DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT Nummer SACHVERSTÄNDIGEN- UND GUTACHTERTÄTIGKEIT Aus dem Ludwig Aschoff-Haús, dem Pathologischen Institut der Universität Freiburg j. Br. Direktor: Prof. F. BÜCHNER Hypochlorämische Urämie nach Kriegsdienstbeschädigung gewiesen. Im Krankenhaus wurde bei der gutachtlichen Untersuchung heftiges Erbrechen beobachtet. Für das Magenleiden wurde ein Zusammenhang mit dem Kriegsdienst angenommen, die Erwerbsminderung auf 800/o geschätzt und eine entsprechende Rente zugebilligt. (Ein vertrauensärztliches Gutachten) In dem Gutachten der Freiburger Medizinischen Klinik vom 16. VI. 1931 wurde nach der klinischen und röntgeno- Von Dozent Dr. H. MEESSEN logischen Untersuchung eine gutartige Pylorusstenose mit Ektasie des Magens festgestellt. Als Ursache der Stenose wurden narbige Vorgeschichte: Aus den Akten ist zu entnehmen, daß in der Familie des St. keine besonderen Krankheiten bekannt sind. St. selbst war immer gesund. Er wurde 1914 eingezogen und war bis 1917 an der Westfront. Tm Juli 1917 erkrankte er mit Erbrechen und Appetitlosigkeit. Der Leib war aufgetrieben und schmerzhaft. Bei der Lazarettaufnahme wurde im Urin Eiweiß nachgewiesen. Danach wurde zunächst eine Nierenentzündung angenommen. Die Blutdruckmessung und die verschiedenen Verdünnungs- und Konzentrationsversuche ergaben aber nor- Veränderungen nach Magengeschwür angenommen. Der Zusammenhang mit dem Kriegsdienst wurde anerkannt und die Erwerbsminderung auf 800/o gesetzt. In den folgenden Jahren war St. dann wegen seines Magenleidens immer wieder in ärztlicher Behandlung. Häufig bestand Erbrechen von Speisen, die am Tag vorher genossen worden waren. Zur vollständigen Entleerung des Magens wurden wiederholt Magenausheberungen und Magenspülungen aus- male Werte. In der folgenden Lazarettbehandlung bis 1918 klagte St. immer wieder über Schmerzen und Blähungen im Oberleib, auch bestand zeitweise Erbrechen. Wegen der Magenbeschwerden wurde das stark defekte Gebiß behandelt und die Herstellung eines künstlichen Gebisses bewilligt. Gelegentlich konnten immer noch Spuren von Eiweiß im Urin geführt. Nach der Magenausheberung soll St. jeweils besondere nachgewiesen werden. Auf Grund dieses Befundes wurde eine Kriegsdienstbeschädigung wegen Nierenleidens angenommen und die Erwerbsminderung dadurch auf etwa 15°/o geschätzt. In den folgenden Nachkriegsjahren wurden verschiedene Versargungsanträge des St. abgelehnt. In den vorgebrachten Beschwerden wurde von St. immer wieder über Schmerzen im Oberbauch geklagt, die ihn zeitweise arbeitsunfähig machten und wiederholt in ärztliche Behandlung führten. Es stellte sich immer wieder Erbrechen ein, das zunächst von der Nahrungsaufnahme unabhängig war, dann aber besonders nach Genuß von schwer verdaulichen Speisen auftrat. Bei einer ärztlichen Untersuchung am 1. II. 1927 klagte St. heftiges Erbrechen bestanden haben, auch habe sich St. wiederholt den Magen ausgehebert. Am 16. IX. 1939 kam St. in benommenem Zustand in das Krankenhaus. Er starb wenige Stunden nach der Einlieferung unter urämischen Krämpfen. Im Urin fanden sich Spuren von Eiweiß, im Sediment hyaline Zylinder, der Blutharnstoff war auf über 200 mg°/o erhöht. Ergebnisse der Leichenöffnung: Etwas längsovales, krater- über Schmerzen im Leib, die bis in den Rücken zogen. Der Leib wurde gebläht gefunden. Ein Nierenbefund bestand nicht mehr. Die Beschwerden wurden auf ein Magenleiden bezogen. Nach dem ärztlichen Gutachten vom 28. III. 1928 wurden die gleichen Beschwerden festgestellt. Auch nach diesem Gutachten soll häufig Erbrechen bestanden haben. Die Röntgenuntersuchung ergab eine starke Erweiterung des Magens. Das Nüchternsekret war sehr reichlich und zeigte hohe Säurewerte. Sechs Stunden nach der Probemahlzeit fand sich ein großer Magenrest. Ein Geschwür wurde röntgenologisch nicht nach- Erleichterung verspürt haben. St. bekam dann angeblich den Magenschlauch selbst in die Hand und soll immer wieder bis zu viermal am Tag bei sich selbst Magenausheberungen vorgenommen haben. Nâch Angaben des zuletzt behandelnden Arztes habe St. den Magenschlauch dauernd mit sich geführt. In den Tagen vor der Einlieferung in das Krankenhaus soll förmiges, chronisches peptisches Geschwür dicht vor dem Pylorus. Penetration des Geschwürs gegen das Pankreas. Glatter Geschwürsgrund. Abgebrochene Krone eines Molaren im Geschwürsgrund. Starke Stenosierung des Magenausganges. Zweites kleines, flaches peptisches Geschwür in der Mitte der kleinen Kurvatur des Magens, strahlige Narbenbildung an dieser Stelle. Hochgradige Ektasie des Magens. Reichlich angedaute Speisereste im Magen. Starke Fäulnisveränderungen der inneren Organe. Makroskopisch keine Veränderungen der Nieren. Keine Schrumpfnieren. Keine Herzhypertrophie. Geringe Atherornatose des Gefäßsystems. Deutlicher urämischer Geruch beider Lungen. Mikroskopischer Befund: Bei der fortgeschrittenen Fäulnis der inneren Organe ist eine Kernfärbung bei den untersuchten Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 658 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT Nierenpräparaten nur in geringem Maße möglich. Die Nierenstruktur ist trotzdem gut zu erkennen. Die Glomeruli sind als gut abgesetzte Gebilde nachzuweisen, wobei sich einzelne Kerne noch anfärben. Die Nierenkanälchen sind in ihrer Abgrenzung gut zu erkennen. tïberall hat sich das Material blaßrot mit Eosin angefärbt. In zahlreichen Nierenkanälchen finden sich dann große, das Kanälchen ganz ausfüllende, mit Hämalaun blau gefärbte Schollen. Nach der Kossa-Färbung handelt es sich eindeutig um Kalkschollen. In der Rinde sind zahlreiche Kanälchen mit solchen Kalkschollen angefüllt und gleiche Veränderungen finden sich an den Kanälchen am Übergang der Rinden- zur Markzone. Die Markzone ist frei von IKalkablagerungen. Diagnose: Schwerste Kalknephrose. An der untersuchten Leber ist ebenfalls eine Kernfärbung nicht mehr möglich. Die Leberstruktur ist gut zu erkennen, 659 Funktionsproben, ergaben normale Werte. Immerhin muß betont werden, daß auf Grund des Eiweißbefundes im Urin die Erkennung der Grundkrankheit lange verhindert wurde und zunächst zur Annahme einer Kriegsdienstbeschädigung führte wegen Nierenleidens. Die Erwerbsminderung wurde aber immer auf weniger als 15°/o geschätzt. Nach dem Obduktionsbefund kann nun sicher eine Schrumpfniere ausgeschlossen werden. Es muß aber dahingestellt bleiben, ob die Eiweißausscheidung auf gelegentliche Durchblutungsstörungen oder aber auf Veränderungen der Nierenkanälchen wie bei Nephrose zurückgeführt werden muß. nirgends finden sich hier Kalkniederschläge. Beurteilung: Bei der genauen Durchsicht der Akten ist festzustellen, daß bei St. von Beginn der Erkrankung an Beschwerden und Symptome bestanden, die nachträglich unbedingt auf ein Magenleiden bezogen werdeti müssen. Schon bei der ersten Lazarettaufnahme im Jahre 1917 bestanden Erbrechen, Schmerzen und Blähungen im Oberbauch und Appetitlosigkeit. Diese Beschwerden, insbesondere das Erbrechen, bleiben bei dem weiteren Verlauf der Krankheit immer bestehen. Benierkenswert ist auch, daß 1918 während des Lazarettaufenthaltes wegen der angegebenen Magenbeschwerden das defekte Gebiß behandelt wurde. Die Röntgenuntersuchung aus dem Jahre 1928 brachte dann eine Klärung des Krankheitsbildes. Der Magen wurde sehr stark erweitert gefunden. Nach der Probernahlzeit wurde noch nach sechs Stunden ein großer Magenrest gefunden. Auch wurde ein erhebliches Nüchternsekret mit hohen Säurewerten nachgewiesen. Die spätere Röntgenuntersuchung aus dem Jahre 1931 erweiterte diesen Befund durch die Feststellung von Verwachsungen am Magenausgang, für die ursächlich Magengeschwüre angenommen wurden. J) ie Diagnose lautete damals: gutartige Pylorusstenose, Ektasie des Magens. Der weitere Verlauf der Erkrankung ist dann besonders durch das immer wieder festgestellte Erbrechen bemerkenswert. Neben dem Erbrechen waren die wiederholten Magenausheberungen für den Verlauf der Erkrankung sicher bedeutungsvoll. Da die Speisen oft 24 Stunden nach der Mahlzeit noch im Magen waren, fühlte St. durch eine Magenausheberung eine besondere Erleichterung. Es erscheint so verständlich, daß St. angeblich sich selbst bis zu viermal am Tag den Magen ausheberte. Als anatomische Grundlage der Magenausgangsveränderung fand sich ein großes chronisches Geschwür dicht vor dem Pförtnermuskel, das gegen die Bauchspeicheldrüse vorgedrungen war. Der Magenausgang fand sich stark verengt. Etwas oberhalb von diesem chronischen Geschwür fand sich ein zweites subakutes Geschwür an der kleinen Kurvatur des Magens. Der Magen war sehr stark erweitert und mit reichlich angedauten Speiseresten gefüllt. Nach diesem anatomischen Befund erscheinen alle klinischen Symptome, die in der Vorgeschichte angegeben sind, ganz geklärt. In tYbereinstimmung mit dem früheren Gutachten müssen auch wir einen Zusammenhang der festgestellten Magengeschwüre mit dem Kriegsdienst annehmen. Die Geschwürsentstehung geht zweifellos auf die Erkrankung zurück, die 1917 zur ersten Lazarettaufnahme führte. Für den weiteren Verlauf des Geschwürsleidens war aber von entscheidender Bedeutung die Bildung einer Verengung des Magenausgangs. Durch diese Verengung wurde das immer wieder auftretende Erbrechen bedingt, und das lange Verweilen von Speiseresten im Magen war Veranlassung für die wiederholten Magenausheherungen. Bevor auf den weiteren Verlauf eingegangen wird, ist noch hervorzuheben, daß bei St. schon hei der Lazarettbehandlung 1917 eine Eiweißausscheidung im Urin festgestellt wurde. Auch in der folgenden Zeit wurden wiederholt Spuren von Eiweiß im Unu nachgewiesen. Alle weiteren Proben, insbesondere die Der makroskopisch negative Befund an den Nieren bei der Leichenöffnung war um so bemerkenswerter, als das Krankheitsbild bei St. mit einer Urämie endete. St. wurde wenige Stunden vor dem Tode im urämischen Koma eingeliefert und unter Krämpfen trat der Tod ein. Der Blutharnstoff wurde auf über 200 mg°/o erhöht gefunden. Für das Auftreten dieser Urämie brachte erst die mikroskopische Untersuchung der Nieren die Klärung. Auch an dem stark postmortal verãnderten Material fanden sich in zahlreichen Kanälchen der Rinde dichte Kalkschollen, die die ganze Lichtung der Kanälchen ausfüllten, und die Kossa-Färbung ergab eindeutig, daß es sich um Kalksubstanzen handelte. An den Nierenknäueln waren keine Veränderungen zu sehen. Nach dem mikroskopischen Bild handelte es sich eindeutig um eine schwere sogenannte Kalknephrose. Bedeutung und Entstehung einer solchen Kalknephrose sind in letzter Zeit im deutschen Schrifttum besonders durch BÜCHNER und seine Mitarbeiter geklärt worden. Nach ihren Arbeiten weist das mikroskopische Bild einer Kalknephrose besonders auf das Bestehen einer Hypochlorämie hin, d. i. eine Verminderung des Chlorgehaltes im Blut. In Experimenten konnte HATANO zeigen, daß bei Hunden nach Stenosierung des Magenausgangs durch schweres Erbrechen von Magensaft ein so hoher Chiorverlust eintritt, daß der Chlorgehalt des Blutes absinkt und gleichzeitig der Blutharnstoff ansteigt. Bei diesen Tieren konnte HATAN0 regelmäßig in den Nieren (las klassische Bild der Kalknephrose nachweisen. PÉREZ-CASTRO zeigte, daß beim Menschen mit Stenose des Magenausgangs durch Geschwür oder auch Tumor häufig mikroskopisch in der Niere das Bild der Kalknephrose zu finden ist, wenn in der letzten Zeit vor dem Tode Erbrechen und dadurch Chlorverlust bestanden hatte. Das Auftreten von Zuständen schwerer Hypochlorämie ist nach verschiedenen kunischen Untersuchungen (siehe die zusammenfassenden Abhandlungen von KERPEL-FRONIUS, PÉREz-CAsTRO, GLATZEL) bei Chlorverlust durch Magensafterbrechen, Chlorverlust durch schwere Durchfälle usw. auch für den Menschen bekannt. Die schwere Hypochlorämie führt zu einem Harnstoffanstieg im Blut und zu einer Schädigung der Niere. Der histologische Be- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 14. Juni 1940 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT Nummer 24 fund einer Kalknephrose gibt dabei dem Pathologen die Möglichkeit, auf Zustände von schwerer Hypochlorämie vor dem Tode zu schließen. Für die Beurteilung des vorliegenden Falles erscheint es uns zweifellos, daß bei St. das Zusammenwirken von Erbrechen und wiederholten Magenausheberungen zur schweren Hypochlorämie führte. Die Hypochlorämie bewirkte ihrerseits die klassischen Veränderungen der sogenannten Kalknephrose in den Nieren. Sie führte gleichzeitig zu einem sehr starken Ansteigen des Harnstoffes im Blut und zu urämischen Symptomen. Für die Frage des Zusammenhanges zwischen eingetrètenem Tod und anerkanntem Kriegsleiden kann folgendes festgestellt werden: Stenose des Magenausgangs bewirkte wiederholtes Erbrechen, außerdem wurden dadurch häufige Magenausheberungen veranlaßt. Durch das Zusammenwirken dieser Faktoren kam es zu einem hochgradigen Chlorverlust und zur Hypochlorämie. Die Hypochlorämie bedingte ein Ansteigen des Blutharnstoffes und führte zur schweren hypochlorämischen Kalknephrose. Der Tod trat schließlich an Urämie nach Hypochlorämie ein. Ein Bei $t. bestand eine ausgedehnte Geschwürsbildung am Magenausgang, die zu einer Verengung des Magenausgangs geführt hatte. Für dieses Geschwürsleiden und seine Folgen muß eine Kriegsdienstbeschädigung angenommen werden. Die Erg, inn. Med. 1936 Bd. 51 5. 623. - E. PÉREZ-CASTRO, Beitr. path. Anat. 1937 Bd. 99 S. 107; D. m. W. 1937 5. 743. -. R. ROHLAND, Zusammenhang zwischen eingetretenem Tod und den als Kriegsleiden anerkannten Magengeschwüren muß unbedigt annommen werden. F. BÜCHNER, Verh. dtsch. path. Ges., 31. Tagung Stuttgart-Tübingen, 1938 S. 348. -'-- H. GLATZEL, Erg. inn. Med. 1937 Bd. 53 S. 1. - S. HATANO, Beitr. path. Anat. 1939 Bd. 102 S. 316. - E. KERPEL-FRONIUS, Kl. W. 193G S. 825. (Anschr. des Verf.: Freiburg j. Br., Patholog. Institut der Univ.) Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 660