Bestrafung als Mittel der Verhaltensmodifikation Autor: Benjamin Heyde Matrikelnummer: 23057 4. Semester Studiengang: Psychologie/Erziehungswissenschaft Abgabedatum: 04.08.2008 Lehrveranstaltung: Interventionsmöglichkeiten bei Verhaltensstörungen Dozentin: Silvia Andrée Fachgebiet: Psychologie Fakultät: Erziehungswissenschaftliche Fakultät Universität: Universität Erfurt -2- Inhaltsverzeichnis 1. Bestrafung ....................................................................................................................................... - 3 1.1 Bestrafung: Das Gegenteil von Verstärkung?............................................................................ - 3 1.2 Die Effektivität von Bestrafung.................................................................................................. - 4 1.3 Nachteile von Bestrafung .......................................................................................................... - 6 1.4 Bestrafung zweiter Art oder Negative Bestrafung .................................................................... - 8 2. Verhaltensabbau in der Verhaltenstherapie ................................................................................... - 9 2.1 Positive Bestrafung .................................................................................................................... - 9 2.2 Negative Bestrafung ................................................................................................................ - 11 2.3 Weitere Techniken des Verhaltensabbaus.............................................................................. - 13 2.4 Der Streit um den Einsatz aversiver Reize ............................................................................... - 16 Literaturverzeichnis ........................................................................................................................... - 18 - -3- In der folgenden Arbeit geht es um das Mittel der Bestrafung und wie diese angewandt wird, um ein Verhalten zu formen oder zu modifizieren. Ich werde zuerst den Begriff Bestrafung definieren, die zwei Arten von Bestrafung näher erläutern und dann auf experimentelle Erkenntnisse zum Thema Bestrafung eingehen. Im zweiten Teil dieser Arbeit werde ich dann Möglichkeiten erläutern, wie Bestrafung in der Verhaltenstherapie eingesetzt wird, um unerwünschtes Verhalten zu reduzieren. 1. Bestrafung Nach psychologischer Definition ist Bestrafung die Gabe eines Bestrafungsreizes in der Folge einer Reaktion. Es wurden zwei Arten der Bestrafung erforscht. Bestrafung erster Art bedeutet, dass auf ein Verhalten die Verabreichung eines aversiven Reizes folgt. Wenn aber auf ein Verhalten der Wegfall eines Angenehmen Reizes folgt, so heißt dies Bestrafung zweiter Art oder auch negative Bestrafung. Ein Bestrafungsreiz ist jeder Stimulus, welcher die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion im Laufe der Zeit senkt (vgl. Zimbardo & Gerrig, 2004). Als Schaubild dient die Abbildung auf der Titelseite. 1.1 Bestrafung: Das Gegenteil von Verstärkung? Im Gegensatz zu Verstärkung fördert Bestrafung eine Abnahme eines Verhaltens. Bestrafung könnte man daher als das Gegenteil von Verstärkung ansehen, da Verstärkung eine Zunahme eines Verhaltens bewirkt. Diese Frage kann jedoch nur empirisch beantwortet werden. Die Psychologen Thorndike und Skinner haben mit Experimenten versucht dieser Frage auf den Grund zu gehen. Aus den Versuchen schloss Skinner, dass Bestrafung eine „vorübergehende Unterdrückung" des Verhaltens bewirkt, nicht aber eine dauerhafte Wirkung erzielt. Thorndike und Skinner haben daher die oben genannte empirische Frage verneint. Die Wirkung von Bestrafung ist der Wirkung von Verstärkung nicht genau entgegengesetzt. Doch gibt es auch Kritik zu dieser Aussage. Diese bezieht sich darauf, dass in den Experimenten nicht nur die Wirkung von Bestrafung von kurzer Dauer war, sondern auch der Strafstimulus. Zudem sind die Effekte von positiver Verstärkung, auf die gleiche Weise nur kurzfristig anhaltend. Operante Reaktionen werden also nach Wegfall eines Verstärkers auf ähnliche Weise gelöscht. In weiteren Forschungen wurde beispielsweise untersucht, wie sich die Wirkung einer dauerhaften Bestrafungskontingenz auswirkt. Es zeigte sich dennoch, dass teilweise die Abnahme eines Verhaltens nur vorübergehend war. In einem Experiment (vgl. Azrin, 1960; Rachlin, 1966, zitiert nach Mazur, 2004) bekamen Tauben milde und starke Elektroschocks. Bei beiden Schocks gingen die Reaktionsraten sofort zurück, aber bei den -4- milden Elektroschocks erreichten diese in einigen Sitzungen nach einiger Zeit die selbe Intensität wie zuvor. Bei einem starken Elektroschock traten die Reaktionen nur noch selten oder gar nicht mehr auf. Daraus kann man schließen, dass Individuen sich an eine vergleichsweiße milde Bestrafung gewöhnen können, nicht aber an eine Starke. In einem weiterem Experiment untersuchten Schuster und Rachlin (vgl. Schuster und Rachlin, 1968, zitiert nach Mazur, 2004) ob eine Kontingenz zwischen einem bestimmen Verhalten und einem aversiven Ereignis einen größeren Rückgang des Verhaltens bewirkt, als wenn dasselbe Ereignis auf nichtkontingenter Basis geschieht. Diese Untersuchung, welche mit Tauben durchgeführt wurde, stützt die These, dass eine Bestrafungskontingenz mehr bewirkt als nur eine allgemeine Abnahme eines Verhaltens. Nicht spezifisch bestrafte Verhaltensweisen treten zum größten Teil unverändert häufig auf. Wenn aber ein bestimmtes Verhalten und nur dieses bestraft wird, wird auch die Häufigkeit des Verhaltens sehr stark nachlassen. Die empirischen Ergebnisse legen nahe, dass, entgegengesetzt der Annahmen von Skinner und Thorndike, die Effekte von Bestrafung direkt konträr zu denen von Verstärkung wirken. Solange wie die Verstärkungs- oder Bestrafungskontingenz andauert, so lange wird auch die Verhaltensänderung andauern. 1.2 Die Effektivität von Bestrafung Forscher, welche mit der operanten Konditionierung arbeiten, haben viele der Variablen untersucht, welche abgrenzen, was für Auswirkungen eine Bestrafungskontingenz hat. Einige dieser Variablen wurden von Azrin und Holz (1966) analysiert. Im Folgenden werde ich aufzeigen, welche Bedingungen bei Bestrafung zu beachten sind. Bestrafung sollte sofort mit voller Intensität eingesetzt werden (vgl. Azrin & Holz, zitiert nach Mazur, 2004). Wie weiter oben schon erläutert, können sich Individuen an eine milde Form der Bestrafung gewöhnen. Eine Reihe sukzessiver Annäherungen an ein Verhalten wird sich nur wenig oder gar nicht darauf auswirken. Eine angemessen hohe Bestrafungsintensität kann aber zur völligen Einstellung eines Verhaltens führen (vgl. hierzu ein Experiment von Azrin, Holtz & Hake, 1963, zitiert nach Mazur, 2004). Ziel der Bestrafung ist es nicht dem Individuum Gelegenheit zu geben eine Toleranz gegenüber dem aversiven Reiz zu erreichen, sondern ein bestimmtes Verhalten zu beseitigen. Darum sollte immer mit maximaler Intensität bestraft werden. Bestrafung sollte sofort auf ein Verhalten angewendet werden. Ähnlich wie bei der Verstärkung ist die Wirksamkeit der Bestrafung am effektivsten, wenn sie prompt auf eine -5- Reaktion erfolgt. Die Schlussfolgerung aus einem Experiment von Baron, Kaufman und Fazzini war (vgl. hierzu ein Experiment von Baron, Kaufman und Fazzini, 1969, zitiert nach Mazur, 2004): Je unmittelbarer die Bestrafung, desto größer die Reduktion des Verhaltens. Ein kleines Beispiel für den Schulalltag wäre, dass ein Lehrer oder eine Lehrerin das schlechte Betragen eines Kindes sofort rügt und nicht erst einige Zeit dazwischen verstreichen lässt (vgl. Abramowitz & O'Leary, 1990, zitiert nach Mazur, 2004). Bestrafung sollte nach jedem Auftreten eines Verhaltens angewendet werden (vgl. Cipani, Brendlinger, McDowell & Usher, 1991, zitiert nach Mazur, 2004). Ähnlich wie bei Verstärkung muss Bestrafung nicht jedes Mal auf ein Verhalten folgen. Nach Azrin und Holz ist es aber die effektivste Methode ein Verhalten zu eliminieren, wenn man jede Reaktion bestraft. Ein intermittierender Bestrafungsplan kann zwar manchmal ausreichen, um ein unerwünschtes Verhalten zu beseitigen, aber die nachhaltigste Methode der Verhaltensreduktion ist, jedes Auftreten des Verhaltens zu bestrafen (vgl. Cipani, Brendlinger, McDowell & Usher, 1991, zitiert nach Mazur, 2004). Bestrafung ist wesentlich effektiver, wenn eine alternative Handlungsmöglichkeit geboten wird (vgl. Azrin & Holz, zitiert nach Mazur, 2004). Wenn einem Individuum eine Möglichkeit geboten wird, sich einen alternativen Verstärker zu beschaffen, ist Bestrafung viel effektiver. Beispielsweise wird in der Verhaltensmodifikation, wenn durch Bestrafung ein nicht erwünschtes Verhalten eliminiert werden soll, die Bestrafung fast immer mit Verstärkung für ein alternatives Verhalten gepaart, welches mit dem unerwünschten Verhalten unvereinbar ist. Bestrafung kann in seiner Effektivität gesteigert werden, wenn man den Wert eines Verstärkers, der das Verhalten aufrechterhält, mindert (vgl. Azrin, Holz & Hake, 1963, zitiert nach Mazur, 2004). Man kann also, ohne die Bestrafungsintensität zu erhöhen, die Bestrafungseffektivität verbessern. Ein Elter, beispielsweise, welcher glaubt, dass sich sein Kind zerstörerisch verhält, um Aufmerksamkeit zu erhalten, kann erstens die unerwünschten Verhaltensweisen bestrafen und synchron zweitens dem Kind mehr Aufmerksamkeit schenken, bevor das Kind dieses unerwünschte Verhalten zeigt. Bestrafung kann manchmal als diskriminativer Hinweisreiz amtieren (vgl. Holz & Azrin, 1961, zitiert nach Mazur, 2004). Anmerkung: Ein diskriminativer Hinweisreiz ist ein Signal, das die Verfügbarkeit angenehmer oder unangenehmer Reize ankündigt. Die nun folgende Tatsache ist weniger leicht nachzuvollziehen, als die Vorhergehenden. Bestrafung hat nicht -6- nur aversive Eigenschaften. Nehmen wir an, eine Taube erhält in einem Experiment ab und zu einen Elektroschock. Immer wenn der Elektroschock einsetzt, nimmt die Reaktionsrate des Tieres zu. Dies ist ein paradoxes Verhalten. Nun ist es aber so, dass die Taube nur Futter erhalten kann, wenn ihr Verhalten bestraft wird (vgl. Holz & Azrin, 1961, zitiert nach Mazur, 2004). Die einzigen Reize, welche zwischen den Verstärkungs- und Löschungsphasen unterschieden, waren die Elektroschocks, welche als diskriminative Hinweisreize für die Verfügbarkeit von Futter dienten. Dieses Phänomen könnte in einigen Fällen ein Auftreten von Masochismus erklären (vgl. Azrin & Holz, zitiert nach Mazur, 2004). Anmerkung: Unter Masochismus versteht man selbstschädigende Verhaltensweisen. Selbstschädigendes Verhalten kann einem Individuum die Verstärker Aufmerksamkeit, Mitgefühl und Anteilnahme einbringen. Die aversiven Gesichtspunkte dieses Verhaltens können als diskriminativer Hinweisreiz für eine bevorstehende Verstärkung dienen. 1.3 Nachteile von Bestrafung Bestrafung ist genauso wirksam wie Verstärkung. Doch gibt es auch Nachteile. Azrin und Holz warnen vor unerwünschten Folgen der Bestrafung (vgl. Azrin & Holz, zitiert nach Mazur, 2004). Bestrafung kann emotionale Auswirkungen haben, welche die Lern- und Arbeitsleistung beeinträchtigen. Die emotionalen Auswirkungen können Angst, Wut und ähnliche Emotionen sein. In einer Studie zum Thema Gedächtnisaufgaben und Bestrafung in der jeder Fehler mit einem Elektroschock bestraft wurde, arbeiteten Studenten langsamer und machten mehr Fehler. Wenn diese Fehler aber mit einem Ton, anstatt eines Stromschlages, angezeigt wurde war die Leistung der Studenten besser (vgl. Balaban, Rhodes & Neuringer, 1990, zitiert nach Mazur, 2004). Hierzu habe ich mir folgendes Beispiel überlegt. Ein Dozent der weniger Fehler und mehr richtige Antworten in den Klausuren erreichen will, könnte eine Klausur so bewerten, dass nur richtige Antworten belohnt, nicht aber falsche Antworten bestraft werden. Bestrafung kann zu einer allgemeinen Unterdrückung aller Verhaltensweisen führen. Beispielsweise stellt ein Schüler im Unterricht dem Lehrer eine Frage. Der Lehrer antwortet darauf, dass dies eine sehr dumme Frage sei. Sicher wollte er damit die Anzahl der dummen Fragen reduzieren. Das Ergebnis dieser Antwort ist aber wahrscheinlich ein genereller Rückgang aller Fragen von allen Schülern im Unterricht (vgl. Mazur, 2004). Bestrafung erfordert die ständige Überwachung eines Verhaltens. In Alltagsituationen erfordert der Einsatz von Strafe die ständige Überwachung des Verhaltens. Bei Verstärkung -7- ist dies nicht zwangsweise erforderlich. Beispielsweise wenn ein Kind eine Belohnung dafür bekommt, dass es sein Zimmer aufräumt, wird dieses, wenn das Zimmer aufgeräumt ist, die Eltern darauf aufmerksam machen. Einmal angenommen dieses Kind soll bestraft werden, wenn es sein Zimmer nicht aufräumt. Das Kind wird wahrscheinlich nicht die Eltern holen, damit sie die Bestrafungskontingenz geltend machen (vgl. Mazur, 2004). Bestrafung kann zu Aggressionen führen. Diese Aggressionen können gegen den "Bestrafer" oder auch gegen unbeteiligte Andere gerichtet sein. Beispielsweise sind Gefängniswärter und Gefangene der ständigen Gefahr der Körperverletzung ausgesetzt. In Experimenten wurde immer wieder festgestellt, dass Tiere welche friedlich waren, anfingen miteinander zu kämpfen, wenn damit begonnen wurde Elektroschocks zu geben (vgl. Ulrich & Azrin, 1962, zitiert nach Mazur, 2004). Individuen versuchen sich der Bestrafungssituation zu entziehen. Dies ist ein praktisches Problem bei der Durchführung von Bestrafung. Personen könnten die Regeln umgehen oder sich der Situation vollkommen entziehen. Aszrin und Holz beschrieben das Verhalten einer "schlauen" Ratte. Indem sich die Ratte auf den Rücken legte und mit den Hinterpfoten den Hebel drückte, um an den Verstärker Futter zu kommen, entging sie den Stromschlägen, da das Fell ausreichend Isolierung gegen den elektrischen Schlag bot. Siehe hierzu auch die Abbildung 2. Abbildung 2: Die "schlaue" Ratte. Menschen sind wahrscheinlich noch einfallsreicher um sich einer Bestrafung zu entziehen. Ein Kind beispielsweise wird versuchen ein schlechtes Betragen zu vertuschen, wenn ein Lehrer Bestrafung anwendet um Verhalten zu kontrollieren. Vielleicht wird ein Schüler, -8- welcher nicht für einen angekündigten Test gelernt hat, versuchen sich der Situation zu entziehen indem es Krankheit vortäuscht oder auch die Schule schwänzt. Angesichts der Nachteile von Bestrafung sollte diese nur überlegt und wachsam angewendet werden (vgl. Azrin & Holz, zitiert nach Mazur, 2004). Man sollte bei Bestrafung die ethische Seite nicht vernachlässigen. Da man zwei Möglichkeiten hat Verhalten positiv zu ändern, nämlich durch Verstärkung und Bestrafung, sollte man dann nicht immer Verstärkung anwenden? Mitunter gibt es Fälle bei denen Bestrafung als letztes Mittel eingesetzt wird, weil Verstärkung nichts bewirkt. Ein vollständiger Verzicht auf Bestrafung, wie manche Menschen glauben, wird niemals möglich sein, da diese immer ein Teil unserer Umwelt bleiben wird (vgl. Azrin und Holz, zitiert nach Mazur, 2004). Ein gesetzliches Verbieten von Bestrafung in Einrichtungen wie Schulen und Gefängnissen wäre zwar möglich, aber in den alltäglichen, zwischenmenschlichen Beziehungen kaum durchführbar. Unsere Umgebung ist voll mit potentieller Bestrafung, beispielsweise wenn wir an die Bereiche Autofahren, Kochen oder Schifahren denken, in der jedes falsche Verhalten eine bestrafende Konsequenz nach sich ziehen kann. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Verhaltenspsychologen das Phänomen Bestrafung zukünftig weiter erforschen, damit besser begriffen wird, wie ein Verhalten dadurch gelenkt und beeinflusst wird (vgl. Mazur, 2004). 1.4 Bestrafung zweiter Art oder Negative Bestrafung Wenn sich ein bestimmtes Verhalten zeigt, wird bei dieser Art Bestrafung ein bestimmter Stimulus entzogen, was zu einer Abnahme des Verhaltens führt. In einer Studie pickten Tauben auf eine Taste, um Futter zu bekommen. Wenn diese Taste aber ihre Farbe änderte und die Tauben auf die Taste pickten führte dies zu einer Auszeit, in welcher sie kein Futter mehr bekommen konnten. Wenn die Taste andersfarbig leuchtete, konnte die Auszeit aber vermieden werden, indem die Taube in dieser Zeit nicht pickte. Als die Tiere dies erkannten, sank die Reaktionsrate auf null, wenn die Taste andersfarbig leuchtete (vgl. Ferster, 1958, zitiert nach Mazur, 2004). Am effektivsten ist negative Bestrafung, ähnlich wie positive Bestrafung, wenn unmittelbar nach dem unerwünschten Verhalten die Bestrafung einsetzt. Der Entzug des Stimulus sollte ebenfalls auf jedes unerwünschte Verhalten resultieren. Weil negative Bestrafung ein Mittel der Verhaltensreduktion ist, welches keinen aversiven Stimulus benötigt, ist dieses ein beliebtes Werkzeug in der Verhaltensmodifikation geworden. Beispielsweise arbeiteten Therapeuten mit Auszeiten, um einen geistig behinderten Mann davon abzuhalten, seine -9- Hände in den Mund zu stecken, so dass diese sich nicht mehr röten und anschwellen. Wenn die Auszeiten im Rahmen eines kontinuierlichen Bestrafungsplans auftraten, reduzierten diese das unerwünschte Verhalten deutlich (vgl. Lerman, Iwata, Shore & DeLeon, 1997, zitiert nach Mazur, 2004). 2. Verhaltensabbau in der Verhaltenstherapie Positive und negative Bestrafung sind die gängigsten Praktiken um unerwünschte Verhaltensweisen zu verringern und zu beseitigen. Doch das sind nicht alle Methoden. Die gebräuchlichsten und nützlichsten Techniken zur Verhaltensreduktion werde ich nun im folgenden, zweiten Teil dieser Arbeit erläutern. 2.1 Positive Bestrafung Verhaltenstherapeuten meiden sofern dies möglich ist den Einsatz von positiver Bestrafung. Das Wohlergehen ihrer Patienten ist ihnen sehr wichtig. Es kann aber vorkommen, dass andere Techniken unmöglich sind oder ohne Erfolg bleiben. Dann ist es sicherlich besser Bestrafung anzuwenden, als nichts zu tun. Im Folgenden werde ich Beispiele für angewendete Bestrafung aufzeigen. Schlechtes Verhalten wird ermahnt und ausgeschimpft. Dies ist eine Form der Bestrafung, welche nicht körperlich ist und meist von Lehrern und natürlich auch von Eltern angewendet wird. Diese Art Bestrafung kann Wirkung zeigen, jedoch sollte man beachten das Ermahnung auch eine Form von Aufmerksamkeit darstellen kann. Ebenfalls können Geschwister oder Schulkameraden dem Kind viel Aufmerksamkeit entgegenbringen, welche zusätzlich als Verstärkung für das unerwünschte Verhalten dienen kann. Zudem hängt die generelle Wirksamkeit dieser Methode davon ab, wie die Ermahnung vorgetragen wird (vgl. O'Leary, Kaufman, Kass & Drabman, 1970, zitiert nach Mazur, 2004). Die meisten Lehrer werden sicherlich einen Schüler vor allen anderen Mitschülern und mit lauter Stimme ermahnen. Als die Lehrer einer zweiten Klasse jedoch gebeten wurden, die Schüler möglichst persönlich und nicht mit lauter Stimme zu ermahnen, nahm das störende Verhalten um fünfzig Prozent ab. Stärkere Formen der Bestrafung: Bei einigen retardierten, autistischen oder schizophrenen Kindern zeigt sich ein selbstzerstörerisches Verhalten. Sie beißen oder ohrfeigen sich immer wieder, in manchen Fällen schlagen sie ihren Kopf wiederholt gegen feste Objekte. Da sich die Kinder schwer verletzen würden, werden diese Kinder, wenn kein Therapeut bei ihnen ist, zum Teil vierundzwanzig Stunden lang, fixiert. - 10 - Eine umstrittene Methode der Bestrafung bei Kindern ist der Einsatz von Elektroschocks. Hier sollte man immer die aversiven Gesichtspunkte gegen die negativen Konsequenzen abwägen, welche entstehen könnten, wenn diese Methode nicht angewandt wird. Im folgendem werde ich ein Beispiel aus einem Bericht von Prochaska, Smith, Marzilli, Colby und Donovan (vgl. Prochaska, Smith, Marzilli, Colby & Donovan, 1974, zitiert nach Mazur, 2004) näher beschreiben. Ein schwer retardiertes neunjähriges Mädchens namens Sharon, schlug sich mit der Faust bis zu zweihundertmal in der Stunde auf ihre Nase und ihr Kinn, wenn sie nicht fixiert war. Zu Beginn versuchten die Verhaltenstherapeuten das selbstverletzende Verhalten mit positiver Verstärkung und negativer Bestrafung zu reduzieren, doch dies ohne Erfolg. Sie mussten also eine andere Methode versuchen. Sie versetzten Sharon für das Anschlagen des Kopfes einen Elektroschock am Bein. Daraufhin ging das Verhalten schlagartig zurück. Dies war ein Erfolg. Doch zu Hause und in der Schule schlug sie sich auch weiterhin. Sharon hatte gelernt, dass ihr Verhalten nur in der Klinik bestraft wurde, nicht aber in anderen Bereichen ihres Umfeldes. Um das selbstverletzende Verhalten in ihrer normalen Umgebung zu verringern, gaben ihr die Therapeuten über eine Fernsteuerung Elektroschocks und überwachten sie rund um die Uhr. Binnen einer Woche ging Sharon ihr Kopfanschlagen auf null zurück. Das Ausbleiben des selbstschädigenden Verhaltens trat nun auch in der Zeit auf, in welcher der Elektroschock-Generator entfernt war. Die Maßnahme der Bestrafung konnte eingestellt werden, ohne dass das selbstschädigende Verhalten zurückkahm. Wie hätte hier die Alternative ausgesehen? Ein Leben lang physisch ruhiggestellt zu sein, weil ansonsten selbstverletzendes Verhalten auftreten würde. Die Unfähigkeit mit Gleichaltrigen wegzugehen und zu spielen. Der Schmerz einiger Elektroschocks von weniger als einer Sekunde scheint, verglichen mit der Alternative, weniger grausam (vgl. Mazur, 2004). Inzwischen gibt es auch eine Weiterentwicklung bei der Behandlung von selbstverletzendem Verhalten. Beispielsweise konnte das Kopfanschlagen eines zehnjährigen behinderten Jungen, durch das Sprühen von Wasser ins Gesicht reduziert werden (vgl. Fehr & Beckwith, 1989, zitiert nach Mazur, 2004). Diese Methode ist sehr wirksam, wenn sie mit Verstärkung für eine alternative bessere Handlungsweise eingesetzt wird. Unabsichtliches reflexartiges Verhalten kann durch Bestrafung verringert werden. Beispielsweise wurde bei einem vierundzwanzigjährigen Mann, durch milde Bestrafung Bruxismus reduziert (vgl. Heller & Strang, 1973, zitiert nach Mazur, 2004). Um das - 11 - Zähneknirschen, welches zu ernsthaften Zahnschäden führen kann, zu reduzieren, wurde ein Gerät eingesetzt, welches im Schlaf automatisch die Bruxismusfrequenz messen konnte. Wenn dieses Gerät durch das Geräusch der knirschenden Zähne aktiviert wurde, bekam der Patient, welcher Kopfhörer trug, für drei Sekunden ein unangenehmes Geräusch zu hören. Das Zähneknirschen ging nun von ca. einhundert mal auf dreißigmal pro Stunde zurück. Interessant daran war, dass das restliche Zähneknirschen nicht bestraft wurde, weil das Gerät das leiser gewordene Zähneknirschen nicht registrieren konnte. Selbst im Schlaf hatte der Patient einen Weg gefunden, der weiteren Bestrafung zu entgehen. Andere Beispiele beschreiben die Behandlung von chronischem Niesen und Husten, welche nicht auf medizinische Probleme zurückzuführen waren (vgl. Creer, Chai & Hoffmann, 1977; Kushner, 1968, zitiert nach Mazur, 2004). Unwillkürliche Muskelkrämpfe (vgl. Sachs & Mayhall, 1971, zitiert nach Mazur, 2004), häufiges Erbrechen (vgl. Cunningham & Linscheid, 1976, zitiert nach Mazur, 2004), Würgen (vgl. Glasscock, Friman, O'Brien & Christopherson, 1986, zitiert nach Mazur, 2004) und Halluzinationen (vgl. Bucher & Fabricatore, 1970, zitiert nach Mazur, 2004) wurden mit Bestrafungstechniken behandelt, wenn ein medizinisches Problem ausgeschlossen war. 2.2 Negative Bestrafung Eine Methode von negativer Bestrafung in Therapien sind die Verhaltenskosten. Diese Art der Bestrafung kann man leicht in ein sogenanntes Token-System einbauen. Durch Verhaltensweisen, welche erwünscht sind kann man Tokens verdienen, durch nicht erwünschte Verhaltensweisen verliert man jedoch die Tokens wieder. Dieser Verlust wird als Verhaltenskosten bezeichnet. Token-Programme sind bei der Arbeit mit Häftlingen, Kindern und Patienten in psychiatrischen Kliniken eingesetzt worden. Beispielsweise berichtet Phillips (vgl. E. L. Phillips, 1968, zitiert nach Mazur, 2004) wie ein Token-Programm bei "vordelinquenten" Kindern und Jugendlichen eingesetzt wurde, damit sich ihre geringfügigen Gesetzesverstöße nicht in ein schlimmeres Verhalten verändern würde. Die Kinder wurden in einem Heim mit einem Token-System belohnt und bestraft. Wenn sie ihre Hausarbeiten und Hausaufgaben erledigten, gute Noten bekamen und ihr Zimmer in Ordnung hielten, bekamen sie Punkte, welche man wiederum gegen Leckereien, Taschengeld oder Vorteile wie Fernsehen, langes Aufbleiben und einen Stadtbesuch tauschen konnte. Verhalten wie sich Prügeln oder Streiten, schlechte Manieren, sich Verspäten und Ungehorsam gegenüber der Hauseltern führte dagegen zu einem Verlust von Punkten. Ein Junge zum Beispiel verlor - 12 - einige Punkte für jede Minute, welche er zu spät ins Bett ging. Diese Verhaltenskostenkontingenz brachte eine Verbesserung im Verhalten der Kinder. Eine der gebräuchlichsten Formen der negativen Bestrafung ist das Time-Out. Bei dieser Methode werden angenehme oder wertvolle Stimuli vorrübergehend entfernt, wenn ein unerwünschtes Verhalten gezeigt wird. Beispielsweise wurde ein Patient, um ihn vom anhäufen von Gegenständen abzuhalten, mit Auszeiten und Verstärkung für alternative Verhaltensweisen behandelt (vgl. Lane, Wesolowski & Burke, 1989, zitiert nach Mazur, 2004). Der Patient namens Stan hatte eine Hirnverletzung und häufte Dinge wie Nahrung, kleine Steine, Papier und Zigarettenkippen an. Diese Ansammlungen versteckte er in seinen Taschen, Socken, sogar in seiner Unterwäsche. Zu Beginn beobachteten Verhaltenstherapeuten bis zu zehn dieser Vorkommnisse an einem Tag. Nach fünf Tagen folgte eine Behandlungsphase in der Stan in zwei alternativen Verhaltensweisen verstärkt wurde. Dies waren das Sammeln von Baseballkarten und das ordentliche Wegwerfen von Müll. In dieser Phase wurde jedes anhäufen mit einem Time-Out bestraft, in dem Stan für zehn Sekunden in einen ruhigen Raum gebracht wurde. Die Vorkommnisse nahmen in dieser Behandlungsphase ab. Daraufhin wurde die Behandlung erst einmal unterbrochen. In diesen vier Tagen nahm das Horten wieder zu. In der zweiten Behandlungsphase wurde die Verstärkung für alternative Verhaltensweisen und die Auszeiten fortgeführt. Das Horten ging letztendlich auf null zurück. Anmerkung: Der zwischenzeitliche Abbruch der Behandlung sollte die Effektivität der Behandlungsmethode aufzeigen. Selbstverständlich wird das Time-Out Verfahren auch von Eltern angewandt, wenn sie ihrem Kind sagen es solle auf sein Zimmer gehen, weil es sich nicht angemessen Verhalten hat. Auszeiten können auch störendes und aggressives Verhalten im Unterricht reduzieren, wenn diese zum Beispiel einen Schüler von gerade stattfindenden Aktivitäten ausschließen. Beispielsweise waren Schüler der vierten Klasse im Sportunterricht wiederholt unruhig und störend. Lehrer stellten daraufhin eine Auszeitkontingenz auf. Jeder störende Schüler musste sich an den Rand in der Sporthalle setzen und dort solange verweilen bis eine Sanduhr abgelaufen war. Dies dauerte ca. drei Minuten. Kinder, welche sich nun abermalig schlecht benahmen, büßten dadurch erheblich Zeit für freies Spiel und andere attraktive Aktivitäten ein. Die Störungen im Sportunterricht nahmen daraufhin um fünfundneunzig Prozent ab (vgl. White & Bailey, 1990, zitiert nach Mazur, 2004). - 13 - Yell empfiehlt das Pädagogen die Gesetzeslage bezüglich des Einsatzes von Auszeiten kennen sollten (vgl. Yell, 1994, zitiert nach Mazur, 2004). Es gab einige Fälle in denen der Einsatz von Auszeiten in der Schule durch Eltern vor Gericht angefochten wurde. In allen von Yell untersuchten Fällen, entschied das Gericht aber, dass Auszeiten im Unterricht eingesetzt werden dürfen, wenn dies in angemessener Weise geschieht. Obgleich es Menschen gibt, welche das Time-Out Verfahren kritisieren, wird diese Methode bei Lehrern und Verhaltenstherapeuten zunehmend beliebter, da unerwünschte Verhaltensweisen ohne Darbietung eines aversiven Reizes reduziert werden können. 2.3 Weitere Techniken des Verhaltensabbaus Eine Technik um unerwünschtes Verhalten abzubauen heißt Überkorrektur. Diese beinhaltet die Elemente Entschädigung und positive Übungen. Beispielsweise zeigten Adams und Kelley Eltern, wie mit Hilfe der Technik Überkorrektur, die Aggressionen eines Kindes gegenüber einer Schwester oder einem Bruder reduziert werden kann (vgl. Adams & Kelley, 1992, zitiert nach Mazur, 2004). Nach Auftreten eines Falles von Aggression musste sich das Kind bei dem gepeinigten Geschwisterkind entschuldigen und mit ihm oder ihr zum Beispiel ein Spielzeug teilen und es auch umarmen oder ähnliches. Die positive Übung wurde mehrfach wiederholt und wenn ein Kind die neuen Verhaltensweisen nicht angemessen übte, musste es mit dem Durchgang von vorne beginnen. Leider führte diese Methode nicht zum vollständigen Rückgang der Aggressionen. Dennoch war eine signifikante Abnahme der unerwünschten Verhaltensweisen zu erkennen. Die Methode der Überkorrektur wird meist auch bei behinderten Menschen eingesetzt um Aggressionen und anderes nicht erwünschtes Verhalten abzubauen. Beispielsweise wurde bei schwer retardierten Jugendlichen diese Methode angewandt, damit diese lernen konnten Artikel zu verpacken und diese nach Postleitzahlen zu ordnen (vgl. Sisson, Hersen & Van Hasselt, 1993, zitiert nach Mazur, 2004). Die unerwünschten Verhaltensweisen waren hier beispielsweise hin und her schaukeln, mit den Händen fuchteln und Gegenstände im Kreis drehen. Wenn so ein Verhalten auftrat führte der Therapeut den Patienten durch drei Wiederholungen der richtigen Verhaltensfolge. Eine weitere Technik des Verhaltensabbaus ist die sogenannte Löschung. Ein nicht erwünschtes Verhalten wird manchmal durch einen positiven Verstärker, oft unabsichtlich, gesteigert. Wenn dem so ist, sollte das Verhalten, wenn der Verstärker weggenommen wird, verschwinden. Meist ist dieser Verstärker die Aufmerksamkeit. Beispielsweise schilderten - 14 - Ayllon und Haughton von Psychiatriepatienten, welche immer wieder über körperliche Beschwerden klagten, obwohl medizinische Untersuchungen keine physischen Erkrankungen oder ähnliches fanden (vgl. Ayllon & Haughton, 1964, zitiert nach Mazur, 2004). Das Personal wurde daraufhin angewiesen die Klagen nicht mehr mit Mitgefühl und mit Aufmerksamkeit zu verstärken. Daraufhin gingen die Klagen auch drastisch zurück. Ein ähnliches Phänomen erlebte eine Therapeut, welcher eine Frau mit Hautausschlag behandelte. Sie kratzte immer wieder an den infizierten Stellen und der Therapeut vermutete, dass die Frau mit dem Kratzen die Aufmerksamkeit ihres Verlobten und ihrer Familie aufrechterhalten wollte. Der Therapeut bat die Familie und den Verlobten den Ausschlag der Frau nicht zu behandeln und nicht mit ihr darüber zu sprechen. Der Ausschlag verschwand und das Kratzen hörte daraufhin auf (vgl. Walton, 1960, zitiert nach Mazur, 2004). Interessanterweise können nicht erwünschte Verhaltensweisen auch durch negative Verstärkung unterstützt werden. Beispielsweise gab es Kinder in einem Heim, welche selbstverletzendes Verhalten zeigten, wenn sie Schularbeiten machen sollten. Die Therapeuten ignorierten das selbstverletzende Verhalten, forderten das Kind auf weiterzumachen und leiteten es Schritt für Schritt durch die Schulaufgaben. Durch dieses Verfahren verschwand der Verstärker, also die Flucht vor den Aufgaben und auch das selbstverletzende Verhalten (vgl. Pace, Iwata, Cowdery, Andree & Mclntyre, 1993, zitiert nach Mazur, 2004). Leider besitzt die Löschung auch negative Eigenschaften. Die Wirkung ist meist langsam, insbesondere wenn das problematische Verhalten in der Vergangenheit immer wieder verstärkt wurde. Wie bei jedem gelöschten Verhalten, kann es zu einer Spontanerholung kommen. Manchmal nimmt das unerwünschte Verhalten eines Individuums erst einmal zu, bevor es abnimmt. Dennoch ist der Einsatz dieser Technik eine geeignete Methode, welche besonders effektive wirkt, wenn sie zusammen mit Verstärkung für positives Verhalten angewendet wird (vgl. Ducharme & Van Houten, 1994, zitiert nach Mazur, 2004). Für Verhalten, welches sehr gefährlich und destruktiv ist, kann eine Reaktionsblockierung eine bessere Lösung sein, als die langsamere Technik der Löschung. Das Individuum wird hier physisch daran gehindert das problematische Verhalten auszuführen. In der Verhaltenstherapie wenden Therapeuten diese Methode an, um bei Kindern und Erwachsenen ein Auftreten von Selbstverletzung, Aggression oder Zerstörung von Eigentum zu reduzieren - 15 - oder zu beseitigen (vgl. Fisher, Lindauer, Alterson & Thompson, 1998; Smith, Russo & Le, 1999, zitiert nach Mazur, 2004). Vorteile dieser Methode sind, dass unmittelbarer Schaden oder unmittelbare Verletzungen kurzfristig verhindert werden. Langfristig gesehen nehmen Versuche das problematische Verhalten anzuwenden ab, wenn das Individuum lernt, dass dieses blockiert wird. Beispielsweise wurde ein geistig behindertes Mädchen mit einer Schutzbrille daran gehindert, sich selbst mit den Fingern in die Augen zu stoßen. Der Vorteil hier war, dass das Mädchen auch ohne Beisein eines Therapeuten an ihrem Verhalten gehindert wurde. Als das Verhalten nachgelassen hatte, wurde die Schutzbrille durch ein gewöhnliche Brille ersetzt. Das Augenstoßen kam nicht zurück (vgl. Lalli, Livezey & Kates, 1996, zitiert nach Mazur, 2004). In der heutigen Verhaltenstherapie ist die Verstärkung von positivem, alternativem Verhalten das übliche Mittel um einen Verhaltensabbau eines problematischen Verhaltens zu erreichen. Die meisten Techniken zeigen dem Patienten nämlich kein alternative Handlungsweise auf. Der Patient weiß in Folge dessen, was er nicht tun soll, aber nicht was er tun soll. Die Verstärkung füllt dieses "Verhaltensvakuum" und zeigt bessere Verhaltensweisen auf. Eine jüngere Studie zu Verstärkung zeigt auf wie nichtkoningente Verstärkung mit alternativen Verhaltensweisen wirksam kombiniert werden kann. Die Forscher verteilten zu willkürlichen Zeitpunkten Spielzeuge an Kinder mit schweren Verhaltensproblemen. Die Kinder konnten jedoch das Spielzeug auch sofort bekommen, wenn sie nur höflich darum baten. Dieses Alternativverhalten war es, was die Therapeuten verstärken wollten. Das Verfahren führte zu einem signifikanten Verhaltensabbau der Aggressionen und des störenden Verhaltens der Kinder (vgl. Marcus & Vollmer, 1996, zitiert nach Mazur, 2004). Wenn ein entfernen eines Verstärkers nicht möglich ist, könnte man diesen so massiv präsentieren, dass nach kurzer Zeit eine Sättigung eintritt. Beispielsweise berichtete Ayllon den Fall einer Patientin, welche in ihrem Zimmer Handtücher hortete. Obwohl die Schwestern der Psychiatrie regelmäßig die Handtücher wegnahmen, hatte sie meist mehr als zwanzig Stück in ihrem Zimmer. Daraufhin begann man mit einem Sättigungsprogramm bei dem die Patientin, jeden Tag neue Handtücher bekam. Zuerst genoss es die Frau die Handtücher zu berühren, sie zu falten und zu stapeln. Nach einiger Zeit jedoch begann die Frau sich zu beschweren, dass sie nun genug Handtücher habe und diese im Weg seien. Als sechshundert Handtücher in ihrem Zimmer waren, fing die Patientin an diese selbst aus ihrem Zimmer zu - 16 - räumen. Die Schwestern brachten nun keine Handtücher mehr und es wurde keine weiteres Horten mehr beobachtet (vgl. Ayllon, 1963, zitiert nach Mazur, 2004). In einem weiteren Beispiel geht es um einen Psychiatriepatienten, welcher über Stimmen klagte, welche er immer wieder hörte. Daraufhin wurde dieser Patient angewiesen in fünfundachtzig halbstündigen Sitzungen an einem stillen Platz zu sitzen und genau festzuhalten, wann die Stimmen zu hören waren, was diese sprachen und wie verlangend der Tonfall war. Zum Ende dieser Sitzungen war die Halluzinationsrate fast auf null gefallen. (vgl. Glaister, 1985, zitiert nach Mazur, 2004). Diese Art der Behandlung wird auch zur Behandlung von Zwangsgedanken eingesetzt. 2.4 Der Streit um den Einsatz aversiver Reize Bestrafung ist eine effektive Methode der Verhaltenskontrolle. Viele Beispiele aus der Forschung, Therapie und der alltäglichen Praxis beweisen dies. In den vergangen Jahren hat sich jedoch der Streit um die Frage, ob es Therapeuten erlaubt sein sollte, das Verhalten von Patienten mit aversiven Techniken zu steuern, verschärft. Dabei geht es vor allem um die Behandlung von geistig behinderten oder entwicklungsgestörter Menschen. Diese gelten in vielen Fällen als Entscheidungsunfähig. In Fällen, wo aversive Methoden angewendet werden, entscheidet meist ein Gericht. Diese Entscheidungen wiederum sind bisher sehr unterschiedlich ausgefallen. Die Entscheidung hängt meistens davon ab, ob der Richter glaubt, dass die Anwendung von aversiven Reizen eine professionelle, anerkannte Art der Behandlung ist und dies ist eine schwer zu beantwortende Frage (vgl. Sherman, 1991, zitiert nach Mazur, 2004). Insgesamt gesehen, vertreten einige Therapeuten die Anwendung von Bestrafung, wenn es keine andere Möglichkeit zur Verbesserung von Verhaltensproblemen gibt. Beispiele, wie Menschen mit schweren Verhaltensproblemen, wie das beschriebene Mädchen Sharon sprechen für diese Methode. Andererseits gibt es Menschen, welche aus ethischen und rechtlichen Gründen entgegnen, dass eine Behandlung mit aversiven Reizen niemals zulässig ist und immer eine alternative Möglichkeit der Behandlung angewandt werden sollte. Diese berufen sich auch unter anderem auf einen wichtigen Grundsatz der USA, nämlich das "Recht auf Behandlungsverweigerung". Dieses besagt, dass eine Person das Recht hat, eine Behandlung abzulehnen, auch wenn die Wirksamkeit dieser Behandlung bekannt und diese eindeutig im Interesse der Person ist. Diejenigen, welche entwicklungsbehinderte Menschen behandeln, sind, bezüglich dieser Streitfrage geteilter Meinung (vgl. Jacob-Timm, 1996, - 17 - zitiert nach Mazur, 2004). Einerseits stellt Freagon fest, dass die Anwendung von schwerer Bestrafung oder aversiven Reizen, als Missbrauch definiert werden muss, ebenso wie es als Missbrauch definiert wird, wenn diese bei Menschen ohne Behinderungen angewendet werden (vgl. Freagon, zitiert nach Mazur, 2004). Andererseits sagen Fachleute, dass eine Einschränkung der verfügbaren Methoden für eine Therapie verhängnisvolle Konsequenzen für die betroffenen Patienten haben könnten (vgl. Axelrod, 1990, zitiert nach Mazur, 2004). Einige Therapeuten vertreten die Ansicht, dass es viele verschiedene nichtaversive Techniken gibt, wie zum Beispiel die Verstärkung von Alternativverhalten, die Stimuluskontrolle, die Sättigung, das Prompting, das Fading und die Einübung kommunikativer Fähigkeiten. Sie behaupten, dass die nichtaversiven Techniken genauso effektiv wie aversive Methoden sein können und daher kein Grund für die Anwendung aversiver Verfahren bestehe (vgl. Lavigna & Donnellan, 1986; Lohrmann-O'Rourke & Zirkel, 1998, zitiert nach Mazur, 2004). Andere wiederum entgegnen, dass aufgrund aktueller Datenlage keinesfalls bewiesen wäre, dass nichtaversive Techniken bei schweren Verhaltensproblemen gleichermaßen wirksam sein können (vgl. Yates, 1991, zitiert nach Mazur, 2004). Zum Abschluss dieser Arbeit möchte ich betonen, dass keiner der Befürworter von Bestrafung, den freien, beliebigen Einsatz von Bestrafung für Verhaltensmodifikationen fordert. Es hat sich gezeigt, dass dennoch die Meinungen zur Anwendung von Bestrafung weit auseinander gehen (vgl. Mazur, 2004). In Zukunft wird vermutlich weitere Forschungen zu diesem Thema betrieben werden. Es werden weitere Diskussionen stattfinden und vielleicht auch Gerichtsurteile gefällt. All dies wird dabei behilflich sein, die Frage zu klären, ob Bestrafung und vor allem die Anwendung von aversiven Methoden, im therapeutischen Rahmen weiter eingesetzt werden sollte. - 18 - Literaturverzeichnis Literatur: Galbicka. G. (1994). Verhaltenskontrolle durch aversive Reize. In Angermeier, W. F., Bednorz, P., & Hursh, St. R. (Hrsg.), Operantes Lernen (S. 90-111). München: Ernst Reinhardt Verlag. Mazur, J. E. (2004). Vermeidung und Bestrafung. In J. E. Mazur (Hrsg.), Lernen und Gedächtnis (S. 255-294). München: Pearson Studium. Zimbardo, P. G. & Gerrig, R. J. (2004). Operantes Konditionieren: Lernen von Konsequenzen. In Zimbardo, P. G. & Gerrig, R. J. (Hrsg.), Psychologie (S. 261-277). München: Pearson Studium. Abbildungen: Abbildung 1: Mazur, J. E. (2004). Vermeidung und Bestrafung. In J. E. Mazur (Hrsg.), Lernen und Gedächtnis (S. 256). München: Pearson Studium. Abbildung 2: Galbicka. G. (1994). Verhaltenskontrolle durch aversive Reize. In Angermeier, W. F., Bednorz, P., & Hursh, St. R. (Hrsg.), Operantes Lernen (S. 103). München: Ernst Reinhardt Verlag.