Aus der Wahlrechtsdebatte der Paulskirche vom Februar 1849 Zu den wichtigsten Debatten in der Paulskirche gehörten die Auseinandersetzungen um die Art des Wahlrechts. Die politischen Vorstellungen der Abgeordneten wurden hier besonders deutlich. Die Abgeordneten der äußersten Rechten (Cafe Milani) beteiligten sich nicht an der Debatte. Der Regierungsrat Dr. August Hermann Ziegert (1810-1882) gehörte der Fraktion an. Und wir, die von der Nation ernannten Gesetzgeber, sollten [...] das wichtigste politische Recht an den Besitz, an eine Zufälligkeit knüpfen, statt an den Menschen, an das heilige und geweihte Ebenbild Gottes? Das hieße die deutsche Revolution von 1848 verleugnen, das wäre ein Verrat an unseren Kommittenten1, die uns in unbeschränkter Wahl hierher entsandt haben! [...] Meine Herren! Kommen Sie uns nicht mit der Behauptung der politischen Unreife, welche auf den früheren Satz des alten Polizeistaates vom beschränkten Untertanenverstande hinausläuft. Ich meine die sogenannten unteren Klassen, welche die Bewegungen des vorigen Jahres mit durchgemacht haben, die zur Verbesserung der jetzigen Zustände mit Hand angelegt und auch in dieser Zeit ebenso den Lockungen der Demagogen als den Verführungen der Reaktion Widerstand geleistet haben, welche in dem Versammlungsrecht, in der freien Presse, im freien Gemeinwesen und in der Öffentlichkeit des Staatslebens die Mittel zur weiteren Ausbildung besitzen, sind nicht mehr politisch unreif zu nennen. [...] Ich glaube endlich auch, daß die einzelnen Staaten kein Anerkenntnis dieser politischen Unreife abgeben, wenn sie Fabrikarbeiter und Handwerksgehilfen zu Konferenzen und Beratungen über neue Gewerbegesetze herbeiziehen und den untern Volksklassen sonst die wichtigsten Rechte und Pflichten, ja sogar die Verteidigung des Vaterlandes, anvertrauen. Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M., 1849, Band VII, S. 5234 f. Der Buchhändler und Staatssekretär im Reichsinnenministerium (August 1848-Mai 1849) Friedrich Daniel Bassermann (18111855) gehörte der "-Fraktion an. Wer sich aber ein Besitztum durch Fleiß errungen, und es seinen Kindern erhalten wissen will, der hat ein Interesse daran, daß die Zukunft seines Vaterlandes durch weise Gesetze gesichert sei. Wenn Sie aber in die Volksvertretung diejenigen Klassen rufen, welche ohne alles Besitztum kein Interesse der Familienfortdauer, kein Interesse an der Zukunft haben, vielmehr sich den sozialistischen Lehren des bloß tierischen, augenblicklichen Genießens hingeben, dann, meine Herren, stürzen Sie auch den Staat um, der ja alleine auf dem Begriffe der Zukunft beruht. (Bravo auf der Rechten, Gelächter auf der Linken.) [...] Meine Herren! Wenn Sie das Wahlrecht an irgendeinen Besitz, und sei es ein kleiner nur, binden, dann erst werden Sie am besten beruhigend auf die Arbeiterklassen wirken, indem diese dann, wenn sie wirklich einen Wert auf ein politisches Recht legen, durch Fleiß und Tätigkeit einen Besitz zu erlangen suchen werden, der sie zur Ausübung des Stimmrechts befähigt. Stenographischer Bericht, a. a. O., S. 5252 Professor Bruno Hildebrand (1812-1878), ein bedeutender Nationalökonom, gehörte der "). Meine Herren, ich komme noch auf einen andern Punkt, auf die Furcht vor den Stürmen der Zukunft, vor den politischen Schwankungen, welche unserer Staatswelt aus der Wahlberechtigung der unteren Schichten erwachsen sollen. Man hat hierbei getan, als ob es sich darum handle, daß die niederen Arbeiterklassen die herrschenden im Staate werden sollten; es handelt sich aber hier lediglich um den Mitgenuß eines politischen Rechts, darum, daß sie vor dem Stimmrecht bei der Wahl nicht ausgeschlossen sind, sondern dadurch ebenso viel Recht haben, als die besitzenden und sogenannten höheren intelligenten Klassen der Gesellschaft. Aber, meine Herren, was schützt wohl mehr das Bestehen eines Staates, als das allseitige Interesse für denselben? Gerade dadurch, daß Sie die niederen Volksschichten zur Wahl zulassen, dadurch erziehen Sie in ihnen die Liebe zum Staate, dadurch wecken Sie in ihnen ein lebendiges Interesse für das Gemeinwesen [...]. Schließen Sie die unteren Klassen der Gesellschaft aus, so schaffen Sie ebenso viel Feinde des Staates, als Sie Personen ausschließen, zumal da Sie ihnen nicht etwa ein neues Recht vorenthalten, sondern ein bereits erworbenes entziehen. [. ..] Der absolute Staat, an dem das Volk keinen Teil hatte, hat seine Entwicklung bisher unmöglich gemacht. Bewirken Sie, meine Herren, daß in unserem Vaterlande die große Masse des Volkes an der Verfassung Teil behält, dann wird das Wahlrecht eine politische und sittliche Schule auch für die unteren Volksklassen werden, in der sie zu tüchtigen Staatsbürgern heranreifen. Stenographischer Bericht, a.a.O., S. 5286 f. Professor Johann Ludwig Tellkampf (1808-1876) wurde zum gezählt. Das Wahlgesetz, meine Herren, die eigentliche Machtfrage oder die Frage, wer soll herrschen unter der neuen Verfassung? Sie ist mithin ebenso inhaltsschwer, ja fast wichtiger als die Oberhauptfrage. Denn das Oberhaupt eines konstitutionellen Staates übt bekanntlich weniger Gewalt als die Volksvertretung. Die Majorität der Volksvertretung herrscht, und diese Majorität hängt ab von dem Wesen und Ergebnissen des Wahlgesetzes. Es ist nun zu berücksichtigen, daß, wie in jedem Lande, so auch in Deutschland, die Mehrzahl der Bevölkerung aus den ärmeren Klassen besteht. [...] Wird die Vertretung allein nach dem Zahlenverhältnis bestimmt, so ist es klar, daß die Interessen der Minderzahl aller übrigen Staatsbürger ausschließlich von der größeren Zahl der ärmeren Klassen abhängen würden. Keine andere Klasse von Personen würde, wenigstens in bewegten Zeiten, Einfluß bei den parlamentarischen Verhandlungen haben. Die Mehrzahl der ärmeren Klasse könnte dann auf Unkosten der Reichen alle Arten von öffentlichen Arbeiten beschließen und sich Beschäftigung votieren. Eine so eingerichtete Vertretung würde dieselben praktischen Folgen haben, als wenn man bestimmte, daß jeder Mann, dessen Einkommen eine gewisse Höhe überschritte, von der Wahlberechtigung ausgeschlossen sein sollte. Es könnte den Wohlhabenderen dann gleichgültig sein, ob ihnen das Wahlrecht gänzlich entzogen wäre, oder ob sie bestimmt wären, bei jeder Wahl eine hoffnungslose Minorität zu bilden. Stenographischer Bericht, a.a.O., S. 5304 1. Welche Argumente werden für bzw. gegen das allgemeine Wahlrecht in die Debatte eingebracht? 2. Welche der vorgetragenen Argumente schätzen Sie als besonders wirksam ein? 3. Erörtern Sie die These Teilkampfs, daß die Volksvertretung in einem konstitutionellen Staat mehr Macht besitze als das Oberhaupt. 1 Auftraggeber