8.3 Das Monopol aus gesellschaftlicher Sicht

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8.3 Das Monopol aus gesellschaftlicher Sicht
In den vorangegangenen Abschnitten haben wir die Entscheidung eines Monopolisten
untersucht. Hier wollen wir nun untersuchen, wie die Output- bzw. die Preisentscheidung
einzuschätzen ist. Dazu werden wir das Konzept der Konsumentenrente heranziehen. Sie
mißt, wie wir in 3.5 gesehen haben, den Nutzen der Konsumenten. Wir haben nun
mehrfach betont, daß das Wohlergehen der Endverbraucher die wichtigste Zielgröße bei
wirtschaftspolitischen Maßnahmen ist. Daher ist es sinnvoll, die Konsumentenrente und
damit den Nutzen der Konsumenten heranzuziehen. Wir werden wieder den einfachstmöglichen Fall betrachten. Wir betrachten nur einen Konsumenten mit quasilinearen
Präferenzen und zwei Güter. Die Produktionstechnologie nutzt das zweite Gut als Input,
um das erste Gut zu produzieren. Wir stellen uns vor, daß ohne Produktion nur das zweite
Gut in positiven Mengen vorhanden ist: ω1 = 0, ω2 > 0. Bevor Produktion stattgefunden
hat, ist daher der Nutzen des Konsumenten
u (ω1, ω2) = v(0) + ω2 = ω2 .
Wir werden das zweite Gut als Numerairegut betrachten. Die Produktionsfunktion sei
durch y = f(x) gegeben. Dann ist die Kostenfunktion gerade die Umkehrfunktion der
Produktionsfunktion C(y) = f -1(y). Sie gibt einfach an, wieviel Input benötigt wird, um y
Einheiten des ersten Gutes zu produzieren. Damit können wir nun beschreiben, welche
Allokationen durch die Produktion erreicht werden können. Wenn wir x Einheiten vom
zweiten Gut zur Produktion von y = f(x) Einheiten des ersten Gutes nutzen, bleiben zum
Konsum noch x2 = ω2 - x übrig. Wir haben also die Allokation:
x1 = y = f(x) und x2 = ω2 - x
oder mit Hilfe der Kostenfunktion ausgedrückt:
x1 = y und x2 = ω2 - C(y).
Wir werden diese Darstellung benutzen. Der Nutzen läßt sich dann darstellen als
u (x1, x2) = u (y, ω2 - C(y)) = v(y) + ω2 - C(y).
Demnach kann der Nutzenanstieg durch
u (x1, x2) - u (ω1, ω2) = v(y) - C(y)
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gemessen werden. Diese Größe wird in der Literatur sozialer Überschuß genannt. Daraus
läßt sich zum einen einfach ablesen, wann die Produktion aus der (gesellschaftlichen) Sicht
des Konsumenten sinnvoll ist. Sie ist sinnvoll, wenn der Nutzen die Kosten übersteigt.
Man kann aber auch darüber hinaus fragen, bei welchem Outputniveau es dem
Konsumenten am besten geht. Die Anwort auf diese Frage fällt hier nicht schwer, weil der
Nutzenanstieg nur noch von dem Outputniveau abhängt. Maximiert man den
Nutzenanstieg, so ergibt sich als Bedingung erster Ordnung
v'(y) = MC(y).
Der Grenznutzen einer Outputerhöhung muß gerade ihren Grenzkosten entsprechen.
Inzwischen sollte eine solche Charakteristik einer optimalen Entscheidung keine
Überraschung mehr sein. Vielmehr sollte es für jeden klar sein, daß es dem Konsumenten
durch Änderung des Outputs immer besser geht, solange diese Bedingung nicht erfüllt ist.
Wenn wir uns daran erinnern, daß die Grenznutzenkurve bei quasilinearen Präferenzen
immer der Preis-Absatzfunktion entspricht, können wir die Lösung auch graphisch einfach
bestimmen:
Preis
Preis-Absatzfunktion
Grenzkostenfunktion
yS
Menge
Das Outputniveau, yS, das den Nutzenanstieg durch die Produktion des ersten Gutes
maximiert, ist dadurch charakterisiert, daß sich die Preis-Absatz- und die
Grenzkostenkurve schneiden. In Charakteristika der Preisabsatzfunktion läßt sich die
"sozial" optimale Outputentscheidung durch
P(yS) = MC(yS)
festhalten: Der Preis muß den Grenzkosten entsprechen. Damit läßt sich nun die sozial
erwünschte Situation einfach mit der Wahl des Monopolisten vergleichen. Sie war dadurch
gekennzeichnet, daß
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P(yM) + yM P'(yM) = MC(yM)
gilt. Da die Preis-Absatzfunktion sinkt, muß der Preis, den ein Monopolist wählt, über den
Grenzkosten liegen, wie wir auch schon festgestellt haben. Als erstes können wir daher
festhalten, daß die Entscheidung eines Monopolisten nicht der sozial optimalen
Entscheidung entspricht. Genauer kann man aus der folgenden Graphik ablesen, daß die
vom Monopolisten gewählte Menge zu klein ist:
Preis
P(.)
pM
pS
MC(.)
MR(.)
yM
yS
Menge
Dies ist der zentrale Befund über die Entscheidung eines Monopolisten: Die Versorgung
der Konsumenten mit Gütern ist schlechter als es gesellschaftlich sinnvoll wäre. Ein
Monopolist verknappt die Versorgung und erzielt dadurch einen höheren Preis. An diesem
Befund würde sich nichts ändern, wenn wir mehr Konsumenten und allgemeinere
Präferenzen zulassen würden.
Bei der Entscheidung eines Monopolisten entsteht die Konsumentenrente
∞
∫p M x ( p)dp .
Diese wäre bei der sozial optimalen Entscheidung größer
∞
∫pS x ( p)dp .
Dafür würde der Gewinn des Monopolisten, der in diesem Zusammenhang oft
Produzentenrente genannt wird, von pM yM - C(yM) auf pS yS - C(yS) sinken. Vergleicht man
die Gewinne der Konsumenten mit dem Verlust des Monopolisten, so sieht man, daß die
Konsumenten durch eine Änderung der Entscheidung von yM auf yS mehr gewinnen würden
als der Monopolist verliert. Dies bedeutet u.a., daß die Konsumenten dem Monopolisten
einen Teil ihrer gewonnenen Konsumentenrente zahlen könnten und den Monopolisten
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damit mehr als kompensieren könnten, ohne sich selbst schlechter zu stellen als yM. Beide
können also gewinnen, wenn statt (yM, pM) die Situation (yS, pS) vorherrscht. Dies bedeutet,
daß die Situation (yM, pM) nicht Pareto-optimal ist. Gesellschaftlich gesehen wäre daher
eine solche Änderung positiv zu sehen. Die vom Monopolisten herbeigeführte Allokation
ist nicht Pareto-optimal und verschwendet daher gesellschaftliche Ressourcen. Hier wird
ein Teil der Erstausstattung mit dem zweiten Gut zu konsumptiven Zwecken genutzt,
obwohl dieser Teil als Investition in die Produktion des ersten Gutes mehr Nutzen stiften
würde. Die Überkonsumption des zweiten Gutes liegt darin begründet, daß der Monopolist
aus Gewinnüberlegungen heraus nicht soviel von diesem Gut als Input nachfragen will.
Daher wird diese Ressource verschwendet.
Die Darstellung des sozialen Überschusses als Summe von Konsumentenrente und
Produzentenrente wird im übrigen in der Literatur meist als Definitionsgleichung benutzt.
Die Konsumentenrente wird dabei i.d.R. über die Marktnachfragefunktion bestimmt. Daher
kann der soziale Überschuß bei mehreren Konsumenten (und weiterhin quasilinearen
Präferenzen) als Summe der Nutzen der Konsumenten interpretiert werden. Für zwei
Konsumenten ergäbe sich für den Nutzenanstieg, wenn der Preis p gefordert wird
v A ( x1A ( p)) + v B ( x1B ( p)) − C ( x1A ( p) + x1B ( p))
∞
=
∫
∞
x1A (q )dq
+
px1A ( p)
p
+ ∫ x1B (q )dq + px1B ( p) − C ( x1A ( p) + x1B ( p))
p
∞
= ∫ x (q )dq + ( px ( p) − C ( x ( p)) .
p
Also ist die Summe der Nutzen (der soziale Überschuß) tatsächlich die Summe aus
Konsumentenrente (Fläche "unter der Marktnachfragefunktion") und der Produzentenrente
(Gewinn). Im allgemeinen sind solche Verrechnungen von Nutzen, wie sie bei einer
Summenbildung vorgenommen werden, problematisch. Offenbar braucht man dazu mehr
als ordinale Information über die Präferenzen. Es reicht nicht mehr, zu wissen, daß ein
Konsument ein Güterbündel einem anderen vorzieht, sondern man muß auch wissen, um
wieviel. Nur so können Nutzeneinbußen gegen Nutzengewinne verrechnet werden.
Offenbar kommt dann noch die Schwierigkeit hinzu, daß das subjektive Wohlbefinden
interpersonell vergleichbar sein muß. Näher wollen wir auf diese Problematik hier nicht
eingehen. Wir werden in einem späteren Kapitel darauf zurückkommen. Allerdings kann
bei quasilinearen Präferenzen gezeigt werden, daß diese Probleme weitgehend
verschwinden. Man kann dann nämlich zeigen, daß das Maß des sozialen Überschusses
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trotz der Summenbildung nur ordinale Information über die Präferenzen nutzt. Die
entsprechenden Details werden z.B. in der Vorlesung Preistheorie erläutert. Da damit die
Problematik des sozialen Überschusses bei quasilinearen Präferenzen nicht auftritt, werden
wir es weiterhin benutzen und können hier festhalten, daß es der Summe der
Konsumentennutzen entspricht.
Der Monopolist verlangt im Vergleich mit der sozial optimalen Situation einen zu hohen
Preis. Damit zahlen die Konsumenten einen "überhöhten" Preis. Ein Teil ihres
Einkommens fließt "ungerechtfertigt" an den Monopolisten. Man kann daher versucht sein,
diesen "ungerechtfertigten" Einkommenstransfer als das "Übel" der Monopolsituation zu
sehen. Dies trifft jedoch nicht den Kern. Bei unserer Annahme quasilinearer Präferenzen
spielt dieses Argument sogar gar keine Rolle. Um dies einzusehen, müssen wir beachten,
daß der Gewinn des Monopolisten Einkommen für irgendwelche Individuen darstellt, die
wieder Endverbraucher sind. Im Extremfall gehört das monopolistische Unternehmen dem
Konsumenten. Dann fließt der Gewinn des Monopolisten wieder in die Tasche des
Konsumenten. In dieser Extremsituation wird besonders deutlich, daß ein solcher Transfer
nicht per se schlecht ist.
Allgemeiner fließt der Gewinn immer in die Taschen von irgendwelchen Konsumenten. Ob
es "der Gesellschaft" besser geht oder schlechter, hängt daher davon ab, wie man die
Nutzenverluste gegen die Nutzengewinne abwägt. Eine Möglichkeit besteht einfach darin,
die Summe der Nutzen zu betrachten und zu sehen, ob diese Summe steigt oder fällt. Nach
unseren obigen Überlegungen bietet sich daher das Maß des sozialen Überschusses dazu
an. Da wir das zweite Gut als Numerairegut gewählt haben, können wir
Einkommentransfers als Umverteilungen des zweiten Gutes modellieren. Aus der
Quasilinearität folgt dann fast unmittelbar, daß diese Umverteilungen überhaupt keine
Auswirkungen auf die Summe der Nutzen hat. Betrachten wir zwei Konsumenten A und B.
Die Summe der Nutzen ist
v A ( x1A ) + x 2A + v B ( x1B ) + x 2B = v A ( x1A ) + ( x 2A − T ) + v B ( x1B ) + ( x 2B + T )
und damit unabhängig von Umverteilungen des zweiten Gutes. Man kann sich nun leicht
überlegen, daß sich diese Eigenschaft auf den sozialen Überschuß in der üblichen
Definition (Konsumentenrente plus Produzentenrente) überträgt. Dies ist in der Tat
charakteristisch für dieses Konzept: Es ist neutral in bezug auf Umverteilungen des
Einkommens.
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Wir wollen daher als Fazit festhalten: Bei quasilinearen Präferenzen spielen
Einkommensumverteilungen durch Transferzahlungen keine Rolle, wenn wir das Konzept
des sozialen Überschusses als gesellschaftliches Kriterium wählen. Auf die
Monopolsituation bezogen bedeutet dies, daß das "Übel" der Monopolsituation nicht in den
implizierten Transfers von den Verbrauchern zu den Eigentümern des monopolistischen
Unternehmens besteht, sondern in der Verschwendung der Ressourcen. Das Instrument des
sozialen Überschusses kann daher Pareto-suboptimale Entscheidungen aufdecken. Auf der
Verteilungsseite ist es kein geeignetes Instrument. Dies ist das erste Mal, daß wir im
Prinzip zwei zentrale Bereiche der Volkswirtschaftslehre ansprechen: den Bereich der
wirtschaftlichen Effizienzüberlegungen, die wir mit Hilfe des Pareto-Kriteriums oder im
Fall quasilinearer Präferenzen auch mit Hilfe des sozialen Überschusses analysieren
können, und den Bereich der Verteilungsüberlegungen, für den wir hier offenbar noch kein
geeignetes Instrumentarium entwickelt haben. Wir werden im folgenden uns zunächst
weiterhin den Effizienzüberlegungen widmen und erst später in der Vorlesung auf
Verteilungsüberlegungen zurückkommen.
Mit Hilfe des sozialen Überschusses lassen sich auch die mit einer monopolistischen
Entscheidung verbundenen sozialen Verluste (in englisch: dead weigh loss) quantifizieren.
Betrachten wir dazu nochmals die letzte Graphik:
Preis
A
P(.)
pM
pS
B
MR(.)
MC(.)
C
D
0
yM
yS
Menge
Der soziale Überschuß könnte bei der sozial optimalen Menge die Fläche zwischen der
Preis-Absatzfunktion und der Grenzkostenfunktion sein, also die Fläche AC0. Bei der
monopolistischen Wahl ist der soziale Überschuß nur die Fläche zwischen diesen beiden
Kurven zwischen 0 und yM, also die Fläche ABD0. Die Differenz besteht in der Fläche
zwischen beiden Kurven und zwichen yM und yS, also der Fläche BCD. Dieses Maß, das bei
linearer Grenzkostenfunktion ein Dreieck ist, wird auch oft Harberger-Dreieck genannt.
Harberger hat dieses Maß in den fünfziger Jahren eingeführt, um die
gesamtgesellschaftlichen Verluste durch Monopolmacht zu quantifizieren.
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An dieser Stelle stehen wir an einem wirtschaftspolitischen Scheideweg: Man könnte
aufgrund dieser Analyse zu dem Schluß kommen, daß monopolistische Unternehmen
staatlich reguliert werden sollten. In der Tat sind viele der Monopolunternehmen wie Post,
Telekom, Bahn u.a. in vielen Staaten nicht nur reguliert, sondern sogar verstaatlicht
worden. Ein Grund unter anderem war stets die Gefahr, daß monopolistische Unternehmen
dem gesellschaftlichen Versorgungsauftrag nicht optimal nachkommen. Wie man weiß,
erleben wir gerade eine Welle von Privatisierungen dieser Bereiche. Die Vor- und
Nachteile von staatlicher Regulierung sollen hier nicht im Detail erläutert werden. Wir
werden auf einige Aspekte im Laufe der Vorlesung zurückkommen. Zusammengefaßt
werden die wesentlichsten Argumente jedoch erst in der Vorlesung Regulierungsökonomik
im Hauptstudium zur Sprache kommen. Sowohl einige wirtschaftswissenschaftliche
Argumentationen als auch die heutigen Privatisierungswellen setzen nicht auf staatliche
Regulierungen, sondern "auf den Markt". Dieser Tradition werden wir hier
schwerpunktmäßig folgen und im nächsten Kapitel sehen, wie Wettbewerb die schädlichen
Auswirkungen von Monopolmacht eindämmen kann.
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