- 19 - §6 REIHEN 6.2 Konvergenzkriterien Wenn man im Majorantenkriterium die geometrische Reihe als Majorante nimmt, erhält man das (6.2.18) Quotientenkriterium : Sei (an )n∈N0 eine Folge in C . Es gebe ein n0 ∈ N0 , so dass an 6= 0 für alle n ≥ n0 ist, und a) es gebe ein θ ∈ R mit 0 < θ < 1 und an+1 an ≤ θ für alle n ≥ n0 , ∞ P an absolut. dann konvergiert n=0 ∞ an+1 P ≥ 1 für alle n ≥ n0 , dann divergiert an . b) an n=0 Beweis : a) Aus | an+1 | ≤ θ| an | für n ≥ n0 folgt mit Induktion für k ∈ N0 : | an0 +k | ≤ θk | an0 | , also | an | ≤ θn−n0 | an0 | für n ≥ n0 und damit ist ∞ P | an0 | θ−n0 θn , also die mit | an0 | θ−n0 multiplizierte geo- n=0 ∞ P metrische Reihe ∞ P , θn mit 0 < θ < 1 , eine konvergente Majorante von n=0 | an | . n=0 b) Mit Induktion folgt für n ≥ n0 : | an | ≥ | an0 | > 0 , also gilt nicht lim an = 0 , die Reihe divergiert. 2 n→∞ (6.2.19) Beachten Sie : Zum Nachweis der Konvergenz muss man ein θ an+1 ≤ θ für fast alle n . Es reicht nicht : finden mit 0 < θ < 1 und an a ∞ 1 n P n+1 < 1, : Es ist < 1 für fast alle n . Ein Gegenbeispiel ist an n + 1 n=1 n aber die Reihe divergiert. 6.3 Summen und Produkte von Reihen ∞ P (6.3.3) Umordnungssatz: Sei an eine absolut konvergente Reihe von n=0 komplexen Zahlen an mit Wert A . Dann konvergiert jede Umordnung der ∞ P Reihe an , also jede Reihe n=0 ∞ X aτ (n) 20 - für jede bijektive Abbildung τ : N0 −→ N0 n=0 ebenfalls gegen A . Beweis : Sei τ : N0 −→ N0 bijektiv, wir müssen zeigen: lim m→∞ m X aτ (k) = k=0 Sei nun ε > 0 beliebig vorgegeben. Da ∞ P | ak | konvergiert, gibt es zu ε k=0 ein n0 ∈ N0 , so dass ∞ X A . | ak | < k=n0 ε 2 ist. Daraus folgt nX ∞ ∞ 0 −1 X X ε ak ≤ | ak | < ak = A − 2 k=n k=n k=0 0 . 0 Da τ bijektiv ist, können wir ein N ∈ N0 so groß wählen, dass {0, 1, . . . , n0 − 1} ⊂ {τ (0), τ (1), . . . , τ (N )} ist. Dann gilt für alle m ≥ N : n −1 m m nX ∞ 0 0 −1 X X X X ε ak − A ≤ |ak |+ < ε . ak − aτ (k) − A ≤ aτ (k) − 2 k=0 k=n0 k=0 k=0 k=0 2 - Für nicht absolut konvergente Reihen ist der Satz falsch. Man kann sogar noch mehr zeigen: ∞ P (6.3.4) Riemannscher Umordnungssatz : Sei an eine nicht absolut n=0 konvergente Reihe reeller Zahlen an und S eine beliebig vorgegebene reelle Zahl. Dann gib es eine bijektive Abbildung τ : N0 −→ N0 mit ∞ X aτ (n) = S , n=0 d.h. durch Umordnung kann man jede beliebige reelle Zahl als Wert erhalten. Beweis : Wir setzen für k ∈ N0 : 1 ak für ak ≥ 0 + ak := (| ak | + ak ) = , 0 für ak < 0 2 1 0 für ak ≥ 0 − ak := (| ak | − ak ) = . −ak für ak < 0 2 - 21 - − Die Zahlen a+ k , ak sind alle ≥ 0 , und für jedes k gilt − ak = a+ k − ak Wäre eine der Reihen ∞ P a+ k , k=0 − und | ak | = a+ k + ak ∞ P . a− k konvergent, so würde aus den Glei- k=0 chungen − a+ k = ak + ak + a− k = ak − ak , − folgen, dass auch die andere konvergiert. Dann wäre wegen | ak | = a+ k + ak ∞ ∞ P P aber auch | ak | konvergent, im Widerspruch dazu, dass ak nicht k=0 ∞ P absolut konvergiert. Also sind beide Reihen a+ k k=0 , ∞ P k=0 a− k divergent. k=0 Streichen wir aus der Folge (a+ k ) alle Glieder, bei denen ak < 0 ist (also nur Nullen, aber nicht alle), so erhalten wir die Teilfolge aller nichtnegativen Glieder von (ak ) , die wir (pk ) nennen. Aus der Folge (a− k ) streichen wir alle Nullen, so entsteht eine Folge (qk ) , und (−qk ) ist die Teilfolge aller negativen Glieder von (ak ) . Jedes Glied von (ak ) tritt also in genau einer ∞ P der Teilfolgen (pk ) bzw. (qk ) auf. Dann sind auch die Reihen pk und ∞ P k=0 qk divergent, also k=0 lim n X n→∞ pk = ∞ , lim n→∞ k=0 n X qk = ∞ und damit lim n→∞ k=0 n X (−qk ) = −∞ . k=0 Infolgedessen gibt es zunächst einen kleinsten Index n0 mit n0 X pk > S , k=0 dann einen kleinsten Index n1 mit n0 X k=0 pk + n1 X (−qk ) < S k=0 und nun wieder einen kleinsten Index n2 mit n0 X k=0 pk + n1 X k=0 n2 X (−qk ) + pk > S . k=n0 +1 Man kann das Verfahren fortsetzen, und die so entstehende Reihe (∗) p0 + . . . + pn0 + (−q0 ) + . . . + (−qn1 ) + pn0 +1 + . . . + pn2 + . . . ist eine Umordnung der Ausgangsreihe ∞ P k=0 ak . - 22 - Wegen der Minimaleigenschaft der Indizes n1 , n2 , . . . sieht man, dass der Betrag der Differenz zwischen S und den Teilsummen von (∗) spätestens ab der Teilsumme p0 + . . . + pn0 + (−q0 ) + . . . + (−qn1 ) durch die Zahlen qn1 , pn2 , qn3 , pn4 , . . . nach oben abgeschätzt werden kann. Da nun aber die Folgen (qn1 , qn4 , . . . ) und (pn2 , pn4 , . . .) gegen 0 konvergieren, ∞ P folgt, dass die Umordnung (∗) von ak gegen S konvergiert. 2 k=0 Bemerkung 6.3.5 : Hat man zwei endliche Summen komplexer Zahlen n X aj m X und j=0 so ist klar, wie man sie multipliziert : ! ! n m X X aj · bk = j=0 bk , k=0 n X m X aj · b k , j=0 k=0 k=0 d.h. man muss jeden Summanden der ersten mit jedem Summanden der zweiten Summe multiplizieren und die Produkte addieren. Wie ist das nun für Reihen ? Mit ! ∞ ∞ X X aj · b k j=0 k=0 hat man die Schwierigkeit, dass man zunächst unendlich viele Grenzwerte ausrechnen und dann wieder eine Reihe bilden müsste. Bildet man aber ! ∞ ∞ n X X X X aj · b k aj · bn−j , = n=0 n=0 (j,k)∈N0 ×N0 mit k+j=n j=0 so hat man nur einmal eine unendliche Summe, aber trotzdem kommen alle Produkte aj · bk genau einmal vor. Diese Reihe heißt das Cauchy-Produkt ∞ ∞ P P der Reihen an und bn : n=0 n=0 (6.3.6) Satz vom Cauchy-Produkt : Seien ∞ P aj und j=0 ∞ P ak absolut k=0 konvergente Reihen komplexer Zahlen. Dann konvergiert auch ihr CauchyProdukt ∞ n X X X dn mit dn := aj bn−j = aj b k n=0 j=0 (j,k)∈N0 ×N0 mit j+k=n absolut, und für den Wert des Cauchy-Produkts gilt ! ! ! ∞ n ∞ ∞ X X X X aj bn−j = aj · bk n=0 j=0 j=0 k=0 . Beweis : 1.) Sei ∞ P A := aj 23 , - B := j=0 Cn := n k X X k=0 ∞ P bk , k=0 X aj bk−j = j=0 aj b k für n ∈ N0 , (j,k)∈N0 ×N0 mit k+j≤n dann zeigen wir zunächst lim Cn = n→∞ Beweis: Wir bilden zunächst ! n X Cn∗ := aj · n X j=0 A·B . ! bk X = aj b k , (j,k)∈N0 ×N0 mit j≤n∧k≤n k=0 dann gilt nach der Grenzwertregel 5.2.1: lim Cn∗ = A · B , wir müssen also n→∞ nur noch zeigen, dass lim (Cn∗ − Cn ) = 0 gilt: Nun ist n→∞ Cn∗ − Cn X = aj · b k mit (j,k)∈D(n) D(n) := { (j, k) ∈ N0 × N0 | j ≤ n ∧ k ≤ n ∧ j + k > n } . Sei nun Pn := n X ! | aj | · j=0 n X ! | bk | k=0 X = | aj · b k | , (j,k)∈N0 ×N0 mit j≤n∧k≤n dann konvergiert (Pn )n∈N0 nach Regel 5.2.1, da ∞ P j=0 aj und ∞ P bk absolut k=0 konvergieren. (Pn ) ist also eine Cauchyfolge; zu beliebigem ε > 0 gibt es deshalb ein n0 ∈ N0 , so dass | Pn − Pn0 | < ε für alle n ≥ n0 gilt. Nun ist X Pn − Pn0 = | aj · bk | mit (j,k)∈E(n) E(n) := { (j, k) ∈ N0 × N0 | j ≤ n ∧ k ≤ n ∧ ¬(j ≤ n0 ∧ k ≤ n0 ) } Für n > 2n0 gilt nun D(n) ⊂ E(n) (am besten macht man dazu eine Zeichnung). Also folgt für alle n > 2n0 : X | Cn∗ − Cn | ≤ | aj · bk | ≤ |Pn − Pn0 | < ε . (j,k)∈D(n) Damit haben wir bewiesen: lim (Cn∗ − Cn ) = 0 . n→∞ 2.) Wir müssen noch zeigen, dass das Cauchy-Produkt absolut konvergiert. Dazu setzen wir n X 0 0 0 an := | an | , bn := | bn | , cn := a0n−k b0k . k=0 Nach Voraussetzung konvergieren gieren ∞ P ∞ P an und n=0 ∞ P a0n und 24 ∞ P b0n , sogar absolut wegen n=0 n=0 | a0n | = a0n , | b0n | = b0n . Nach Teil 1.) des Beweises konvergiert die Reihe n ∈ N0 : bn absolut, also konver- n=0 ∞ P c0n . Nun gilt für alle n=0 n n X X | cn | = an−k bk ≤ | an−k | | bk | = c0n k=0 also konvergiert ∞ P , k=0 cn absolut nach dem Majorantenkriterium (6.2.5). 2 n=0 Achtung : Wenn ∞ P an und n=0 ∞ P bn nicht absolut konvergieren, kann es n=0 sein, dass ihr Cauchy-Produkt divergiert. Ein Beispiel finden Sie in (K74 oben). §7 STETIGE FUNKTIONEN. GRENZWERTE 7.2 Rechnen mit stetigen Funktionen Definition 7.2.3 : Sei D ⊂ C , D 6= ∅ . Sind f, g : D −→ C stetig und ist λ ∈ C , so sind nach Regel 7.2.2 auch f +g und λf : D −→ C stetig. Da auch die Abbildung O : D −→ C , O(x) := 0 stetig ist, bilden die stetigen Funktionen einen Untervektorraum des Vektorraums aller Funktionen von D in C , also einen C−Vektorraum, den wir mit C(D) bezeichnen. (C wie stetig - auf Englisch.) Ist die Menge D nicht endlich (etwa wenn D ein reelles Intervall ist), so ist dimC C(D) = ∞ . Regel 7.2.9 : Sei I ⊂ R ein Intervall und f : I −→ R streng monoton, dann ist g := f −1 : f (I) −→ I stetig. Bemerkung: Wenn f nicht stetig ist, ist f (I) i.A. kein Intervall. Machen Sie sich Zeichnungen ! Beweis : Œ sei f streng monoton wachsend. Dann ist f injektiv, also ist f −1 : f (I) −→ I definiert, und f −1 ist auch streng monoton wachsend. Sei y0 ∈ f (I) , dann gibt es ein x0 ∈ I mit y0 = f (x0 ) . Sei a := inf I , b := sup I a) Wir behandeln zunächst den Fall a < x0 < b . Sei ε > 0 gegeben, dann ist (∈ R ) . - 25 1 1 ε0 := min{ε, (x0 − a), (b − x0 )} > 0 , 2 2 a < x 0 − ε0 < x 0 < x 0 + ε0 < b , also und wegen (a; b) ⊂ I können wir f (xo ± ε0 ) bilden: f (x0 − ε0 ) < f (x0 ) < f (x0 + ε0 ) . Sei δ := 1 min{y0 − f (x0 − ε0 ), f (x0 + ε0 ) − y0 } , dann ist δ > 0 , 2 f (x0 − ε0 ) < y0 − δ < y0 < y0 + δ < f (x0 + ε0 ) . Für alle y ∈ f (I) mit | y − y0 | < δ gilt dann |f f (x0 − ε0 ) < y < f (x0 + ε0 ) , also x0 − ε0 < f −1 (y) < x0 + ε0 also −1 (y) − f −1 (y0 )| = | f −1 , (y) − x0 | < ε0 ≤ ε. b) Ist x0 = a , so wird der Beweis sogar einfacher: Zu ε > 0 nehme man 1 ε0 := min{ε, (b − x0 )} und 2 1 δ := (f (x0 + ε0 ) − y0 ) . 2 c) Analog beweist man die Stetigkeit in f (b) , falls b ∈ I ist. 2 Bemerkung : Die Stetigkeit von f : I −→ R ist hier gar nicht vorausgesetzt. Folgerung 7.2.10 : Für jedes n ∈ N∗ sind die Wurzelfunktionen √ g2n : [0; ∞) −→ R , g2n (x) := 2n x , √ g2n+1 : R −→ R , g2n+1 (x) := 2n+1 x stetig, wobei man für x ∈ (−∞; 0) setzt: √ √ 2n+1 x := − 2n+1 −x . Das folgt mit 7.2.9 daraus, dass diese Funktionen die Umkehrfunktionen der streng monoton wachsenden Funktionen f2n : [0; ∞) −→ [0; ∞) , f2n+1 : R −→ R , f2n (y) := y 2n f2n+1 (y) := y 2n+1 bzw. sind. 7.3 Gleichmäßige Konvergenz von Funktionenfolgen (7.3.1) Zur Motivation : Wir wissen, dass Polynomfunktionen f : C −→ C , f (z) = k X an z n n=0 stetig sind. Folgt daraus auch die Stetigkeit einer Potenzreihe ∞ k P P an z n = lim an z n , jedenfalls dort, wo sie konvergiert, also von n=0 k→∞ n=0 f : KR (0) −→ C , f (z) = ∞ X n=0 an z n , - 26 - wobei R der Konvergenzradius ist? Wir fragen allgemeiner: Kann man aus der Stetigkeit von Funktionen fk : D −→ C und der Existenz von f (z) := lim fk (z) für z ∈ D schließen, dass auch f k→∞ stetig ist? Wohl nicht, ein Gegenbeispiel ist leicht zu finden: fn : R −→ R , fn (x) := 0 1 f (x) := lim fn (x) = n→∞ 1 : (1 + x2 )n für x 6= 0 für x = 0 existiert, ist aber nicht stetig, obwohl die fn es sind. Weierstraß-Kriterium 7.3.9 : Für k ∈ N0 seien fk : D −→ C , D⊂C . Wenn die Reihe der Normen der fk bezüglich D , also ∞ X k fk kD k=0 konvergiert, dann konvergiert ∞ P fk auf D gleichmäßig gegen eine Funktion k=0 f : D −→ C . Beweis : Für n ∈ N0 sei sn := n P fk . k=0 a) Nach dem Cauchy-Kriterium für Reihen (6.2.1) gibt es zu jedem ε > 0 ein N ∈ R , so dass für n > m ≥ N gilt n m n X X X k fk kD − k fk kD < ε , also k fk kD < ε , k=0 k=0 k=m+1 also für jedes x ∈ D : |sn (x) − sm (x)| = n X fk (x) ≤ k=m+1 n X ||fk ||D < ε , k=m+1 also ist (sn (x))n∈N0 für jedes x ∈ D eine Cauchyfolge in C ; es existiert f (x) b) Für x ∈ D gilt |f (x) − sm (x)| := = lim sn (x) n→∞ = ∞ X fk (x) . k=0 |f (x) − sn (x)| + |sn (x) − sm (x)| - 27 für alle m, n ∈ N0 . Nun gibt es, da ∞ P ||fk ||D eine Cauchyfolge ist, zu k=0 jedem ε > 0 ein N1 ∈ R , so dass für n > m ≥ N1 gilt n n X X ε ∀ x ∈ D : |sn (x) − sm (x)| = fk (x) ≤ ||fk ||D < 2 k=m+1 k=m+1 , und zu festem m ≥ N1 und festem x ∈ D nach a) ein n2 (x) ∈ N0 , n2 (x) ≥ m , so dass für n ≥ n2 (x) : ε |f (x) − sn (x)| < ist, also für m ≥ N1 : 2 |f (x) − sm (x)| < ε . (sm )m∈N0 konvergiert also gleichmäßig auf D gegen f . 2 Folgerung 7.3.11 : Aus dem Weierstraß-Kriterium 7.3.9 folgt also: ∞ X fk normal konvergent k=0 =⇒ =⇒ ∞ X k=0 ∞ X fk gleichmäßig konvergent auf fk punktweise konvergent in D D. k=0 7.4 Der Zwischenwertsatz (7.4.1) Der Zwischenwertsatz (ZWS) : Seien a, b ∈ R , a < b . Eine stetige Funktion f : [a; b] −→ R nimmt jeden Wert γ zwischen f (a) und f (b) an mindestens einer Stelle c an: ∃ c ∈ [a; b] : γ = f (c) . Beweis : Œist f (a) < γ < f (b) . Dann ist M := { t ∈ [a; b] | f (t) ≤ γ } nichtleer wegen a ∈ M und nach oben beschränkt (durch b ). Nach Satz 2.3.12 existiert also c := sup M . Da c die kleinste obere Schranke von M ist, gibt es eine Folge (tn )n∈N∗ aus M mit lim tn = c . Wegen f (tn ) ≤ γ gilt n→∞ f (c) 5.2.3 (7.1.3) = lim f (tn ) ≤ γ n→∞ . Insbesondere ist damit c 6= b , also c < b . Es gibt also eine Folge (xn )n∈N∗ in (c; b] mit lim xn = c . Wegen n→∞ xn > c = sup M ist f (xn ) > γ , also - 28 - (7.1.3) f (c) = lim f (xn ) ≥ γ , insgesamt also: f (c) = γ n→∞ Häufige Anwendungen des ZWS sind: Beweis der Existenz von Nullstellen , z.B.: (7.4.2) Behauptung : Jede Polynomfunktion P : R −→ R , n X P (x) := ak x k mit an 6= 0 , . 2 ungeradem n k=0 und a0 , . . . , an ∈ R besitzt eine Nullstelle: Wegen P (x) n an · (x + = n−1 X bk xk ) mit bk := k=0 ak an genügt es, zu zeigen, dass f (x) n = x + p(x) mit p(x) := n−1 X bk x k k=0 eine Nullstelle besitzt. Wir setzen dazu n−1 X r := 1 + | bk | , dann gilt k=0 |p(±r)| ≤ n−1 X k | bk |r ≤ n−1 X | bk |rn−1 = (r − 1)rn−1 < rn , k=0 k=0 also, da n ungerade ist, f (r) ≥ rn − | p(r)| > 0 , f (−r) ≤ −rn + | p(−r)| < 0 . Nach Folgerung 7.2.6 ist f stetig, also hat f nach dem ZWS eine Nullstelle in [−r; r] . 2 7.5 Der Satz vom Maximum und Minimum Wir formulieren hier eine Version des Satzes, die gegenüber Königsberger etwas vereinfacht ist. Die allgemeine Version kommt im nächsten Semester: (7.5.1) Satz vom Maximum und Minimum : Seien a, b ∈ R , a < b und f : [a; b] −→ R sei stetig. Dann gibt es ξ1 , ξ2 ∈ [a; b] , so dass ∀ x ∈ [a; b] : f (ξ1 ) ≤ f (x) ≤ f (ξ2 ) ist. Bemerkung : Der Satz sagt nicht nur, dass die Bildmenge f ([a; b]) = { f (x) | x ∈ [a; b] } - 29 - beschränkt ist, also dass sup f ([a; b]) und inf f ([a; b]) existieren, sondern mehr noch, nämlich dass max f ([a; b]) = f (ξ2 ) und min f ([a; b]) = f (ξ1 ) existieren. Beweis von Satz 7.5.1 : Wir zeigen nur die Existenz des Maximums. Dazu setzen wir sup f ([a; b]) , falls f ([a; b]) nach oben beschränkt ist, s := ∞ sonst , und zeigen dann, dass s = ∞ unmöglich ist. Auf jeden Fall gibt es zu jedem n ∈ N∗ ein xn ∈ [a; b] mit s− 1 ≤ f (xn ) ≤ s , n falls s < ∞ , n ≤ f (xn ) falls s = ∞ ist, , also gilt lim f (xn ) = s . (xn )n∈N∗ ist eine Folge in [a; b] , also ben→∞ schränkt, also gibt es nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß, 2.Fassung (5.5.8) eine konvergente Teilfolge (xnk )k∈N∗ von (xn )n∈N∗ ξ2 := lim xnk k→∞ , . Sei dann ist a ≤ ξ2 ≤ b und nach dem Folgenkriterium für Stetigkeit (7.1.3) : f (ξ2 ) = lim f (xnk ) = lim f (xn ) = s , n→∞ k→∞ insbesondere s ∈ f ([a; b]) , also nicht s = ∞ , und für alle x ∈ [a; b] gilt f (x) ≤ s = f (ξ2 ) . 2 7.7 Grenzwerte von Funktionen Definition 7.7.1 : Sei D ⊂ R und a ∈ R [ oder D ⊂ C und a ∈ C ] . a heißt ein Häufungspunkt von D , wenn es eine Folge (an )n∈N∗ gibt mit ∀ n ∈ N∗ : an ∈ D ∧ lim an = a , n→∞ d.h. wenn a (eigentlicher oder uneigentlicher) Grenzwert einer Folge von Elementen aus D ist. (7.7.2) Beispiele : 1) Jedes a ∈ D ist Häufungspunkt von D , denn a = lim a . n→∞ 2) Sei D = (a; b) , a < b , dann ist b ein Häufungspunkt von D , denn b−a b−a b = lim b − , und ∀ n ∈ N∗ : b − ∈D . n→∞ 2n 2n 3) ∞ ist Häufungspunkt von R∗+ , denn ∞ = lim n und ∀ n ∈ N∗ : n ∈ R∗+ . n→∞ - 30 - Definition 7.7.3 : a) Sei D ⊂ R und f : D −→ R . Sei a ∈ R ein Häufungspunkt von D . Sei c ∈ R , und für jede Folge (xn )n∈N∗ mit xn ∈ D für alle n ∈ N∗ und lim xn = a n→∞ gelte lim f (xn ) = c , n→∞ dann schreiben wir: lim f (x) = c , und nennen c den x→a x∈D Grenzwert der Funktion f für x gegen a . b) Man kann hier auch D ⊂ C und f : D −→ C zulassen, dann muss a ∈ C und c ∈ C sein. Folgerungen 7.7.4 : a) Das Folgenkriterium (7.1.3) für Stetigkeit kann man dann so formulieren: Sei D ⊂ C , f : D −→ C und x0 ∈ D . Dann gilt f stetig in x0 ⇐⇒ lim f (x) = f (x0 ) . x→x0 x∈D In diesem Fall braucht man das Symbol x→x lim f (x) also nicht. 0 x∈D b) Ist aber D ⊂ C , f : D −→ C , x0 ∈ C ein Häufungspunkt von D , der nicht in D enthalten ist, und c ∈ C , so bedeutet lim f (x) x→x0 x∈D = c , dass die im Punkt x0 durch c ergänzte Funktion f (x) ˜ ˜ f : D ∪ {x0 } −→ C , f (x) := c für x ∈ D für x = x0 in x0 stetig ist, dass man also die Funktion f in x0 stetig ergänzen kann. Beispiel 7.7.5 : lim x→0 x6=0 exp(x) − 1 = 1 für die durch x exp : C −→ C , exp(x) := ∞ X xn n! n=0 definierte Exponentialfunktion. exp(x) − 1 ist für x 6= 0 nicht definiert, aber in Beweis : x D := { x ∈ C | x 6= 0 } , und 0 ist ein Häufungspunkt von D . Sei (xn )n∈N∗ eine Folge in D mit lim xn = 0 . Nach Lemma 6.4.13 (Restabschätzung) gibt es ein c ∈ R , so n→∞ dass ∞ X xn 2 und |x| < 1 |R2 (x)| ≤ c |x| für R2 (x) := n! n=2 gilt, also 2 | exp(x) − 1 − x| ≤ c|x| , exp(x) − 1 ≤ c|x| , − 1 x - 31 - und aus lim xn = 0 , xn 6= 0 , folgt n→∞ exp(xn ) − 1 lim −1 n→∞ xn = 2 0 . Beispiel 7.7.6 : lim exp(x) = ∞ . x→∞ Beweis : exp : R −→ R ist definiert, ∞ ist ein Häufungspunkt von R , und sei (xn )n∈N∗ eine Folge in R mit lim xn = ∞ , dann gibt es ein n→∞ N ∈ R mit xn > 0 für n > N , also für n > N : ∞ xk P n > xn , also auch lim exp(xn ) = ∞ . 2 exp(xn ) = n→∞ k! k=0 - Gelegentlich braucht man auch links- bzw. rechtsseitige Grenzwerte von Funktionen : Definition 7.7.7 : Sei D ⊂ R , x0 ∈ R und f : D −→ C . Ein c ∈ C heißt linksseitiger Grenzwert von f in x0 , geschrieben c =: lim f (x) x↑x0 lim x→x0 x∈D∩(−∞;x0 ) f (x0 −) , =: f (x) = wenn c existiert. Entsprechend nennt man lim f (x) x↓x0 := f (x0 +) := lim x→x0 x∈D∩(x0 ;∞) f (x) 2 den rechtsseitigen Grenzwert von f in x0 . §9 DIFFERENTIALRECHNUNG 9.3 Maxima und Minima Hilfssatz 9.3.11 : Sei f : [a; b] −→ C stetig und auf (a; b) differenzierbar. Dann gibt es ein ξ ∈ (a; b) mit |f (b) − f (a)| ≤ (b − a) · |f 0 (ξ)| . Beweis : Es gibt ein c ∈ C mit |f (b) − f (a)| = c · (f (b) − f (a)) und |c| = 1 , nämlich c := |f (b) − f (a)| f (b) − f (a) 1 für f (b) − f (a) 6= 0 für f (b) − f (a) = 0. Wir setzen ϕ(x) := Re (c · f (x)) für x ∈ [a; b] . ϕ ist in (a; b) differenzierbar, es gilt ϕ0 (x) = Re (c · f 0 (x)) , und nach dem Mittelwertsatz 9.3.7 gibt es ein ξ ∈ (a; b) mit ϕ(b) − ϕ(a) = (b − a) · ϕ0 (ξ) , also - 32 - |f (b) − f (a)| = c · (f (b) − f (a)) = ϕ(b) − ϕ(a) = (b − a)ϕ0 (ξ) 2 = (b − a) · Re (c · f 0 (ξ)) ≤ (b − a) · |f 0 (ξ)| . 0 |f (b) − f (a)| = c · (f (b) − f (a)) = ϕ(b) − ϕ(a) = (b − a)ϕ (ξ) = (b − a) · Re (c · f 0 (ξ)) ≤ (b − a) · |f 0 (ξ)| . 2 (9.3.12) Schrankensatz : Sei f : [a; b] −→ C stetig differenzierbar, dann gilt für alle x1 , x2 ∈ [a; b] : |f (x1 ) − f (x2 )| ≤ |x1 − x2 | · kf 0 k[a;b] , wobei wir kf 0 k[a;b] in 7.3.5 als kf 0 k[a;b] = sup { |f 0 (x)| | x ∈ [a; b] } definiert hatten. Beweis : Da f auf [a; b] stetig differenzierbar ist, ist f auf [a; b] beschränkt, also existiert kf 0 k[a;b] . Der Rest folgt aus dem Hilfssatz. 2 9.4 Tangens und die Arcusfunktionen Wir können mit Differentialrechnung einiges recht kurz beweisen, was wir in §8 ausgelassen hatten. Folgerung 9.4.2 : Sei o n π , dann gilt für x ∈ D : D := R \ (2k + 1) k ∈ Z 2 1) 2) 3) tan(−x) = − tan x ∧ ∀ l ∈ Z : tan(x + lπ) = tan x . 1 tan0 (x) = 1 + tan2 x = cos2 x π π tan (− 2 ; 2 ) : (− π2 ; π2 ) −→ R ist stetig, streng monoton wachsend und bijektiv. sin(−x) 8.6.4(2) − sin x = = − tan x , cos(−x) cos x sin(x + π) 8.7.4 − sin x tan(x + π) = = = tan x , cos(x + π) − cos x und da sin und cos die Periode 2π haben, folgt Beweis : 1) tan(−x) = tan(x + lπ) = tan x für alle l ∈ Z . 2) Nach der Quotientenregel (9.2.1)c) ist cos2 x + sin2 x 9.2.3 cos x · cos x − sin x · (− sin x) = = cos2 x cos2 x 1 = bzw. = 1 + tan2 x . cos2 x 3) Wegen tan0 (x) = 1 + tan2 x ≥ 1 > 0 ist tan nach dem MonotonieKriterium 9.39 streng monoton wachsend auf jedem Intervall , auf dem er definiert ist, insbesondere auf (− π2 ; π2 ) . tan ist auf (− π2 ; π2 ) differenzierbar, also stetig. Es ist tan0 (x) - 33 - limπ tan x = ∞ , (1) x↑ 2 π 2 denn sei (xn )n∈N∗ eine Folge mit lim xn = n→∞ lim sin xn = 1 , n→∞ lim cos xn = 0 und n→∞ also nach Aufgabe 25 b) : lim n→∞ lim n→∞ , xn ∈ (0; π2 ) , dann ist cos xn > 0 , 1 = ∞ , und nach Aufgabe 25 c) : cos xn sin xn = ∞ . Aus tan(−x) = − tan x für x ∈ (− π2 ; π2 ) folgt damit cos xn lim tan x = −∞ . (2) x↓− π2 Sei y ∈ R beliebig, dann gibt es nach (1) und (2) also x1 , x2 ∈ (− π2 ; π2 ) mit tan x1 < y < tan x2 , und zwar x1 < x2 , denn tan wächst streng monoton in (− π2 ; π2 ) , und nach dem Zwischenwertsatz 7.4.1 ein x ∈ [x1 ; x2 ] ⊂ (− π2 ; π2 ) mit tan x = y . Also ist tan (− π2 ; π2 ) : (− π2 ; π2 ) −→ R surjektiv, und injektiv, da er streng monoton ist. 2 (9.4.4) Definition und Ableitungen von Arcussinus und Arcuscosinus : sin : R −→ R und cos : R −→ R sind nicht injektiv, da sie 2π−periodisch sind, und nicht surjektiv wegen sin2 x + cos2 x = 1 , also | sin x| , | cos x| ≤ 1 . Aber π π sin [− π2 ; π2 ] : [− ; ] −→ [−1; 1] 2 2 ist bijektiv, denn es gilt π cos x > 0 für x ∈ [0; ) nach Def. von π und 2 π cos x > 0 für x ∈ (− ; 0) wegen cos x = cos(−x) , 2 0 wegen sin = cos ist nach dem Monotonie-Kriterium also sin in [− π2 ; π2 ] streng monoton wachsend, also injektiv, und sin π = 1 , 2 π π sin(− ) = − sin = −1 , 2 2 also gibt es nach dem Zwischenwertsatz zu jedem y ∈ [−1; 1] ein x ∈ [− π2 ; π2 ] mit sin x = y , also ist π π sin [− π2 ; π2 ] : [− ; ] −→ [−1; 1] 2 2 auch surjektiv. Wir haben also die Umkehrfunktion Arcussinus , - 34 −1 π π arcsin := sin [− π2 ; π2 ] : [−1; 1] −→ [− ; ] , 2 2 deren Ableitung man mit der Umkehrregel (9.2.5) berechnen kann : Für y = sin x ist arcsin0 (y) = 1 1 = 0 sin (x) cos x , sofern cos x 6= 0 ist, also für x 6= ± π2 , d.h. y 6= ±1 . Wegen x ∈ (− π2 ; π2 ) ist dann cos x > 0 , also p p cos x = + 1 − sin2 x = 1 − y 2 , arcsin0 (y) = p 1 1 − y2 . Nun zu cos : Wegen sin x > 0 für x ∈ (0; π) und cos0 = − sin ist cos [0;π] : [0; π] −→ [−1; 1] streng monoton fallend und bijektiv, man hat also die Umkehrfunktion −1 arccos := cos [0;π] : [−1; 1] −→ [0; π] , für deren Ableitung man arccos0 (x) = − √ 1 1 − x2 für x ∈ (−1; 1) zeigt . (9.4.6) Veranschaulichung der Multiplikation komplexer Zahlen : Hat man zwei komplexe Zahlen und ihre Polarkoordinaten z1 = r1 eiϕ1 und z2 = r2 eiϕ2 z1 · z2 = r1 · r2 · ei(ϕ1 +ϕ2 ) , so ist , d.h. man multipliziert zwei komplexe Zahlen, indem man ihre Beträge multipliziert und ihre Argumente addiert. Man sieht hier auch, dass es nichts bringt, wenn man krampfhaft versucht, “das” Argument von z = r eiϕ etwa dadurch eindeutig zu machen, dass man fordert : ϕ ∈ [0; 2π) : Für ϕ1 , ϕ2 ∈ [0; 2π) kann durchaus ϕ1 + ϕ2 ≥ 2π sein! 2