Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung ........................................................................................................................ 2 (Wolfgang Neumann) Jahresstatistik 2000 ................................................................................................................3 (Wilhelm Naber) Kommentar zur Jahresstatistik 2000 ......................................................................................10 (Wilhelm Naber) „Frauenförderung durch Beratung ........................................................................................11 (Ruth Großmaß) Psychosozial 2000 - Was wir können, was wir leisten können, wenn wir es denn wollen .......16 (Wolfgang Neumann) Vorbemerkung Der erste Jahresbericht im neuen Jahrtausend soll wieder Auskunft und Rechenschaft über die Arbeit der ZSB – Zentrale Studienberatung im letzten Jahr geben. Dabei hoffen wir, dass Sie über die Lektüre einen Eindruck über Umfang und Schwerpunkte der Beratungsstelle erhalten. Dr. Wolfgang Neumann (Leiter der ZSB) 2 Jahresstatistik der ZSB - Zentrale Studienberatung für das Jahr 2000 - in Klammern Zahlen und Daten von 1999 - 1. Allgemeine Studienberatung persönlich 44,15% 7658 schriftlich 5,67% 984 339 E-mails 1,95% 8364 telefonisch 48,22% Persönliche Beratung: 7658 (8349) Die persönlichen Beratungskontakte wurden auf drei Ebenen erfaßt: 1. Studienberatungen während der offenen Sprechstunden (Montag - Freitag vormittags, ohne vorherige Terminabsprache): 2. Kurzinformationen durch die Mitarbeiterinnen des Sekretariats (ganztägig ohne vorherige Terminabsprache): 3496(4241) 3936 (3712) 3 3. Studienberatungen, die außerhalb der offenen Sprechstunden nach Vorabsprache durchgeführt wurden: (396) 226 Beratungsgespräche in der Allgemeinen Studienberatung dauern wenige Minuten bis eine Stunde. Das Geschlechterverhältnis war in etwa ausgeglichen. 8364(7971) Telefonische Beratung: Die telefonische Beratung wird ganztägig in Anspruch genommen; ein Drittel der telefonischen Anfragen wird zusätzlich schriftlich beantwortet (Versendung kommentierten Informationsmaterials). Die Anzahl ergibt sich aus hochgerechneten Stichprobenzählungen. 339 (301) E-mails: Häufigste Anfragen zu: Hochschulwechsel Molekulare Biotechnologie Geisteswiss. 19,56% Schriftliche Studieninformationen: Aus den 984 Schreiben, die 2000 an die ZSB gerichtet wurden, ergaben sich 1408 Fragen Lehrämter 21,42% nach verschiedenen Informationen, die sich folgendermaßen zuordnen lassen: 221 1. Allgemeine Anfragen zum Studium242an der Universität Bielefel 2. Informationen zu Wohnmöglichkeiten 63 (71) Sozialwiss. 9,20% 142 (212) 104 18 41 3. Anfragen zu einzelnen Studienfächern der Universität Bielefeld 101 353 Zusatzstud. 1,59% 1130 Sport 3,63% 50 Wirtschaft 8,94% Naturwiss. 31,24% Jura 4,42% 4 (1058) 4. Schriftliche Anfragen zur Fachhochschule Bielefeld 21 (30) 5. Fragen zu Studiengängen, die nicht in Bielefeld angeboten werden (87) 52 Beratung zu Arbeitstechniken: Im Berichtsjahr wurde wöchentlich eine spezielle Sprechstunde durchgeführt, in der Studierende Unterstützung bei arbeitstechnischen Problemen anfordern konnten. Anzahl der Beratungsstunden: 39 Sprechstunden à 1,5 Stunden Beratungskontakte: 86 Geschlechterverhältnis ausgeglichen Darüber hinaus wurden Arbeitsprobleme in den allgemeinen Sprechzeiten und Beratungsstunden behandelt. Beratung für Aufschieber: Von Mai - Dezember 1999 wurde eine spezielle Sprechstunde für Studierende mit AufschiebeNat urwissenschaf ten Geisteswissenschaften Sozialwissenschaf ten Mediengest. (31) Umweltwiss. (43) Mol.Biotech. (84) Soziologie (45) Physik (11) Mathematik (15) Gesch./Phil. (38) Psychologie (28) Pädagogik (31) Chemie (15) Ling./Litw. (183) Wirt.math. (13) Informatik (49) Biochemie (45) Biologie (47) 0 10 20 30 40 50 0 50 100 150 200 0 20 40 60 80 100 Problematiken angeboten: Anzahl der Beratungsstunden: 27 Beratungskontakte: 58 Geschlechterverhältnis annähernd ausgeglichen. 2. Psychologische Beratung bei Studienproblemen/Psychosoziale Beratung: 5 Einzelberatung: Erfasst wurden Einzelgespräche der hauptamtlichen BeraterInnen, die in den offenen Sprechstunden oder telefonisch sowie nach Kriseninterventionen vereinbart worden waren. Anzahl der Gespräche: 2547 (2437) Anzahl der Personen: 428 (336) Die durchschnittliche Anzahl der Gespräche pro Person lag bei 5,95 Geschlechterverteilung: 256 Frauen (entspricht 59,81 %) 172 Männer (entspricht 40,19 %) Paarberatungen/Familiengespräche: Teilnehmende Personen: Anzahl der Gespräche: 70 (41 Frauen, 29 Männer) 54 Die Paargespräche waren z.T. Beratungen, die über mehrere Sitzungen ausschließlich als Arbeit mit einem Paar erfolgten, z. T. handelte es sich jedoch auch - wie bei den Familiengesprächen - um einmalige Gespräche, in der Regel mit der Herkunftsfamilie, die sich aus der Beratung einer Studentin bzw. eines Studenten ergaben. Gruppenangebote: Im Berichtsjahr wurden 5 Therapiegruppen durchgeführt: - 2 Gruppen für Studierende mit Studien- oder allgemeinen Ängsten: An diesen Gruppen nahmen 17 Personen (13 Frauen und 4 Männer) teil. Die Gruppen umfassten insgesamt 48 Sitzungen à 2 Stunden. - 1 Frauentherapiegruppe mit 7 Teilnehmerinnen. Die Gruppe umfasste 39 Sitzungen à 2 Stunden. - 2 Männertherapiegruppen mit 26 Teilnehmern. Die Gruppen umfassten 22 Sitzungen à 2 Stunden. Im Berichtsjahr wurden 19 themenzentrierte Gruppen durchgeführt: - 2 Prüfungstrainings-Seminare (19 TeilnehmerInnen; 4 Männer, 15 Frauen je 2 Tage kompakt; 56 Stunden). - 2 Studientechnikenkurse (27 TeilnehmerInnen; 9 Männer, 18 Frauen; 11 Stunden). - 11 Seminare zum Thema: Abitur - Was nun? Was tun? (132 TeilnehmerInnen; 42 Männer, 90 Frauen; 50 Stunden). - 1 Coaching-Gruppe für Doktorandinnen (7 Teilnehmerinnen; 46 Stunden). - 1 Seminar Schluss mit dem Aufschieben (7 TeilnehmerInnen; 3 Männer, 4 Frauen; 6 Stunden). 6 - 2 Gruppen für Psychiatrie Erfahrene Studierende (22 TeilnehmerInnen; 13 Männer, 9 Frauen; 67 Stunden). Insgesamt: 24 Gruppen teilnehmende Personen: Stundenzahl insgesamt: 264 (163 Frauen, 101 Männer) 454 Psychologische/Psychosoziale Beratungen und Gruppen insgesamt: Anzahl der Beratungsstunden: Anzahl der Personen: 3037 Stunden 762 460 Frauen (60,37 %) 302 Männer (39,63%) 7 Themenschwerpunkte in der psychosozialen Beratung Themen, die wegen ihrer Häufigkeit und Bedeutung einen hohen Stellenwert hatten1): Prüfungsängste Konzentrationsprobleme Lücken bei Studientechniken depressive Verstimmungen Beziehungsprobleme Unsicherheit in Bezug auf das gewählte Studienfach Redeängste Versagensangst Panikattacken überlange Studiendauer Gehemmtsein/Schüchternheit Unsicherheit bezüglich Berufsfeld/Lebensplanung Themen von hoher Bedeutung, aber weniger vorkommend als die der ersten Gruppe: Einsamkeit/Isolation Schwierigkeiten mit den Eltern Essstörungen Psychosomatische Probleme Traumatische Kindheitserlebnisse Psychoseerfahrung autoaggressives Verhalten Suchtprobleme Phobische Ängste Gewalterfahrungen Themen von Bedeutung, die seltener vorkamen: Belastungen durch alkoholkranke Eltern Diskriminierungserfahrungen Auseinandersetzung mit bedrohlichen Krankheiten (Krebs, MS, HIV-positiv) Finanzierungsprobleme Schlafstörungen Konflikte mit Hochschullehrern Sexualstörungen Geschlechtsrollenkonflikte sexueller Missbrauch durch Geschwister 8 1) Die Reihenfolge spiegelt die Häufigkeit der Nennungen. 3. Organisation und Beratung von Schüler-/Besuchergruppen: Anzahl der Gruppen: Teilnehmende Personen: 32 1658 zusätzlich: - 1 Tag der Geisteswissenschaften, ca. 40 TeilnehmerInnen - 1 Allgemeiner Hochschultag, ca. 1400 TeilnehmerInnen 4. Supervision/Institutionsberatung innerhalb der Universität: Gesamtstudenzahl: 80 5. Mitarbeit in Lehrveranstaltungen: Semesterwochenstunden insgesamt, SS + WS: 9 (nicht zu Lasten der Arbeitskapazität der Beratungsstelle) 6. Kooperation mit Einrichtungen außerhalb der Universität: Kooperationspartner: AK Frauen und Psychiatrie Arbeitsamt Bielefeld Arbeitsamt Detmold AWO-Krebsberatung BIKIS BIZ Hameln Drogenberatung EB Klein- und Kindergartenkinder ESG FH Bielefeld FH Lippe, Abt. Detmold Frauenberatung Bielefeld Gesundheitsamt Gilead IV, Bethel Grille Krisennotdienst Krisenberatung Lebensräume e.V. Mann-o-Mann Niedergelassene PsychotherapeutInnen und ÄrztInnen Notruf Bielefeld Pro Familia PSAG Psychiatrische Kliniken im Landkreis Psychosomatische Klinik, Johanneswerk Bielefeld Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft VHS Minden Westfälische Landesklinik, Gütersloh 9 GwG (Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie) KiHo Bethel Wildwasser e.V., Bielefeld ZSB Münster ZSBn NRW und bundesweit 7. Mitarbeit in Gremien, Ausschüssen, Einrichtungen und Projekten inner halb der Universität: - AK Fachstudienberatung - AK Gesundheitsfördernde Hochschule - AK Die gesundheitliche Situation der wissenschaftlich Beschäftigten - AK Gesundheitszentrum an der Universität Bielefeld Lehrkommission Frauenstudien - Beratungsprojekt Web-Team LOTSE-Projekt 8. Außerhalb der Universität durchgeführte Maßnahmen/Veranstaltungen: - VHS-Informationsveranstaltungen - Informationsveranstaltungen in Schulen - Teilnahme am AK Frauen und Psychiatrie 9 a. Teilnahme an Fortbildungen, Tagungen, Kongressen etc. (eigene Fortbildung): - ARGE-Tagung in Potsdam vom 08.03. - 11.03.2000 (Arbeitsgemeinschaft der Studienberater Deutschlands) - Tagung in Dortmund am 07.04.2000: Virtueller Hochschulraum NRW - DGVT-Kongress (Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie) vom 25.02. - 01.03.2000 - Frauenförderung durch Beratung, ARGE-Tagung in Dresden vom 13.09. 16.09.2000 - 11. Konferenz für Humanistische Therapie und Medizin vom 24.10 - 29.10.2000 in Garmisch. 9 b. Eigene Supervisionen: Die MitarbeiterInnen der ZSB haben im Berichtszeitraum regelmäßig an kollegialen Supervisionen teilgenommen (durchschnittlich 2 Stunden pro Woche). 10. Vorträge und Veröffentlichungen: 10 1. Vorträge: (1) Spurensuche als psychologische Erinnerungsarbeit; Vortrag am 27.02.2000 auf dem Kongreß für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) in Berlin (Wolfgang Neumann) (2) The Presence of the Past - Searching for Traces: The Holocaust and the Time of the Nazi Period as psychological Memory Work; Vortrag am 12.09.2000 an der Cornell University in Ithaca USA (Wolfgang Neumann) (3) Psychosozial 2000 - Was wir können, was wir leisten können, wenn wir es denn wollen; Vortrag am 14.05.2000 zur Eröffnung des Ausbildungszentrums Münster der DGVT in Münster (Wolfgang Neumann) (4) Humor als therapeutische Behandlungskompetenz; Vortrag vm 06.12.2000 in der Klinik am See in Schwerin (Wolfgang Neumann) (5) Essstörungen, am 06.11.2000 im Gesundheitsprogramm der Universität Bielefeld (Ruth Großmaß) (6) Gestaltung von Beratungsräumen als professionelle Kompetenz, DGVTKongress vom 25.02. - 01.03.2000 in Berlin (Ruth Großmaß) 2. Publikationen: Ruth Großmaß: Psychische Krisen und sozialer Raum, Tübingen (dgvt-Verlag) 2000. 11. Rahmenbedingungen Arbeitsauftrag, Personalausstattung (4,5 Stellen für Beratung, Kompass-Projektstelle, 1,5 Sekretariatsstellen, 2 BerufspraktikantInnenstellen Sozialarbeit/Sozialpädagogik) und Arbeitsstruktur der Zentralen Studienberatung sind gegenüber dem Vorjahr unverändert. 11 Kurzkommentar zur Jahresstatistik 2000 Auf die in der Jahresstatistik 2000 auffälligen Veränderungen gegenüber dem Vorjahr soll kurz eingegangen werden: Im Bereich der allgemeinen Studienberatung (s. S. 2) ist ein Rückgang der persönlichen Beratungskontakte um 8,28% zu verzeichnen. Damit hat sich die Inanspruchnahme der Beratungsstelle in diesem Bereich den Vorjahren wieder angeglichen. Die sehr hohe Nutzung im Jahr 1999 hat sich als Trend nicht fortgesetzt. Mit Sicherheit hat die Einführung von Entscheidungsfindungsseminaren für Abiturienten und die Durchführung eines allgemeinen Hochschultages (ca. 1400 TeilnehmerInnen) zu einer Entlastung der allgemeinen Sprechstunden geführt. Der Zunahme bei den E-mail-Anfragen (12%) und im Bereich der telefonischen Informations- und Beratungskontakte (4,2%) steht ein Rückgang der schriftlichen Anfragen von 7% gegenüber. Dies weist auf eine allmähliche Verschiebung der Nutzung bei den Informationsmedien hin. Nimmt man die Inhalte der schriftlichen Anfragen als Spiegel sich verschiebender Informationsbedürfnisse, dann verdienen folgende Veränderungen Aufmerksamkeit: Die schriftlichen Anfragen - zu den Lehramtsstudiengängen stiegen um 103%; - zu den Naturwissenschaften und Mathematik stiegen um 27%; - zu den Sozialwissenschaften reduzierten sich um 51%. Die Sondersprechstunde zu Studien- und Arbeitstechniken wurde weiterhin genutzt. Durch Einführung einer speziellen Sprechstunde für Studierende Aufschiebe-Problematiken wurde das Spektrum der Beratungsangebote erweitert. gut mit Im Bereich der Psychologischen/Psychosozialen Beratung (s. S. 4) zeigt sich, dass der sehr deutliche Rückgang des Vorjahres wieder ausgeglichen wurde, was die Anzahl der Gespräche angeht. Auch der Männeranteil hat wieder zugenommen. Auffällig erhöht (auch im Verhältnis zu den Vorjahren) hat sich die Anzahl der in diesen Gesprächen beratenen Personen. Ein Trend zu kürzeren Beratungssequenzen deutet sich an. Auffällig ist, dass Störungen und Probleme von den Ratsuchenden konkreter benannt wurden. Die deutliche Zunahme von depressiven Verstimmungen und Panikattacken sollte Anlass zum Nachdenken sein. Die themenzentrierten Gruppenangebote wurden von 12 auf 19 erhöht. Die Anzahl der Beratungsstunden stieg in diesem Bereich um 67,5,%. Neu im Angebot waren folgende Themengruppen: 9 - Entscheidungsfindungsseminare „Abitur – Was nun? Was tun?“ - „Schluss mit dem Aufschieben“ - „Psychiatrie Erfahrene Studierende“ Im Bereich der Psychologischen/Psychosozialen Einzelberatung und im Bereich aller Gruppenangebote (Themenzentrierte Gruppen und Therapiegruppen) wurden 169 Personen mehr betreut als im Vorjahr. 10 Ruth Großmaß „Frauenförderung durch Beratung“ (Die im Folgenden wiedergegebenen Überlegungen waren Grundlage einer Arbeitsgruppe der Fachtagung der Studien- und Studierendenberatung vom 13.16.9.2000 „Männerbünde und Frauennetzwerke/Netzwerke in der Beratung“ in Dresden) 1. Was heißt Frauenförderung in der Studienberatung? Anknüpfend an die sehr breit geführte Diskussion über die Möglichkeiten und Fallen von Frauenförderungsmaßnahmen werden im Folgenden zwei Thesen zum Ausgangspunkt genommen, die die Möglichkeiten von Frauenförderung durch Beratung eher grundsätzlich umreißen: These 1: Im Unterschied zu anderen Bereichen der Hochschule ist es auch nachdem es in einigen Bundesländern Richtlinien zur Frauenförderung gibt für das Arbeitsfeld der Studienberatung nicht so ohne weiteres klar, ob und wie Frauenförderung möglich ist. Denn drei ansonsten gängige Formen der Frauenförderung kommen für die Beratung nicht in Frage: Die Vergrößerung des Frauenanteils in der Klientel (im Sinne einer Quotierung) stellt keine sinnvolle Möglichkeit dar, zum einen weil Beratung ein Angebot ist, das auf offenen Zugang setzen muss, zum anderen weil der Frauenanteil in allen Feldern der psychosozialen Beratung sowieso größer ist als der Männeranteil (in etwa 60 : 40). Das Hinzufügen eines Sonderbereichs “Frauenberatung” (durch Delegation an eine Person oder durch Errichtung einer Institution in oder an der Beratungsstelle) ist auch keine sehr aussichtsreiche Möglichkeit, bedeutet es doch das Etablieren einer Sonderform neben der “richtigen” Beratung, mit den dazugehörigen Effekten: Abwertung der Frauenanliegen bei gleichzeitiger Tendenz, Frauen generell an diese Sonderform zu verweisen. Auch die Einrichtung spezieller Angebote für Frauen, die dem Defizitausgleich (Sprechängste, Psychosomatische Störungen, Selbstbehauptung) dienen, stellt nicht wirklich eine Förderungsmaßnahme dar, wird damit doch auch ein Defizit der Personen behauptet. 11 These 2: Es gilt daher eine beratungsspezifische Form der Frauenförderung zu finden, die der Offenheit des Angebotes Beratungsstelle entspricht, Frauen nicht als defizitär erscheinen lässt und dennoch Förderungs- und Unterstützungsmöglichkeiten bereit hält. Eine solche Lösung scheint mir unter bestimmten Voraussetzungen in einem Arbeitsschwerpunkt “Frauen” zu liegen, der sich als Aufmerksamkeit und Angebot durch alle Arbeitsbereiche der Beratungsstelle zieht. 12 2. Voraussetzung von Förderungsmaßnahmen: Etablierung eines Arbeitsschwerpunktes „Frauen“ Mit der Etablierung eines solchen Arbeitsschwerpunktes wurde in der Bielefelder Beratungsstelle gegen Ende der 70er Jahre begonnen, die entsprechenden Angebote und Arbeitsformen wurden seitdem fortlaufend weiterentwickelt2. Geht man vom aktuellen Erscheinungsbild der Beratungsstelle aus, dann erscheint es heute fast als selbstverständlich, dass das Angebot der Studienberatung in vielen Themenbereichen einem geschlechtsspezifischen Akzent unterliegt. Dieser Akzent wird nicht durch ein gesondertes Angebot (nur) für Frauen hergestellt, sondern findet in einer Reihe etablierter Praktiken seinen Ausdruck, die in die Arbeitsabläufe der Beratungsstelle eingebettet sind: So können z.B. Studentinnen darauf bestehen, von einer Frau beraten zu werden, während ansonsten eher die Arbeitsteilung innerhalb des Teams (= wer gerade für die offene Beratung zuständig ist) darüber entscheidet, an wen man gerät, wenn man die Beratungsstelle aufsucht3. Und das Thematisieren frauenspezifischer Erfahrungen (Diskriminierung im Alltag, sexuelle Übergriffe, Selbstunsicherheit, Schwangerschaft und Kinderversorgung) wird in der Beratungsstelle durch die Art und Weise leicht gemacht, in der Frauen im Team präsent sind und bei der Konkretisierung von Beratungsanliegen diese Aspekte mitthematisieren. Es liegen frauenspezifische Informationsschriften aus und auch die Internet-Präsentation der Beratungsstelle hat entsprechende Akzente. Zudem gibt es (nach Bedarf) Therapie- und Trainingsgruppen speziell für Frauen. Bei all diesen Bemühungen geht es weniger darum, einen separaten Frauenraum zu schaffen, als vielmehr darum, dem institutionellen ”Unsichtbarsein” von Frauen in der Universität dadurch entgegenzuwirken, dass deutlich ist: hier wird mit spezifisch weiblichen Anliegen gerechnet. Wie ist ein solcher Arbeitsschwerpunkt herzustellen? Er ist nicht per Beschluss direkt zu realisieren, sondern entsteht in einem längeren Etablierungsprozess, in dem mit unterschiedlichen Arbeitsformen experimentiert wird, in dem Gender-Aspekte des eigenen Verhaltens und der Beratungskommunikation immer wieder neu reflektiert werden müssen und in dem die Effekte von Angeboten und Maßnahmen auf die Außenwahrnehmung der Einrichtung Berücksichtigung finden. Zur Entstehungsgeschichte des Arbeitsschwerpunktes „Frauen“ in der Arbeit der Bielefelder ZSB siehe Ruth Großmaß, „Psychische Krise und sozialer Raum“, Tübingen (dgvt) 2000, S. 50 – 60. 3 Dass ein entsprechendes Verfahren in der umgekehrten Konstellation (Student – Beraterin) gar nicht erst Thema wird, macht deutlich, dass es bei dieser Geschlechterfrage nicht in erster Linie um Inner-psychisches (Eltern-Imagines z.B.) auf Klientelseite geht, sondern vielmehr um die Geschlechtsbedeutungen in der Beratungskommunikation. 2 13 Das Gelingen der Etablierung eines Beratungsschwerpunktes hängt natürlich nicht nur von den Aktivitäten der Berater/innen ab, sondern auch von Voraussetzungen im politischen und universitären Umfeld der Einrichtung. So erwies es sich für die Etablierung des Arbeitsschwerpunktes „Frauen“ der Bielefelder ZSB als günstig, dass dieser Prozess zeitlich und politisch von den Erfolgen der Frauenbewegung in der Hochschule begleitet war und dass er in die Zeit der Expansion von Studienberatung in NRW fiel. Frauenspezifische Beratung als heute selbstverständlicher Bestandteil des ZSB-Alltags konnte auf unspektakuläre Weise dadurch entstehen, dass inzwischen drei Beraterinnen (mit unterschiedlich ausgeprägtem, aber vorhandenem frauenpolitischen Engagement) dort tätig sind (gegenüber zwei männlichen Kollegen) und dass sich die umgebende politische Kultur so weit verändert hat, dass Frauenförderung heute zu den (ministeriell verordneten) Aufgaben einer Hochschule gehört. Trotz dieser notwendigen Voraussetzungen in der politischen und kulturellen Umgebung bedarf es auch des persönlichen Engagements und einer spezifischen Kompetenz auf Seiten der Beraterinnen, um einen solchen Schwerpunkt zu entwickeln und durch kontinuierliche Ausrichtung am sich verändernden Bedarf lebendig zu erhalten. Ich nenne nur einiger Aspekte, an denen dies deutlich wird: Kompetenzen für die Entwicklung von Gruppenangeboten (Bedarf ausmachen, Anknüpfungspunkte finden, verbindliche Teilnehmerpools zusammenstellen, je nach Ziel der Gruppe unterschiedliche Leitungsstile einsetzen) müssen vorhanden sein. So selbstverständlich es in Beratungsstellen inzwischen ist, dass es professioneller Kompetenzen für die Gesprächsführung bedarf, so wenig selbstverständlich ist es, dass auch die Initiierung und Durchführung von Gruppenangeboten ohne professionelles Know-how nicht unbedingt gelingt. Konfliktbereitschaft – auch bezogen auf das eigene Team - ist eine unerlässliche Voraussetzung für die Etablierung eines Arbeitsschwerpunktes „Frauen“. Denn nicht nur die Institution Universität wird durch das Thematisieren von FrauenAnliegen mit dem ihr zugrundeliegenden „Gender-bias“ konfrontiert, auch die etablierte Beratungspraxis steht zur Disposition. Und so sind die Kollegen immer wieder irritiert durch dieses Leben, das sich da neben ihnen, mit Auswirkungen auf ihre eigene Arbeit und irgendwie außerhalb ihrer Kontrolle entfaltet. Konflikte in den Kooperationsbeziehungen und heftige Auseinandersetzungen um gemeinsam zu tragende Informationsblätter sind daher wohl unvermeidbare Begleiter eines Etablierungsprozesses. Erkenntnisse, die aus der Beratungsarbeit erwachsen über den Zusammenhang zwischen der Geschlechterkultur an der Hochschule und dem vergleichsweise 14 geringen Erfolg von Frauen bei wissenschaftlichen Karrieren, über stattfindende sexuelle Übergriffe, über Fremdheitsgefühl von Frauen in der Wissenschaft, über den Stellenwert erlebter Diskriminierung für das Entwickeln von Sprechängsten, über die Belastung studierender Mütter ... müssen an die Hochschulöffentlichkeit weitergegeben werden, durch Arbeit in den Gremien, durch eigenständige Öffentlichkeitsarbeit, durch Vorträge und Artikel in den Publikationsorganen der Universität. Veränderte Ausgangsbedingungen z.B. die (von der Emanzipationsgeneration oft beklagte) relative Distanz der aktuellen Studentinnen-Generation („Girlies“) zu defizitkompensatorischen Maßnahmen müssen zu veränderten Beratungsangeboten führen. Nicht in dem Sinne, dass Beratung aufgerufen wäre, an der Problemverleugnung zu partizipieren, wohl aber in dem Sinne, dass Anknüpfungspunkte für Beratungsangebote eher in der Unterstützung von „Stärke“ als in der Identifikation über Probleme zu finden sind. So treten z.Z. in unserer Bielefelder Arbeit an die Stelle von problemorientierten Angeboten (wie „Sprechängste“-Gruppe oder Tagesseminar „Essstörungen“) zunehmend Seminare, die der Kompetenzerweiterung dienen („Arbeitstechniken“, „Argumentieren lernen“), bzw. solche, die die Leistungsfähigkeit unterstützen und in der Alltagskultur positiv besetzt sind („Entspannung“, „Körperwahrnehmung“). Ist mit einem Arbeitsschwerpunkt „Frauen“ wie dem hier skizzierten bereits Frauenförderung erreicht? Zu einem kleinen Teil schon, einfach dadurch, dass Frauenarbeit in der Beratungsstelle zu einem veränderten Klima für Frauen an der Hochschule beiträgt, indem Belastungen und Interessen, Ehrgeiz und Blockierungen von Studentinnen als legitime Themen in der Hochschule sichtbar werden. Soll jedoch aktiv Frauenförderung entstehen, dann bedarf es darüber hinausgehend eigener Zielsetzungen und zusätzlicher Aktivitäten. 3. Akzentsetzungen zur Frauenförderung Ist ein Arbeitsschwerpunkt „Frauen“ in einer Beratungseinrichtung erst einmal etabliert, dann lassen sich auf dieser Basis Akzentsetzungen vornehmen, die den Charakter von Frauenförderung haben. Allerdings setzt dies in gewisser Weise von Seiten der Beraterinnen ein Konformgehen mit den Zielen der Universität als Wissenschaftsinstitution voraus. Nur wer Erfolg an der Universität auch als Berater/in positiv besetzen kann, kann Angebote ersinnen und tragen, die Frauen in ihrem Reüssieren in Wissenschaft und in den akademischen Laufbahnen stützen und stärken.4 4 Aufgrund der bei Studienberater/innen häufigen Brüche in der eigenen akademischen Laufbahn ist diese Voraussetzung nicht selbstverständlich. 15 Ich nenne einige elementare akademische „Spiel“regeln, die zu den Voraussetzungen des akademischen Erfolgs gehören und die mir gerade für Frauenförderung wichtige Orientierungspunkte zu bieten scheinen: Auch wenn die Verwertung wissenschaftlicher Ergebnisse immer interessengeleitet ist, auch wenn die Anstrengungen, die Wissenschaftler unternehmen, um zu Erkenntnissen zu gelangen, immer auch dem persönlichen Fortkommen und der persönlichen Eitelkeit dienen, ist irgendeine Form leidenschaftlichen Interesses an Erkenntnisproduktion unabdingbarer Bestandteil akademischen Erfolges. – Frauenförderung in der Universität bedeutet, Frauen darin zu unterstützen, ihr Erkenntnisinteresse einzubringen und im Verlauf ihrer Ausbildung wach zu halten. Diskussionen, das Austauschen von Argumenten, das (kritische oder affirmative) Verknüpfen eigener Gedanken mit den Positionen „anerkannter“ wissenschaftlicher Autoren – dies alles lässt sich nicht darauf reduzieren, dass es männlichem Imponiergehabe eine Plattform bietet (das tut es natürlich häufig genug auch). Solche Diskussionsformen stellen vielmehr das zentrale Medium dar, in dem sich akademische Präsenz und Eloquenz ausdrückt und schult. Frauenförderung bedeutet, Studentinnen darin zu unterstützen, ihren eigenen Weg in die Debatte zu finden und das Terrain nicht den Kommilitonen zu überlassen. Wer in der Universität erfolgreich seine Ausbildung abschließen will, braucht Ressourcen: Geld, Kontakte, Zeit, Beziehungen, Ermutigung ... . Ressourcen, die für „begabte“ Studenten häufig einfach vorhanden sind, müssen für Frauen erst aktiv hergestellt werden (soziale Einbindung in die universitäre Kultur, Kinderversorgung, Förderungsmöglichkeiten, Zielvisionen). Frauenförderung bedeutet, dies sichtbar zu machen und Studentinnen einen Teil dieser Ressourcen entdecken/schaffen zu helfen. Akademischer Erfolg ist auch das Ergebnis harter Arbeit. Das in der Hochschule verbreitete Reden von „Begabung“ und „Selbstbewusstsein“ hat häufig den Effekt, dies zu verdecken, sowie die vorhandenen Differenzen in den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu vernebeln. Die für die wissenschaftliche Arbeit erforderlichen Praktiken und Techniken sind erlernbar – und Studienberaterinnen kennen sich mit der Vermittlung solcher Fertigkeiten aus. Frauenförderung bedeutet, diesen Zusammenhang aufzudecken und Studentinnen in angemessener Form mit den damit verknüpften Anforderungen zu konfrontieren. Warum ist es unter dem Gesichtspunkt von Frauenförderung bedeutsam, sich dieser Spielregeln bewusst zu sein, sie als (positive) Haltung in die Beratungsarbeit – insbesondere im Arbeitsschwerpunkt „Frauen“ – einzubringen, durchgängig etwas von 16 der Lust an Studium und Wissenschaft zu vermitteln und immer wieder Angebote zu machen und Projekte anzuzetteln, die dafür Spielräume eröffnen? Die Gründe hierfür liegen zum einen in der Struktur der Universität: Trotz der weitgehenden formalen Egalisierung von Frauen im Hochschulbereich, trotz der Tatsache, dass Frauen zumindest zu Studienbeginn auch quantitativ gleichrangig an Universitäten vertreten sind, trotz Studienreformen und Bürokratisierung der Studiengänge, ist die für das Reüssieren an der Universität ausschlaggebende informelle Struktur weiterhin männlich strukturiert. Die Förderung durch Hochschullehrer verläuft weitgehend entlang paternalistischer Beziehungsstrukturen (die „Söhne“ fördern, indem sie sie fordern und „Töchtern“ gut zureden bzw. dem sexualisierenden Blick aussetzen). Und auch die (immer noch wenigen) Wissenschaftlerinnen mit Macht tun sich schwer damit, wirklich förderliche Alternativen zu schaffen. Die akademischen Gesellungsformen folgen dem männlichen (von Reproduktionsarbeit freien) Muster: offene (mit fortschreitender Zeit privater und damit bedeutsamer werdende) Diskussionsrunden nach Vorträgen, Sport (der Fussballtreff als informelle Stabilisierung wichtiger Arbeitsbeziehungen), Politik (aus der Hochschulpolitik rekrutieren sich nach wie vor wichtige Leitungsgremien der Parteien) und auch die Burschenschaften sind wieder im Kommen. Frauen können an vielen dieser Strukturen nicht partizipieren; sie bleiben häufig auf die offizielle, formelle Seite des Studiums verwiesen (in der sie bessere Ergebnisse erzielen als ihre Kommilitonen) und – wenn man an informellen Strukturen nicht teilhat, muss man gar nicht bemerken, dass es sie als bedeutsame gibt. Studentinnen sind folglich auf Rat und Beratung angewiesen. Gründe für die Notwendigkeit von Frauenförderung im skizzierten Sinne finden sich nicht nur auf Seiten der Institution, sondern auch auf Seiten der Personen, etwa in dem, was viele Studentinnen aus ihrer Sozialisation als Voraussetzungen mitbringen: Trotz breiter Nutzung der gymnasialen Schullaufbahn durch Mädchen sind Abiturientinnen nicht auf die von mir hervorgehobenen Voraussetzungen akademischen Erfolgs hin sozialisiert: Sie arbeiten eher für sich, halten sich schnell zurück, wenn andere lautstark die Diskussion anführen und werden eher auf einen pragmatischen Umgang mit Studium und Ausbildung eingestellt. Wie wir aus der Studienberatung wissen, sind Frauen z.B. stärker bereit, negative Berufsprognosen auf ihre höchst persönliche Zukunft zu beziehen bzw. diversen Tipps zu folgen, die der Verwertbarkeit des Studiums eher statistisch als für einzelne konkrete Berufslaufbahnen dienen (wie das Anhäufen einer Vielzahl von Praktika). Studentinnen müssen daher – wollten sie akademisch erfolgreich sein – einen zusätzlichen Schritt tun: sich aktiv auf das Feld Universität einstellen; bewusst wahrnehmen, dass das (sie häufig fördernde) Klima der gymnasialen Oberstufe sich an der Universität nur scheinbar fortsetzt; begreifen, dass die erlebte 17 Anonymität keine für jedermann notwendige Begleiterscheinung des Studiums ist und dass es darauf ankommt, eigene Ressourcen einzufordern und herzustellen. Studienberatung kann hierbei förderlich sein, indem sie diese Aspekte zu inhaltlichen Orientierungspunkten von Beratungsgesprächen und –angeboten macht (in Studientechnikenkursen z.B.). Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, Gruppenangebote mit in das Spektrum der Beratungsstelle aufzunehmen, die selbst Ressourcen für Frauen darstellen und damit auch modellbildend wirken. Ich skizziere zur Verdeutlichung zwei Beispiele aus dem Bielefelder Beratungsangebot: 4. Beispiele frauenfördernder Angebote „Sich neu entdecken und erleben durch Entspannung und Bewegung“5 Unter diesem Titel wurde im Wintersemester 99/00 – begleitend zur intensivsten Arbeitsphase des Semesters – ein Gruppenangebot für Frauen unterschiedlicher Fachrichtungen angeboten. Jede der wöchentlich stattfindenden zweistündigen Sitzungen stand unter einem Thema (z.B. Stimme, Nein-Sagen, innerer Raum, Sich-Öffnen, individuelle Ressourcen, eigenes Körperbild ...), zu dem jeweils vorbereitete Übungen und Selbsterfahrungsmöglichkeiten eingebracht wurden; jede Sitzung wurde damit eröffnet, dass alle Teilnehmerinnen Zeit hatten, ihr akutes Befinden und ihr Erleben der vergangenen Woche mitzuteilen; jede Sitzung endete mit den aufeinander aufbauenden Grundübungen des autogenen Trainings, sodass am Ende der Gruppe alle Teilnehmerinnen den Grundkurs durchlaufen hatten. – Was diese Gruppe von „Wellness-Angeboten“ unterscheidet, ist sowohl der zeitlichräumliche Bezug auf die gemeinsame Arbeitsrealität der Teilnehmerinnen an der Universität als auch die inhaltliche Präsenz von Themen, die sich aus der Ausbildungssituation der einzelnen ergaben. So wurde diese Gruppe sehr schnell für die Teilnehmerinnen verbindlich und zu einem gemeinsamen Ort der Besinnung im universitären Arbeitsalltag. Erst im Nachdenken über die Erfahrung von Selbstbewusstsein und Nähe zu anderen Frauen, die in den Gruppen-Sitzungen möglich war, wurde einigen der Teilnehmerinnen bewusst, dass es solche Möglichkeiten in ihrem universitären Alltag sonst nicht gibt. Coaching-Gruppe für Doktorandinnen: „Ressourcen sichten/Kräfte sammeln“ Dieses Gruppenangebot kam durch zwei Anstöße zustande: Zum einen gab es Diskussionen und Projekte innerhalb der Universität, die sich damit beschäftigten, wie 5 An der Leitung dieser Gruppe war neben mir Nicole Gallemann beteiligt, Psychologie-Studentin kurz vor dem Studienabschluss und ausgebildete Physiotherapeutin, die mit viel Phantasie und fachlicher Kompetenz gerade die Selbsterfahrungsanteile der Gruppe jenseits von Studienberatungsroutine zu gestalten wusste. 18 der vergleichsweise niedrige Prozentsatz weiblicher Promovenden zu erhöhen sei. Zum anderen wandten sich einzelne Doktorandinnen an die Beratungsstelle, mit der Bitte, Krisen im Arbeitsprozess an der Dissertation bewältigen zu helfen. In Vorbereitung eines Gruppenangebotes führte ich mit Doktorandinnen, die mir in unterschiedlichen Kontexten begegneten, Gespräche über ihre Promotionsvorhaben, ihre Arbeitsbedingungen, ihre Ziele – um vorweg etwas über den Hintergrund möglicher Schwierigkeiten promovierender Frauen zu erfahren und das Gruppenangebot darauf abstimmen zu können. Von dem, was ich erfuhr, schienen mir vor allem folgende Punkte für die weitere Arbeit von Bedeutung zu sein: Frauen tendieren dazu, besonders originelle Themen zu bearbeiten – die mit solchen Themen verbundenen Probleme methodischer Art bzw. die zu erwartenden besonderen Herausforderungen bei der Erhebung und Verarbeitung des Materials sowie bei der Darstellung der Ergebnisse stellen sie nicht in Rechnung. Auftretende Schwierigkeiten rechnen sie daher unbesehen sich selbst zu. Doktorandinnen leiden unter Ressourcenknappheit. Sie werden entweder durch finanziell und zeitlich unsichere Stipendien finanziert. Oder sie gehen neben der Arbeit an der Dissertation einer Berufstätigkeit nach. Oder sie befinden sich auf Qualifikationsstellen, auf denen sie dann auch mit anderen Aufgaben konfrontiert werden, als den Arbeitsschritten ihrer Dissertation, Aufgaben, denen sie sich nicht entziehen (können oder wollen) und denen sie häufig mit großer Sorgfalt und großem Zeitaufwand nachgehen. Doktorandinnen sind in ihren Familien häufig die ersten Frauen, die eine wissenschaftliche Laufbahn anstrebten, aus dem familialen Umfeld erleben sie daher selten selbstverständliche Unterstützung und gelassene Begleitung. Häufiger werden sie mit irritierenden Fragen über Zeit, Arbeitsabläufe und berufliche Zielvorstellungen konfrontiert, die eigene Unsicherheiten verstärken. Doktorandinnen befinden sich in der Universität oft in Betreuungssituationen, die konfliktbelastet sind und sie haben selten ein unproblematisches Verhältnis zu den Formen der akademischen Konkurrenz, in denen sie ihre Projekte zu vertreten und vorzustellen haben (Kolloquien). Wohlwollend unterstützende private Beziehungen (Freundschaften, Liebesbeziehungen), in denen zugleich die eigene wissenschaftliche Arbeit verstanden und respektiert wird, sind eher selten, sichere persönliche Beziehungsnetze eher ungewöhnlich. Stattdessen ist gerade die Phase der Promotion oft mit Trennungen und Beziehungsbelastungen verbunden. 19 Das Angebot „Coaching-Gruppe“ entstand aus der Idee, den Ausgleich für einige dieser fehlenden Ressourcen zu versuchen: Die Coaching-Gruppe sollte nicht mehr als 8 Teilnehmerinnen umfassen, die Fachgebiete, in denen die einzelnen arbeiten, sollten weit genug auseinanderliegen, um kolloquiumsähnliche Konkurrenzsituationen zu vermeiden. Das persönliche Befinden und Arbeitsprobleme sollten explizit Thema werden können, das Teilen von Freizeitressourcen und wechselseitige Unterstützung sollten in dem Maße möglich sein, in dem dies in guten Kollegialbeziehungen üblich ist. Die Gruppe sollte nicht zeitlich befristet werden, sondern, wenn möglich, den Qualifizierungsprozess begleiten. Dass ein solches Angebot auf einen vorhandenen Bedarf trifft, wird daran deutlich, dass die Gruppe kurz nach der Ankündigung dieses Angebotes bereits ihre Arbeit aufnehmen konnte und dass es fortlaufend weitere Nachfragen gibt. 20 Wolfgang Neumann Psychosozial 2000 - Was wir können, was wir leisten können, wenn wir es denn wollen So eine Veranstaltung wie heute, bei der es darum geht, Kompetenz in Fachlichkeit und Qualität, in Fort- und Weiterbildung im Bereich psychosozialer Arbeitsfelder und speziell der Psychotherapie anzusprechen und anzumahnen, gibt mir die schöne Gelegenheit, uns und der Fachwelt wieder einmal deutlich zu sagen und hinter die Ohren zu schreiben, was wir „Psychosozialen“ eigentlich so richtig gut können und wie wir dieses Können nicht nur in der Enge unserer Praxisräume sondern auch in die weite Welt hinaus tragen können, wenn wir es nur wollen! Um der Wahrhaftigkeit willen, möchte ich jedoch zunächst mit dem beginnen, was uns nachgesagt bzw. unterstellt wird, was wir alles können, wenn wir es nur wollten, das wir aber nicht können, selbst, wenn wir es denn wollten! Können wir Nägel mit Köpfen machen, ein Kamel durch ein Nadelöhr schleusen, blühende Landschaften kreieren, für andere die Eisen aus dem Feuer holen, alle Fünf gerade sein lassen und die Kirche im Dorf, schlafende Hunde wecken, die Nacht zum Tage machen und aus schlimmen Wölfen fromme Lämmer? Können wir das? Können wir Gnade vor Recht ergehen und uns nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, jedem reinen Wein einschenken, den Himmel auf Erden schaffen und die hervorholen, die hinterm Mond leben, sowie den Reichen nehmen und den Armen geben? Können wir das? Man sollte bei einem fachlichen Beitrag vor Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern psychosozialer Berufe immer sofort ein gutes Stück Selbsterfahrung anbieten, um dem allgemein vorhandenen Bedürfnis nach Mitempfinden und Nachspüren angemessen Raum zu geben. Deshalb bitte ich Sie jetzt um eine kleine, aktive Hilfestellung bei der Formulierung der Antwort auf die Frage, was wir alle hier besonders gut können: Also, bitte, gebt mir ein F ... gebt mir ein R ... gebt mir ein A ... gebt mir ein G ... gebt mir ein E ... und gebt mir zuletzt noch ein N ... F und R und A und G und E und N ... heißt ... na ... ja, ja, ja, Fragen! Ja, Fragen, ja, Fragen ist die richtige Antwort! 21 Wir Psychosozialen können prima gut Fragen fragen, Fragen sagen, Fragen stellen. Wie geht’s, steht’s, wie läuft’s, wie isses und immer wieder die zentrale Frage, die Kernfrage, die Frage, aller Fragen, in der sich das gesamte Know-how von uns Psychosozialen konzentriert: „Und wie geht es Ihnen jetzt hier heute, jetzt, wo Sie jetzt hier heute bei mir sind?“ Vor ein paar Tagen sehe ich meinen ehemaligen Klienten Josef in der Fussgängerstraße. Mensch, denke ich, da läuft doch mein Josef herum. Wie lange habe ich den schon nicht mehr gesehen? Lasst mich raten, fünf, wenn nicht gar sechs Jahre. Josef war doch dieser junge Mann mit so ganz interessanten Verhaltensweisen, da war irgendwas mit Kaufhäusern oder mit Ampelanlagen oder Baustellen? Dass man immer die wichtigsten Sachen vergisst! Auf jeden Fall hatte Josef ein uneheliches Kind, das bei der Mutter lebte und er, er wohnte außerhalb, in Jöllenbeck oder Milse oder sogar in Schloß-Holte, kam immer mit der Straßenbahn und oft zu spät zum Termin. Egal, Schwamm drüber, das ist der Schnee von gestern, denn gleich wird er mich sehen, gleich wird er auf mich zukommen, mir die Hand schütteln, sie vielleicht in dankbarer Erinnerung länger als gewöhnlich in der seinen halten und dann werde ich sagen: „Mensch, Josef, schön dich einmal wiederzusehen und wie geht es dir so, jetzt, wo wir uns sehen, hier und jetzt und heute?“ Ja und dann werde ich ihn kommen lassen, werde abwarten, werde zum Dialog bereit sein, ja, so werde ich es machen, genau so. Als Josef und ich uns auf gleicher Höhe befinden, nur durch die Straßenbreite getrennt, trabt Josef plötzlich los, von Null auf Hundert, völlig atypisch für seine Persönlichkeitsstruktur und biegt scharf nach links ab, in eine Einfahrt hinein und weg ist er. Meine gefühlsvolle Anrede „Mensch, Josef“ und die warme Nachfrage, wie es ihm jetzt gehe, verblasst auf meinen Lippen, wie der Dichter sagen würde und ich fühle mich einen Moment lang allein gelassen, bis ich mich wieder stabilisiere. Ich schwöre, er hat mich gesehen, er muss mich gesehen haben, er hat nämlich noch kurz vor seinem Abgang in meine Himmelsrichtung geblinzelt, um dann Reißaus zu nehmen. 22 Aber, och herrjeminne, bitte haltet mich fest, den da, den kenne ich, wie der da so herum steht, da, da drüben, direkt vor Juwelier Plettenberg, ganz typisch, diese Körperhaltung. Das ist doch dieser flotte Anwalt, wie hieß er noch gleich, der mich vor Jahr und Tag vertreten hat, der sucht sicher etwas Passendes für die Frau Gemahlin? Aber treffen, treffen will ich den jetzt auf keinen Fall, dann fallen mir doch bloß wieder diese alten Geschichten ein, ne, ne, ne!. Weiß man, an was sich so einer noch alles erinnert, wenn der einen Mandanten trifft. Das muss jetzt nicht sein, dass der mich von anquatscht. Ab durch die Mitte, rein in die Kneipe: „Alt Bielefeld“, na ja, egal, Ansprüche an das Ambiente, bloß nicht auf der Straße bleiben. Bestimmt hätte der mich gefragt: „Na und wie geht’s, wie steht’s, was Kunst, ist doch gut gelaufen damals?“ ehemaligen der Seite jetzt keine macht die An der Theke komme ich langsam zu Atem. Ich drehe mich zur Seite und wer sitzt neben mir und guckt ins Glas, mein Josef. Wir sehen uns an, sehen dann wieder in unsere Gläser und, als auch noch mein Anwalt dazu kommt, sitzen wir dort in der beschriebenen Weise alleine zu dritt. Nach einer Studie des Münsteraner Psychologieprofessors Alfred Gebert sprechen Männer mit Männern vor allem über Berufliches und viel, viel weniger über Persönliches. Säßen dort drei psychosoziale Frauen, wer weiß, wie sich die Geschichte entwickelt hätte, so aber sitzen dort drei Männer und wir müssen weiter über Männer sprechen und das ist so eine Sache für sich. Das zweite Ding ist nun, dass psychosoziale Ausdrücke kommen und gehen, wie Blätter im Herbst, besonders, wenn es darum geht für solche psychosozialen Probleme Lösungen zu entwickeln, die sich psychosozial gar nicht lösen lassen. Was zum Beispiel früher Nachbarschaftshilfe hieß, nennt man heute Quartiermanagement. Quartiermanagement beschäftigt sich mit der alten Frage, was zum Aufbau guter Nachbarschaften beitragen könnte, wie alle Kräfte in einer Nachbarschaft zu bündeln sind, um Infrastrukturen sozialintegrativ und stabilisierend zu verbessern und negativen Entwicklungen wie Zersplitterung und Isolierung entgegenzuwirken. Nun kann man durchaus die Meinung vertreten, es läge nur an den Männern, wenn in einer Nachbarschaft einer, erst Monate nach seinem Tode gefunden wird, wenn Männer mehr über Persönliches sprechen würden oder könnten, dann könnte 23 sich das psychosoziale Klima in den Quartieren deutlich verbessern, aber erstens können sie das nicht und zweitens - und auch das ist auch empirisch belegt geht es uns schon dann besser und wir leben schon dann länger und gesünder, wenn wir überhaupt regelmäßig und verlässlich kommunizieren, egal über was, mit wem und auch egal, wie gut. Wenn man also nur die Kommunikationsdichte erhöhen müsste, dann hätte ich eine Vision über Psychosozial 2000. Wenn wir psychosozialen Männer des Abends nach der Arbeit in unsere Quartiere einrücken, dann brauchen wir nur das ein wenig weiter zu tun, was wir sowieso gut können, nämlich zu fragen, müssen wir nur weiterfragen, entsprechend unserer Kompetenzen, unserer Fähigkeiten und zwar den Nachbarn, den Gegenüber, den Bekannten, den Passanten fragen, nur Fragen fragen und zwar nur zu beruflichen Sachen, dann käme locker eins zum anderen, dann würde das Quartier gemanagt, kein Problem, keine Frage. Als erste Maßnahme sperre ich mich Silvester aus und frage anschließend die Männer um Lösungsvorschläge. Der Polizist von gegenüber und drei weitere Nachbarn lösen binnen drei Stunden unter heftigem Kontakt das Problem, wie man ohne Gewaltanwendung in unser Haus gelangen kann. Es ist eine Frage der Ehre, nichts, aber auch gar nichts dabei zu beschädigen. Dann lege ich mir eine Rippenprellung zu, von der erstaunlich viele Männer der Nachbarschaft eine Menge verstehen. Die Fachfrage heißt: „Was hilft besser: Wärme oder Kälte?“ Die Antwort unterm Strich lautet: „Was du am besten ab kannst.“ Positiv wirkt auch ein Wollsocken, der sich als Sach- und Fachproblem, in der Waschmaschine, verfängt ... der Polizist ist wieder da, ein Physiker, die Straße runter rechte Hand auf der linken Seite, ein Vertreter aus Hausnummer 89, zwei Lehrer, die sich vom Sehen her kannten und ein rüstiger Frührentner aus der Altenanlage am Wendehammer. Letztlich erfolgreich tätig in dieser Sache ist allerdings der Miele-Reparaturdienst. Ich erinnere mich daran, dass eigentlich alle Männer in der Nachbarschaft famose Gartenexperten sind, diesbezügliche Fachfragen können von März bis Oktober eigentlich dauernd gestellt werden, aber auch fachliche Fragen zum SaunaEigenbau, zum Erwerb neuer elektrischer Geräte für Haus und Garten oder Fragen zu guten Urologen, alles sind prima Gesprächsaufhänger und sehr geeignet, einer sich anbahnenden Isolationstendenz entgegenzuwirken. Polizisten kann man eigentlich immer nach Ringfahndungen und der Erstellung von Täterprofilen fragen, Lehrer kann man immer alles fragen, die wissen immer alles, 24 Postbeamte kann man nicht immer alles fragen, besonders nicht, was man tun kann, wenn ein Brief nicht angekommen ist oder wie man einen Brief nach Guatemala frankieren soll, Psychologen sprechen gern über persönliche Fragen, Theologen auch und über Jenseitiges, Hundebesitzer über ihre Hunde, Väter über ihre Kinder ... genau genommen, sind wir umzingelt von Experten, unsere Nachbarschaft wimmelt geradezu von Fachmännern, nur fragen, nur fragen müssen wir sie, nur noch fragen, dann geben sie Auskunft, Satz um Satz, Information um Information, legen fachkundig Hand an und in diesem Prozess werden sich die Vorgärten und Straßenecken jeder Nachbarschaft wieder mit den Fachmännern bevölkern lassen, mehr noch, Bratwurstverkäufer werden ihre Büdchen bei uns aufbauen, weil sie Straßenfeste erwarten, Bierzelte werden aufgestellt, fliegende Händler entdecken das Viertel und mischen sich unter die Eisverkäufer und wir Männer werden schwätzen, was das Zeug hält, werden schwadronieren und diskutieren und uns köstlich amüsieren. Zum Schluss nun aber noch einmal zurück in die Kneipe: Da sitzen wir immer noch: mein ehemaliger Klient Josef, mein ehemaliger angeblich erfolgreicher Anwalt, dessen Name ich noch immer nicht erinnere und ich, der eigentlich Shopping gehen wollte und wir sehen weiter in unsere Gläser und schweigen. Was wir nicht können, ist die Frage zu fragen, die zentrale psychosoziale Frage fragen, die Kernfrage zu fragen, die zwangsläufig zum Persönlichen führt, denn sind unter uns. So sitzen wir an der Theke fest, dicht an dicht, Schulter an Schulter, bis Wirtin fragt: „Na und ihr drei Hübschen, wie geht’s euch denn so, jetzt, wo ihr hier bei mir nett zusammensitzt?“ zu wir die so So wünsche ich den Lehrerinnen und den Ausbildungskandidaten des Instituts, den Gedanken zu beherzigen, dass eine allgemeine Psychotherapie eine Psychotherapie für alle ist. 25 Herausgegeben von: ZSB – Zentrale Studienberatung Universität Bielefeld Universitätsstraße 25 Bauteil R, 5. Etage, Raum 151 33615 Bielefeld Tel.: 0521/106-3017, -3018, -3019 Telefax: 0521/106-6460 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.uni-bielefeld.de/zsb/index.htm Beratung: Montags – Freitags von 10.00 – 12.00 Uhr Ohne Voranmeldung! 26