekt war in dieser Zeit primär ökonomisch motiviert, um „die Unternehmer ‚nach Europa zurückzuholen’“ und durch den Abbau von Handelshemmnissen die Wirtschaft zu beleben. Der nicht automatisch ablaufende Integrationsprozess „wurde von expliziten und bisweilen höchst kontroversen politischen Entscheidungen der beteiligten Regierungen vorangetrieben.“209 Im Sinne der neoliberalen Wirtschaftsphilosophie wurde das europäische „Deregulierungsprojekt“ ermöglicht, um die Aktivitäten der Anbieterseite zu stimulieren.210 Mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) von 1986 wurde die „Harmonisierung“ des Marktes, d. h., der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital vorangetrieben und die Vollendung des Binnenmarktes bis 1992 angestrebt und in den Verträgen von Maastricht (1992) auch verwirklicht. Die bei der Entwicklung des Binnenmarktes entstehende Dynamik blieb aber nicht auf den ökonomischen Sektor beschränkt. Der ökonomische Integrationsprozess warf zunehmend soziale Fragen auf und es kam zur „Herausbildung eines sozialpolitischen Mehrebenen-Systems“, dass die Integration auf soziale Aspekte ausweitete.211 Die Beschäftigung mit Sozialpolitik auf europäischer Ebene sei aber nicht den „Ambitionen europäischer Verwaltungseliten“ zu verdanken, so LEIBFRIED (2000: 82), sondern „ein Ergebnis von ‚Spillovers’ beim Aufbau des Binnenmarktes.“ Der Begriff des Spillover bezeichnet externe Effekte; auch Externalitäten, und beschreibt hier im Rahmen des EU Integrationsprozesses die Auswirkungen des Übergangs von einer ursprünglich rein funktionalen Integration in eine politische Integration. Bei der Vollendung des Binnenmarktes – „also eines nicht-sozialpolitischen Systems“ – 208 Vgl.: Streeck, Wolfgang (1999): Korporatismus in Deutschland. Zwischen Nationalstaat und europäischer Union. Frankfurt am Main, S. 67. 209 Scharpf, Fritz W. (1999): Regieren in Europa: effektiv und demokratisch? Frankfurt am Main, S. 47. 210 Vgl.: Streeck, Wolfgang (1999): Korporatismus in Deutschland. Zwischen Nationalstaat und europäischer Union, S. 71. 211 Vgl.: Leibfried, Stephan (2000): Nationaler Wohlfahrtsstaat, Europäische Union und ‚Globalisierung’. Erste Annäherungen, in: Allmendinger, Jutta; Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang (Hg.): Soziologie des Sozialstaats. Gesellschaftliche Grundlagen, historische Zusammenhänge und aktuelle Entwicklungstendenzen. Weinheim / München, S. 82. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 57 bezeichnet ein ‚Spillover’ einen Prozess, durch zunehmenden Druck durch die Vollendung des gemeinsamen Marktes auf die Institutionen der EU, in einem anderen Sektor – hier: sozialpolitisch, tätig zu werden. „Die innere Dynamik der vollen Verwirklichung des Binnenmarktes treibt diese Entwicklung an.“212 Für soziale Systeme bedeuten Spillover eine Vereinheitlichung von Zielsetzungen durch „Übernahme der Zielsetzungen eines Subsystems, die über seinen Rahmen hinausweisen, durch andere Subsysteme.“213 Dies impliziert Interdependenzen zwischen den Subsystemen, deren Auswirkungen zu einer immer engeren Interessenverflechtung führen und der Steuerung bedürfen. Durch politische Integration als eine Folge funktionaler Kooperation. STREECK (1999: 87) kritisiert daher zurecht, dass sich eine ‚Gegenbewegung’ der politischen Kontrolle der Marktkräfte nicht „automatisch“ einstellt, „[...] und schon gar nicht notwendig auf glückliche Weise.“ „Wo sozialpolitischer Optimismus nicht durch die Annahme eines bereichsübergreifenden Automatismus supranationaler Integration gerechtfertigt werden kann, wird letzterer manchmal implizit oder explizit durch eine unterstellte Logik kapitalistischen wirtschaftlichen Eigeninteresses ersetzt.“ STREECK (1999: 88 f.) Da es nicht nur darauf ankommt, dass Integration gesteuert wird, sondern auch wie und in welche Richtung sie gesteuert wird, kommt den NGOs in der veränderten Landschaft europäischer Willensbildungsprozesse eine besondere Rolle zu, in der sie als Korrekturinstanzen der inhaltlichen Begleitung von Spillover-Prozessen dienen können. 5.2 NGOs und europäische Politik Durch die Ausweitung der Politikbereiche hat die Europäische Kommission (im Folgenden auch Kommission genannt) zusätzliche Aufgaben übernommen. „Dies hatte zur Folge, daß die Zahl der innerhalb und außerhalb Europas tätigen NRO stetig anstieg und sich diese NRO weiteren Arbeitsfeldern zuwandten.“214 Typisch für diesen Trend sind einzelstaatliche NGOs, die europäische Verbände und Netze ins Leben rufen oder 212 Ebda. 213 Krause, Detlef; Rammstedt, Otthein (1994): Art.: spill-over, in: Fuchs-Heinritz, Werner; Lautmann, Rüdiger; Rammstedt, Otthein; Wienold, Hanns (Hg.): Lexikon zur Soziologie, S. 634. 214 Europäische Union: Die Kommission (2000): Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen. Diskussionspapier der Kommission. Brüssel, KOM(2000) 11, S. 2. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 58 sich bereits den in Brüssel ansässigen europäischen Netzwerken anschließen. Die Kommission nimmt diesen Prozess zur Kenntnis und ist dazu bereit, die „partnerschaftliche Zusammenarbeit“ mit den NGOs fortzusetzen und auszubauen. Denn: „NRO gelten zunehmend als wichtiger Bestandteil der Zivilgesellschaft und als wertvolle Stützen eines demokratischen Regierungssystems.“215 Gleichzeitig stellt sie aber fest, dass die dafür erforderlichen „Strukturen und Verfahren“ nicht genügend weiterentwickelt wurden.216 Entsprechend reagierten die Europäische Kommission und der Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA) in jüngster Zeit mit Diskussionspapieren und Stellungnahmen zum Thema der organisierten Zivilgesellschaft.217 Dies geschieht aus der Notwendigkeit heraus, den Veränderungen auch der Globalisierung Rechnung zu tragen, „Akteure zu identifizieren und den Aktionsrahmen für konkrete Vorschläge in einem institutionellen Umfeld abzustecken“, um strukturelle Reformen in Gang zu setzen.218 Die Kommission stellt schätzungsweise „derzeit jährlich über 1 Mrd. € direkt für NROProjekte zur Verfügung.“ Die größten Anteile haben Projekte der Entwicklungszusammenarbeit und der Menschenrechte, der Demokratie und der humanitären Hilfe (ca. 400 Mio. €), dem Sozialwesen (ca. 70 Mio. €), dem Bildungssektor (50 Mio. €) und des Umweltbereichs der EU. „Die Kommission hat damit einen entscheidenden Beitrag zur Förderung von NRO geleistet, die in zunehmendem Maße von der europäischen Öffentlichkeit unterstützt werden.“219 So wurde z. B. im Juni 2001 das zweite „Aktionspro- 215 Ebda., S. 5. 216 Ebda., S. 2. 217 Vgl.: EUROPÄISCHE UNION: DER W IRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS (1999); EUROPÄISCHE UNION: DIE KOMMISSION (2000); EUROPÄISCHE UNION: DER W IRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS, UNTERAUSSCHUSS „DIE KOMMISSION UND DIE NRO“ (2000). 218 Europäische Union: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (1999): Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. Brüssel, 1999/C 329/10, S. 30. 219 Europäische Union: Die Kommission (2000): Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen. Diskussionspapier der Kommission, S. 2.; Das gesamte Budget der Europäischen Union beträgt für das Jahr 2002 98,6 Mrd. €. (Quelle: http://europa.eu.int/comm/dgs/budget/budgcomm/index_de.htm; zuletzt aufgerufen am 8. April 2002). Zum Vergleich: Das Budget des Haushaltes der Bundesrepublik Deutschland umfasst für das Jahr 2002 die Summe von 247,5 Mrd. €. (Quelle: www.bundesregierung.de; zuletzt aufgerufen am 8. April 2002). Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 59 gramm zur Förderung von im Umweltschutz tätigen NGOs“ abgesegnet und erstreckt sich, mit 32 Mio. € ausgestattet, über einen Zeitraum von fünf Jahren.220 Auch die Kommission beteiligt sich an den Definitionsversuchen für NGOs. Im Wesentlichen sind diese demnach nicht profitorientiert, arbeiten auf freiwilliger Basis, weisen einen gewissen Grad an Formalität auf, sind politisch und wirtschaftlich unabhängig und „verfolgen aufgrund ihrer Wertvorstellungen uneigennützige Ziele. [...] NRO sind operativ tätig und/oder treten als Anwalt einer guten Sache auf.“ Es geht der Kommission also vor allem um die im Dritten Sektor angesiedelten Organisationen.221 So konstatiert der EU WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS (1999: 32 f.) eine Beteiligung der Bürger in einer „lebendigen Demokratie“ auch durch die Vertretung in Interessengruppen und Bürgerinitiativen. „In diesem Fall sind die Bürger Mitglied in Vereinigungen, die sich ein spezialisiertes und basisbezogenes Wissen“ über einen Bereich verschaffen. Durch die Teilnahme an öffentlichen Kommunikationsprozessen wirkten diese Organisationen „an der Bildung einer gemeinsamen Vorstellung von Gemeinwohl mit. Diese Art der Bürgerbeteiligung entspreche dem Begriff der ‚Zivilgesellschaft’.“ Die organisierte Zivilgesellschaft als „Schule für Demokratie“ könne man „als einen Ort des kollektiven Lernens bezeichnen.“ Für die Zukunft sei das deshalb wichtig, da sich in nicht zentral steuerbaren komplexen Gesellschaften die „Probleme nur durch die aktive Beteiligung der Bürger lösen“ lassen. Voraussetzung für eine „intelligente Demokratie“ mit einem „kontinuierlichen gesellschaftlichen Lernprozeß“ seien Freiräume für Experimente und „pluralistische Diskusrforen.“222 Diese Rahmenbedingungen gelten auch in Bezug auf die Gestaltungsmöglichkeiten für Politik, wo es insbesondere auf Wissen ankommt. Als Akteure der organisierten Zivilgesellschaft in diesem Prozess werden auch die NGOs identifiziert. „Der Dialog zwischen der Kommission und den NRO sowie deren Konsultation durch die Kommission sind Teil des demokratischen Entschei- 220 Quelle: Europäische Union: Die Kommission (2001c): Kommunikation mit der Bürgergesellschaft, in: Bulletin der Europäischen Union Nr. 6/2001. Webseite der Online Edition: http://europa.eu.int/abc/doc/off/bull/de/200106/p104043.htm; zuletzt aufgerufen am 8. April 2002. 221 Und nicht um Gewerkschaften oder Industrielobbyverbände etc. Vgl.: Europäische Union: Die Kommission (2000): Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen. Diskussionspapier der Kommission, S. 4 f. 222 Europäische Union: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (1999): Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, S. 33. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 60 dungsprozesses der EU-Organe.“ Besonders auch das Europäische Parlament und die beiden Ausschüsse „haben seit langem enge Kontakte zu NRO.“223 5.3 Lobbying und Interessengeflecht in Brüssel Das Laboratorium „European Governance“ verdeutlicht alle Probleme einer die herkömmlichen Arenen politischer Willensbildung verlassenden und die Grenzen der Nationalstaaten überschreitenden Politikgestaltung. Neben der Kritik an der Bürokratisierung und den Legitimationsdefiziten der „Eurokratie“ existieren zahlreiche Widerstände gegen die europäische Integration.224 Die Dominanz von Hegemonen und der Verlust von nationalen Identitäten etwa bereiten den Boden für ernstzunehmende Partikularinteressen, die in den Integrationsprozess eingebunden werden müssen. Im Umfeld der europäischen Politik existieren zahlreiche Gruppen aus allen Politikfeldern und Bereichen der verschiedenen Gesellschaften – natürlich auch mit positiven Interessen an der Gemeinschaftsbildung –, die die europäischen Willensbildungsprozesse mitgestalten und beeinflussen. Im Allgemeinen bezeichnet man den Versuch der Beeinflussung von Entscheidungsträgern durch Dritte als Lobbying.225 Durch EU-Recht ist der Dialog zwischen Kommission und Interessensvertretern institutionalisiert und erlaubt Letzteren ein aktives herantreten an die Kommission.226 Die Zahl der Interessengruppen ist sehr hoch. Bei einem Besuch in Brüssel oder Strassburg sei es möglich, so GREENWOOD (1997: 2), jede nur vorstellbare Interessengruppe vorzufinden: von multinationalen Konzernen über Gewerkschaften zu Handwerkern und Konsumentenvertreten, von Autofahrern, Vogelschützern bis hin zu Biertrinkern. Die Kommission, fährt er fort, habe herausfinden lassen, dass etwa 3000 Interessengruppen mit 10.000 Personen in Brüssel vor Ort Ein- 223 Europäische Union: Die Kommission (2000): Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen. Diskussionspapier der Kommission, S. 9.; die Organe – lat. = Werkzeuge – der EU werden bestimmt in Art. 7 EGV (1): Europäisches Parlament, Rat, Kommission, Gerichtshof, Rechnungshof. (2) Der Rat und die Kommission werden von einem Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie einem Ausschuss der Regionen mit beratender Aufgabe unterstützt. 224 Messner, Dirk; Nuscheler, Franz (1996): Global Governance. Organisationselemente und Säulen einer Weltordnungspolitik, S. 26. 225 Vgl.: Fischer, Klemens H. (1997): Lobbying und Kommunikation in der Europäischen Union. Berlin / Wien, S. 35. 226 Ebda., S. 35 f. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 61 fluss zu nehmen versuchen; davon etwa 500 europäische und internationale Verbände.227 Neuere Zahlen gehen sogar schon von bis zu 15.000 Lobbyisten in Brüssel aus und machen die belgische Metropole zur zweiten Welthauptstadt des Lobbying nach Washington.228 FISCHER (1997) unterschiedet die Beeinflussung europäischer Willensbildungsprozesse in hoheitliches und nicht-hoheitliches Lobbying. Hoheitliches Lobbying ist demnach der Versuch, „mitgliedstaatliche Interessen“ zu formulieren und in den Entscheidungsprozess einzubinden. Nicht-hoheitliches Lobbying dagegen werde „von Gruppierungen betrieben, die dem privaten Sektor zuzurechnen sind [...].“229 Der Einfluss und das Bestreben der NGOs nach Mitbestimmung geht jedoch aufgrund ihrer Struktur und der gestalterischen Legitimation über das bekannte Lobbying hinaus. Durch ihre Zwitterfunktion und des Anspruchs, aufgrund der mangelnden nationalstaatlichen Problemlösungsfähigkeiten auch Anliegen zu vertreten, bei welchen Partikularinteressen und Staatsinteressen miteinander verwebt sind, ist die Definition des Lobbying aufgrund ihrer Funktion und Einflussnahme für NGOs nicht mehr hinreichend. Auch für die Kommission gelten die NGOs „zunehmend als wichtiger Bestandteil der Zivilgesellschaft und als wertvolle Stützen eines demokratischen Regierungssystems.“230 Dabei ermöglicht sie teilweise bereits einen strukturierten Dialog mit den Vertretern der NGOs auch der europäischen Umweltverbände. Zweimal im Jahr treffen die Vertreter der „größten gesamteuropäischen Umweltschutz-NRO (‚Gruppe der Acht’)“ mit dem Generaldirektor der Generaldirektion Umwelt zusammen, um über das Arbeitsprogramm der Generaldirektion und deren Verhältnis zu den NRO zu diskutieren. Dabei besteht die Gelegenheit, „alle im zurückliegenden Halbjahr aufgetretenen Probleme“ zu erörtern.231 227 Zahlen von 1992, in: Greenwood, Justin (1997): Representing Interests in the European Union. London / New York, S. 3. 228 Clamen, Michel (2000): Le Lobbying et ses secrets. Guide des techniques d'influence. 3e édition, Paris; zitiert nach: Latsch, Gunther (2002): Brüsseler Imperialismus, in: Experiment Europa. Ein Kontinent macht Geschichte. Spiegel special Nr. 1/2002, S. 136. 229 Fischer, Klemens H. (1997): Lobbying und Kommunikation in der Europäischen Union, S. 36. 230 Europäische Union: Die Kommission (2000): Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen. Diskussionspapier der Kommission, S. 5. 231 Ebda., S. 10. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 62 Allerdings werden die NGOs im harten politischen Alltag – fernab von richtungsweisenden Vorstellungen zukünftiger Strukturen – „nur teilweise so betrachtet, dass sie eine demokratische Funktion erfüllen.“ Eine Mehrzahl der Entscheidungsträger im Parlament, in der Kommission und den Regierungsorganisationen „sehen zumindest die ECOs (Environmental Citizens Organisations) als eine Lobbying-Gruppe wie jede andere auch, obwohl die ECOs keine kommerziellen Interessen vertreten.“232 5.4 European Governance Der NGO-Boom verursacht durch die Globalisierung von Problemlagen fördert die offensichtlich nicht mehr ausreichenden Problemlösungskompetenzen der Nationalstaaten zu Tage.233 So muss nicht mehr nur die demokratische Legitimation der NGOs kritisch hinterfragt werden. Vielmehr offenbart sich auch eine Legitimationskrise der Nationalstaaten, die u. a. dadurch verdeutlicht wird, dass von den NGOs der praktische Beitrag zur Lösung der Probleme eher erwartet wird als von nationalen Regierungen.234 Der EU-Einigungsprozess wird in diesem Zusammenhang zu einem kontinentalen Spiegelbild der gegenwärtigen globalen Integrationsbemühungen. Die zu beobachtenden Entwicklungen bezeichnen eine Übergangsphase aus alten Ordnungsstrukturen in neue Formen der transnationalen Kooperation. Charakteristisch für diese Übergangsphase ist die Legitimationskrise der Nationalstaaten und die Existenz eines noch nicht gelösten Demokratiedefizits auch aufgrund dieser evolutionären Entwicklungen hin zu einer neuen Ordnungspolitik. So konstatieren MESSNER / NUSCHELER (1996: 26), die EU könne als „fortgeschrittenes Laboratorium für die Fähigkeit zu Global Governance verstanden werden.“235 Europäische Sichtweisen lösen nationalstaatliches Denken ab 232 Interview mit Philipp Schepelmann. Siehe Anhang A.3, S. 107. 233 „Die beliebte These, nationale Regierungen könnten immer weniger die nur im Weltmaßstab lösbaren Probleme bewältigen, ist sogar zirkulär; genuin globale Aufgaben lassen sich nicht regional lösen.“ Höffe, Otfried (1999): Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 14. 234 Vgl.: Altvater, Elmar; Brunnengräber, Achim; Haake, Markus; Walk, Heike (Hg.) (2000): Vernetzt und verstrickt. Nicht-Regierungs-Organisationen als gesellschaftliche Produktivkraft. Vorwort, S. 7. 235 Die Kommission sieht die EU selbst als Impulsgeberin im Global Governance Prozess: „Der erste Schritt, den die Union unternehmen muss, ist die erfolgreiche Reform der Governance im eigenen Hause, damit sie um so überzeugender für einen Wandel auf internationaler Ebene eintreten kann.“ Europäische Union: Die Kommission (2001b): Europäisches Regieren. Ein Weissbuch. Brüssel, KOM(2001) 428, S. 34. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 63 und befördern das Gemeinschaftsbewusstsein. Die Abtretung von Teilsouveränitäten erfolgt zugunsten einer erhöhten Problemlösungsfähigkeit durch gemeinsames Handeln.236 Im „Laboratorium Europa“ experimentieren auch die NGOs an der neuen Architektur. „Die Kommission hat die Reform europäischen Regierens, also dessen, was als Governance bezeichnet wird, Anfang 2000 zu einem ihrer vier strategischen Ziele erklärt.“237 Mit ihrem Weißbuch – der Grundsatzerklärung zur politischen Strategie – vom 25. Juli 2001 legte die Europäische Kommission ein umfassendes Papier zur Reform europäischen Regierens vor. In Hinblick auf die Zukunft Europas müsse die Union beginnen, ihre Institutionen anzupassen, die innere Kohärenz zu stärken und für Transparenz zu sorgen. Trotz des europäischen Legitimationsproblems bei den Bürgern, symbolisiert durch Brüsseler Bürokratismus und einer verbreiteten Skepsis gegenüber der „komplexen Maschinerie“ Europa, erwarten die Bürger auch Antworten der EU z. B. auf Fragen der Globalisierung, Umweltprobleme oder der Arbeitslosigkeit.238 Mit dem Weißbuch schlägt die Kommission vor, die politische Entscheidungsfindung der EU zu öffnen „und mehr Menschen und Organisationen in die Gestaltung und Durchführung der EU-Politik einzubinden.“ Denn obwohl die Union über ein zweifaches demokratisches Mandat verfüge, (Vertretung der Bürger durch das Europäische Parlament (EP); Vertretung der Regierungen durch den Ministerrat), sei die Stimmung in der Bevölkerung schlecht. „Trotz alledem fühlen sich viele Europäer dem Wirken der Union entfremdet. Dieses Gefühl besteht nicht nur gegenüber den europäischen Organen, sondern generell gegenüber allen politischen Institutionen in und außerhalb der Union.“ EUROPÄISCHE UNION: DIE KOMMISSION (2001b: 9) Die Kommission stellt fest, dass die Menschen schlicht zuwenig über Europa wissen. Sie wissen nicht wer welche Entscheidungen trifft und was die eine Institution von der 236 Messner, Dirk; Nuscheler, Franz (1996): Global Governance. Organisationselemente und Säulen einer Weltordnungspolitik, S. 26. 237 Europäische Union: Die Kommission (2001b): Europäisches Regieren. Ein Weissbuch, S. 3; die vier Ziele sind: - Förderung neuer europäischer Entscheidungsstrukturen; - ein stabiles Europa mit einer stärkeren Stimme in der Welt; - eine neue wirtschafts- und sozialpolitische Agenda und höhere Lebensqualität für alle. Vgl.: Prodi, Romano (2000): 2000-2005 : Umrisse des neuen Europas. Rede des Präsidenten der Europäischen Kommission vor dem Europaparlament. Straßburg, 15. Februar 2000 (= Speech 00/41), S. 4. 238 Europäische Union: Die Kommission (2001b): Europäisches Regieren. Ein Weissbuch, S. 3. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 64 anderen unterscheidet.239 Ziel einer Reform muss sein, durch eine verstärkte Einbindung aller Akteure für größere Offenheit zu sorgen und das Verhältnis zur Zivilgesellschaft interaktiver zu gestalten. Die fünf politischen Grundsätze des „guten Regierens“ sind: Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz als notwendige Grundlage für die Reformbemühungen.240 Es bedarf einer verstärkten Konsultations- und Dialogkultur und der Beteiligung der Bürger an Konsultationsprozessen. Die Kommission stützt sich auf fast 700 Ad-hoc Gremien zur Beratung. Daher ist es kein Wunder, dass gegenwärtig „nicht genügen Klarheit darüber“ herrscht, „wie die Konsultationen ablaufen und auf wen die Institutionen hören.“241 Die Kommission strebt eine Form des Willensbildungsprozesses an, der von der Gestaltung bis zur Durchführung auf „Rückkoppelung, Netzwerken und Partizipation auf allen Ebenen beruht.“242 Dabei sollen moderne Kommunikationsmittel helfen und für mehr Partizipation und Transparenz sorgen.243 „Partizipation heißt nicht Institutionalisierung von Protest. Partizipation bedeutet vielmehr wirkungsvollere Politikgestaltung auf der Grundlage frühzeitiger Konsultationen und der Erfahrungen der Vergangenheit.“244 Bereits 1999 machte der WSA den Vorschlag zur Schaffung einer geeigneten Organisationsstruktur „Organisierte Zivilgesellschaft“. Dazu zählt auch ein veränderter Umgang mit der „nicht ausreichenden Verwertung von Beiträgen der Gruppenexperten, die oft beträchtliches Niveau aufweisen“; zum einen um den Wissenstand der Ausschussmitglieder zu bereichern und zum anderen um diese Expertise einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.245 Das NGOs ihr Fachwissen in politische Entscheidungsprozesse einbringen, weiß auch die Kommission zu schätzen denn die Kenntnis dieses Wissens ermöglicht es, „gegebenenfalls ihre Politik anzupassen oder Änderungen an der Verwaltung ihrer Projekte vorzunehmen.“246 Dabei gewinnen Wissensmanagementprozesse an Bedeu- 239 Ebda., S. 10. 240 Vgl.: Ebda., S. 13 + S. 42. 241 Ebda., S. 22. 242 Ebda., S. 14. 243 Ebda., S. 15. 244 Ebda, S. 21. 245 Europäische Union: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (1999): Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, S. 36. 246 Europäische Union: Die Kommission (2000): Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen. Diskussionspapier der Kommission, S. 6. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 65 tung für einen angestrebten verantwortungsvolleren Umgang mit Wissen und Expertise.247 Ebenfalls erkennt die Kommission die Bedeutung transnationaler Netze für die Europäische Integration an: „Diese Netze verknüpfen Unternehmen, Gemeinschaften, Forschungszentren sowie Regional- und Kommunalbehörden miteinander. Sie bieten eine neue Grundlage für die Integration innerhalb der Union“. EUROPÄISCHE UNION: DIE KOMMISSION (2001b: 23) 5.5 Europäisches Regieren – Anspruch und Wirklichkeit Die Reformgedanken der Kommission greifen die modernen Konzepte der Organisationsentwicklung auf, wollen dem Formwandel der Politik durch die Anpassung der supranationalen Strukturen Rechnung tragen und reflektieren sehr präzise den gesellschaftlichen Wandel. Die Ideen der Kommission zum ‚Europäischen Regieren’ sind „sicherlich ‚state of the art’ und man findet kaum etwas Fortschrittlicheres.“248 Es gibt durchaus unterschiedliche Auffassungen innerhalb der EU und die Positionen z. B. des Wirtschafts- und Sozialausschusses sind nicht immer deckungsgleich mit der Auffassung der Kommission. Während der WSA nur in beratender Funktion wirken kann ist die Kommission als „Hüterin der Verträge“ die „Herrin des Verfahrens“. Als Vertreter der Zivilgesellschaft sieht sich der Wirtschafts- und Sozialausschuss aber geradezu prädestiniert. Und sicherlich sind viele Positionen des Papiers zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“ aus dem Jahre 1999 zum einen in das Kommissionspapier aus dem Jahre 2000 zum „Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen“ als auch in das 2001 vorgelegte Weißbuch zum Europäischen Regieren eingeflossen. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss sieht seine Funktion u. a. als Vertreter und Forum der organisierten Zivilgesellschaft auf Gemeinschaftsebene; als ein institutionalisiertes Gremium, dessen Mitglieder „unmittelbare Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft“ sind und „in ihrer Gesamtheit jenes Netzwerk an kommunikativen Handlungen“ repräsentieren, „die als ‚Lebenswelt’ die 247 Ebda., S. 6 + S. 25. 248 Interview mit Philipp Schepelmann. Siehe Anhang A.3, S. 109. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 66 notwendige Aktionsbasis der Zivilgesellschaft bilden.“249 „Der Ausschuss ist der institutionelle Ort der Begegnung der organisierten Zivilgesellschaft.“250 Die Kommission benannte jedoch in der Vergangenheit lediglich sich selbst und das Europäische Parlament „als Orte des Dialogs mit dem Bürger“ – der Ausschuss blieb unerwähnt.251 Mit der Änderung des Art. 257 EGV im Vertrag von Nizza (2000) hat sich dies insofern verändert, als dass der WSA nicht mehr „aus Vertretern der verschiedenen Gruppen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens“ besteht (alt), sondern „aus Vertretern der verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Bereiche der organisierten Bürgergesellschaft“ (neu). Die Erwähnung seiner Funktion im Weißbuch in Zusammenhang mit der Einbindung der Zivilgesellschaft sieht für den WSA eine „proaktivere Rolle“ vor und stärkt seine Position im Rahmen der angestrebten Aufwertung der Partizipationsmöglichkeiten.252 Von den Mitgliedern im WSA vertritt zumindest einer der 24 Mitglieder aus Deutschland die Umwelt NGOs253 und eine der neun Fachgruppen beschäftigt sich auch mit Fragen des Umweltschutzes, Gesundheitswesens und Verbrauchs.254 Dennoch stellt sich der bereits mit den Römischen Verträgen 1957 ins Leben gerufene und zur Zeit 222 Mitglieder zählende WSA trotz allem selbstreferentiellen Lob zurecht selbst die Frage, ob seine aktuelle Mitgliederstruktur tatsächlich „den gesellschaftlichen Wandel der letzten 40 Jahre [...] widerspiegelt.“255 So strebt der Ausschuss denn auch an, andere Akteure der Zivilgesellschaft in den Dialog mit einzubeziehen.256 249 Europäische Union: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (1999): Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, S. 34 f. 250 Ebda., S. 36. 251 Ebda., S. 34. 252 Vgl.: Europäische Union: Die Kommission (2001b): Europäisches Regieren. Ein Weissbuch, S. 19 f. + S. 13. 253 Interview mit Philipp Schepelmann. Siehe Anhang A.3, S. 107. 254 Zbinden, Martin (1999): Die Institutionen und die Entscheidungsverfahren der Europäischen Union nach Amsterdam. Bern, S. 107. 255 Europäische Union: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (1999): Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, S. 35. 256 Vgl.: Ebda., S. 36. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 67 Doch „die Bürger Europas sind skeptisch gegenüber programmatischen Ankündigungen aus Brüssel geworden. Es gilt daher, die Schere zwischen Worten und Taten zu schließen.“257 Sie sind zurecht skeptisch, wie die Studie von HÉRITIER (2001: 4) beweist. Die Untersuchung vor dem Hintergrund der im Weißbuch benannten neuen Formen von Governance, namentlich einer Konsultations- und Dialogkultur und der Beteiligung der Zivilgesellschaft an Entscheidungsprozessen, ist ernüchternd. Von 926 gezählten Entscheidungen im Zeitraum von Januar 2000 bis Juli 2001 sind nur 99 unter den Bedingungen neuer Formen des Regierens zustande gekommen. Der Großteil davon in der Sozial- und Umweltpolitik. 258 5.6 Subsidiarität, Kommunen und ‚Glocal Governance’ Der 1992 im Vertrag von Maastricht erstmals erwähnte Ausschuss der Regionen (AdR) wurde 1994 ins Leben gerufen. Ebenso wie der WSA hat der AdR 222 Mitglieder, die die Interessen der Länder, Regionen und Gemeinden vertreten.259 Der AdR ist u. a. Ausdruck der institutionellen Verfestigung des mit dem Vertrags von Maastricht in die EU-Politik eingeführten Prinzips der Subsidiarität260, das eine „bürgernahe“ Politik sicherstellen soll. „Als staatsethisches Prinzip verstanden, billigt die Subsidiarität dem Staat zwar eine grundsätzliche Legitimität zu, schränkt aber seine Kompetenzen zugunsten nichtstattlicher Institutionen kräftig ein.“ HÖFFE (1999: 129) Als Subsidiarität wird das Prinzip verstanden, dass die untere Ebene im Rahmen eines „politischen und sozialen Ordnungsprinzip“ prinzipiell Vorrang vor der höheren Ebene hat, die erst aktiv wird, „wenn die untere Ebene überfordert ist.“ Der WSA versteht 257 Europäische Union: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss, Unterausschuss „Die Kommission und die NRO“ (2000): Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Diskussionspapier der Kommission „Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen“ (KOM (2000) 11 end.). Brüssel, CES 811/2000, S. 3. 258 Siehe ausführlich in: Héritier, Adrienne (2001): New Modes of Governance in Europe: PolicyMaking without Legislating? Bonn (= Preprints aus der Max-Planck-Projektgruppe Recht der Gemeinschaftsgüter, Nr. 51, (2001/14)), S. 4. 259 Zbinden, Martin (1999): Die Institutionen und die Entscheidungsverfahren der Europäischen Union nach Amsterdam, S. 109 ff. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 68 Subsidiarität „im Bereich der Zivilgesellschaft“ auch als „extern [...], d.h. als Empfehlung, es den Bürgern zu überlassen, sich selbst mit den sie betreffenden Problemen zu befassen.“261 Ebenso wie der WSA soll auch der AdR im Rahmen der GovernanceReform gestärkt werden, „um an der Gestaltung der Politik in einem weitaus früheren Stadium als heute mitzuwirken.“262 Dabei fordert der AdR, ihm den Status eines Organs zuzuerkennen.263 Allerdings so, ZBINDEN (1999: 110), habe sich praktisch in allen Staaten durchgesetzt, „nur gewählte Vertreter der Gebietskörperschaften“ (z. B. Länder, Gemeinden) zu entsenden. Im Falle der 24 deutschen Mitglieder sind es 21 Ländervertreter und drei der Gemeindeebene. Die „hochkarätige“ Besetzung des AdR besteht meist aus Ministerpräsidenten der Länder und ihrer Minister.264 Durch die Zusammensetzung des AdR ist eine adäquate Vertretung der zunehmend in NGOs vertretene Zivilgesellschaft zu bezweifeln. Eine Reform europäischen Regierens für mehr Bürgernähe muss diese Tatsache berücksichtigen und es ist fragwürdig, ob die Änderung seines Status zu einem Organ der EU ausreicht oder ob nicht gleichzeitig über die Struktur seiner Besetzung nachzudenken ist. Ministerpräsidenten, Landesminister und Repräsentanten der Gemeinden vertreten auch parteipolitische Interessen und haben eben gerade nicht die Qualitäten neuer Netzwerke, die mit ihrer ‚bottom-up’ Struktur auch für inhaltliche Reformen großes Innovationspotenzial bereitstellen können.265 Es verwundert in diesem Zusammenhang 260 Vgl.: EUV: Präambel und Art. 1; EGV, (neu) Art. 5 (Amsterdam); alt: Art. 3b (Maastricht). 261 Europäische Union: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (1999): Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, S. 33. 262 Europäische Union: Die Kommission (2001b): Europäisches Regieren. Ein Weissbuch, S. 20. 263 Europäische Union: Der Ausschuss der Regionen (2001): Bericht des Ausschusses der Regionen über die „Bürgernähe“. Brüssel, CdR 436/2000, S. 18. 264 Vgl.: Zbinden, Martin (1999): Die Institutionen und die Entscheidungsverfahren der Europäischen Union nach Amsterdam, S. 110. 265 Teilweise feiern in Gemeinden die Bürgermeister ihr 20jähriges Dienstjubiläum! (Quelle: eigene). In Baden-Württemberg etwa werden die Bürgermeister nur alle acht Jahre gewählt. Vgl.: Götz, Markus (2001): Politische Steuerung in der Kommune. Die Reform der Kommunalpolitik durch Netzwerke und Verhandlungssysteme. Münster (= Schriftenreihe der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik Nordrhein-Westfalen Düsseldorf; Bd. 19), S. 199. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 69 nicht, dass sich im AdR parteipolitische Fraktionen bilden, die neue Grenzen entstehen lassen und alte tendenziell nicht zu überwinden in der Lage sind.266 Im herkömmlichen Repräsentationsmodell geben die Einwohner „ihre Entscheidungsmacht ab, aber ebenso ihre Gestaltungsmacht“. Das Modell der Selbststeuerung dagegen folgt einer anderen Logik. Hier bildet sich bei einem zu bearbeitenden Problem ein Verhandlungssystem, „das Lösungen erarbeitet [...] und Aufgaben verteilt“.267 268 Abb. 1: Kommunale Netzwerksteuerung: Beteiligte Ebenen im politischen Prozess. „Gesellschaftliche Selbstregelung und Verhandlungen zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren in neokorporatistischen Strukturen bzw. Politiknetzwerken sind keine alternativen Governance-Formen, sondern durchdringen und ergänzen sich gegenseitig.“ MAYNTZ (1997: 283) 266 Vgl.: Zbinden, Martin (1999): Die Institutionen und die Entscheidungsverfahren der Europäischen Union nach Amsterdam, S. 113. 267 268 Ebda., S. 199. Götz, Markus (2001): Politische Steuerung in der Kommune. Die Reform der Kommunalpolitik durch Netzwerke und Verhandlungssysteme, S. 199. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 70 Um Netzwerksteuerung umzusetzen bedarf es einer grundlegenden Veränderung lokaler politisch-administrativer Strukturen. Ihre Merkmale sind u. a. Dezentralität durch lose gekoppelte autonome Verwaltungseinheiten, eine Beteiligung der Bürger und lokaler Akteure sowie die Bestimmung der Aufgabe der Politik als Initiator von Entscheidungsprozessen und ihrer Funktion als Moderator, diese Prozesse zu koordinieren. Diese Gestalt der Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse führt zum einen zu verstärkter Demokratisierung und „als Ergebnis entsteht die Strategiefähigkeit der Kommunalpolitik. Politische Steuerung ist damit auch in einer modernen Gesellschaft möglich.“269 Als Beispiel dafür kann der lokale Agenda 21 Prozess gelten. Er wird verstanden „als ein Lern- und Suchprozess nach Wegen für eine nachhaltige Entwicklung.“ Vor allem zivilgesellschaftliche Elemente wie die NGOs haben diesen Prozess trotz der „Widerstände lokaler Autoritäten“ in Gang gesetzt.270 Der Referenzrahmen für ihr Handeln, bzw. ihr Mandat, war die von den Nationalstaaten unterzeichnete „Abschlusserklärung des Erdgipfels von Rio“, der, zusammen mit den anderen Weltkonferenzen der 1990er Jahre, „die Rolle der lokalen politischen Institutionen [...] erheblich aufgewertet“ hat.271 In diesem Zusammenhang gewinnt der Begriff der Glokalisierung272 seine Bedeutung. Er beschreibt zunächst „die zunehmende Durchdringung und Beeinflussung örtlicher Verhältnisse, Gebräuche und Gewohnheiten durch Prozesse [...], die sich in globalen Referenzrahmen vollziehen.“273 Dabei ist diese Entwicklung keineswegs eine „Einbahnstraße vom Globalen zum Lokalen“. Es geht vielmehr um die Unterstützung der 269 Vgl.: Ebda., S. 223 ff. 270 Hilliges, Gunther (2001): Internationale Vernetzung im Agenda-21-Prozess, in: Berndt, Michael; Sack, Detlef (Hg.): Glocal Governance? Voraussetzungen und Formen demokratischer Beteiligung im Zeichen der Globalisierung. Wiesbaden, S. 202; die Agenda 21 fordert ausdrücklich eine „echte Mitwirkung“ und partnerschaftliche Beteiligung von NGOs, um „ein gemeinsames Zielbewusstsein im Namen aller gesellschaftlichen Bereiche zu aktivieren" (Agenda 21, Kap. 27). 271 Hilliges, Gunther (2001): Internationale Vernetzung im Agenda-21-Prozess, S. 202. Mit Institutionen meint Hilliges hier die Städte und Gemeinden. 272 Eine ausführliche Definition findet sich bei: Albert, Mathias (1998): Entgrenzung und Formierung neuer politischer Räume, in: Kohler-Koch, Beate (Hg.): Regieren in entgrenzten Räumen. (= Politische Vierteljahresschrift; Sonderheft 29/1999), S. 52 ff. 273 Ebda., S. 52. Europäische Willensbildungsprozesse jenseits der Nationalstaaten 71 „Sichtbarkeit“ lokaler Akteure im globalen Raum. Dabei ist der Vernetzungsgrad entscheidend für die Sichtbarkeit in globalen Netzen.274 ‚Glocal Governance’ kann in diesem Zusammenhang als ein Begriff verstanden werden, der die Suche nach neuen demokratischen Partizipationsformen ausdrückt, die durch die Globalisierung erst möglich geworden sind und auf lokaler Ebene ansetzen, durch ihre Integration in Netzwerke aber auf – hier: die europäische Ebene, ausstrahlen können. Bei der Reform u. a. des AdR könnte es so ein Ziel sein, die internationale Vernetzung zwischen Städten und Gemeinden voranzutreiben, die Kooperation von Kommunen zu fördern und durch den Austausch etwa von ‚best-practices’ diese Kultur der Kommunikation und Kooperation zu institutionalisieren um somit bei den Akteuren Anerkennung zu finden als verbindliches Modell des Handelns.275 Konsequenz dieses Modells wäre dann allerdings, dass im AdR sicherlich nicht mehr nur Ministerpräsidenten, Landesminister und Repräsentanten der Gemeinden sitzen würden, sondern auch NGO Vertreter. 274 275 Ebda., S. 52 f. Der AdR kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Vgl.: Europäische Union: Der Ausschuss der Regionen (2001): Bericht des Ausschusses der Regionen über die „Bürgernähe“, S. 15 f. Europäische Union und ökologische Kommunikation 6 72 Europäische Union und ökologische Kommunikation Abstract: Bis zur Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) 1986 spielten Fragen des Umweltschutzes kaum keine Rolle in Europa. Der Integrationsprozess bewirkte aber eine zunehmende Verankerung von Umweltschutzzielen in die europäische Politik. Im Vertrag von Amsterdam wurde 1997 das umfassende Ziel der nachhaltigen Entwicklung quasi in Verfassungsrang festgeschrieben. Ökologisch kommunizierende Organisationen der Zivilgesellschaft waren daran maßgeblich beteiligt. Europäische Umweltverbände starteten die „Greening the Treaty Kampagne“ und auch die europäischen grünen Parteien beeinflussten die Ergebnisse der Regierungskonferenz 1996/97. Mit dem Vertrag von Amsterdam gelangte die Nachhaltigkeit in das Kommunikationssystem der EU und hat seither begonnen, dessen interne Strukturen zu verändern. „Die nachhaltige Entwicklung bietet der Europäischen Union die positive langfristige Perspektive einer wohlhabenderen und gerechteren Gesellschaft; sie verspricht eine saubere, sichere und gesündere Umwelt – eine Gesellschaft, die uns, unseren Kindern und Enkeln eine bessere Lebensqualität bietet.“ EUROPÄISCHE UNION: DIE KOMMISSION (2001a: 2) 6.1 Ökologische Kommunikation und Umwelt NGOs „Unter Gesichtspunkten soziokultureller Evolution“, so Luhmann (1981: 21), ist „heute ein Zustand erreicht, in dem das Gesellschaftssystem seine Umwelt tiefgreifend verändert und damit die Voraussetzungen ändert, auf denen die eigene Ausdifferenzierung beruht.“ Die damit verbundenen ökologischen Fragen müssen Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzung werden. Umweltprobleme müssen kommunikativ angeschlossen werden, um von den Teilsystemen erkannt werden zu können. 1979 entschieden sich verschiedene ökologisch und friedensbewegte Listen, die seit Mitte der 1970er Jahre zunehmend entstanden, zur Zusammenarbeit. Im Jahre 1980 gründeten sich auf Bundesebene DIE GRÜNEN.276 Damit erreichte die Organisation der 276 Die GRÜNEN scheinen mittlerweile im Amt tatsächlich ‚nachgedunkelt’, wie Luhmann es vermutet hatte. Vgl.: Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? S. 236. Europäische Union und ökologische Kommunikation 73 alternativen Szene Westdeutschlands ihren ersten Höhepunkt. Auch die zivilgesellschaftlichen Umweltbewegungen waren Bestandteil dieser gesellschaftlichen Veränderungen, die sich wie Greenpeace z. B. durch spektakulären Aktionismus oft auf globaler Ebene die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit verschafften und von diesem Trend bis heute profitieren. Es war der Protest gegen das System und die Auseinandersetzung mit seinen Folgen. Sie sind in Westdeutschland eng an Namen gekoppelt wie Mutlangen, Startbahn-West, Brokdorf und viele andere mehr. U. a. das Wettrüsten und die Umweltprobleme wurden zunehmend als so nicht länger hinnehmbare Folgen des stark ausdifferenzierten Gesellschaftssystems identifiziert. „Sobald sich Formen der Differenzierung mitsamt ihren Folgen abzeichnen, ist es daher wahrscheinlich, daß sie in der Gesellschaft selbst beobachtet und beschrieben werden.“277 Luhmann konstatiert, das soziale Systeme zur Selbstbeschreibung278 der Gesellschaft fähig sind.279 Soziale Systeme der Friedens- und Ökologiebewegungen der 1970er und 1980er Jahre, formiert als neue Art sozialer Bewegungen und sozialen Protests, suchten alternative Formen der Artikulation.280 In Bezug auf wohl alle Funktionssysteme hatten sich Sinnzweifel eingestellt, und sorgten so für eine „weithin unorganisierte Resonanz solcher Themen.“281 In diesem Zusammenhang ist eine soziale Bewegung ein „kommunikatives Geschehen, das quer zu den oder außerhalb der erfolgreich ausdifferenzierten Funktionssysteme(n) stattfindet.“ Soziale Bewegungen sind beobachtbar als autopoietische soziale Systeme, die der gesellschaftlichen Selbstalarmierung dienen.282 Luhmann erwartete, „daß die rasch zunehmende Relevanz der Umwelt weitreichende Anpassungen in der internen Differenzierungsstruktur des Gesellschaftssystems erzwingen und insgesamt die Bedeutung der internen Differenzierung wieder mindern, also auch das Anspruchsniveau in Bezug auf Spezialfunktionen wieder senken wird.“ LUHMANN (1981: 24) 277 Ebda., S. 230. 278 Die Selbstbeschreibung sorgt, sehr knapp formuliert, durch eine Beobachtung zweiter Ordnung für eine System-Umwelt-Differenz und bildet so Reflexionspunkte. Vgl.: Ebda., S. 59. 279 Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? S. 230 f. 280 „Soziale Systeme sind bei primär funktional differenzierten Gesellschaften“ u. a. „auch soziale Bewegungen.“ Vgl.: Krause, Detlef (2001): Luhmann-Lexikon, S. 215. 281 Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? S. 233. 282 Vgl.: Krause, Detlef (2001): Luhmann-Lexikon, S. 201. Europäische Union und ökologische Kommunikation 74 Dieser Prozess werde ausgelöst durch Mentalitätsänderungen und ließe sich beobachten „in der Suche nach Lebensformen, die sich von der Differenzierungsschematik der Gesellschaft insgesamt distanzieren“. Auch im „Aufleben eines politischen Regionalismus“ und „im Rückgang auf relativ schlichte, naturnahe, lokale Präferenzen“ finde diese Entwicklung ihren Ausdruck.283 Hieraus ergibt sich die Frage: „[...] ob ein als Demokratie ausdifferenziertes Funktionssystem für Politik diesen Anpassungsprozess führen kann, wo es doch zugleich sein Opfer ist, oder ob Hinnahme des Unvermeidlichen der politisch bequemere und auch für die Erhaltung demokratischer Politik sinnvollere Ausweg ist.“ LUHMANN (1981: 24) „Politische Resonanz kommt vor allem dadurch zustande, daß die ‚öffentliche Meinung’ als der eigentliche Souverän differentielle Chancen der Wiederwahl suggeriert.“284 Auf diese Weise können auch ökologische Gefährdungen in das System der Politik zurückgekoppelt werden. Die Aufnahme von Informationen richtet sich nicht nach ihrem Gehalt, sondern nach bestimmten Filtern, u. a. die öffentliche Meinung, die überwunden werden müssen. „Man muß also einen dieser Eingangsfilter manipulieren, will man Prozesse in Gang setzen, die Informationen wahrnehmen, verarbeiten und eventuell Entscheidungen treffen können.“285 Mittlerweile scheint die Resonanz besser organisiert zu sein. Unter anderem die Aufnahme des Ziels zur nachhaltigen Entwicklung in das EU-Rechtssystem schafft entsprechende Informationsverarbeitungsfähigkeiten, die Umweltprobleme entsprechend codieren können. Ferner haben sich auch die oben erwähnten sozialen Bewegungen ausdifferenziert und sind ein zunehmend ernstzunehmender und kompetenter Faktor zivilgesellschaftlicher Interessenvertretungen geworden, deren Organisationen durchaus Steuerungsimpulse erzielen können. Nun sind bereits 16 Jahre vergangen seit der „Ökologischen Kommunikation“ und ein gesellschaftlicher Wandel hat stattgefunden. Die Tatsache der funktionalen Differenzierung und der damit verbundenen Problematiken besteht nach wie vor. Was sich aber entscheidend geändert hat, ist die Organisationsform der ‚sozialen Bewegungen’. Aus 283 Luhmann, Niklas (1981): Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, S. 24. 284 Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? S. 175. 285 Luhmann, Niklas (1981): Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, S. 151. Europäische Union und ökologische Kommunikation 75 ihnen sind heute teilweise global operierende Organisationen entstanden, deren Qualität der Problembeschreibungskompetenz sich verbessert hat. Für Luhmann (1990: 236) stellt sich noch die Frage, „ob die moderne Gesellschaft für Selbstbeschreibung auf die ganz unzulängliche Basis sozialer Bewegungen angewiesen ist.“ Heute stellt sich vielmehr die Frage, ob die sozialen Bewegungen eine unzulängliche Basis für die Selbstbeschreibung moderner Gesellschaften sind.286 6.2 Die Greening the Treaty – Kampagne Ein Beispiel für die Umsetzung von Partikularinteressen in die offiziellen Politikziele der Europäischen Union durch Partizipation von NGOs ist die „Greening the Treaty Kampagne“ europäischer Umweltschutzverbände im Vorfeld der Verhandlungen zum Vertrag von Amsterdam (1997). U. a. die als „Gruppe der Sieben“287 bezeichneten und in Brüssel etablierten Umwelt NGOs288 European Environmental Bureau (EEB), Friends of the Earth Europe (FoEE), Greenpeace International, World Wide Fund for Nature (WWF), Climate Network Europe (CNE), Birdlife International und die European Federation for Transport and Environment (T&E) erreichten mit ihrer Kampagne, dass die Europäische Union die Verpflichtung zu einer nachhaltigen Entwicklung zu einer ihrer wichtigsten politischen Aufgaben machte. Die „Greening the Treaty Kampagne“ basierte zunächst auf einem etwa 25 Seiten starken Pamphlet. „Dort war dargestellt, wie der Maastrichter EU-Vertrag seinerzeit aussah und wie sich die Umweltorganisationen eine ökologische Ergänzung des Vertrages vorgestellt haben.“ 289 Die Abstimmungsphase innerhalb der Umweltverbände begann im Jahre 1996. Innerhalb der G7 als Absprachegremium wurden die Vorschläge diskutiert und es kam eine Einigung zustande auf das Papier als Grundlage der Kampagne. 286 Und ob sie als moderne Organisationen in Form von NGOs und gewandelten Partizipationschancen tatsächlich nur als protestierender „Parasit“ die Position „eingeschlossener ausgeschlossener Dritter in der Gesellschaft“ einnehmen. Vgl.: Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? S. 232 – 234. 287 288 Mittlerweile G8, weil die „Naturfreunde International“ dazugekommen sind. Einen ausführlichen Einblick gibt Webster, Ruth (1998): Environmental collective action. Stable patterns of cooperation and issue alliances at the European level, in: Aspinwall, Mark; Greenwood, Justin (Ed.): Collective Action in the European Union. London / New York, S. 178 ff. Europäische Union und ökologische Kommunikation 76 Mit der Umsetzung wurde FoEE beauftragt. FoEE ist ein Netzwerk bestehend aus Organisationen in 12 der 15 EU-Länder. Die deutsche FoEE-Organisation ist der BUND. Alle Organisationen in diesen Ländern haben bei der Kampagne mitgewirkt. „Zur Vorbereitung [...] fand in Brüssel ein Treffen mit allen beteiligten Organisationen statt.“290 Bei der anstehenden Regierungskonferenz waren es die Vertreter der einzelnen Mitgliedsstaaten, die die Verhandlungen führten. Um diesen Prozess beeinflussen zu können, mussten nicht die Brüsseler Institutionen lobbyiert werden, sondern die zuständigen Personen und Gremien in den nationalen Ministerien und Regierungen. Die Aufgabe der Kampagne war es nun, „sich in Brüssel zu verabreden und anschließend in den Außen- und Umweltministerien die jeweilige nationale Position zur Regierungskonferenz zu erfragen.“291 Abb. 2: Deutsche Einwirkung auf den Verhandlungsprozess in der Regierungskonferenz und 292 beteiligte Institutionen. 289 Interview mit Philipp Schepelmann. Siehe Anhang A.3, S. 104. 290 Ebda., S. 106. 291 Ebda. 292 Birgelen, Georg (1998): Europapolitische Meinungsbildung in Deutschland. Institutionelle Struktur der Formulierung europapolitischer Positionen, dargestellt am Beispiel der Regierungskonferenz zur Revision des Maastrichter Vertrages, in: Weidenfeld, Werner (Hg.): Deutsche Europapolitik. Optionen wirksamer Interessenvertretung. Bonn (= Münchner Beiträge zur europäischen Einigung; Bd. 2), S. 117. Europäische Union und ökologische Kommunikation 77 Das organisierte Auftreten der Umwelt NGOs in diesem Prozess sorgte in den nationalen Institutionen für Überraschung. Es entstand so ein Handlungsbedarf in den Ministerien, die nicht damit gerechnet hatten, „dass speziell die Umweltministerien [...] unter der Beobachtung der Zivilgesellschaft standen.“293 Dass Anliegen der Umwelt NGOs und der positiv besetzte Wert, sich für Fragen der Umwelt zu engagieren, sorgte in den Nationalstaaten aber dafür, dass die Forderungen der G7 diskutiert wurden und in die nationalen Strategien zur Regierungskonferenz eingeflossen sind.294 Bei der Strategieentwicklung war es vor allem wichtig, dass die beteiligten Personen über gute rechtliche und institutionelle Kenntnisse verfügten. „Profis, die sich wie kein anderer damit auskennen.“295 Ferner war es das gut abgestimmte Timing der Kampagne, das dafür sorgte, dass die Forderungen der G7 bereits zu Papier gebracht waren, bevor die Vertreter der Regierungskonferenz zusammentraten. Die Umweltverbände waren „früher als jedes andere Netzwerk und auch früher als die Regierungen selber gut vorbereitet im Vorfeld dieser Regierungskonferenz positioniert“.296 Die Kommunikation im Netzwerk verlief zum größten Teil gestützt auf elektronische Medien. Ferner gab es Workshops, eine große Konferenz und „entsprechenden Bemühungen auch für die Öffentlichkeit.“ Die Abstimmungs- und Koordinationsprozesse etwa per E-Mail sorgten für den entsprechenden und schnellen Informationsaustausch. Die Vernetzung der „Greening the Treaty“ Vertreter mit ihren Kontakten sorgte zudem für eine höhere Transparenz der Verhandlungen während der Konferenz. „So kam es vor, dass uns bspw. geheime Verhandlungsprotokolle zugespielt wurden, die sich dann über unsere Kanäle in ganz Europa verbreitet haben“ und wenn notwendig auch in die nationalen Ressorts hinein kommuniziert wurden, erinnert sich Philipp Schepelmann, seinerzeit der Koordinator der Kampagne.297 Der Erfolg der „Greening the Treaty Kampagne“ war das Resultat eines wissensbasierten Netzwerkes, für das der virtuelle Raum eine entscheidende Rolle bei der Kommunikation und Entscheidungsfindung gespielt hat. Die Wettbewerbsnachteile durch die begrenzten Ressourcen der Umweltverbände im Vergleich etwa mit den großen Indust- 293 Vgl.: Interview mit Philipp Schepelmann. Siehe Anhang A.3, S. 107. 294 Vgl.: Ebda., S. 106, S. 108. 295 Ebda., S. 105. 296 Ebda. 297 Ebda., S. 108. Europäische Union und ökologische Kommunikation 78 rie-Lobbyverbänden mussten „durch eine effiziente und rechtzeitige Information“ wettgemacht werden. „Wir haben da unsere Tentakeln. Die nehmen die Informationen auf und bereiten sie so auf, dass sie wieder in die Organisationen zurückgespielt werden können“, so Schepelmann.298 Das Know-How der G7 über Brüsseler Abläufe, Prozesse und Institutionen sei in seiner Gesamtheit „sehr, sehr groß und sicherlich auch sehr viel mehr wert, als dafür eigentlich bezahlt wird. Weil eben auch viele in ehrenamtlicher Funktion und mit Leidenschaft dabei sind.“299 Es war ein kleine Gruppe von Leuten die zum einen wussten, dass sich die EU im Vertrag von Amsterdam neu konstituieren wird, und zum anderen über die notwendigen institutionellen und organisatorischen Kenntnisse verfügten und sich zudem das Wissen aneigneten, „wer an den Verhandlungen teilnimmt, welche Positionen diese Personen vertreten und wie man ihnen unsere Positionen näher bringen kann.“300 „Greening the Treaty“ ist ein Beispiel für ökologische Kommunikation. Es ging darum, ökologisch bedeutsame Informationen „in die juristisch codierte Sprache dieses Apparates, der die Konstitution der EU ausarbeitete“, zu transformieren. So geht es in den Verträgen auch nicht „explizit um ökologische Inhalte“. Dort findet sich zwar das „ganze Prisma der Nachhaltigkeit“ wieder und es wird auf „wirtschaftliche, soziale und ökologische Ziele als Ganzes“ verwiesen. Aber „letztlich bleibt es [...] eine rein abstrakte institutionelle Forderung.“301 6.3 Europäische Grüne und der Vertrag von Amsterdam Auch die grünen Parteien Europas setzten sich im Vorfeld der Amsterdamer Regierungskonferenz für Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit im Vertrag ein – ebenfalls mit dem Ziel, in den Nationalstaaten darauf einzuwirken.302 In ihrem “Green Consultation Paper on the Intergovernmental Conference – 1996” fordern sie, die Agenda 298 Ebda., S. 110. 299 Ebda. 300 Vgl.: Ebda., S. 108. 301 Ebda., S. 110. 302 European Greens (Ed.) (1995): Green Consultation Paper on the Intergovernmental Conference – 1996. Budapest, S. 1. Europäische Union und ökologische Kommunikation 79 der Regierungskonferenz “must aim to create stability and sustainability throughout the continent.”303 Die Forderungen nach der Einbeziehung einer nachhaltigen Entwicklung bezogen sich im Wesentlichen auf die Regulierung des Binnenmarktes und der vier Basisfreiheiten (freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital) in Artikel 3 c (EGV) und verlangten dort ihre Integration. “Environmental protection must be incorporated as a higher goal than free competition.”304 Das erste und wichtigste Ziel der Europäischen Grünen für die Regierungskonferenz war, dass “the EU should include sustainable development among its objectives; environmental policy should become one of the common policies of the EU.”305 Obwohl diese Forderungen der Europäischen Grünen erreicht, bzw. übertroffen wurden, nachdem die EU die nachhaltige Entwicklung tatsächlich in Art. 2 (EUV) als eines ihrer Ziele formulierte, war die Resonanz zumindest der BÜNDNISGRÜNEN in Deutschland reserviert. Sie kritisierten den Vertrag, weil Antworten auf die soziale und ökologische Krise fehlten: „Die Einführung des Prinzips der Nachhaltigkeit in den Vertrag droht ebenso symbolische Politik zu bleiben wie die nochmalige Betonung der Umweltpolitik als Querschnittsaufgabe, 306 da daraus keine konkreten Verpflichtungen abgeleitet werden.” Der Länderrat von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN kam auf seiner Sitzung am 26./27. April 1997 so auch zu dem Fazit: „Betrachtet man die gesamte Richtung, die mit der Regierungskonferenz von Amsterdam eingeschlagen wird, so müssen wir mit großer Sorge feststellen: Die EU steht am Scheide307 weg, und die Entwicklung geht in die falsche Richtung.“ Entsprechend fiel die Reaktion der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN aus. Die Bundesdelegiertenkonferenz hatte in Kassel beschlossen, der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages nicht zuzustimmen mit der politischen Begründung, dass 303 Ebda., S. 4. 304 Ebda., S. 9. 305 Ebda., S. 12. 306 BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, Bundestagsfraktion (Hg.) (1997): Euroinfo. Die Grünen im Europäischen Parlament. Nr. 3/97, 22. Mai 1997, S. 32. 307 Ebda., S. 31. Europäische Union und ökologische Kommunikation 80 es zwar „integrationspolitische Fortschritte in Teilbereichen gibt“, die Ergebnisse der Regierungskonferenz an sich jedoch „unzureichend sind und falsche Weichenstellungen enthalten“.308 Bei der Ratifizierung des Vertrages im Deutschen Bundestag hat sich – bis auf drei Stimmen – die gesamte Fraktion enthalten. Sie hat nur deshalb nicht mit Nein gestimmt, um „nicht als ‚anti-europäisch’ wahrgenommen“ zu werden.309 Noch im März 1998 auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Magdeburg steht für die BÜNDNISGRÜNEN mehrheitlich fest, dass der Vertrag von Amsterdam die Weichen falsch gestellt habe: „Im Vordergrund steht die Zusammenarbeit von Polizei und Militär. Entscheidend jedoch sind Schritte in Richtung auf ein soziales und ökologisches Europa.“310 6.4 Von Amsterdam nach Göteborg – Meilensteine der Umweltintegration Der Erfolg der Bemühungen zur Integration des Zieles einer nachhaltigen Entwicklung ist im Artikel 2, Absatz 1 (EUV) des Vertrages von Amsterdam nachzulesen: „Die Union setzt sich folgende Ziele: [...] sowie die Herbeiführung einer ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung [...]“.311 Artikel 6 (EGV) des Vertrages ist ebenfalls von großer Bedeutung, als dass sich hier die Union zur Einbeziehung des Umweltschutzes und der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung bei „Festlegung und Durchführung der in Artikel 3 genannten Gemeinschaftspolitiken und –maßnahmen“ verpflichtet.312 Artikel 6 (EGV) fordert somit die Integration von Umweltschutz und Nachhaltigkeit in alle Politikbereiche. Nach Amsterdam begann die institutionelle Auseinandersetzung mit den neuen politischen Vorgaben. Bereits auf dem Treffen des Europäischen Rates in Luxemburg (Dezember 1997) wurde der Kommission aufgrund der Schwedischen Initiative vorgeschlagen, eine Strategie für die Umweltintegration auszuarbeiten. Im Juni 1998 wurde 308 BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, Bundestagsfraktion (Hg.) (1998): Euroinfo. Die Grünen im Europäischen Parlament. Nr. 2/98, 14. Mai 1998, S. 27, S. 20. 309 Ebda., S. 20. 310 Ebda., S. 39. 311 Quelle: Europäische Union (1999): Vertrag von Amsterdam. Texte des EU-Vertrages und des EG-Vertrages mit den deutschen Begleitgesetzen, hrsg. v. Thomas Läufer. Bonn, S. 20. Europäische Union und ökologische Kommunikation 81 das Kommissionspapier „Partnerschaft für Integration – eine Strategie zur Einbeziehung der Umweltbelange in die EU Politik“, dem Europäischen Rat in Cardiff vorgelegt.313 Unter britischer Ratspräsidentschaft wurde so in Cardiff ein Prozess in Gang gebracht, „in dessen Rahmen verschiedene Formationen des Ministerrates jeweils eigene Strategien zur Berücksichtigung der Erfordernisse des Umweltschutzes in ihrem Tätigkeitsbereich erarbeiten.“ Unter diesen Voraussetzungen sollte „zur Erfüllung der Verpflichtungen des Artikels 6 des EG Vertrages“ die „Berücksichtigung der Erfordernisse des Umweltschutzes“ in alle Politikbereiche sichergestellt werden. Ergebnisse sollten und wurden in Göteborg präsentiert.314 In Helsinki forderte die Finnische Ratspräsidentschaft die Europäische Kommission im Dezember 1999 dazu auf, „einen Vorschlag für eine langfristige Strategie auszuarbeiten, wie die verschiedenen Politiken im Sinne einer wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung aufeinander abzustimmen sind“. Im Mai 2001 veröffentlichte die Kommission ihre „Strategie der Europäischen Union für eine nachhaltige Entwicklung“ und schlug sie dem Europäischen Rat im Juni 2001 in Göteborg vor.315 Im März 2000 ist der Europäische Rat in Lissabon zu einer Sondertagung zusammengekommen, um der Europäischen Union ein neues strategisches Ziel für das kommende Jahrzehnt zu setzen. Die Union solle zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ gemacht werden. Ein Wirtschaftsraum, „der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.“316 Mit den Lissabonner Zielvorgaben, so Prodi (2001: 3), sollte in Göteborg ein „ambitioniertes, aber den- 312 Ebda., S. 58 f. 313 Eine sehr ausführliche Darstellung des Umweltintegrationsprozesses ist zu finden auf der Webseite der Kommission: Europäische Union: Die Kommission (2002): Environmental Integration. Webseite: www.europa.eu.int/comm/environment/enveco/integration/integration.-htm; zuletzt aufgerufen am 11. April 2002. 314 Kraemer, R. Andreas (2001): Ergebnisse des “Cardiff-Prozesses” zur Integration der Erfordernisse des Umweltschutzes in andere Politiken – Bewertung des Zwischenstandes. Bericht and das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Forschungsbericht (BMU/UBA) Nr. 299 19 120. Berlin, S. 4. 315 Europäische Union: Die Kommission (2001a): Mitteilung der Kommission: Nachhaltige Entwicklung in Europa für eine bessere Welt: Strategie der Europäischen Union für die nachhaltige Entwicklung (Vorschlag der Kommission für den Europäischen Rat in Göteborg). Brüssel, KOM(2001) 264, S. 2. 316 Europäischer Rat (2000): Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Europäischer Rat (Lissabon) 23. und 24. März 2000. SN 100/1/00. Webseite der Online Edition: http://ue.eu.int/de/info/eurocouncil/; zuletzt aufgerufen am 11. April 2002. Europäische Union und ökologische Kommunikation 82 noch realistisches Projekt zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung ins Leben gerufen werden.“ Der Kern der Überlegungen ist, dass eine nachhaltige Entwicklung nicht nur Umweltpolitik betrifft, sondern es müsse vielmehr „sichergestellt werden, dass Wirtschaftswachstum, sozialer Zusammenhalt und Umweltschutz miteinander Schritt halten.“317 Zum Abschluss der Schwedischen Ratspräsidentschaft am 15. und 16. Juni 2001 in Göteborg formulierte der Europäische Rat daher in den „Schlussfolgerungen des Vorsitzes“ zur „Festlegung politischer Leitlinien“: „1. Der Europäische Rat ist am 15. und 16. Juni in Göteborg zur Festlegung politischer Leitlinien für die Union zusammengetreten. Er [...] – einigte sich auf eine Strategie für die nachhaltige Entwicklung und gab dem Prozess von Lissabon für Beschäftigung, Wirtschaftsre318 form und sozialen Zusammenhalt eine Umweltdimension [...]. Bislang sind zahlreiche Initiativen ergriffen worden, um das anspruchsvolle Ziel der nachhaltigen Entwicklung in die EU-Politik zu integrieren. Der Europäische Rat in Stockholm beschloss im März 2001, „dass alle Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung auf der jährlichen Frühjahrstagung des Europäischen Rates überprüft werden sollen.“319 Ferner schlägt die Kommission dem Europaparlament vor, einen Ausschuss für die nachhaltige Entwicklung ins Leben zu rufen. Auch wird sie „einen ‚Runden Tisch’ für die nachhaltige Entwicklung mit etwa zehn unabhängigen Sachverständigen einrichten,“ der dem Kommissionspräsidenten Bericht erstattet. Und ab dem Jahre 2002 will die Kommission „ein Forum für die Beteiligten“ zur Bewertung der EUStrategie organisieren, an dem sich ausdrücklich auch der WSA beteiligen solle.320 „Kleine, aber entscheidende Änderungen an diesem Supertanker EU haben dazu geführt, dass er jetzt langsam aber spürbar seine Richtung ändert. Niemand hätte mit diesem Erfolg gerechnet,“ antwortet Philipp Schepelmann auf die Frage, wie er rückbli- 317 Prodi, Romano (2001): „Was ich von Göteborg erwarte - die Vision muss Realität werden”. Rede des Präsidenten der Europäischen Kommission vor dem Europaparlament. Straßburg, 13. Juni 2001 (= Speech 01/281), S. 3. 318 Quelle: Europäischer Rat (2001a): Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Europäischer Rat (Göteborg) 15. und 16. Juni 2001. SN 200/1/01. 319 Europäische Union: Die Kommission (2001a): Mitteilung der Kommission: Nachhaltige Entwicklung in Europa für eine bessere Welt: Strategie der Europäischen Union für die nachhaltige Entwicklung (Vorschlag der Kommission für den Europäischen Rat in Göteborg), S. 17. 320 Ebda., S. 18. Europäische Union und ökologische Kommunikation 83 ckend die „Greening the Treaty Kampagne“ beurteilt.321 Ob die erzielten Fortschritte zur Umweltintegration alleine der Erfolg dieser Kampagne waren, muss offen bleiben. Nachhaltigkeit war auch schon im Vertrag von Maastricht erwähnt. Allerdings erst in Art. 130 (EGV). Die Umwelt NGOs haben aber sicherlich wesentlich dazu beigetragen, dass die Verpflichtung zur nachhaltigen Entwicklung eines der wichtigsten Politikziele der Europäischen Union geworden ist. Sie wäre zwar im Vertragstext von Amsterdam erschienen; vielleicht aber nicht an so exponierter Stelle. 6.5 Nachhaltigkeit für die EU – Blockaden und Chancen Das Reformprojekt European Governance ist eine politische Reaktion auf den gesellschaftlichen Wandel und wurde von Kommissionspräsident Romano Prodi zum wichtigsten strategischen Ziel der EU erklärt.322 Die Partizipationsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft sind dabei Ausdruck der von Brüssel postulierten Bürgernähe. Partizipation sorgt nicht nur für ein höheres Kohärenzgefühl der EU-Bürger, sie ist auch eine grundlegende Bedingung für eine demokratische und nachhaltige Entwicklung. Die Umsetzung der Governancereform und die Nachhaltigkeitsstrategie sind somit eng miteinander verknüpft. Es fragt sich in diesem Zusammenhang, ob die Förderung von NGOs als wichtiger Säule bürgerschaftlicher Interessenvermittlung mit 1 Mrd. €, also knapp mehr als 1 % des EU-Budgets ausreichend finanziert ist, oder ob nicht mehr Mittel zugunsten subsidiärer Interessenvermittlung und den Ausbau von Netzwerken und Kooperationen und damit zulasten der zentralistischen Brüsseler Verwaltung eingesetzt werden müssten. So bestätigt auch Philipp Schepelmann die noch unzureichende Institutionalisierung von Schnittstellen im Bereich der Umweltintegration und kritisiert die mangelnde Offenheit, Partikularinteressen adäquat zu berücksichtigen. Es gibt zwar „jede Menge Schnittstellen, die auch je nach Thema mehr oder weniger professionell besetzt werden.“ Dies ist aber immer abhängig von der Ressourcenfrage der NGO.323 Allerdings fügt er hinzu, „dass die Kommission für die NGO Arbeit nicht unerhebliche Mittel zur Verfügung stellt – auch für Arbeit der G7“ (G8). Diese Mittel sind allerdings projektge- 321 Interview mit Philipp Schepelmann. Siehe Anhang A.3, S. 109. 322 Prodi, Romano (2000): 2000-2005 : Umrisse des neuen Europas, S. 4; vgl. auch: Europäische Union: Der Ausschuss der Regionen (2001): Bericht des Ausschusses der Regionen über die „Bürgernähe“, S. 3. 323 Interview mit Philipp Schepelmann. Siehe Anhang A.3, S. 107. Europäische Union und ökologische Kommunikation 84 bunden – meist an konkrete Arbeit für die Generaldirektion (GD) Umwelt – und stellen keine institutionelle Förderung dar. „Wie beim ‚Greening the Treaty Prozess’ (für den die GD-Umwelt die finanziellen Mittel zur Verfügung stellte) wird die finanzielle Ausstattung an konkrete Arbeit und konkrete Ergebnisse gebunden.“324 Umweltintegration findet auch auf der informellen Ebene statt. Die Leute in Brüssel treffen sich auf Partys und es existieren zahlreiche Netzwerke „aus den verschiedenen Nationen.“325 Allerdings „sind diese Gruppen meist thematisch gegliedert.“ Interessant ist der Umstand, dass die Umweltorganisationen einen (heimlichen) strukturellen Bonus haben, wie Schepelmann vermutet. Da viele Menschen auch aus der Brüsseler Verwaltung und Politik „Unterstützer von Greenpeace oder Mitglieder von FoEE Organisationen sind.“ FoEE Organisationen z. B. sind im Gegensatz zu den vielen anderen Lobbyingverbänden Mitgliedsorganisationen. „Mitglieder etwa des BUND mit rund 250.000 Mitgliedern findet man ja überall; eben auch in diesen Apparaten.“326 Das komplexe Gebilde EU hat mehrere Gesichter. So findet man auf der einen Seite „unglaublich innovative Instrumente“ etwa zu Governance oder zu nachhaltiger Entwicklung. Auf der anderen Seite sind aber wieder „die Strukturkonservativen am Werk“; und es gibt unglaublich scheinende Probleme bei den Abstimmungs- und Kooperationsverfahren innerhalb der Verwaltung.327 Von der Effizienz der Kommission im Vergleich zu nationalen Regierungen dagegen „kann man durchaus angetan sein“. Die Ursachen für die Fehlentwicklungen etwa „bei der Agrar- oder Strukturpolitik liegen im Wesentlichen begründet in den Mitgliedsstaaten,“ so Schepelmann, deren Regierungen zum Teil in demokratische Prozesse „mit antidemokratischen Mitteln“ eingreifen. „Der Regierungsapparat führt in Hinblick auf die EU-Politik ein Eigenleben.“328 Das erklärt u. a. die Befürchtungen der nationalen Parlamente, zu Exekutoren internationaler Beschlüsse zu werden, die ein Demokratiedefizit nicht nur in Brüssel und Straßburg selbst, sondern auch in den nationalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten entstehen 324 Ebda. 325 Ebda. 326 Ebda., S. 108. 327 Vgl. hierzu die (subjektiven) Eindrücke einer EU-Praktikantin: Mahony, Honor (2002): Leerlauf hinter Glas, in: Experiment Europa. Ein Kontinent macht Geschichte. Spiegel special Nr. 1/2002, S. 134 – 135. 328 Interview mit Philipp Schepelmann. Siehe Anhang A.3, S. 109. Europäische Union und ökologische Kommunikation 85 lassen. „Uns geht die Demokratie flöten“, konstatiert VON W EIZSÄCKER in diesem Zusammenhang.329 Es ist anzunehmen, dass die Kommission auch aus diesem Grund im Weißbuch explizit den Wunsch äußert, „die Verantwortung für die Durchführung der Politiken wieder in die Hände der Kommission zu legen“ und ihr das Initiativrecht zu überlassen.330 Für eine effiziente Umsetzung einer Politik der Nachhaltigkeit müssen die stark ausdifferenzierten Arbeitsmethoden der EU aber geändert werden: „In allen Phasen des Gesetzgebungsprozesses der Gemeinschaft werden in den einzelnen Bereichen politische Vorschläge ausgearbeitet und erörtert, ohne dabei die Verbindungen zwischen den verschiedenen Politikbereichen in angemessener Form zu berücksichtigen. Die Struktur von Kommission, Rat und Parlament fördert diesen engen, sektoriellen Ansatz. Alle drei Institutionen sollten sich Gedanken machen, wie diese Schwäche überwunden werden kann.“ EUROPÄISCHE UNION: DIE KOMMISSION (2001a: 17) Damit hat die Kommission das Komplexitätsdilemma erkannt. Eine bessere Vernetzung aller Beteiligten ist daher eine notwendige Konsequenz, die zur Folge hat, potentiell Komplexität zu erhöhen und dadurch eine verbesserte Problemlösungskompetenz zu erlangen. Nicht die Steigerung der Komplexität durch weitere Ausdifferenzierung muss daher Ziel der von der Kommission eingeleiteten umfassenden Verwaltungsreform der EU sein, die auch auf eine „Verbesserung der Managementkultur des Organs abzielt“331, sondern neue Verfahren der Vernetzung und Kooperation. 6.6 Die politische Öffentlichkeit in Europa Für die Soziologie bezeichnet Öffentlichkeit u. a. „ein Prinzip des allgemeinen Zugangs332 [...] und den Grundsatz der Publizität als Voraussetzung der Transparenz bei Angelegenheiten von allgemeinem (‚öffentlichem’) Interesse“. Die politische Öffentlich- 329 Weizsäcker, Ernst U. von (2001b): Die Natur lässt sich nicht betrügen – aber wir können sie viel eleganter nutzen. Vortrag an der Universität Essen. 10. Oktober 2001; zum angeschlagenen Verhältnis zwischen der Kommission und der Deutschen Bundesregierung, namentlich zwischen Romano Prodi und Gerhard Schröder siehe u. a.: Pinzler, Petra (2002): Kanzlers Klientel, in: DIE ZEIT Nr. 13/2002, S. 10. 330 Europäische Union: Die Kommission (2001b): Europäisches Regieren. Ein Weissbuch, S. 41. 331 Europäische Union: Die Kommission (2000): Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen. Diskussionspapier der Kommission, S. 2 f. 332 Zu Versammlungen, Örtlichkeiten; zu Informationen. Europäische Union und ökologische Kommunikation 86 keit ist „ein Strukturprinzip moderner Demokratien und damit ein Medium der Kontrolle von Herrschaft.“333 „Das Subjekt dieser Öffentlichkeit ist das Publikum als Träger der öffentlichen Meinung; auf deren kritische Funktion ist Publizität [...] bezogen."334 In einer Demokratie leitet sich daraus für eine staatliche Institution eine Pflicht zur Erfüllung von Interaktionsaufgaben ab, eben um mittels dieser Publizität eine Kontrollmöglichkeit zu schaffen. Öffentlichkeit ist zugleich „ein Forum, auf dem Interessen und Meinungen zu Wort kommen [...] und eine Arena, in der um Macht und Einfluß gestritten wird.“ Öffentlichkeit „ist eine kritische Instanz, vor der sich die gesamte Politik [...] zu rechtfertigen hat.“ „Nicht zuletzt trägt eine funktionierende Öffentlichkeit, da sie auch die Opposition zu Wort kommen lässt, zum inneren Frieden bei.“335 Bezogen auf die europäische Politik bedeutet das, dass ein gemeinsames Staatswesen Europa ohne eine europäische Öffentlichkeit „unvernünftig“ wäre.336 „In den personalen und institutionellen Voraussetzungen der politischen Öffentlichkeit ist die Demokratie mehr als lediglich eine Herrschaftsform. Nach ihrem existenziellen Begriff ist sie auch eine Lebensform oder gesellschaftliche Praxis, bei der es im Gegensatz zur bloß formalen Demokratie auf den realen Vollzug ankommt: daß alle Bürger ihre politischen und sozialen Rechte wahrnehmen und an der Entscheidung über deren Ausbau teilhaben.“ HÖFFE (1999: 118) Europäische Willensbildungsprozesse benötigen gegenüber dem nationalstaatlichen Identitätskriterium der gemeinsamen Nationalität zusätzliche Merkmale der Identifikation. „Identitätskriterien, die in ihrer Gesamtheit auf gemeinsamen Traditionen und den Wertvorstellungen der Demokratie und der Menschenrechte basieren.“337 Demokratie auf europäischer Ebene muss also verschiedene „Partizipationsschienen“ anbieten, die heutige und unzulängliche Partizipationsmöglichkeiten ergänzen und die „der Heterogenität des europäischen Identitätsbegriffs Rechnung tragen.“338 Auch das normative Konzept nachhaltiger Entwicklung muss auf der Wertebene der Union eingegliedert 333 Ausführlich in: Schäfers, Bernhard (1998): Art. Öffentlichkeit, in: ders. (Hg.): Grundbegriffe der Soziologie, S. 259 – 261. 334 Habermas, Jürgen (1999): Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990, 6. Auflage, Frankfurt am Main, S. 55. 335 Vgl.: Höffe, Otfried (1999): Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 117 ff, S. 320 ff. 336 Angelehnt an ebda., S. 320. 337 Europäische Union: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (1999): Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, S. 35. 338 Ebda. Europäische Union und ökologische Kommunikation 87 werden. Daher erfordert und bietet Nachhaltigkeit zugleich einen Anlass zur Identifikation. In modernen Gesellschaften wird die „politische Öffentlichkeit in erster Linie von Massenmedien geschaffen, die jedoch in der Regel wenig Interesse am Thema ‚Europa’ haben“ und deren Berichterstattung sich meist auf Tagespolitik oder Unzulänglichkeiten beschränkt.339 Die Chance der verschiedenen „Partizipationsschienen“ liegt nun in einem reflexiven Verhältnis der Auseinandersetzung zwischen der EU und der Öffentlichkeit durch die Nutzung der Foren und Arenen als Plattformen gesellschaftlicher Diskurse. So kann es möglich werden, ein differenzierteres Bild der EU zu erzeugen, das nicht mehr hauptsächlich von Negativ-Nachrichten geprägt ist. Bei der Partizipation der Zivilgesellschaft geht es nicht um die Institutionalisierung von Protest. Es geht vielmehr um die Implementierung des Konsensprinzips als Leitmotiv des kommunikativen Handelns der Zivilgesellschaft; um eine veränderte Kultur der Willensbildung. Nachhaltige Entwicklung kann nur breitenwirksam und sinnstiftend wirksam werden, wenn ihre Inhalte in die Öffentlichkeit transportiert werden. Und Kultur bedeutet hier im kommunikationstheoretischen Zusammenhang die Kommunikation von ‚Sinn.’ Dabei kann die Politik die Funktion als Motor des Wertewandels übernehmen. Die Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit ist dann die Herstellung von Publizität als Kontrollmedium, auch um Identifikationsanlässe zu schaffen und innerhalb der Union für mehr Kohärenz zu sorgen.340 Eine adäquate Öffentlichkeitsarbeit wird somit zu einer funktionalen Dimension europäischer Politik. Soll dieser Prozess demokratisch legitimiert begleitet werden, ist die Einbeziehung der Zivilgesellschaft bei der Formulierung der Interessen integraler Bestandteil. Konsequenz in diesem Prozess wäre eine andere, vor allem differenziertere Berichterstattung über Europäische Politik. Die öffentliche Meinung als der „eigentliche Souverän“ ist ein ganz entscheidender Faktor bei der Gestaltung von Willensbildungsprozessen. Die Defizite in Wahrnehmung und Berichterstattung über Europa liegen daher vielleicht auch darin begründet, dass es während des momentanen Transformationsprozesses noch keine voll entfaltete 339 Ebda., S. 34. 340 Vgl.: Habermas, Jürgen (1999): Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, S. 300. Europäische Union und ökologische Kommunikation 88 europäische Öffentlichkeit gibt. In der Übergangszeit ist es dann auch die Aufgabe der Zivilgesellschaft, diese Kommunikation in einem partizipativen Dialog herzustellen. „Die Strategie für eine nachhaltige Entwicklung sollte in den nächsten Jahren als Katalysator für politische Entscheidungsträger und die öffentliche Meinung dienen und zur treibenden Kraft für institutionelle Reformen und ein verändertes Verhalten von Unternehmen und Verbrauchern werden.“ EUROPÄISCHE UNION: DIE KOMMISSION (2001a: 3) Mehr Transparenz und eine stärkere Beteiligung von NGOs als Vertreterinnen zivilgesellschaftlicher Interessen hat die Kommission in ihrem Weißbuch postuliert. Dadurch ist es zu einer institutionellen Forderung mit Geltungsanspruch geworden und verdient die Chance einer differenzierten Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit. Wird es versäumt, in der Öffentlichkeit auch die positiven Effekte zu betonen, beraubt sie sich selbst ihrer Chance auf mehr Partizipation und nicht zuletzt vielleicht sogar der Mitgestaltung einer nachhaltigen Entwicklung, die vor allem kommunikativ angeschlossen werden muss. Bilanz und Perspektive 7 89 Bilanz und Perspektive Bilanz: Die vorliegende Arbeit reflektiert die Einflussmöglichkeiten von NGOs als organisierte, wissensbasierte Netzwerke der europäischen Zivilgesellschaft auf Willensbildungsprozesse vor dem Hintergrund der auf ökologische Fragestellungen angewandten Systemtheorie Niklas Luhmanns. Die in NGOs selbstorganisierte Zivilgesellschaft ist strukturell dazu befähigt, als kompetenter Verhandlungspartner des Staates zu agieren. Ihre Organisation in Netzwerken, die auf der Ressource Wissen basieren, trägt dazu bei, die hochkomplexen und wissensbasierten Prozesse für eine nachhaltige Gestaltung der Zukunft zu begleiten und mit zu gestalten. Unter den Bedingungen der Globalisierung unterliegen die Organisationen der Gesellschaft einem evolutionären Trend. Dieser Trend ist u. a. gekennzeichnet durch eine Entwicklung hin zur Selbstorganisation341, durch Dezentralität, durch Umwandlung von Hierarchien in Heterarchien, durch Team- und Projektarbeit und einer zunehmenden Vernetzung gesellschaftlicher Akteure. Der Vorteil der Vernetzung liegt in der Einbeziehung von Konfliktparteien in Entscheidungsprozesse und sie ermöglicht die notwendigen Kontexte zur Verteilung und Generierung von Wissen. Als Basis einer ergebnisorientierten Kooperation ist die Vernetzung die Grundlage für partizipativdemokratische Prozesse. Strategien für eine nachhaltige Entwicklung müssen entwickelt werden in Kenntnis der strukturellen Besonderheiten einer funktional differenzierten Gesellschaft und ihrer Kommunikationslogik. Steuerung als Ereignis wird so zu einer Aufgabe politischen Handelns. In diesem Kontext gewinnen die Organisationen der Gesellschaft ihr Profil. Als virtuelle Netze gründen sie auf einer wichtigen Steuerungsressource für die Zukunft: Auf Wissen als Ereignis. Für die Steuerungsfähigkeit des europäischen politischen Systems leitet sich daraus die verstärkte Partizipation von NGOs an Entscheidungsprozessen ab. Als virtuelle Wissensnetze vertreten sie die Zivilgesellschaft und werden zum Korrektiv für die inhaltliche Gestaltung von Spillover-Prozessen. 341 Für die Systemtheorie ist Selbstorganisation „derjenige Aspekt der selbstreferentiellen Erzeugung und Veränderung von Systemen, der mit der Umsetzung von Umweltereignissen in Strukturen zu tun hat“. Vgl.: Krause, Detlef (2001): Luhmann-Lexikon, S. 197. Bilanz und Perspektive 90 Die „Greening the Treaty Kampagne“ hat gezeigt, dass als Ergebnis des zivilgesellschaftliches Engagements ökologische Rahmenbedingungen in einem bedeutsamen Vertragswerk verankert wurden. Ökologische Kommunikation bedeutete hier die Codierung der Ziele der Nachhaltigkeit in die Sprache des juristischen Systems der EU. Ohne einen Steuerungsimpuls von ‚außen’ wäre die Wahrscheinlichkeit, dieses Ziel im Vertragswerk von Amsterdam zu verankern, sehr gering gewesen. Erst diese Steuerungsimpulse sorgten für die notwendige Interdependenz und ihre Kommunikation beeinflusste die Selektionskriterien der Vertragsgestaltung. Einmal umgesetzt in die Sprache des Systems wirkt dieser Impuls nun nachhaltig weiter. Um das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung auch im gesellschaftlichen Alltag zu implementieren, muss darüber in der Öffentlichkeit kommuniziert werden. Die Massenmedien als Plattformen der öffentlichen Meinung spielen eine entscheidende Rolle für Willensbildungsprozesse. In dem Maße nämlich, wie sie Themen zum öffentlichen Interesse machen können, hat die Nicht-Berichterstattung zur Folge, dass der Öffentlichkeit Themen entgehen, die ebenfalls ihre Aufmerksamkeit verdienen. Die täglich und in allen Programmen laufende Börsenberichterstattung macht deutlich, wie stark das Menschenbild des ‚homo oeconomicus’ nach wie vor prägend in den Alltagsstrukturen verankert ist. So wäre es ein großer Schritt in die richtige Richtung, statt über Börsennachrichten in der ‚Tagesschau’ eine Minute lang über ‚best-practices’ aus dem Gebiet nachhaltiger Entwicklung zu berichten, meint Peter Hennicke, amtierender Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie.342 Nachhaltige Entwicklung legitimiert sich seit dem Vertrag von Amsterdam als Politikziel der Europäischen Union. Nachhaltige Entwicklung als „Katalysator“ der öffentlichen Meinung, wie es die Kommission fordert, bedeutet daher eine Allianz mit den europäischen Medien für ihren kommunikativen Anschluss, um sie in den Alltagskulturen zu festigen und das Menschenbild eines ‚homo sustinens’343 zu gestalten. Derzeit fehlt es noch an handlungsfähigen Koalitionspartnern für eine Politik der Nachhaltigkeit und an vorgesehenen Rollen innerhalb der gesellschaftlichen Teilsysteme, die eine notwendige Integration der verschiedenen Problemdimensionen durch ökolo- 342 Hennicke, Peter (2001): Beiträge zur Podiumsdiskussion: Nachhaltige Entwicklung – Leitidee oder Hemmnis für die Wirtschaft? In: Jahreskongress: Nachhaltigkeit – Ein neues Geschäftsfeld? Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen, Wuppertal. 343 Mehr zur Gestalt dieses Menschenbildes in: Siebenhüner, Bernd (2001): Homo sustinens – Auf dem Weg zu einem Menschenbild der Nachhaltigkeit. Bilanz und Perspektive 91 gische Kommunikation bewältigen und Lösungsstrategien entwickeln können. Mangelnde Vernetzung und Organisation entsprechender Akteure könnten ein Grund dafür sein, dass ökologische und soziale Anliegen im Vergleich zu ökonomischen Interessen immer noch relativ schwach vertreten werden. Die Repräsentanz der durch die Nachhaltigkeit entstehenden Interessen durch die Selbstorganisation entsprechender Akteure ist eine wichtige Bedingung, dieses Missverhältnis aufzulösen. Hinreichend organisierte Koalitionspartner und gleichzeitig zu verändernde Partizipationsmöglichkeiten an politischen Prozessen können in Zukunft eine adäquate Berücksichtigung ökologischer Kommunikation gewährleisten.344 „Die Zukunft unseres Planeten hängt auch von einer weltweit nachhaltigen Entwicklung ab, und diese kann die EU am besten dadurch fördern, dass sie ihren eigenen Ziele auch wirklich realisiert und mit gutem Beispiel vorangeht.“345 Die Verwirklichung der Nachhaltigkeit ist eine zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Ihr kommunikativer Anschluss erfordert daher neben der Kommunikation von Nachhaltigkeit auch die Selbstgefährdung der Gesellschaft durch die Kommunikation von Nicht-Nachhaltigkeit. Perspektive: Gerade für die Kommunen und für den lokalen Bezug von Netzwerken ist es eine große Herausforderung und Chance zugleich, die von der Europäischen Kommission angeregten Vorschläge zu einer Veränderung politischer Willensbildung mit einer europäischen Dimension zu verwirklichen. Verstärkte Bürgerbeteiligung, Partizipation und der Verbund in transeuropäischen Netzwerken sind nicht nur zugleich eine Chance für die Sichtbarkeit der Regionen und Städte. Sie ermöglichen darüber hinaus auch ein anderes Verständnis für Demokratie und sind potentiell befähigt, als eine mögliche Antwort auf die Parteienkrise die Politikverdrossenheit einzuschränken. Das Verständnis von Politik und die oft diffusen Ängste im Zeitalter der Globalisierung könnten sich umwandeln in mehr Engagement und einen konstruktiven Umgang mit diesen Veränderungen ermöglichen. Lokale Identitäten könnten gewahrt werden und 344 345 Vgl.: Schneidewind, Uwe (2002): Nachhaltige Wissensgesellschaft, S. 194 ff. Prodi, Romano (2001): „Was ich von Göteborg erwarte - die Vision muss Realität werden”, S. 4. Bilanz und Perspektive 92 drohten sich nicht länger aufzulösen in anonymen Datennetzen und supranationalen Strukturen, die für ein politisches Engagement viel zu komplex erscheinen. Der lokale Bezug kann die Bemühungen zu einer nachhaltigen Entwicklung unterstützen und die notwendige Umsetzung durch die Wissensressourcen der Netzwerke beschleunigen. Um diese Innovationen zu nutzen, kommt es wesentlich auf die Bereitschaft der lokalen Autoritäten und der Organisationen der Zivilgesellschaft an. Konkrete Ziele müssten daher sein, Wissen über bereits bestehende Strukturen oder über Beispiele in Europa zu generieren. Voraussetzung dafür ist die Kommunikation und Multiplikation u. a. der EU-Strategien. Hier ist auch an eine Zusammenarbeit zunächst mit den lokalen Medien zu denken. Ferner ist es erforderlich, Strukturen anzudenken, die auch als elektronische Plattformen dem zivilgesellschaftlichen Dialog dienen und die Gestaltungsmacht von NGOs kritisch begleiten und legitimieren können. Hierfür sind die Kenntnisse über den Forschungsstand von eGovernment und eDemocracy nötig und es eröffnet sich die Frage nach der Akzeptanz in der Bevölkerung und potentiellen Anreizsystemen. Schließlich könnten Konzepte für Modellversuche erarbeitet werden, um die Ideen in der Praxis zu testen. Dieser Prozess bedarf der fundierten theoretischen Begleitung, um die erforderliche Abstraktion herzustellen. An diesem Beispiel wird die Notwendigkeit zur Vernetzung der zu beteiligenden Akteure deutlich, um die Herausforderungen bewältigen zu können. Die multidimensionale Problemstellung erfordert weniger eine strikte funktionale Ausdifferenzierung, sondern vielmehr Kenntnisse über die wechselseitig in Abhängigkeiten stehenden Dimensionen, die erst miteinander verknüpft als Synthese eine Strategieentwicklung möglich machen. Die notwendige Komplexität zur Gestaltung dieses wissensintensiven und komplexen Prozesses kann hier durch Wissensnetze als geeignete Organisationsform erreicht werden. Die Ideen aus Brüssel fordern dazu auf, sich am Aufbau ‚glokaler’ Netze zu beteiligen, Wissen auszutauschen und sich an ‚best-practices’ aus anderen Regionen zu orientieren. Dafür bieten sich die Organisationen der Zivilgesellschaft als subsidiär strukturierte Steuerungselemente an. Der Prozess der Politik wäre nicht mehr nur noch eine „Spätanpassung an Folgen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung“, wie LUHMANN (1981: 146) es formulierte, sondern im Gegenteil – Politik hieße die Steuerung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung durch die Basis auf dem Weg in eine demokratische und nachhaltige Zukunft. Literaturverzeichnis 93 Literaturverzeichnis Albert, Mathias (1998): Entgrenzung und Formierung neuer politischer Räume, in: Kohler-Koch, Beate (Hg.): Regieren in entgrenzten Räumen. (= Politische Vierteljahresschrift; Sonderheft 29/1999), S. 49 – 75. Altvater, Elmar; Brunnengräber, Achim; Haake, Markus; Walk, Heike (Hg.) (2000): Vernetzt und verstrickt. Nicht-Regierungs-Organisationen als gesellschaftliche Produktivkraft. Vorwort. 2. Auflage, Münster, S. 7 – 9. Bacon, Francis (1982): Neu-Atlantis, hrsg. v. Jürgen Klein. Stuttgart. Birgelen, Georg (1998): Europapolitische Meinungsbildung in Deutschland. 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Wuppertal, 10. Dezember 2001 Teilnehmer: Philipp Schepelmann Jürgen Schäfer Befragung zur Verankerung des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung als Politikziel der Europäischen Union im Vertrag von Amsterdam und insbesondere der „Greening the Treaty Kampagne“ europäischer Umweltverbände im Vorfeld der Vertragsverhandlungen zur Revision des Maastrichter Vertrages. Philipp Schepelmann ist Projektleiter in der Abteilung Stoffströme und Strukturwandel des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und Experte für europäische Umweltpolitik. Was war die Greening the Treaty Kampagne? Grundlage der Greening the Treaty Kampagne (2) war im Wesentlichen ein etwa 25 Seiten starkes Pamphlet. Dort war dargestellt, wie der Maastrichter EU-Vertrag seinerzeit aussah und wie sich die Umweltorganisationen eine ökologische Ergänzung des Vertrages vorgestellt haben. Im Vorfeld der Verhandlungen zum Vertrag von Maastricht hatte es bereits eine Greening the Treaty Kampagne (1) gegeben. Allerdings erzielte diese Kampagne nicht die Ergebnisse der Jahre 1996/97. Wann hat die Kampagne begonnen und welche Funktion hatten Sie? Von März 1996 bis Juni 1997 fand die Regierungskonferenz (IGC = Intergovernmental Conference) zur Revision des Maastrichter Vertrages statt. Diese internationale Konferenz wurde einberufen, um über einen neuen Vertragstext zu verhandeln. Im Jahre 1996 bin ich von der Bundesgeschäftsstelle des BUND in Bonn, der deutschen Mitgliedsorganisation von FoEE, engagiert worden für eine europaweite Koordinierung der Kampagne im Netzwerk. Meine Aufgabe bestand darin, mit anderen Umweltnetzwerken zu kommunizieren; Inhalte zu koordinieren und zu vermitteln. Das erforderte zum einen Kommunikation innerhalb des Netzwerkes und zum anderen den Kontakt nach draußen. Innerhalb des Netzwerkes ging es auch um die technische Abwicklung der Kommunikation durch E-Mail und Newsletter. Externe Kommunikation fand z. B. mit den Ministerien statt. Wer hat das Greening the Treaty Programm ausgearbeitet? In Brüssel haben sich sieben europäische Umweltverbände zur Gruppe der G7 zusammengeschlossen mit dem Ziel, die Umweltlobby zu stärken. Es waren im Wesentlichen jeweils ein Vertreter von Greenpeace und ein Vertreter des EEB, die die Ziele der Kampagne formuliert und vorgestellt haben. Beide Personen verfügen über gute rechtliche und institutionelle Kenntnisse. Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg waren das gute Timing der Kampagne. Ohne das gute Timing und ohne die institutionellen Kenntnisse der beteiligten Personen wäre das so nicht möglich gewesen. Anhang 105 Wie funktionierte der Abstimmungsprozess innerhalb der G7 für diese Pamphlet? Die Vertreter der G7 trafen sich regelmäßig. Bei diesen Treffen wurden die Vorschläge diskutiert und miteinander abgesprochen. Die G7 ist aber kein Entscheidungsgremium – kein Superverband der Umweltverbände in Brüssel, sondern lediglich ein Absprachegremium. Der erarbeitete Vorschlag wurde ergänzt durch Positionen der einzelnen Organisationen und letztlich einigte man sich auf einen endgültigen Vertragstext, mit dem alle Mitglieder der G7 einverstanden waren. Wie gestaltete sich die Umsetzung des Beschlusse? Die Umsetzung des Beschlusses unterschied sich in zwei Phasen: Im Jahre 1996 lief die Abstimmungsphase, in der sich alle auf das Greening the Treaty Pamphlet einigten. Dieses Papier wurde zur Grundlage der Kampagne. In der zweiten Phase erfolgte die Umsetzung, die von FoEE europaweit koordiniert, getragen und vom BUND ausgeführt wurde. Wie gestaltete sich die Arbeitsteilung und Bestimmung des ausführenden Partners? FoEE hatten sich besonders erfolgreich für die Ausführung des Projektes verdient gemacht, da sie Gelder für die Kampagne von der DG-Umwelt generiert haben. Dennoch gab es durchaus einen Wettbewerb darum, wer die Kampagne durchführen sollte. U. a. hatte sich auch das EEB darum bemüht. Der WWF hat eine eigene Kampagne mit dem Schwerpunkt Landwirtschaftspolitik gefahren. Letztlich jedoch bekamen FoEE den Zuschlag. Vor Umsetzung der Kampagne wurde eine Strategie entwickelt. Wer war an der Strategieentwicklung beteiligt und wie? Zwei wichtige Aspekte der Strategie waren zum einen die rechtzeitige Formulierung des Positionspapiers und damit verbunden das Timing. Die G7 trifft sich ja regelmäßig. Sie werden bei diesen monatlichen Treffen in Brüssel repräsentiert von den Generalsekretären der Umweltverbände, die bestimmte Strategien absprechen. Profis, die sich wie kein anderer damit auskennen. Wie gesagt, diese besonderen Kenntnisse waren ein wichtiger Grund für das gute Timing, dem zu verdanken war, das die Position der G7 bereits 1996 in gedruckter Form vorgelegen hat. Das allerdings bereits, bevor die Vertreter der Regierungskonferenz zusammengetreten waren. D. h., dass die Umweltverbände früher als jedes andere Netzwerk und auch früher als die Regierungen selber gut vorbereitet im Vorfeld dieser Regierungskonferenz positioniert waren. War diese Strategieentwicklung also ein Top-Down Prozess, der von den Funktionären entwickelt und dann in die Verbände hineingetragen wurde? Ja. Das wäre auch gar nicht anders möglich gewesen. Die Kampagne war hier insofern eine Ausnahme, da sie sehr stark an einem europäischen Prozess ausgerichtet war, den auch fast niemand zur Kenntnis genommen hat. Unser Problem mit der Kampagne war auch immer, dass sich eigentlich niemand für die Regierungskonferenz interessierte. Die wenigsten wussten überhaupt, dass es Verhandlungen zu einer Revision des Maastrichter Vertrages gab. Auch in Deutschland wurde das erst höchstens 14 Tage vor der Amsterdamer Vertragskonferenz überhaupt wahrgenommen. Daher war die Strategieentwicklung eine sehr elitäre – nicht undemokratische – aber doch sehr elitäre Geschichte, die sich in kleinem Rahmen abspielte. Und selbst wenn die G7 solche demokratischen Strukturen hätte – anders als Top-Down wäre es auch kaum vermittelbar gewesen, weil eben nur sehr wenige davon wussten. Dennoch gibt es Unterschiede bei den Verbänden. Im Vergleich zu FoEE, wo es demokratische Strukturen zwar gibt, sind Greenpeace und WWF sowieso Top-Down Organisationen. Wie sind die Kommunikationsstrukturen innerhalb der G7 organisiert? Die G7, mittlerweile G8, weil die Naturfreunde International dazugekommen sind, bilden keine Superorganisation. Darauf wird auch Wert gelegt. Sie bilden tatsächlich nur ein informelles Gremium. Die Direktoren und Generalsekretäre der verschiednen Organisationen tauschen sich auf mehr oder weniger informellen Treffen aus. Normalerweise kommt es auch gar nicht dazu, dass solche Kampagnen entstehen. Die G8 gibt es in erster Linie dafür, um Doppelarbeit der Umweltverbände zu vermeiden und natürlich um die Anhang 106 Umweltlobby in Brüssel zu repräsentieren. Die Unverhältnismäßigkeit der Interessenvertretung wird dadurch deutlich, dass etwa 30 Umweltlobbyisten der G8 einer tausendfachen Menge von Umweltnutzerlobbyisten gegenüberstehen. Wie erfolgte die Umsetzung, d. h. die Vermittlung der Strategie in die jeweiligen Umweltverbände und Nationen? FoEE ist ja ein Dachverband europäischer Umweltverbände mit Organisationen in 12 der 15 Mitgliedsländer der EU. Die Organisationen in den Ländern haben alle bei der Kampagne mitgewirkt und somit konnte flächendeckend agiert werden. Zur Vorbereitung der Kampagne fand in Brüssel ein Treffen mit allen beteiligten Organisationen statt. Was war Ihre Aufgabe bei der Umsetzung? Ich habe die Aktivitäten der 12 FoEE Organisationen in 12 EU Mitgliedsländern koordiniert. Wie konkret verlief die Koordinierung? Nachdem die Inhalte vorab geklärt wurden, herrschte inhaltlich Konsens. Es ging in erster Linie um das Lobbying. Die Vertreter der 12 FoEE Organisationen kamen nach Brüssel und wurden über den Prozess informiert. Eine Agitation in Brüssel war nicht mehr erforderlich. Maßgebliches Instrument war die Regierungskonferenz, die sich aus Vertretern der Mitgliedsstaaten zusammensetzt. D. h. europäische Institutionen in Brüssel waren an dem Prozess nicht mehr beteiligt. Um die Vertragsrevision zu beeinflussen war es also nötig, mit den einzelnen Mitgliedsstaaten zu reden. Inhalt der Kampagne war nun genau dass, sich in Brüssel zu verabreden und anschließend in den Außenund Umweltministerien die jeweilige nationale Position zur Regierungskonferenz zu erfragen. Da sind die natürlich aus allen Wolken gefallen, weil das kein Thema war und alle Regierungen dachten, sie könnten und würden in einem luftleeren Raum agieren. Das da plötzlich die zivile Gesellschaft aktiv wurde war für viele neu und sie waren erst einmal überrascht. Das führte zunächst dazu, dass dann viele auch sagten: ja, gegen Umwelt hat ja keiner was – ist eine gute Sache; dann nehmen wir diese Forderungen mit an Bord. Es ging also nicht um Lobbyismus europäischer Institutionen sondern darum, Institutionen der Mitgliedsstaaten zu beeinflussen? Ja. Und das war institutionell auch besonders geschickt. Weil es tatsächlich nicht darum ging, europäische Institutionen zu lobbyieren. Zumal diese ja auch lobbyiert waren. Schließlich hatte ja die Europäische Kommission durch die Generaldirektion- Umwelt die finanziellen Mittel für die Kampagne bewilligt. Also die GD-Umwelt hat den größten Teil der Kosten dafür getragen, dass die Mitgliedsstaaten lobbyiert wurden im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Somit war die GD-Umwelt also die institutionelle Schnittstelle in der EU, die diesen Prozess finanziell ermöglichte und der über die Nationalstaaten auf die EU zurückwirkte? Ja. Dies ist aber keine institutionalisierte Schnittstelle, um Umweltfragen in die EU Gremien zu vermitteln? Genau das war ja das besondere am Prozess der Regierungskonferenz und dieser Kampagne. Dass von den Umweltverbänden erkannt wurde, die einzige Möglichkeit, Umweltfragen in der Vertragsrevision stärker zu verankern, nur über die Regierungskonferenz und somit über die Hauptstädte der Mitgliedssaaten zu realisieren ist. Anhang 107 Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der G7, in Brüssel Entscheidungen zu beeinflussen? Also man hat ja gemerkt, dass die GD-Umwelt dieses Geld nicht zur Verfügung gestellt hätte, wenn sie kein Vertrauen in die Arbeit der G7 und kein Interesse am Ergebnis gehabt hätte. Das spricht eben auch für die G7, dass überhaupt soviel Geld freigesetzt wurde dafür. Das Parlament in Strassburg wie auch die grün angehauchte Szene in Brüssel wussten auch Bescheid, dass es Greening the Treaty gibt. Gibt es für NGOs institutionalisierte Schnittstellen im EU Meinungsbildungsprozess; oder läuft die Einflussnahme vielmehr über die Ergebnisse von Forschungs- und Projektarbeiten? Die NGO werden nur teilweise so betrachtet, dass sie eine demokratische Funktion erfüllen. Die meisten Menschen in Brüssel – Entscheidungsträger im Parlament und in der Kommission –, aber auch die der Regierungsorganisationen, sehen zumindest die ECOs (Environmental Citizens Organisations) als eine Lobbying-Gruppe wie jede andere auch, obwohl die ECOs keine kommerziellen Interessen vertreten. Es gibt jede Menge Schnittstellen, die auch je nach Thema mehr oder weniger professionell besetzt werden. Das ist natürlich auch immer eine Ressourcenfrage. Der WWF z. B. macht im Bereich Landwirtschaft eine sehr gute Politik und ist auch in wichtigen Gremien vertreten. Schnittstellen sind zahlreich, aber das ist noch eine eigene Wissenschaft – die Komitologie. Weiterhin gibt es jede Menge informelle Netzwerke z. B. aus den verschiedenen Nationen. Aber man trifft sich auch auf Partys. Jedoch sind diese Gruppen meist thematisch gegliedert. Oft haben die Umweltorganisationen auch einen Bonus, weil viele Leute eben Unterstützer von Greenpeace oder Mitglieder von FoEE Organisationen sind. Aber formell gibt es das eigentlich nicht. Eigentlich gibt es nur den Wirtschafts- und Sozialausschuss, wo zumindest ein deutscher NGO Vertreter der Umweltorganisationen vertreten ist. Aber das wird leider auch noch nicht so gesehen, dass es sinnvoll ist, so etwas zu institutionalisieren und auch mit Geld auszustatten. Umwelt NGOs werden eher als eine normale Lobbyorganisation betrachtet. Jedoch muss auch gesagt werden, dass die Kommission für die NGO Arbeit nicht unerhebliche Mittel zur Verfügung stellt – auch für Arbeit der G7. Das läuft dann allerdings projektgebunden – leider ist es keine institutionelle Förderung. Wie beim Greening the Treaty Prozess wird die finanzielle Ausstattung an konkrete Arbeit und konkrete Ergebnisse gebunden. Wer war der Ansprechpartner in der Kampagne? Die Koordination habe ich übernommen. Die Ansprechpartner in den Ländern waren natürlich die jeweiligen FoEE Mitgliedsorganisationen. Wie verlief die Kommunikation in diesem Netzwerk? Zum größten Teil war es E-Mail gestützte Kommunikation. Natürlich hat man sich auch persönlich getroffen. Es gab Workshops und auch eine große Konferenz mit ca. 200 Teilnehmern aus ganz Europa; zwei Umweltministern und entsprechenden Bemühungen auch für die Öffentlichkeit. Das Thema wurde so in der „Szene“ besetzt und auch in den Ministerien entstand ein Handlungsbedarf. Gerade weil auch registriert wurde, dass speziell die Umweltministerien – wenn auch von ihnen nicht erwartet – unter der Beobachtung der Zivilgesellschaft standen. Wie beurteilen Sie die Rolle der demokratisch nicht legitimierten Akteure und deren Einflussmöglichkeiten auf nationale Regierungen? Das ist ja der Standardeinwand, wo die demokratische Legitimität von ECOs oder überhaupt von Organisationen der zivilen Gesellschaft in Frage gestellt wird. Da halte ich allerdings nicht viel von. Es setzt sich immer mehr die Meinung durch, dass die Organisationen der zivilen Gesellschaft ein wichtiges demokratisches Korrektiv darstellen. Und gerade wenn man Brüssel kennt und die Prozesse die dort ablaufen, ist das Demokratiedefizit vor Ort zweifelhafter als die Legitimität der Organisationen, die dort vertreten sind ... ... die es natürlich aber auch nicht besser machen, das Demokratiedefizit ... ... ich denke schon. Alleine dadurch dass sie dort vertreten sind machen sie es besser. Ich hielte es für einen herben Verlust für die demokratische Landschaft in Brüssel, wenn die G7 plötzlich nicht mehr vertreten wären. Anhang 108 Welche Rolle spielte die Vernetzung der verschiedenen Teilnehmer der Greening the Treaty Kampagne für den Erfolg? Die Erfolgsrezepte waren die üblichen Erfolgsrezepte eines guten Managements. Es wurde rechtzeitig ein Ziel bestimmt und ein Papier lag vor. Es wurde in alle wichtigen Sprachen übersetzt und es war auch allen klar, um was es dabei ging. Ferner war jedem der Prozess klar und die Rolle, die sie da zu spielen hatten über die nationalen Regierungen. Das war natürlich verbunden mit dem entsprechenden Informationsaustausch über elektronische Medien. So kam es vor, dass uns bspw. geheime Verhandlungsprotokolle zugespielt wurden, die sich dann über unsere Kanäle in ganz Europa verbreitet haben ... ... wer hat Ihnen diese Informationen zugespielt? ... ... aber schon aus offizielle Kanälen ... Ja ... ... informelle offizielle Kanäle sozusagen ... ... genau. Das ist ja eben das Ding, dass gerade die FoEE Organisationen Mitgliedsorganisationen sind im Gegensatz zu vielen anderen. Mitglieder etwa des BUND mit rund 250.000 Mitgliedern findet man ja überall; eben auch in diesen Apparaten. Und das ist übrigens ein sehr gutes Beispiel für die Frage der demokratischen Legitimität und für meine These, es könnte schlimmer sein. In einem Fall wurden uns aus Empörung über einen Vertreter eines Mitgliedsstaates Informationen zugespielt, der in der Regierungskonferenz die offizielle Position seines Landes nicht adäquat vertreten hatte. Die offizielle Position des Mitgliedsstaates sympathisierte damals eindeutig mit den Inhalten der Greening the Treaty Kampagne. Der Repräsentant jedoch war ein knallharter Vertreter neoliberaler Wirtschaftsinteressen. Und der hatte dann auch nationale Interessen ziemlich bereitwillig verkauft. Und das hätte nie jemand erfahren, wenn wir es nicht publik gemacht hätten und Druck auf diesen Regierungsvertreter ausgeübt hätten. Gerade die Regierungskonferenz ist ein sehr hochrangiger Club der Staats- und Regierungschefs und den Außenministerien. Da spielen die Interessen der Ressorts auch kaum noch eine Rolle. In einem solchen Prozess muss auch mit diplomatischen Finessen und Tricks gearbeitet werden, um die Transparenz zu gewährleisten. Zumal das Umweltministerium des Landes auch nicht mehr in diesen Delegationen vertreten war und es sich für die Ministerien teilweise schwieriger gestaltete an Informationen zu kommen, als für die Vertreter der Greening the Treaty Kampagne mit ihren Kontakten. Ist der Eindruck entstanden, dass Regierungsvertreter von Ihren Mandaten abweichen und in der Öffentlichkeit etwas anderes darstellen als in den Verhandlungen, haben wir das auch in die nationalen Ressorts hinein kommuniziert. Haben Sie als Koordinator der Kampagne auch Lobbying betrieben? Ja. Und das war richtig harte Arbeit. Es ging darum herauszufinden, wer an den Verhandlungen teilnimmt, welche Positionen diese Personen vertreten und wie man ihnen unsere Positionen näher bringen kann. Bei den Gesprächen war diplomatisches Feingefühl notwendig. Teilweise war es eben auch erforderlich, bestimmte Positionen über Bord zu werfen um einen Konsens zu erreichen und sich mit den Ministerialvertretern auf bestimmte Verfahren zu einigen. Bei der Umsetzung von Partikularinteressen in europäische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse scheint also viel mit Feingefühl und Diplomatie, aber auch mit Tricks erreicht zu werden. Wie steht es in diesem Zusammenhang mit der Offenheit der Brüsseler Gremien für Partikularinteressen? Die Brüsseler Institutionen – und das ist ja auch schon zur genüge wissenschaftlich erforscht worden – bringen diese Offenheit eben nicht mit. Jede Institution, die sich auf die öffentlichen und vermeintlich transparenten Prozesse und auch auf das europäische Parlament verlassen würde, wäre früher oder später verlassen. Gerade die Landwirtschaftspolitik ist ein sehr guter Beleg dafür, dass es nicht klug wäre, eben diese Mittel nicht einzusetzen, weil man sonst mit ziemlicher Sicherheit übervorteilt würde. Anhang 109 In Hinblick auf eine Nachhaltige Entwicklung wird die Forderung nach einem veränderten Institutionenverständnis immer lauter. Multidimensionale Problemlagen erfordern mehr denn je die Fähigkeit zur Reflexivität auch der Institutionen und somit die Notwendigkeit der Herauslösung aus immanenten Logiken der jeweiligen gesellschaftlichen Teilsysteme. Wie beurteilen Sie die Reflexivitätsfähigkeiten der Brüsseler Institutionen? Die EU ist doch so komplex das man sagen kann, sie macht das eine und das andere. Im Bereich der Organisationsentwicklung sind die Ideen, die die Kommission zu Governance vertritt, sicherlich „state of the art“ und man findet kaum etwas Fortschrittlicheres. Auch im Bereich nachhaltige Entwicklung findet man unglaublich innovative Instrumente. Aber auf der anderen Seite ist die alte Kommission zurückgetreten weil sich bestimmte undemokratische und sogar verbrecherische Interessen durchgesetzt haben. Es sind sowohl die Strukturkonservativen am Werk als auch sehr innovativen Kräfte. Ist die institutionelle Struktur der EU innovativ genug zur Bewältigung multidimensionaler Problemlagen oder besteht die Gefahr eines strukturell verankerten Komplexitätsdilemmas? Betrachtet man die Kommission als treibende Initiativkraft kann man durchaus angetan sein von der Effizienz des Apparates im Vergleich zu nationalen Verwaltungen. Die Ursachen für die Fehlleistungen allerdings bei der Agrar- oder Strukturpolitik liegen im Wesentlichen begründet in den Mitgliedsstaaten. Die klassische Klientelbedienung geht meistens von den Mitgliedsstaaten aus, die die Kommission dann auch unter Druck setzen. Bei der BSE-Problematik z. B. hat die britische Regierung Angehörige der Kommission mehr oder weniger dazu aufgefordert, die Gesetze zu brechen und Vorschriften zu missachten; aufgrund des Lobbyings der britischen Interessensverbände. Die Altautoverordnung wäre ein weiteres Beispiel. In Brüssel einigte man sich auf fortschrittliche Instrumente, allerdings hat Herr Piëch einen guten Draht zum Bundeskanzler, der in diesen demokratischen Prozess mit antidemokratischen Mitteln eingegriffen hat. Es gibt Stimmen wie die von Ernst U. v. Weizsäcker, die bei der nationalen Europapolitik erhebliche Demokratiedefizite beklagen. Wie beurteilen Sie diesen Sachverhalt? Der Regierungsapparat führt in Hinblick auf die EU-Politik ein Eigenleben. Das ist oft nicht ausreichend demokratisch kontrolliert. Es gab sogar Stimmen von deutschen Regierungsvertretern nach dem Machtwechsel von 1998 die in diesem Zusammenhang sagten, ob rot-grün an der Macht sei oder schwarz-gelb, mache im Prinzip keinen Unterschied. Allerdings haben die nationalen Parlamente auch selbst Schuld an dieser Entwicklung, wenn man sich anschaut, wie dilettantisch dort teilweise Europapolitik gemacht wird. Absprachen innerhalb von Fraktionen gibt es so gut wie nicht, die dann in ausreichendem Masse korrigierend wirken könnten. Wie beurteilen Sie rückblickend die Greening the Treaty Kampagne? Rückblickend würde ich sagen, es ist bis dato die erfolgreichste Kampagne gewesen, die die G7 jemals gemacht haben. Und wenn man sich vor Augen hält, was die Vertragsänderung bewirkt haben, also Artikel 2 (EU Vertrag) und Artikel 6 (EG-Vertrag) – und das ist ja im Wesentlichen das Ergebnis von Greening the Treaty; der Cardiff-Prozess und jetzt auch die Beeinflussung des Lissabonner Prozesses. Dieser Prozess hat eine Dynamik gewonnen, mit der niemand gerechnet hätte. Kleine, aber entscheidende Änderungen an diesem Supertanker EU haben dazu geführt, dass er jetzt langsam aber spürbar seine Richtung ändert. Niemand hätte mit diesem Erfolg gerechnet. War es das Ergebnis eines wissensbasierten Netzwerkes? Ja. Denn der größte Teil der Mitglieder in den nationalen Organisationen der Umweltverbände wussten nicht, um was es ging. Da aber die Vertreter der G7 – eine ganz kleine Gruppe von G7 Leuten – die Kenntnis hatten, dass sich die EU im Vertrag von Amsterdam neu konstituieren wird, war es der Erfolg eines zwar kleinen, aber wissensbasierten Netzwerkes. Die entscheidenden Stellen wussten Bescheid. Anhang 110 Welche Rolle hat der virtuelle Raum bei Kommunikation und Entscheidungsfindung gespielt? Eine ganz entscheidende. Wir verfügen ja nicht über die Ressourcen der großen Industrie-Lobbyverbände. Diesen Wettbewerbsnachteil müssen wir durch eine effiziente und rechtzeitige Information wettmachen. Wir haben da unsere Tentakeln. Die nehmen die Informationen auf und bereiten sie so auf, dass sie wieder in die Organisationen zurückgespielt werden können. Wie bei Greening the Treaty werden die Leute aufgeklärt, um was es dabei geht und dann wird so etwas gemacht. Kann die G7 als virtuelles Wissensnetz bezeichnet werden? Ja. Das kann man so sagen. In seiner Gesamtheit ist das Know-How über Brüsseler Abläufe, Prozesse und Institutionen sehr, sehr groß und sicherlich auch sehr viel mehr wert, als dafür eigentlich bezahlt wird. Weil eben auch viele in ehrenamtlicher Funktion und mit Leidenschaft dabei sind. War der Prozess demokratisch? Nein. Nicht in Bezug auf die Partizipation der Basis der Verbände in den jeweiligen Mitgliedsorganisationen der einzelnen Länder. Demokratisch nur insofern, dass natürlich die Organisation und die Fachleute der Organisationen mit in die Positionsfindung von Greening the Treaty eingebunden waren. Nicht irgendwelche Direktoren haben etwas entschieden was letztlich angenommen wurde. Es war ein demokratischer Meinungsfindungsprozess; allerdings auf einem elitärem Niveau. Im Prinzip wie im Parlament ja auch. Hätte etwas verbessert werden können? Bei Greening the Treaty war es tatsächlich so, dass wir eher vom Erfolg überrascht waren. Daher wüsste ich jetzt kaum, was hätte besser laufen können. Manche Dinge im Management vielleicht. Aber im großen und ganzen ist es eine runde Sache gewesen. War Greening the Treaty Ökologische Kommunikation? Prinzipiell schon. Obwohl es ja nicht explizit um ökologische Inhalte ging. Sondern es ging nur darum: wie übersetze ich ökologische Ziele in die juristisch codierte Sprache dieses Apparates, der die Konstitution der EU ausarbeitet. Von daher war das schon irgendwie eine ökologisch bedeutsame Information. Zwar definieren Artikel 2 und 6 die Nachhaltigkeit als Ziel der Europäischen Union, aber es steht ja nirgends etwas über ökologische Inhalte. Wo und wie ist denn seit Amsterdam die nachhaltige Entwicklung definiert für die EU? Ich verweise da immer auf Artikel 2 als Ganzes. Wo eben auf wirtschaftliche, soziale und ökologische Ziele als Ganzes verwiesen wird und sich dort alle Dimensionen, auch die institutionelle, wiederfinden. Also das ganze Prisma der Nachhaltigkeit. Und in Artikel 6 wird gesagt, es müssen eben Umweltbelange in alle Politikbereiche integriert werden. Letztlich bleibt es aber eine rein abstrakte institutionelle Forderung.