18 MULTIAGENTEN-LOGIK 18 1 Multiagenten-Logik In diesem Kapitel wollen wir zeigen, dass sich mit unseren Mitteln auch Glaubens- und Wissenslogiken darstellen lassen, wie sie in Multiagenten-Systemem verwendet werden. Sie sind alle spezielle modale Logiken. Die wichtigsten Formen sind: • • • epistemische Logik: Logik des Wissens doxastische Logik: Logik des Glaubens deontische Logik: Logik der Verpichtungen und des Erlaubten Als Beispiel betrachten wir die epistemische Logik. 18.1 Das Rätsel der drei Weisen Wir illustrieren die Logik anhand eines kleinen Ratsels. • Ein K onig will seine drei Weisen prufen. • Sie m ussen sich auf drei Stuhle so hintereinander setzen, dass alle in die gleiche Richtung blicken. • Der K onig setzt nun jedem der drei einen roten oder schwarzen Hut auf, • so dass keiner seinen eigenen Hut sehen kann, sondern nur die H ute der Manner vor ihm. • Der K onig teilt ihnen mit, dass zumindest einer der Hute rot ist. • Er fragt den hintersten Weisen, ob er seine Hutfarbe wei, was dieser verneint. • Dann fragt er den mittleren Weisen das Gleiche; der verneint ebenfalls. • Nun sagt er zum Vordersten: Wenn du wirklich weise bist, solltest du jetzt die Farbe deines Hutes wissen.\ " Wie konnen wir derartige Sachverhalte modellieren und formal etwas daruber ableiten? Wir fassen die Weisen als Multiagentensystem auf. • Die Agenten eines solchen Systems werden fortlaufend durchnummeriert. • Der Wissensstand von Agenten wird durch spezielle Formeln ausgedr uckt. • Die Formel Kj ϕ bedeutet, dass der Agent j wei, dass die Formel ϕ wahr ist (K steht f ur knows\). " • Ahnlich bedeutet Eϕ, dass alle Agenten wissen, dass ϕ wahr ist (E steht f ur everyone knows\). " • Oft ist es aber auch wichtig, den Wissensstand anderer Agenten zu kennen, z.B. Ki Kj ϕ. • Schlielich dr uckt man mit Cϕ aus, dass jeder wei dass jeder weiss dass ... jeder wei dass ϕ wahr ist (C steht fur common knowledge\). " • Sei nun ri die Aussage, dass der Hut des Weisen i rot ist. • Dabei seien die Weisen von hinten nach vorn, d.h. in der Reihenfolge ihrer Befragung nummeriert. • Dann lassen sich aus dem Ratsel folgende Formeln gewinnen: • Jeder Weise kann nur die H ute vor ihm sehen: C(ri → Kj ri ) • Wenigstens ein Hut ist rot: Algebraische Semantik C(¬ri → Kj ¬ri ) (j < i) C(r1 ∨ r2 ∨ r3 ) c B. Moller 2007 18 MULTIAGENTEN-LOGIK 2 • Da alle h oren, was gesagt wird, gilt nach der Befragung C(¬Ki ri ∧ ¬Ki ¬ri ) (i = 1, 2) • Die Frage ist nun, ob wir den Wahrheitswert von K3 r3 daraus ableiten k onnen. 18.2 Modellierung von Wissen: Epistemische Modallogik Grundlage fur die klassische Semantik von Modallogiken sind Kripke-Strukturen. moglicher Welten und Zugangs- oder Ubergangsrelationen zwischen solchen Welten. Die von einer Welt w aus damit erreichbaren Welten heien die Nachbarwelten oder kurz Nachbarn von • Sie bestehen jeweils aus einer Menge • • w. • Die Formeln einer Modallogik charakterisieren Teilmengen von m oglichen Welten. • Box und Diamant sind All- bzw. Existenzquantor u ber die Nachbarn von Welten. In der Wissens- oder epistemischen Logik trit man nun folgende Vereinbarung: • Eine Formel ϕ zahlt zum Wissen einer Welt w, wenn kein Nachbar von w sie bestreitet. • Diese Tatsache wird durch die Formel Kϕ ausgedr uckt. • Demgema gilt Kϕ in der Welt w genau dann, wenn ϕ in allen Nachbarwelten von w gilt. • Damit zeigt K das Verhalten eines Box-Operators. • In Multiagentensystemen kann jeder Agent seine eigene Zugangsrelation mit zugeh origem Box-Operator Ki haben. • Dann bedeutet Ki ϕ, dass ϕ zum Wissen von Agent i geh ort. • Der zugeh orige Diamant Pi wird wie ublich dual deniert: def Pi ϕ ⇔ ¬Ki ¬ϕ • Das bedeutet, dass Agent i ϕ f ur moglich halt (P steht fur \possibly"). Um dem Charakter einer Wissensaussage gerecht zu werden, fordert man meistens zusatzliche Eigenschaften fur die K-Operatoren: (1) Ki ϕ → ϕ wenn i ϕ wei, ist ϕ auch wahr (Reexivitat) (2) Ki ϕ → Ki Ki ϕ wenn i ϕ wei, wei er auch, dass er ϕ wei (positive Introspektion) (3) ¬Ki ϕ → Ki ¬Ki ϕ wenn i ϕ nicht wei, wei er auch, dass er ϕ nicht wei (negative Introspektion) • Es zeigt sich, dass (1) genau dann gilt, wenn die zugeh orige Zugangsrelation reexiv ist, • und (2) genau dann, wenn sie transitiv ist. • Auch zu (3) gibt es eine entsprechende, allerdings weniger bekannte, Eigenschaft: Die Zugangsrelation muss euklidisch sein. Wir werden im nachsten Abschnitt sehen, was das bedeutet. In vielen Anwendungen ist (3) auch gar nicht notig. 18.3 Algebraische Darstellung Die Grundidee fur die algebraische Modellierung der Wissenslogik ist wie im Fall der temporalen Logik: Algebraische Semantik c B. Moller 2007 18 MULTIAGENTEN-LOGIK 3 • Wir abstrahieren von Zugangsrelationen und verwenden stattdessen allgemeine Halbringelemente ai ; • Mengen m oglicher Welten werden durch Tests charakterisiert; • Ki und Pi durch |ai ] und |ai i. • Damit stehen sofort alle unsere Eigenschaften der Modaloperatoren zur Verf ugung und brauchen nicht eigens durch Axiome gefordert zu werden. • Insbesondere sind unsere Operatoren normal, d.h. sie erf ullen Ki 1 = 1 Ki (p → q) ≤ Ki p → Ki q Die speziellen Forderungen an Wissensoperatoren drucken sich dann als Ungleichungen aus, die wir jeweils auch dualisiert mit den P-Operatoren angeben: Ki p ≤ p Ki p ≤ Ki Ki p ¬Ki p ≤ Ki ¬Ki p p ≤ Pi p Pi Pi p ≤ Pi p Pi ¬Pi p ≤ ¬Pi p Wir wollen das Postulat der negativen Instrospektion noch etwas genauer ansehen. In ausfuhrlicher Schreibweise lautet es ¬||ai ]p ≤ |ai ]¬||ai ]p Nun schaen wir die Negationszeichen zugunsten von Diamanten weg (mit Substitution q =df ¬p): |ai iq ≤ |ai ]||ai iq Jetzt konnen wir die Umklappregel aus Abschnitt 9.2 anwenden und erhalten hai | |ai iq ≤ |ai iq Das zeigt nun, was der Begri euklidisch\ fur Zugangselemente bedeutet: Je zwei Nachbarn einer Welt mussen " auch Nachbarn von einander sein. Als nachstes modellieren wir gemeinsames Wissen. • Die beteiligten Agenten seien charakterisiert durch ihre Nummern i ∈ I = {1, . . . , n}. • Eine Agentengruppe ist dann eine Teilmenge G ⊆ I. • Wir wollen nun die bereits erwahnten Operatoren E und C algebraisch f ur Agentengruppen denieren: • EG p: Jeder in der Gruppe G wei p. • CG p: Jeder in G wei, dass jeder in G wei, dass . . . jeder p wei. Dazu nutzen wird die Gesetze fur die Modaloperatoren aus: • F ur G = {k1 , . . . , km}, EG p = = = = K k1 p ∧ · · · ∧ K km p |ak1 ]p ∧ · · · ∧ |akm ]p |ak1 + · · · + akm ]p |aG ]p wobei aG =df ak1 + · · · + akm Fur CG erhalten wir Algebraische Semantik c B. Moller 2007 18 MULTIAGENTEN-LOGIK 4 CG p = = = = ≈ Daher denieren wir EG p ∧ EG EG p ∧ EG EG EG p · · · |aG ]p ∧ |aG ]||aG ]p ∧ |aG ]||aG ]||aG ]p · · · |aG ]p ∧ |aG · aG ]p ∧ |aG · aG · aG ]p · · · |aG + a2G + a3G · · ·] | a+ G ]p CG p =df |a+ G ]p wenn der zugrunde liegende Halbring sogar eine modale Kleene-Algebra ist. Insgesamt liefert das eine algebraische Version der Multiagentenlogik KT45n Nun leiten wir aus den allgemeinen Gesetzen einige Regeln zur Nutzung gemeinsamen Wissens ab. Da akj ≤ aG ≤ a+ G , erhalten wir mit der Antitonie von Box CG p ≤ EG p ≤ Kkj p und CG p ≤ CG Kkj p Aus der ersten Eigenschaft folgt: Sind alle Kkj reexiv, so auch EG und CG . Auerdem liefert uns Kor. 12.15 eine Induktionsregel fur C: q ≤ EG (p · q) ⇒ q ≤ CG p Beweis: q ≤ CG p ⇔ [ Denition CG ] q ≤ |a+ G ]p ⇔ [ Denition + ] q ≤ |a∗G · aG ]p ⇔ [ Modalitat ] q ≤ |a∗G ]||aG ]p ⇐ [ Kor. 12.15 ] q ≤ |aG ]p · |aG ]q ⇔ [ Konjunktivitat von |aG ] ] q ≤ |aG ](p · q) f f f f f 18.4 g g g g g t u Lösung des Rätsels der Weisen Jetzt wollen wir das Ratsel um die drei Weisen mit unseren algebraischen Mitteln losen. Die Hauptbeweismittel sind Iso-/Antitonie und die Rangierregel. Wie im vorigen Kapitel denieren wir Gultigkeit fur Tests p durch def |= p ⇔ 1 ≤ p Insbesondere gilt p ≤ q ⇔ |= p → q. Wir wiederholen zunachst die Wissensaussagen aus Abschnitt 18.1: Algebraische Semantik c B. Moller 2007 18 MULTIAGENTEN-LOGIK 5 |= C(ri → Kj ri ) |= C(r1 ∨ r2 ∨ r3 ) |= C(¬Ki ri ∧ ¬Ki ¬ri ) |= C(¬ri → Kj ¬ri ) (j < i) (i = 1, 2) Nun machen wir einige einfache Umformungen, bevor wir Isotonie anwenden: • Wir bilden die Kontrapositionen der ersten beiden unter C stehenden Aussagen, um einfache Literale auf der rechten Seite des Folgepfeils zu erhalten. • Auerdem bringen wir auch die dritte Aussage in Implikationsform. • Die vierte bleibt unverandert. Das ergibt |= C(¬Kj ri → ¬ri ) |= C(¬Kj ¬ri → ri ) |= C(¬r2 ∧ ¬r3 → r1 ) (1) (2) (3) Nun schlieen wir wie folgt, unter Annahme von Reexivitat aller Ki und damit auch von E und C: ≤ ≤ = = = ≤ C((¬r2 ∧ ¬r3 ) → r1 ) K1 ((¬r2 ∧ ¬r3 ) → r1 ) K1 (¬r2 ∧ ¬r3 ) → K1 r1 ¬K1 r1 → ¬K1 (¬r2 ∧ ¬r3 ) ¬K1 r1 → ¬(K1 ¬r2 ∧ K1 ¬r3 ) ¬K1 r1 → (¬K1 ¬r2 ∨ ¬K1 ¬r3 ) ¬K1 r1 → (r2 ∨ r3 ) Nutzung gemeinsamen Wissens Normalitat Kontraposition Konjunktivitat von Box de Morgan wegen (2) Daher haben wir C(r1 ∨ r2 ∨ r3 ) ∧ C(¬K1 r1 ) ≤ CK1 (r1 ∨ r2 ∨ r3 ) ∧ C(¬K1 r1 ) ≤ C(¬K1 r1 → (r2 ∨ r3 )) ∧ C(¬K1 r1 ) ≤ C(r2 ∨ r3 ) Analog erhalt man Nutzung gemeinsamen Wissens vorige Rechnung Normalitat, Modus Ponens C(r2 ∨ r3 ) ∧ C(¬K2 r2 ) ≤ C(r3 ) ≤ K3 (r3 ) und wir sind fertig. Die Argumentation lasst sich verallgemeinern: Fur Agentengruppen G und H ⊆ G gilt C( _ rj ) ∧ C( j∈G ^ ¬Ki ri ) ∧ C( i∈H ^ ^ i∈H j∈G−H rj → Ki rj ) ≤ C( _ rj ) j∈G−H Eine genauere Analyse unserer Losung zeigt, dass nur Reexivitat der Ki benutzt wurde, nicht aber Introspektion und auch nicht das volle C, ja nicht einmal das volle E. Es gibt eine ganze Reihe von Ratseln mit ahnlicher Struktur, fur die die obige Technik wiederverwendbar sein sollte: • Die schmutzigen Kinder • Das Paradoxon der unerwarteten Hinrichtung • Das Ratsel von Mr. S und Mr. P Die Details bleiben weiteren Untersuchungen vorbehalten. Algebraische Semantik c B. Moller 2007 18 MULTIAGENTEN-LOGIK 18.5 6 Ausblick: Weitere modale Logikfamilien Modale Logiken sprechen mit Diamant und Box uber Moglichkeit und Notwendigkeit, jeweils auf die Nachbarwelten einer Welt bezogen: • Gilt etwas in allen Nachbarwelten, dann wird es als notwendig angesehen, • gilt es in wenigstens einer Nachbarwelt, dann als m oglich. In der doxastischen Logik haben wir folgende Entsprechungen: glaubt, dass ϕ gilt; Agent i halt ϕ fur moglich. • |ai ]ϕ = b Agent i • |ai iϕ = b • Da ein Glaube auch falsch sein kann, wird hier Reexivitat von |ai ] nicht gefordert, sondern nur Transiti- vitat. In der deontischen Logik hat man dagegen: (gesetzlich, moralisch,...) verpichtend oder geboten; |ai iϕ = b ϕ ist f ur Agent i erlaubt. Wiederum wird Reexivitat von |ai ] nicht gefordert, sondern Transitivitat und Serialitat • |ai ]ϕ = b ϕ ist f ur Agent i • • |ai ]ϕ → |ai iϕ Das bedeutet: Was geboten ist, muss auch erlaubt sein. Algebraische Semantik c B. Moller 2007