Für ein geschmeidiges Herz

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Herzinsuffizienz
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Medizin
Neuer Wirkstoff verbessert Prognosen bei Herzschwäche
Für ein geschmeidiges Herz
Fotos: Sabine Bungert/Bayer AG (3) Matthias Sandmann/Bayer AG, Prof. P. Motta/G. Macchiarelli/University „La Sapienza“ Rom/SPL/Agentur Focus, Universitätsklinikum Saarland
Mangelnde Pumpleistung, versteifte Herzmuskeln, Atemnot, Ödeme: Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz
weisen trotz der Behandlung mit Standardmedikamenten eine geringe Lebenserwartung auf. Forscher von
Bayer HealthCare haben jetzt einen Wirkstoff entwickelt, der das geschwächte Herz stützen und die Prognose
für die gefährliche Herz-Kreislauf-Erkrankung deutlich verbessern könnte.
logischen Forschung des Bereichs Global
Drug Discovery bei Bayer HealthCare in
Wuppertal. Typische Merkmale sind die
verstärkte Bildung von Bindegewebe
– Fibrose genannt –, die Verdickung der
Organwände und damit die Herzvergrößerung. Das Volumen der Herzkammern
verringert sich dabei allerdings und der
gesamte Muskel wird steifer.
Krankheit lässt sich bislang
nur verlangsamen, nicht heilen
Die Folge: „Das Herz pumpt nicht mehr
genug Blut durch das Gefäßsystem.
Die körperliche Leistungsfähigkeit sinkt
extrem“, so Kolkhof. Und das kann dramatische Konsequenzen haben: Nach
Diagnosestellung einer schweren Herzinsuffizienz sterben bis zu 50 Prozent
der Patienten innerhalb von fünf Jahren.
„Die Überlebenszeit ist damit vielfach
geringer als bei Lungen-, Brust- oder
Darmkrebs“, erklärt Kolkhof. Und die
heute verfügbaren Medikamente hätten
zwar die Sterblichkeitsrate um ein Drittel reduziert, „aber die Krankheit lässt
sich bislang nur verlangsamen, nicht
heilen“, so Bayer-Forscher Kolkhof.
Zusammen mit seinem Kollegen Dr.
Lars Bärfacker aus dem Bereich Medizinische Chemie bei Bayer HealthCare und
weiteren Kollegen sucht Kolkhof deshalb
Schillernde Schönheit: Ein präpariertes Herz (Foto li.) steht den Wissenschaftlern bei ihrer Forschung im Labor Modell. Mit dem Blick fürs Detail suchen Bayer-Forscher wie Dr. Peter Kolkhof
(Foto re.) nach neuen Wirkstoffen für Patienten mit einem geschwächten Herzen.
neue Wege in der CHF-Therapie (s. a.
research 21, „Schutz für schwache Herzen“). Bärfacker sucht nach chemischen
Verbindungen, die für einen bestimmten therapeutischen Zweck am besten
geeignet sind. Im Fall der Herzschwäche
sollte das in der Nebennierenrinde gebildete körpereigene Hormon Aldosteron
in die Schranken gewiesen werden. Der
Botenstoff ist an der Regulierung des
Salz- und Wasserhaushalts sowie des
Blutdrucks beteiligt. Bei Herzinsuffizienz
schüttet der Körper vermehrt Aldosteron
als Gegenmaßnahme zur reduzierten
Pumpleistung aus. Das hat langfristig
aber schwerwiegende Folgen für den
Betroffenen: „Denn Aldosteron bewirkt
neben der verstärkten Bindegewebsbil-
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Bayer research _ 24
Es ist ein biologisches Hightech-Wunder
und vollbringt täglich Höchstleistungen
– ganz ohne TÜV-Siegel und Wartungsintervall: Unser Herz pumpt rund sechs
Liter Blut pro Minute durch den Lungen- und Körperkreislauf und sichert so
die Durchblutung aller Organe und Zellen. Innerhalb von 70 Jahren schickt die
Lebenspumpe so mehr als 200 Millionen
Liter Blut durch Adern und Venen – vom
kleinen Zeh bis zur Kopfhaut. Zumindest
bei gesunden Menschen geht die Rechnung auf. Bei Patienten mit chronischer
Herzinsuffizienz – kurz CHF für chronic
heart failure – sinkt die Leistung jedoch
auf etwa zwei Liter pro Minute. Betroffene empfinden einen kurzen Spaziergang als Marathonlauf, und der Gang
unter die Dusche ist meist ein kaum zu
bewältigender Kraftakt.
Rund 20 Millionen Menschen leiden
in den Industrienationen schätzungsweise an Herzinsuffizienz, landläufig
auch Herzschwäche genannt – Tendenz
steigend. Hoher Blutdruck, Rauchen,
Diabetes und Arteriosklerose können zu
Herzinfarkt führen. In zwei Drittel aller
Fälle ist dieser die Ursache für eine sich
entwickelnde Herzinsuffizienz. „Auch
Herzklappen-Schäden oder Virusinfektionen können zu einer chronischen Überlastung des Herzens führen“, erklärt Dr.
Peter Kolkhof, Projektleiter in der kardio-
Wirkstoffe im Test: Dr. Lars Bärfacker (Foto li.) kreiert neue Substanzen, die im besten Fall das Zeug
zum Medikament haben. Ein Blutgerinnsel – ein sogenannter Thrombus – im Herzen kann einen
Herzinfarkt auslösen und dadurch das Herz der Patienten entscheidend schwächen (Foto o.).
Herzinsuffizienz
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dung im Herzen sowie in den Nieren,
dass der Körper weniger Na­trium und
dadurch auch weniger Wasser ausscheidet“, erklärt Kolkhof. Ödeme in Bauch
oder Beinen sind daher ein typisches
Zeichen von Herzinsuffizienz.
Ihrem Ziel, die Überlebensdauer
von CHF-Patienten zu erhöhen, sind
Kolkhof und seine Kollegen von Bayer
HealthCare jetzt vielleicht ein wichtiges Stück näher gekommen: Sie entwickelten die Substanz BAY 94-8862,
einen sogenannten nichtsteroidalen
MR-Antagonisten, der als Gegenspieler
zum Aldosteron fungieren soll. Denn
bei einer Herzinsuffizienz wird der
Rezeptor für das körpereigene Hormon
– auch Mineralocorticoid-Rezeptor (MR)
genannt – überaktiviert. „Wir blockieren
mit unserem Wirkstoff ganz gezielt und
effektiv den Aldosteron-Rezeptor im
Herzen und in den Nieren“, erklärt Bärfacker. Der Ansatz scheint Erfolg zu
versprechen: Aktuelle präklinische Tests
Häufige Todesursachen
Fast jeder zweite Mensch, der an einer nichtübertragbaren Krankheit stirbt,
litt unter einer Erkrankung des Herzens und der Gefäße: 17,3 Millionen
Todesfälle zählt die weltweite Statistik in dieser Patientengruppe.
kardiovaskuläre
Erkrankungen
Krebs
21%
48%
16%
3%
Diabetes mellitus
12%
andere nicht­
übertragbare
Krankheiten
Atemwegserkrankungen
Quelle: Global Atlas on cardiovascular disease prevention and control, WHO, 2011
geben Hinweise, dass der krankhafte
Umbau des Herzmuskels durch Einlagerung von Bindegewebe verhindert und
die Herzmuskulatur nicht versteift wird,
sondern ihre Geschmeidigkeit behält.
Substanzklasse mit
spezifischer Wirkung
„Die klinische Relevanz einer Herzinsuffizienz-Therapie mit MR-Antagonisten wurde 1999 erstmalig durch die
Ergebnisse einer Studie belegt“, erklärt
Kolkhof. Der damals verfügbare Aldosteron-Hemmer Spironolacton – den
man zur Ödembehandlung einsetzte –
hatte zwar die gewünschten therapeutischen Wirkungen, doch es kam auch
zu Nebenwirkungen: Weil Spironolacton
auch an Rezeptoren von Sexualhormonen wie Testosteron und Progesteron
bindet, führte der Wirkstoff bei Männern beispielsweise zu sehr schmerzhaftem Brustwachstum. Deshalb brachen
viele Patienten die Therapie ab. „Aufgrund dieser Nebenwirkungen wollten
wir weg von den steroidalen Substanzen
und mit einer völlig anderen Struktur
arbeiten, die selektiver angreifen kann“,
erklärt Kolkhof.
Begonnen haben die Forscher ihre
Suche nach dem MR-Antagonisten
bereits 2003. „Von ursprünglich 10.000
Treffern im Hochdurchsatz-Screening
?
Medizin
Nachgefragt
„Neuentwicklungen
sind hochwillkommen“
blieben genau zwei Substanzklassen
übrig“, erinnert sich der Abteilungsleiter
Dr. Bernd Kalthof an die Arbeit mit seiner Laborleiterin Dr. Elisabeth Pook bei
Bayer HealthCare in Wuppertal.
Bis dann allerdings der optimale
Wirkstoff BAY 94-8862 entwickelt war,
hatten Bärfacker und Kolkhof einige
Höhen und Tiefen durchzustehen. Und
immer wenn das Duo dachte, es sei auf
der Zielgeraden, tauchte wieder ein
unerwartetes Problem auf. „Besonders
das Nebenwirkungsprofil hat uns immer
wieder gefordert“, sagt Bärfacker. Doch
2008 war es so weit: BAY 94-8862 hatte
alle zum Start einer klinischen Entwicklung erforderlichen Kriterien hinsichtlich
Selektivität, Potenz, Wirksamkeit und
Sicherheit erfüllt. „Der Wirkstoff war
handgekocht, handgetestet und handverlesen“, so Kolkhof. Das klinische Programm konnte starten.
2009 wurde BAY 94-8862 erstmalig
im gesunden Menschen geprüft. „Mittlerweile war BAY 94-8862 in über 300
Probanden gut verträglich und zeigte
erste Wirkungen am Target. Je nach
Dosierung fand sich mehr oder weniger Natrium im Urin“, erläutert Kolkhof.
Seit 2011 läuft die klinische Phase II mit
Patienten an zahlreichen Kliniken weltweit unter der Ägide von Dr. Christina
Nowack, Global Clinical Development
bei Bayer HealthCare in Wuppertal.
Dabei prüfen die Ärzte, ob sich der
gewünschte therapeutische Effekt zeigt,
und achten auf Nebenwirkungen. Basierend auf den Ergebnissen wird auch
entschieden, welche Dosierung für die
Behandlung am besten ist.
Klinische Studien überprüfen
Verträglichkeit und Dosierung
Zunächst liefen Untersuchungen bezüglich Sicherheit und Verträglichkeit an
Herzinsuffizienz-Patienten mit einer
milden Niereninsuffizienz. Im zweiten
Studienabschnitt wurden CHF-Patienten
mit einer moderaten Niereninsuffizienz
eingeschlossen.
Bei solchen Patienten kann es durch
Gabe von steroidalen MR-Antagonisten
wie Spironolacton zu einem gefährlichen Anstieg des Kaliumspiegels im Blut
kommen, was Herzrhythmusstörungen
und im Extremfall einen Herzstillstand
verursachen kann. Die Ergebnisse der
aktuellen Studie mit dem nichtsteroidalen MR-Antagonisten BAY 94-8862 mit
rund 360 Patienten sollen Ende 2012
vorliegen. Dann zeigt sich, ob die Forscher ihr Ziel, einen MR-Antagonisten
der vierten Generation mit signifikant
besserer Wirkung zu entwickeln, erreicht
haben und Herzinsuffizienz-Patienten
dank eines „geschmeidigen“ Herzens
länger leben können.
Prof. Dr. med. Michael Böhm ist Leiter der ­
Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklini­
kum des Saarlandes in Homburg/Saar. „research“
sprach mit dem Spezialisten über Herzinsuffi­
zienz-Medikamente.
Warum ist die Sterblichkeitsrate bei chronischer
Herzschwäche so hoch?
Dafür gibt es verschiedene Ursachen. Zum einen ist die
Erkrankung des Herzens so schwerwiegend, weil sie
von zahlreichen anderen gefährlichen Erkrankungen
wie eingeschränkter Nierenfunktion, kognitiven Einschränkungen, Anämie und von Veränderungen der
peripheren Muskulatur begleitet wird. Zudem handelt
es sich vorwiegend um ältere Patienten, die die medikamentöse Vielfachtherapie mit teilweise bis zu acht
Medikamenten häufig schlecht vertragen oder nicht
alle Tabletten nehmen. Das macht die wesentliche
Schwierigkeit in der Behandlung aus.
Was macht die MR-Antagonisten so wichtig für
die Therapie?
Die Potenz neuer Mineralocorticoid-Antagonisten
auf seinen spezifischen Rezeptor ist entscheidend. Deshalb sind aus der Sicht der behandelnden
Ärzte Neuentwicklungen hochwillkommen. Es gibt
Nebenwirkungen der MR-Antagonisten wie KaliumÜberschuss oder schmerzhaftes Brustwachstum bei
Männern. Daher können Substanzen, die nicht zu
den genannten Nebenwirkungen führen, zu einem
wichtigen Baustein in der medikamentösen Therapie werden. Zu erwarten sind positive Effekte auf die
Herzstruktur und eine Verringerung des Risikos von
plötzlichem Herztod. Diese Substanzen müssen sich
natürlich in der Praxis bewähren und zeigen, dass sie
wie die bereits vorhandenen Substanzen die Prognose
verbessern können.
www.research.bayer.de/herzinsuffizienz
Weitere Infos zum Thema
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Kandidaten-Check im Großmaßstab: Aus ursprünglich 10.000 Treffern im Hochdurchsatz-Screening filtern Dr. Bernd Kalthof und Dr. Elisabeth Pook die Substanzklassen heraus, die vielversprechend für die Weiterentwicklung sind und schließlich in klinische Studien gelangen können.
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