Kapitel 6 Konsumentenrente, Produktion Vor- und Nachbereitung: ● Varian, Chapters 14 und18 ● Frank, Chapters 5 und 9 ● Übungsblatt 6 © Klaus M. Schmidt, 2008 6.1 Die inverse Nachfragefunktion Er wird oft nützlich sein, die Nachfragefunktion x1(p1) nach p1 aufzulösen und die inverse Nachfragefunktion zu betrachten (Vorsicht: Das geht nur, wenn die Nachfragefunktion streng monoton ist). p1 Abb 6.1: Die inverse Nachfragekurve Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) x1 2 Die inverse Nachfragekurve gibt für jede Menge an, wie viel das Gut kosten müsste, damit der Konsument exakt diese Menge nachfragt. Sie hat eine interessante Interpretation: Im Nutzenmaximum muss gelten: p1 GRS = p2 Sei Gut 2 wieder die “Ausgaben für alle übrigen Güter” (p2 = 1). Dann gilt: p1 = GRS d.h., im Nutzenmaximum ist der Preis des Gutes 1 gleich der |GRS|. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 3 Die GRS misst, wie viel übrigen Konsum (gemessen in € ) der Konsument aufzugeben bereit ist, um eine zusätzliche Einheit von Gut 1 zu bekommen. Da die GRS im Nutzenmaximum gleich dem Preis ist, drückt die inverse Nachfragekurve auch die marginale Zahlungsbereitschaft des Konsumenten für jede weitere Einheit von Gut 1 aus. Beachten Sie: Wenn die inverse Nachfragekurve fällt, was bei gewöhnlichen Gütern der Fall ist, dann nimmt die marginale Zahlungsbereitschaft des Konsumenten mit zunehmendem Konsum ab. (Gossensches Gesetz vom “abnehmenden Grenznutzen”.) Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 4 6.2 Die Rente des Konsumenten Wenn ein rationaler Konsument x1 Einheiten von Gut 1 kauft, dann muss es der Fall sein, dass seine Zahlungsbereitschaft für diese x1 Einheiten größer ist als seine Ausgaben für dieses Gut, d.h. als p1x1. Oft möchten wir aber wissen, wie hoch genau die Zahlungsbereitschaft für diese Einheiten ist. In diesem Kapitel werden wir sehen, wie wir diese Zahlungsbereitschaft aus der individuellen Nachfragefunktion des Konsumenten ableiten können. Nehmen wir zunächst an, dass es bei der Nachfrage nach Gut 1 keine Einkommenseffekte gibt. Dann können wir die individuelle inverse Nachfragefunktion des Konsumenten wie folgt interpretieren: ● Der Preis, bei dem der Konsument genau eine Einheit nachfragen würde, ist die Zahlungsbereitschaft des Konsumenten für die erste Einheit von Gut 1. ● Der Preis, bei dem der Konsument genau zwei Einheiten nachfragen würde, ist die Zahlungsbereitschaft des Konsumenten für die zweite Einheit von Gut 1, usw. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 5 p x1 Abb 6.2: Inverse Nachfragefunktion und Zahlungsbereitschaften Wenn die einzelnen Einheiten von Gut 1 klein sind, dann wird aus der Treppenfunktion approximativ eine stetige Funktion. Der Bruttonutzen des Konsumenten, wenn er x1 Einheiten konsumiert, ist also einfach die Fläche unter der inversen Nachfragefunktion von der Menge 0 bis zur Menge x1 . Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 6 Wenn der Konsument für jede Einheit den Preis p1 zahlen muss, dann wird er soviel von Gut 1 nachfragen, bis die Zahlungsbereitschaft für die letzte Einheit von Gut 1 gerade gleich dem Preis von Gut 1 ist. Der Nettonutzen oder die “Rente” des Konsumenten ist dann die Fläche unter der (inversen) Nachfragekurve von 0 bis zur nachgefragten Menge abzüglich des Rechtecks p1x1 (der Ausgaben). p1 Abb 6.3: Die Rente des Konsumenten Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) x1 7 Beachten Sie: Streng genommen ist diese Interpretation der Nachfragekurve nur möglich, wenn es keine Einkommenseffekte gibt. Warum? Angenommen der Konsument kauft die erste Einheit des Gutes zum Preis 10 €. Dann ist er jetzt um 10 € ärmer als vorher. Wenn es bei der Nachfrage nach Gut 1 einen Einkommenseffekt gibt, dann wird sich dadurch seine Zahlungsbereitschaft für die zweite Einheit des Gutes verändern. Insbesondere hängt seine Zahlungsbereitschaft für die zweite Einheit jetzt von dem Preis p1 ab, den er für die erste Einheit bereits bezahlen musste. Also sind Preis und Zahlungsbereitschaft nicht mehr unabhängig voneinander! Fazit: Wenn Einkommenseffekte vorliegen, dann können wir die inverse Nachfragefunktion nicht mehr als Maß für die Zahlungsbereitschaften verwenden. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 8 Wie wichtig ist diese Einschränkung? ● Wenn die Ausgaben für das betrachtete Gut klein sind, dann spielen Einkommenseffekte empirisch in vielen Fällen keine wichtige Rolle und können approximativ vernachlässigt werden. ● Wenn die Ausgaben für das betrachtete Gut hoch sind, dürfen Einkommenseffekte nicht vernachlässigt werden. In diesem Fall gibt es ein etwas komplizierteres Verfahren (über die sog. Hicksche Nachfragefunktion) mit der die Zahlungsbereitschaft gemessen werden kann. Beachten Sie: Keine Einkommenseffekte ist gleichbedeutend mit quasi-linearen Präferenzen. Das ist der Grund, warum quasi-lineare Nutzenfunktionen von Ökonomen so gerne verwendet werden. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 9 6.3 Die Konsumentenrente In Kapitel 6.2 haben wir die Rente eines einzelnen Konsumenten betrachtet. Oft interessiert uns aber, wie groß die Summe der Renten aller Konsumenten ist. Wenn wir Einkommenseffekte vernachlässigen können, dann können wir die Flächen unter den individuellen, inversen Nachfragekurven einfach aufsummieren. Beachten Sie, dass die Marktnachfragekurve nichts anderes ist als die Summe der individuellen Nachfragen. Da die individuellen, inversen Nachfragekurven “horizontal” aufaddiert werden, ist die Summe der Renten aller Konsumenten nichts anderes als die Fläche unter der inversen Marktnachfragekurve (aber oberhalb des Preises)! Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 10 p Abb 6.4: Die Konsumentenrente D Die Summe der Renten aller Konsumenten wird Konsumentenrente genannt. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 11 6.4 Anwendung: Kosten-Nutzen Analyse Bei allen ökonomischen Entscheidungen müssen Kosten und Nutzen miteinander verglichen werden. Das ist besonders schwierig, wenn von dieser Entscheidung mehrere Personen gleichzeitig betroffen sind. In diesem Fall ist die Konsumentenrente ein wichtiges Maß für den aggregierten Nutzen einer Gruppe von Personen: Sie drückt aus, um wie viel die maximale Zahlungsbereitschaft der Gruppe für eine bestimmte Gütermenge den tatsächlichen Preis übersteigt. Beispiel 1: Der Freistaat Bayern überlegt, eine neue Autobahn von München nach Passau zu bauen, wodurch sich die Fahrtzeiten vieler Autofahrer deutlich verkürzen würden. Alle Kosten, die mit der Autobahn verbunden sind (Baukosten, Belastung der Anwohner, etc.), seien bereits bekannt. Wie kann der Nutzengewinn der Autofahrer aus der Autobahn gemessen werden? Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 12 ● Ein Marktforschungsunternehmen schätzt die “Nachfragefunktion” nach Fahrten auf dieser Autobahn, d.h., wie viele Autofahrer die Autobahn wie oft benutzen würden, wenn sie für die Benutzung eine Maut von € 1, € 2, € 3 usw. bezahlen müssten. ● Die Fläche unter der Inversen dieser Nachfragekurve gibt approximativ an, wie hoch die Summe der Zahlungsbereitschaften aller Konsumenten und damit der Nutzen aus der Autobahn ist. Beachten Sie: Es ist wichtig zu wissen, wie viele Autofahrer die Autobahn bei welcher Maut benutzen würden, selbst wenn der Freistaat gar keine Maut erheben will! Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 13 Beispiel 2: Der Staat ist in akuter Finanznot und muss eine Sondersteuer auf den Konsum bestimmter Güter erheben. Zur Auswahl stehen: ● eine Schuhsteuer ● eine Erbsensteuer Nehmen wir an, dass die Unternehmen vor und nach der Steuererhöhung gerade ihr eingesetztes Kapital verzinsen können (“Nullgewinne”) und dass die Steuer vollständig auf die Konsumenten überwälzt wird. Unter dieser Annahme können wir die Unternehmen beim Wohlfahrtsvergleich der beiden Steuern ignorieren. Jede dieser Steuern ist mit einem Wohlfahrtsverlust verbunden, denn die Steuereinnahmen des Staates sind niedriger als der Verlust an Konsumentenrente: Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 14 p D Abb 6.5: Wohlfahrtsverlust durch eine Steuer Dennoch muss eine dieser Steuern eingeführt werden. Frage: Welche Steuer führt zu geringeren Wohlfahrtsverlusten? Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 15 Beachten Sie: Je flacher die inverse Nachfragekurve, d.h., je preiselastischer die Nachfrage nach einem Gut, ● um so größer ist der Nachfragerückgang bei einer Steuererhöhung, ● und um so größer ist der tote Verlust an Konsumentenrente (d.h., derjenige Verlust, dem keine Steuereinnahmen des Staates gegenüberstehen). Fazit: Da die Nachfrage nach Schuhen weniger preiselastisch ist als die nach Erbsen, sollten die Schuhe besteuert werden. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 16 6.5 Anwendung: Finanzierung eines Club-Gutes In einer kleinen Stadt hat sich ein Tennisverein gebildet, der seinen Mitgliedern Tennisplätze zur Verfügung stellen möchte. ● Die jährlichen Kosten der Anlage belaufen sich auf € 60.000 ● Der Kassenwart schlägt vor, diesen Betrag durch Gebühren zu finanzieren, die pro Stunde und Platz erhoben werden. Die jährliche Nachfrage nach “Stunden Tennisplatz” ist gegeben durch D( p ) = 10.000 − 500 p ● Es gibt keine Kapazitätsprobleme. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 17 1. Frage: Kann die Tennisanlage auf diese Weise finanziert werden? Die Einnahmen des Vereins beim Preis p sind gegeben durch E = p ⋅ D( p ) = 10.000 p − 500 p 2 Die Bedingung erster Ordnung für die Maximierung der Erlöse verlangt: dE = 10.000 − 1000 p = 0 dP Also werden die Einnahmen maximiert beim Preis p* = 10 Bei diesem Preis werden 5000 Stunden Tennis nachgefragt, so dass die Einnahmen in Höhe von € 50.000 hinter den Kosten von € 60.000 zurückbleiben. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 18 2. Frage: Sollte die Tennisanlage trotzdem gebaut werden? Was wären die Mitglieder insgesamt bereit, für die Tennisanlage zu zahlen, wenn sie dafür umsonst spielen dürften? Die Konsumentenrente ist die Fläche unter der inversen Nachfragefunktion: p = 20 − 0, 002 D Die inverse Nachfragefunktion schneidet die p-Achse bei 20 und die DAchse bei 10.000. Da sie linear ist, ist die Fläche unter dieser Kurve einfach KR = 20 ⋅10.000 = 100.000 2 Da die Konsumentenrente höher ist als die Kosten, sollte die Anlage gebaut werden. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 19 3. Frage: Wie kann man die Anlage finanzieren? Nehmen wir an, dass es 500 Mitglieder des Clubs gibt, die alle dieselbe individuelle Nachfragefunktion haben. Dann hat jedes Clubmitglied eine Zahlungsbereitschaft von KR KRi = = 200 500 dafür, ein Jahr umsonst Tennis zu spielen. Wenn der Club einen jährlichen Mitgliedsbeitrag in Höhe von € 120,pro Mitglied erhebt, kann die Anlage finanziert werden und jedes Mitglied hat einen Nutzengewinn in Höhe von € 80! Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 20 Weitere Fragen: ● Wenn die Kosten für die Anlage nur € 40.000 betragen, sollte der Club dann auf die jährlichen Mitgliedsbeiträge verzichten und eine Gebühr pro Stunde erheben? ● Nehmen Sie an, dass die Kosten der Anlage über eine Gebühr pro Stunde finanziert werden müssen, dass aber nicht alle Clubmitglieder dieselben individuellen Nachfragekurven haben: Die jugendlichen Clubmitglieder haben eine sehr viel flachere und preiselastischere Nachfragekurve als die älteren Clubmitglieder. Was sollte der Verein jetzt tun? Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 21 6.6 Produktion In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit den Produktionsentscheidungen von Unternehmen. Unsere Vorstellung von einem Unternehmen ist eine grobe Vereinfachung: ● Wir nehmen an, dass das Unternehmen bereits existiert und über eine bestimmte Menge von “Technologien” verfügt. ● Das Unternehmen kann zu gegebenen Preisen “Inputs” (Arbeit, Kapital, Rohstoffe, Vorprodukte) kaufen und in “Outputs” (Verbrauchsgüter) umwandeln. ● Wir betrachten das Unternehmen als kleinste handelnde Einheit und interessieren uns nicht dafür, wie Entscheidungen innerhalb des Unternehmens zustande kommen. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 22 Obwohl dieses Modell zahlreiche interessante Einsichten ermöglicht, kann es auf bestimmte Fragen zum Verhalten von Unternehmen keine Antwort geben, z.B.: ● Wie werden Technologien entwickelt, wie kommt es zu technischem Fortschritt? ● Welche Interessenskonflikte existieren innerhalb eines Unternehmens zwischen den Eigentümern, den Managern und den Arbeitern? ● Wann wird ein Unternehmen auf einen Markt zutreten? ● Was bestimmt die Preise für die “Inputs” und die “Outputs”? Diese Fragen sind wichtig und werden im Laufe des VWL-Studiums ausführlich diskutiert werden. Jetzt fangen wir erst einmal mit dem einfachsten Modell an. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 23 Die Vorgehensweise in den beiden folgenden Kapiteln ist ganz analog zur Theorie des Konsumentenverhaltens: ● Wir beschreiben zunächst die Produktionsmöglichkeiten des Unternehmens (entspricht der Budgetmenge des Konsumenten). ● Dann beschreiben wir die Zielfunktion des Unternehmens (entspricht der Nutzenfunktion). ● Dann bestimmen und charakterisieren wir den optimalen Produktionsplan (entspricht dem optimalen Güterbündel). Auch die verwendeten Techniken sind denen aus der Theorie des Konsumentenverhaltens sehr ähnlich. Darum können wir etwas zügiger vorgehen. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 24 6.7 Die Produktionsfunktion Ein Unternehmen benutzt Inputs oder Produktionsfaktoren um Outputs zu erzeugen. Die Technologie beschreibt, welche Inputkombinationen zu welchen Outputs führen. Inputs Technologie Output Abb. 6.6: Produktion Inputs: ● Arbeit (z.B. Menge an eingesetzter Arbeit einer bestimmten Qualität) ● Kapital (z.B. Anzahl der eingesetzten Maschinen eines bestimmten Typs, Fläche eines Gebäudes) ● Boden (z.B. Fläche eines Grundstücks bestimmter Qualität) ● Rohstoffe und Vorprodukte (z.B. Tonnen Stahl, Megawattstunden Strom, Anzahl bestimmter Vorprodukte) Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 25 Die Mengen der verschiedenen Inputs werden mit x1, ..., xn bezeichnet. Für die Herstellung der meisten Produkte sind viele verschiedene Inputs erforderlich. Zur Vereinfachung und graphischen Veranschaulichung beschränken wir uns meistens auf den ZweiInputgüter-Fall (z.B. Arbeit und Kapital). Outputs: ● Güter für den Endverbrauch (z.B. Autos, Kühlschränke, etc.) ● Zwischenprodukte, die von anderen Unternehmen weiterverarbeitet werden (z.B. Stahl, Chemikalien, Vorprodukte, etc.) Die meisten Unternehmen produzieren viele verschiedene Outputs. Zur Vereinfachung beschränken wir uns auf Ein-Produkt-Unternehmen. Die Menge des Outputs wird mit y bezeichnet. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 26 Technologie: Die Technologie gibt an, wie viel von dem Outputgut mit einer bestimmten Menge von Inputgütern produziert werden kann. Sie beschreibt, ob ein Produktionsplan (x1,...xn,y) durchführbar ist, d.h., ob man mit den Inputs x1,...xn die Outputmenge y auch tatsächlich produzieren kann. Die Menge der durchführbaren Produktionspläne heißt Produktionsmöglichkeitenmenge. Sie beschreibt sämtliche Handlungsmöglichkeiten eines Unternehmens. Beachten Sie: Wenn es möglich ist, mit (x1,x2) die Menge y zu produzieren, dann kann man y in der Regel auch mit größeren Inputmengen, z.B. (x1+3,2x2), produzieren (zumindest wenn man einen Teil der Inputs kostenlos vernichten kann). Da Inputs Kosten verursachen, wird ein Unternehmen keine Inputgüter verschwenden. Darum interessieren wir uns nur für den effizienten Rand der Produktionsmöglichkeitenmenge, der auch Produktionsfunktion genannt wird. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 27 Definition 6.1 Die Produktionsfunktion gibt für jede Kombination von Inputs die maximale Outputmenge y an, die damit produziert werden kann. Die Produktionsfunktion hat viel Ähnlichkeit mit der Nutzenfunktion, die wir aus der Theorie des Konsumentenverhaltens kennen. Aber: ● Die Nutzenfunktion ist ein rein ordinales Konzept, d.h., die absoluten Nutzenwerte haben keine Bedeutung. Außerdem ist der Nutzen interpersonell nicht vergleichbar. ● Die Produktionsfunktion ist ein kardinales Konzept. Die absoluten Produktionsmengen haben eine wohl definierte Bedeutung und lassen sich zwischen verschiedenen Unternehmen problemlos vergleichen. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 28 6.8 Isoquanten Ähnlich wie wir die Präferenzen eines Konsumenten durch Indifferenzkurven darstellen können, können wir die Produktionsfunktion mit Hilfe von sog. Isoquanten veranschaulichen. Definition 6.2 Eine Isoquante ist die Menge aller möglichen Kombinationen von Inputs, mit denen dieselbe maximal mögliche Menge Output y erzeugt werden kann, d.h. I ( y ) = {( x1 , x2 ) f ( x1 , x2 ) = y} Im Zwei-Input-Fall lassen sich die Isoquanten leicht graphisch veranschaulichen: Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 29 x2 Abb. 6.7: Isoquante x1 Beachten Sie: 1. Die Menge aller (x1,x2), die rechts oberhalb der Isoquante I(y) liegen, ist die Menge aller Inputkombinationen, mit denen mindestens y produziert werden kann. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 30 2. Wenn y2>y1, dann muss I(y2) rechts oberhalb von I(y1) liegen. Warum? 3. Wenn ein Unternehmen mit mehr Inputs auch mehr Outputs erzeugen kann, d.h. wenn die Produktionsfunktion streng monoton ist, dann muss die Isoquante eine streng negative Steigung haben. Warum? Beispiele: Wenn die Produktionsfunktion gegeben ist, können wir die Lage einer Isoquante leicht bestimmen: a) y=4x1+2x2. Bestimmen Sie die Isoquante für y=20 (Beispiel für perfekte Substitute). b) y=3x1x2. Bestimmen Sie die Isoquante für y=15 (Beispiel für eine Cobb-Douglas Produktionsfunktion. Allgemeiner: y=Ax1ax2b, A,a,b > 0) c) y=min{x1, 4x2}. Bestimmen Sie die Isoquante für y=16 (Beispiel für eine Produktionsfunktion mit konstanten Proportionen, entspricht perfekten Komplementen) Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 31 6.9 Die Grenzrate der technischen Substitution Substitutionalen Produktionsfunktion: Eine gegebene Outputmenge kann mit verschiedenen Inputkombinationen effizient produziert werden (Beispiele a) und b) oben). Limitationalen Produktionsfunktion: Eine gegebene Outputmenge kann nur mit einer Inputkombination effizient produziert werden (Beispiel c) oben). Bei einer substitutionalen Produktionsfunktion können wir analog zur Grenzrate der Substitution in der Nutzentheorie die Grenzrate der technischen Substitution bestimmen. Definition 6.3: Die Grenzrate der technischen Substitution (GRTS) (manchmal auch “technische Rate der Substitution (TRS)” genannt) beschreibt das Verhältnis, in dem ein Produktionsfaktor durch einen anderen ersetzt werden kann, so dass die Outputmenge unverändert bleibt. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 32 x2 x1 Abb. 6.8: Die Grenzrate der technischen Substitution Die GRTS gibt also die Steigung der Isoquante in einem bestimmten Punkt an. Sie ist grundsätzlich negativ und gibt an, um wie viel ich den Einsatz von Inputfaktor 2 erhöhen muss, wenn ich den Einsatz von Inputfaktor 1 um eine Einheit reduziere. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 33 6.10 Das Grenzprodukt Das Grenzprodukt eines Inputfaktors beschreibt die Veränderung der Outputmenge, wenn die Inputmenge dieses Faktors um eine Einheit erhöht wird, während alle anderen Inputfaktoren unverändert bleiben. Wenn die Produktionsfunktion differenzierbar ist, dann ist das Grenzprodukt von Faktor i die partielle Ableitung der Produktionsfunktion nach xi: ∂f ( x1 ,..., xn ) GPi ( x1 ,..., xn ) = ∂xi Wir können uns die Produktionsfunktion wieder als “Produktionsgebirge” vorstellen: ● Die Höhenlinien entsprechen den Isoquanten. ● Schnitt parallel zur x1-Achse: Wie verändert sich der Output, wenn x2 konstant gehalten wird und sich nur x1 verändert. Die Steigung dieser Funktion ist die partielle Ableitung nach x1. ● Schnitt parallel zur x2-Achse: Wie verändert sich der Output, wenn x1 konstant gehalten wird und sich nur x2 verändert. Die Steigung dieser Funktion ist die partielle Ableitung nach x2. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 34 Grenzprodukt und GRTS Wir können die Grenzprodukte verwenden, um die Grenzrate der technischen Substitution an einer Stelle zu bestimmen. Betrachte eine kleine Variation von x1 und x2 entlang der Isoquante an der Stelle (x1, x2). Für diese muss gelten: GP1 ⋅ Δx1 + GP2 ⋅ Δx2 = Δy = 0 Daraus folgt: GP1 Δx2 − = = GRTS GP2 Δx1 Wenn die Produktionsfunktion differenzierbar ist, können wir also schreiben: ∂f ( x1 , x2 ) ∂ x1 GRTS = − ∂f ( x1 , x2 ) ∂ x2 Also ist die GRTS einfach der Quotient der Grenzprodukte an der Stelle (x1, x2). Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 35 6.11 Grenzprodukt und Durchschnittsprodukt In diesem Kapitel nehmen wir an, dass ein Inputfaktor zumindest kurzfristig exogen gegeben und nicht veränderbar ist (z.B. die Menge der eingesetzten Maschinen oder Gebäude). Der andere Inputfaktor kann dagegen beliebig variiert werden. Wir betrachten also eine partielle Faktorvariation. Sei x2=x2 exogen gegeben. Dann kann f(x1,x2)= f(x1,x2) nur in x1 variieren und wir können die Produktionsfunktion im (x1,y)-Diagramm abtragen. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 36 y x1 GP1 DP1 Abb. 6.9: Grenz- und Durchschnittsprodukt Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) x1 37 Beachten Sie: ● Der Funktionswert y= f(x1,x2) gibt das totale Produkt an der Stelle f(x1,x2) an. ● Die Steigung der Produktionsfunktion an der Stelle x1 gibt das Grenzprodukt (oder die Grenzproduktivität) des Inputfaktors 1 an. ● Die Steigung der Geraden durch den Ursprung zum Punkt (x1,f(x1,x2)) gibt das durchschnittliche Produkt pro eingesetztem Inputfaktor 1 (oder die Durchschnittsproduktivität) an. Es muss gelten: ● Wenn das Grenzprodukt größer ist als das Durchschnittsprodukt, steigt das Durchschnittsprodukt. ● Wenn das Grenzprodukt kleiner ist als das Durchschnittsprodukt, fällt das Durchschnittsprodukt. ● Wenn das Grenzprodukt gleich dem Durchschnittsprodukt ist, ist das Durchschnittsprodukt konstant. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 38 Anwendungsbeispiel: Ein Bauer hat zwei Felder, A und B, auf denen er Weizen anbaut. Der Weizen gedeiht nur, wenn die Felder gedüngt werden. Die Felder sind von unterschiedlicher Qualität, d.h., sie zeichnen sich durch unterschiedliche Produktionsfunktionen aus, die in der folgenden Tabelle zusammengefasst sind. Dabei ist x die Menge an ausgebrachtem Dünger (in Zentnern) und y die Menge an produziertem Weizen (in Tonnen): x y=fA(x) x y=fB(x) GPB DPB 0 0 0 0 1 4 4 4,0 1 1 1 1,0 2 7 3 3,5 2 3 2 1,5 3 10 3 3,3 3 5 2 1,7 4 12 2 3,0 4 7 2 1,8 5 13 1 2,6 5 9 2 1,8 6 14 1 2,3 6 11 2 1,8 7 15 1 2,1 7 13 2 1,9 Prof. Martin Kocher GPA DPA Mikro 1-6 (SS 2009) 39 Bisher hat der Bauer auf jedes Feld 5 Zentner Dünger ausgebracht. ● Angenommen, der Bauer hat einen weiteren Zentner Dünger zur Verfügung. Auf welchem Feld sollte er ihn ausbringen? ● War die ursprüngliche Aufteilung vernünftig? Sollte der Bauer nicht mehr Dünger auf Feld A streuen, das eine höhere durchschnittliche Produktivität hat? Oder mehr auf Feld B, das ein höheres Grenzprodukt aufweist? Gesetz vom abnehmenden Grenzprodukt: Bei den meisten Produktionsfunktionen nimmt das Grenzprodukt eines Inputfaktors (im relevanten Bereich) mit zunehmendem Einsatz dieses Faktors ab, d.h., die zweite partielle Ableitung ist negativ. ∂ 2 f ( x1 , x2 ) <0 2 ∂xi Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 40 6.12 Skalenerträge Im letzten Abschnitt hatten wir nur einen Produktionsfaktor variiert und den anderen konstant gehalten. Langfristig kann das Unternehmen aber den Einsatz aller Inputfaktoren verändern (totale Faktorvariation). Wir betrachten jetzt den Fall, dass alle Produktionsfaktoren im selben Verhältnis erhöht werden. Angenommen, die Menge aller eingesetzter Inputfaktoren wird mit dem Faktor k>1 multipliziert: ● Wenn der Output um mehr als das k-fache steigt, sprechen wir von steigenden Skalenerträgen (increasing returns to scale). ● Wenn der Output um genau das k-fache steigt, sprechen wir von konstanten Skalenerträgen (constant returns to scale). ● Wenn der Output um weniger als das k-fache steigt, sprechen wir von fallenden Skalenerträgen (decreasing returns to scale). Steigende Skalenerträge ergeben sich aus Massenproduktionsvorteilen. Beispiel: Stecknadelproduktion (Adam Smith). Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 41 Wenn sich alle Produktionsfaktoren zu konstanten Preisen beliebig vermehren lassen, dann sollten alle Unternehmen wenigstens konstante Skalenerträge aufweisen. Denn dann kann man die doppelte Menge produzieren, indem man einfach exakt die Produktionsanlage zu exakt denselben Kosten noch einmal aufbaut. Dennoch scheinen viele Unternehmen ab einer bestimmten Größe fallende Skalenerträge aufzuweisen. Zunehmende Unternehmensgröße kann zu erheblichen Kosten durch geringere Flexibilität, zunehmende Bürokratisierung, abnehmende Motivation der Mitarbeiter, etc. führen. Beispiele: ● United Steel versus Mini-mills ● Staatliche Post versus private Kurierdienste ● DDR, Sowjetunion Beachten Sie: Skalenerträge sind eine lokale Eigenschaft. Eine Produktionsfunktion kann in einem bestimmten Bereich steigende und in einem anderen Bereich fallende Skalenerträge aufweisen. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 42 Beispiele: Welche der folgenden Funktionen hat steigende, konstante, fallende Skalenerträge? • • y = 4 x1 + x2 y = 3 x1 x2 • • y = 3x10,3 x2 0,7 y = x1 + 12 x2 Neben Massenproduktionsvorteilen (“economies of scale”) gibt es auch Verbundproduktionsvorteile (“economies of scope”). Damit werden Kostenvorteile bezeichnet, die sich ergeben, wenn mehrere Produkte in einem Unternehmen statt in getrennten Unternehmen produziert werden. Sie werden oft auch “Synergieeffekte” genannt und sind ein wichtiger Grund, warum die meisten Unternehmen viele verschiedene Produkte anbieten. Bei der Analyse von Mehr-Produkt Unternehmen spielen sie eine wichtige Rolle. Prof. Martin Kocher Mikro 1-6 (SS 2009) 43