Zwischen Widerspruch und Wechselseitigkeit. Ökumenische

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Zwischen
Widerspruch
Tiefensondierungen.
und
Wechselseitigkeit.
Ökumenische
Beitrag Meißen 25. 3. 2017.
Harald Seubert
Die Reformation war ein gesamteuropäisches Beben. In der fragilen Mitte Europas ist sie,
vermittelt durch den Dreissigjährigen Krieg, Gegenwart geblieben.
Das von den
Reformatoren intendierte Wiedererwachen christlichen Glaubens von seinen Deformationen
wurde in die Macht- und Herrschaftsgefüge der Zeit einbezogen, so dass man im Rückblick
oft nur schwer das eine vom anderen unterscheiden kann und sich vielfach nach dem
bleibenden Wert und Sinn fragt. Auch die schiedlich-friedliche Ausgangslage des Augsburger
Religionsfriedens, das ‚cuius regio – eius religio‘ war eine Scheidung, die, wie es
Scheidungen an sich haben, eine Lösung nicht erzielte, wohl aber einen modus vivendi
beförderte.
Heute ist der Pulverdampf verflogen. Auch die Leidenschaft und der Furor sind kaum mehr
vermittelbar. Auch die Signatur des zornigen Luther, den ein Biograph jüngster Zeit wieder
unter den Zorn Gottes stellte, ist zwar eine Inkunabel deutschen Gedächtnisses. Doch selbst
seine eigene Kirche blickt mit Ambivalenz und streckenweise nicht ohne eine Empfindung
der Peinlichkeit auf ihn.
Es ist wahr: dass man Luther Unrecht tut, wenn man ihn als ‚Fürstenknecht‘ in Misskredit
bringt, wenn man die erbitterten und schwer erträglichen Attacken gegen Juden, eine
Reaktion des alten Luther und Signatur einer enttäuschten Liebe, mit der Person des
Reformators identifiziert. Gleichwohl ist um ihn auch ein Furor, in dem sich das bleibend
Wahre, der Gewissens-Protestatio mit dem Ungeist des Protestantischen, der Spaltung und der
Abkehr von der communio sanctorum, der ganzen Christenheit auf Erden, verbindet. Solche
konfessionalistischen Spaltelemente überdauern mitunter den Glauben, so wie nach Marcel
Proust, die Eifersucht die Liebe überdauern kann. Umgekehrt ging schon mit dem
Tridentinum die römisch-katholische Kirche einen Bußweg gegangen und mithin entfernte sie
sich immer weiter von dem düsteren Bild, das Luther erkannte.
Thomas Mann schrieb am Ende des Ersten Weltkriegs, als er durch Troeltsch und Niebuhr
angeleitet, geneigt war Luther nicht in die Freiheitsgeschichte Deutschlands und Europas
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einzuordnen, sondern ganz im Gegenteil. Man könnte- ketzerisch- daraus wiederum die
Einsicht ziehen, dass die äußere Freiheit erst auf großen Umwegen zur inneren kam. Auf
Umwegen über Europa, auch zu einem guten Teil über die Säkularisierung. Immerhin Hegel
war der Auffassung, dass mit der Tricolore, erst mit 1789, diese Freiheit nach außen getreten
sei. Und noch heute kann man auf die paradoxe These stoßen, dass erst aus der
Säkularisierung die „Sakralität der Menschenwürde“ geboren worden sei.
Doch damit ist es an der Zeit, auf die Essenz in Widerspruch und Wechselseitigkeit zu
kommen.
I.
Widerspruch und Wechselseitigkeit
Unbestritten sollte es auch sein, dass christlicher Glaube in der Imitatio Christi eine
besondere Neigung zur Kenose, zur Entäußerung hat. Nur die ‚theologia crucis‘ sagt,
was ist, so hat es Luther verstanden. Die ‚theologia gloriae‘ dagegen kenne das
Geheimnis der Entäusserung zu wenig. Sie sage deshalb nicht, wie die Dinge sich in
Wahrheit verhielten. Darauf hat Luther in seiner Heidelberger Disputation mit
besonderem Nachdruck verwiesen. Insofern ist, im besten genommen, seine Mahnung
eine Rückkehr zur Mitte der Schrift und ein mahnendes „Metanoiete!“.
Das schiedlich-friedliche Nebeneinander ist im Rückblick dieses Jubiläums als Glücksfall zu
verstehen: Es brachte eine Konstellation hervor, in der es zu keiner Staatskirche kam, aber
auch nicht zu einem reinen Laizismus, in der vielmehr – bei allen Spannungen, die weit bis in
die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts reichten, die Christenheit im Ganzen, wenn auch nie
auf einmal in den Blick treten konnte. Insofern trug in langen Zeiträumen eine List der
Vernunft auch dem Umstand Rechnung, dass sich das wandernde, um sein Seelenheil
zuinnerst bekümmerte Gottesvolk schon in reformatorischer Zeit fragte, wo in den
theologischen Haarspaltereien und den sie flankierenden politischen Konfrontationen das
einend Christliche bleibe. Dies mag auch dazu geführt haben, dass die deutsche Geschichte –
in ihren besten Ausprägungen – eben weder zur Theokratie noch zum Laizismus neigte,
sondern zu einer austarierten Zwei Reiche- und Zwei-Regimenter Lehre, wie man sie bei
Augustinus aber auch bei Luther erfahren kann.
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Über den späteren Beruhigungen sollen die Grunddifferenzen gewiss nicht neutralisiert
werden. Gewiss scheint das mehrfache „Solus“ Luthers eine Entschiedenheit auszudrücken,
die sich aus dem Traditionszusammenhang löst. Diese Position ist vertreten worden. Doch:
Die Reformatoren wussten zumeist sehr genau: Schrift muss aber durch Bekenntnis ergänzt
werden. Und die Bekenntnisschriften der lutherisch-evangelischen Kirche, auf die auch jeder
Pfarrer vereidigt wird, stehen streng genommen im Rahmen des Magnus Consensus der
Konzilien des ersten Jahrtausends der Christenheit. Zu diesem Gesamtrahmen, nicht einfach,
wie Norbert Bolz nahelegte, zu Luther, wird man heute zurückgehen müssen.
So durchdringen einander auch die Kultur-Sphären beider Glaubensweisen: Die Tiefe der
Mystik der Übergangsperiode vom Mittelalter zur Neuzeit, hat in Luthers Ringen um den
gnädigen Gott eine Entsprechung, die gregorianische Messe wurde vielfach und weitgehend
instrumentiert zu der ‚Deutschen Messe‘ mit ihrem aufbrandenden Orgelklang und
Kirchenliedern, von Luther und Paul Gerhardt, die die tiefste Innerlichkeit, das Schriftzeugnis
und die Welthaftigkeit des Glaubens zu einem Gewebe verbanden. –
Die kontroverstheologische Differenz wird man in Übereinstimmung mit einer jüngsten
Veröffentlichung zweier großer alter Männer der Ökumene, Kardinal Kasper und Bischof
Ulrich Wilckens (Herder 2017) primär in der apostolischen Sukzession bzw. dem
Weihepriestertum und damit dem Amtsverständnis insgesamt sehen. Der Status der
Mariologie wird weiter benannt; dies mag zutreffend sein. Doch, auch angesichts von GerlFalkovitz‘ fulminantem Marien-Essay, sollte man nicht verkennen, dass Luther die Bedeutung
der Gottesmutter sehr
wohl
zu
achten
wusste.
Lehrhaft
divergieren
auch
die
Sakramentenverständnisse. Allerdings ist hier zwischen reformiertem und lutherischem
Abendmahlsverständnis eine stringente Trennlinie zu konstatieren: Eine calvinistische
Signifikationslehre ist von Luthers Realpräsenz sehr weit entfernt. Gerade eine
pneumatologische, die Wahrheit der Trinität Gottes in ihrer Kraft sichtbar machende Lehre
kann die Einseitigkeiten aufbrechen. Adolf Schlatter hat in seiner Baader-Vorlesung 1884 in
Bern dazu das folgende bemerkt, das bis heute wichtig ist: „Was haben sich wissenschaftlich
gebildete Katholiken und Protestanten gegenseitig zuzumuten? Womit werden sie sich als
tolerant erzeigen? Der Protestant kehrt die Schriftautorität gegen die Tradition, der Katholik
betont seinerseits die Autorität der Tradition, und gegen sie beide kehrt sich eine irreligiös
gewordene Wissenschaft. Intolerant erweisen sie sich nicht dadurch, dass jedes sein Recht
behauptet, toleranz nicht dadurch, dass sie sich indifferent für das Recht der Traditions- und
Schriftautorität zeigen, sondern dadurch erweisen sie ihre wahre Toleranz und Aufklärung,
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dass sie das freie Zugleich-Bestehen-Können und Zugleich-Besthehen-Sollen aller drei
Autoritäten, der Tradition, Schrift und Wissenschaft anerkennen und überall de facto geltend
machen“ (ed. Neuer, Seubert, S. 142 f.).
Dies bedeutet zugleich die Demut gegenüber dem umfassend Christlichen.
Die idealtypische Unterscheidung bieder Denk- und Glaubensweisen ist daher so wichtig,
weil sie nicht nur getrennt, sondern auch aufeinander bezogen sind. Politisch philosophisch ist
der deutsche Sonderweg bemerkenswert. Hätte man sich nur an ihn und sein Erbe orientiert,
wäre man nur nicht in den Wahnweg der falschen Heilsbringer verfallen, die totalitäre
Aufsteigerung politischer Religionen.
II. Zweierlei Denkstile
Lange Zeit war ein Bildungsvorsprung in den protestantischen Regionen erkennbar. Vor
allem Preußen, eine Kulturmacht höchsten Ranges, um 1900 Avantgarde in Europa brachte
dies hervor. Sehr wesentlich waren Institutionen wie die Görres-Gesellschaft, die auch dem
katholischen Nachwuchs zu Förderung, heute würde man sagen: Networking verhalfen. Dies
hat nicht mit einer höheren Bildungsaffinität der protestantischen Welt eo ipso zu tun, sondern
auch mit Phänomenen wie dem Kulturkampf, und einer stärkeren Adaption der
Kulturprotestanten an die Avantgarden ihrer Zeit. Mit dem Mann des Wortes unter dem Zorn
Gottes, Martin Luther, hat allerdings der Neuprotestantismus, welcher Provenienz auch
immer, wenig gemein. Schleiermacher entwickelte seine Glaubenslehre aus „Lehnsätzen“ aus
der Ethik, also der Kulturphilosophie selbst. Und der Grundgedanke, von dem er der Religion
eine „eigene Provinz im Gemüte“ sichern wollte, entstammte der Selbstbewusstseinstheorie
von Fichte: sich setzen als sich nicht gesetzt haben. Darin liegt ein Grundmoment der
klassischen deutschen Philosophie, das sich bei den Eliten zunächst stärker mit dem
evangelischen Geist verband, aber in der Romantik zugleich den Ausblick auf die Schönheit
der geformten ‚Christenheit‘ wählte: Im Selbstbewusstsein über dieses hinauszugehen, in die
Realität des Absoluten. Der Begriff, in das dieses höchst berechtigte Grundphänomen aber
einmündete, das „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“ hat das ‚Solum verbum‘ deutlich
neutralisiert. Wenn Gott mit dem Menschen einen Bund schließt, wie es Kern des
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heilsgeschichtlichen Weltverhältnisses ist, so ist der Mensch eben nicht schlechthin abhängig,
er sit dialogisches Gegenüber.
Ich sehe daher den genuin evangelischen Denkstil in seiner Klassizität weniger bei
Schleiermacher
als
bei
Hegel
einerseits
Kierkegaard
und
Nietzsche
andrerseits
Ideengeschichte schreiben. Einzugestehen ist aber, dass das Sola fide, auch in seinen
gefühligen Säkularformen, den Zusammenhang zum Denken leicht verlor.
Man muss hier etwas tiefer bohren, dann findet man freilich eine große Vorlage: In der
klassischen deutschen Philosophie.
*
Als ein Propirum des evangelischen Denkstils wird man die Ausprägung von Gegensätzen
verstehen können. Sie werden nicht durch Dogma und Kirche in ein übergreifendes „Et..et“
gesammelt, die große Stärke der Katholizität, sondern treten in hartem Aut:aut auseinander,
Sic aut non. Die Paradoxalität des Widerspruches wird nicht vermieden. Dies wird bei Hegel
noch in den virtuosen Gehäusen der Dialektik aufgefangen, bei Kierkegaard bis zum Begriff
der Verzweiflung zugespitzt werden. Es formiert sich aber auch in einer Dialektik, die den
Widerspruch nicht scheut, der nämlich Furcht vor dem Irrtum schon dieser Irrtum selbst ist.
Geboren ist auch dies aus einem Glauben, der mit sich selbst ringt, der, Lutherisch, in der
Spannung von Gesetz und Evangelium sich bewegt, zwischen Gottferne und der
aufleuchtenden ‚Viva vox Dei‘.
Die Ungeschütztheit dieses Entweder-Oder, die Gleichberechtigung existenziellen Glaubens
mit dem Lehrbestand, fides qua und fides quae, das dünnere rechtliche und institutionellen
Gefüge, hat unstrittig protestantischerseits eine Nähe zu Säkularisierung und Säkularisimus
befördert. Kant, der ‚Philosoph des Protestantismus‘, hat die moralische Dimension, den
„reinen Vernunftglauben“, als Zielpunkt der „statutarischen Religion, benannt: Das wäre von
einem katholischen, auf dem Fundament der Scholastik stehenden Denker nicht zu
gewärtigen. Hegel seinerseits war und blieb nach eigenem Bekenntnis bis zuletzt Lutheraner,
wenn auch mit den Instrumentarien der Philosophie. Damit führt er den evangelischen
Denkstil in schwindel erregende Höhen. Selbst der ‚Articulus stantis et cadentis‘ – die
Rechtfertigung wird von Hegel benutzt, um anzuzeigen, dass eine Rechtfertigung und damit
die Vermittlung des Endlichen und des Ewigen, mit den immanenten Mitteln der Religion
nicht möglich und nicht denkbar wäre.
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Die Freiheit des Ich, dem die viva vox Dei des Evangeliums, aus dem Ringen mit dem Gesetz
gesagt hat, dass es einzig durch Jesus Christus vor Gott bestehen kann, was es aus eigener
Macht niemals tun könnte, - sie etabliert eine „Grundlegung aus dem Ich“ (D. Henrich), eine
Macht der Subjektivität, die auch den Einheitspunkt der Kantischen transzendentalen
Deduktion ausmacht.
Man wird diese klassische deutsche Philosophie nicht zuletzt als eine eigenständige
Interpretation des Geistes des Christentums verstehen. Bei Hegel dezidiert in einem Sinn, der
Emanzipation und Aufkärung anerkennt als das äußerliche Ereignis, in dem nach zweitausend
Jahren die christliche Befreiung nach außen tritt. Hegel betonte deshalb die Kenose, den
„spekulativen Karfreitag“, der im Sinn seiner spekulativen Logik in eine „Negatio
negationis“, die eigentliche Affirmation umzuzeichnen ist. Doch Hegel hat in seiner
Religionsphilosophie gerade auch dies zu zeigen versucht, dass jene spekulative Kraft gar
nicht zu gewinnen wäre, wenn denn nicht ein für alle Mal, ephapax, Gott Mensch geworden
und im Geist bezeugt gewesen wäre.
Dem konkreten Verhältnis von Glauben und Vernunft wäre hier weiter nachzugehen.
Kierkegaards Paradoxien haben jedenfalls, auch aus protestantischem Gewissensskrupel, die
Synthesen aufgebrochen. Sie verflüchtigen sich ins Paradoxe. Doch seine Dimensionierung
der Verzweiflung und Entzweiung des gebrochenen Selbstverhältnisses ist im Kern schon bei
Hegel angelegt. Die Leiter von ästhetischem zum ethischen Lebensstadium muss
weggeworfen werden. Das zerrissene Selbstbewusstsein, das nicht sein kann, was es sein will,
nicht sein will, was es sein kann: findet lediglich im wahren Gott und wahren Menschen Jesus
Christus seine Auflösung.
Ich meine, dass keine der großen religionsphilosophischen
Entwürfe in einem Blick das Ganze christlichen Glaubens entwickeln kann.. Es ist wie mit
dem Perspektivismus, dass ein Aspekt aus dem Blick kommt, wenn ein anderer wieder ins
Zentrum rückt. Der „Tod Gottes“ ist eine Figur, die in der Theologia crucis aufbrechen kann,
wo diese ins Extrem getrieben wird. Nietzsche gehört deshalb nicht nur als „Antichrist“ in die
Geschichte der Eschatologie, sondern als „Ecce Homo“ auch
in das Erbe dieser
Kreuzestheologie, mit der er in einer wahrhaft protestantischen Verzweiflung rang.
All dies erfordert aber einen Gegenhalt. Man findet ihn bei Schelling: Der changiert von der
schwäbisch theologischen Herkunft in verschiedene Formen des Christlichen. Die Typik eines
paulinischen (Wort), petrinischen (Katholizität) und eines johanneischen (Fleischwerdung des
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Wortes)künftig Christseins hat er besonders betont. Der Christushymnus des Philipperbriefs,
die Privation der Gottheit Jesu Christi gibt dem Auferstehungsgeschehen eine eigene Kraft
und Tiefe zurück. Deshalb auch die Herrlichkeit-, die Geisttheologie, die nicht bei den solae
bleibt, die vielmehr die notwendige Komplementarität von drei Formen der Kirche betont:
petrinisch-paulinisch-johanneisch. Das paulinische Element hat für Schelling eher den
Anschein der negativen Philosophie, die nicht zu Kultus und Verleiblichung kam. Im Sinn des
Johanneischen spielt es eine nicht unwesentliche Rolle, dass die deutschsprachige
philosophische Kultur eine Weitung ins Griechische nahm-, eben weil es keine romanische
Prägung hatte. Die griechische Patristik und die Präsenz griechischen Denkens sind
unverkennbar. Hier liegt eine ontologische Dimension, die die juridisch forensische der
Reformation korrigieren kann.
Wesentlich auch für das moderne Erbe der Reformation scheint mir der Ansatz zu sein, es
nicht bei einer säkularen Umschrift der moralischen Essenz, nicht bei dem Kantischen Weg
zu belassen, sondern den Ewigkeitscharakter des Glaubens zu bewahren. Für den
Protestantismus selbst, aber auch für unser liebend-strittiges Gespräch wird es von Bedeutung
sein,nicht Dekonstruktion auf Dekonstruktion zu häufen, sondern das Nicht-Dekonstuierbare
an beiden Denkweisen zu erfassen.
Meine These ist also, dass jene philosophische Reflexion von Religion, insbesondere des
christlichen in der klassischen deutschen Philosophie die Zwei- und Mehrgliedrigkeit der
Ökumene besonders tief ausmisst, ja vielleicht die gelungenste Ökumene im deutschen
Sprachraum ist, gerade dort wo die Grenzen überschritten werden. Eine Ökumene nicht nur
der – oft wenig inspirierten – Gremienpapiere, aber auch nicht zu funktionalen Zwecken,
sondern der Wahrheit, die zugleich in Schönheit leuchtet. Woran uns in jüngster Zeit vor
allem katholische Denker erinnert haben: Romano Guardini, Joseph Pieper, Joseph Ratzinger,
auch Hanna-Barbara Gerl-Fakovitz, die alle, mehr oder minder explizit, in dieser Tradition
stehen.
Eine sehr starke Selbstsäkularisierung, ein antimetaphysischer Affekt, eine Moralisierung und
ein Schritt aus dem Geheimnischarakter heraus:, hat oftmals protestantische Theologie und
Kirche gehindert, dies aufzunehmen. Nicht so die klarsichtigsten jener Exponenten: Erinnert
sei an Wolfhart Pannenberg oder auch Günter Rohrmoser, die das konziliare Verständnis des
Papstes und eine große Hochachtung gegenüber Ratzinger als Sprecher der Christenheit
uneingeschränkt akzeptiert haben.
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In dieser Tradition sehe ich wiederum meinen Versuch.
Dies reicht weiter, in das Gespräch zwischen dem Schweizer reformierten schriftgemäßen
Theologen Adolf Schlatter und Franz von Baader, einem großen katholischen Vordenker, und
Denker der Philosophie der Offenbarung. Ausgangspunkt, dass das „cogitor“ dem „cogito“
vorausgehen muss.
So sehe ich die Bedeutung, höchst zukunftsweisend, darin, den evangelischen Denkstil auf
den katholischen zu öffnen und so das beglaubigte Heil zu erfassen und zugleich eine
Vernünftigkeit ausgehend von dem, der höher ist als alle Vernunft aufzunehmen: am Ende der
Neuzeit, am Ende eines säkularen Zeitalters, an dem sich die religiöse Frage wieder massiv
stellt.
So ist hier, m.E., eine ökumenische Option sichtbar, die dem von Ernst Troeltsch formulierten
Dilemma entgeht, das Christentum der Moderne werde sich entweder selbst in
Anpassungsbewegungen verlieren oder es werde sich zur Sekte verhärten.
Zugegeben: Hier geht es um einen Höhenweg, bei dessen elitärer Ausprägung es nicht bleiben
darf: Doch nur wenn Wahrheitskonturen geschärft werden, so wie es protestantisches Erbe ist,
wird auch das verbindend Christliche sichtbar werden.
Und zugegeben: nicht selten waren der protestantische und der katholische Weg und damit
auch ihre Strahlungen in der deutschen Ideengeschichte kontrafaktisch, gegenläufig zu
einander. Nehmen wir auf der einen Seite
den Kulturprotestantismus um die
Jahrhundertwende, der eine starke Bezugnahme auf die scholastische und traditionelle
Katholizität entsprach. Umgekehrt: als dieser Kulturprotestantismus nicht zuletzt aufgrund der
Jahrhundertkatastrophe des Ersten Weltkriegs zerbröckelte und zerfiel, meldete sich in der
dialektischen Theologie ein neues Erwachen der Andersheit, der Gläubigkeit und
Offenbarungstheologie bei Karl Barth. Eben dies ist die Zeit, in der katholisches Denken in
einer neuen Transparenz auf die modernen Fragen sich zeigt. Weniger abschottend mit
sensiblen Transparenzen, aber eben ohne Selbstsäkularisierung und in der Eigenständigkeit
der ‚katholischen Weltanschauung‘.
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Das et…et und das aut…aut, die teils verzweifelte Dialektik, die doch zu einer Synthesis führt
und
die
schöne,
die
wunderbare
Fügung
von
Natur
und
Gnade:
Sie
sind
Komplementärgestalten, die einander mitunter in ein und demselben Denker überkreuzen
können: Gerade darin wird eine Weite des Christlichen sichtbar, die die Vernunft nicht
scheuen muss, auch wenn dieser Glaube höher ist als alle Vernunft.
Überkreuzungen: In diesem Sinn erinnert ein katholischer Denker wie Eugen Biser an Kants
Diktum von der Liebenswürdigkeit des Christentums als dessen herausragender Eigenschaft
und macht gerade sie sich zu eigen.
Nicht zuletzt darin hat eine solche Ökumene aus der Wahrheit ihren Sinn und ihre Demut,
ihre Einmündung in die spekulative Kraft der docta ignorantia, dass sie die andere Denkform
benötigt. Erkennbar, bei aller Individualität und der Vielzahl der Übergänge sind diese
Grundformen ja durchaus.
*
Der jüdische Weg der Religionsphilosophie im 20. Jahrhundert verbindet diese beiden
Stränge sehr eng miteinander: die Kantische Vernunftreligion war für Hermann Cohen die
Matrix zu den Quellen des Judentums. Sie führten ihn über Maimonides zur Andersheit des
Gesetzes zurück.
Säkularität, Husserl-Edith Stein, dass diesen Ligaturen auch in einer Person, die zugleich
Zeugin beider Glaubensweisen in der tiefsten Dunkelheit des 20. Jahrhunderts gewesen ist.
Währen formal die schiedlich-friedliche Trennung in Milieus und Bereiche dominiert, ist
gerade in der klassischen deutschen Philosophie eine ökumenische, überschreitende
Bewegung unverkennbar. Sie ist darin wirksam, dass die entzauberte Welt, die Welt, in der
Maschinengang ist und kein Geist, kein Gott überwunden werden soll. Den Glanz und die
sakramentale Tiefe finden die „Gebildeten unter den Verächtern“ Schleiermachers, die
Romantiker überwiegend evangelischer Herkunft im Katholizismus. Die hymnische Tiefe von
Novalis wird konkretisiert in Wackenroder und Tiecks Erkundung der barocken katholischen
Baukunst Frankens.
„Gefühl und Geschmack für das Unendliche“, die „eigene Provinz im Gemüte“ und die
Begründung auf das Gefühl, all diese Motive gingen zwar aus der Selbstberwusstseinslehre
Fichtes hervor. Sie führten aber in eine sichtbare Kirche und Gemeinschaft hinein. Hier
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kommt der Kirchenvater des Protestantismus, Schleiermacher, als Grenzgänger wieder mit ins
Spiel.
III.
Das Erbe der Reformation
Und das Erbe von Spannung und Wechselseitigkeit? Die Reformatio, die wie der Lutherische
Theologe Reinhard Slenczka bemerkt, einer Deformatio der Christenheit entgegenwirkt, kann
und sollte als Einheit in der Wahrheit zum Leuchten kommen. Gegenüber einer Welt, die in
verstärktem Maß wieder in latente Brandherde, Nationalismen und interne Bürgerkriege sich
verfängt. In einem Europa, das ohne seine christliche Wurzel, im Zusammenhang der anderen
Wurzeln, zentrale Momente verlieren würde.
Hier bleiben die reformatorischen Einsichten von großer Bedeutung. Luthers existenzielles
Ringen, seine Erkenntnis der Gnade, der viva vox Dei, die wie Wasser quellen auf trockenes
Land aufträfe, die Öffnung des Paradieses, seine Bilder: Wie Busse sei aus einem dunklen
Loch ins Licht zu treten, gehören in den Kanon der ganzen Christenheit. So wie der
Isenheimer Altar, wie die Passionen von Bach und die Messen von Mozart und Beethoven.
Wie der gregorianische Gesang.
Die vier solae Luthers sollten daher nicht als Abkehr von den großen Strängen der Tradition,
dem wandernden Gottesvolk missverstanden werden. Gerade dies, Kirche nicht nur als Folge
des Imperium Romanum, sondern als diese Peregrinatio im Aufstieg zu verstehen, könnte
evangelischer Fundierung wesentlich sein. Die vier solae haben als Akut, als Betonung, eine
klare Bedeutung: ein zur Kenntlichkeit-Kommen. Doch sie sind selbst auf Tradierung
angewiesen.
Manches spricht dafür, dass in der heutigen schwergeschlagenen und sich weiter schlagenden
Welt, die scheinbar und vordergründig digital ökomomisch geeint ist, unter deren Oberfläche
aber tiefe Schründe und Brüche fortbestehen bleiben, nicht einfach in einem Appell an ein
amorphes Humanum sich zum Besseren finden wird sondern aus der Religion selbst und ihren
Tiefen kommen wird.
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Dahinter und darin: Jüdische Lehrtradition, vielfach geschändet, ausgeschlossen, ja gemordet.
Auch mit pseudochristlichen Kalkülen. Doch die Wurzel, aus der sich der Stamm erst
definiert. In diesem Licht sehe ich auch die Ökumene des Martyriums, auf die Gerl-Falkovitz
bewegend hingewiesen hat.
Fruchtbar werden kann das Reformationsjahr in Zwiesprache und Verlebendigung, nicht in
einer Nabelschau, sondern so, dass zwei wesentliche Aspekte auf das eine umfassende und
zugleich gegenüber der Welt unterscheidende Heilsgeschehen akzentuiert werden und ins
Gespräch kommen: in der Verbindung von Liebe und Wahrheit des Christlichen, die unsere
zersplitterte Welt, die Europa, die unser Land so dringend braucht.
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