Herzinsuffizienz 44 Medizin Neuer Wirkstoff verbessert Prognosen bei Herzschwäche Für ein geschmeidiges Herz Fotos: Sabine Bungert/Bayer AG (3) Matthias Sandmann/Bayer AG, Prof. P. Motta/G. Macchiarelli/University „La Sapienza“ Rom/SPL/Agentur Focus, Universitätsklinikum Saarland Mangelnde Pumpleistung, versteifte Herzmuskeln, Atemnot, Ödeme: Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz weisen trotz der Behandlung mit Standardmedikamenten eine geringe Lebenserwartung auf. Forscher von Bayer HealthCare haben jetzt einen Wirkstoff entwickelt, der das geschwächte Herz stützen und die Prognose für die gefährliche Herz-Kreislauf-Erkrankung deutlich verbessern könnte. logischen Forschung des Bereichs Global Drug Discovery bei Bayer HealthCare in Wuppertal. Typische Merkmale sind die verstärkte Bildung von Bindegewebe – Fibrose genannt –, die Verdickung der Organwände und damit die Herzvergrößerung. Das Volumen der Herzkammern verringert sich dabei allerdings und der gesamte Muskel wird steifer. Krankheit lässt sich bislang nur verlangsamen, nicht heilen Die Folge: „Das Herz pumpt nicht mehr genug Blut durch das Gefäßsystem. Die körperliche Leistungsfähigkeit sinkt extrem“, so Kolkhof. Und das kann dramatische Konsequenzen haben: Nach Diagnosestellung einer schweren Herzinsuffizienz sterben bis zu 50 Prozent der Patienten innerhalb von fünf Jahren. „Die Überlebenszeit ist damit vielfach geringer als bei Lungen-, Brust- oder Darmkrebs“, erklärt Kolkhof. Und die heute verfügbaren Medikamente hätten zwar die Sterblichkeitsrate um ein Drittel reduziert, „aber die Krankheit lässt sich bislang nur verlangsamen, nicht heilen“, so Bayer-Forscher Kolkhof. Zusammen mit seinem Kollegen Dr. Lars Bärfacker aus dem Bereich Medizinische Chemie bei Bayer HealthCare und weiteren Kollegen sucht Kolkhof deshalb Schillernde Schönheit: Ein präpariertes Herz (Foto li.) steht den Wissenschaftlern bei ihrer Forschung im Labor Modell. Mit dem Blick fürs Detail suchen Bayer-Forscher wie Dr. Peter Kolkhof (Foto re.) nach neuen Wirkstoffen für Patienten mit einem geschwächten Herzen. neue Wege in der CHF-Therapie (s. a. research 21, „Schutz für schwache Herzen“). Bärfacker sucht nach chemischen Verbindungen, die für einen bestimmten therapeutischen Zweck am besten geeignet sind. Im Fall der Herzschwäche sollte das in der Nebennierenrinde gebildete körpereigene Hormon Aldosteron in die Schranken gewiesen werden. Der Botenstoff ist an der Regulierung des Salz- und Wasserhaushalts sowie des Blutdrucks beteiligt. Bei Herzinsuffizienz schüttet der Körper vermehrt Aldosteron als Gegenmaßnahme zur reduzierten Pumpleistung aus. Das hat langfristig aber schwerwiegende Folgen für den Betroffenen: „Denn Aldosteron bewirkt neben der verstärkten Bindegewebsbil- 45 Bayer research _ 24 Es ist ein biologisches Hightech-Wunder und vollbringt täglich Höchstleistungen – ganz ohne TÜV-Siegel und Wartungsintervall: Unser Herz pumpt rund sechs Liter Blut pro Minute durch den Lungen- und Körperkreislauf und sichert so die Durchblutung aller Organe und Zellen. Innerhalb von 70 Jahren schickt die Lebenspumpe so mehr als 200 Millionen Liter Blut durch Adern und Venen – vom kleinen Zeh bis zur Kopfhaut. Zumindest bei gesunden Menschen geht die Rechnung auf. Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz – kurz CHF für chronic heart failure – sinkt die Leistung jedoch auf etwa zwei Liter pro Minute. Betroffene empfinden einen kurzen Spaziergang als Marathonlauf, und der Gang unter die Dusche ist meist ein kaum zu bewältigender Kraftakt. Rund 20 Millionen Menschen leiden in den Industrienationen schätzungsweise an Herzinsuffizienz, landläufig auch Herzschwäche genannt – Tendenz steigend. Hoher Blutdruck, Rauchen, Diabetes und Arteriosklerose können zu Herzinfarkt führen. In zwei Drittel aller Fälle ist dieser die Ursache für eine sich entwickelnde Herzinsuffizienz. „Auch Herzklappen-Schäden oder Virusinfektionen können zu einer chronischen Überlastung des Herzens führen“, erklärt Dr. Peter Kolkhof, Projektleiter in der kardio- Wirkstoffe im Test: Dr. Lars Bärfacker (Foto li.) kreiert neue Substanzen, die im besten Fall das Zeug zum Medikament haben. Ein Blutgerinnsel – ein sogenannter Thrombus – im Herzen kann einen Herzinfarkt auslösen und dadurch das Herz der Patienten entscheidend schwächen (Foto o.). Herzinsuffizienz 46 dung im Herzen sowie in den Nieren, dass der Körper weniger Na­trium und dadurch auch weniger Wasser ausscheidet“, erklärt Kolkhof. Ödeme in Bauch oder Beinen sind daher ein typisches Zeichen von Herzinsuffizienz. Ihrem Ziel, die Überlebensdauer von CHF-Patienten zu erhöhen, sind Kolkhof und seine Kollegen von Bayer HealthCare jetzt vielleicht ein wichtiges Stück näher gekommen: Sie entwickelten die Substanz BAY 94-8862, einen sogenannten nichtsteroidalen MR-Antagonisten, der als Gegenspieler zum Aldosteron fungieren soll. Denn bei einer Herzinsuffizienz wird der Rezeptor für das körpereigene Hormon – auch Mineralocorticoid-Rezeptor (MR) genannt – überaktiviert. „Wir blockieren mit unserem Wirkstoff ganz gezielt und effektiv den Aldosteron-Rezeptor im Herzen und in den Nieren“, erklärt Bärfacker. Der Ansatz scheint Erfolg zu versprechen: Aktuelle präklinische Tests Häufige Todesursachen Fast jeder zweite Mensch, der an einer nichtübertragbaren Krankheit stirbt, litt unter einer Erkrankung des Herzens und der Gefäße: 17,3 Millionen Todesfälle zählt die weltweite Statistik in dieser Patientengruppe. kardiovaskuläre Erkrankungen Krebs 21% 48% 16% 3% Diabetes mellitus 12% andere nicht­ übertragbare Krankheiten Atemwegserkrankungen Quelle: Global Atlas on cardiovascular disease prevention and control, WHO, 2011 geben Hinweise, dass der krankhafte Umbau des Herzmuskels durch Einlagerung von Bindegewebe verhindert und die Herzmuskulatur nicht versteift wird, sondern ihre Geschmeidigkeit behält. Substanzklasse mit spezifischer Wirkung „Die klinische Relevanz einer Herzinsuffizienz-Therapie mit MR-Antagonisten wurde 1999 erstmalig durch die Ergebnisse einer Studie belegt“, erklärt Kolkhof. Der damals verfügbare Aldosteron-Hemmer Spironolacton – den man zur Ödembehandlung einsetzte – hatte zwar die gewünschten therapeutischen Wirkungen, doch es kam auch zu Nebenwirkungen: Weil Spironolacton auch an Rezeptoren von Sexualhormonen wie Testosteron und Progesteron bindet, führte der Wirkstoff bei Männern beispielsweise zu sehr schmerzhaftem Brustwachstum. Deshalb brachen viele Patienten die Therapie ab. „Aufgrund dieser Nebenwirkungen wollten wir weg von den steroidalen Substanzen und mit einer völlig anderen Struktur arbeiten, die selektiver angreifen kann“, erklärt Kolkhof. Begonnen haben die Forscher ihre Suche nach dem MR-Antagonisten bereits 2003. „Von ursprünglich 10.000 Treffern im Hochdurchsatz-Screening ? Medizin Nachgefragt „Neuentwicklungen sind hochwillkommen“ blieben genau zwei Substanzklassen übrig“, erinnert sich der Abteilungsleiter Dr. Bernd Kalthof an die Arbeit mit seiner Laborleiterin Dr. Elisabeth Pook bei Bayer HealthCare in Wuppertal. Bis dann allerdings der optimale Wirkstoff BAY 94-8862 entwickelt war, hatten Bärfacker und Kolkhof einige Höhen und Tiefen durchzustehen. Und immer wenn das Duo dachte, es sei auf der Zielgeraden, tauchte wieder ein unerwartetes Problem auf. „Besonders das Nebenwirkungsprofil hat uns immer wieder gefordert“, sagt Bärfacker. Doch 2008 war es so weit: BAY 94-8862 hatte alle zum Start einer klinischen Entwicklung erforderlichen Kriterien hinsichtlich Selektivität, Potenz, Wirksamkeit und Sicherheit erfüllt. „Der Wirkstoff war handgekocht, handgetestet und handverlesen“, so Kolkhof. Das klinische Programm konnte starten. 2009 wurde BAY 94-8862 erstmalig im gesunden Menschen geprüft. „Mittlerweile war BAY 94-8862 in über 300 Probanden gut verträglich und zeigte erste Wirkungen am Target. Je nach Dosierung fand sich mehr oder weniger Natrium im Urin“, erläutert Kolkhof. Seit 2011 läuft die klinische Phase II mit Patienten an zahlreichen Kliniken weltweit unter der Ägide von Dr. Christina Nowack, Global Clinical Development bei Bayer HealthCare in Wuppertal. Dabei prüfen die Ärzte, ob sich der gewünschte therapeutische Effekt zeigt, und achten auf Nebenwirkungen. Basierend auf den Ergebnissen wird auch entschieden, welche Dosierung für die Behandlung am besten ist. Klinische Studien überprüfen Verträglichkeit und Dosierung Zunächst liefen Untersuchungen bezüglich Sicherheit und Verträglichkeit an Herzinsuffizienz-Patienten mit einer milden Niereninsuffizienz. Im zweiten Studienabschnitt wurden CHF-Patienten mit einer moderaten Niereninsuffizienz eingeschlossen. Bei solchen Patienten kann es durch Gabe von steroidalen MR-Antagonisten wie Spironolacton zu einem gefährlichen Anstieg des Kaliumspiegels im Blut kommen, was Herzrhythmusstörungen und im Extremfall einen Herzstillstand verursachen kann. Die Ergebnisse der aktuellen Studie mit dem nichtsteroidalen MR-Antagonisten BAY 94-8862 mit rund 360 Patienten sollen Ende 2012 vorliegen. Dann zeigt sich, ob die Forscher ihr Ziel, einen MR-Antagonisten der vierten Generation mit signifikant besserer Wirkung zu entwickeln, erreicht haben und Herzinsuffizienz-Patienten dank eines „geschmeidigen“ Herzens länger leben können. Prof. Dr. med. Michael Böhm ist Leiter der ­ Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklini­ kum des Saarlandes in Homburg/Saar. „research“ sprach mit dem Spezialisten über Herzinsuffi­ zienz-Medikamente. Warum ist die Sterblichkeitsrate bei chronischer Herzschwäche so hoch? Dafür gibt es verschiedene Ursachen. Zum einen ist die Erkrankung des Herzens so schwerwiegend, weil sie von zahlreichen anderen gefährlichen Erkrankungen wie eingeschränkter Nierenfunktion, kognitiven Einschränkungen, Anämie und von Veränderungen der peripheren Muskulatur begleitet wird. Zudem handelt es sich vorwiegend um ältere Patienten, die die medikamentöse Vielfachtherapie mit teilweise bis zu acht Medikamenten häufig schlecht vertragen oder nicht alle Tabletten nehmen. Das macht die wesentliche Schwierigkeit in der Behandlung aus. Was macht die MR-Antagonisten so wichtig für die Therapie? Die Potenz neuer Mineralocorticoid-Antagonisten auf seinen spezifischen Rezeptor ist entscheidend. Deshalb sind aus der Sicht der behandelnden Ärzte Neuentwicklungen hochwillkommen. Es gibt Nebenwirkungen der MR-Antagonisten wie KaliumÜberschuss oder schmerzhaftes Brustwachstum bei Männern. Daher können Substanzen, die nicht zu den genannten Nebenwirkungen führen, zu einem wichtigen Baustein in der medikamentösen Therapie werden. Zu erwarten sind positive Effekte auf die Herzstruktur und eine Verringerung des Risikos von plötzlichem Herztod. Diese Substanzen müssen sich natürlich in der Praxis bewähren und zeigen, dass sie wie die bereits vorhandenen Substanzen die Prognose verbessern können. www.research.bayer.de/herzinsuffizienz Weitere Infos zum Thema 47 Bayer research _ 24 Kandidaten-Check im Großmaßstab: Aus ursprünglich 10.000 Treffern im Hochdurchsatz-Screening filtern Dr. Bernd Kalthof und Dr. Elisabeth Pook die Substanzklassen heraus, die vielversprechend für die Weiterentwicklung sind und schließlich in klinische Studien gelangen können.