Wirtschaftsethik – Eine Annäherung von unterschiedlichen Perspektiven Spricht man mit Menschen über Wirtschaftsethik, so wird diese oft vorschnell auf Fragen der sozialen Verantwortung von Unternehmen reduziert. Der Gedanke der corporate social responsibility (CSR) scheint in den letzten Jahren alle anderen wirtschaftsethischen Fragestellungen verdrängt zu haben. Dies ist insofern positiv, weil es gelungen ist, damit einen Bereich in den Mittelpunkt der Diskussion zu bringen, der bis dahin eher vernachlässigt wurde. Zu verdanken ist dies der sich zunehmenden durchsetzenden Einsicht, dass Unternehmen sich nicht von ihrer Verbindung zum sozialen und politischen Kontext lösen können.1 von MMag. Dr. Harald Stelzer In Zusammenhang mit der sozialen Verantwortung wird immer mehr darüber nachgedacht, wie Profit in einem größeren Kontext von Produktivität und sozialer Verantwortung gedacht werden kann und wie Unternehmen als komplexe Gemeinschaften am besten sowohl den Interessen der eigenen Angestellten als auch der sie umgebenden Gesellschaft dienen können. Der Zweck des Unternehmens wird dann nicht in der Profitmaximierung gesehen, sondern als Dienst an der Öffentlichkeit verstanden, indem die gewünschten und wünschenswerten Produkte und Dienstleistungen angeboten werden, ohne dadurch die Gesellschaft und ihre Bürger in Gefahr zu bringen.2 Andererseits wird die Wirtschaftsethik durch diese Reduktion auf die soziale Verantwortung von Unternehmen stark reduziert und oft auf die Ebene des mittleren und höheren Managements großer Unternehmen abgeschoben. Dadurch scheint sie sowohl mit der wirtschaftlichen Praxis von Kleinund Mittelbetrieben als auch mit den Handlungen der einzelnen Menschen in ihren Unternehmen, Organisationen und Institutionen sowie mit dem gesellschaftspolitischen Bereich oder dem Verhalten als KonsumentIn nichts mehr zu tun zu haben. Es verwundert daher nicht, wenn viele Menschen die Auseinandersetzung mit wirtschaftsethischen Fragen für sich persönlich als entbehrlich ansehen und die Verantwortung an andere Stellen delegieren. Ein breiteres Verständnis von Wirtschaftsethik zeigt jedoch, dass dieses Thema uns alle angeht, nicht nur als UnternehmerInnen, sondern auch als ArbeitnehmerInnen, KonsumentenInnen und BürgerInnen. So verstanden erstreckt sich die Wirtschaftsethik von Fragen der gesellschaftlichen Grundeinstellung über die Implementierung ethischer Grundsätze in Unternehmen bis hin zu den konkreten Handlungen der Individuen. Dementsprechend können drei Ebenen unterschieden werden: a) die gesellschaftliche Ebene, wo es um Fragen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, der Eigentumsverhältnisse und Wirtschaftsordnung, der 20 Steuer- und Sozialpolitik, des Verhältnis zwischen Gesellschaft, Staat und Unternehmen geht. b) die unternehmerische Ebene, die sich mit den ethischen Normen und den Werten in Unternehmen sowie mit deren sozialer Verantwortung beschäftigt. c) die individuelle Ebene, die sich mit den persönlichen Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen der einzelnen wirtschaftlichen Akteure auseinandersetzt. Auf allen drei Ebenen können wiederum drei unterschiedliche Realisierungsebenen von ethischen Grundsätzen feststellen werden: a) die Mentalitätsebene, in der die hinter den wirtschaftlichen Handlungen befindlichen Ideologien, Weltanschauungen, Werte und Idee im Mittelpunkt der Betrachtung stehen; b) die Entscheidungsebene, die sich mit unterschiedlichen Formen der Entscheidungsfindung beschäftigt; c) und die Handlungsebene, die auf die Handlungsabläufe und -möglichkeiten Bezug nimmt. Aus der Kombination dieser Ebenen ergeben sich neun Felder, die in die wirtschaftsethischen Überlegungen mit einzubeziehen sind. Diese Ebenen sind in der Graphik symbolhaft darstellt. Wobei klar wird, dass alle neun Felder auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind und sich gegenseitig verstärkende Feedbackschleifen beinhalten. Die gesellschaftliche Ebene ist bestimmend für die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns und hängt von den vorherrschenden Weltanschauungen und Ideen ab. Die Politik, welche auf der Entscheidungsebene die gesetzlichen Rahmenbedingungen schafft, und der staatlich bürokratische Apparat, welcher diese auf der Handlungsebene durchsetz, reagieren langfristig durch den Druck der öffentlichen Meinung sowie periodische Wahlen auf Veränderungen im Bereich der Ideen und Ideologien. Natürlich spielen gerade im wirtschaftlichen Bereich auch internationale Entwicklungen eine entscheidende Rolle, so dass die eigenständigen Entscheidungs- und doppel punkt 2/2006 Handlungsspielräume staatlicher Regierungen oft stark eingeschränkt sind. Auch gilt es in der Politik einer Vielzahl von Forderungen unterschiedlicher Interessensgruppen zu berücksichtigen, die teilweise miteinander in Widerspruch stehen. Dies wird deutlich, wenn man sich wesentliche Fragestellungen der Wirtschaftsethik auf der gesellschaftlichen Ebene vergegenwärtigt, wie jene nach der sozialen Gerechtigkeit in Hinblick auf die Verteilung von Arbeit, Gütern und Abgaben, der wirtschaftlichen Fairness oder der erlaubten staatlichen Eingriffe in ein freies Wirtschaftssystem. Wesentlich für die Anwendbarkeit wirtschaftethischer Überlegungen auf die Unternehmensebene, wobei man hier auch von Unternehmensethik spricht, ist die Ausgangsüberlegung, inwiefern Unternehmen selbst bestimmte Entscheidungs- und Handlungsspielräume besitzen. Sind diese stark beschränkt, dann gibt es auch kaum Platz für ethische Überlegungen. Wird etwa das Gewinnziel als das alleinige Ziel des realen Wirtschaftens angesehen, so wie dies in der traditionellen neoklassischen Gleichgewichts- bzw. Wettbewerbstheorie angenommen wird, dann gibt es in einem solchen freien Wirtschaftssystem nur eine einzige Verantwortung für die Beteiligen, nämlich die verfügbaren Mittel möglichst gewinnbringend einzusetzen und das Unternehmen unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Profitabilität zu führen.3 doppel punkt 2/2006 Diese verkürzte Sichtweise wirtschaftlichen Handelns als bloßes Streben nach Profit ist jedoch nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis nicht allgemein anerkannt. Unternehmen haben durchaus Entscheidungs- und Handlungsspielräume und damit eine entsprechende Verantwortung gegenüber ihren Zielsetzungen und Verhaltensweisen. Verantwortungsvolles wirtschaftliches Handeln hat die Interessen derjenigen Gruppen (Stakeholder) zu berücksichtigen, die von den jeweiligen Handlungen betroffen sind sowie legitime Erwartungen und Rechte in Bezug auf diese haben. Dazu zählen etwa die Angestellten, die Kunden, die Lieferanten, die Aktionäre und Investoren, aber auch die soziale Umgebung und die Gesellschaft als ganzes. Es ist jedoch von der jeweiligen Situation abhängig, welche Interessen in die Überlegungen konkret miteinbezogen werden, und welches Gewicht ihnen zugestanden wird. Moderne Unternehmensethik hat es also nicht einfach mit dem Aufstellen eines bestimmten Kataloges von Normen zu tun, den man nur festlegen muss und der dann auf ewig in jeder Situation als legitime Orientierung für unternehmerisches Handeln in Anspruch genommen werden kann. Substantielle moralische Orientierungen müssen immer situationsgerecht verfolgt werden. Es gilt ständig die Situation zu bestimmen, in der gehandelt werden soll, die Normen festzulegen, an denen man sich 21 Unternehmensführung um eine dauerhafte Anstrengung. Ethische Überlegungen dürfe daher nicht, wie dies von Klaus Leisinger in seinem Eröffnungsstatement der diesjährigen Konferenz des Europäischen Netzwerks für Wirtschaftsethik (EBEN) formuliert wurde, als Zuckerguss verstanden werden, sondern müssen einen Teil des Kuchen selbst bilden, d.h. sich in den täglichen Handlungen des Unternehmens wieder finden. In diesem Sinn betonen auch Hans Lenk und Matthias Maring, dass das Prüffeld für unternehmensethische Überlegungen und Überzeugungen nicht die wohlfeilen Sonntagsreden sind, die als Ausrede-, Alibi- und Ablenkungsstrategien dienen können, sondern die konkreten Handlungen der Wirtschaftsakteure.4 Dies hat zweitens auch einen weit reichenden Einfluss auf die Entwicklung und Umsetzung von ethischen Richtlinien im einzelnen Unternehmen.5 Es ist dann nicht genug, Arbeitsgrundsätzen und ethische Richtlinien per Fax oder E-Mail an die Arbeitskräfte weiterzugeben und zu erwarten, dass sie automatisch angewendet werden. Die MitarbeiterInnen müssen an konkreten ethischen Überlegungen teilnehmen, um die Anwendung von abstrakten ethischen Prinzipien zu verstehen und auch um mögliche Konflikte zwischen ihren privaten Moralvorstellungen und ihren beruflichen Richtlinien vorhersehen und lösen zu können. Dieser Einbeziehung kommt auch deshalb eine so große Bedeutung zu, weil wirtschaftliches Handeln letztlich immer durch die Handlungen einzelner Individuen realisiert wird. Es gilt bei wirtschaftsethischen Überlegungen deshalb auch die individuelle Ebene mit einzubeziehen, die sich mit dem Verhalten der einzelnen Menschen und den diesem zugrunde liegenden Einstellungen, Werten und Wahrnehmungen beschäftigt. Die typische moralische Situation wird allgemein als individuelle Entscheidungssituation aufgefasst, in welcher der einzelne entscheidet, was zu tun richtig oder falsch ist. In diesem Sinn ist auch die traditionelle philosophische Betonung der Autonomie des einzelnen Menschen zu verstehen. Zugleich wird diese Sichtweise der individuellen Verantwortung gerade in der Wirtschaftsethik immer wieder in Frage gestellt. Denn das Handeln der einzelnen Wirtschaftsubjekte ist immer ein vernetztes Handeln, d.h. die wirtschaftlichen Entscheidungen und Handlungen des einzelnen sind 22 Elemente eines komplexen Handlungssystems. So schließt die eigene Handlung an Handlungen anderer an und löst bei anderen Reaktionen aus, wobei wir es immer auch mit nicht beabsichtigten und nicht erwarteten Konsequenzen und sich positiv bzw. negativ verstärkenden Rückkopplungseffekten zu tun haben. Die meisten Handlungen sind auch mulitkausal bedingt, so dass ganze Handlungsketten in We c h s e l w i r k u n g aufeinander bezogen sind. 6 Diese Komplexität macht deutlich, dass Wirtschaft sich als soziale Praxis verstehen lässt, und nicht als die Aktivität isolierter Individuen. Wirtschaftliches Handeln findet aufgrund von institutionalisierten Regeln und Praktiken statt, die auch den einfachsten Formen des Austausches und der vertraglichen Verpflichtungen zugrunde liegen. Hieraus ergibt sich das Problem der Zuordnung von Verantwortung im Bereich des wirtschaftlichen Handelns. Kann ein Unternehmen moralisch verantwortlich sein, für Handlungen, die von einzelnen Individuen durchgeführt werden? Ist es auf der anderen Seite möglich, Individuen, welche nach Prinzipien handeln, die mit den Leitlinien des Unternehmens übereinstimmen, für alle Folgen ihres Handelns verantwortlich zu machen? Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass viele Resultate in Unternehmen durch eine Vielzahl einzelner Handlungen zustande kommen, die von den handelnden Akteuren in ihre Vernetztheit oft gar nicht erkannt und durchschaut werden können. Eine praktische Lösung für die bestehende Vernetzung von individueller und kollektiver Verantwortung in Unternehmen muss wohl auf mehreren Ebenen ansetzen: bei den Leitlinien, ethischen Grundsätzen und Zielsetzungen des Unternehmens, bei der Vorbildwirkung und dem Führungsstil der jeweiligen Führungskräfte, bei der Hilfestellung bei Entscheidungen in schwierigen Situationen, bei der Sensibilisierung für die mit der eigenen Rolle verbundene Verantwortung und bei der Klarheit der Sprache für Konsequenzen unethischen Verhaltens. doppel punkt 2/2006 Durch diese mit wirtschaftsethischen Fragestellungen verbundene Komplexität hat sich in den letzten Jahren auch ein eigener Beratungszweig etabliert. In dieser wirtschaftsethischen Beratung kann es nicht darum gehen, mit dem Zeigefinger zu agieren und Unternehmen prinzipiell ein unethisches Verhalten vorzuwerfen, was viele Unternehmer vor einem Sich-Einlassen auf wirtschaftsethische Fragestellungen zurückschrecken lassen würde. Andererseits müssen Probleme offen angesprochen und Schwachstellen im Unternehmen aufgezeigt werden. Ebenso ist es notwendig, ein Bewusstsein auf unternehmerischer Seite zu entwickeln, dass die Ausrichtung eines Unternehmens auf sozial verantwortliches Verhalten, keine einmalige Angelegenheit ist, sondern nur durch ein ständiges Bemühen in den alltäglichen Handlungen und Entscheidungssituationen der in ihm tätigen Menschen gelingen kann. Die gute Nachricht ist jedoch, dass ethisch verantwortungsvolles Handeln und das Streben nach Gewinn sich nicht diametral gegenüberstehen müssen, wie auch Claus Hipp, Chef des bekannten Baby- und Kindernahrungskonzerns vor kurzem in einem Referat im Steirischen Wirtschaftsclub betont hat. Für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung bringt eine solche Ausrichtung Vorteile, die sich auf lange Sicht auch rechnen. So steigt etwa die Motivation der Mitarbeiter, die sich als Teil eines verantwortlich agierenden Unternehmens fühlen, welches seine Rolle in der Gesellschaft bewusst gestaltet. Auch wird sozial verantwortungsvolles Verhalten auch von Kunden, Wirtschaftspartnern sowie dem öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich immer mehr nachgefragt und unterstützt. Die Umsetzung unternehmensethischer Prinzipien kann so als ein wichtiger Teil der Marktposition von Unternehmen im 21. Jahrhundert verstanden werden. Fußnoten 1 Robert Davies: ,The Business Community: Social Responsibility and Corporate Values’, in: Making Globalization Good. The moral Challenges of Global Capitalism, ed. By John H. Dunning. Oxford 2003. S. 301. 2 Robert C. Solomon, ,Business Ethics’, in: A Companion to Ethics, ed. by Peter Singer. Oxford 1991. S. 356. 3 Vgl. hierzu etwa den berühmten Artikel von Milton Friedmann in The New York Times Magazin mit dem aussagekräftigen Titel: ,The social responsibility of business is to increase its profits’ vom 13. September 1970, S. 32-33. 4 Vgl. Hans Lenk und Matthias Maring, ‚Wirtschaftsethik – ein Widerspruch in sich selbst?’, in: Ethik in der Wirtschaft. Chancen verantwortlichen Handelns, hrsg. v. Hans Lenk u.a. Stuttgart 1996. S. 19 f. 5 Vgl. Albert Löhr. ‚Die Marktwirtschaft braucht Unternehmensethik’, in: Ethik in der Wirtschaft. Chancen verantwortlichen Handelns, hrsg. v. Hans Lenk u.a. Stuttgart 1996. S 59. 6 Friedhelm Hengsbach, ‚Gerechtigkeit in der Marktwirtschaft’, in: Ethik in der Wirtschaft. Chancen verantwortlichen Handelns, hrsg. v. Hans Lenk u.a. Stuttgart 1996. S 29. MMag. Dr. Harald Stelzer Philosoph, Soziologe, Unternehmensberater, Lebensberater, Trainer, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an der Universität Graz, Gründer von SPOD Consulting und Gesellschafter von facilitation.at, Vorsitzender der Landesgruppe Steiermark des Österreichischen Netzwerks für Wirtschaftsethik. Sein Interesse gilt der nachhaltigen Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung; in seiner Arbeit beschäftigt er sich u.a. mit Leitbildentwicklung, unternehmensethischen Fragestellungen, Projekt-, Konflikt- und Selbstmanagement und philosophischen Ansätzen der Lebensgestaltung. Kontakt: [email protected] doppel punkt 2/2006 23