Anita Hökelmann Mental und physisch fit durch einen sportlichen Lebensstil im höheren Alter? Effekte einer 18-monatigen Intervention mit Tanzen und Sport auf die mentale und physische Leistungsfähigkeit von Senioren und Seniorinnen Wir altern nicht, wir werden erwachsen. Eine Kooperationsstudie zwischen dem Institut für Sportwissenschaft (ISPW) und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) -Magdeburg- 04.09.20115 Einleitung • • • • • Demographischer Wandel Erfolgreiches Altern Lebenslange Plastizität Genetische Dispositionen und Lebensstil Gestaltung des dritte Lebensabschnitts 2 Ziel der Forschung • Verlängerung des gesunden Lebensabschnitts in der gesamten Lebensspanne 3 Einleitung Das traditionelle Entwicklungskonzept Entwicklungsgewinne Höhepunkt Entwicklungsverluste 4 Einleitung Das moderne Entwicklungskonzept ● lebenslange Entwicklung ● differentielle Entwicklungsverläufe ● Entwicklung kann auch Verlust/Beschränkung bedeuten 5 Einleitung Theorie des erfolgreichen Alterns: • Altern beginnt ab der Geburt- unsere Entwicklung wird bestimmt durch Umfeld/ Lebensbedingungen/Lebensstil und durch genetischen Dispositionen • Altern ist individuell unterschiedlich mit Krankheit, Behinderung und Beeinträchzigung verbunden • Assoziierung: Alter und chronische Krankheiten Übliches Altern: • altersbedingte Veränderungen, die durch Krankheit und negative Lebensstilfaktoren beschleuningt werden Erfolgreiches Altern: • altersbedingte Veränderungen werden durch positive Lebensstilfaktoren verlangsamt 6 Forschung Verhalten der Gene durch epigenetische Prozesses Das Erbgut ist ein sehr viel offeneres System, als man lange dachte. Die DNA gibt zwar den grundsätzlichen Bauplan des Lebens vor, doch über epigenetische Prozesse arbeiten verschiedenste Kräfte von außen bis in den Zellkern hinein, schalten Gene an und ab und bestimmen so zumindest mit, was aus einem Individuum wird und wie es wird. 7 Zwillinge Zwillingspaare zwischen drei und 74 Jahren zeigte eindeutig: Die jüngsten Zwillinge unterschieden sich in ihrem epigenetischen Code kaum ‐ die ältesten Zwillinge dagegen umso mehr. Eineiige Zwillinge im Alter: mehr Unterschiede im Epigenom 8 Einleitung Gesundes Altern und Lebensstilfaktoren Schlaf 9 Einleitung Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Alzheimer • häufigsten Erkrankungen und Haupttodesursache in Deutschland sind aktuell Erkrankungen des Herz-KreislaufSystems • Perspektivisch betrachtet werden neurodegenerative Erkrankungen, speziell Demenzerkrankungen, die größte Belastung für das Gesundheitssystem darstellen >>>Notwendigkeit von protektiven Interventionsansätzen Robert‐Koch‐Institut, 2015; Abbot, 2011 10 Einleitung Risiko- und Schutzfaktoren 11 Einleitung Altern und körperliche Aktivität • Körperliches Training ist eine der kostengünstigsten Präventivmaßnahmen gegen zahlreiche komplexe Erkrankungen ! 12 Einleitung Sportliche Aktivität und geistige Leistungsfähigkeit • Geringere Häufigkeit von Alzheimer Demenz bei sportlich aktiven Personen (Barnes et al., 2005) • Verbesserung der kognitiven Leistungen durch sportliche Aktivität und Training – bei älteren Personen (Colcombe & Kramer, 2003) – bei dementen Personen (Christofoletti et al., 2004) • Erhöhung der Zahl der Nervenbahnen im Alter durch Ausdauersport (Hollman & Strüder,2006) 13 Zusammenfassung Sportliche Aktivität und geistige Leistungsfähigkeit • „9 von 10 Publikationen bestätigen sowohl den protektiven Faktor von regelmäßiger Bewegung auf die Entwicklung einer MCI, Demenz bzw. Alzheimer Demenz bei gesunden Personen als auch einen positiven Behandlungseffekt durch Bewegung bei über 60-jährigen Patienten mit der Diagnose kognitive Einschränkung, Demenz bzw. Alzheimer-Demenz.“ (Schulc et al., 2008) Tanzbild 14 Zusammenfassung Allgemeine Effekte sportlicher Aktivität • Verbesserung Herz-Kreislauf-System • stärkere Gefäßwände • Senkung des Ruhepulses • Verbesserung intra- & intermuskulären Koordination • fördert Sozialkompetenzen • vermindertes Sturzrisiko • kann prophylaktisch vor Depressionen schützen • steigert Lebensqualität 15 Einleitung Schlüsselbegriffe • Neuroplastizität • Neurogenese • Neuroprotektion Folie mit Auto 16 Sportarten, Körper und Gehirn • Der Sport ist sehr vielfältig. Sportarten haben unterschiedliche Anforderungsprofile, die zur Verbesserung unserer körperlichen und geistigen Fähigkeiten geeignet sind. • Wir unterscheiden zwischen Kraft‐ und Ausdauersportarten, Spielsportarten und technischen, bzw. technisch kompositorischen Sportarten. 17 Aktueller Forschungsstand Einfluss von Tanzen auf den kognitive Parameter Kohortenstudie von Verghese et al. (2003) • Vergleich von 11 verschiedenen Sportarten • 469 gesunde Senioren über 75 • Lediglich Tanzen konnte mit geringerem Demenzrisiko assoziiert werden Interventionsstudie Kattenstroth et al. (2013) • 6-monatige Tanzintervention bei gesunden Senioren zwischen 60 und 94 Jahren • Verbesserung kognitiver Leistungen in den Bereichen Aufmerksamkeit, Kurz- und Langzeitgedächtnis, Sprache, Reaktionszeit >>>Begründung mit dem Erlernen neuer Tanzschritte 18 Aktueller Forschungsstand Einfluss physischer Aktivität auf den neuroanatomischen Alterungsprozess Krafttraining • Positive Effekte von Krafttraining auf kognitive Funktionen (Perrig- Chiello, 1998; Liu-Ambrose et al., 2010) und funktionelle Gehirnaktivitäten gesunder Senioren • Lediglich eine Krafttrainingsintervention mit strukturellen MRT-Daten (Liu-Ambrose et al., 2010) Koordinationstraining • 3-monatiges Jongliertraining bei gesunden Senioren >Volumenzunahmen im visuellen Kortex, linken Hippokampus und Nucleus Accumbens (Boyke et al., 2008) • 6-wöchige Gleichgewichtsintervention bei gesunden Senioren >Volumenzunahmen im Hippokampus (Sehm et al., 2014) 19 Ziel der Studie Untersuchung des Einflusses eines sportiven Tanz- und eines Gesundheitssporttraining auf die Neuroplastizität, auf das Arbeitsgedächtnis und auf ausgewählte kognitive und motorische Funktionen bei Senioren • Randomisierte, kontrollierte Interventionsstudie über 18 Monate 20 Fragestellungen Welchen Einfluss haben ein 18-monatiges sportives Tanz- und ein Gesundheitssporttraining auf die Neuroplastizität, kognitive und kardiovaskuläre Leistungen? Motorische Fitness Koordination unter Zeitdruck Raumwahrnehmung Gleichgewicht Kardiovaskuläre Fitness Physische Fitness 21 Neuroplastizität Einfluss physischer Aktivität auf den neuroanatomischen Alterungsprozess Theoretisches Modell des Wirkungsmechanismus von Sport und körperlicher Fitness auf die Gehirngesundheit und kognitive Leistungen (Sanchez & McGough, 2014). 22 Methoden 62 Probanden MWAlter= 68,7 Jahre Prätest Zeitpunkt 1 [Prä] Tanzen NMRT = 26 Sport NMRT = 24 6 Monate Tanzen oder Sport (2x90min./Woche) Zeitpunkt 2 Posttest 1 [Post 1] Tanzen NMRT = 20 Sport NMRT = 18 5 Monate „Pause“ ‐ Keine Intervention ‐ Posttest 2 Zeitpunkt 3 [Post 2] Veränderung: 8 Monate Tanzen oder Sport (1x90min./Woche) • des Stichprobenumpfangs Tanzen NMRT = 14 • des Trainingsumfangs • des Trainingsinhalts in der Sportgruppe (kein Fahrradergometertraining Sport NMRT = 12 Methoden Testbatterie • Magnetresonanztomographie (MRT) • Fahrradergometertest (PWC 130) • Neuropsychologische Tests • Blutuntersuchungen • Gleichgewichts- und Ganganalyse • Sportmotorische Tests 24 Methoden Magnetresonanztomographie Verfahren, das mithilfe starker Magnetfelder und Radiowellen innere Organe bildlich darstellt Balance Master 25 Sportarten und Gehirn Neuroplastizität • Die Neuroplastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, sich den über die gesamte Lebensspanne ändernden Umweltbedingungen anzupassen • Hauptausdrucksform der Neuroplastizität ist die Wandelbarkeit synaptischer Verbindungen Spitzer (2000); Kempermann (2015) 26 Einleitung Neurogenese • Die Neurogenese ist die Fähigkeit des Gehirns zur Bildung neuer Nervenzellen. Neuroprotektion • Neuroprotektion umfasst alle Prozesse, die zur strukturellen und funktionellen Integrität des Gehirns beitragen • Neuroplastizität und Neurogenese tragen somit zur Protektion des Gehirns bei Spitzer (2000); Kempermann (2015) 27 Ergebnisse - Neuroanatomie Longitudinale VBM Tanzen – Graue Substanz • Signifikante Volumenzunahmen • rGP = rechter Gyrus parahippocampalis • lGPrä = linker Gyrus praecentralis Insula: Arbeitsgedächtnis Gyrus parahippocampalis: Gedächtniskodierung Gyrus Praecentralis: Motorische Funktionen 28 Ergebnisse - Neuroanatomie Longitudinale VBM Sport – Graue Substanz • Signifikante Volumenzunahmen Amygdala: emotionale Gedächtnisprozesse 29 Ergebnisse Lernfähigkeit Funktion des verbalen Kurzzeitgedächtnis • speichert gehörte Worte und Sprachinformationen • Informationen werden entweder vergessen oder weiterverarbeitet und im Langzeitgedächtnis gespeichert • im Alter stark vom Abbau betroffen • Sitz im Stirnlappen, Scheitellappen und Hippocampus vermutet • In dieser Studie über den VLMT und Zahlenspanne vorwärts getestet 30 Ergebnisse - Neuropsychologie Verbales Kurzzeitgedächtnis Varianzwert F = 6,46 α = 0,006 η² = 38,1 % Prüfwert Prä vers. Post 1: t = 1,173 α = 0.253 Prä vers. Post 2: t = 3,401 α = 0.002 Post 1 vers. Post 2: t = 3,402 α = 0.002 31 Ergebnisse - Neuropsychologie Verbales Kurzzeitgedächtnis 32 Ergebnisse - Gleichgewicht Zusammenhang zwischen der Gleichgewichtsfähigkeit und der grauen Substanz r = ‐0,540 α = 0,046 r = ‐0,267 α = 0,441 33 Ergebnisse - Gleichgewicht Zusammenhang zwischen der Gleichgewichtsfähigkeit und der intrakranielles Volumen r = ‐0,541 α = 0,046 r = ‐0,180 α = 0,441 34 Neuroplastizität & Phylogenese • Nervensystem phylogenetisch zur Bewegung entstanden (Jagd, Flucht) • Jegliche Efferenz des Gehirns motorisch • Verhalten in Wechselwirkung Motorik/Sensomotorik >>>>Einheit von Motorik und Kognition 35 Ergebnisse - PWC 130 • Herzruhefrequenz als Indikator der körperlichen Gesundheit • Geringere Herzfrequenz = Indikator für besseren kardiovaskulären Zustand 36 Ergebnisse - PWC 130 Durch Tanzen UND ein Gesundheitssporttraining können Senioren ihren gesundheitlichen Status erhalten. 37 Zusammenfassung Voxelbasierte Morphometrie (VBM) • Tanztraining einem Gesundheitssporttraining neuroanatomisch betrachtet überlegen Tanzen > Volumenzunahmen in Regionen, die mit höheren kognitiven Funktionen und Gedächtnisprozessen assoziiert werden Neuropsychologische Tests • sowohl Tanz- als auch Gesundheitssporttraining tragen zum Erhalt und leichten Steigerungen kognitiver Leistungen bei Fahrradergometertest (PWC 130) • sowohl Tanz- als auch Gesundheitssporttraining tragen zum Erhalt kardiovaskulärer Leistungen bei 38 Schlussfolgerung Gesundes Altern kann gelingen… • …aber nur regelmäßiges Training führt zum Erfolg (Löllgen, 2004) • Verlust der positiven Effekte bei Beendigung sportlicher Aktivität (Lemmer et al., 2008) 39 Thank you for your attention Researcher Team Yves Duderstadt Patrick Müller Literaturverzeichnis • • • • • • • • Liu-Ambrose, T., Nagamatsu, L.S., Graf, P., Beattie, B.L., Ashe, M.C. & Handy, T.C. (2010). Resistance training and executive functions: A 12-month randomized controlled trial. Archi-ves of Internal Medicine, 170 (2), 170–178. Verghese, J. (2006). Cognitive And Mobility Profile Of Older Social Dancers. Journal of the Amer-can Geriatrics Society, 54 (8), 1241–1244. Verghese, J., Lipton, R.B. & Katz, M.J. (2003). Leisure activities and the risk of dementia in the elderly. New England Journal of Medicine, 348 (25), 2508–2016. Kattenstroth, J.C., Kalisch, T., Holt, S., Tegenthoff, M. & Dinse, H.R. (2013). Six months of dance intervention enhances postural, sensorimotor, and cognitive performance in elderly without affecting cardio-respiratory functions. Frontiers in Aging Neuroscience, 5 (5), 1-16. Kattenstroth, J.C., Kalisch, T., Kolankowska, I. & Dinse, H.R. (2011). Balance, Sensorimotor, and Cognitive Performance in Long-Year Expert Senior Ballroom Dancers. Journal of Aging Research, 2011, 1-10. Kattenstroth, J.C., Kolankowska, I., Kalisch, T. & Dinse, H.R. (2010). Superior sensory, motor, and cognitive performance in elderly individuals with multi-year dancing activities. Fron-tiers in Aging Neuroscience, 2 (31), 1-9. Lemmer et al., 2008 in: Medicine & Science in Sports & Exercise, Volume32, Issue 8, August 2008, p 1505-1512 Löllgen, 2004 in: Deutsches Ärzteblatt, Jahrgang 101, Heft 12, März 2004, S. 788-789 41