Kooperative Verarbeitung chemotaktischer Signale

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WISSENSCHAFT
Signaltransduktion in Bakterien
Kooperative Verarbeitung
chemotaktischer Signale bei E. coli
E. coli schwimmt Zick-Zack
angetrieben werden. Beobachtet man die
Bewegung einzelner Zellen unter dem Mikroskop, zeigt sich eine Art Zick-Zack-Lauf, ein
ständiger Wechsel zwischen „Schwimmen“
und „Taumeln“, hervorgerufen durch unterschiedliche Rotationsrichtungen der Geißelmotoren (Abb. 1). Beim Schwimmen drehen
die Geißeln gegen den Uhrzeigersinn, vom
Geißelende in Richtung Zelle betrachtet, und
bilden gemeinsam ein Bündel, das die Zelle
nach vorne treibt. Bei einer Rotation im Uhrzeigersinn fällt das Bündel auseinander, und
die Zelle torkelt antriebslos im Medium, bis
sich die Drehrichtung erneut ändert und das
Bakterium in einer zufälligen Richtung weiterschwimmt. Eine Steuerung der Bewegung
wird dadurch erreicht, dass chemische Reize
die relative Wahrscheinlichkeit bzw. Dauer
von Schwimmen und Taumeln beeinflussen:
Höhere Lockstoff- und niedrigere Schreckstoffkonzentrationen stimulieren das Schwimmen, damit sich die Zelle in deren Richtung
fortbewegt, während niedrigere Lockstoffund höhere Schreckstoffkonzentrationen die
Zelle veranlassen zu taumeln und eine neue
Richtung einzuschlagen[1].
E. coli schwimmt mithilfe von vier bis sechs
peritrich (rundum) verteilten Geißeln, die
durch den Protonengradienten zur Rotation
Die chemotaktische Signaltransduktion
DAVID KENTNER, VICTOR SOURJIK
ZENTRUM FÜR MOLEKUL ARE BIOLOGIE DER UNIVERSITÄT HEIDELBERG (ZMBH)
Die Chemotaxis von Bakterien beruht auf kooperativen Rezeptor-Wechselwirkungen. Sie zeigen eindrucksvoll, wie das Zusammenspiel vieler Sensoren Leistungen ermöglicht, die jene einzelner Sensoren bei weitem
übertreffen.
Chemotaxis in bacteria relies on cooperative receptor interactions for
optimal signal processing.
ó Bakterien zeigen sich den meisten Forschern im Labor lediglich als unbewegliche
Kolonie auf einer Nährstoffplatte. Unter dem
Mikroskop jedoch offenbaren viele dieser
Organismen eine für ihre Größe erstaunliche
Mobilität. Bakterien gleiten oder kriechen auf
Oberflächen oder schwimmen mithilfe von
Geißeln. Ihre Bewegungen sind nur scheinbar zufällig; die meisten beweglichen Bakterien sind in der Lage, sich an chemischen Reizen zu orientieren (Chemotaxis), manche Spezies reagieren zudem auf Licht oder mechanische Stimuli, und einige richten sich sogar
nach dem Magnetfeld. Diese Fähigkeiten
ermöglichen es den Zellen, schnell optimale
Wachstumsbedingungen zu finden.
Die Wahrnehmung taktischer Reize beruht
auf einem konservierten Signaltransduktionsweg, der zu den für Prokaryoten typischen
Zwei-Komponenten-Systemen zählt. Am
besten untersucht ist das Chemotaxissystem
des Darmbakteriums Escherichia coli, das auf
verschiedene Zucker, Aminosäuren und
Dipeptide, aber auch pH, Temperatur und
Redoxpotenzial reagiert, um sich gezielt auf
Lockstoffe zu und von Schreckstoffen weg zu
bewegen.
˚ Abb. 1: Chemotaktische Bewegung einer E. coli-Zelle. Schwimmbewegungen werden ständig
von kurzen Stopps unterbrochen, in denen die Zelle taumelt und eine zufällige neue Richtung einschlägt. Zunehmende Lockstoffkonzentrationen und abnehmende Schreckstoffkonzentrationen
stimulieren längere Schwimmperioden, sodass sich die Zelle weiter in diese Richtung bewegt.
Chemotaktische Stimuli werden durch
bestimmte Transmembranrezeptoren wahrgenommen, die Methylakzeptierenden Chemotaxisproteine (MCP; Abb. 2). E. coli besitzt
fünf verschiedene Rezeptoren, die jeweils auf
spezifische Reize ansprechen. Die beiden
Hauptrezeptoren Tsr (für Serin) und Tar (für
Aspartat und Maltose) kommen in mehreren
tausend Kopien pro Zelle vor, während die
Nebenrezeptoren Trg (für Ribose, Glucose und
Galaktose), Tap (für Dipeptide) und Aer (für
Redoxpotenzial) nur einen geringen Teil der
Rezeptorpopulation ausmachen.
Zwei Rezeptormoleküle desselben Typs formen ein Homodimer (im Folgenden als einzelner Rezeptor bezeichnet). Die Rezeptorstruktur lässt sich in eine periplasmatische
und eine zytoplasmatische Domäne unterteilen. Auf zytoplasmatischer Seite bilden die
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˘ Abb. 2: Die chemotaktische Signaltransduktion. Chemorezeptoren (MCP) binden Lock- und
Schreckstoffe und regulieren die Aktivität der
Kinase CheA (A), die mithilfe von CheW (W) an
den zytoplasmatischen Teil der Rezeptoren
gekoppelt ist. CheA phosphoryliert (P) CheY (Y)
und CheB (B). Phospho-CheY bindet an den Geißelmotor und induziert eine Rotation im Uhrzeigersinn, was zum Taumeln der Zelle führt. Die
Phosphatase CheZ (Z) katalysiert die Dephosphorylierung von CheY. CheR (R) und CheB (B)
methylieren bzw. demethylieren die Rezeptoren
zur Adaptation an kontinuierliche Lock- bzw.
Schreckstoffstimulation.
˘ Abb. 3: Messung der Kinaseaktivität durch Fluoreszenz-ResonanzEnergietransfer (FRET). A, Die Wechselwirkung zwischen einer CheZFusion an das Cyane (CFP) und einer CheY-Fusion an das Gelbe Fluoreszenzprotein (YFP) bewirkt eine Umwandlung von CFP- in YFP-Emissionslicht durch FRET. Die Bindung der beiden Fusionsproteine ist abhängig
von der Phosphorylierung von CheY durch CheA und deshalb direkt proportional zur Kinaseaktivität. B, Anhand der FRET-Effizienz lässt sich die
Kinaseregulation durch chemotaktische Stimulation in Echtzeit verfolgen.
Man beachte die Adaptation an fortwährende Lockstoffstimulation und
die anschließende Reaktion auf die Wegnahme des Lockstoffes.
Rezeptoren einen stabilen
ternären Komplex mit der Histidin-Kinase CheA und dem kleinen Protein CheW. Die Bindung
extrazellulärer Liganden an die
periplasmatische Rezeptordomäne bewirkt eine bisher wenig verstandene Konformationsänderung, die das Signal ins Zellinnere leitet und dort die Aktivität
der Kinase reguliert. CheA phosphoryliert sich selbst und gibt die
Phosphorylgruppe anschließend
an das Regulatorprotein CheY
weiter, das im phosphorylierten
Zustand an den Geißelmotor bindet und dort eine Rotation im
Uhrzeigersinn induziert. Eine
schnelle Dephosphorylierung von
Phospho-CheY wird durch die
Phosphatase CheZ gewährleistet.
Um auch in Gegenwart hoher
Hintergrundkonzentrationen
geringe Konzentrationsänderungen zu erkennen, besitzt das Chemotaxissystem einen Adaptationsmechanismus, der durch die
Methyltransferase CheR und
ihren Antagonisten, die Methylesterase CheB, vermittelt wird.
Die beiden Enzyme methylieren
bzw. demethylieren die Rezeptoren an bestimmten Glutamatresten und stimulieren bzw.
schwächen dadurch die Fähigkeit
der Rezeptoren, CheA zu aktivieren. Während CheR kontinuierBIOspektrum | 03.08 | 14. Jahrgang
lich wirksam ist, handelt es sich
bei CheB, wie bei CheY, um ein
Regulatorprotein, das von CheA
durch Phosphorylierung aktiviert
wird. Dadurch entsteht eine negative Rückkopplung: Eine ligandeninduzierte Änderung der
Kinaseaktivität bewirkt eine entgegengesetzte Regulation durch
Rezeptormethylierung, bis die
Kinase im vollständig adaptierten Zustand wieder ihre ursprüngliche Aktivität annimmt.
Weil die Adaptation durch Methylierung langsamer arbeitet als die
unmittelbare Signaltransduktion
durch Phosphorylierung, wirkt
sie als eine Art Kurzzeitgedächtnis vergangener Verhältnisse, das
die Messung temporaler Konzentrationsänderungen ermöglicht.
Signalverstärkung und
Rezeptorkooperativität
Trotz seines relativ einfachen
Aufbaus verfügt das Chemotaxissystem über herausragende
Fähigkeiten. Unter anderem
besitzt es eine extrem hohe Sensitivität; selbst kleinste Konzentrationsänderungen von beispielsweise 10 nM Aspartat oder
Glucose können eine chemotaktische Reaktion hervorrufen.
Möglich ist dies durch eine starke Signalamplifikation; so wurde
ermittelt, dass eine Bindung von
nur 0,2 Prozent der Rezeptoren
eine Änderung der Motorrotation um 23 Prozent bewirkt
(gemessen an der relativen Dauer der Rotation im bzw. gegen den
Uhrzeigersinn), was etwa einer
Verstärkung um den Faktor 110
entspricht[2]. Lange Zeit blieb
unverstanden, wie diese Amplifikation erreicht wird, bis neuere fluoreszenzmikroskopische
Methoden es ermöglichten, die
Signalverarbeitung in lebenden
Zellen zu studieren. Durch Fluoreszenzkorrelationsspektroskopie (fluorescence correlation spectoscopy, FCS) wurde gezeigt, dass
der Geißelmotor in kooperativer
Weise auf Änderungen der
Phospho-CheY-Konzentration
anspricht, wodurch etwa eine
vierfache Signalverstärkung erreicht wird[3]. Eine andere Methode, Fluoreszenz-Resonanz-Energietransfer (FRET; Abb. 3), wurde
angewandt, um die Regulation
der Kinaseaktivität durch die
Rezeptoren zu untersuchen. Vor
allem Messungen dieser Art
haben maßgeblich zum Verständnis der Signalverarbeitung
beigetragen und konnten zeigen,
dass ein Großteil der Ampflifikation, etwa um den Faktor 30, auf
Ebene der Rezeptor-Kinase-Komplexe stattfindet.
Worauf beruht die Signalamplifikation der Rezeptor-KinaseKomplexe? Ursprünglich wurde
angenommen, chemotaktische
Reize würden durch einzelne,
unabhängige Rezeptordimere, die
jeweils eine Kinase kontrollieren,
wahrgenommen, und durch die
summierte Phosphorylierung
eines gemeinsamen CheY-Vorrats
integriert. Diese einfache Darstellung ist jedoch nicht in der
Lage, die starke Amplifikation zu
erklären. Immunoelektronen-[4]
und
fluoreszenzmikroskopische[5] Aufnahmen lassen erken-
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˚ Abb. 4: Rezeptorcluster. A, polare und
laterale Cluster in E. coli, gefärbt durch fluoreszent markiertes CheR, das an die Rezeptoren bindet (Maßstab: 2 μm). B, C, Clustermodelle. Rezeptoren befinden sind entweder
in einem aktiven oder in einem inaktiven
Zustand (hell- bzw. dunkelbraun dargestellt),
abhängig von der Bindung eines Lockstoffes
(schwarze Punkte) und dem Aktivitätszustand benachbarter Rezeptoren. Cluster
könnten entweder aus vielen kooperativen
Einheiten bestehen, in denen alle Rezeptoren gemeinsam ihren Aktivitätszustand
ändern (Monod-Wyman-Changeux-Modell;
B), oder sie repräsentieren ein einziges,
zusammenhängendes Rezeptornetzwerk, in
dem lokale Aktivitätsänderungen auftreten
(Ising-Modell; C).
nen, dass Chemorezeptoren, zusammen mit
CheA und CheW, große polare und laterale
Strukturen bilden, so genannte Cluster, in
denen tausende Rezeptor-Kinase-Komplexe
miteinander wechselwirken (Abb. 4A). Man
geht davon aus, dass diese Wechselwirkungen eine Kommunikation zwischen den
Rezeptoren ermöglichen, die maßgeblich zur
Signalverarbeitung beiträgt. Deutliche Hinweise in diese Richtung ergeben sich aus
FRET-Messungen der Kinaseregulation durch
verschiedene Rezeptortypen, die aufzeigen,
dass Rezeptoren nicht unabhängig voneinander agieren, sondern mit Rezeptoren desselben oder eines anderen Rezeptortyps in
kooperativer Weise zusammenarbeiten[6].
Computermodelle sind in der Lage, das Verhalten der Rezeptoren mathematisch zu
beschreiben und erklären die Rolle der Kooperativität in der Signalverarbeitung. Man
nimmt an, dass sich einzelne Rezeptoren wie
ein Schalter verhalten, der sich, abhängig von
Ligandenbindung und Methylierungsniveau,
entweder in einem aktiven (Kinase-stimulierenden) oder einem inaktiven (Kinase-inhibierenden) Zustand befindet (two-state model).
Innerhalb der Cluster, so die gängige Vorstellung, sind die Rezeptoren aneinander
„gekoppelt“, das heißt sie stabilisieren ihren
jeweiligen Aktivitätszustand bei benachbarten Rezeptoren und neigen deshalb dazu,
gemeinsam von einem Zustand in den anderen zu schalten, wie es von allosterischen
Multiproteinkomplexen bekannt ist. Ein Cluster könnte aus vielen dieser kooperativen Einheiten bestehen, wobei alle Rezeptoren einer
Einheit durch ihre starke Kopplung gemeinsam zwischen aktiv und inaktiv schalten
(Monod-Wyman-Changeux-Modell[7]; Abb.
4B). Alternativ könnte die gesamte Rezeptorpopulation ein einziges großes Netzwerk
bilden, in dem die Rezeptoren durch eine
begrenzte Reichweite der Rezeptorkopplung
nur ihre unmittelbare Nachbarschaft beeinflussen und so lediglich lokale Aktivitätsänderungen bewirken, wie es in ähnlicher Weise für Ferromagneten beschrieben ist (IsingModell; Abb. 4C). Analysen beider Modelle
zeigen, dass kooperative Rezeptoreinheiten
bzw. benachbarte Rezeptoren wie hochsensible Antennen funktionieren, deren Sensitivität durch das Adaptationssystem optimal
eingestellt wird, um sowohl auf positive als
auch auf negative Stimuli zu reagieren, sodass
schon die Bindung eines einzelnen Ligandenmoleküls ein Signal auslösen kann. Die
Kooperativät zwischen den Rezeptoren
ermöglicht dabei nicht nur eine Amplifikation, sondern auch eine Integration unterschiedlicher Signale durch Kopplung verschiedener Rezeptortypen.
Das Chemotaxissystem von E. coli kann
wohl als der am besten untersuchte Signaltransduktionsweg bezeichnet werden; die Fülle experimenteller Daten bietet ein ganzheitliches Bild des gesamten Netzwerks und
ermöglicht es, nicht nur einzelne Schritte
innerhalb der Signalkette, sondern das Verhalten ganzer Zellen in silico zu simulieren.
Unser Wissen beschränkt sich jedoch auf die
Verarbeitung diskreter Reize unter einfachen
experimentellen Bedingungen; das chemotaktische Verhalten unter natürlichen Verhältnissen, in denen die Zelle einem komplexen Gemisch unterschiedlicher Reize
begegnet, ist hingegen kaum untersucht. Hinzu kommt, dass Bakterien chemotaktische
Signale nicht nur empfangen, sondern auch
aussenden, beispielsweise durch die Sekretion metabolischer Produkte, das heißt eine
Population von Bakterien ist nicht als eine
Ansammlung einzelner Zellen zu verstehen,
sondern als eine soziale Gemeinschaft, deren
kooperatives Verhalten sich z. B. in der Organisation von Biofilmen zeigt. Die physiologische Rolle der Chemotaxis in solchen Gemeinschaften wird Gegenstand zukünftiger Forschung sein.
ó
Literatur
[1] Berg, H. C. (2000): Motile behavior of bacteria. Phys.
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chemoreceptor complex in the Escherichia coli cell. Science
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[5] Sourjik, V., Berg, H. C. (2000): Localization of components
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[6] Sourjik, V., Berg, H. C. (2004): Functional interactions between receptors in bacterial chemotaxis. Nature 428:
437–441.
[7] Monod, J., Wyman, J., Changeux, J. P. (1965): On the nature of allosteric transitions: a plausible model. J. Mol. Biol. 12:
88–118.
Korrespondenzadresse:
Dr. Victor Sourjik
Zentrum für Molekulare Biologie der Universität
Heidelberg (ZMBH)
Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 282
D-69120 Heidelberg
Tel.: 06221-546858
Fax: 06221-545894
[email protected]
www.zmbh.de/sourjik
AUTOREN
David Kentner
Victor Sourjik
1997–2004 Studium der
Biologie an der Universität Heidelberg. Seit
2004 Doktorand am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH).
1987–1993 Studium Physik und Molekularbiologie am Institut für Physik
und Technologie in Moskau. 1994–
1997 Promotion an der Fakultät für
Biologie der Universität Regensburg.
1998–2003 Postdoc bei Prof. Dr. Howard Berg an der Harvard University.
Seit 2003 Nachwuchsgruppenleiter
am Zentrum für Molekulare Biologie
der Universität Heidelberg (ZMBH).
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