Anwendungsgebiete 1) Arbeits- und Organisationspsychologie Die psychologische Organisationsdiagnostik dient dazu, die psychologischen Aspekte des Erlebens und Verhaltens von Mitgliedern in Organisationen zu diagnostizieren, um Regelhaftigkeiten im Erleben, im Verhalten und in den Interaktionen zu beschreiben, zu erklären und zu prognostizieren. a) Strukturdiagnostik = Unterschiede zwischen Organisationsstrukturen sind auf Unterschiede in den Situationen zurückzuführen, in denen sich die jeweiligen Organisationen befinden (z.B. Technologien oder Größe der Organisationen) b) Prozessdiagnostik = eine Vielzahl von Merkmalen und Bedingungen in Organisationen unterliegen einer fortwährenden Veränderung: mehrstufige Diagnose von organisationalen Veränderungen, sozialer Interaktion und Kommunikation und Wechselwirkungen zwischen Strukturmerkmalen, situativen Faktoren und Erleben und Verhalten in Organisationen Instrument zur Prozessdiagnostik = Organisationsanalyseinstrumentarium OAI mit 5 Modulen: 1) Macroorganizational module (Messung der Gesamtstruktur) 2) Interunit relations module (Messung der Koordination zw. organisationalen Einheiten) 3) Organizational unit module (Aufgaben, Strukturen und Prozesse auf verschiedenen Arbeitsebenen) 4) Job design module (Merkmale einzelner Arbeitsplätze, Anforderungen und Arbeitszufriedenheit) 5) Performance module (Effizienz und Effektivität der versch. Arbeitsebenen) Die Organisationsentwicklung umfasst Maßnahmen, die auf die Humanisierung der Arbeitswelt sowie die Erhöhung von Effizienz und Commitment der Organisationsmitglieder abzielen. Ansatz von Gebert, beruhend auf SORK-Paradigma 1) Personaler Ansatz: richtet sich auf Organismus und Reaktion (gruppendynamische Trainings, Schulung, Weiterbildung) 2) Strukturaler Ansatz: richtet sich auf Stimulus und Konsequenz (Arbeitsgestaltung, Rahmenbedingungen, z.B. Gruppenarbeit und Job enrichment) Eignungsdiagnostik = Zuordnung von Personen zu geeigneten Bedingungen Personalbeurteilung = eignungsdiagnostische Aussagen + Potentialanalyse + Zuführung zu Personalentwicklungsmaßnahmen auf 3 Ebenen: a) Day-to-day-Feedback = Verhaltenssteuerung b) Leistungsbeurteilung (regelmäßig) c) Potentialbeurteilung (für Personalentwicklung) Eignungsdiagnostik = Bemühungen von Zuordnungen von Personen zu Situationen oder umgekehrt mit dem Ziel der Maximierung von beruflicher Zufriedenheit und beruflichen Leistungen 1) Eignungsdiagnostik = mehrere Stellen, ein Bewerber 2) Platzierung/ Optimale Zuordnung = Anzahl Bewerber und Stellen gleich 3) Konkurrenzauslese/ Selektion = mehr Bewerber als Stellen DIN 33430 = Richtlinien zur Verfahren der Eignungsdiagnostik - Anforderungsbezug - Vorab Informationen über Arbeitsplatz - Vorgehensweise und Auswahlkriterien vorab festlegen - Gesetzliche Vorgaben beachten (Schweigepflicht, Datenschutz usw.) - Untersuchungssituation angemessen gestalten und Kandidaten informieren Einstellungsinterview als beliebtes, häufig eingesetztes Instrument, strukturiert sehr valide: .51 für Berufserfolg; unstrukturiert: .38 Seltener eingesetzt aber sehr valide für Berufserfolg: - Kognitive Leistungstests: .51 - Arbeitsproben: .54 - Leistungstests: .48 - Persönlichkeitstests: .41 - AC: .37 - Biographische FB: .35 - (Referenzen: .26) Leistungsmotivation (Korrelation max. .30) und Gewissenhaftigkeit (max. .27) eher geringe Validitäten, dagegen Integritätstests sehr valide (Vorhersage kontraproduktiven Verhaltens in Organisationen) Assessment-Center: Multimethodales Instrument der Personalauswahl und -entwicklung 5 Prinzipien des AC: 1) 2) 3) 4) 5) Verhaltensorientierung Anforderungsbezogenheit Methodenvielfalt Mehrfachbeurteilung Transparenz Vorab Anforderungsanalyse notwendig: Bottom-up = Anforderungen an gegenwärtigen Strukturen orientiert Top-down = Anforderungen an zukünftigen Entwicklungszielen orientiert Beispiele für Bottom-up Techniken: 1) Critical Incident Technique (CIT) Anforderungsprofil: Generierung von Situationen und kritischen Verhaltensweisen, die erfolgreiche von weniger erfolgreichen Stelleninhabern unterscheiden 2) Repertory-Grid-Technik (REP)Auflistung erfolgreicher und weniger erfolgreicher Mitarbeiter, Dreier-Gruppen-Bildung, Gemeinsamkeiten (im Verhalten) zwischen 2 Personen finden = Unterscheidung gut/ schlecht, aus Gegensatzpaaren resultiert FB mit dem MA eingeschätzt werden können - Objektivität, da situative Übungen + Auswertung: erst Datensammlung, dann Beurteilung, besser bei Manager- oder Psychologenbewertung; Methodenvielfalt und mehrere Bewerter (Fehlerausgleich) - Reliabilität: Interraterreliabilität stark schwankend: .50-.90 + Korrigierte Validität gut: .37 Mangelnde Vergleichbarkeit mit herkömmlichen Tests + soziale Validität: 4 Aspekte: 1) Berücksichtigung sozialpsychologischer Anforderungen 2) Partizipation der Betroffenen 3) Transparenz 4) angemessene wechselseitige Kommunikation - geringe Ökonomie 3 Bereiche der Personalentwicklung: 1) Fach- und Methodenkompetenz (Leittextmethode) 2) Sozialkompetenz (Gruppentrainings zur Förderung sozialer Handlungskompetenzen, Kommunikationsfähigkeit) 3) Personale Kompetenz (suggestopädagogische und kunstpädagogische Ansätze) Beliebt: Förderung auf Managementebene: - Entscheidungsbaum von Vroom und Yetton (Entschiedungsstile: z.B. Partizipation) - Coaching, Mentoring Zweifaktorentheorie der Azuf von Herzberg: 1) Hygienefaktoren, Kontextfaktoren, Dissatisfaktoren, extrinsische Motivation (können Unzufriedenheit abbauen, keine Zufriedenheit herstellen)= Führungsstil, Arbeitsbedingungen, interpersonale Beziehungen, Gehalt → Humanisierung der Arbeitswelt (Fragebogen zur Arbeitsanalyse FAA) 2) Contentfaktoren, Satisfaktoren, Motivatoren, intrinsische Motivation (können Zufriedenheit herstellen) = Leistung, Anerkennung, Verantwortung → Verfahren der subjektiven Arbeitsanalyse (SAA) 3 Arbeitsgestaltungsprinzipien: 1) Job enlargement (Erweiterung des Tätigkeitsspielraums, horizontal) 2) Job rotation (Arbeitsplatztausch, horizontal) 3) Job enrichment (Autonomie- und Entscheidungsspielräume, horizontal und vertikal) Teilautonome Arbeitsgruppen = vereinen die 3 Prinzipien, mit Gruppenarbeit in funktionalen Einheiten mit Autonomie und Verantwortung Qualitätszirkel = Treffen zur Analyse von Problemen und Lösungen Ökonomische Ziele sind für Organisationen handlungsbestimmend Gruppendiagnostik in der A&O: 1) Konfliktdiagnostik (Macht, Wettbewerb) 2) Interpersonale Kommunikation (kurze Wege, Vermeidung von Gerüchtebildung, schriftlich) 2) pädagogische Psychologie a) Diagnostik und Intervention beim Schuleintritt - Schulerfolg als eine Funktion der Schulreife - Problem von Schulreifetests: hohe Grundrate - Besser: Bewährung in der ersten Klasse - Zusätzlich Schuleingangstests um extreme Fälle zu identifizieren und Überforderung zu vermeiden; weitere Absicherungen durch Entwicklungstests möglich - Zurückstellung bei mangelnder Schulfähigkeit b) Diagnostik und Intervention bei Sonderschulüberweisung - Folgenschwere Aufgabe der Überweisung in eine Sonderschule für Lernbehinderte (Verlust von sozialem Status und Berufs- und Lebenschancen) - Kriterien: mehr als einjährigen allgemeinen Leistungsrückstand, durch Klassenwiederholung nicht zu kompensieren, Intelligenzquotient unter 85 (Intelligenzminderung), da sonst Schüler durch strenge Benotung oder überdurchschnittlich gute Referenzgruppen fälschlicherweise sonderbeschult würden - Schulleistungsdefizite Ø Lernbehinderung - Tests: häufig HAWIK IV, weniger sprachlastige Tests wie CFT oder Raven besser - Studie hat ergeben: viele Sonderschüler mit Ø Intelligenz, da Verfahren oft veraltet sind und nicht von Psychologen, sondern Sonderschullehrern durchgeführt werden (nicht neutral und nicht ausreichend qualifiziert) - Förderung statt Auslese bereits in der Grundschule, um durch rechtzeitige Diagnose Lernprobleme zu mindern (Schema von Kornmann, S. 478) c) Diagnostik beim Übertritt in weiterführende Schulen - Probleme von früher üblichen Aufnahmeprüfungen und Grundschulempfehlungen - Durch Entwicklungstests nur kurz- und mittelfristige Prognosen möglich - Vorteile der Grundschulempfehlungen: längere Beobachtung, zuverlässigere Einschätzung als einmalige Testung - Nachteile: fehlende Vergleichbarkeit von Schulnoten, Zurückhaltung bei Hauptschulempfehlungen, Antizipation der Bedingungen an weiterführenden Schule nicht möglich - Lösung: Bewährung in gewünschter Schulform als Kriterium, nach Bewährungsphase wird über Verbleib entschieden: Prozess- anstatt Statusdiagnostik (in manchen Bundesländern so praktiziert) - Entscheidung über Verbleib durch Lehrer und schulpsychologische Dienst d) Diagnostik beim Übertritt in tertiären Bildungsbereich - Studienplatzknappheit als Problem; Frage nach dem richtigen Zulassungsverfahren - Kombination von Abiturnoten, Tests (Studieneignung durch studienfach- und studienfeldbezogene Fähigkeitstests) und Interviews (Persönlichkeit, Motivations- und Interessenstruktur) - Ziel: Passung von Anforderungen und Fähigkeiten/ person-job-fit, nicht nur Auswahl sondern auch Sozialisation und Förderung im Studium oder Job notwendig - Anforderungsanalysen notwendig - Ggf. gesonderte Verfahren für bestimmte Studienfächer Studien belegen inkrementelle Validität von Interviews zur Vorhersage von Studienleistungen e) Diagnostik und Intervention bei individueller Schülerhilfe - Hilfe bei individuellen Lernschwierigkeiten bei negativen Abweichungen von der Klassennorm (Ø Leistungen der Klasse) oder von der individuellen Norm - Lernschwierigkeiten multifaktoriell bedingt; 5 Bedingungen des Schulerfolgs 1) Vom Schüler benötigte Lernzeit zur Bewältigung einer Aufgabe (Ermittlung der basalen Lernzielebene und Entwicklung zur nächsten Lernzielebene) 2) Von der konkret aufgewandten Lernzeit des Schülers (Gründe: Lernmotivation, Anstrengung, Fähigkeit, Aufgabenschwierigkeit; Faulheit/ Eigenaktivität als sinnlos empfunden; Motivationsdiagnostik und Attributionstraining) 3) Von seiner Fähigkeit, Instruktionen zu verstehen (Tests zur Prüfung des Instruktionsverständnisses: Anweisungs- und Sprachverständnistest, Hörverständnistest, Förderung von Sprachverständnis schwierig, psycholinguistisches Training nur Effektstärke von .20) 4) Von der vom Lehrer zugestandenen Lernzeit (wenn viele Schüler die Lernziele nicht erreichen; Bereitstellung zusätzlicher Lernzeit bei Defiziten) 5) Von der Qualität des Unterrichts (Diagnostik der Unterrichtsqualität durch Unterrichtsbeobachtung und Befragung der Schüler; Qualitätsmerkmale: intensive Nutzung der Unterrichtszeit, Konzentration auf Lernziele, Kontrolle der Lernaktivitäten, Überwachung des Lernfortschritts, Verfügbarkeit von Hilfsmaßnahmen, Vermeidung Fehlern durch präzise Aufgabenstellung und einfache Fragen = direkter Unterricht, aber praktische Umsetzung schwierig) Sowie weitere Kontextfaktoren, wie Unterrichtsklima, Stimulation oder Beeinträchtigung durch Peer-Group und Elternhaus - Diagnostik des Unterrichtsklimas mit FB (soziale Beziehungen und allgemeines Klima) - Verbesserung des Klimas durch Umstellung von Wettbewerbsklima auf kooperative Arbeitsstrukturen (größere Zufriedenheit und gegenseitige Akzeptanz sowie verbesserte Einzelleistungen sowie verminderte Verhaltensprobleme) - Diagnose von Kontextfaktoren: sozialer Rang in der Schulklasse, aber Intervention hier schwierig - Familiäre Ursachen von Lernproblemen diagnostiziert über Familienskalen oder Gespräche; Familientherapie als mögliche Lösung Hochbegabung: Die Feststellung einer intellektuellen Hochbegabung orientiert sich als Richtwert an einem IQ über 130 bzw. Prozentrang ab 98. Auch Inselbegabungen bzw. Spezialbegabungen möglich = Talent ≠ Hochbegabung Intelligenz ist nur das Potential zu kognitiven Leistungen (motivationale oder kontextuale Gründe können dies verhindern) 2 Gruppen von Hochbegabten: 1) Underachiever: Leistungen niedriger als vom Potential zu erwarten 2) Achiever: Leistungen entsprechen dem Potential Unter Normalbegabten bezeichnet man Personen, die höhere Leistungen erbringen als ihr Potential erwarten lässt, als Overachiever Intelligenztests, die Hochbegabung messen sollen, brauchen ein breites g-Maß mit vielen Teilkomponenten (sonst Über- oder Unterschätzung des IQs) oder mehrere Intelligenztests um jeden Bereich abzudecken. Aktuelle Normen nötig, wg. Flynn-Effekt = Zunahme der Intelligenz mit der Zeit, sonst Überschätzung der Intelligenz. Zudem muss der Test im oberen Leistungsbereich gut differenzieren können (auch schwierige Items und Normen für IQ über 130, repräsentative Stichprobe bzgl. Alter und Schulformen notwendig) Hochbegabtendiagnostik durch Lehrer nur als Vorselektion sinnvoll, denn eine Studie hat LehrerIntelligenztest-Übereinstimmungen von nur .47- .59 gefunden Korrelation zwischen Ratingverfahren (bei dem Lehrer die Intelligenz ihrer Schüler auf 7-stufiger Skala einschätzten) und Intelligenztests CFT, ZVT und SPA: r=.59 Korrelation zwischen Nominationsverfahren (bei dem Lehrer 3 Schüler mit eingeschätzter Hochbegabung nominieren sollten) und Intelligenztests CFT, ZVT und SPA: r= .47 Interventionen für Hochbegabte: Entgegen der Erwartungen sind hochbegabter Kinder auch oft emotional und sozial intelligent und brauchen manchmal Förderung um ihr Potential entwickeln zu können. Zudem: - vorzeitige Einschulung - Überspringen einer Klasse - Besuch einer Sonderklasse für Hochbegabte - Stärkere innere Unterrichtsdifferenzierung - Einsatz als Tutor im regulären Unterricht - Spezielle Freizeitangebote für Hochbegabte (Feriencamps o.ä.) 3) Klinisch-psychologische Diagnostik - Störungswissen und Veränderungswissen als Voraussetzung Ist- und Soll-Zustand muss festgestellt werden 5 wichtige diagnostische Aufgaben: 1) Qualitative und quantitative Beschreibung der vorliegenden psychischen Störung (Dauer, Intensität, Häufigkeit der Symptome und ihre Auftretensbedingungen und andere beeinflussende Faktoren) 2) Klassifikation der psychischen Störung (Inforeduktion zur Kommunikation und Interventionsplanung auf Klasse zugeschnitten) 3) Exploration von besonderen lebensgeschichtlichen Bedingungen bei Entstehung und Verlauf der Störung (für Planung der Behandlung) 4) Beobachtung des Verlaufs, der Intervention und Veränderung der Symptomatik (adaptive Diagnostik, Verlaufsdiagnostik; Prozessbeobachtung und -modifikation) 5) Überprüfung des Therapieerfolgs (Qualitätssicherung an objektiven Kriterien) Klassifikation diagnostischer Methoden: 1) Nach dem System, welches sie beobachten a) Körperliche Aspekte (z.B. physiologische Erregung) b) Gedanken und Gefühle (kognitiv-emotionale Ebene) c) Verhalten (motorisch, sprachlich) 2) Nach der eingesetzten diagnostischen Methode a) Offenes diagnostisches Gespräch b) Strukturierte und standardisierte Interviews c) Fragebogen- und Testverfahren d) Beobachtungsmethoden e) Psychophysiologische und biologische Verfahren Klientenbezogene Rahmenbedingungen - Vorliegen einer Störung - Motivation zur Veränderung - Grund des Aufsuchens professioneller Hilfe - Notwendigkeit einer ambulanten oder stationären Behandlung - Beratung oder Therapie - Gruppen- oder Einzeltherapie - Finanzielle Möglichkeiten - Sozioökonomische Faktoren therapeutenbezogene Rahmenbedingungen - Fachliche Qualifikation und Ausbildung - Theoretische und praktische Orientierung - Art der Diagnostik, Methodik und Therapie - Klassifikatorische Diagnostik, Verhaltensund Situationsanalyse oder Psychoanalytische und tiefenpsychologische Diagnostik Das diagnostische Gespräch: - Verständnis für Patienten, der mit verschiedenen Ausgangspunkten Hilfe sucht: Schwellenängste, Hoffnung Hilfe zu bekommen, Unsicherheit an richtiger Stelle zu sein, Scham psychologische Hilfe zu benötigen - Empathische und parteiliche Haltung des Therapeuten wichtig mit Wahrung der Professionalität - Aufbau einer therapeutischen, problemorientierten Arbeitsatmosphäre - Patient sollte Vertrauen, Offenheit, Veränderungsmotivation und Angstfreiheit ggü. Gespräch zeigen - Das diagnostische Interview dient dazu, das Problem zu beschreiben, gegenwärtige aufrechterhaltende und Entstehungsfaktoren aus der Lebensgeschichte zu verstehen Exploration der aktuellen Problematik: - Aktuelle Symptomatik und gegenwärtiges Problem (Häufigkeit, Dauer, Intensität, Grad der Beeinträchtigung, antezendente und konsequente Bedingungen) - Problemstrukturierung (Verständlich und individuell, patientenorientiert, Psychoedukation, Transparenz beim therapeutischen Vorgehen) - Problemvorgeschichte (erstes Auftreten, warum aus Sicht des Patienten) - Andere Probleme, eigene Lösungsversuche, Vorbehandlungen, Biographische Anamnese - Subjektive Theorie der Entstehung und Aufrechterhaltung wichtig Klassifikation psychischer Störungen: Voraussetzungen für die Diagnose einer psychischen Störung: - Persönliches Leid (Ich-syntone vs. Ich-dystone Störungen) - Abweichung von Normen (statistisch, gesellschaftlich, individuell) kulturabhängig - Funktionseinschränkung und/ oder Behinderung (psychischer Art oder Folge psychischer Probleme) - Selbst- oder Fremdgefährdung 2 gebräuchliche Klassifikationssysteme: 1) ICD-10 der WHO (International) 2) DSM IV der APA (Westlich orientiert) Beide beruhen auf der operational und deskriptiv definierten Diagnostik (Unabhängig von ätiologischen und nosologischen Kriterien, dadurch allgemeingültiger für verschiedene Interessengruppen) ICD-10: - 10 Hauptgruppen psychischer Störungen (Kapitel V/ F-Kodierungen F0 bis F9), neuerdings auch multiaxial vorhanden, in Europa als zentrales Klassifikationssystem verwendet F0 Organische und symptomatische psychische Störungen F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen F3 Affektive Störungen F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F5 Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen und Faktoren F6 Persönlichkeits- (8) und Verhaltensstörungen F7 Intelligenzminderung F8 Entwicklungsstörungen F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend DSM IV: - Multiaxiale Struktur mit 5 Achsen (nicht nur Klinische Störung, auch weitere relevante Aspekte), eher zu Forschungszwecken in Europa verwendet Achse I: Klinische Störungen (15 psychische Störungen) Achse II: Persönlichkeitsstörungen und geistige Behinderungen (10 Persönlichkeitsstörungen) Achse III: Medizinische Krankheitsfaktoren Achse IV: Psychosoziale und umweltbedingte Probleme Achse V: Globale Beurteilung des Funktionsniveaus (GAF) Vergleich und Bewertung: - Durch Klassifikation erhöhen sich Reliabilität und Validität von Diagnostik - Abwendung vom organisch orientierten Krankheitsmodell - Diagnosen aus ICD-10 und DSM IV gut vergleichbar - Komorbiditätsprinzip (außer einige Ausnahmen), keine hierarchische Ordnung der Störungen beim ICD-10 (mehrere Störungen möglich), zudem oft Symptomüberlappung zwischen verschiedenen Störungen, dadurch Komorbiditätsrate sehr hoch Verfahren zur klassifikatorischen Diagnostik/ strukturierte und standardisierte Interviews: - Internationale Diagnose Checklisten für Persönlichkeitsstörungen (IDCL-P) - Strukturiertes Klinisches Interview für DSM IV, Achse I (SKID-I) - Strukturiertes Klinisches Interview für DSM IV, Achse II (SKID-II) - Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen (DIPS) - Composite International Diagnostic Interview (CIDI) - International Personality Disorder Examination (IPDE) - Checklisten ökonomisch aber konfirmatorisch (übersehen Komorbiditäten) Klinische Interviews aufwendig aber sinnvoll (umfassende Differentialdiagnostik) CIDI kann ohne klinische Ausbildung durchgeführt werden, da keine Symptomeinschätzung stattfindet Verhaltenstheoretisch und kognitiv orientierte Fragebogenverfahren: - FB sind ökonomisch, günstig und erfüllen weitesgehend die Anforderungen an Objektivität, Reliabilität und Validität Bereiche: - Eingangsdiagnostik: FPI-R Frankfurter Persönlichkeitsinventar, F-SozU Fragebogen zur sozialen Unterstützung uvm. - symptomorientierte Screeningverfahren: SCL-90-R Symptom Checklist, BSI Brief Symptom Inventory - störungsbezogene Verfahren: Depressivität (BDI Beck Depressions Inventar, ADS Allgemeine Depressionsskala, uvm.), Angststörungen (AF Angstfragebogen, HZI Hamburger Zwangs Inventar, uvm.), körperliche Beschwerden und somatoforme Störungen (BL Beschwerden Liste, KSI Kieler Schmerz-Inventar, uvm.) - andere Störungs- und Problembereiche: EDI Eating Disorder Inventory, FEV Fragebogen zum Essverhalten, PFB Partnerschaftsfragebogen, uvm. Kognitive Diagnostik: - Fragebogen irrationaler Einstellungen (FIE) - Frankfurter Selbstkonzeptskalen (FSKS) - Fragebogen zu Kontrollüberzeugungen (IPC) - Fragebogen zum Körperbild - Repertory-Grid-Technik (Hier: Ermittlung kognitiver Konstrukte zur Strukturierung der sozialen Beziehungen, Einstufung von eigener Person und Bezugspersonen) Beobachtungsmethoden: - In- vivo-Beobachtung (natürliche Umgebung, Eingreifen des Beobachters, besser Videoaufzeichnung) - Strukturierte Beobachtung (Labor/ künstliche Umgebung, z.B. Rollenspiele; Beobachtung nach Kriterien wie Häufigkeit, Intensität von Verhalten) - Selbstbeobachtung (Protokollierung von Verhalten, Kognitionen, Emotionen oder körperlichen Reaktionen z.B. Essverhaltens- Tagebuch) - Verhaltenstests/ -experimente (Kombi aus strukturierter Beobachtung und Selbstbeobachtung im Feld, z.B. Angstsituation beobachten und protokollieren) Häufig unzureichende Reliabilität von Beobachtungsmethoden (Verzerrungen, Halo-Effekte etc.) und nicht bekannt oder geringe Validität (Repräsentativität der Situation und des Verhaltens). Hawthorne-Effekt: durch die Tatsache der Beobachtung entsteht Reaktivität und das Verhalten ändert sich ohne dass eine intendierte Intervention stattgefunden hat. Problem-, Verhaltens- und Plananalyse: - Diagnostik funktionaler Zusammenhänge - antezendente/ situative und konsequente Bedingungen explorieren - Wichtig für Ätiologie, Ziel- und Therapieplanung 3 Beschreibungsebenen bei der Problemanalyse nach Bartling, Kanfer und Schulte 1) Physiologie (Körperliche Faktoren, Vorgänge) 2) Kognition und Emotion (persönliches Erleben) 3) Verhalten (beobachtbar) Funktionales Bedingungsmodell (Erklärungsmodell) aus Erkenntnissen der Problemanalyse nach den Paradigmen von klassischer und operanter Konditionierung erstellen Daraus resultierend das S-O-R-C-K Model von Saslow und Kanfer S = Stimulus oder Situation O = Organismus (Erleben physiolog., kogn, und emotional) R = Reaktion (Verhalten) C = Konsequenz (verstärkende Komponenten) K = Kontingenz (Regelmäßigkeit) Methoden zur Erfassung: Verhaltensbeobachtung, Rollenspiele, Beschreibungen (Drei bzw. FünfSpalten-Technik zur Verhaltensanalyse) Horizontale Verhaltensanalyse = Beschreibung von Verhalten in Situationen Dagegen vertikale Verhaltensanalyse/ Plananalyse = Beschreibung handlungsleitender Kognitionen Persönlichkeitstests in der klinischen Psychologie: - Einsatz für Therapieevaluation (Größe der Veränderung geringer als bei störungsbezogenen Verfahren) - Einsatz als Explorations- und Screeninginstrument - Verwendete Tests: MMPI, FPI-R, TPF und NEO-FFI oder nur einzelne störungsrelevante Skalen Verfahren der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie: - Verfahren nur als Ergänzung zum Gespräch, da der Patient selbst den Inhalt und Verlauf der Therapie bestimmt ( da er über seine Störung selbst am Besten Bescheid weiß) - Ziel der Verfahren: Perspektive des Klienten abbilden - Ideographische Methoden, die das Individuum für sich betrachten, statt es mit einer Norm zu vergleichen - Beispiel: Q-Sort-Technik (Erfassung des realen oder idealen Selbstbild indem der Patient Karten mit Eigenschaften so sortiert, wie sie auf ihn zutreffen, auch als Therapieevaluation eingesetzt, da das Ziel der Therapie die Annäherung an das reale Selbstbild ist) - Fragebögen der klientenzentrierten Ansätze: Berger-Skala zur Erfassung der Selbstakzeptanz, Skal zur Erfassung der Selbstakzeptierung SESA, Veränderungsfragebogen des Erlebens und Verhaltens VEV, Kieler Änderungssensitive Symptomliste KASSL uvm. Psychoanalytisch bzw. psychodynamisch orientierte Verfahren: 1) Diagnostisches Gespräch/ Interviewkonzepte: OPD Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik erfasst: - Krankheitserleben und Behandlungserwartung - Beziehungseben - Zeitlich überdauernde Konflikte - Psychische Struktur - Symptom- und Syndromebene, auch Klassifikation nach ICD-10 2) Zentrale Beziehungskonfliktthemen (ZBKT) erhebt subjektiv bedeutsame Beziehungsepisoden, soziale Kontakte und Interaktionen 3) Psychischer und sozial-kommunikativer Befund (PSKB) ist ein anamnestisches Gespräch indem Symptome und Ich-Erleben, soziale Bewältigung und Reaktionen auf belastende Lebensereignisse exploriert werden 4) Gießen Test (GT) erfasst soziale Einstellungen und soziales Verhalten, Selbst-, Fremd- und Idealbild, wird auch außerhalb der Psychoanalyse eingesetzt (siehe Testverfahren Paare) Systemische Therapie und interpersonale Diagnostik - Systemische Therapie konzentriert sich auf pathogene Muster in sozialen Beziehungssystemen (insb. Familie) - Patient, der in Behandlung kommt ist der Indexpatient oder Problemträger, gestört ist aber das gesamte soziale Gefüge der Person - Methode des zirkulären Fragens (alle Systemmitglieder werden über die anderen Mitglieder und ihre persönlichen Einschätzungen in Anwesenheit der anderen Mitglieder befragt) - Darstellung von Genogrammen: Familienorganigramm hinsichtlich familiärer Beziehungen und biographischen Angaben bis mehrere Generationen zurück - Interpersonelle Verfahren: SASB Strukturelle Analyse Sozialer Beziehungen, IIP Interpersonelle Probleme, Fragebogen zur sozialen Unterstützung Neuropsychologische Diagnostik: - Aktuelle Funktionseinschränkungen feststellen - Diagnostische Bereiche: Kognitive Fähigkeiten, Psychomotorik, Persönlichkeit, Berufseignung - Instrumente: Intelligenztests, Konzentrationsleistungstests, Persönlichkeitstests und Berufseignungstests - Spezifische Verfahren: Wisconsin-Card-Sort-Test WCST, Aachener Aphasietest AAT, Lern- und Gedächtnistest LGT3, Tempo- und Merkfähigkeitstest für Erwachsene TME, Diagnosticum für Cerebralschädigung DCS, Recurring-Figures-Test, Benton-Test - Psychomotorischer Test: Wiener Reaktions- und Determinationsgerät - Testbatterien: TÜLUC Tübinger Luria-Christensen neuropsychologische Untersuchungsreihe zur Messung von neurologischen, kognitiven, motorischen, sensomotorischen und psychologische Funktionen Psychophysiologische Diagnostik: - Körperliche Funktionen spielen bei fast allen psychischen Störungen eine Rolle - Nicht weit verbreitet, wg. Apparativen Aufwand - Wichtige Frage: korrelative oder kausale Zusammenhänge zwischen den Maßen und psychischen Störungen - Verfahren: EMG (elektrische Aktivität der Muskeln), EKG (Herzaktivität), Photoplethysmograph (Durchblutungsstärke), transkranielle Dopplersonographie (Durchblutung im Gehirn, zerebral), Hautleitfähigkeit (physiologische Erregtheit, Niveau und Änderung), bildgebende und strukturelle Verfahren (EEG, MRT, CT, fMRT, PET usw.) - Zur Abklärung körperlicher Erkrankungen, zum Biofeedback bei Angst- oder Panikstörungen, zur Messung der Stressbelastung Verbindung von Diagnostik und Intervention: Indikation - Praktischer Wert von Diagnostik misst sich an dem Umfang der Handlungsanweisungen für die Therapie - Selektive Indikation = Zuordnung zu Interventionen, Selektion - Adaptive Indikation = Anpassung der Intervention an den Einzelfall, Modifikationsstrategie 3 Aufgaben der Indikationsstellung: - Psychotherapie-Indikation (Ja/Nein) - Behandlungsbezogene Indikation: differenzielle Indikation, welche Behandlung angezeigt ist; Hinweise aus der Therapieforschung - Adaptive oder prozessuale Indikation: Wie können die Maßnahmen an den Einzelfall und den Verlauf der Behandlung angepasst werden? Kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren: 1) Operante Verfahren (Veränderung des Verhaltens durch nachfolgende Konsequenzen, z.B. Token Economy) 2) Reizkonfrontation (Auseinandersetzung mit einem bedeutsamen Reiz, z.B. bei Essstörungen Essen, systematische Desensibilisierung immer in sensu mit Entspannung) 3) Exposition (Konfrontation mit dem angstauslösenden Reiz/ der Situation, in sensu, in vivo, massiert oder graduiert, ohne Entspannung) 4) Modelllernen und Rollenspiele (z.B. in Gruppen zum Abbau von Ängsten) 5) Kognitive Therapien (z.B. Rational-Emotive-Therapie nach Ellis oder kognitive Therapie nach Beck oder multimodale Verhaltenstherapie nach Lazarus) 6) Kommunikations- und Problemlösetrainings (für interpersonale Probleme, Fertigkeiten der sozialen Interaktion einüben, insb. bei Ehe-, Paar- und Familientherapie) 7) Euthyme Behandlungsstrategien (Nutzung individueller Ressourcen und Förderung seelischer Gesundheit durch Konzentration auf Positives) 8) Biofeedback (Rückmeldung von Körperreaktionen bei Muskelverspannungen, Hypertonie Angststörungen und chronischen Schmerzen) Es liegen kognitiv verhaltenstherapeutische Manuale für die Behandlung nahezu jeder psychischen Störung vor. Psychodynamische Verfahren - Freie Assoziation - Deutung von Inhalten nach psychodynamische Erklärungen - Arbeiten mit Widerstand, Träumen und Phänomenen der Therapeut-Klient-Beziehung: Übertragung und Gegenübertragung - Verdrängte Gefühle und Konflikte sollen aufgearbeitet werden und so die Probleme lösen (Katharsis) - Früher 3-5 Sitzungen pro Wo. und insg. 200, heute eher mehrere Kurzzeittherapien: Fokaltherapien mit 1 Sitzung pro Wo. Und 30-100 insg. und mehr Bezüge zu aktuellen Problemen klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie: - Humanistischer Ansatz mit der Annahme, dass der Mensch Potential zur Selbstverwirklichung und Lösung seiner Probleme hat - Gegenstand: aktuelle Problematik und Lebenssituation; Spiegelung von Gefühlen und Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte - Ziel der Therapie: Potential aktivieren, Lösungswege und Therapieziele werden von Patienten festgelegt (Selbstverwirklichung) - Wirkmechanismus innerhalb der therapeutischen Interaktion: unbedingte Wertschätzung, Empathie und Echtheit des Therapeuten Erfolgskontrolle und Qualitätssicherung: - Evaluation von Verlauf und Erfolg der Behandlung - Indirekte Veränderungsmessung durch Differenzbildung Vorher-Nachher-Messung (Anamnese/ Katamnese) - Direkte Veränderungsmessung durch retrospektive Befragung der Verbesserung zu vor der Therapie/ Zielerreichungsbeurteilung - Instrumente: Goal Attainment Scale, KASSL, Stundenbogen Klient oder Therapeut, VEV, Veränderungsfragebogen für Lebensbereiche, Veränderungsprozessbogen VEV = Veränderungsfragebogen des Erlebens und Verhaltens - Aus klientenzentrierter Gesprächspsychotherapie, aber auch für andere Therapieevaluationen eingesetzt - 42 Items: retrospektive Befragung von negativen und positiven Veränderungen, 7-stufiges Antwortformat (von -3 entgegen Itemaussage bis +3 für Itemaussage, 0= keine Veränderung) - Itempool wurde durch Literaturhinweise auf Veränderungsmerkmale nach Therapie und Aussagen von Patienten gewonnen - Validierung an 2 Stichproben (Patienten vs. KG), Items die gut zwischen den Gruppen differenzierten wurden in den FB aufgenommen (bei Patienten höhere Vorher-NachherDifferenz als bei unbehandelter KG) - Faktoriell bestätigt - Interne Konsistenzen sehr gut .95; mäßige Retestreliabilität von .61 nach 8 Wo. Intervall, aber erwartungskonform, da ein nicht stabiles Merkmal gemessen werden soll - Validitätsbelege durch Studie (s.o) und Korrelation der Differenzwerte von Patienten mit ähnlichen Messinstrumenten zu .50 und zu Null mit konstruktfernen Merkmalen - Normen: Grenzwerte verschiedener Signifikanzniveaus um eine Veränderung als statistisch relevant anzusehen Probleme der direkten Veränderungsmessung: Soziale Erwünschtheit, Erinnerung verzerrt/ verfälscht; auch bei unbehandelter KG wurden 22 % Änderungseffekte festgestellt Fazit: Einsatz des VEV nur in Kombination mit anderen Verfahren Kriterium der klinisch bedeutsamen Verbesserung: Oben beschriebener Ansatz der Erfolgskontrolle ist ein gruppenstatistischer/ nomothetischer Ansatz, deren Ergebnisse über Mittelwerte und Streuungen, also Effektstärken ermittelt wird. Dieser Ansatz hängt von stichprobenrelevanten Merkmalen (Stichprobengröße, Streuungen) ab, die für die klinische Diagnostik meist irrelevant sind. Relativ geringe Ergebnisse zu Veränderungen mit großen Stichproben werden statistisch signifikant, obwohl sie eine geringe klinische Bedeutung haben. Klinische Relevanz von Veränderungen bezieht sich auf den Einzelfall (idiographischer Ansatz), bezieht sich oft auf Ziele und Standards, die Therapeuten, Patienten oder Einrichtungen festgelegt haben. Ansatz von Jacobson: Klinisch bedeutsame Verbesserung = Symptomreduktion oder –freiheit Dazu 3 Operationalisierungen von Therapieerfolg: 1) Ausmaß der Symptomatik soll mind. 2 Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Störungspopulation liegen (als einziges Kriterium berechenbar wenn Normalpopulation nicht verfügbar) 2) Ausmaß der Symptomatik sollte nach der Therapie innerhalb von 2 Standardabweichungen der Normalpopulation liegen (bei kleinen Überlappungen der Normal- und Störungsverteilung) 3) Stärke der Symptomatik sollte näher am Mittelwert der Normalpopulation liegen als am Mittelwert der Störungspopulation (wenn größere Überlappung der beiden Verteilungen) Man benötigt für alle Kriterien Mittelwerte und Standardabweichungen von der Störungspopulation, der Normalpopulation und dem Patienten. Die Beurteilung kann unterschiedlich ausfallen, je nachdem welches der 3 Kriterien zugrunde gelegt wird (mancher konservativer als andere, je nach Ausgangswerten). Stärke der Veränderung über den Veränderungsindex (reliable change index) berechenbar: RC = (x2-x1)/ sdiff und der Standardfehler der Differenz: sdiff = und der Standardfehler des Messinstruments SE = s1 Wenn RC dann größer ist als der kritische Z-Wert für p< .05 = 1.96, dann ist die Differenz signifikant und zu 95% auf eine wahre Veränderung zurückzuführen. Wenn RC kleiner 1.96 dann ist die Differenz nicht signifikant und wahrscheinlich auf Messfehler zurückzuführen. 4) Anwendung in der Neuropsychologie Wichtige Funktionsbereiche, die bei einer Hirnschädigung betroffen sein können: - Intelligenz - Aufmerksamkeit - Reaktionsfähigkeit - Gedächtnis - Sprache (Aphasie) - Planung und Kontrolle von Verhalten - (Psycho-)Motorik - Affektivität, Persönlichkeit Erkrankung Schlaganfall/ akute zerebrale Zirkulationsstörung Spontane intrakranielle Blutung Schädel-Hirn-Trauma Gehirntumore Bakterielle und virale Entzündungen des Gehirns oder der Hirnhäute Epilepsien (zerebral bedingte Krampfanfälle) Morbus Parkinson Multiple Sklerose Demenzen u.a.Erkrankungen vom Alzheimer-Typ - - Neurologische Symptome Ausfall von Teilfunktionen: Neglect = Wahrnehmung- oder Aufmerksamkeitsstörung mit Vernachlässigung einer Körperseite, Aphasie = Sprachstörung Bewusstseinstrübung Leichte Bewusstseinsstörungen bis Koma, auch Aufmerksamkeitsstörung z.B. Kopfschmerz, epileptische Anfälle z.B. Kopfschmerz, Überempfindlichkeit ggü. Licht, Geräusche, Bewusstseinsstörung Verschiedene Formen, versch. Symptome Ruhetremor, der unter Belastung zunimmt: Rigor = Erhöhung der Muskelspannung, Akinese =verminderte Spontanmotorik Ataxie = Koordinationsstörung mit unter- oder überschießenden Bewegungen Gedächtnisstörungen, Wortfindungsstörungen Aufgabe der neuropsychologischen Diagnostik: Defizite entdecken und beschreiben, medizinische Befunde als Ausgangspunkt Hypothesengeleitetes Vorgehen Therapiemaßnahmen planen, Krankheitsverlauf beobachten, Auswirkungen auf Alltagsleben und Beruf beschreiben Psychische Folgen erkennen, ggf. Begutachtung Instrumente: diagnostisches Interview, Leistungstests (z.B. Benton-Test = Nachzeichnen von 1-3 einfachen geometrischen Figuren aus dem Gedächtnis, misst visuelle Merkfähigkeit; bei motorischer Beeinträchtigung Form B zum Wiedererkennen von Figuren), Aufmerksamkeits-, Konzentrations-, Gedächtnis-, Persönlichkeits- und Intelligenztests, Tests zu Sprache, Motorik, Affektivität und Reaktionsfähigkeit Simulation einer Schädigung erkennen Entwicklungs-, Lern- und Teilleistungsstörungen bei Kindern diagnostizieren Demenz bei älteren Menschen feststellen (z.B. mit Nürnberger-Alters-Inventar NAI) 5) Anwendung in der Rechtspsychologie Fragestellungen: - Strafverfahren: z.B. Glaubwürdigkeit einer Zeugenaussage - Zivilverfahren: z.B. Umgangs- und Sorgerechtsentscheidungen - Sozialgerichtsverfahren: z.B. Berufsunfähigkeit - Strafvollzug: z.B. Kriminalprognose (vorzeitige Entlassung, Sicherheitsverwahrung) Zeugenaussagen und Schuldfähigkeit: - Beobachtungen decken sich oft nicht mit den Fakten - Studien zu Zeugenaussagen von Loftus (gravierende Beobachtungsfehler) - Entstehungsbedingungen der Aussage und Bedingungen der Aufnahme der Aussage müssen analysiert werden - Wichtig: keine suggestive Befragung - Bewertung der Aussage nach Vorliegen von Realkennzeichen: Logische Konsistenz, Schilderungen von Komplikationen, Schilderung ausgefallener Einzelheiten, Schilderung eigener psychischer Vorgänge, Eingeständnis von Erinnerungslücken - Motive für eine Falschaussage analysieren; Zurechnungsfähigkeit überprüfen (psychische Störung, Alkohol- oder Drogenmissbrauch) - Verfahren der Begutachtung: über Akteninformationen, diagnostisches Interview, ggf. klinisches Interview oder Testverfahren (Intelligenz, Konzentration, Gedächtnis etc.) - Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit bei intellektueller Minderbegabung, schwerer seelischer Störung, tiefgreifender Bewusstseinsstörung (letzteres auch situativ bedingt durch rasende Wut); Bescheinigung einer Steuerungsunfähigkeit und Unrechtsbewusstseins: § 20 und 21 StGB Kriminalprognose: - Schwerwiegende Konsequenzen für Täter (bei Sicherheitsverwahrung) oder für potentielle Opfer bei Rückfälligkeit - Schwierige Randbedingungen, da Verhalten prognostiziert werden soll, das durch komplexe Faktoren bedingt ist: das Verhalten ist selten, es wird durch Situationen determiniert, Geltungszeitraum soll lang sein, nur Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich - Statistische Urteilsbildung in Form von Kriminalprognosetafeln nach Gretenkord + Einzelfalldiagnose über Erklärungsmodell für den Straftäter (wirkliches, individuelles Rückfallrisiko über Modellpassung schätzen) Risikofaktor Entlassungsalter Persönlichkeitsstörung Vorstrafe mit Mind. 2x 20 Jahre 40 Jahre 60 Jahre Gewaltdelikt gewalttätig im Vollzug Nein Nein Nein 6% 2% 1% Ja 17% 6% 2% Ja Nein 15% 6% 2% Ja 37% 16% 6% Ja Nein Nein 16% 6% 2% Ja 39% 18% 7% Ja Nein 36% 16% 6% Ja 65% 38% 17% Nach der Tafel sinkt die Rückfallwahrscheinlichkeit mit zunehmendem Alter. Eine Persönlichkeitsstörung erhöht die Rückfallwahrscheinlichkeit immens. Die geringste Rückfallwahrscheinlichkeit haben Personen mit einem Entlassungsalter von 60 Jahren und ohne Risikofaktoren, dagegen die höchste mit Entlassungsalter 20 und 3 vorliegenden Risikofaktoren. Tafel entstammt einer Studie: Klassifikation von 188 Straftätern nach Tafelkriterien (aus Literatur), Überprüfung ihrer erneuten Straffälligkeit nach 8 Jahren Für die Einzelfalldiagnose müssen folgende Informationen gewonnen werden: - Bedingungen unter denen, die Straftat begangen wurde? - Erklärung der Tatentstehung? - Persönlichkeitsveränderung in der Haft? - Therapeutische Maßnahmen mit Erfolg durchgeführt? - Wie ist der soziale Empfangsraum nach der möglichen Entlassung (Arbeitsplatz, Unterkunft, soziale Beziehungen)? - Lebensperspektiven (Berufschancen, Partnerschaft, Familie etc.)? - Wahrscheinlichkeit kritischer Umstände, die Rückfallrisiko erhöhen? Familiengerichtliche Fälle: Sorgerechtsentscheidungen - Hauptanlass Scheidungen mit Kinderbeteiligung - Eltern sind verpflichtet zur Personen- und Vermögensvorsorge ihrer Kinder - Gemeinsamer Elternvorschlag oder Kindeswohl (bei Gefährdung) entscheidend für Sorgerechtsentscheidung - Einvernehmliche Lösungen werden angestrebt - Diagnostik und Intervention (Hinwirken auf Einigung u.ä.) findet verzahnt statt - Ab 14 Jahren zählt auch Kindeswille falls nicht entgegen des Kindeswohls - Auswahl der sachverständigen Psychologen nach Reputation, Prozesserfahrung, Ansehen und Bewährung in Prozessen - Bei Streit ums Sorgerecht, auch Umgangsregelungen durch Gerichte möglich - Verfahren zur Gutachtenerstellung: Erziehungsfähigkeit der Elternteile (neuropsychologische und erziehungsdiagnostische Verfahren), Bindung des Kindes (Bindungstests, FamilienBeziehungs-Test), diagnostische Interviews (Feststellung von Kindesmissbrauch, Kindeswille usw.) 6) Anwendung in der Verkehrspsychologie - Rechtliche Grundlage: Fahrerlaubnis-Verordnung - Alkoholproblematik häufigster Untersuchungsanlass Nach Entzug der Fahrerlaubnis: - MPU: medizinisch-psychologische Untersuchung der Fahreignung - Erfüllung geistiger Anforderungen: Belastbarkeit, Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung, Aufmerksamkeitsleistung, Reaktionsfähigkeit - Verhaltensgewohnheiten, Persönlichkeit oder Leistungsfähigkeit entscheidend - Praxis und Wissenschaft vereint - Gutachten besteht aus: Allgemeinem Teil (Anforderungen) und speziellem Teil: eignungsrelevante Merkmale Alkoholmissbrauch und –abhängigkeit schließen Fahrerlaubnis aus (Feststellung der Verhaltensänderung) Generell muss das Fehlverhalten von der Person erkannt und geändert werden Verfahren: diagnostisches Interview, Akteninformationen, Leistungstests, MPU