PROPÄDEUTISCHE Ü BUN GEN ZUM GRU NDKURS ZIVILRECHT I WINTERSEMESTER 2015/16 JURISTISCHE FAKULTÄT LEHRSTUHL FÜR BÜR GERLICH ES RECHT, INTERNATIONALES PRIVATRECHT UND RECHTSVE RGLEICHUNG PROF. DR . STEPHAN LORENZ F ALL 13 – L ÖSUNG D ER S CHWARZKAUF A. Einigung ......................................................................................................................... 2 I. Einigung vor dem Notar zum Preis von € 100.000,– (simuliertes Geschäft).................... 2 1. Auslegung ........................................................................................................... 2 2. § 117 Abs. 1 BGB ................................................................................................. 2 3. Rechtsfolge .......................................................................................................... 3 4. Zwischenergebnis ................................................................................................ 3 II. Privatschriftliche Einigung zum Preis von € 200.000,– (dissimuliertes Geschäft) ........... 4 III. Zwischenergebnis ...................................................................................................... 4 B. Keine Wirksamkeitshindernisse ........................................................................................ 4 I. Nichtigkeit gem. § 134 BGB ....................................................................................... 4 II. Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB ................................................................................ 4 III. Nichtigkeit gem. § 125 S. 1 BGB ................................................................................. 4 1. Formbedürftigkeit ................................................................................................ 5 2. Nichteinhaltung der gesetzlichen Form ................................................................. 5 3. Rechtsfolge .......................................................................................................... 5 a) Grundsatz ...................................................................................................... 5 b) Ausnahme: Heilung des Formmangels (§ 311b Abs. 1 S. 2 BGB) ........................ 5 c) Ausnahme: Parteivereinbarung ........................................................................ 5 d) Ausnahme: § 242 BGB .................................................................................... 6 e) Zwischenergebnis........................................................................................... 6 C. Ergebnis ......................................................................................................................... 6 DR. PHLIPP M. REUß ∙ VERONIKA EICHHORN AG ZUM GRUN DKU RS ZIVILRE CHT I (PROF. DR. STEPHAN LO RENZ) · WINTERSEMESTER 2015/16 FALL 13 – LÖSUN G R könnte gegen S einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Grundstücks haben. Ein solcher könnte sich aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB ergeben. Voraussetzung hierfür ist, dass ein Anspruch des R gegen S auf Übergabe und Übereignung des Grundstücks entstanden, nicht wieder erloschen und auch durchsetzbar ist. Der Anspruch aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB müsste zunächst entstanden sein. Ein Anspruch auf Übergabe und Übereignung aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB entsteht mit Abschluss eines wirksamen Kaufvertrags. A. Einigung R und S müssten einen Kaufvertrag über das Grundstück geschlossen haben. Ein Kaufvertrag kommt durch eine Einigung zustande, die in Form zweier auf Abschluss eines Kaufvertrags gerichteter, übereinstimmender und wirksamer Willenserklärungen (Angebot und Annahme, vgl. §§ 145, 1457 BGB) möglicherweise vorliegt. I. Einigung vor dem Notar zum Preis von € 100.000,– (simuliertes Geschäft) In Betracht kommt zunächst eine Einigung zwischen R und S über das Grundstück zum Preis von € 100.000,–. 1. Auslegung Bei einem Angebot und einer Annahme handelt es sich um empfangsbedürftige Willenserklärungen, welche nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen sind (§§ 133, 157 BGB). Die Erklärungen gelten so, wie sie der jeweilige Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte. Von dieser Warte aus liegt eine Einigung über das Grundstück zum Preis von € 100.000,– vor. Bei Abgabe ihrer Erklärungen vor dem Notar waren sich R und S jedoch einig, dass das Grundstück nicht zu dem (beurkundeten) Preis von € 100.000,– sondern zum (privatschriftlich vereinbarten) Preis von € 200.000,– verkauft werden sollte. Somit fehlte beiden hinsichtlich der € 100.000,– der Rechtsbindungswille. Nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ist hier nicht auf das objektiv Erklärte, sondern vielmehr das tatsächlich übereinstimmend Gewollte abzustellen, wie dies auch für die sog. falsa demonstratio anerkannt ist, wobei diese hier bewusst erfolgte. 2. § 117 Abs. 1 BGB Dem trägt auch § 117 BGB Rechnung, der in Abs. 1 für den Fall, dass empfangsbedürftige Willenserklärungen mit Einverständnis des jeweiligen Erklärungsempfängers nur zum Schein abgegeben wurden, deren Nichtigkeit anordnet. Ein Scheingeschäft liegt vor, wenn die Parteien einverständlich nur den äußeren Anschein erwecken wollen, dass ein Rechtsgeschäft geschlossen SEITE 2 VON 6 AG ZUM GRUN DKU RS ZIVILRE CHT I (PROF. DR. STEPHAN LO RENZ) · WINTERSEMESTER 2015/16 FALL 13 – LÖSUN G wurde, die konkreten Rechtsfolgen des Rechtsgeschäfts allerdings nicht herbeizuführen beabsichtigen. 1 Die beurkundeten Erklärungen sollten keine Rechtswirkungen zwischen R und S entfalten; insofern fehlt beiden Parteien der Rechtsbindungswille (s.o.). Sie wollten jedoch den äußeren Anschein eines dahingehenden Rechtsgeschäfts erwecken, um an die nach § 925a BGB erforderliche Urkunde zu gelangen, um ihr „wahres“ (= dissimuliertes) Geschäft verdecken zu können. Die Willenserklärungen von R und S vor dem Notar wurden folglich mit Einverständnis des jeweiligen Erklärungsempfängers nur zum Schein abgegeben. 3. Rechtsfolge Ob es sich bei einer zum Schein abgegebenen Erklärung wegen des fehlenden Rechtsbindungswillens überhaupt nicht um eine Willenserklärung, sondern um eine „Nichterklärung“ handelt, 2 oder aber, wie der Wortlaut des § 117 Abs. 1 BGB nahe legt, die Scheinerklärung den Tatbestand einer Willenserklärung erfüllt, diese aber nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig ist, 3 kann offen bleiben, da nach beiden Ansichten der Kaufvertrag zu € 100.000,– unwirksam ist. 4. Zwischenergebnis Mangels Einigung bzw. wirksamer Willenserklärungen kam vor dem Notar also kein gültiger Kaufvertrag über den Verkauf des Grundstücks zum Preis von € 100.000,– zustande. nota bene: Ein Scheingeschäft iSd § 117 Abs. 1 BGB liegt immer vor, wenn die Parteien den äußeren Anschein der Wirksamkeit eines solchen Geschäfts erwecken wollen, den rechtlichen Erfolg aber in Wirklichkeit vermeiden wollen. Im vorliegenden Fall wollten R und S die Rechtsfolge (Kaufpreis iHv € 100.000,–) in Wirklichkeit nicht herbeiführen, da ein Kaufpreis iHv € 200.000,– vereinbart war. Das Scheingeschäft diente lediglich der Notargebühren- und Steuerersparnis, da die Grunderwerbsteuer sich am Kaufpreisanteil, der auf Grund und Boden entfällt, orientiert. Vorliegend ist somit ein Scheingeschäft angenommen worden. Ein Scheingeschäft ist hingegen abzulehnen, wenn die Parteien den rechtlichen Erfolg des Rechtsgeschäfts brauchen und somit herbeiführen wollen. Haben die Parteien beispielsweise ebenfalls zu Steuerersparniszwecken den tatsächlich vereinbarten Kaufpreis für ein Hausgrundstück (z.B. € 700.000,–) unterteilt in eine geringe Summe, die auf den Grund und Boden entfällt (z.B. € 200.000,–) und in eine höhere Summe, die sich auf Einrichtungsgegenstände bezieht (z.B. € 500.000,–), obwohl diese Werte nicht der Wahrheit entsprechen, so liegt kein Scheingeschäft vor, da die Parteien den konkreten Vertrag mit seinen konkreten Rechtsfolgen (Kauf des Hausgrundstücks zum Preis von € 700.000,–) abschließen wollten. 4 1 2 BGH NJW 1980, 1572, 1573. BGHZ 45, 379. 3 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 10. Aufl. 2012, § 40 Rn. 14 ff.; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 20 Ziff. 2. 4 Vgl. BGH DNotZ 2003, 123. SEITE 3 VON 6 AG ZUM GRUN DKU RS ZIVILRE CHT I (PROF. DR. STEPHAN LO RENZ) · WINTERSEMESTER 2015/16 FALL 13 – LÖSUN G II. Privatschriftliche Einigung zum Preis von € 200.000,– (dissimuliertes Geschäft) In Form des privatschriftlichen Vertrags liegen zwei übereinstimmende von einem Rechtsbindungswillen getragene Willenserklärungen von R und S vor, die auf den Abschluss eines Kaufvertrags über das Grundstück des S zum Preis von € 200.000,– gerichtet sind. Auch dies entspricht dem Auslegungsgrundsatz, wonach primär der übereinstimmende Wille der Parteien vor der ggf. abweichenden objektiven Bedeutung nach §§ 133, 157 BGB gilt. III. Zwischenergebnis R und S haben sich über den Verkauf des Grundstückes zum Preis von € 200.000,– geeinigt. B. Keine Wirksamkeitshindernisse Das von den Parteien in Wahrheit gewollte Rechtsgeschäft (das sog. "dissimulierte“ bzw. „verdeckte“ Geschäft) ist wirksam, wenn es seinerseits die für dieses geltenden Gültigkeitsvoraussetzungen erfüllt (§ 117 Abs. 2 BGB). 5 Dies ist selbstverständlich. § 117 Abs. 2 BGB dient nur zur Klarstellung dahingehend, dass sich die Nichtigkeit des simulierten Geschäfts nicht zugleich auf das dissimulierte erstreckt. I. Nichtigkeit gem. § 134 BGB Das Rechtgeschäft könnte gemäß § 134 BGB iVm § 370 AO nichtig sein, wenn es auf Vornahme einer Steuerhinterziehung gerichtet ist. § 370 AO ist ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB (zum Gesetzesbegriff vgl. Art. 2 EGBGB). Fraglich ist allerdings, ob § 370 AO das hier betroffene Rechtsgeschäft verbietet. Ein Vertrag, mit dessen Abwicklung eine Steuerhinterziehung verbunden ist, wird nach st. Rspr. von § 370 AO nur dann verboten, wenn die Steuerhinterziehung Hauptzweck des Vertrags ist und nicht lediglich Nebenzweck. 6 Hier bezwecken R und S in erster Linie den Verkauf des Grundstücks, den sie „steuergünstig“ gestalten wollen. Sie schließen den Kaufvertrag aber nicht gerade zum Zwecke der Hinterziehung der Grunderwerbssteuer. Damit ist der Vertrag nicht gemäß § 134 BGB i.V.m. § 370 AO nichtig. II. Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB Aus denselben Gründen ist auch eine Nichtigkeit des Vertrags gem. § 138 Abs. 1 BGB abzulehnen. Die bloße steuerrechtswidrige Gestaltung eines Vertrags ist nicht per se sittenwidrig. Anhaltspunkte, die für die Annahme einer Sittenwidrigkeit sprechen würden, sind vorliegend nicht ersichtlich. III. Nichtigkeit gem. § 125 S. 1 BGB Der zustande gekommene Kaufvertrag könnte aber wegen Formmangels gem. § 125 S. 1 BGB nichtig sein. Dies setzt voraus, dass eine gesetzliche Form für dieses Rechtsgeschäft vorgeschrieben war und nicht eingehalten wurde. 5 Siehe dazu etwa: Medicus, BGB AT, 10. Aufl. 2010, § 40 Rn. 594. 6 Vgl. BGH NJW-RR 2001, 381; BGHZ 136, 125; Grenzen: BGH NZM 2003, 716. SEITE 4 VON 6 AG ZUM GRUN DKU RS ZIVILRE CHT I (PROF. DR. STEPHAN LO RENZ) · WINTERSEMESTER 2015/16 FALL 13 – LÖSUN G 1. Formbedürftigkeit Gemäß § 311b Abs. 1 BGB bedarf ein Grundstückskaufvertrag der notariellen Beurkundung. 2. Nichteinhaltung der gesetzlichen Form Eine notarielle Beurkundung (§ 128 BGB) 7 des dissimulieren Geschäfts ist nicht erfolgt. Diese Form könnte durch die notarielle Beurkundung des (simulierten) Kaufvertrags zu € 100.000,– gewahrt worden sein. Dies wird vereinzelt mit dem Argument befürwortet, dass es sich bei dem simulierten Geschäft um eine bewusste Falschverwendung der Erklärungszeichen (falsa demonstratio) handle. 8 Da aber eine unbewusste falsa demonstratio bei formgebundenen Geschäften unschädlich ist, könne für die bewusste falsa demonstratio nichts anderes gelten. Nach ganz h.M. kann die Form des simulierten Geschäfts hingegen die Form des dissimulierten Geschäftes nicht wahren. Das entspricht auch dem klaren Wortlaut des § 117 Abs. 2 BGB. Diese Auffassung überzeugt, weil sie verhindert, dass die Parteien ihren von der Rechtsordnung missbilligten Zweck – Umgehung der Form für das dissimulierte Rechtsgeschäft – erreichen. 9 3. Rechtsfolge a) Grundsatz Die Nichteinhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form hat gem. § 125 S. 1 BGB grundsätzlich die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge. b) Ausnahme: Heilung des Formmangels (§ 311b Abs. 1 S. 2 BGB) Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Ein Beachtung der notariellen Beurkundung geschlossener Vertrag wird gem. § 311b Abs. 1 S. 2 BGB seinem ganzen Inhalt nach gültig, wenn die Auflassung und die Eintragung in das Grundbach erfolgen. Mangels Auflassung (§§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB) und Eintragung (§ 873 Abs. 1 BGB) wurde der Formmangel bisher noch nicht geheilt. c) Ausnahme: Parteivereinbarung Weiter könnte die Abrede der Parteien, wonach sich keine Seite auf eventuelle Formfehler berufen dürfe, der Rechtsfolge der Nichtigkeit entgegenstehen. Diese Abrede ist gem. §§ 133, 157 nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen. Sie wird damit in der Form wirksam wird, wie sie ein objektiver Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte. Zwar ist in der Abrede von „kann sich nicht berufen“ die Rede, was für den Verzicht auf eine Einrede spricht. Jedoch stellen Formfehler keine Einreden, sondern gem. § 125 BGB rechtshindernde Einwendungen dar, welche von Amts wegen zu beachten sind. Folglich ist die 7 8 9 Vgl. auch §§ 1, 8 ff. BeurkG. Kramer, JuS 1983, 423, 425. So die ganz h.M., vgl. die Nachweise bei Kramer, JuS 1983, 423, 425, 426. SEITE 5 VON 6 AG ZUM GRUN DKU RS ZIVILRE CHT I (PROF. DR. STEPHAN LO RENZ) · WINTERSEMESTER 2015/16 FALL 13 – LÖSUN G Abrede auf die Nichtanwendbarkeit der Rechtsfolge der Nichtigkeit des § 125 S. 1 BGB gerichtet. § 311b Abs. 1 i.Vm. § 125 S. 1 BGB BGB steht indes nicht zur Disposition der Parteien, da ansonsten die Schutzzwecke der Norm – Warn-, Beratungs- und Beweisfunktion – unterlaufen werden könnte. d) Ausnahme: § 242 BGB Besondere Fallgruppen, die gem. § 242 BGB im Ausnahmefall bei Vorliegen schlechthin unerträglicher Verhältnisse zum Ausschluss der Berufung auf den Formmangel führen, wie etwa jene der arglistigen Berufung auf den Formmangel, sind im Sachverhalt nicht einschlägig. Insbesondere begründet angesichts des Schutzzwecks der Formvorschrift das Vorliegen einer entsprechenden Verzichtserklärung noch keinen Verstoß gegen § 242 BGB. e) Zwischenergebnis Somit bleibt es bei der Nichtigkeit des Kaufvertrages zum Preis von € 200.000,– gem. § 125 S. 1 BGB. C. Ergebnis Mangels eines gültigen Kaufvertrags hat R gegen S keinen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Grundstücks aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB. SEITE 6 VON 6