1 Manuskript radioWissen SENDUNG: 23.3.2017 9.05 Uhr AUFNAHME: STUDIO: Physik Ab 9. Schuljahr TITEL: Quantenmechanik im täglichen Leben Die Bedeutung der Erkenntnisse Heisenbergs AUTOR: David Globig REDAKTION: Nicole Ruchlak REGIE: Christiane Klenz TECHNIK: Ursula Kirstein SPRECHER: Sprecherin Katja Amberger Zitator Carsten Fabian (PS) INTERVIEWPARTNER: Besondere Anmerkungen: _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800-5900222 (kostenfrei); Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 2 MUSIK I'm in the pink C1585740 102 SPRECHERIN: Es gibt nur wenige wissenschaftliche Theorien, die fest mit dem Namen der Wissenschaftler verbunden sind, die sie entwickelt haben. Einsteins Relativitätstheorie gehört dazu, aber auch die heisenbergsche Unschärfe- bzw. Unbestimmtheitsrelation. Doch wie entscheidend Heisenbergs Beitrag zur Quantenphysik war, zur Physik der kleinsten Teilchen, das konnte Mitte der 1920er Jahre nur ein überschaubarer Kreis von Forschern erfassen. Dabei lagen die Anfänge der Quantenphysik damals schon ein Vierteljahrhundert zurück. Man muss also ein wenig ausholen. Musik aus MUSIK Dead idols C1601290 103 ZITATOR: Wie die Quantentheorie die Wissenschaft erschütterte Musik aus SPRECHERIN: Was passiert physikalisch, wenn man ein Material erhitzt, z.B. ein Stück Draht in einer Glühbirne? Und zwar so lange, bis es leuchtet: erst rot und schließlich weiß. Wie hängt die Farbe von der Temperatur ab? Wie wandelt die Glühbirne elektrische Energie in sichtbares Licht um? Es gab etliche Versuche, die physikalischen Gesetze dafür zu finden. Aber erst Max Planck konnte im Jahr 1900 eine schlüssige Theorie vorweisen. Er nahm an, dass glühende Körper Energie nicht kontinuierlich aufnehmen und abgeben, sondern in winzigen "Portionen": "Quanten". Damit brachte Planck einen Stein ins Rollen, der das Weltbild der Physik innerhalb kürzester Zeit völlig auf den Kopf stellen sollte. MUSIK Aortic aneurysm junior C1585740 107 _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800-5900222 (kostenfrei); Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 3 SPRECHERIN: Während Max Planck Quanten im Jahr 1900 nur als Rechentrick für sein physikalisches Gesetz ansah, machte Albert Einstein fünf Jahre später deutlich, dass sie tatsächlich existieren; dass z.B. Licht wirklich aus solchen winzigen EnergiePaketen besteht, also Teilchencharakter hat. Das widerspricht allerdings allen Versuchen, die nur funktionieren, wenn Licht in Form von Wellen unterwegs ist. Und das bedeutet: Offenbar kann man Licht nicht auf eine Erscheinungsform festlegen. Es zeigt sich, je nach Experiment, mal als Welle, mal als Teilchen. Viele Wissenschaftler waren mit solchen Vorstellungen schlicht überfordert. Trotzdem entwickelte sich die Quantenphysik in großen Schritten weiter. Und zwar wiederum nur ein paar Jahre später - mit dem Atommodell. Musik aus SPRECHERIN: Die Physiker stellten sich damals Atome wie winzige Planetensysteme vor: Um einen massiven Atomkern kreisen in relativ großem Abstand Elektronen. Das erklärte einerseits etliche Versuchsergebnisse - widersprach andererseits aber leider der klassischen Physik. Ihr zufolge würden die Elektronen kontinuierlich Energie abstrahlen und schließlich in den Kern stürzen. Man hätte nun einfach das Modell verwerfen können, erklärt Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer. 1. O-TON Fischer: "Aber ein junger Däne, hat sich entschieden, die klassische Physik aufzugeben - und das war Niels Bohr. / Und er merkte, er konnte das ganze Modell retten und die Physik retten, wenn er Plancks Quantum einführte." MUSIK Dazwischen 1 C1512410 002 _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800-5900222 (kostenfrei); Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 4 SPRECHERIN: Wenn Elektronen ihre Energie nur portionsweise abgeben können, dann - so nahm Bohr an - existieren Bahnen, auf denen sie stabil um den Kern kreisen. Wobei ein Elektron jedoch auf eine höhere, wiederum stabile Bahn springen kann, wenn es von außen eine bestimmte Energiemenge aufnimmt. Wechselt es dann irgendwann wieder auf eine energieärmere Bahn, strahlt es Licht ab. Und zwar mit einer bestimmten Farbe. So konnte Bohr begründen, warum chemische Elemente, die man stark erhitzt, jeweils ein Lichtspektrum mit ganz charakteristischen farbigen Linien zeigen. Es war ein klares und immer noch anschauliches Modell, das Bohr erdacht hatte - aber es sollte ebenfalls nicht lange Bestand haben. Musik aus MUSIK Dust C1601290 106 ZITATOR: Wie Heisenberg die Bahn verwarf Musik aus SPRECHERIN: Obwohl sich mit der Quantentheorie viele physikalische Phänomene erklären ließen, glaubten etliche Wissenschaftler immer noch nicht an sie. Ihnen widerstrebte der Gedanke, dass die Vorgänge in der Natur nicht kontinuierlich ablaufen sollten, sondern in winzigen Quanten-Stufen; dass die Natur in der Welt der kleinsten Teilchen also quasi "Sprünge" macht. Aber selbst die Wissenschaftler, die das akzeptierten, wurden Mitte der 1920er Jahre auf eine harte Probe gestellt. Eine Gruppe teils noch sehr junger Forscher zog der klassischen Physik binnen kürzester Zeit endgültig den Boden unter den Füßen weg. Einer dieser Revolutionäre war Werner Heisenberg. _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800-5900222 (kostenfrei); Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 5 2. O-TON Fischer: "Er hatte plötzlich die Idee, dass man aufhören müsste, die Physik der Atome von alltäglichen Modellen her zu konstruieren. Also von der Annahme ausgehend, dass die Elektronen eine Bahn haben. Vielleicht gibt es gar nicht so etwas wie die Bahn eines Elektrons, denn beobachten im Experiment kann man die nicht. Beobachten kann ich im Experiment nur Frequenzen. Und jetzt ist die Frage: wie kann ich daraus eine Theorie der Atome aufstellen? Und da hat er angefangen, aus den beobachtbaren Größen ein mathematisches Schema zu bilden wenn er nicht die traditionellen Werte nimmt. sondern neue Gebilde.." SPRECHERIN: Heisenberg hatte das Konzept für diese neue Theorie 1925 auf Helgoland entwickelt, wo er einen schweren Heuschnupfen auskurieren wollte. Mit seinen Rechnungen begründete er die heute noch gültige Quantenmechanik, die andere Forscher rasch ergänzten. Mit diesen neuen Werkzeugen ließen sich die unterschiedlichen Energiezustände von Atomen tatsächlich berechnen. Aber immer noch waren die Physiker Mitte der 1920er Jahre weit davon entfernt, die atomare Welt wirklich zu verstehen. Doch dann gelang erneut Werner Heisenberg ein wichtiger Schritt. GERÄUSCH Kinder spielen mit Carrera-Bahn, darüber: MUSIK Fire it up again C1585740 113 ZITATOR Kinder spielen mit einer elektrischen Autorennbahn. Wenn sie wissen wollen, wie schnell ihre Autos fahren, dann können sie z.B. Lichtschranken aufstellen. Sobald ein Auto den Lichtstrahl einer dieser Lichtschranken unterbricht, ist außerdem klar, wo genau sich das Fahrzeug in diesem Moment befindet. _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800-5900222 (kostenfrei); Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 6 SPRECHERIN: Jeder würde sagen: Ist doch logisch. Aber: In der Welt der kleinsten Teilchen funktioniert das nicht. Warum? Wegen der Unbestimmtheits- bzw. Unschärferelation. Sie ist 1927 Heisenbergs großer Wurf. Der allerdings völlig unserer Alltagserfahrung widerspricht. Auch Heisenberg selbst musste sich die Unbestimmtheitsrelation erst einmal mit einem Gedankenexperiment verdeutlichen, wie er 1965 in einem Vortrag beschrieb. Er fragte sich: Was passiert, wenn ich ein vorbeifliegendes Elektron im Licht eines fiktiven Gammastrahlen-Mikroskops beobachten würde? Musik aus 3. O-TON Heisenberg: "Zwar würde man mit dem ersten Lichtquant, was nun auf das Elektron im Atom trifft und durch das Mikroskop in mein Auge geht, man würde durch dieses erste Lichtquant vielleicht eine sehr genaue Bestimmung des Ortes des Elektrons haben. Gleichzeitig würde aber dieses Lichtquant dem Elektron einen solchen Stoß versetzt haben, dass seine Geschwindigkeit hinterher außerordentlich unbestimmt ist." SPRECHERIN: Ebenso wie die Bewegungsrichtung. Heisenberg erklärte sich das einfach mit dem "Schubs", den das Elektron bekommt. Die Unschärfe, die Unbestimmtheit hat also nichts damit zu tun, dass wir nicht genau genug messen können. Vielmehr gibt die Unbestimmtheitsrelation etwas Grundsätzliches über unsere Beobachtungen wieder, betont Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer. 4. O-TON Fischer: "Die eigentliche Entdeckung, die Heisenberg gemacht hat, die in der Unbestimmtheitsrelation ihren Ausdruck findet, ist: das Elektron hat gar keine Eigenschaft, solange ich nicht messe. Das Elektron ist soz. eine Summe aller der Möglichkeiten, die es sein kann. Erst indem ich frage: kannst Du auch an dieser Stelle sein? Dann sagt das Elektron: kann ich. Aber, es ist vorher weder da noch _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Selbst Einstein, der zu den Pionieren der Quantentheorie zählte, wollte das nicht akzeptieren. Er meinte dazu: "Gott würfelt nicht!" Tatsächlich erscheinen die Ergebnisse quantenphysikalischer Experimente oft erst einmal absurd. MUSIK Dead idols C1601290 103 ZITATOR Wie man gleichzeitig durch zwei Türen geht SPRECHERIN: Die Merkwürdigkeiten in der Quantenwelt zeigen sich z.B. beim berühmten Doppelspaltversuch. Dazu wird ein einfarbiger Lichtstrahl auf eine Fläche gelenkt, in der sich nebeneinander zwei schmale Spalte befinden. Tritt das Licht durch diese Schlitze hindurch, dann zeigt sich auf einem Schirm dahinter ein charakteristisches Hell-Dunkel-Muster, sogenannte Interferenzstreifen. Sie entstehen, wenn Wellen aufeinandertreffen. Wellenberg und Wellenberg z.B. addieren sich zu einem größeren Wellenberg - das bedeutet: heller Streifen. Wellenberg und Wellental hingegen löschen sich gegenseitig aus - bei Licht heißt das: dunkler Streifen. Das kann man noch gut verstehen. _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800-5900222 (kostenfrei); Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 8 Erstaunlich wird es aber, wenn man das Licht so weit abschwächt, dass immer nur einzelne Lichtteilchen unterwegs sind. Das ist etwa so, als ob man nacheinander Pistolenkugeln auf den Doppelspalt schießt. GERÄUSCH drei Pistolenschüsse MUSIK Dazwischen 5 SPRECHERIN: Macht man das mit vielen einzelnen Lichtteilchen - es geht aber auch mit Elektronen, Atomen oder sogar mit ballförmigen Kohlenstoffmolekülen - dann entsteht hinter dem Doppelspalt nach und nach wieder das typische Hell-Dunkel-Muster einer Interferenz, erläutert der Physiker Gerhard Rempe. Er ist Direktor am Max-PlanckInstitut für Quantenoptik in Garching bei München. Musik aus 5. O-TON Rempe: "Nun kennt man dieses Interferenzphänomen von klassischen Wellen auch, aber bei Elektronen, Atomen war man doch eher der Meinung, dass diese Objekte durch einen der beiden Spalte hindurchlaufen müssen und nicht durch beide Spalte gleichzeitig." SPRECHERIN: Aber genau das machen sie offenbar, sonst gäbe es keine Interferenz und kein HellDunkel-Muster. Jedes Teilchen scheint also zwischenzeitlich zur Welle zu werden, um dann wieder als Teilchen auf dem Schirm zu landen. Irgendwo, ganz zufällig anders als bei einer Pistolenkugel: nicht vorhersagbar; aber trotzdem exakt an der richtigen Stelle, damit sich - nachdem noch viele andere Teilchen diese Reise gemacht haben - das charakteristische Muster bilden kann. Etliche Wissenschaftler, unter ihnen erneut Einstein, konnten sich mit dieser Vorstellung nicht abfinden. Sie dachten sich die unterschiedlichsten Versuchsanordnungen aus, um herauszubekommen, welchen Weg das Teilchen genommen hat. _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800-5900222 (kostenfrei); Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 9 6. O-TON Rempe: "Ist es durch den rechten Spalt gelaufen, oder ist es durch den linken Spalt gelaufen?" SPRECHERIN: Doch jedes Mal, wenn man versucht, diese Frage durch eine Messung zu beantworten, verschwindet das Interferenzmuster. Hinter jedem Spalt erscheint nur ein einzelner heller Streifen. Kennt man den Weg, legt man ein Photon, Elektron usw. also auf seinen Teilchencharakter fest. Schaut man nicht nach dem Weg, erscheint wieder das Interferenzmuster. MUSIK Aortic aneurysm junior C1585740 107 SPRECHERIN: Quantenphänomene beschränken sich aber nicht nur auf ungewöhnliche Laborversuche, sie spielen auch in unserem Alltag eine wichtige Rolle. Das fängt schon bei der Frage an, was eigentlich passieren würde, wenn es die Gesetze der Quantenphysik überhaupt nicht gäbe. Die Konsequenzen wären drastisch, wie der Astrophysiker Rudolf Kippenhahn vor einigen Jahren erklärte. Musik aus 7. O-TON Kippenhahn: "Würden die Quantenphänomene schlagartig verschwinden, dann würden alle Elektronen in kürzester Zeit in die Atomkerne fallen. Die ganze Materie würde aus neutralen Masseteilchen bestehen, die miteinander gar keine Wechselwirkung mehr haben. Wir würden alle schlagartig zu einem strukturlosen Gas werden. Wobei eine ganze Menge Energie frei wird, also eine Riesen-Explosion." _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Das könnte sie jedoch nicht, wenn nicht die Gesetze der Quantenphysik nachhelfen würden. Im heißen Gasball verschmelzen Wasserstoffatomkerne zu Heliumatomkernen. Allerdings stoßen sich die positiv geladenen Kerne ab. Um diese Abstoßungskräfte zu überwinden, ist eigentlich eine extrem hohe Teilchenenergie notwendig, also eine extrem hohe Temperatur. Unglücklicherweise ist es im Inneren der Sonne aber gar nicht heiß genug. Und dennoch funktioniert die Kernfusion. Das liegt an Quantenphänomenen. _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Von der Leuchtstoffröhre über den Laser bis zu den Halbleiterchips im Computer: Nichts davon könnte funktionieren, wenn die Elektronen in den Atomen nicht kleine Quantensprünge vollführen würden. Und auch bildgebende Verfahren in der Medizin gäbe es nicht ohne Quantenphänomene. Diese Quantenphänomene eröffnen aber noch viele weitere Möglichkeiten. Weshalb Wissenschaftler wie Gerhard Rempe selbst nach Jahrzehnten von der Quantenphysik begeistert sind. 9. O-TON Rempe 10: "Sie ist immer noch sehr faszinierend. Sie widerspricht der Alltagswelt. Und man kann mit ihr, und das finde ich besonders faszinierend, eben halt eine neue Technologie aufbauen fürs 21. Jahrhundert - oder vielleicht fürs nächste Jahrtausend sogar." MUSIK I'm in the pink C1585740 102 _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Und die werden hier analysiert." SPRECHERIN: Verschränkte Photonen. Das sind Teilchen, die in einer Lichtquelle sozusagen als Zwillingspaare entstanden sind - beide im selben Moment. Solche Paare haben eine verblüffende Eigenheit. 11. O-TON Ursin (Material 4:32): "Die Quantenmechanik sagt vorher, dass zwei Teilchen miteinander in Verbindung bleiben; in Verbindung bleiben über unendlich lange Distanzen." SPRECHERIN: Egal, wie weit sie sich auch auseinander bewegen, die Teilchen bilden immer so etwas wie eine Einheit. Schaut man sich die Eigenschaften der beiden Photonen an, stellt man fest: Sie sind perfekt korreliert. Das kann z.B. auf die Polarisation der Photonen zutreffen, also auf die Schwingungsebene des Lichts. _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Zwei Personen wollen geheime Mitteilungen austauschen - Wissenschaftler geben den beiden gerne die Namen Alice und Bob. Damit Bob, der Empfänger, die chiffrierte Nachricht entschlüsseln kann, muss Alice ihm auch den verwendeten Schlüssel übermitteln. Dabei riskiert sie allerdings, dass eine dritte Person diesen Schlüssel unbemerkt abfängt. Nutzt man jedoch verschränkte Photonen, um den Schlüssel zu übertragen, fällt jeder Versuch, an diesen Schlüssel heranzukommen, auf, erklärt der Wiener Experimentalphysiker Anton Zeilinger, ein Pionier auf diesem Gebiet. Alice und Bob müssen dazu nur Teile des Schlüssels vergleichen. 13. O-TON Zeilinger: "Weil ein Abhörer versuchen muss, wenn diese Photonen, zu Alice und Bob kommen, muss er versuchen, die zu messen, um zu schauen, welche Polarisationen die haben. Und jetzt kann man das so einrichten, dass Alice und Bob erkennen, ob ein Abhörer dran ist. Sie sehen Störungen, sie sehen, dass ihre Schlüssel nicht identisch sind." _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800-5900222 (kostenfrei); Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 14 SPRECHERIN: Denn jede Beobachtung, jede Messung durch eine dritte Person ändert den Zustand der Quantensysteme. Wenn Alice und Bob das bemerken, können sie einfach einen neuen Anlauf unternehmen. So lange, bis sie sicher sind, dass kein anderer den Schlüssel kennt. Physiker Gerhard Rempe verspricht sich einiges davon, wenn man die sogenannte Quantenkryptographie für eine abhörsichere Verteilung von Chiffrier-Schlüsseln nutzt. 14. O-TON Rempe 12: "Naja, es wäre ja schön, wenn die deutsche Bundeskanzlerin mit dem französischen Präsidenten telefonieren können (SIC!), ohne dass die NSA mithört. ... Das kriegen wir hin." SPRECHERIN: Um zu testen, ob sich die Schlüssel tatsächlich vom Weltraum aus über Tausende von Kilometern verteilen lassen, ist im Sommer 2016 eine chinesisch-österreichische Satellitenmission gestartet. Dank Quantentechnologie sollen aber noch ganz andere Dinge möglich werden. MUSIK Dust C1601290 106 ZITATOR Schneller Rechnen mit Quanten MUSIK Dazwischen 5 C1512410 010 SPRECHERIN: Heute übliche Computer nutzen als kleinste Dateneinheit das Bit. Ein Bit kann an oder aus sein, kann den Wert eins oder null haben. In Zukunft wollen Forscher _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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SPRECHERIN: Besonders, wenn man mehrere solcher Quantenbits miteinander verschränkt. Das Potential von Quantencomputern scheint riesig zu sein. Weltweit wird deshalb an ihnen geforscht. MUSIK Aortic aneurysm junior C1585740 107 SPRECHERIN: Spukhafte Fernwirkung, überlagerte Zustände, eine Realität, die erst durch die Beobachtung geschaffen wird. Physiker sind mit solchen Phänomenen täglich konfrontiert und nutzen die Quantenmechanik für ihre Arbeit. Trotzdem gibt die Quantenphysik - auch 90 Jahre nachdem Heisenberg seine Unbestimmtheitsrelation veröffentlicht hat - immer noch Rätsel auf. Etwa bei der Frage, ab welcher Größe Objekte doch wieder den Gesetzen der klassischen Physik unterliegen. 16. O-TON Rempe 4: "Es gibt in der Quantenphysik eben halt die Möglichkeit durch zwei Spalte gleichzeitig zu gehen und das ist experimentell bestätigt und wird nicht mehr _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800-5900222 (kostenfrei); Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 16 diskutiert. Fußbälle können das nicht, Menschen können das auch nicht. Die Frage ist, ab wann gelingt es einem Objekt nicht mehr, durch zwei Spalte gleichzeitig zu gehen." MUSIK aus _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800-5900222 (kostenfrei); Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de