2.5. VOLLSTÄNDIGKEIT VON R 37 Lemma 2.5.2 (Beschränktheit konvergenter Folgen) Konvergente Folgen in R sind beschränkt. Beweis. Angenommen die Folge {an }n∈N konvergiert gegen A ∈ R. Zu ε > 0 existiert ein N ∈ N, so dass für n > N gilt A − ε < an < A + ε. Dann ist mit M = max(|A − ε|, |A + ε|, |a1 |, |a2 |, . . . , |aN |) die gewünschte Schranke gefunden, denn es gilt (trivialerweise) für n ≤ N |an | ≤ M, weil ja die entsprechenden Zahlen zur Maximumsbildung herangezogen wurden. Für n > N ist A − ε < an < A + ε und damit |an | < M. Lemma 2.5.3 (Beschränktheit von Cauchyfolgen) Cauchyfolgen in R sind beschränkt. Beweis. Siehe Übungen. Satz 2.5.4 (Grenzwerte und Ordnung) Es seien {an }n∈N , {bn }n∈N zwei konvergente reellwertige Folgen mit Grenzwerten A, B. Dann gilt 1. Ist an ≥ 0 für alle n ∈ N, so ist A ≥ 0. 2. Gilt an ≤ bn für alle n ∈ N so ist A ≤ B. 3. Ist {an }n∈N beschränkt, d. h. |an | ≤ M für alle n ∈ M ∈ R, so ist |A| ≤ M . Beweis. Siehe Übungen. N und ein positives 38 KAPITEL 2. REELLE UND KOMPLEXE ZAHLEN Satz 2.5.5 (Grenzwerte und Arithmetik) Es seien {an }n∈N , {bn }n∈N zwei konvergente, reellwertige Folgen. Dann gilt 1. Die Folge {an + bn }n∈N konvergiert und lim (an + bn ) = lim an + lim bn . n→∞ n→∞ n→∞ 2. Die Folge {an · bn }n∈N konvergiert und lim (an · bn ) = lim an · lim bn . n→∞ n→∞ n→∞ 3. Ist limn→∞ bn 6= 0, so ist für fast alle n ∈ N (d. h. alle bis auf endlich viele) bn 6= 0. Der Grenzwert einer Folge wird durch Abändern an endlich vielen Positionen nicht geändert. Wir ersetzen alle bn = 0 durch bn = 1. Dann konvergiert die Folge {an /bn }n∈N und es gilt an limn→∞ an = . n→∞ bn limn→∞ bn lim Beweis. (1) Als Grenzwert der Folge haben wir natürlich limn→∞ an + limn→∞ bn im Verdacht“. Um zu beweisen, dass dies tatsächlich der Grenzwert ist, nehmen ” wir ein ε > 0. Sei N1 ∈ N so gewählt, dass m > N1 impliziert |am − a| < ε/2 und N2 sei so gewählt, dass für m > N2 gilt |bm − b| < ε/2. Wähle N = max(N1 , N2 ). Für m > N gilt dann |(am + bm ) − (a + b)| = |(am − a) + (bm − b)| ≤ |am − a| + |bm − b| < ε ε + = ε. 2 2 (2) Dieser Beweis ist ein wenig komplizierter. Sei A = lim an und B = lim bn . n→∞ n→∞ Wir wollen zeigen lim an · bn = A · B. n→∞ Sei ε > 0 gegeben. Nach Lemma 2.5.2 sind beide Folgen beschränkt, d. h. es existiert eine Zahlen S ∈ R mit S > 0, so dass ∀m ∈ N gilt |bm | < S. Setze M = max(S, |A|, 1). Dann gibt es ein N1 , so dass für alle m > N1 gilt ε ε |am − A| < 2·M und ein N2 , so dass für alle m > N2 gilt |bm − B| < 2·M . Setze ε N = max(N1 , N2 ). Dann gilt für m > N sowohl |am − A| < 2·M , wie auch 2.5. VOLLSTÄNDIGKEIT VON |bm − B| < ε . 2·M R Betrachte für m > N |am · bm − A · B| = |am · bm − A · bm + A · bm − A · B| ≤ |(am − A) · bm | + |A · (bm − B)| = |(am − A)| · |bm | + |A| · |(bm − B)| ε ε < S + |A| 2M 2M ε ≤ 2· 2 = ε. (3) Die dritte Aussage folgt aus Teil (2) und einer Übungsaufgabe. Definition 2.5.6 (Intervall) Es seien a, b ∈ R. Die Menge der Zahlen n o I= x∈Ra≤x≤b wird als abgeschlossenes Intervall bezeichnet. Ist b ≥ a, so ist diam(I) = b − a die Länge des abgeschlossenen Intervalls. Definition 2.5.7 (Dedekindscher4 Schnitt) Eine Zerlegung von Q in zwei disjunkte Mengen A, B mit D1 A ∪ B = Q, D2 ∀x ∈ A, ∀y ∈ B gilt x < y, wird als Dedekindscher Schnitt bezeichnet. 39 40 KAPITEL 2. REELLE UND KOMPLEXE ZAHLEN Satz 2.5.8 (Vollständigkeit, Dedekind Schnitte, Intervallschachtelung) Das Vollständigkeitsaxiom ist äquivalent zum 1. Intervallschachtelungsprinzip (engl. principle of nested intervals). Es sei für alle k ∈ N Ik ein abgeschlossenes Intervall. Es gelte für alle k ∈ N die Schachtelungsbedingung Ik+1 ⊂ Ik und lim diam(Ik ) = 0. k→∞ Dann gibt es genau eine reelle Zahl x ∈ R mit ∀k gilt x ∈ Ik oder auch x∈ ∞ \ Ik . k=1 2. Dedekindschen Schnittaxiom. Jeder Dedekindsche Schnitt (A, B) definiert genau eine reelle Zahl z mit x ∈ A ⇒ x ≤ z und y ∈ B ⇒ z ≤ y und zu jeder reellen Zahl findet sich ein Dedekindscher Schnitt (A, B). Beweis. Wir beweisen zunächst, dass das Vollständigkeitsaxiom das Intervallschachtelungsaxiom impliziert. Wir betrachten die abgeschlossenen Intervalle In = [an , bn ] und dazu die Folgen {an }n∈N und {bn }n∈N . Beide Folgen sind Cauchyfolgen, denn für ε > 0 existiert ein N ∈ N mit diam(In ) < ε für alle n > N . Da für m > N gilt Im ⊂ IN gibt es für i, j > N + 1 ein m > N mit ai ∈ Im , aj ∈ Im und damit d(ai , aj ) = |ai − aj | ≤ diam(Im ) < ε. Ersetzen wir in diesem Argument an durch bn so erhalten wir die entsprechende Aussage für die Folge der bn . Aufgrund des Vollständigkeitsaxiom existieren die Grenzwerte a = lim aj , b = lim bj . j→∞ j→∞ Es gilt (vgl. Übungen) a ≤ b und a, b ∈ Im für alle m. Dann ist d(a, b) = b − a = lim (bj − aj ) = lim diam(Ij ) = 0. j→∞ 4 j→∞ Julius Wilhelm Richard Dedekind (6.10.1831-12.2.1916) hatte die Idee der Dedekindschen Schnitte, seinen eigenen Angaben zu Folge, am 24. November 1858 während er eine AnalysisVorlesung an der ETH Zürich vorbereitete. Seine wesentlichen wissenschaftlichen Arbeiten betreffen die Algebra und die Mengenlehre. 2.5. VOLLSTÄNDIGKEIT VON R 41 Also ist a = b. Im nächsten Schritt folgern wir aus dem Intervallschachtelungsprinzip das Dedekindsche Schnittaxiom. Angenommen wir haben zwei nichtleere, disjunkte Mengen A, B ⊂ Q mit A ∪ B = Q und x ∈ A, y ∈ B impliziert x < y. Sei a ∈ A und b ∈ B. Wir definieren rekursiv eine Folge von geschachtelten, abgeschlossenen Intervallen Im = [am , bm ], am ∈ A, bm ∈ B mit limm→∞ diam(Im ) = 0. Setze a1 = a, b1 = b. Angenommen wir hätten am ∈ A, bm ∈ B konstruiert, wir geben nun die Regel an, mit deren Hilfe wir am+1 , bm+1 konstruieren. Wir unterscheiden zwei Fälle am + b m am+1 = am + bm , ∈A bm+1 = bm 2 2 setze am + b m am + b m . ∈B am+1 = am , bm+1 = 2 2 Dann ist diam(Im+1 ) = 21 diam(Im ) = 12 (b − a) · 2−m+1 = (b − a)2−m . Nach Satz 2.3.6 (2) konvergiert diam(Im ) → 0 und T es gibt nach dem Intervallschachtelungsprinzip genau eine reelle Zahl x ∈ m∈N Im . Wir behaupten nun, x habe die gewünschten Eigenschaften. Erstens für alle a ∈ A ist x ≥ a: Angenommen es gibt ein A 3 a0 > x. Dann ist für alle b ∈ B b − x > b − a0 . Da die Folgenglieder bm ∈ B liegen und zu jedem ε > 0 ein N ∈ dass n > N impliziert bn − an < ε, erhält man mit N existiert, so b − a0 < bn − x ≤ bn − an < ε < b − a0 für ε < b − a0 einen Widerspruch. Zweitens gilt für alle b ∈ B die Ungleichung b ≥ x. Die Begründung ist eine Kopie, der oben angegebenen Begründung. Damit hat dann x die gewünschten Eigenschaften. Zu gegebenem x ∈ R erhält man einen Schnitt durch n o n o A = y ∈ Q y < x und B = y ∈ Q y ≥ x . Im nächsten Schritt beweisen wir, dass das Dedekindsche Schnittaxiom das Intervallschachtelungsprinzip impliziert. Wir setzen also voraus, dass wir eine Folge von abgeschlossenen Intervallen Im hätten, mit Im+1 ⊂ Im für alle m und limm→∞ diam(Im ) = 0. Zu zeigen ist, dass genau ein x im Schnitt aller dieser abgeschlossenen Intervalle liegt. Setze Im = [am , bm ] und n o n o Am = y ∈ Q y ≤ am und Bm = y ∈ Q y > bm . 42 KAPITEL 2. REELLE UND KOMPLEXE ZAHLEN Sei A0 = [ N m∈ Am und B = [ N Bm . m∈ n o T Setze A = A0 ∪ q ∈ Q q ∈ ∞ I m=1 m . Wir zeigen zunächst A ∩ B = ∅ und A∪B = Q. Angenommen z ∈ A∩B. Dann ist z ∈ A und z ∈ B, also insbesondere T z ∈ A0 oder z ∈ ∞ I und z ∈ B. Ist z ∈ A0 ∩ B, so gibt es ein am mit z ≤ am m=1 m und ein bn mit z ≥ bT n . Dann ist aber am ≥ bn und dies ist ein Widerspruch. Im anderen Fall ist z ∈ ∞ m=1 Im und in B. Dann ist z ≤ Bn für alle n und z > bm für alle m. Auch dies ist ein Widerspruch! Wir zeigen A ∪ B = Q. Ist x ∈ Q und x T ∈ / A0 ∪ B, so ist x ≥ am für alle m ∈ N und x ≤ bn für alle n ∈ N, also x ∈ ∞ m=1 Im und damit x ∈ A. Sei ζ, die zu diesem Dedekindschen Schnitt T∞ gehörende Zahl. Dann ist ζ ≥ an für alle n und ζ ≤ bn für alle n, also ζ ∈ m=1 Im . Da limm→∞ diam(Im ) = 0 ist, gibt es in diesem Schnitt höchstens einen Wert. Im letzten Schritt zeigen wir noch, dass das Intervallschachtelungsprinzip die Vollständigkeit zur Folge hat. Wir beginnen mit einer Cauchyfolge {xn }n∈N . Setze εi = 2−i und definiere eine Folge Ni natürlicher Zahlen mit Ni+1 > Ni und für j, k > Ni gilt |xj − xk | < εi+1 . Setze Ii = [xNi +1 − εi , xNi +1 + εi ]. Man beachte, dass für j > Ni + 1 gilt xj ∈ Ii . Dann ist für j > k das abgeschlossene Intervall Ij ⊂ Ik und diam(Im ) = 2−m+1 . Daher sind die Voraussetzungen des Intervallschachtelungsprinzip erfüllt und es existiert ein x ⊂ ∩i∈N Ii . Wir müssen noch zeigen, dass limj→∞ xj = x. Sei ε > 0 gegeben, wähle N , so dass i > N impliziert 2εi < ε. Dies ist möglich, da εi → 0 konvergiert. Dann ist x ∈ Ii = [xNi +1 − εi , xNi +1 + εi ]. Da auch alle xj ∈ Ii für j > Ni + 1 folgt, dass für diese j gilt |xj − xi | < 2εi < ε. Wir wissen bereits, dass eine Folge in R genau dann konvergent ist, wenn sie eine Cauchyfolge ist. Welche Kriterien haben wir für die Konvergenz einer Folge? Wir betrachten zunächst einige einfache Beispiele: 1. Die konstante Folge ξ = (a, a, a, . . . , a, . . . ) ist Cauchyfolge und konvergent. Sei ε > 0 gegeben, betrachte ein beliebiges N ∈ |ξi − ξj | = 0 < ε. 2. Die Folge ξn = 1 n N. Dann ist für i, j > N ist Cauchy-Folge und damit konvergent. Sei ε > 0. Dann existiert ein N ∈ N mit N > für i, j > N ist demnach 1i , 1j < N1 und es gilt 2 ε und somit ist 1 1 1 1 2 | − |< + < < ε. i j i j N 2 N < ε und