JATROS Neurologie 1/2006 Parkinsondemenz W. Gerschlager, Wien Symptomatik, Diagnostik und Therapie In Österreich stellen Demenzerkrankungen die Herausforderung des 21. Jahrhunderts dar: Während heute knapp 100.000 Österreicher an einer Demenz leiden, wird diese Zahl bis zum Jahr 2050 auf 250.000 steigen. In unserer neuen wissenschaftlichen Serie werden wesentliche klinischen Fragen zum Thema Demenz von namhaften Experten erörtert. Der erste Teil ist dem Thema Parkinsondemenz gewidmet, verfasst von Univ.-Doz. Dr. Willibald Gerschlager von der neurologischen Abteilung des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Wien. Der M. Parkinson ist, nach der Alz­heimer’schen Krankheit, die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Die frühen motorischen Symptome (Tremor, Rigor und Bradykinese) sind durch den Untergang dopaminerger Nervenzellen in der Substantia nigra bedingt. Neben den motorischen treten aber auch sehr häufig kognitive Störungen auf. Bei mindestens 40% der Parkinsonpatienten kommt es im Verlauf der Erkrankung zu einer Demenz. Die Prävalenz der Erkrankung nimmt mit dem Alter stark zu. Wegen der demographischen Entwicklung ist in den kommenden Jahren mit einer Zunahme der Demenzpatienten zu rechnen. Nach neuen Forschungsergebnissen ist bis 2040 in den industrialisierten Ländern mit einer Steigerung um 100% zu rechnen (Whitehouse 2005). Die Parkinsondemenz und die Demenz mit Lewy-Körper (DLK) sind wahrschein­lich zwei unterschiedliche phäno­ typische Manifestationen des gleichen Krankheitsprozesses. I 40 Aszendierende cholinerge Systeme Abb. 1: Sowohl bei der Parkinsondemenz als auch der Demenz mit Lewx-Körper finden sich neben dopaminergen auch cholinerge Defizite Demenz mit Lewy-Körper • Progressive kognitive Verschlechterung • Mindestens 2 der folgenden Hauptsymptome: Ausgeprägte Schwankung von Aufmerksamkeit und Vigilanz Visuelle Halluzinationen Parkinsonsyndrom • Unterstützende Symptome Wiederholte Stürze Synkopen Vorübergehender Bewusstseinsverlust Neuroleptika-Sensitivität Systemischer Wahn Halluzinationen (andere Modalitäten) Abb. 2: Die klinische Unterscheidung von Par­kinsondemenz und Demenz mit Lewy-Körper ist durch rezente Diagnosekriterien festgelegt Die DLK ist neuropathologisch durch die so genannten Lewy-Körperchen, eosinophile Einschlüsse, charakterisiert. Bei beiden Erkrankungen lassen sich kortikale Lewy-Körperchen nachweisen und es finden sich neben dopaminergen auch cholinerge Defizite (Abb. 1). Pathophysiologisch kommt es zu Dysfunktionen monoaminerger subkortikalerkortikaler Verbindungssysteme. Gerade die cholinergen Defizite korrelieren gut mit dem Schweregrad der kognitiven Störung. Symptome und Differenzialdiagnose Das Kernymptom der Parkinsondemenz und der DLK ist, neben der progressiven Demenz, eine ausgeprägte Fluktuation von Aufmerksamkeit, Konzentration und Vigilanz. Es handelt sich dabei aber nicht nur um Tagesschwankungen, die bei allen Demenzformen auftreten können, sondern um Schwankungen, die gelegentlich auch während eines Untersuchungsganges zu universimed.com | serie universimed.com © UNIVERSIMED ® © UNIVERSIMED ® Veränderung, ADAS-cog Prozentsatz Patienten mit ≥30% Verbesserung im NPI-4 beobachten sind. Die Klinik bei doppelt so vielen Patienten Neuropsychiatrische Symptome der Parkinsondemenz ist (etwa 60%) zu einer signi­ durch sogenannte frontal-exefikanten Verbesserung von Rivastigmin Placebo kutive Funktionsstörungen neuropsychiatrischen Sympp=0,030 p=0,005 p=0,001 70 (die Fähigkeit, zielgerichtetes tomen. Insgesamt wurde die 63,4 60 Verhalten zu planen und zu Therapie gut toleriert, Neben57,4 organisieren) und durch visuwirkungen wie Übelkeit und 50 47,5 ell-räumliche Störungen ge­ Erbrechen führten selten zu 40 prägt. Im Gegensatz zur einem Abbruch der Studie und 30,2 30,0 30 De­­menz vom Alzheimer-Typ es kam zu keiner Verschlech­ 27,9 betreffen die Gedächtnisstöterung des motori­schen Par20 rungen in erster Linie die freie kinsonsyndroms. Der MMSE 10 Wiedergabe, oder das „Abruzeigte keine signifikante Verfen“ gespeicherter Inhalte, besserung verglichen mit 0 während das Speichern neuer Placebo (McKeith 2000). ITT LOFC OC Inhalte relativ gut funktio- Abb. 3: Prozentsatz der Patienten mit ≥ 30% Verbesserung im NPI-4 (Wahn, Die EXPRESS-Studie ist die niert. Im Gegensatz zur Apathie, Depression und Halluzinationen) bisher größte randomisierte Demenz vom Alzheimer-Typ Studie zum Einsatz von Cho­ sind auch die sprachlichen linesterasehemmern bei ParKognitive Funktionen Funktionen weitgehend er­ kinsondemenz. 541 Patienten halten. Eine wesentliche Gewurden über 24 Wochen mit -2,5 * Rivastigmin ** dächtnisstörung muss also, Rivastigmin (mittlere Tages-2.0 Placebo gerade im Frühstadium der dosis 8.7 mg) oder Placebo Verbesserung Erkrankung, nicht bestehen. behandelt. Rivastigmin führte -1,5 Oberflächliche Testverfahren zu einer geringen, aber -1,0 wie z.B. der Mini-Mentalsta­tistisch signifikanten Ver­ -0,5 State (MMSE), die sehr stark besserung der kognitiven Ausgangswert auf Gedächtnisstörungen foFunk­tionen (ADAS-cog-Skala, 0 kussieren, können daher bei Abb. 4). Außerdem kam es zu 0,5 der Parkinsondemenz bzw. einer signifikanten Verbesse*p=0,002; **p<0,001 Verschlechterung 1,0 der DLK in frühen Stadien rung von neuropsychiatrischen 0 16 24 der Erkrankung durchaus unSymptomen, die ein sekundärWoche auffällig sein. es Wirksamkeitskriterium darVerhaltensstörungen und psy­ Abb. 4: Rivastigmin führte zu einer geringen, aber statistisch signifikanten, stellten. Eine Verschlechterung chiatrische Symptome sind Verbesserungen der kognitiven Funktionen (ADAS-cog-Skala) der Parkinsonsymptome wurbei der Parkinsondemenz de dagegen nicht beobachtet. häufig. Depressionen treten häufiger Neue Behandlungsmethoden Für andere Cholinesterasehemmer (Doauf, als bei der Alzheimerdemenz. Typinepezil, Galantamin) liegen bisher noch scherweise finden sich psychotische Cholinesterasehemmer werden in der keine Ergebnisse von größeren, dopSymptome wie geformte visuelle Halluzi- Therapie der Demenz vom Alzheimer- pelblinden, randomisierten Studien über nationen (z.B. Tiere), illusionäre Verken- Typ seit vielen Jahren verwendet. Bei Pa- einen längeren Beobachtungszeitraum nungen, Wahnsymptome, wie z.B. der tienten mit Parkinsondemenz und DLK vor. Ob Rivastigmin anderen CholinesteEifersuchtswahn und Verwirrtheitszu- liegt ein noch ausgeprägteres cholinerges rasehemmern in der Therapie der Parkinstände. Das Auftreten von psychotischen Defizit vor als bei der Demenz vom sondemenz überlegen ist, kann derzeit Symptomen ist eine häufige Ursache Alzheimer-Typ. Bedenken, dass Cholin­ also nicht beantwortet werden. für stationäre Einweisungen und ist mit esterasehemmer zu einer Verschlechteeiner erhöhten Mortalität assoziiert. rung des Parkinsonsyndroms, d.h. der n Die klinische Unterscheidung von motorischen Symptome, führen könnten, Parkinsondemenz und DLK ist durch verzögerten aber einen frühzeitigen rezente Diagnosekriterien festgelegt (Ab- Einsatz. Eine große, placebokontrollierte, Autor: bildung 2). Eine Parkinsondemenz wird randomisierte Studie an 120 Patienten Univ.-Doz. Dr. Willibald Gerschlager dann diagnostiziert, wenn die Diagnose- mit DLK über 20 Wochen ergab, dass Neurologische Abteilung kriterien für eine DLK erfüllt werden, Rivastigmin in einer mittleren Tagesdosis Krankenhaus der Barmherzigen Brüder das Parkinsonsyndrom (d.h. die moto- von 9.4 mg zu einer signifikanten VerbesGroße Mohrengasse 9, rischen Symptome wie Tremor, Rigor serung neuropsychiatrischer Symptome 1020 Wien und Bradykinesie) aber mindestens ein wie Wahn, Apathie, Depression und HalTel.: 21121/3240 Jahr vor dem Beginn der Demenz auf­ luzinationen führt (Abb. 3). Verglichen E-Mail: [email protected] getreten ist. mit Placebo, kam es unter Rivastigmin ne010640 41 I