Anomalien

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12 ANOMALIEN
12
Anomalien
In der Lagrange-Feldtheorie spiegeln sich Symmetrien der Theorie durch entsprechende
Symmetrien in der Lagrangedichte wieder. In diesem Zusammenhang spricht man von
einer klassischen Symmetrie.
Nun gibt es keine Garantie, dass solche Symmetrien der Lagrangedichte auf dem Quantenniveau erhalten bleiben. Wenn eine klassische Symmetrie im Prozeß der Quantisierung
nicht aufrechterhalten werden kann, so hat die Theorie eine Anomalie.
Man unterscheidet zwischen der Anomalie, welche eine globale Symmetrie verletzt, und
der Eichanomalie, die eine Eichsymmetrie verletzt.29 Im letzteren Fall werden die Theorien
inkonsistent, daher fordert man für eine Eichtheorie, dass sich die Eichanomalien wegheben.
Im Folgenden werden Anomalien globaler Symmetrien betrachtet.
12.1
Historische Vorbemerkung: Anomalien und Dreiecksdiagramme
Historisch wurden die Anomalien in der perturbativen Quantenfeldtheorie entdeckt. Es stellt sich heraus, dass das rechtsstehende Diagramm divergiert, wobei die Divergenz nicht durch
einen (üblichen) Counter-Term beseitigt werden kann. In vielen Situationen addieren sich aber die Divergenzen solcher
Diagramme zu 0, d.h. die Anomalien heben sich weg.
Allerdings ist die Anomalie kein perturbativer Effekt. In
der diagrammatischen Behandlung fällt es schwer, zu sehen,
dass, wenn sich die rechtsstehenden Diagramme wegheben, nicht auf einem höheren LoopNiveau doch noch Divergenzen auftreten könnten, die Probleme bereiten. In der nichtperturbativen, auf dem Pfadintegral basierenden Behandlung, die wir im Folgenden diskutieren werden, werden wir sehen, dass das nicht der Fall ist.
12.2
(i)
Abelsche Anomalie
Chiralen Symmetrie
Ausgangspunkt ist die Lagrangedichte eines masselosen Diracfeldes
1
L = i Ψγ µ (∂µ − i g Aµ ) Ψ − tr(Fµν F µν ) .
2
Diese Lagrangedichte weist neben der lokalen Symmetrie
Ψ → UΨ
(12.1)
und Aµ → U −1 {Aµ + ∂µ } U
mit der Eichtransformation U auch noch eine sog. chirale Symmetrie auf,
Ψ → ei α γ5 Ψ
und Ψ → Ψ ei α γ5 .
(12.2)
Dies ist eine globale Symmetrie, d.h. α hängt nicht von x ab. Ein Massenterm m Ψ Ψ
würde die chirale Symmetrie brechen.
Der zur chiralen Symmetrie gehörige Noetherstrom ist
j5µ = Ψ γ µ γ5 Ψ .
Auf dem klassischen Niveau ist dieser Strom natürlich erhalten, d.h.
∂µ j5µ = 0
29 Darüber
(klassisch) .
hinaus gibt es gravitationelle Anomalien und Witten-Anomalien.
(12.3)
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12 ANOMALIEN
(ii)
Anomale Nicht-Erhaltung von j5
Jetzt soll die Situation im Rahmen der Quantenfeldtheorie untersucht werden. Dazu betrachtet man beispielsweise die Größe
Z
Z
B =
DΨ DΨ exp i d4 x Ψ
DΨ .
(12.4)
Wesentlich ist jetzt die Überlegung, dass diese Größe unter einer Transformation der In”
tegrationsvariablen“, d.h. der Felder Ψ und Ψ, invariant sein sollte. Wir wählen für diese
eine infinitesimale lokale chirale Transformation (12.2)
Ψ(x) → Ψ(x) + i α(x) γ5 Ψ(x) ,
Ψ(x) → Ψ(x) + i Ψ(x) α(x) γ5
(12.5a)
(12.5b)
durch. Offensichtlich ist, dass die Lagrangedichte nicht invariant ist unter (12.5), sondern
transformiert wie
(12.5)
L −−−−→ L − (∂µ α) Ψ γ µ γ5 Ψ .
| {z }
(12.6)
=j5µ
Des Weiteren kann man zeigen, dass sich das Integrationsmaß ebenfalls ändert.30 Hierzu
zerlegen wir die Felder
X
X
b̄n ψn† .
(12.7)
Ψ =
an ψn , Ψ =
n
n
Dabei sind ai und bi Grassmann-Variablen und die ψn Eigenvektoren zum Dirac-Operator
D ψn = λn ψn .
i
(12.8)
Letztere sollen orthonormiert sein
Z
hψn |ψm i :=
d4 x ψn† (x) ψm (x) = δnm .
Man wählt auch oft die aus der Quantenmechanik gewohnte Darstellung
ψm (x) = hx|mi .
(12.9)
Bei einer infinitesimalen Transformation kann man die Veränderung alleine auf die an bzw.
b̄n abwälzen,
X
Ψ′ (x) = (1 + i α γ5 ) Ψ(x) =
a′n ψn (x) ,
n
′
Ψ (x)
=
Ψ(x) (1 + i α γ5 ) =
X
b̄′n ψn† (x) ,
(12.10)
n
wobei
a′n
=
X
Cnm am ,
(12.11a)
Cnm b̄n ,
(12.11b)
m
b′m
=
X
n
30 Dies wurde zuerst von Fujikawa im Jahr 1979 festgestellt. Deswegen trägt die nun folgende Behandlung
von Anomalien mit dem Pfadintegral den Namen Fujikawa-Methode“.
”
183
12 ANOMALIEN
Hierbei ist
Cnm = δnm + i
Z
d4 x α(x) ψn† (x) γ5 ψm (x) .
(12.12)
Das Integralmaß für a-Zahlen transformiert mit dem Inversen der Determinante der Transformation C (siehe Gleichung (D.32)),
Y
Y
da′n = det(C)−1
dan ,
(12.13a)
Y
n
db̄′m
−1
=
det(C)
Y
db̄m ,
(12.13b)
m
wobei
det(C)
Z
= exp(tr ln C) = exp Tr ln δnm + i d4 x α(x) ψn† (y) γ5 ψm (y)
†
≈ exp Tr i α(x) ψm
(y) γ5 ψn (y) .
(12.14)
Die Spur Tr“ ist sowohl über die Indizes n, m als auch über die Diracindizes zu nehmen. Da
”
wir infinitesimale Transformationen betrachten, kann das ≈“ durch ein Gleichheitszeichen
”
ersetzt werden.
Insgesamt erhalten wir
Z
4
(12.15)
DΨ DΨ → exp −2i d x α(x) A (x) DΨ DΨ .
Dabei wurde die Anomalie-Funktion
X
A (x) :=
ψn† (x) γ5 ψn (x)
(12.16)
n
eingeführt.
Regularisierung von A . Die Anomalie-Funktion (12.16) ist nicht wohldefiniert. Um
sie auszuwerten, muß die Summe regularisiert werden. Wir bewerkstelligen dies, indem wir
einen Faktor exp(−λ2n /M 2 ) einführen und M am Ende gegen ∞ schicken,
X
ψn† (x) γ5 ψn (x) → lim ψn† (x) γ5 ψn (x) exp −(λn /M )2
n
M→∞
lim ψn† (x) γ5 exp −(i
D/M )2 ψn (x)
M→∞
X f γ5 exp −(i
D/M )2 ψn (x) ψn† (x) .
=
lim
Tr
=
M→∞
(12.17)
n
f die Spur über die Darstellungs-Indizes i, j und Dirac-Indizes α, β.
Hierbei bezeichnet Tr“
”
Wir können also schreiben
X
αβ
A = lim γ5 exp −(i
D/M )2 ij lim
(12.18)
[ψn (x)]jβ [ψn† (y)]iα ,
y→x
M→∞
n
denn der hintere Ausdruck ist proportional zu δαβ δ ij ,
X
X
[ψn (x)]jβ [ψn† (y)]iα = δαβ δ ij
hx|mi hm|yi
n
= δαβ δ ij
= δαβ δ ij
Z
m
d4 k
hx|ki hk|yi
(2π)4
Z
d4 k −i k·x i k·y
e
e
.
(2π)4
(12.19)
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12 ANOMALIEN
Somit haben wir
A (x) =
lim
M→∞
Z
d4 k f
(i
D)2
−i k·x
i k·x
.
e
Tr
γ
e
exp
−
5
(2π 4 )
M2
(12.20)
Nun verwenden wir (7.15), [Dµ , Dν ] = −i g Fµν , um das Quadrat des Dirac-Operators
umzuformen,
1 µ ν
1
(i
D)2 = −γ µ γ ν Dµ Dν = −
{γ , γ } + [γ µ , γ ν ] Dµ Dν
2
2
g µ ν
ν
(12.21)
= −Dµ D + i [γ , γ ] Fµν
4
und
ei k·x f (∂µ ) e−i k·x = f (∂µ − i kµ )
für beliebige Funktionen f . Damit ist
Z
d4 k f
(i Dµ + kµ ) (i Dµ + k µ )
γ µ γ ν Fµν
A (x) =
lim
Tr
γ
exp
−
−
i
g
.
5
M→∞
(2π)4
M2
2M 2
(12.22)
Beachte nun, dass
trD γ5 = trD γ5 γ µ γ ν = 0 und
trD γ5 γ µ γ ν γ ρ γ σ = 4i εµνρσ ,
wo trD die Spur über Dirac-Indizes bezeichnet. Damit sieht man durch Entwicklung der
Exponentialfunktion und der Beobachtung, dass Terme mit mehr als vier Potenzen von
M im Nenner im Limes M → ∞ verschwinden, dass nur der Fµν -Term überlebt,
Z
µ
2
1
d4 k
1
e µν Fρσ ) .
ek kµ /M (−4 g 2 ) i εµνρσ tr(F
A (x) =
lim
4
2
2
M→∞ 2!
(2π) (2M )
(12.23)
Das k-Integral kann mit einer Wick-Rotation ausgerechnet werden,
Z
Z
1
1 0
e2
4
−kµ kµ /M 2
3
(k , −i ~k) .
d ke
= (−i)
d4 kE e−k = i π 2 mit e
k :=
M4
M
Dies führt uns schließlich auf
A (x) =
g2
tr{Fµν Fe µν } .
16π 2
(12.24)
tr“ bezeichnet darin die (übliche) Spur über die Gruppenindizes.
”
Ist nun der Exponentialfaktor in (12.15) von 1 verschieden, so ändert die Größe B unter
der Transformation der Integrationsvariablen ihre funktionale Gestalt,
Z
Z
.(12.25)
D Ψ(x) + α(x) ∂µ j5µ − 2 α(x) A (x)
B →
DΨ DΨ exp i d4 x Ψ(x)
Dabei wurde einmal partiell integriert. Soll B invariant sein unter der Änderung der Integrationsvariablen, so muß – da α(x) beliebig ist – gelten
∂µ j5µ = 2 A (x) .
(12.26)
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12 ANOMALIEN
Das zeigt, dass der aus der globalen Symmetrie folgende Noetherstrom auf dem Quantenniveau nicht erhalten ist, sofern A 6= 0. Man spricht von der chiralen Anomalie.
Insbesondere läßt sich damit die Nicht-Erhaltung des chiralen Stromes alleine durch den
Feldstärketensor ausdrücken,
∂µ j5µ =
g2
tr{Fµν Fe µν } .
8π 2
(12.27)
Die obige Rechnung kann leicht dahingehend erweitert werden, dass die chirale Transformation durch einen Generator T erzeugt wird, d.h. die globale chirale Symmetrie ist
Ψ → exp(i α T γ5 ) Ψ .
(12.28)
Dann ist
A (x) =
(iii)
g 2 a e µν b
F F
tr [Ta Tb T] .
8π 2 µν
(12.29)
Anomalien und Chiralität
D mit Eigenwert
Da für jeden Eigenvektor ψn der Vektor γ5 ψn ebenfalls Eigenvektor zu i
−λn ist,
i
D γ5 ψn = − γ5 i
D ψn = − γ5 λn ψn = − λn γ5 ψn ,
gilt für λn 6= 0: ψn ⊥ γ5 ψn , und es tragen in der Anomalie-Funktion (12.16)
X
ψn† (x) γ5 ψn (y)
n
nur die Null-Moden, d.h. die Eigenvektoren zu Eigenwert 0, bei.
Den Raum der Null-Moden entwickeln wir nach Eigenzuständen zu γ5 ,
γ5 |0, ni± = ± |0, ni± ,
(12.30)
und erhalten für das Integral über die Anomaliefunktion
Z
X
X
d4 x A (x) =
+ h0, n|0, ni+ −
− h0, n|0, ni− = ν+ − ν− .
n
(12.31)
n
Dabei ist ν+ bzw. ν− die Zahl der Nullmoden mit positiver bzw. negativer Chiralität.
Fazit: Nur in chiralen Theorien, d.h. Theorien mit einer unterschiedlichen Anzahl an
links- bzw. rechtshändigen Fermionen in einer Darstellung, können Anomalien auftreten.
12.3
Anomalien und Instantonen
Wir hatten bei der Diskussion der Instantonen gesehen, dass in einer SU(2) Eichtheorie die
Größe tr(Fµν Feµν ) topologisch“ ist (vgl. (11.19)), d.h. das Integral darüber ist proportional
”
zu einer ganzen Zahl n,
Z
8π 2
(12.32)
d4 x tr F µν Feµν = − 2 n .
g
Wir hatten auch gesehen, dass Instantonen im Minkowski-Raum als Tunnelprozesse zwischen verschiedenen Vakua interpretiert werden können, bzw. etwas exakter als topologisch
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12 ANOMALIEN
nicht-triviale Übergänge des θ-Vakuums in sich selbst. Mit der Diskussion aus diesem Abschnitt haben wir einen Zusammenhang zwischen dem Integranden in (12.32) und der
anomalen Nicht-Erhaltung des klassischen Stroms j5 erarbeitet. Definiere nun eine klassische Ladung
Z
Q5 =
d3 x j50 .
(12.33)
Gleichung (12.27) impliziert, dass Q5 nicht erhalten ist, sondern dass in Anwesenheit eines
Instantonprozesses
∆Q5
=
dt Q̇5 =
ZT+
dt
ZT+
dt NCS = n .
T−
=
dt ∂t
T−
T−
=
ZT+
ZT+
Z
d3 x j50
−g 2 e µν
F
tr
F
µν
8π 2
(12.34)
T−
D.h., die Ladung Q5 ändert sich in Anwesenheit eines Instanton-Prozesses um n Einheiten,
wo n die Instanton-Zahl bezeichnet. M.a.W., nicht-triviale Übergänge des θ-Vakuums in
sich selbst gehen einher mit einer Verletzung des klassischen Erhaltungssatzes Q̇5 = 0.
Die obige Diskussion findet auch für den Fall Anwendung, dass man anstatt einer SU(2)
Eichthheorie eine Eichtheorie basierend auf der Gruppe G, die SU(2) enthält, d.h. G ⊂
SU(2) (etwa G = SU(3)), betrachtet.
Bemerkung: Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik ist eine chirale Theorie.
Es stellt sich heraus, dass sich alle Eichanomalien wegheben. Allerdings gibt es globale
Baryon-Zahl (B) bzw. Lepton-Zahl (L) Symmetrien U(1)B bzw. U(1)L . Die Linearkombination B −L ist anomalienfrei. Die Kombination B +L hingegen ist anomal; man vermutet
heute, dass dies maßgeblich für die Entstehung der Materie, sprich der Asymmetrie zwischen Baryonen und Anti-Baryonen im frühen Universum, war.
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