225_261_BIOsp_0308.qxd 240 25.04.2008 9:42 Uhr Seite 240 WISSENSCHAFT Signaltransduktion in Bakterien Kooperative Verarbeitung chemotaktischer Signale bei E. coli E. coli schwimmt Zick-Zack angetrieben werden. Beobachtet man die Bewegung einzelner Zellen unter dem Mikroskop, zeigt sich eine Art Zick-Zack-Lauf, ein ständiger Wechsel zwischen „Schwimmen“ und „Taumeln“, hervorgerufen durch unterschiedliche Rotationsrichtungen der Geißelmotoren (Abb. 1). Beim Schwimmen drehen die Geißeln gegen den Uhrzeigersinn, vom Geißelende in Richtung Zelle betrachtet, und bilden gemeinsam ein Bündel, das die Zelle nach vorne treibt. Bei einer Rotation im Uhrzeigersinn fällt das Bündel auseinander, und die Zelle torkelt antriebslos im Medium, bis sich die Drehrichtung erneut ändert und das Bakterium in einer zufälligen Richtung weiterschwimmt. Eine Steuerung der Bewegung wird dadurch erreicht, dass chemische Reize die relative Wahrscheinlichkeit bzw. Dauer von Schwimmen und Taumeln beeinflussen: Höhere Lockstoff- und niedrigere Schreckstoffkonzentrationen stimulieren das Schwimmen, damit sich die Zelle in deren Richtung fortbewegt, während niedrigere Lockstoffund höhere Schreckstoffkonzentrationen die Zelle veranlassen zu taumeln und eine neue Richtung einzuschlagen[1]. E. coli schwimmt mithilfe von vier bis sechs peritrich (rundum) verteilten Geißeln, die durch den Protonengradienten zur Rotation Die chemotaktische Signaltransduktion DAVID KENTNER, VICTOR SOURJIK ZENTRUM FÜR MOLEKUL ARE BIOLOGIE DER UNIVERSITÄT HEIDELBERG (ZMBH) Die Chemotaxis von Bakterien beruht auf kooperativen Rezeptor-Wechselwirkungen. Sie zeigen eindrucksvoll, wie das Zusammenspiel vieler Sensoren Leistungen ermöglicht, die jene einzelner Sensoren bei weitem übertreffen. Chemotaxis in bacteria relies on cooperative receptor interactions for optimal signal processing. ó Bakterien zeigen sich den meisten Forschern im Labor lediglich als unbewegliche Kolonie auf einer Nährstoffplatte. Unter dem Mikroskop jedoch offenbaren viele dieser Organismen eine für ihre Größe erstaunliche Mobilität. Bakterien gleiten oder kriechen auf Oberflächen oder schwimmen mithilfe von Geißeln. Ihre Bewegungen sind nur scheinbar zufällig; die meisten beweglichen Bakterien sind in der Lage, sich an chemischen Reizen zu orientieren (Chemotaxis), manche Spezies reagieren zudem auf Licht oder mechanische Stimuli, und einige richten sich sogar nach dem Magnetfeld. Diese Fähigkeiten ermöglichen es den Zellen, schnell optimale Wachstumsbedingungen zu finden. Die Wahrnehmung taktischer Reize beruht auf einem konservierten Signaltransduktionsweg, der zu den für Prokaryoten typischen Zwei-Komponenten-Systemen zählt. Am besten untersucht ist das Chemotaxissystem des Darmbakteriums Escherichia coli, das auf verschiedene Zucker, Aminosäuren und Dipeptide, aber auch pH, Temperatur und Redoxpotenzial reagiert, um sich gezielt auf Lockstoffe zu und von Schreckstoffen weg zu bewegen. ˚ Abb. 1: Chemotaktische Bewegung einer E. coli-Zelle. Schwimmbewegungen werden ständig von kurzen Stopps unterbrochen, in denen die Zelle taumelt und eine zufällige neue Richtung einschlägt. Zunehmende Lockstoffkonzentrationen und abnehmende Schreckstoffkonzentrationen stimulieren längere Schwimmperioden, sodass sich die Zelle weiter in diese Richtung bewegt. Chemotaktische Stimuli werden durch bestimmte Transmembranrezeptoren wahrgenommen, die Methylakzeptierenden Chemotaxisproteine (MCP; Abb. 2). E. coli besitzt fünf verschiedene Rezeptoren, die jeweils auf spezifische Reize ansprechen. Die beiden Hauptrezeptoren Tsr (für Serin) und Tar (für Aspartat und Maltose) kommen in mehreren tausend Kopien pro Zelle vor, während die Nebenrezeptoren Trg (für Ribose, Glucose und Galaktose), Tap (für Dipeptide) und Aer (für Redoxpotenzial) nur einen geringen Teil der Rezeptorpopulation ausmachen. Zwei Rezeptormoleküle desselben Typs formen ein Homodimer (im Folgenden als einzelner Rezeptor bezeichnet). Die Rezeptorstruktur lässt sich in eine periplasmatische und eine zytoplasmatische Domäne unterteilen. Auf zytoplasmatischer Seite bilden die BIOspektrum | 03.08 | 14. Jahrgang 225_261_BIOsp_0308.qxd 25.04.2008 9:59 Uhr Seite 241 241 ˘ Abb. 2: Die chemotaktische Signaltransduktion. Chemorezeptoren (MCP) binden Lock- und Schreckstoffe und regulieren die Aktivität der Kinase CheA (A), die mithilfe von CheW (W) an den zytoplasmatischen Teil der Rezeptoren gekoppelt ist. CheA phosphoryliert (P) CheY (Y) und CheB (B). Phospho-CheY bindet an den Geißelmotor und induziert eine Rotation im Uhrzeigersinn, was zum Taumeln der Zelle führt. Die Phosphatase CheZ (Z) katalysiert die Dephosphorylierung von CheY. CheR (R) und CheB (B) methylieren bzw. demethylieren die Rezeptoren zur Adaptation an kontinuierliche Lock- bzw. Schreckstoffstimulation. ˘ Abb. 3: Messung der Kinaseaktivität durch Fluoreszenz-ResonanzEnergietransfer (FRET). A, Die Wechselwirkung zwischen einer CheZFusion an das Cyane (CFP) und einer CheY-Fusion an das Gelbe Fluoreszenzprotein (YFP) bewirkt eine Umwandlung von CFP- in YFP-Emissionslicht durch FRET. Die Bindung der beiden Fusionsproteine ist abhängig von der Phosphorylierung von CheY durch CheA und deshalb direkt proportional zur Kinaseaktivität. B, Anhand der FRET-Effizienz lässt sich die Kinaseregulation durch chemotaktische Stimulation in Echtzeit verfolgen. Man beachte die Adaptation an fortwährende Lockstoffstimulation und die anschließende Reaktion auf die Wegnahme des Lockstoffes. Rezeptoren einen stabilen ternären Komplex mit der Histidin-Kinase CheA und dem kleinen Protein CheW. Die Bindung extrazellulärer Liganden an die periplasmatische Rezeptordomäne bewirkt eine bisher wenig verstandene Konformationsänderung, die das Signal ins Zellinnere leitet und dort die Aktivität der Kinase reguliert. CheA phosphoryliert sich selbst und gibt die Phosphorylgruppe anschließend an das Regulatorprotein CheY weiter, das im phosphorylierten Zustand an den Geißelmotor bindet und dort eine Rotation im Uhrzeigersinn induziert. Eine schnelle Dephosphorylierung von Phospho-CheY wird durch die Phosphatase CheZ gewährleistet. Um auch in Gegenwart hoher Hintergrundkonzentrationen geringe Konzentrationsänderungen zu erkennen, besitzt das Chemotaxissystem einen Adaptationsmechanismus, der durch die Methyltransferase CheR und ihren Antagonisten, die Methylesterase CheB, vermittelt wird. Die beiden Enzyme methylieren bzw. demethylieren die Rezeptoren an bestimmten Glutamatresten und stimulieren bzw. schwächen dadurch die Fähigkeit der Rezeptoren, CheA zu aktivieren. Während CheR kontinuierBIOspektrum | 03.08 | 14. Jahrgang lich wirksam ist, handelt es sich bei CheB, wie bei CheY, um ein Regulatorprotein, das von CheA durch Phosphorylierung aktiviert wird. Dadurch entsteht eine negative Rückkopplung: Eine ligandeninduzierte Änderung der Kinaseaktivität bewirkt eine entgegengesetzte Regulation durch Rezeptormethylierung, bis die Kinase im vollständig adaptierten Zustand wieder ihre ursprüngliche Aktivität annimmt. Weil die Adaptation durch Methylierung langsamer arbeitet als die unmittelbare Signaltransduktion durch Phosphorylierung, wirkt sie als eine Art Kurzzeitgedächtnis vergangener Verhältnisse, das die Messung temporaler Konzentrationsänderungen ermöglicht. Signalverstärkung und Rezeptorkooperativität Trotz seines relativ einfachen Aufbaus verfügt das Chemotaxissystem über herausragende Fähigkeiten. Unter anderem besitzt es eine extrem hohe Sensitivität; selbst kleinste Konzentrationsänderungen von beispielsweise 10 nM Aspartat oder Glucose können eine chemotaktische Reaktion hervorrufen. Möglich ist dies durch eine starke Signalamplifikation; so wurde ermittelt, dass eine Bindung von nur 0,2 Prozent der Rezeptoren eine Änderung der Motorrotation um 23 Prozent bewirkt (gemessen an der relativen Dauer der Rotation im bzw. gegen den Uhrzeigersinn), was etwa einer Verstärkung um den Faktor 110 entspricht[2]. Lange Zeit blieb unverstanden, wie diese Amplifikation erreicht wird, bis neuere fluoreszenzmikroskopische Methoden es ermöglichten, die Signalverarbeitung in lebenden Zellen zu studieren. Durch Fluoreszenzkorrelationsspektroskopie (fluorescence correlation spectoscopy, FCS) wurde gezeigt, dass der Geißelmotor in kooperativer Weise auf Änderungen der Phospho-CheY-Konzentration anspricht, wodurch etwa eine vierfache Signalverstärkung erreicht wird[3]. Eine andere Methode, Fluoreszenz-Resonanz-Energietransfer (FRET; Abb. 3), wurde angewandt, um die Regulation der Kinaseaktivität durch die Rezeptoren zu untersuchen. Vor allem Messungen dieser Art haben maßgeblich zum Verständnis der Signalverarbeitung beigetragen und konnten zeigen, dass ein Großteil der Ampflifikation, etwa um den Faktor 30, auf Ebene der Rezeptor-Kinase-Komplexe stattfindet. Worauf beruht die Signalamplifikation der Rezeptor-KinaseKomplexe? Ursprünglich wurde angenommen, chemotaktische Reize würden durch einzelne, unabhängige Rezeptordimere, die jeweils eine Kinase kontrollieren, wahrgenommen, und durch die summierte Phosphorylierung eines gemeinsamen CheY-Vorrats integriert. Diese einfache Darstellung ist jedoch nicht in der Lage, die starke Amplifikation zu erklären. Immunoelektronen-[4] und fluoreszenzmikroskopische[5] Aufnahmen lassen erken- 225_261_BIOsp_0308.qxd 242 25.04.2008 9:43 Uhr Seite 242 WISSENSCHAFT ˚ Abb. 4: Rezeptorcluster. A, polare und laterale Cluster in E. coli, gefärbt durch fluoreszent markiertes CheR, das an die Rezeptoren bindet (Maßstab: 2 μm). B, C, Clustermodelle. Rezeptoren befinden sind entweder in einem aktiven oder in einem inaktiven Zustand (hell- bzw. dunkelbraun dargestellt), abhängig von der Bindung eines Lockstoffes (schwarze Punkte) und dem Aktivitätszustand benachbarter Rezeptoren. Cluster könnten entweder aus vielen kooperativen Einheiten bestehen, in denen alle Rezeptoren gemeinsam ihren Aktivitätszustand ändern (Monod-Wyman-Changeux-Modell; B), oder sie repräsentieren ein einziges, zusammenhängendes Rezeptornetzwerk, in dem lokale Aktivitätsänderungen auftreten (Ising-Modell; C). nen, dass Chemorezeptoren, zusammen mit CheA und CheW, große polare und laterale Strukturen bilden, so genannte Cluster, in denen tausende Rezeptor-Kinase-Komplexe miteinander wechselwirken (Abb. 4A). Man geht davon aus, dass diese Wechselwirkungen eine Kommunikation zwischen den Rezeptoren ermöglichen, die maßgeblich zur Signalverarbeitung beiträgt. Deutliche Hinweise in diese Richtung ergeben sich aus FRET-Messungen der Kinaseregulation durch verschiedene Rezeptortypen, die aufzeigen, dass Rezeptoren nicht unabhängig voneinander agieren, sondern mit Rezeptoren desselben oder eines anderen Rezeptortyps in kooperativer Weise zusammenarbeiten[6]. Computermodelle sind in der Lage, das Verhalten der Rezeptoren mathematisch zu beschreiben und erklären die Rolle der Kooperativität in der Signalverarbeitung. Man nimmt an, dass sich einzelne Rezeptoren wie ein Schalter verhalten, der sich, abhängig von Ligandenbindung und Methylierungsniveau, entweder in einem aktiven (Kinase-stimulierenden) oder einem inaktiven (Kinase-inhibierenden) Zustand befindet (two-state model). Innerhalb der Cluster, so die gängige Vorstellung, sind die Rezeptoren aneinander „gekoppelt“, das heißt sie stabilisieren ihren jeweiligen Aktivitätszustand bei benachbarten Rezeptoren und neigen deshalb dazu, gemeinsam von einem Zustand in den anderen zu schalten, wie es von allosterischen Multiproteinkomplexen bekannt ist. Ein Cluster könnte aus vielen dieser kooperativen Einheiten bestehen, wobei alle Rezeptoren einer Einheit durch ihre starke Kopplung gemeinsam zwischen aktiv und inaktiv schalten (Monod-Wyman-Changeux-Modell[7]; Abb. 4B). Alternativ könnte die gesamte Rezeptorpopulation ein einziges großes Netzwerk bilden, in dem die Rezeptoren durch eine begrenzte Reichweite der Rezeptorkopplung nur ihre unmittelbare Nachbarschaft beeinflussen und so lediglich lokale Aktivitätsänderungen bewirken, wie es in ähnlicher Weise für Ferromagneten beschrieben ist (IsingModell; Abb. 4C). Analysen beider Modelle zeigen, dass kooperative Rezeptoreinheiten bzw. benachbarte Rezeptoren wie hochsensible Antennen funktionieren, deren Sensitivität durch das Adaptationssystem optimal eingestellt wird, um sowohl auf positive als auch auf negative Stimuli zu reagieren, sodass schon die Bindung eines einzelnen Ligandenmoleküls ein Signal auslösen kann. Die Kooperativät zwischen den Rezeptoren ermöglicht dabei nicht nur eine Amplifikation, sondern auch eine Integration unterschiedlicher Signale durch Kopplung verschiedener Rezeptortypen. Das Chemotaxissystem von E. coli kann wohl als der am besten untersuchte Signaltransduktionsweg bezeichnet werden; die Fülle experimenteller Daten bietet ein ganzheitliches Bild des gesamten Netzwerks und ermöglicht es, nicht nur einzelne Schritte innerhalb der Signalkette, sondern das Verhalten ganzer Zellen in silico zu simulieren. Unser Wissen beschränkt sich jedoch auf die Verarbeitung diskreter Reize unter einfachen experimentellen Bedingungen; das chemotaktische Verhalten unter natürlichen Verhältnissen, in denen die Zelle einem komplexen Gemisch unterschiedlicher Reize begegnet, ist hingegen kaum untersucht. Hinzu kommt, dass Bakterien chemotaktische Signale nicht nur empfangen, sondern auch aussenden, beispielsweise durch die Sekretion metabolischer Produkte, das heißt eine Population von Bakterien ist nicht als eine Ansammlung einzelner Zellen zu verstehen, sondern als eine soziale Gemeinschaft, deren kooperatives Verhalten sich z. B. in der Organisation von Biofilmen zeigt. Die physiologische Rolle der Chemotaxis in solchen Gemeinschaften wird Gegenstand zukünftiger Forschung sein. ó Literatur [1] Berg, H. C. (2000): Motile behavior of bacteria. Phys. Today 12: 569–576. [2] Segall, J. E., Block, S. M., Berg, H. C. (1986): Temporal comparisons in bacterial chemotaxis. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 83: 8987–8991. [3] Cluzel, P., Surette, M., Leibler, S. (2000): An ultrasensitive bacterial motor revealed by monitoring signaling proteins in single cells. Science 287: 1652–1655. [4] Maddock, J. R., Shapiro, L. (1993): Polar location of the chemoreceptor complex in the Escherichia coli cell. Science 259: 1717–1723. [5] Sourjik, V., Berg, H. C. (2000): Localization of components of the chemotaxis machinery of Escherichia coli using fluorescent protein fusions. Mol. Microbiol. 37: 740–751. [6] Sourjik, V., Berg, H. C. (2004): Functional interactions between receptors in bacterial chemotaxis. Nature 428: 437–441. [7] Monod, J., Wyman, J., Changeux, J. P. (1965): On the nature of allosteric transitions: a plausible model. J. Mol. Biol. 12: 88–118. Korrespondenzadresse: Dr. Victor Sourjik Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH) Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 282 D-69120 Heidelberg Tel.: 06221-546858 Fax: 06221-545894 [email protected] www.zmbh.de/sourjik AUTOREN David Kentner Victor Sourjik 1997–2004 Studium der Biologie an der Universität Heidelberg. Seit 2004 Doktorand am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH). 1987–1993 Studium Physik und Molekularbiologie am Institut für Physik und Technologie in Moskau. 1994– 1997 Promotion an der Fakultät für Biologie der Universität Regensburg. 1998–2003 Postdoc bei Prof. Dr. Howard Berg an der Harvard University. Seit 2003 Nachwuchsgruppenleiter am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH). BIOspektrum | 03.08 | 14. Jahrgang