Regionalkonferenz Saarland und Rheinland-Pfalz Das Persönliche Budget zwischen Anspruch und Wirklichkeit Termin: 28. Oktober 2008 von 9.30 bis 16.30 Uhr Ort: Congress Centrum Saar, Saarbrücken Veranstalter: Kompetenzzentrum PB des Paritätischen DPWV Berlin, Landesverband des Paritätischen Saarland/Rheinland-Pfalz und Bundesministerium für Arbeit und Soziales Meine sehr gehrten Damen und Herren ich begrüße Sie ganz herzlich zu dieser Regionalkonferenz über das Persönliche Budget und heiße Sie hier im Congress Centrum Saarbrücken herzlich willkommen. Ich hoffe, Sie hatten alle eine gute Anreise und fühlen sich in diesem Hause wohl. Ich hätte zu dieser Konferenz gerne Herrn Prof. Dr. Vigener, unseren Minister für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales begrüßt, aber leider sind heute im Landtag Haushaltsberatungen, deshalb ist er unabkömmlich. Herr Prof. Vigener ist ein erklärter Befürworter des persönlichen Budgets, er bedauert es sehr, dass er nicht an dieser Konferenz teilnehmen kann. An seiner Stelle wird Herr Wulf, ein Mitarbeiter seines Hauses, ein Grußwort an uns richten. Besonders begrüße ich natürlich auch die zahlreichen Referentinnen und Referenten, die diese Konferenz mit ihren Beiträgen bereichern werden. Ich bedanke mich bei Ihnen und heiße Sie herzlich willkommen, wir sind gespannt auf Ihre Beiträge. Die heutige ‚Regionalkonferenz wird vom „Kompetenzzentrum Persönliches Budget“ - einer Einrichtung des Paritätischen Gesamtverbandes - in Kooperation mit unserem Landesverband und dem Bundesministerium für 1 Arbeit und Soziales für die Region Rheinland-Pfalz/Saarland durchgeführt. Vorbereitet wurde sie von Frau Meinhold vom Kompetenzzentrum und ihrer Mitarbeiterin, sowie von Frau Lutz-Gräber von unserem Landesverband. Den drei Damen darf ich für die hervorragend Vorbereitung dieser Konferenz ganz herzlich danken. Frau Meinhold wird Sie im Anschluss über den Alblauf dieser Konferenz und über die Änderungen im Programm entsprechend informieren. Es haben sich für diese Konferenz über 160 Teilnehmer und Teilnehmerinnen angemeldet, zwar überwiegend Fachkräfte aus den Arbeitsfeldern der Behindertenhilfe, jedoch auch eine kleinere Zahl von Betroffenen. Dies wiederspiegelt die Erfahrungen über die Teilnehmerstruktur aus den anderen Regionalkonferenzen, die bisher in der Bundesrepublik stattgefunden haben. Wir wollen sie im Rahmen dieser Konferenz: grundlegend über den Themenbereich „Persönliches Budget“ informieren, die Erfahrungen aus den seit 2005 bis 2007 bestehenden 14 Modellprojekten hier einfließen lassen, und sie, damit meine ich insbesondere die Liga der Wohlfahrtsverbände mit ihren Einrichtungen, motivieren die Implementierung des persönlichen Budgets als neue Leistungsform in die Behindertenhilfe offensiv anzugehen. Denn es gilt, den seit Januar 2008 bestehenden uneingeschränkten Rechtsanspruch auf ein persönliches Budget für Menschen mit Behinderung zu realisieren. Dem behinderten Menschen Chancen für eine selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben konkret zu eröffnen. Das heißt im Klartext, Behinderte haben ab sofort wie alle anderen Menschen ein Recht darauf, ihr leben selbst in die Hand zu nehmen und die dazu erforderlichen Teilhabeleistungen auch zur Verfügung gestellt zu bekommen. Das persönliche 2 Budget ermöglicht es ihnen, die benötigten Hilfen nach ihren Wünschen und Vorstellungen selbst einzukaufen und selbst zu entscheiden, wann, wo, wie und von wem sie Teilhabeleistungen in Anspruch nehmen wollen. Damit wird ein Paradigmenwechsel vollzogen, der den behinderten Menschen nicht mehr als Objekt von bevormundender Fürsorge betrachtet, sondern ihn als Person mit Anspruch auf eine selbstbestimmte Lebensführung sieht. Das Persönliche Budget wird zu einem weiteren wichtigen Meilenstein im Kampf um die Selbstbestimmungsrechte von Menschen mit Behinderung. Es war ein langer Weg bis dieses Ziel erreicht wurde, denn erst in den letzten 30 Jahren hat sich ein Verständnis von Behinderung herausgebildet, das Formen der Fremdbestimmung, verbunden mit einer defektologischen und defizitorientierten Haltung im Umgang mit behinderten Menschen, verstärkt durch ressourcen- und kompetenzorientierte Ansätze in der Behindertenpolitik ersetzte. Der Weg, der nun beschritten wird, kann auch als Inklusionsprozess verstanden werden, der systematisch alle Lebensbereiche von Behinderten erfasst, um schlussendlich ihr Selbstbestimmungsrecht im Sinne eines Bürgerrechts zu realisieren. Wegbestimmend für diesen Entwicklungsprozess waren folgende wichtige Bausteine, ich will hier nur einige nennen: Die Einführung des Normalisierungsprinzips als zentrale Leitidee in der Praxis der Behindertenhilfe, was zu tief greifenden Veränderungen im Alltag von Menschen mit Behinderung führte. Hier wurden erstmals Ansätze einer Inklusionsorientierung realisiert. Der weltweite Kampf der Behindertenbewegung, um die Selbstbestimmungsrechte für Behinderte hat auch maßgeblichen Einfluss auf diese Entwicklung genommen. Ich erinnere hier: 3 o an die „Selbstbestimmt-Leben-Bewegung“, die als eine Art Bürgerrechtsbewegung für Behinderte nach wie vor für die Gleichstellung und Antidiskriminierung kämpft, die die Abkehr vom medizinischen Krankheitsbild einforderte, die für die Integration und Nicht-Aussonderung eintritt, die die Kontrolle über die eigenen Organisationen einschließlich der Kontrolle über die erbrachten Dienstleistungen anstrebt und letztlich die Beratung Behinderter durch Behinderte realisieren möchte. Ich erinnere an die Self-Advocacy-Bewegung, oder „People FirstBewegung“ die für die Selbstvertretung von Menschen mit geistiger Behinderung und für das Recht auf Selbstbestimmung eintritt, das heißt: "Als Mensch mit einer geistigen Behinderung die eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Rechte zu kennen, sie zu äußern und selbst zu vertreten" Die Self-Advocacy-Bewegung ist bestrebt, Menschen mit geistiger Behinderung ein neues Selbstbild zu ermöglichen sowie einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft zu initiieren. Sie setzt ein deutliches Signal für den Anspruch des Rechts auf Selbstbestimmung. Als weitere wichtige Entwicklungsschritte in Richtung Selbstbestimmungsrechte wären hier zu nennen: Die „Madrider Erklärung“ vom März 2002. Sie lieferte das Leitmotiv zum europäischen Jahr der Behinderten von 2003. Hier haben die Teilnehmer eine Erklärung verfasst, die eine Vision für die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft beschreibt. „Nicht über uns ohne uns“ lautet der Leitsatz dieser Erklärung, der die Teilhabe, die Selbstbestimmung und die Gleichstellung zu den zentralen Schlüsselbegriffen machte. 4 Großen Einfluss auf die Selbstbestimmungsrechte von Behinderten wird die „Menschenrechtskonvention über die Rechte von Personen mit Behinderungen“ haben, die im Dezember 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet worden ist. Die Bundesregierung wird diese Konvention Anfang 2009 ratifizieren, damit wird sie zum Leitprinzip für die Gestaltung unser Behindertenpolitik. Die Konvention signalisiert nicht nur eine Abkehr von einer Behindertenpolitik, die primär auf Fürsorge und Ausgleich vermeintlicher Defizite abzielt, ihr liegt auch ein Verständnis zugrunde, die die Behinderung als normalen Bestandteil menschlichen Lebens und menschlicher Gesellschaft ausdrücklich bejaht und darüber hinaus Behinderung als Quelle möglicher kultureller Bereicherung wertschätzt (“diversity-Ansatz“) Die Konvention beschränkt sich also nicht nur darauf, Behinderung als Bestandteil der Normalität menschliches Lebens zu begreifen, sondern sie geht noch einen Schritt weiter, indem das Leben mit Behinderungen als Ausdruck gesellschaftlicher Vielfalt positiv gewürdigt wird. Nach dieser Konvention gehören individuelle Selbstbestimmung und soziale Inklusion unauflöslich zusammen. Auch forcierte die Sozialgesetzgebung in Deutschland den Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik Durch die Definition eines Behinderungsbegriffs in § 1 und 2 SGB IX, wird im Umkehrschlusses die Teilhabe von behinderten Menschen am gesellschaftlichen Leben zum zentralen Leitgedanken erhoben, um damit die sozialen Folgen der Beeinträchtigungen von Behinderten bewusst in den Vordergrund zu rücken. Durch den Grundsatz „ambulant vor stationär“ im SGB XII §13, der dem Selbstbestimmungsbedürfnis des behinderten Menschen nach einer geeigneten bzw. eigenständigen Wohnform Rechnung trägt. 5 Und schließlich wurde durch die Einführung des persönlichen Budgets in § 17 SGB IX ein Rechtsanspruch formuliert, der behinderten Menschen die Chance eröffnet eine selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, also ein Meilenstein in der Geschichte der Behindertenpolitik. Rückblickend können wir festhalten: Die Selbstbestimmung als zentrales Lebensprinzip menschlicher Individualität gilt auch ungeschränkt für den behinderten Menschen, sie ist und bleibt das zentrale Anliegen jeglicher Behindertenpolitik. Dazu möchte ich vier Anmerkungen formulieren: 1. Das Recht auf Selbstbestimmung gehört zu den Grundsätzen des Völkerrechts und ist eine zentrale Begriffskategorie in der Charta der Vereinten Nationen und vielen Verfassungen. Dies charakterisiert die Professionellen in der Behindertenarbeit auch als Vertreter einer Menschenrechtsprofession. 2. Die Selbstbestimmung ist eine Manifestation der Selbständigkeit, was identisch ist mit selbstbewusstem Handeln, für sich selbst sprechen zu können, eigene Verantwortung zu übernehmen und verbunden mit der Fähigkeit eigene Zwecke/Ziele zu verfolgen. Aus der Sicht des Menschen als Mängelwesen ist es - theologisch gedeutet - eine göttliche Vollmacht sich selbst zu bestimmen. 3. Selbstbestimmung gilt als Elementarleistung menschlicher Lebenspraxis im Sinne von Handeln durch eigene Zwecksetzung. Der Mensch kann die Ziele seiner Handlungen in bewusster Erkenntnis seiner eigenen Grenzen selbst bestimmen. Durch Unterstützung und Assistenz kann der behinderte Mensch diese Begrenzungen ausgleichen. 6 4. Selbstbestimmung ist eine Handlungsoption, die abhängig ist von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die jeder zu seiner Selbstverwirklichung nutzen kann, wenn er die Chancen der ihm im Kant’schen Sinne gebotenen positiven Freiheit auch zu nutzen versteht. Auf dieser Ebene haben Empowermentstrategien einen entscheidenden Einfluss. In der Orientierung an diesem Verständnis von Selbstbestimmung wird sich das Rollenverständnis im Leistungsdreieck in der Behindertenhilfe zwischen Leistungsträger, Leistungserbringer und Leistungsempfänger gravierend verändern. Der Leistungsträger wird bei der gemeinsam entwickelten Zielvereinbarung verstärkt als Empowermentstratege auftreten müssen. Es gilt den Defizitblick durch einen ressourcen- und kompetenzorientierten Blick zu ersetzen. Assessment-Konzepte von Bedarfen der Selbstbestimmung, der Selbstorganisation, der Selbständigkeit sind ständige Reflexionsfolien für Hilfeplanungen und Zielvereinbarungen. Der Leistungserbringer wird als Anbieter von Dienstleistungen auch die immaterielle Dimension, also die ethisch-moralische Dimension, verdeutlichen müssen. Solche Dienstleistungen sind nicht nur eine Ware, sondern sie müssen auch die Qualität besitzen Selbstbestimmungsprozesse zu befördern, zumal sich die Anbieter im Spannungsfeld von Menschenrechtsprofessionen bewegen. Der Leistungsempfänger bzw. Budgetnehmer ist zu einer selbstbestimmten Lebensführung verpflichtet. Die Grenzen seiner Selbstbestimmung sind durch adäquaten Assistenzbedarf auszugleichen, die ihm helfen die Funktionsfähigkeit seiner Lebensbereiche souverän zu sichern. Als Lebensführung werden in diesem Zusammenhang alle Tätigkeiten von Personen in ihren verschiedenen Lebensbereichen definiert. Lebensbereiche gelten als Funktionsbereiche der Lebensführung und bilden eine Form von Arbeitsteilung 7 auf der Ebene der Person und konstruieren eine strukturelle Eigenlogik, die den Menschen als einmalig und als Mensch mit Eigensinn auszeichnet. Aus dieser Subjektorientierten Sicht ist und bleibt der Behinderte Experte in eigener Sache, der jedoch durch Lernprozesse die Freiheitsgrade seiner Lebensführung erweitern kann. Die Wiederherstellung, Sicherung und Förderung der autonomen Lebensführungskompetenz wird so zur zentralen Zielorientierung in dieser Leistungsform. Ich möchte abschließend meine Ausführungen zum Thema Selbstbestimmung im Rahmen des persönlichen Budgets mit einem Zitat von Frehe beenden, ich zitiere: „Selbstbestimmt leben bedeutet, das eigene Leben kontrollieren und gestalten zu können und dabei die Wahl zwischen akzeptablen Alternativen zu haben, ohne in die Abhängigkeit von Anderen zu geraten. Das schließt das Recht ein, die eigenen Angelegenheiten selbst regeln zu können, am öffentlichen Leben der Gemeinde teilzunehmen, verschiedene soziale Rollen wahrzunehmen und Entscheidungen selbst treffen zu können. Selbstbestimmung ist daher ein relatives Konzept, das jeder für sich bestimmen muss.“ Ich wünsche dieser Konferenz einen erfolgreichen Verlauf, anregende Gespräche und viele kreative Impulse für die Praxis ihrer Arbeit. Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 8 9