1 1 Grundkurs Bürgerliches Recht Ib Deliktsrecht WS 2013/14

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Prof. Dr. Andreas Spickhoff
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Medizinrecht,
Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung
Prof. Dr. Andreas Spickhoff * Platz der Göttinger Sieben 6 * D - 37073 Göttingen
Institut für Privat- und Prozessrecht
Institut für Notarrecht
Zentrum für Medizinrecht
Platz der Göttinger Sieben 6
D - 37073 Göttingen
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Grundkurs Bürgerliches Recht Ib
Deliktsrecht
WS 2013/14
Begleitende Vorlesungsmaterialien und Skript
(Grobgliederung, Literaturhinweise, Detailgliederung mit Skript sowie zur Lektüre
empfohlene Entscheidungen)
2
Vorbemerkung
Das Skriptum ersetzt weder die vorlesungsbegleitende Lektüre eines der
empfohlenen Lehr- oder Lernbücher noch den Besuch der Vorlesung selbst oder der
Begleitkollegs, in denen die Technik der Lösung von Fällen erlernt und geübt wird.
Es wird vielmehr empfohlen, - ggf. auch in einer privaten Arbeitsgemeinschaft – die
(prüfungsrelevante!) Technik der juristischen Arbeitsweise anhand einer der
empfohlenen Fallsammlungen zusätzlich zu vertiefen. Dazu dienen auch die sog.
Semesterferien (eigentlich nur „vorlesungsfreie Zeit“). Gewiss ist auch Urlaub ohne
Jura notwendig, aber er will verdient sein!
Die abgedruckten Entscheidungen sollten im Hinblick auf den Sachverhalt
(„Tatbestand“) und die für den Vorlesungsstoff relevanten Passagen (bitte die
zitierten Gesetzesstellen nachlesen!) genauer studiert werden. Abschnitte zu
anderen Bereichen des Rechts, die Sie zurzeit noch nicht einordnen können,
überfliegen sie einstweilen ganz einfach.
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Prof. Dr. Andreas Spickhoff
WS 2013/14
Grundvorlesung im Bürgerlichen Recht Ib
Deliktsrecht
Gliederungsübersicht
1. Abschnitt: Die Haftungsgründe des Deliktsrechts
§ 1. Überblick und Funktionen
§ 2. Elemente und Aufbau des Deliktstatbestands
§ 3. Grundtatbestände der Verschuldenshaftung
I.
§ 823 Abs. 1 BGB
II. § 823 Abs. 2 BGB
III. § 826 BGB
§ 4. Sondertatbestände der Verschuldenshaftung
§ 5. Haftung mehrerer Schädiger
§ 6. Gefährdungshaftung und Haftung für erlaubte Eingriffe
2. Abschnitt: Deliktsfolgen, insbesondere Schadensersatz
§ 7. Überblick
§ 8. Grundsätze des Schadensrechts
§ 9. Schaden und Geschädigter
§ 10. Inhalt und Umfang des Ersatzanspruchs
§ 11. Ausschluß und Herabsetzung der Haftung
§ 12. Haftung und Schadensverlagerung
§ 13. Unterlassung und Beseitigung
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Prof. Dr. Andreas Spickhoff
WS 2013/14
Grundvorlesung im Bürgerlichen Recht Ib
Deliktsrecht
Ausgewählte Literatur
Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 37. Auflage 2013
Buck-Heeb, Examens-Repetitorium Besonderes Schuldrecht 2, Gesetzliche
Schuldverhältnisse, 4. Aufl. 2012
Deutsch / Ahrens, Deliktsrecht, 6. Auflage 2014
Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Auflage 1996
Dörner, Schuldrecht 2, 5. Aufl. 2002 (Fallsammlung)
Emmerich, BGB – Schuldrecht Besonderer Teil, 13. Aufl. 2012
Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006
Fuchs/Pauker, Deliktsrecht, 8. Auflage 2012
Kötz / Wagner, Deliktsrecht, 12. Auflage 2013
Larenz / Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, 13. Auflage 1994
Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, 8. Auflage 2013
Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, 16. Auflage 2012
Medicus, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 5. Auflage 2007
Pfeifer, Schuldrecht Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2005
Schlechtriem / Schmidt-Kessel, Schuldrecht Besonderer Teil, 7. Auflage 2007
Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 5. Auflage 2012
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1. Abschnitt: Die Haftungsgründe des Deliktsrecht
§ 1. Überblick und Funktionen
I.
Arten der Schadenstragung
1.
Grundsatz: casum sentit dominus
Im Ausgangspunkt hat der Inhaber eines Rechtsguts den daran
entstehenden Schaden selbst zu tragen. Wem das Gut zusteht, den
trifft zunächst der Schaden.
2.
Ausnahmen
Dieser Schadenstragung als Regel steht die Schadensabnahme durch
einen anderen als Ausnahme gegenüber. Daher ist es Sache des
Anspruchstellers, die Tatbestandsvoraussetzungen für einen
ausnahmsweise gegebenen Schadensersatzanspruch darzulegen und
zu begründen.
3.
Arten der Zurechnung
Der Grund für die Schadensabnahme wird auch Zurechnung genannt. Dabei
unterscheiden wir zwischen subjektiver und objektiver Zurechnung. Objektiv
zurechenbar ist eine Tat schon dann, wenn ein Geschehen oder ein Erfolg
irgendwie auf den Willen einer Person zurückgeführt werden kann. Eine subjektive
Zurechnung ist demgegenüber erst dann gegeben, wenn dem Handelnden Tat
oder Tatfolgen persönlich angelastet werden können, etwa im Falle von Vorsatz
oder persönlicher Vorwerfbarkeit (= subjektive Fahrlässigkeit).
II.
Gründe der Schadenshaftung
Neben dem vom Verschuldensprinzip geprägten Schadensausgleich des
Deliktsrechts kommt eine wesentliche Bedeutung auch der Haftung ohne
Verschulden zu. Um eine solche handelt es sich – abgesehen von der
Billigkeitshaftung nach § 829 BGB – namentlich bei der Gefährdungshaftung. Zu
beachten sind in diesem Zusammenhang des weiteren die Haftung für erlaubte
Eingriffe (zB §§ 904 S 2, 867 S 2 und 1005, 962 S 3 BGB), die Haftung für
(rechtswidrige) enteignungsgleiche Eingriffe sowie allgemein der Bereich der
Aufopferungsansprüche (s. Deutsch, AllgHaftungsR2 Rz 716ff).
III.
1.
Verschuldenshaftung
2.
Gefährdungshaftung
3.
Billigkeitshaftung
4.
Aufopferung
Funktionen des Haftungsrechts
6
Sucht man nach den Zwecken des Deliktsrechts, so hat man sich zunächst einmal zu
vergegenwärtigen, dass die diversen Haftungstatbestände nicht zuletzt auch
Freiräume abstecken und insoweit der Handlungsfreiheit dienen. Sodann hat man
sich Klarheit darüber zu verschaffen, um den Zweck welcher Normen es geht. Man
hat hierbei zu unterscheiden zwischen den deliktischen Haftungsgründen, namentlich
der §§ 823 ff, sodann zwischen Verhaltensnormen (zum Teil auch
Tatbestandsnormen genannt) sowie den Rechtsfolgenormen (zB § 823 Abs 1), und
schließlich zwischen den Haftungsgründen und den haftungsausfüllenden bzw die
Rechtsfolge ausfüllenden Vorschriften der §§ 249 ff, 1004 andererseits. Sieht man
einmal von dem einzelnen Zweck bestimmter Verhaltensnormen (zB bestimmten
Schutzgesetzen) ab, so werden den deliktsrechtlichen Anspruchsgründen, jedenfalls
soweit sie auf Schadensersatz gerichtet sind, herkömmlicherweise folgende
Funktionen zugeordnet:
1. Ausgleichsfunktion
Weitgehend anerkannt ist zunächst die sog Ausgleichsfunktion. Sie schließt an die
Wirkung der (nicht nur deliktischen) Schadensersatzansprüche an und stellt den
Ausgleich für den materiellen Schaden und die erlittene Unbill in den Vordergrund.
Nun liegt diese Wirkung des Schadensausgleichs dann, wenn die
Schadensersatzansprüche realisiert worden sind, auf der Hand. Bezweifelt wird aber,
ob damit die Frage nach dem normativen Zweck der Haftungsgründe beantwortet ist.
Dagegen wird gehalten, die Funktion dieses Rechtsgebiets mit dem Inhalt der jeweils
begründeten Ansprüche gleichzusetzen, sei nichtssagend; die Ungeeignetheit der
Ausgleichsfunktion zur normativen Anleitung von Problemlösungen korrespondiere
mit dem „tautologischen Charakter derartiger Zweckbeschreibungen“. Die zentrale
Frage laute vielmehr, welche Schädigungen auszugleichen seien und welche nicht.
Dem dahinter stehenden Argument mangelnder Wertorientierung ist auf der anderen
Seite entgegengehalten worden, dass das Ausgleichsprinzip seinen Wert „in sich“
trage, und zwar vor allem deshalb, weil es die Schadensabwicklung ideologiefrei
lenke. Freilich vermag ein so verstandenes Ausgleichsprinzip in der Tat nicht zu
erklären, warum nicht jeder – und sei es auch schuldhaft – zugefügter Schaden
(zumal im außervertraglichen Kontext) auszugleichen ist.
2. Präventionsfunktion und ökonomische Analyse
Derlei Einwänden unterliegt die sog. Präventionsfunktion nicht. Sie ist früher häufig
als Sekundärfunktion angesehen worden. Heute ist man mehrheitlich dazu
übergegangen, die Präventionsfunktion neben den Aspekt des Schadensausgleichs
gleichberechtigt zu stellen, wenn man diese Funktion nicht sogar ganz in den
Vordergrund stellt. Freilich läßt sich auch mit der Präventionsfunktion nicht jedes
haftungsrechtliche Ergebnis erklären; man denke an den Fall grob fahrlässigen oder
gar vorsätzlichen Verhaltens ohne entsprechenden Verletzungs- oder
Schädigungserfolg. Zugleich wird deutlich, dass Präventionsfunktion und
Ausgleichsfunktion zusammenwirken: Eine erwünschte Prävention erklärt – wenn
man den Grund des Erwünschtseins der Präventionswirkung näher spezifiziert –,
warum ggf. etwas auszugleichen ist, jedoch bildet der mögliche Ausgleich (und damit
korrespondierend das sog schadensrechtliche Bereicherungsverbot) die Obergrenze
einer möglichen Präventionswirkung.
Die Präventionswirkung ist insbesondere unter dem Aspekt der ökonomischen
Analyse aufgegriffen und weiter verfeinert worden. Ausgangspunkt ist der homo
7
oeconomicus: Jeder handelt nur so sorgfältig, wie das Haftungsrisiko dies als sinnvoll
erscheinen läßt. Dass offensichtlich ineffiziente Konsequenzen der
Rechtsanwendung nicht nur kein Ziel der Gesetzesauslegung sind, sondern nach
Möglichkeit auch vermieden werden sollten, kann kaum ernsthaft bestritten werden.
Bereits Mataja hatte auf den möglichen Ertrag von ökonomischen Erkenntnissen
über ineffiziente Rechtsbildung namentlich bei der Auslegung des Haftungsrechts
hingewiesen und den Gedanken der „ökonomischen Prävention“ in die Diskussion
eingebracht. Ökonomisch-analytische Erwägungen im Rahmen der herkömmlichen
Auslegungskriterien wären wohl am ehesten in der objektiv-theologischen Auslegung
zu verorten.
Gegen diese ökonomische Analyse des Rechts sind im Wesentlichen folgende
grundsätzliche Einwände geltend gemacht worden: Mißachtung der Eigenständigkeit
der Jurisprudenz, Gefährdung der Rechtssicherheit, Benachteiligung Schwacher und
Gefährdung der Rechtskultur, weil rechtsethische Bindungen durch das NutzenKalkül des homo oeconomicus ersetzt würden. Nun ist die Eigenständigkeit der
Rechtswissenschaft gewiß kein Selbstzweck. Die im Prinzip begründete Befürchtung
des Verlustes an Rechtssicherheit wird dadurch abgeschwächt, dass die
ökonomische Analyse nur als eines von mehreren Auslegungskriterien angesehen
und nur bei der Beantwortung offener Wertungsfragen, kurzum dort als methodisch
legitim angesehen werden darf, wo Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte
der Norm rechtssichere Antworten ohnehin nicht ermöglichen und der Durchsetzung
des Effizienzprinzips nicht entgegenstehen, wenn man also davon ausgehen darf,
dass auch der Gesetzgeber den Norminhalt am Effizienzprinzip orientiert (oder
wenigstens keine gegenteilige Tendenz verfolgt) haben wird. Die Konkretisierung der
erforderlichen Sorgfalt oder die Bildung von Pflichtenprogrammen, namentlich im
Kontext mit Verkehrs-(sicherungs-)pflichten ist ein denkbar typisches Einfallstor für
ökonomisch-analytische Erwägungen. Allerdings wird die ökonomische Analyse
prinzipiell nur auf Modelle gestützt, deren Prämissen oft der Realität nicht
entsprechen, zumal es an quantitativ exakten, vollständigen entsprechenden
Erhebungen in aller Regel fehlt. Dieser Umstand sowie die Möglichkeit weiterer
sozialpolitischer, nicht am Effizienzprinzip ausgerichteter Zielvorgaben des
Gesetzgebers (bis hin zum – wenngleich seinerseits eher wenig konturierten –
Sozialstaatsprinzip) macht auch das Rangverhältnis der ökonomischen Analyse im
Rahmen der Gesetzesauslegung deutlich: Abweichende Zielvorgaben und
Richtungsentscheidungen des Gesetzgebers gehen dem Wirtschaftlichkeitsgebot
vor. Zudem ist das geltende deutsche Schadensersatzrecht dem Ausgleichsprinzip
verpflichtet, das – wie gezeigt – der haftungsrechtlichen Prävention Grenzen setzt.
Das zeigt sich ua daran ganz deutlich, dass die Tötung eines Menschen für den
Schädiger „billiger“ sein kann als eine zur Berufsunfähigkeit führende Verletzung.
Eine vorrangige Ausrichtung des geltenden Haftungsrechts an dessen
Präventivwirkungen gegenüber einem homo oeconomicus verträgt sich damit nicht,
wird freilich letzthin auch in dieser Konsequenz nicht vertreten.
Kein durchgreifender Einwand gegen die Anerkennung der Präventionsfunktion
ergibt sich aus den vielfältigen Überlagerungen des Deliktsrechts durch private oder
soziale Versicherungen. Der individuelle Täter wird die Möglichkeit der
Schadensabnahme durch kollektive Sicherungssysteme vor der Schädigung kaum
bedenken. Hinzu kommt, dass typischerweise – man denke etwa an den KfzVersicherungs-Bereich – Prämiensteigerungen drohen; auch dies wirkt präventiv.
Umso mehr wirkt die Präventionsfunktion gegenüber Unternehmern, weil diese idR
besonders deutlich ökonomischen Kategorien verpflichtet sind und sich
Schadensersatzansprüche als Kosten der Produktion auswirken. Freilich sind
8
Unternehmen in aller Regel gegen die aus ihren Handlungen resultierende Haftpflicht
versichert. Auch wenn hier das Bonus-Malus-System weniger geläufig ist, führen
gleichwohl gezielt eingebaute Lücken im Versicherungsschutz (schon im Interesse
der Versicherer selbst) zum Fortwirken der Prävention. Zugleich zeigt sich hieran,
dass das Bestehen einer Gefährdungshaftung, wiewohl verschuldensunabhängig,
nichts an der Präventionsfunktion auch solcher Tatbestände ändert.
3. Weitere anerkannte oder nicht anzuerkennende Funktionen
Neben der Ausgleichs- und Präventionsfunktion ist die Rechtsfortsetzungsfunktion
des Schadensersatzanspruchs als dogmatisches Konstrukt anerkannt, wenngleich
sich dieser Gedanke in einer Beschreibung der konstruktiven Zusammenhänge
erschöpft: Das verletzte Interesse oder Rechtsgut setzt sich im Anspruch auf
Schadensersatz fort. Prinzipiell ablehnend steht die deutsche Dogmatik
demgegenüber jeder Pönalfunktion des Haftungsrechts gegenüber, wenn auch die
sog Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes darauf hindeutet; der BGH weist
jeden Strafcharakter des Schmerzensgeldes – auch in der Genugtuungsfunktion –
freilich weit von sich.
BGH NJW 1996, 984
Tatbestand
1
Die Klägerin, Caroline von Monaco, verlangt von der Beklagten, in deren
Verlag u.a. die Wochenzeitschriften "frau aktuell" und "NEUE WELT"
erscheinen, die Veröffentlichung einer Richtigstellung und Zahlung einer
Geldentschädigung.
2
Die beiden Wochenzeitschriften berichteten in ihren Ausgaben vom 19.
Januar 1994 auf den Titelblättern und im Innern der Hefte über die
Klägerin. Die Schlagzeile des Titelblatts von "frau aktuell" lautete
"Caroline - Tapfer kämpft sie gegen Brustkrebs", auf der Titelseite von
"NEUE WELT" heißt es neben der Abbildung der Klägerin "Hilfe für
Millionen Frauen - CAROLINE - Kampf gegen Brustkrebs". Im Innenteil
der Zeitschriften wird darüber berichtet, daß sich die Klägerin, die
unstreitig selbst nicht an Brustkrebs erkrankt ist, für
Vorsorgeuntersuchungen zur Erkennung von Brustkrebs einsetzt.
3
Die Klägerin erblickt in den Veröffentlichungen auf den Titelseiten eine
Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Auf ein Aufforderungsschreiben
9
hat sich die Beklagte hinsichtlich der Veröffentlichung auf dem Titelblatt
von "frau aktuell" zur Unterlassung und zum Abdruck einer
Widerrufserklärung verpflichtet sowie einen Betrag von 10.000 DM an die
Klägerin gezahlt; bezüglich der Veröffentlichung auf der Titelseite der
"NEUE WELT" wurde der Beklagten im Wege der einstweiligen
Verfügung die Verbreitung der Äußerung "CAROLINE - Kampf gegen
Brustkrebs" untersagt.
4
Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin eine Richtigstellung verlangt,
mit der in einer bestimmten Schriftart und Schriftgröße auf der Titelseite
der "NEUE WELT" klargestellt wird, daß der durch die Veröffentlichung
auf dem Titelblatt der Ausgabe vom 19. Januar 1994 erweckte Eindruck,
sie sei an Brustkrebs erkrankt, unrichtig ist. Ferner hat die Klägerin die
Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung
begehrt, die für jede der beiden Veröffentlichungen 50.000 DM - für die
Veröffentlichung in "frau aktuell" abzüglich der gezahlten 10.000 DM betragen soll.
5
Das Landgericht hat dem Richtigstellungsanspruch (mit Abstrichen bei
der verlangten Buchstabengröße) stattgegeben und der Klägerin eine
Geldentschädigung von 15.000 DM wegen der Titelveröffentlichung in
"frau aktuell" (abzüglich der vorgerichtlich gezahlten 10.000 DM) und
5.000 DM wegen der Titelveröffentlichung in "NEUE WELT" zuerkannt.
6
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt; die
Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag und die Klägerin hat ihren
Anspruch auf eine Geldentschädigung in der geltend gemachten Höhe
weiterverfolgt. Die Rechtsmittel beider Parteien sind ohne Erfolg
geblieben.
7
Mit ihrer Revision greift die Klägerin das Berufungsurteil an, soweit zu
ihrem Nachteil erkannt worden ist. Die Beklagte erstrebt mit ihrer
(unselbständigen) Anschlußrevision weiterhin die Abweisung der Klage.
Der Senat hat die Revision der Klägerin angenommen und die
Anschlußrevision der Beklagten nicht angenommen.
Entscheidungsgründe
10
I.
8
Das Berufungsgericht hält den Richtigstellungsanspruch aus §§ 823 Abs.
1, 1004 Abs. 1 BGB für begründet; nach seiner Auffassung kann kein
ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß die verbreitete Äußerung
zumindest einem erheblichen Teil der Leser den Eindruck vermittelt, die
Klägerin habe Brustkrebs. Durch die beanstandeten Veröffentlichungen
werde die Klägerin so schwer in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
verletzt, daß ihr trotz der Richtigstellungen und der schon geleisteten
Zahlung von 10.000 DM aus §§ 823, 847 BGB ein Anspruch auf
Schmerzensgeld zustehe. Es sei grob fahrlässig gewesen, derartig
mißverständlich formulierte Schlagzeilen auf den Titelblättern zu
verwenden. Dabei werde die Intensität der
Persönlichkeitsrechtsverletzung noch durch die hohe Auflage der beiden
Zeitschriften gesteigert. Allerdings könne die Klägerin kein höheres
Schmerzensgeld verlangen, als es ihr das Landgericht zuerkannt habe.
Ein höherer Betrag gehe über die für ein Schmerzensgeld maßgebliche
Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion hinaus; Gedanken der
Gewinnabschöpfung und Strafsanktion könnten für die Bemessung eines
Schmerzensgeldes bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht zum
Tragen kommen.
II.
9
Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe der Geldentschädigung
halten den Angriffen der Revision nicht stand. Sie werden den
Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht gerecht.
10
1. Allerdings geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß die
Klägerin wegen der Schlagzeilen auf den beiden Titelblättern von der
Beklagten eine Geldentschädigung verlangen kann. Das
Berufungsgericht trifft jedoch mit seinen Erwägungen zur Höhe dieses
Anspruchs nicht den entscheidenden rechtlichen Gesichtspunkt.
11
Die Klägerin hat durch diese Veröffentlichungen eine schwere Verletzung
ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts erlitten. Angaben über den
Gesundheitszustand eines Menschen betreffen die durch Art. 1 Abs. 1
und 2 Abs. 1 GG geschützte Privatsphäre (vgl. BVerfGE 32, 373, 379 f);
das gilt, wie das Berufungsgericht mit Recht ausführt, erst recht für
Angaben über eine so tückische und lebensbedrohende Erkrankung wie
Brustkrebs. In tatrichterlicher Würdigung, die Rechtsfehler nicht erkennen
läßt, ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die
11
mißverständnisträchtige Formulierung der Schlagzeilen auf den
Titelblättern auf einer groben Pflichtverletzung der Verantwortlichen auf
Seiten der Beklagten beruht. Darüber hinaus erhält der Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht der Klägerin, wie das Berufungsgericht gleichfalls
zutreffend erkennt, sein besonderes Gewicht durch die hohe Auflage der
beiden Zeitschriften. Eine Rechtsverletzung dieses Schweregrades
rechtfertigt einen Anspruch des Opfers auf Geldentschädigung.
12
Das Berufungsgericht verfehlt indes den entscheidenden rechtlichen
Ansatzpunkt, wenn es sich für die Bestimmung der Höhe dieser
Geldentschädigung an den in BGHZ 18, 149 ff. für die
Schmerzensgeldbemessung entwickelten Grundsätzen der Ausgleichsund Genugtuungsfunktion orientiert. Zwar hat der Bundesgerichtshof den
Anspruch auf Geldentschädigung in den Fällen einer schweren
Verletzung des Persönlichkeitsrechts im Jahre 1958 zunächst aus einer
Analogie zu § 847 BGB hergeleitet (BGHZ 26, 349, 356). Diese
Begründung ist jedoch längst aufgegeben. Das
Bundesverfassungsgericht hat in der sog. Soraya-Entscheidung aus dem
Jahre 1973 die rechtliche Grundlage für einen solchen
Geldleistungsanspruch in Art. 1 und 2 GG erblickt (BVerfGE 34, 269,
292). In Parallele hierzu geht der Bundesgerichtshof davon aus, daß es
sich bei dem Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht um ein Schmerzensgeld
nach § 847 BGB, sondern um ein Recht handelt, das auf den
Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgeht (vgl. etwa
Senatsurteil vom 22. Januar 1985 - VI ZR 28/83 - VersR 1985, 391, 393;
zuletzt Senatsurteil vom 15. November 1994 - VI ZR 56/94 - VersR 1995,
305, 309 = NJW 1995, 861, 864 f., zum Abdruck in BGHZ 128, 1 ff.
vorgesehen).
13
Die Herleitung dieses Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 und
2 GG hat Folgen für seine Höhe (vgl. hierzu BGB-RGRK/Dunz, 12. Aufl.,
Anh. I zu § 823 Rdnrn. 141 ff.). Die Zubilligung einer Geldentschädigung
im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung beruht auf dem
Gedanken, daß ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde
und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, daß
der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Bei dieser
Entschädigung steht - anders als beim Schmerzensgeld - regelmäßig der
Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem
soll sie der Prävention dienen (vgl. Senatsurteil vom 15. November 1994
- VI ZR 56/94 aaO. m.w.N.).
14
Dies bedeutet, daß hier der Ausgleichsgedanke, auf den sich das
Berufungsgericht bei der Bemessung der Geldentschädigung maßgeblich
12
gestützt hat, zugunsten des Präventionsgedankens in den Hintergrund
treten muß (vgl. BGB- RGRK/Dunz, aaO.).
15
2. Ferner tragen die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe der
Geldentschädigung nicht hinreichend den Besonderheiten Rechnung, die
der Persönlichkeitsrechtsverletzung im vorliegenden Fall das Gepräge
geben.
16
In dem - allerdings erst nach der Verkündung des Berufungsurteils
erlassenen - Senatsurteil vom 15. November 1994 (VI ZR 56/94 - aaO.),
in dem es gleichfalls um Verletzungen des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der Klägerin durch Veröffentlichungen in
Zeitschriften ging, hat der Senat ausgeführt, daß in Fällen der
vorliegenden Art besonders in Betracht zu ziehen ist, daß der Schädiger
die Verletzung der Persönlichkeit seines Opfers als Mittel zur
Auflagensteigerung und damit zur Verfolgung eigener kommerzieller
Interessen eingesetzt hat. Im Streitfall wäre die Klägerin ebenso wie im
damals entschiedenen Fall ohne eine für die Beklagte fühlbare
Geldentschädigung einer rücksichtslosen Zwangskommerzialisierung
ihrer Persönlichkeit weitgehend schutzlos ausgeliefert. "Fühlbar" in
diesem Sinne ist eine Geldentschädigung entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts aber nicht schon dann, wenn sie in der der Klägerin
zuerkannten Höhe unmittelbar den Gewinn der Beklagten schmälert,
vielmehr ist sie erst dann geeignet, den aus dem Persönlichkeitsrecht des
Opfers heraus gebotenen Präventionszweck zu erreichen, wenn sie der
Höhe nach ein Gegenstück auch dazu bildet, daß hier das
Persönlichkeitsrecht zum Zwecke der Gewinnerzielung verletzt worden
ist. Das bedeutet zwar, wie das Berufungsgericht insoweit zu Recht
ausführt, nicht, daß eine "Gewinnabschöpfung" vorzunehmen ist, wohl
aber, daß - und insoweit entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
- im Fall einer rücksichtslosen Vermarktung einer Persönlichkeit wie hier
die Erzielung von Gewinnen aus der Rechtsverletzung als
Bemessungsfaktor in die Entscheidung über die Höhe der
Geldentschädigung mit einzubeziehen ist. In solchen Fällen muß von der
Höhe der Geldentschädigung ein echter Hemmungseffekt ausgehen; als
weiterer Bemessungsfaktor kann die Intensität der
Persönlichkeitsrechtsverletzung berücksichtigt werden. Vorstellungen zur
Höhe der Entschädigung, wie sie die Klägerin in ihren Anträgen zum
Ausdruck gebracht hat, sprengen nicht den Rahmen dessen, was zu
einer wirksamen Prävention als angemessen in Betracht kommt.
III.
17
Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben, soweit das
13
Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf eine höhere
Geldentschädigung abgewiesen hat. Das Berufungsgericht erhält damit
Gelegenheit, über die Höhe dieses Anspruchs im Lichte der
vorstehenden Erwägungen erneut zu entscheiden. Diese Entscheidung
ist in erster Linie Sache des Tatrichters (vgl. Senatsurteil vom 15.
November 1994 - VI ZR 56/94 - aaO.).
IV.
System des Deliktsrechts
1.
Die drei „kleinen“ Generalklauseln
Das Verhältnis der drei kleinen deliktsrechtlichen Generalklauseln der beiden
Absätze von § 823 und § 826 zueinander ist in der Diskussion durchaus
unterschiedlich akzentuiert worden. So war bereits zur Zeit des Inkrafttretens des
BGB die Bedeutung von § 823 Abs 2 umstritten, dies freilich vor allem im Hinblick auf
das Verhältnis der Schutzgesetzverletzung zur Verletzung eines sonstigen Rechts im
Sinne von § 823 Abs 1. Soweit man letzteres auf "alle irgendwie rechtlich
geschützten Interessen" bezog, blieb für § 823 Abs 2 wenig, allenfalls eine in dessen
"verkürzten Verschuldensbezug" liegende praktische Bedeutung. Doch ist dieses
Verständnis des "sonstigen Rechts" alsbald dem bis heute bekannten engeren
gewichen. Damit erhielten die beiden Absätze von § 823 jeweils einen eigenen, nur
teilweise deckungsgleichen Anwendungsbereich. Wenn heute nach wie vor die
Frage nach dem Verhältnis namentlich der beiden Absätze des § 823 zu einander zu
stellen ist, dann in einem anderen Sinn.
a)
823 Abs 1, 826 als stilprägende Normen des deutschen Deliktsrechts?
Nach vielfach, zum Teil auch von der Rechtsprechung befolgter Linie orientiert
sich die Auslegung des gesamten Deliktsrechts am ersten Absatz von § 823. Man
hat deshalb § 823 Abs 1 als "Grundnorm" oder "Zentralnorm" (Larenz/Canaris,
SchuldR II/213, § 76 I 2a,S 375 f) des deutschen Deliktsrechts qualifiziert, und das vor
dem Hintergrund der praktischen Handhabung der Norm im Gesamtgefüge des
außervertraglichen Haftungsrecht mit Grund. Im Rahmen des § 823 Abs 2 hat diese
Dominanz des ersten Absatzes von § 823 zu der noch näher zu erörternden
Auffassung geführt, eine Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes setze
deren "Tragbarkeit im Lichte des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems" voraus, und
jenes soll eben maßgeblich von der Enumeration in § 823 Abs 1 und § 826 geprägt
sein. Die Ausrichtung des Verständnisses des zweiten Absatzes von § 823
insbesondere an den Schutzgütern des vorhergehenden Absatzes ist von Canaris
noch dahin intensiviert und präzisiert worden, dass Schutzgesetze, die nicht
ohnedies Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs 1 schützen, regelmäßig
strafbewehrt sein müssen, um eine Haftung wegen Schutzgesetzverletzung auslösen
zu können. Zumindest sei es notwendig, dass im Fall nicht strafbewehrter Normen –
vor allem solcher zum Vermögensschutz – das Vermögen primäres und
unmittelbares Schutzgut sei, und dass sich derartige Normen als Typisierung und
maßvolle Ergänzung von § 826 verstehen ließen oder dass das Fehlen einer Straf-
14
oder wenigstens Bußgeldbewährung verglichen mit verwandten Tatbeständen eine
Gesetzeslücke darstelle. Damit erhält § 823 Abs 2 zwischen den §§ 823 Abs 1 und
826 wenig eigene Bedeutung, sieht man einmal von der (im Rahmen der
Bestimmung von Verhaltenspflichten nach den §§ 823 Abs 1, 276 ohnedies
angezeigten) Möglichkeit ab, gesetzlich fixierte Verhaltensprogramme in das zivile
Haftungsrecht zu transponieren. Denn Straftaten sind in der Regel vorsätzlich zu
begehen (StGB § 15) und stehen oft in der Nähe von § 826; insbesondere Straftaten
zum Schutz des Vermögens, die fahrlässig begehbar sind (wie StGB § 264 Abs 4,
283 Abs 5, 283 b Abs 2; GmBHG § 84 Abs 2), gibt es trotz einiger Ergänzungen in
den letzten Jahren wenige. Canaris will diese in einer nur sehr vorsichtigen
Ergänzung der §§ 823 Abs 1, 826 bestehenden Funktion des § 823 Abs 2 vor allem
aus systematischer Interpretation gewinnen. Eine "blankettartige Norm wie § 823 Abs
2" beschwöre die Gefahr einer "Systemsprengung und ... Aushöhlung der durch die
§§ 823 Abs 1, 826 BGB vorgegebenen deliktsrechtlichen Grundentscheidungen"
herauf; sie sei demnach vor "systemzerstörender Ausuferung zu bewahren". Daraus
folge, dass im Rahmen des § 823 Abs 2 je nach "Unrechtsgehalt" der bezogenen
Norm zu differenzieren sei: Gehe es um den Schutz "des § 823 Abs 1", bestünden
gegen die Einbeziehung der betreffenden außerdeliktischen Norm grundsätzlich
keine Bedenken; der erste Absatz von § 823 wird dann im Hinblick auf seine
Verhaltensanforderungen im Wesentlichen nur konkretisiert. Gehe es hingegen um
außerhalb des § 823 Abs 1 liegende Schutzgüter oder Interessen (wozu auch der
eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb zu rechnen wäre, dessen Anerkennung
als "sonstiges Recht" Canaris ablehnt), sei vom Unrechtsgehalt her eine "Nähe zu §
826" erforderlich.
Diese These einer Differenzierung nach dem Unrechtsgehalt des in Rede stehenden
Interesses bzw. des zu dessen Beeinträchtigung führenden Verhaltens überzeugt
nicht. Das gilt bereits im Hinblick auf die dahinter stehende Prämisse, § 826 und die
vorsätzliche sittenwidrige Schädigung enthalte "mehr" Unrecht als das von § 823 Abs
1 vorausgesetzte. Diese Einschätzung trifft allenfalls zu, soweit es um die sog.
Überwindungsfunktion des § 826 geht, über welche der sittenwidrigen Ausnutzung
formaler Rechtspositionen begegnet werden kann; die Sittenwidrigkeit überwindet
hier die formale Befugnis. Kaum eine „gesteigerte“ Form der Rechtswidrigkeit
beinhaltet der Verstoß gegen die guten Sitten aber, soweit es um die sog
Entwicklungsfunktion des § 826 geht. Hier erscheint das in Rede stehende Verhalten
als der Rechtsordnung zuwiderlaufend, weil es neuartig oder (noch) nicht gesetzlich
verboten ist oder die Bedenken dagegen sich erst im Nachhinein soweit verdichtet
haben, dass das Verhalten als unzulässig qualifiziert werden muß. Wenn es daher
weniger das nur besonders qualifizierte Unrecht des § 826 ist, sondern eher die
besonderen subjektiven Anforderungen dieser Norm in Gestalt des Vorsatzes, so ist
zu konstatieren, dass der Vorsatz eben gerade dann, wenn man sich am Leitbild des
Strafgesetzes auch für die Auslegung des § 823 Abs 2 orientiert, typischerweise
erforderlich, weil von der Verweisung des § 823 Abs 2 mit umfasst ist. Per se
vorsätzliches Verhalten verlangt § 823 Abs 2 S 2 nun aber im Gegensatz zu § 826
nicht. Deshalb lassen sich auf der Grundlage dieser Konzeption
Wertungswidersprüche in dem Moment nicht vermeiden, in dem die bereits
erwähnten, wenn auch selten anzutreffenden Straftaten zum Vermögensschutz in
Rede stehen, die fahrlässig begehbar sind. Es gibt keinen überzeugenden Grund
dafür, dass im Fall des Vermögensschutzes § 823 Abs 2 ungeschrieben eine Nähe
zu § 826 verlangt. Vielmehr ist § 826 nur so zu verstehen, dass der Gesetzgeber
zumindest vorsätzliche sittenwidrige Schädigungen auch mit haftungsrechtlichen
Konsequenzen belegen wollte. Mit der gleichen Rechtsfolge sollen über § 823 Abs 2
15
aber ebenso Verstöße gegen sonstige individualschützende Ge- und Verbote des
Gesetzgebers belegt werden können. Die Gesetzgebungsgeschichte läßt erkennen,
dass § 823 Abs 2 zusammen mit §§ 823 Abs 1, 826 eine gleichwertige Stütze des
Deliktsrechts bildet, die es nicht zu verkürzen gilt. Schon das RG hat das in aller
Deutlichkeit ausgesprochen, wenn es ausführte: "Die Grenzen des § 823 Abs 2 BGB
zu eng zu ziehen verbietet sich schon deshalb, weil dann das Fehlen eines
allgemeinen Ersatzanspruchs für fahrlässige Vermögensbeschädigungen im
Bürgerlichen Gesetzbuche umso drückender empfunden werden würde" (RGZ 59,
236, 238). § 823 Abs 2 beinhaltet damit ein "überaus wichtiges Korrektiv" gegenüber
dem ansonsten engherzigen Deliktsbegriff des BGB. Dass Strafgesetzverstöße nicht
als prägend im Sinne einer Leitbildfunktion für Schutzgesetze angesehen werden
können, ergibt gerade der Kompromißcharakter von § 823 Abs 2 und wird durch die
Ablehnung eines Antrags im Beratungsverlauf, anstelle der allgemeinen Verweisung
auf Schutzgesetzverstöße nur auf Strafgesetzverstöße zu verweisen, deutlich.
Zudem hätte die Tendenz, Straftatbestände in nicht wenigen Bereichen zugunsten
von Ordnungswidrigkeiten u.ä. zurückzudrängen, auf der Grundlage des Kriteriums
der Strafbewehrung auch den entsprechenden Fortfall des Schutzes der Opfer über
das zivile Deliktsrecht zur Folge. Man mag Kriminalisierungs- und
Entkriminalisierungstendenzen des Strafrechts, die stets wellenförmig zu
konstatieren sind, mit guten kriminalpolitischen Gründen befürworten oder ablehnen.
Mit der Abschaffung von Straftaten aber zugleich eine tendenzielle Zurückdrängung
des Opferschutzes (über die auf dem Fuße folgende Versagung von
Schadensersatzansprüchen) einhergehen zu lassen, entspricht weder den
Intentionen des einen noch des anderen Rechtsgebietes. Namentlich im Hinblick auf
reine Vermögensschäden bleibt der Einwand, dass in einer "Hierarchie" der rechtlich
geschützten Interessen deren Schutz zwar eher an hinterer Stelle liegen mag. Doch
trägt § 823 Abs 2 dem dadurch Rechnung, dass er eben erst an den Verstoß gegen
außerdeliktische Normen anknüpft, mit denen der Gesetzgeber gegebenenfalls doch
das bloße Vermögen geschützt wissen will, und sei dies auch außerhalb des
Strafrechts.
b)
§ 823 Abs 2 als "Grundnorm" des deutschen Deliktsrechts?
Ein im Ergebnis den bisher beschriebenen Tendenzen diametral gegenüber
stehendes Bild vom System des deutschen Deliktsrechts ergäbe sich, wenn auch
gesetzlich nicht fixierte Verkehrspflichten einschließlich solcher zum Schutze des
Vermögens mit einer seit den 60er Jahren zunehmend vertretenen Auffassung
gewissermaßen als "ungesetzliche Schutzgesetze" anerkannt würden. Nicht nur aus
begrifflich-konstruktiven Erwägungen heraus ließe sich § 823 Abs 1 dann als
"Sonderfall des § 823 Abs 2", als ein "Gesetz, das den Schutz eines anderen
bezweckt", verstehen. Auch wäre es ein Leichtes, damit § 823 Abs 1 das
Wesentliche von seiner praktischen Bedeutung zu nehmen. Nun könnte man freilich
die damit angesprochenen Verkehrs(sicherungs)pflichten als Pflichten definieren, die
nur mittelbar zur Verletzung führen. Für unmittelbare Verletzung verbliebe dann die
Notwendigkeit des Rückgriffs auf § 823 Abs 1. Das würde freilich zu dem
eigentümlichen Ergebnis führen, dass (sogar) unmittelbare Verletzungen von
Interessen, die nicht von § 823 Abs 1 erfaßt sind, keine Haftung auslösen, während
die bloß mittelbare Verletzung desselben Interesses über § 823 Abs 2 die Haftung
auslösen könnte. Bloß mittelbare Verletzungen würden nach dieser Lehre also
tendenziell mit einer weitreichenderen Haftung belegt als unmittelbare, eine
16
wertungsmäßig kaum begründbare Konsequenz. Abgesehen davon ist es für § 823
Abs 1 und sogar im Fall strafrechtlicher Erfolgsdelikte seit langem anerkannt, dass
auch "mittelbare" Verletzungen zur strafrechtlichen und ebenso zivilen Haftung
führen können. Zudem läßt sich mit Grund bezweifeln, dass die Redaktoren des BGB
überhaupt einheitlich von einem auf unmittelbare Verursachung geprägten
Täterbegriff ausgegangen sind. Immerhin war eine derartige Differenzierung
ausdrücklich verworfen worden. Das zeigt sich auch daran, dass ein einer
Verkehrssicherungspflichtverletzung vergleichbarer Fall (Aufstellen oder Aufhängen
einer Sache ohne gehörige Befestigung an einem Gebäude) als von den
"allgemeinen Rechtssätzen über die Schadensersatzpflicht aus unerlaubten
Handlungen" angesehen worden ist. Daher besteht wenig Grund, mittelbare Eingriffe
aus dem Anwendungsbereich von § 823 Abs 1 von vornherein auszuscheiden, auch
wenn diese dann einer verbots- oder gebotsbezogenen Rechtswidrigkeit und
keinesfalls der sog erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeit unterliegen. Hinzu kommt,
dass umgekehrt auch für § 823 Abs 2 jedenfalls nicht durchgängig eine die
Verkehrs(sicherungs)pflichtverletzung prägende verbots- oder gebotsbezogene
Rechtswidrigkeit angenommen werden kann.
c)
Die Eigenständigkeit der "kleinen deliktsrechtlichen Generalklauseln"
Im Ergebnis kann nach allem ein gleich in welcher Weise zu umschreibendes
Rangverhältnis zwischen den beiden Absätzen von § 823 und § 826 nicht
angenommen werden. Alle drei Grundnormen haben sich in Übereinstimmung mit
der gesetzgeberischen Absicht vielmehr gegenseitig zu ergänzen. Weder prägt der
erste Absatz von § 823 die Auslegung des zweiten, noch wird man § 823 Abs 2 als
Bestimmung verstehen dürfen, die ein für das gesamte Deliktsrecht geltendes
allgemeines Prinzip bei Verstößen gegen rechtliche Verhaltenspflichten jedweden
rechtsquellentheoretischen Ursprungs festlegt. Wenn es auch gelegentlich von
rechtspolitischen Zufälligkeiten abhängt, ob Verhaltensnormen bereits durch
positivierte Schutzgesetze oder durch richterliche Verkehrspflichten fixiert werden,
wirkt insbesondere § 823 Abs 2 durch den Rückgriff auf in Gesetzesform gegossene
Pflichtenprogramme nicht allein haftungspräzisierend. Vielmehr bezieht die Norm
daneben (und in der praktischen Bedeutung wichtiger) individualschützende
außerdeliktische Gesetze in das Gefüge des Deliktsrechts ein. § 823 Abs 2 dient
damit
zugleich
dem
Postulat
der
wertungsmäßigen
Einheit
der
Gesamtrechtsordnung. Die Norm ordnet als Rechtsfolgen diejenigen an, die
unmittelbar dem Ausgleich der Interessen der Normadressaten und dem von der
Norm Geschützten dienen. Hierin liegt auch der Grund, warum – nicht nur im Fall des
Ersatzes allgemeiner Vermögensschäden – jeweils zu prüfen ist, ob die Norm
wirklich (zumindest auch) Individualinteressen schützt. Im Übrigen hat sich der
17
deutsche Gesetzgeber die Entscheidung über die Haftung – insbesondere mittels §
823 Abs 2 – selbst und in Abkehr von einer deliktsrechtlichen Generalklausel nach
dem Modell der meisten Nachbarländer vorbehalten. Diese Prärogative des
Gesetzgebers darf auch über 100 Jahre nach Inkrafttreten des BGB weder durch
massive teleologische Restriktionen noch durch Extensionen insbes des § 823 Abs 2
übergangen werden.
2.
Sondertatbestände
Im Deliktsrecht sind insoweit überblicksartig zu nennen: §§ 824,
825, 829, 831, 832, 833, 834, 836, 837, 838, 839, 839 a BGB.
3.
Tatbestände außerhalb des BGB
S. insbes. die Gefährdungshaftungen (HaftpflichtG, StVG,
LuftVG, WHG, BBergG, AtomG, AMG, GenTG, ProdHaftG,
UmweltHG, BDSG, ZPO).
§ 2. Elemente und Aufbau des Deliktstatbestandes
I.
Aufbau der Verschuldenshaftung
II.
Ausnahmen vom Aufbauschema
1.
Schaden als Erfolg
Beispiel: §§ 826, 280 Abs. 1 BGB
2.
Offene Tatbestände
Sog. Rahmenrechte (Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Eingriff in den
Gewerbebetrieb, dazu später näher)
III.
Aufbauschema zu § 823 Abs. 1 BGB
§ 823 Abs 1 ist in gewissem Sinne stiltypische und stilbildende Norm des deutschen
Haftungs- und insbesondere des deutschen Deliktsrechts. In ihr erscheint die auch
im Prozeßrecht (ZPO §§ 286, 287) wiederkehrende Aufgliederung in
haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Tatbestand. Und im
haftungsbegründenden Tatbestand zeigt sich die klassische Dreiteilung in
Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Verschulden. Daraus ergibt sich zugleich, dass im
Rahmen von § 823 Abs 1 zwischen Gesamttatbestand, haftungsbegründendem und
haftungsausfüllendem Tatbestand zu unterscheiden ist. Innerhalb des
haftungsbegründenden Tatbestands bezeichnet die kausale, objektiv-zurechenbare
Verursachung eines in § 823 Abs 1 bezeichneten Verletzungserfolgs durch
menschliches Verhalten den Tatbestand im engeren Sinne. Aus der Normstruktur
wird zugleich ersichtlich, dass sich die Rechtswidrigkeit nur auf den Tatbestand im
18
engeren Sinne und sich das Verschulden darauf sowie auf die Rechtswidrigkeit zu
beziehen hat. Auf die zeitliche Dimension bezogen führt dies zu folgender
schematischer Struktur:
G e s a m t t a t b e s t a n d:
haftungsbegründender Tatbestand:
Verhalten
(Tun/Unterlassen)
haftungsausfüllender Tatbestand:
(Zeit)
Schaden
Verletzungserfolg
- haftungsbegründende Kausalität
und objektive Zurechnung
- Rechtswidrigkeit
- Verschulden
- haftungsausfüllende Kausalität
und objektive Zurechnung
Als Prüfungsschema folgt daraus:
1.
Haftungsbegründender Tatbestand
a)
Tatbestand im engeren Sinn
(1)
Verletzungserfolg
(2)
Verhalten (Tun/Unterlassen)
(3)
Kausalität und Zurechnung
(a)
Äquivalente Kausalität
(b)
Adäquate Kausalität (str.)
(c)
Schutzzweck und Schutzbereich der Norm (str.)
b)
Rechtswidrigkeit
c)
Verschulden
2.
Haftungsausfüllender Tatbestand
a)
Schaden
b)
Kausalität und Zurechnung
(1)
Äquivalente Kausalität
(2)
Adäquate Kausalität (str.)
(3)
Schutzzweck der Norm (str.)
3. § 254
IV. Erläuterungen und allgemeine Grundbegriffe:
1. Haftungsrelevantes Verhalten
Naturgemäß bildet nur menschliches Verhalten die Grundlage der Haftung (auch)
aus § 823. Darunter ist jedes willensgesteuerte, bewusste und beherrschbare
Verhalten in den Erscheinungsformen Tun oder Unterlassen gemeint. Daran fehlt es
namentlich dann, wenn jemand unter vis absoluta steht; Haftungsschuldner kann
dann aber selbstverständlich die Person sein, welche die vis absoluta ausgeübt hat.
19
Freilich kommt eine Vorverlagerung des haftungsrechtlichen Anknüpfungspunktes in
Betracht, wenn sich zB jemand mit Medikamenten, Drogen oder Alkohol in den
Zustand der Handlungsunfähigkeit versetzt hat, oder wenn sich ein Kfz-Fahrer
übermüdet ans Steuer setzt bzw übermüdet weiterfährt und während der Fahrt
einschläft (arg § 827 S 2). Unkontrolliertes Verhalten (Bewegung im Schlaf oder in
der Narkose während der Operation) ist für sich genommen dagegen nicht
haftungsrelevant; freilich kommt dann über § 829 iVm § 827 S 1 immer noch die
Billigkeitshaftung in Betracht. Zum Verhältnis des haftungsrechtlich relevanten
Verhaltens vom in § 827 S 1 aufgegriffenen Fall der Bewußtlosigkeit als scheinbarer
Entschuldigungsgrund (genau genommen fehlt es – von einer denkbaren
Vorverlagerung des haftungsrechtlichen Anknüpfungspunktes abgesehen – dann
bereits an einem menschlich zurechenbaren Verhalten)
2. Verletzungserfolg, Rechtswidrigkeit des Verhaltens und Verschulden im
Allgemeinen
Die grundsätzliche Einteilung der Haftungstatbestände in Tatbestand,
Rechtswidrigkeit und Verschulden bildet eines der großen Strukturprinzipien des
deutschen Haftungsrechts. Rudolf von Jhering war es, der diese Dreiteilung und
insbesondere den Begriff der Rechtswidrigkeit prägte, welcher sich später nicht nur
im deutschen Rechtskreis verbreitet hat. Wirft man einen Blick auf die
Konkretisierung dieser Merkmale in Deutschland und die Abgrenzung von
Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Verschulden, so trübt sich das Bild freilich alsbald.
Denn es herrscht ein noch näher aufzugliedernder Streit und Unklarheit, ob die
Rechtswidrigkeit undifferenziert durch einen eingetretenen Verletzungserfolg indiziert
ist (sog Lehre vom Erfolgsunrecht), ob stets erst der Verstoß gegen eine
Verhaltenspflicht die Rechtswidrigkeit begründet (sog Lehre vom Handlungsunrecht,
die in Österreich herrschend ist), oder ob zu differenzieren ist zwischen mittelbaren
(dann Verhaltensunrecht) und unmittelbaren (dann Erfolgsunrecht) bzw. unmittelbar
drohenden, bevorstehenden Eingriffen.
a) Grundlegung. Den Ausgangspunkt für das Verständnis der Regelung des §
823 Abs 1 bildet die Aufzählung der in § 823 Abs 1 genannten Rechtsgüter und
Rechte. Daraus wird zugleich deren vom Gesetzgeber anerkanntes, auch im
Deliktsrecht herausragendes Schutzbedürfnis deutlich. Dem liegt der Gedanke
zugrunde, dass die in dieser Vorschrift genannten Güter und Rechte durch andere
Personen grundsätzlich nicht beeinträchtigt werden sollen. Kommt es gleichwohl zu
einer von der Rechtsordnung missbilligten Verletzung, so soll die nach Maßgabe
dieser Bestimmung zu erbringende Schadensersatzleistung dem Betroffenen einen
Ausgleich für die ihm erwachsenen Schäden gewähren. § 823 Abs 1 setzt
dementsprechend voraus, dass eines der fraglichen Güter oder Rechte verletzt
20
worden ist. Damit rückt zunächst der Verletzungserfolg, das Verletzt-Sein eines
dieser Güter oder Rechte, ins Blickfeld. Für das Eingreifen der Haftung ist sodann
erforderlich, dass dieser Erfolg auf das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten
eines anderen zurückzuführen ist. Daraus ergibt sich die Kernfrage, welche
Verhaltensweisen es sind, die in diesem Sinne als rechtswidrige („unerlaubte“)
Verletzungshandlungen in Betracht kommen. Für das positive Tun ist hierzu als
erstes festzustellen, dass es, um die Haftung nach § 823 Abs 1 begründen zu
können, für den eingetretenen Erfolg auf jeden Fall ursächlich gewesen sein muß. Ist
das der Fall und ist dieser Ursachenzusammenhang beachtlich, stellt also die
Handlung eine die objektive Zurechenbarkeit begründende Bedingung
für den
eingetretenen Verletzungserfolg dar, so ist in ihr nach einer früher verbreiteten und
herrschenden, aber auch heute noch vertretenen Auffassung bereits eine
rechtswidrige Verletzungshandlung zu sehen, es sei denn, dass dem Handelnden ein
besonderer Rechtfertigungsgrund – wie etwa Notwehr – zur Seite steht, kraft dessen
ein sonst allgemein verbotenes Verhalten ausnahmsweise erlaubt ist (sog Lehre vom
Erfolgsunrecht).
b) Kritik. Gegen diese Ansicht über die Bestimmung und Abgrenzung des objektiv
Verbotenen hat sich seit geraumer Zeit Widerspruch erhoben. Wie sich im täglichen
Leben mit seinen vielfältigen, nicht zuletzt durch die Technisierung bedingten
Gefahren eindrücklich zeigt, will und kann die Rechtsordnung nicht grundsätzlich
jede Handlung untersagen, die geeignet ist, zur objektiv zurechenbaren Ursache
eines Verletzungserfolges iS des § 823 Abs 1 zu werden. Ist aber eine solche
Handlung im Zeitpunkt der Vornahme trotz ihrer Gefährlichkeit erlaubt, so kann sie
sinnvollerweise nicht nachträglich noch als unerlaubt abgestempelt werden, wenn sie
zu einem unerwünschten Verletzungserfolg geführt hat. Denn was erlaubt und was
verboten ist, muß – wenn die Rechtsordnung die Aufgabe erfüllen soll,
menschlichem Verhalten bestimmte Bahnen vorzuzeichnen – bereits im Zeitpunkt
des jeweiligen Handelns feststehen.
c) „Verkehrsrichtiges Verhalten“. Zu der hiernach erforderlichen genaueren
Bestimmung des Kreises der widerrechtlichen Verletzungshandlungen hat man
verschiedentlich in der Weise zu gelangen versucht, dass man annimmt, § 823 Abs 1
erfasse zwar zunächst jede einen Verletzungserfolg adäquat verursachende
Handlung, bei „sozialadäquatem“ und „verkehrsrichtigem“ Verhalten sei aber ein
Rechtfertigungsgrund gegeben, kraft dessen die Rechtswidrigkeit der Handlung
21
ausgeschlossen sei. In Deutschland wurde die intensive Diskussion um diese Frage
vor allem durch die Entscheidung BGHZ 24, 21 aus dem Jahre 1957 ausgelöst. Ein
Fahrgast war unter die anfahrende Straßenbahn geraten, als er die hintere Plattform
des Motorwagens besteigen wollte. Er wurde schwer verletzt. Es ließ sich nicht mehr
feststellen, ob er schon begonnen hatte, einzusteigen, als der Schaffner das
Abfahrtssignal gegeben hatte, oder ob er erst danach das Trittbrett bestieg. Im ersten
Fall hätte der Schaffner pflichtwidrig gehandelt, da er nicht abklingeln durfte, solange
noch ein Fahrgast einstieg. Im zweiten Fall hätte der Schaffner korrekt gehandelt.
Der Schadensersatzanspruch des Fahrgastes war gem § 831 davon abhängig, dass
der Schaffner den Schaden rechtswidrig zugefügt hatte. Der BGH rechtfertigte die
Verurteilung der Bahngesellschaft damit, dass die Umstände von der Gesellschaft
nicht
bewiesen
worden
seien,
welche
einen
vom
BGH
kreierten
Rechtfertigungsgrund des „verkehrsrichtigen Verhaltens“ getragen hätten. Gegen
diese Auffassung werden indessen mit Recht Bedenken geltend gemacht. In den
Fällen der herkömmlichen Rechtfertigungsgründe wie Notwehr, Einwilligung und dgl
werden Handlungen, die ihrer Art nach generell verboten sind, wegen besonderer
Umstände
ausnahmsweise
Gefährdungshandlungen
erheblichem
Umfang
erlaubt.
werden
ganz
Die
demgegenüber
allgemein
und
zur
von
nicht
Diskussion
stehenden
der
Rechtsordnung
nur
unter
in
bestimmten
Ausnahmevoraussetzungen hingenommen. Dem entspricht es, zur systematischen
Erfassung nicht von einem allgemeinen Verbot auszugehen und den Bereich der
erlaubten
Gefährdung
dann
unter
dem
Gesichtspunkt
der
Rechtfertigung
auszugrenzen, sondern jeweils positiv zu bestimmen, welche gefährdenden
Handlungen die Rechtsordnung untersagt.
BGHZ 24, 21:
.
1
1. Der Verlage an den Großen Senat für Zivilsachen liegt folgender
Sachverhalt zugrunde:
2
Der Kläger nahm am 2. Juni 1951 in L. an einer Familienfeier teil und
beabsichtigte, gegen 0.30 Uhr von der Haltestelle "Apotheke" in L. mit der von
22
der Beklagten betriebenen Straßenbahnlinie nach D. zurückzufahren. Als er
die vordere Plattform des Motorwagens besteigen wollte, erlitt er einen Unfall;
er wurde von der Straßenbahn überfahren und sein rechter Fuß so schwer
verletzt, daß der Unterschenkel amputiert werden mußte. Der Kläger hat für
seinen Schaden die Beklagte, den Führer und den Schaffner des
Motorwagens verantwortlich gemacht und zur Begründung seiner Ansprüche
vorgetragen:
3
Zu dem Unfall sei es gekommen, weil die Straßenbahn zu früh abgefahren
sei. Der Schaffner habe das Abfahrtssignal gegeben und der Fahrer sei
abgefahren, obwohl für beide erkennbar gewesen sei, daß er, der Kläger,
noch im Begriffe gewesen sei, auf die vordere Plattform zu steigen. Er habe
beim Abfahren vor der Türe gestanden und schon beide Einsteigegriffe erfaßt
gehabt. Auf das Notsignal des Schaffners habe der Fahrer nicht sofort
gehalten.
4
Mit der Klage hat der Kläger von der Beklagten, dem Straßenbahnfahrer und
dem Schaffner des Motorwagens Schadensersatz verlangt.
5
Die Beklagte, der Fahrer und der Schaffner haben die Ansprüche des Klägers
zum Teil anerkannt. Insoweit ist Anerkenntnisurteil ergangen. Im übrigen
haben die Genannten Abweisung der Klage beantragt und geltend gemacht:
6
Der Schaffner habe das Abfahrtssignal erst gegeben und der Fahrer den
Straßenbahnzug erst in Bewegung gesetzt, als nach der Aufforderung "Bitte
einsteigen" niemand mehr Anstalten gemacht habe, einzusteigen. Der Kläger
habe bei einer Gruppe von Personen gestanden, die nicht habe mitfahren
wollen, sei dann aber der fahrenden Straßenbahn nachgeeilt und habe
versucht, aufzuspringen. Auf das Notsignal habe der Fahrer sofort gehalten.
Der Kläger sei betrunken gewesen und habe den Unfall ausschließlich sich
selbst zuzuschreiben.
7
Das Landgericht hat dem Anspruch unter Beschränkung auf die Hälfte
stattgegeben.
8
Auf die Berufung des Klägers und die Anschlußberufung der Verurteilten hat
das Oberlandesgericht die Klage gegen den Straßenbahnfahrer und den
Schaffner abgewiesen und die Schadensersatzpflicht der beklagten
Bahngesellschaft zu zwei Dritteln für begründet erklärt.
23
9
Mit der Revision erstrebt die Beklagte die volle Abweisung der Klage.
10
2. Im Revisionsrechtszug ist in erster Linie die Frage streitig, ob die beklagte
Bahngesellschaft auch nach § 831 BGB für den Schaden haftet, den ihre
Hilfspersonen (Fahrer und Schaffner) verursacht haben. Diese Frage bedarf
der Prüfung, weil die Ansprüche des Klägers im Reichshaftpflichtgesetz nicht
in vollem Umfange ihre Stütze finden, vor allem nicht, soweit der Kläger
Schmerzensgeld begehrt.
11
Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nach § 831 BGB für
den Schaden des Klägers verantwortlich, weil der Straßenbahnfahrer,
vielleicht auch der Schaffner des Motorwagens, die Körperverletzung
widerrechtlich verursacht hätten und weil die Beklagte den Entlastungsbeweis
des § 831 Abs 1 Satz 2 Fall 1 BGB für ihre Verrichtungsgehilfen nicht
angetreten habe. Das Berufungsgericht ist auf Grund der Beweisaufnahme zu
dem Ergebnis gekommen, daß der Hergang des Unfalls nicht aufzuklären sei.
Es sei möglich, daß die Sachdarstellung des Klägers richtig sei, es sei aber
auch möglich, daß sich der Unfall in der von der Beklagten geschilderten
Weise abgespielt habe. Angesichts dieses negativen Ergebnisses der
Beweisaufnahme kann nach Ansicht des Berufungsgerichts die Möglichkeit
eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem zu vermutenden Auswahlund Überwachungs*-verschulden der Beklagten und dem eingetretenen
Schaden nicht ausgeschlossen werden (§ 831 Abs 1 Satz 2 Fall 2 BGB).
12
3. Der vorlegende VI. Zivilsenat trägt Bedenken, der Rechtsansicht des
Berufungsgerichts zu folgen. Die Bedenken richten sich vor allem gegen die
Auffassung, daß ein Verrichtungsgehilfe im Straßen- oder Eisenbahn*-verkehr
einem anderen im Sinne des § 831 BGB schon dadurch rechtswidrig Schaden
zufüge, daß er ihn körperlich verletze. Es wird zur Erwägung gestellt, ob nicht
zur Begründung der Widerrechtlichkeit weiter gefordert werden müsse, daß
sich der Verrichtungsgehilfe als Teilnehmer am Straßen- oder Eisenbahn*verkehr objektiv ordnungswidrig (verkehrswidrig) verhalten habe. Zur
Begründung wird auf die Rechtsordnungen über den Verkehrsablauf
hingewiesen, die das Verhalten der Verkehrsteilnehmer in immer
weitergehendem Maße im einzelnen regeln. Es wird ferner auf den
Rechtsgedanken der sozialen Adäquanz und Entwicklungen in der modernen
Strafrechtslehre Bezug genommen, insbesondere darauf, daß nach dieser
Lehre der Fahrlässigkeitsbegriff wesentliche Erfordernisse umfasse, die zum
Gebiet der Rechtswidrigkeit und nicht zur Schuld gehören. Werde das
Rechtswidrigkeitsurteil bei Verkehrsunfällen nicht schon an den eingetretenen
Erfolg, sondern erst an die Übertretung der für das Verhalten im Verkehr
geltenden Rechtsregeln geknüpft, so liegt es nach Ansicht des
Vorlageberichts nahe, daß die bisherige Auffassung über die
24
Beweislastverteilung bei Anwendung des § 831 BGB nicht mehr aufrecht
erhalten werden kann. Insbesondere soll das für Fälle gelten, die die
Gestaltung des Vorlagefalls aufweisen und eben dadurch gekennzeichnet
sind, daß angesichts der fehlenden Aufklärung des Unfallgeschehens ein
objektiv ordnungswidriges Verhalten des Verrichtungsgehilfen nicht
festgestellt werden kann.
13
Der VI. Zivilsenat mißt der Klärung dieser Rechtsfragen grundsätzliche
Bedeutung zu. Er hat sie daher gemäß § 137 GVG zur Entscheidung des
Großen Senats für Zivilsachen gestellt und wie folgt formuliert:
14
"Fügt ein Verrichtungsgehilfe im Straßen- oder Eisenbahn*-verkehr einem
anderen im Sinne von § 831 Abs 1 BGB schon dadurch widerrechtlich
Schaden zu, daß er dessen Leben, Körper, Gesundheit oder Eigentum
verletzt? Oder ist zur Begründung der Widerrechtlichkeit weiter
Voraussetzung, daß sich der angestellte Verkehrsteilnehmer im Verkehr
objektiv ordnungswidrig (verkehrswidrig) verhalten hat? Haftet der
Geschäftsherr, der sich für fehlendes Auswahl- oder Überwachungs*verschulden nicht entlastet, auch dann gemäß § 831 BGB, wenn nach der
Beweisaufnahme die Möglichkeit offen geblieben ist, daß der
Verrichtungsgehilfe die objektiven Sorgfaltspflichten eingehalten,
insbesondere die Vorschriften des Straßen- oder Bahn*-verkehrs
beobachtet hat?"
B.
15
1. Wenn § 831 BGB die Haftung des Geschäftsherrn davon abhängig macht,
daß sein Verrichtungsgehilfe einem anderen in Ausführung der Verrichtung
widerrechtlich Schaden zugefügt hat, so wird mit diesem Erfordernis an die
Gesetzestatbestände des Deliktsrechts angeknüpft, in denen die zum
Schadensersatz verpflichtenden unerlaubten Handlungen umschrieben und
abgegrenzt werden. Nicht jede Schädigung soll die Haftung auslösen, sondern
nur eine solche, die unter einen Haftungstatbestand des Deliktsrechts fällt und
damit "unerlaubte Handlung" im Sinne der §§ 823ff BGB ist. Damit ist für das
hier in Frage stehende Gebiet der Verkehrsunfälle in erster Linie ein
Zurückgreifen auf die Bestimmung des § 823 BGB, insbesondere dessen
Absatz 1 erforderlich. Aus den im Straßen- und Eisenbahn*-verkehr immer
wieder vorkommenden Verletzungen des Lebens, des Körpers, der
Gesundheit oder des Eigentums werden Schadensersatzansprüche
hergeleitet. Nun enthält auch die Bestimmung des § 823 Abs 1 BGB das
Erfordernis, daß die Verletzung der aufgezählten Rechtsgüter widerrechtlich
sein, also im Widerspruch zur Rechtsordnung stehen muß. Der Gesetzgeber
bringt aber dadurch, daß er den Unrechtstatbestand gesetzlich umschreibt,
zum Ausdruck, daß er die Verletzung der in § 823 Abs 1 BGB genannten
Rechtsgüter in der Regel als widerrechtlich ansieht. Durch den Zusatz
25
"widerrechtlich" weist er jedoch darauf hin, daß nicht notwendig mit der
Verletzung schon die Rechtswidrigkeit gegeben ist, sondern daß diese aus
besonderen Gründen entfallen kann. Man mag darüber streiten, ob dieser
Hinweis erforderlich war. Sicher ist er für die Rechtsanwendung wertvoll,
indem er den Richter darauf aufmerksam macht, daß jede tatbestandliche
Umschreibung eines Unrechtsverhaltens notwendig unvollkommen und daher
die Pflicht zur Prüfung ernst zu nehmen ist, ob nicht das zunächst bei
Erfüllung des Tatbestandes nahegelegte Urteil der Rechtswidrigkeit aus
besonderem Grund zurückgenommen werden muß. Darüber, wann ein
Rechtfertigungsgrund gegeben ist, hat das Bürgerliche Gesetzbuch keine
erschöpfende Regelung getroffen. Die zunächst vorgesehene Bestimmung
über die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund wurde bei der
Gesetzesberatung wieder gestrichen, weil man es der Rechtsanwendung
überlassen wollte, insoweit die Grenzen der Rechtfertigung abzustecken
(Protokolle Band II S 578). Auch im übrigen haben Rechtswissenschaft und
Rechtsprechung erst nach und nach jene Grundsätze entwickelt, die etwa aus
dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag, der Wahrung
berechtigter Interessen oder der Güterabwägung zum Ausschluß der
Rechtswidrigkeit herangezogen werden können. Es besteht also kein
abgeschlossener gesetzlicher Katalog von Rechtfertigungsgründen im Sinne
eines numerus clausus, der der Rechtsentwicklung von vornherein
hinzunehmende Grenzen setzen würde. Deshalb ist ein Eingehen auf die
Sache erforderlich, wenn der Vorlagebericht des VI. Zivilsenats die Frage zur
Erörterung stellt, ob nicht auf dem besonderen Gebiet des Straßen- und
Eisenbahn*-verkehrs ein zwar äußerlich den Tatbestand des § 823 Abs 1
BGB erfüllendes Verhalten dann von dem Urteil der Rechtswidrigkeit
freigestellt werden muß, wenn es im Einklang mit der gesetzlichen Ordnung
des Straßen- oder Eisenbahn*-verkehrs gestanden hat.
16
Den in dieser Richtung angestellten Gedankengängen des Vorlageberichts ist
im Grundsatz zuzustimmen. Zwar mag der Gesetzgeber des Bürgerlichen
Gesetzbuches nicht erkannt haben, daß hier Gesichtspunkte zur Erörterung
stehen, die schon die objektive Rechtswidrigkeit und nicht nur die Schuld im
Sinne einer persönlichen Zurechnung angehen. Erst mit der technischen
Entwicklung des Verkehrs und der Steigerung der Verkehrsgefahren
zeichneten sich jene Probleme ab, die sich aus dem modernen
Massenverkehr für die Rechtsordnung ergeben. Der Gesetzgeber wurde vor
die Notwendigkeit gestellt, durch immer mehr ins einzelne gehende
Rechtsvorschriften (Verkehrs- und Betriebs*-ordnungen) die Pflichten der
Verkehrsteilnehmer so zu regeln, daß die Gefahrenmöglichkeiten auf ein
möglichst geringes Maß herabgesetzt wurden. Gleichzeitig wurden die
Gesetzesbestimmungen über die Gefährdungshaftung ausgebaut, um die aus
dem modernen Verkehr zwangsläufig sich ergebenden Gefahren und Risiken
in ihrer wirtschaftlichen Auswirkung sozial angemessen zu verteilen. Dabei
wurde in zunehmendem Maße erkannt, daß es sich hierbei nicht um eine
Haftung für Unrecht handelt, sondern um eine den Beherrscher eines
Gefahrenbereichs treffende Pflicht, für gewisse typische Gefährdungsfolgen
seines Betriebs einzustehen (Esser JZ 1953, 129). Mit dieser
Rechtsentwicklung ist eine Auffassung nicht mehr vereinbar, die im
26
Deliktsrecht auch die unvermeidbaren Schädigungen des Straßen- und
Eisenbahn*-verkehrs als rechtswidrige Körper- oder Eigentums*-verletzungen
ansieht und nur unter dem Gesichtspunkt fehlender Schuld die
Schadenshaftung verneint. Indem die Rechtsordnung den gefahrvollen
Verkehr zuläßt und den Teilnehmern an diesem Verkehr im einzelnen
vorschreibt, wie sie ihr Verhalten einzurichten haben, spricht sie auch aus,
daß sich ein Verhalten unter Beachtung dieser Vorschriften im Rahmen des
Rechts hält. Es geht nicht an, ein Verkehrsverhalten, das den Ge- und Ver*boten der Verkehrsordnung voll Rechnung trägt, trotzdem mit dem
negativen Werturteil der Rechtswidrigkeit zu versehen. Hierfür gibt der
eingetretene Erfolg keinen ausreichenden Grund her, da das Urteil der
Rechtswidrigkeit im Sinne der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches
über unerlaubte Handlungen die zum Erfolg führende Handlung nicht
unberücksichtigt lassen kann. Es ist daher der Satz aufzustellen, daß bei
verkehrsrichtigem (ordnungsgemäßem) Verhalten eines Teilnehmers am
Straßen- oder Eisenbahn*-verkehr eine rechtswidrige Schädigung nicht
vorliegt.
17
Dahingestellt mag bleiben, ob es sich bei diesem Ergebnis um einen
Sonderfall der Anwendung des Rechtsgedankens der sogenannten sozialen
Adäquanz handelt. Es braucht angesichts der Beschränkung der
Fragestellung auf das Gebiet des Verkehrsrechts ebenfalls darauf
eingegangen zu werden, ob dasselbe Ergebnis auch dadurch zu gewinnen ist,
daß auf die neuere Auffassung der strafrechtlichen Dogmatik zurückgegriffen
wird, die den Fahrlässigkeitsbegriff aufspaltet, indem sie die Prüfung der
Einhaltung der objektiv erforderlichen Sorgfalt zur Rechtswidrigkeit rechnet
und nur die Frage der Zurechnung des mißbilligten Verhaltens an den
einzelnen Täter als Schulprüfung versteht (Welzel, Deutsches Strafrecht, 5.
Aufl S 104ff; derselbe, Das neue Bild des Strafrechtssystems, 3. Aufl S 31ff;
Henkel, Festschrift für Mezger 1954, 249 (282)). Bedenken müßten jedenfalls
angemeldet werden, wenn dieser komplexe Fahrlässigkeitsbegriff der neueren
Strafrechtslehre mit der Folgerung in das Zivilrecht übernommen würde, daß
auch im Haftungsrecht stets unter dem Gesichtspunkt einer besonderen
Schuldprüfung an das Verhalten des Schädigers ein individueller, die
besondere Persönlichkeitsartung berücksichtigender Beurteilungsmaßstab
anzulegen wäre (vgl Nipperdey, Festschrift für Alex Meyer, 1954, 95 (100);
Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts 1955, § 211
II). Damit wäre zwar äußerlich eine Harmonisierung der rechtlichen
Begriffsbildung erreicht, aber den wesensgemäßen Unterscheidungen nicht
Rechnung getragen, die sich aus der spezifischen Eigenart und Zwecksetzung
zweier verschiedener Rechtsgebiete ergeben. Insbesondere würde diese
Auffassung der Vorschrift des § 276 Abs 1 Satz 2 BGB, wie sie in der
Rechtsanwendung stets verstanden ist, nicht gerecht (vgl Niese JZ 1956, 457
(465)).
18
2. Die Vorlagefrage macht nunmehr die Prüfung erforderlich, welche
Folgerungen sich aus dem dargelegten Standpunkt für die
27
Beweislastverteilung ergeben. Dabei ist zunächst der Hinweis zu wiederholen,
daß der Gesetzgeber durch die Aufstellung einzelner Deliktstatbestände dem
Richter die Prüfung erleichtern will, ob eine Unrechtshandlung vorliegt oder
nicht. Anders als bei einer deliktischen Generalklausel, die der Wertung des
Richters notwendig einen großen Spielraum lassen muß, geben die das
haftungsbegründende Unrecht in kasuistischer Art umschreibenden
Deliktstatbestände der §§ 823 bis 825 BGB der Rechtsanwendung eine feste
Grundlage, indem sie das Rechtswidrigkeitsurteil zunächst nahelegen. So ist
auch bei Verletzung der im § 823 Abs 1 BGB besonders genannten
Rechtsgüter, die das Gesetz in bevorzugter Weise schützen will, die
Heranziehung eines besonderen Rechtfertigungsgrundes erforderlich, wenn
dargetan werden soll, daß eine Verletzung ausnahmsweise nicht das
Unwerturteil der Rechtswidrigkeit verdient (Motive Band II S 726; RGZ 50, 60
(65); Enneccerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse 1954, S 912, 915).
Das gilt unabhängig davon, ob die Verletzungshandlung von einem
Verletzungsvorsatz getragen war. Dieses im System unserer
Deliktsrechtsordnung begründete und in der Rechtsanwendung bewährte
Verhältnis von Regel und Ausnahme hat gemäß den anerkannten
Grundsätzen des Beweisrechts die Folge, daß dem Verletzer eines
geschützten Rechtsguts der Beweis für das Vorliegen eines
Rechtfertigungsgrundes obliegt (RG SeuffArch 81, 50; RGZ 159, 235 (240);
RG JW 1930, 3400). In dieser Hinsicht kann der Rechtfertigungsgrund des
verkehrsrichtigen Verhaltens im Straßen- und Eisenbahn*-verkehr keine
Sonderstellung beanspruchen.
19
Diese Beweislastverteilung bedeutet bei der Anwendung des § 823 Abs 1
BGB auf Verkehrsunfälle, daß der Schädiger, indem er den Beweis für sein
verkehrsrichtiges Verhalten antritt, das Vorliegen eines
Rechtfertigungsgrundes dartun kann. Ist der Beweis geführt, wird die
Schuldprüfung gegenstandslos, weil es schon an einer rechtswidrigen
Schadenszufügung fehlt. Ist dagegen die Frage des verkehrsrichtigen
Verhaltens des Schädigers ungeklärt, so ist von einer rechtswidrigen
Verletzungshandlung auszugehen. Die Haftungsfrage ist damit noch nicht
entschieden. Denn § 823 Abs 1 BGB setzt weiter voraus, daß die
Verletzungshandlung (vorsätzlich oder) fahrlässig war. Der Geschädigte muß
also beweisen, daß der Schädiger (vorsätzlich oder) iS des § 276 Abs 1 Satz
2 BGB fahrlässig gehandelt, also die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer
acht gelassen hat. Auch bei dieser Prüfung wird es natürlich wesentlich darauf
ankommen, ob die Verhaltungsvorschriften der Verkehrsordnung eingehalten
sind. Daß die nämliche Frage des verkehrsrichtigen Verhaltens auf dem
Gebiet der Rechtswidrigkeit und dem Gebiet der Schuld Bedeutung gewinnen
kann, ist bedingt durch die Fassung und rechtliche Einordnung des
Fahrlässigkeitsbegriffs, wie sie dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde
liegen. Für die praktische Rechtsanwendung bleibt es bei dem Ergebnis, daß
der Geschädigte die vollen Voraussetzungen des auf § 823 Abs 1 BGB
gestützten Schadensersatzanspruchs beweisen muß und daß demgemäß von den Fallgestaltungen des Beweises des ersten Anscheins abgesehen eine mangelnde Aufklärung des Sachverhalts zu seinen Lasten geht.
28
20
Anders ist die Beweislastverteilung bei Anwendung des § 831 BGB. Hier ist
vom Gesetzgeber bewußt die Haftung des Geschäftsherrn nur davon
abhängig gemacht, daß der Verrichtungsgehilfe rechtswidrig, nicht auch
davon, daß er vorsätzlich oder fahrlässig den Schaden zugefügt hat. Es
können also, soweit es sich um das Verhalten des Verrichtungsgehilfen
handelt, nur die Beweislastgrundsätze zur Anwendung kommen, die die
Ebene der Rechtswidrigkeit betreffen. Demgemäß muß der Geschädigte
beweisen, daß der Verrichtungsgehilfe eines der im § 823 Abs 1 BGB
geschützten Rechtsgüter durch eine adäquat ursächliche Handlung verletzt
hat. Dem Geschäftsherrn obliegt dagegen der Beweis, daß das Verhalten des
Verrichtungsgehilfen rechtmäßig (verkehrsrichtig) war, weil es der
gesetzlichen Ordnung des Straßen- oder Eisenbahn*-verkehrs entsprach.
Zweifel gehen insoweit zu Lasten des Geschäftsherrn. Andererseits fehlt es
dann, wenn ein verkehrsrichtiges Verhalten des Verrichtungsgehilfen
feststeht, bereits an einer Anspruchsvoraussetzung des § 831 BGB, so daß es
nicht mehr eines Eingehens darauf bedarf, ob der Beweis des fehlenden
ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem zunächst vermuteten Auswahloder Überwachungs*-verschulden und dem Schadenseintritt geführt werden
kann (Entlastungsbeweis 2 des § 831 Abs 1 Satz 2 BGB). Unter dem letzteren
Gesichtspunkt hatte das Reichsgericht die Haftung des Geschäftsherrn dann
verneint, wenn zur Überzeugung des Richters feststand, daß auch ein
sorgfältig ausgewählter und beaufsichtigter Angestellter in der gegebenen
Lage nicht anders hätte handeln können (RGZ 135, 149 (155); 159, 312
(315)). Daß die Erbringung des ersten Entlastungsbeweises des § 831 Abs 1
Satz 2 BGB ein Eingehen auf die Frage der rechtswidrigen Schädigung
entbehrlich macht, versteht sich von selbst.
21
Es ist nicht zu verkennen, daß bei Verkehrsunfällen, die in ihrem Ablauf
ungeklärt geblieben sind, die dargelegte Beweislastregelung den
Geschädigten für den Fall besser stellt, daß der Verrichtungsgehilfe und nicht
der Geschäftsherr selbst den Unfall verursacht hat. Im letzteren Falle wird die
Haftung des Geschäftsherrn in der Regel ausscheiden, da ein Verschulden
nicht festgestellt werden kann, bei Verursachung durch den
Verrichtungsgehilfen dagegen haftet der Geschäftsherr, der den
Entlastungsbeweis für fehlendes Auswahl- und Überwachungs*-verschulden
nicht führen kann. Doch ist diese Besserstellung vom Gesetzgeber erkennbar
gewollt, indem er, soweit das Verhalten des Verrichtungsgehilfen in Betracht
kommt, geringere Anspruchsvoraussetzungen aufgestellt hat. Hierin liegt ein
gewisser Ausgleich dafür, daß im übrigen die Rechtslage des von einem
Verrichtungsgehilfen Geschädigten infolge der möglichen und meist zum Zuge
kommenden Entlastung recht ungünstig ist. Gerade wegen dieses
Zusammenhangs geht es nicht an, den für den Geschädigten günstigen Teil
der Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuches über die deliktische Haftung für
Hilfspersonen in der Rechtsanwendung beiseitezuschieben. Berücksichtigt
man, daß in dieser Regelung - wenn auch unvollkommen - der Gedanke des
Einstehens für ein Betriebsrisiko zum Ausdruck kommt, so ist es auch nicht
unangemessen, demjenigen, aus dessen Bereich die Gefährdung
29
hervorgegangen ist, eine Beweisführung über das Zustandekommen der
Schädigung zuzumuten, zu der er zwar nicht immer, aber doch in der Regel
eher in der Lage sein wird als derjenige, auf den das Ereignis zugekommen
ist. Auch soweit es sich um die Beschaffung der "Vorrichtungen und
Gerätschaften" handelt, wozu die Verkehrsmittel zu rechnen sind, hat das
Gesetz aus dem gleichen Grund dem Geschäftsherrn im Rahmen des § 831
BGB eine gesteigerte Aufklärungs- und Beweis*-pflicht auferlegt. Steht die
Würdigung des Verhaltens des Verrichtungsgehilfen zur Erörterung, muß
zudem der Gesichtspunkt Beachtung finden, daß der Verrichtungsgehilfe - das
ist der Sinn der Beweisumkehrung - so lange als für seine Aufgabe
ungeeignet anzusehen ist, bis der Geschäftsherr die Beachtung der im § 831
Abs 1 Satz 2 BGB näher umschriebenen Sorgfalt dargetan hat.
d) Verhaltensbezogene Rechtswidrigkeit. Diese Bestimmung wird heute weithin
unter dem Aspekt der Verletzung sog Verkehrs(sicherungs-)pflichten vorgenommen.
Eine Handlung, die geeignet erscheint, im weiteren Verlauf der Dinge zur Verletzung
eines geschützten Rechtsgutes oder Rechtes zu führen, wird hiernach nur dann als
unerlaubt
angesehen,
wenn
sie
gegen
eine
derartige
Pflicht
verstößt.
Verkehrs(sicherungs)pflichten kommt damit deliktsrechtlich eine ähnliche Bedeutung
zu wie Schutzgesetzen iS von § 823 Abs 2, soweit diese Verhaltensnormen
beinhalten und sich nicht – wie im Falle strafrechtlicher Erfolgsdelikte wie StGB §§
223, 229 – in der Statuierung eines hintan zu haltenden Erfolges erschöpfen. Im
Schrifttum wird sogar verschiedentlich angenommen, Verstöße gegen die in Frage
stehenden Verkehrspflichten seien systematisch nicht unter § 823 Abs 1, sondern
unter Abs 2 dieser Vorschrift einzuordnen. Festzuhalten bleibt de lege lata aber an
dem grundsätzlichen Bezug der genannten Verkehrssicherungspflichten auf die
Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs 1, der die Einordnung der zur Erörterung
stehenden Haftung bei dieser Vorschrift angezeigt erscheinen läßt.
Mit der Einsicht in die grundsätzliche Bedeutung, die der Verletzung sog Verkehrsund Sorgfaltspflichten für die Haftung nach § 823 Abs 1 zukommt, ist das Problem
jedoch noch nicht endgültig gelöst. Es stellt sich vielmehr die weitere Frage, was
diese Pflichten im einzelnen gebieten und unter welchen Voraussetzungen
dementsprechend ein Verstoß gegen sie anzunehmen ist. Der Gedanke, dass man
auf die Verletzung spezieller Pflichten abzustellen hat, bezeichnet daher für die
Suche nach der tatbestandsmäßigen Abgrenzung zwischen Erlaubtem und
Unerlaubtem zunächst gewissermaßen nur eine Leitlinie, die das Augenmerk
namentlich darauf lenkt, dass es auf das jeweilige Verhalten und nicht nur auf den
30
ausgelösten Erfolg ankommt und dass es unter diesem Blickwinkel festzustellen gilt,
welche Handlungsweisen in dem stets mit Gefahren verbundenen menschlichen
Zusammenleben hinzunehmen sind und welche nicht.
e) Subjektiv gefärbte Rechtswidrigkeit; Verschuldensmaßstab. Neben der
großen Gruppe von Handlungen, die nach dem Gesagten allein um ihrer objektiven
Sozialschädlichkeit willen ohne Rücksicht auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit des
Handelnden als rechtswidrig anzusehen sind, können freilich durchaus auch Fälle
auftreten, in denen eine Verhaltensweise nur dann die Grenzen der vorgezeichneten
Ordnung überschreitet, wenn sie durch Verschuldenselemente, namentlich den
Vorsatz (sog subjektiv gefärbte Rechtswidrigkeit, etwa im Rahmen von § 826) oder
grobe Fahrlässigkeit geprägt wird. Derartiges kommt beispielsweise bei Schädigung
eines Gewerbebetriebes durch missbräuchliche Erhebung einer auf ein angebliches
Schutzrecht gestützten unbegründeten Unterlassungsklage in Betracht. Auch bei den
Unterlassungsdelikten ist an diese Möglichkeit zu denken. Freilich wird dadurch die
Grenze zwischen Rechtswidrigkeit und Verschulden (mit dem Vorsatz als
Verschuldensform) zusätzlich verwischt. Und das gleiche droht, wenn - wie in
Deutschland - nach von den zivilrechtlichen Wertungszusammenhängen zutreffend
erscheinender hM die Fahrlässigkeit objektiv-typisierend verstanden wird. Noch
undurchsichtiger wird das dogmatische Dickicht, wenn man bei der Konkretisierung
der Fahrlässigkeit als Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt zwischen innerer
und äußerer Sorgfalt differenziert: Im Falle von unmittelbaren Verletzungsweisen ist
dann die Rechtswidrigkeit indiziert; innere wie äußere Sorgfalt erscheinen insoweit
als Bestandteil des Verschuldens. Handelt es sich um mittelbare Verletzungsweisen,
wirkt die Verletzung der äußeren Sorgfalt (als äußerlich normwidriges Verhalten mit
dem Maßstab der Sorgfalt im Höchstmaß) rechtswidrigkeitsbegründend, während die
innere Sorgfalt (als - objektivierte! - Erkennbarkeit der äußeren Umstände und der
Norm selbst) Verschuldensbestandteil ist. Zu achten ist freilich darauf, dass der
Unterschied zwischen Gegenstand und Maßstab der Fahrlässigkeit als wichtigste
Verschuldensform nicht verwischt wird. Genau das geschieht aber, wenn man liest,
es sei verfehlt, in einem vom objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab geprägten
(deutschen) Haftungsrecht von innerer Sorgfalt, also (!) subjektiver Fahrlässigkeit zu
sprechen.
f) Mittelbare und unmittelbare Verletzungen. Vielfach wird die Ansicht geäußert,
dass man im Rahmen des § 823 Abs 1 grundsätzlich zwischen unmittelbaren
31
Eingriffen und mittelbaren Verletzungen unterscheiden müsse. Während das
Verhalten im zweiten Fall nur unerlaubt sei, wenn es gegen eine der erwähnten
Verkehrspflichten verstoße, seien unmittelbare Eingriffe schlechthin rechtswidrig,
ohne dass es auf die Verletzung einer derartigen Pflicht ankomme. Zu dieser
Unterscheidung ist zunächst zu bemerken, dass man sicher auch die unmittelbaren
Eingriffe – worin immer man ihr maßgebliches Kriterium im einzelnen erblicken mag
– unter dem Aspekt der Pflichtverletzung sehen kann, insofern nach herkömmlicher
Auffassung die allgemeine Pflicht besteht, die von der Rechtsordnung als unerlaubt
bezeichneten Handlungen zu unterlassen. Genau genommen geht es daher um den
unmittelbar drohenden Eingriff; bereits gegen ihn muß Notwehr und müssen
Abwehransprüche möglich sein. Und fragt man von hier aus nach der Bedeutung, die
der verletzten Pflicht in den beiden Bereichen zukommt, so stößt man zunächst auf
die Gemeinsamkeit, dass der Ansatzpunkt hier wie dort im Problem des Schutzes
bestimmter Rechtsgüter und Rechte gegen beeinträchtigende Verhaltensweisen
liegt. Eine Differenzierung ergibt sich dann freilich hinsichtlich der näheren
Ausgestaltung dieses Schutzes. Während Handlungen, welche die geschützte
Position mit einiger Sicherheit „unmittelbar“ verletzen, wegen dieser Beziehung zum
Schutzobjekt im allgemeinen ohne weiteres verboten sind, hängt die Bewertung von
Verhaltensweisen, die zunächst nur eine Verletzungsgefahr begründen, nach dem
Gesagten vielfach von weiteren Umständen ab. Dieser Unterschied dürfte indessen
mehr ein gradueller als ein struktureller sein. Im Bereich des Verschuldens entspricht
es der geschilderten Lage, dass zu einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung nach
§ 823 Abs 1 generell ein auf den Verletzungserfolg gerichteter Vorsatz gehört, eine
Vorsatztat iS dieser Bestimmung also nicht schon dann vorliegt, wenn sich Wissen
und Wollen des Täters zwar auf die Vornahme einer wegen ihrer Gefährlichkeit
verbotenen Handlung, nicht aber auch auf den durch diese herbeigeführten
Verletzungserfolg beziehen. Wie die hM mit Recht annimmt, muß dann im Grundsatz
Entsprechendes auch für die Fahrlässigkeit gelten.
g) Unterlassen. Eine unerlaubte Verletzungshandlung im Sinne des Deliktsrechts
kann – darüber war man sich bereits bei der Abfassung des Gesetzes im klaren –
nicht nur in einem positiven Tun, sondern auch in einem Unterlassen bestehen.
Voraussetzung ist hierfür zunächst, dass derjenige, dessen Verhalten zu beurteilen
ist, tatsächlich eine Handlung hätte vornehmen können, die den eingetretenen
Verletzungserfolg verhindert hätte. Da die Rechtsordnung aber sicher nicht verlangt,
32
dass jeder, soweit er dazu nur irgendwie in der Lage ist, zur Abwendung aller
drohenden Verletzungserfolge eingreift, müssen weitere Umstände vorliegen, aus
denen sich für die in Frage stehende Person eine besondere Rechtspflicht zur
Abwendung des Erfolgs ergibt. Allgemein können sich Handlungspflichten aus einer
Garantenstellung sowie aus gesetzlich vorgesehenen Fürsorgepflichten ergeben.
Dabei können die zu StGB § 13 entwickelten Kriterien auch im zivilen Deliktsrecht
weitgehend,
wenn
auch
gelegentlich
mit
Modifikationen
(s
Rz
115
zur
Rechtswidrigkeitsbegründung durch rechtmäßiges gefährliches vorangegangenes
Tun), herangezogen werden. Die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen spielt
freilich aufgrund der Verkehrspflichten, welche die Rechtsprechung entwickelt hat,
nicht eine ebenso entscheidende Rolle wie im Strafrecht. Der Tätigkeit steht die
Untätigkeit gegenüber. Für die Abgrenzung kommt es nicht nur auf die tatsächliche
Seite,
sondern
auch
auf
das
wertende
Moment
an.
Letztlich
ist
eine
Schwerpunktbetrachtung entscheidend, bei der in der Gefahrerhöhung durch den
Täter (in Gestalt einer gefährdenden Annäherung an das fremde Recht oder
Rechtsgut) das wesentliche Kriterium liegt. - Die Pflicht zum Handeln kann
ausdrücklich in Gesetzen begründet sein. Zu nennen sind hierbei gesetzlich
vorgesehene Fürsorgepflichten (Eltern-Kind-Verhältnis) sowie das Verhältnis der
Eheleute untereinander. Hinzuweisen ist sodann auf die StGB §§ 138 (Nichtanzeige
geplanter Straftaten), 323 c (unterlassene Hilfeleistung) i.V.m. §§ 823 Abs 2.
Anerkannt sind weiter Handlungspflichten aus Vertrag. Ebenso steht es im Fall
weiterer enger Beziehungen, etwa bei enger Freundschaft, aber auch dann, wenn
bestimmte Personen vertraglich oder nach der Verkehrsauffassung zur Obhut
verpflichtet sind (Kindergärtnerinnen, Werkführer, Sportlehrer, Nachbarn außerhalb
von § 832). Hinzu tritt die Pflicht zur Aufsicht über den eigenen Herrschaftsbereich;
die Parallele dieser Pflicht zu den Verkehrssicherungspflichten ist evident. Bei der
Pflicht zum Handeln aus vorangegangenem Tun (Ingerenz) besteht eine besondere
Nähe zum Übernahmeverschulden und zur actio libera in causa (§ 827 S. 2).
h) Verkehrssicherungspflichten. Eine für das Haftungsrecht besonders wichtige
Rolle spielen in diesem Zusammenhang die bereits erwähnten und von der
Rechtsprechung entwickelten mannigfachen Pflichten, die auf den Grundsatz
zurückgeführt werden, dass derjenige, der eine Gefahrenlage schafft oder in seinem
Bereich
andauern
lässt,
die
nach
den
Umständen
erforderlichen
Sicherungsmaßnahmen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat – Pflichten, die
33
man heute vielfach ganz allgemein als Verkehrssicherungspflichten bezeichnet.
Dabei wird, wenn man noch einmal von der Frage ausgeht, wie die Rechtsordnung
gegenüber gefährlichen Verhaltensweisen reagiert, an diesen Pflichten sehr deutlich,
dass zwischen dem unbedingten Verbot auf der einen und der uneingeschränkten
Hinnahme auf der anderen Seite noch die dritte Möglichkeit besteht, gefährliche
Verhaltensweisen mit der gewissermaßen einschränkenden Maßgabe zuzulassen,
dass für die erforderliche Sicherung gesorgt werden muß (was selbstverständlich
nicht heißt, dass sich Sicherungspflichten nur aus einem erlaubten Tun ergeben
könnten). Zwischen dem Verstoß gegen eine aus einem gefährlichen Tun
resultierende Handlungspflicht und der Pflicht zur Unterlassung eines gefährlichen
Tuns besteht, so gesehen, eine enge Verwandtschaft. Auch für das in der Verletzung
der
Sicherungspflicht
kulminierende
Geschehen
liegt
hier eben
doch
der
tatbestandsmäßige Ansatzpunkt in einem (gefährlichen) Tun, was keineswegs bei
allen Unterlassungsdelikten der Fall ist. Aus dieser Lage erklärt sich, warum in den
erwähnten Bereichen der Verlauf der Grenzlinie zwischen Begehungs- und
Unterlassungsdelikt in besonderem Maße zweifelhaft werden kann, aber auch
vielfach nicht von entscheidender Bedeutung ist, ohne dass deshalb die
grundsätzliche Verschiedenheit der beiden Deliktsformen zu leugnen wäre.
i) Zusammenfassung. Zusammenfassend läßt sich festhalten, dass die zunächst
einmal im Rahmen von § 823 Abs 1 herrschende Erfolgsunrechtslehre heute nur
noch
bei
„unmittelbaren“,
genauer:
im
Falle
unmittelbar
rechts-
oder
rechtsgutsgefährdenden Verhaltensweisen (im Sinne von positivem Tun) eingreifen
kann. Bei Unterlassungen und den sog mittelbaren Verletzungen indiziert
demgegenüber
nach
heute
weitgehend
anerkannter
Meinung
die
bloße
Verursachung einer Rechts- oder Rechtsgutsverletzung die Rechtswidrigkeit nicht. In
diesen Bereichen ist vielmehr Handlungsunrecht im Sinne der Verletzung einer
Pflicht erforderlich. Nur bei unmittelbaren Verletzungshandlungen, bei denen der
Erfolgseintritt direkt (d.h. ohne weitere menschliche Zwischenursache) auf die
Handlung folgt, kann es dabei bleiben, dass die bloße Verursachung der Rechtsoder Rechtsgutsverletzung bzw (genauer) einer entsprechenden Gefährdung das
Rechtswidrigkeitsurteil begründet. Damit sind in der Tat zwar die meisten
theoretischen
Fallgruppen,
in
der
Rechtswirklichkeit
aber
keineswegs
der
„Löwenanteil des Deliktsrechts“ dem Handlungsunrecht überlassen worden. Denn es
bleiben weitgehend als „unmittelbare“ Verletzungen Phänomene wie Verkehrsunfälle,
34
weiter zB die deliktische Haftung des Arztes sowie die einfache Schlägerei uam und
damit bei der Rechtswidrigkeitsindikation in Übereinstimmung mit der klassischen
erfolgsbezogenen
(oder
genauer:
gefährdungsbezogenen)
Unrechtslehre.
Zu
beachten ist schließlich, dass weithin Einigkeit – auch mit den Vertretern der rein
handlungsbezogenen Unrechtskonzeption – darüber erzielt worden ist, dass die
Frage eine eher dogmatische ohne weitreichende praktische Relevanz ist. Deshalb
besteht bezogen auf das deutsche Recht einstweilen wenig Anlass, von der hM
abzuweichen. Dazu veranlasst auch nicht ein künftiges Europäisches Zivilrecht. Zwar
wird sich die Trennung von Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Verschulden in einem
Europäischen Zivilrecht kaum ohne weiteres durchsetzen lassen. Doch ist der
europäische Diskussionsprozess keineswegs entschieden.
3.
Kausalität und Zurechnung
Ist nach dem Gesagten nicht jedes Verhalten rechtswidrig, das in zurechenbarer
Weise zur Verletzung eines geschützten Rechts oder Rechtsguts führt, so sind
umgekehrt
einem
rechtswidrigen
Verhalten
auch
nicht
notwendig
alle
Verletzungserfolge zurechenbar, die es auslöst. Eine Haftung kommt vielmehr
grundsätzlich nur hinsichtlich solcher Folgen des rechtswidrigen Verhaltens in
Betracht, die kausal verursacht sowie auch im übrigen objektiv zurechenbar sind. Da
§ 823 Abs 1 ein mehraktiger Tatbestand ist, sind die jeweiligen Kriterien
insbesondere der objektiven Zurechnung für den haftungsbegründenden und den
haftungsausfüllenden Tatbestand nicht denknotwendig gleichermaßen geeignet.
a) naturgesetzlich-faktische Kausalität. Sowohl für den Haftungsgrund als auch für
die Haftungsausfüllung ist im Prinzip die Kausalität erforderlich. Damit ist zunächst
Ursächlichkeit im naturwissenschaftlichen Sinn gemeint. Die conditio sine qua nonFormel (die haftungserhebliche Handlung kann nicht hinweggedacht werden, ohne
dass der Erfolg entfiele; der Haftungsgrund kann nicht hinweggedacht werden, ohne
dass der Schaden entfiele) beinhaltet genau genommen eine Verkürzung des
Äquivalenzkriteriums.
Präziser
ist
im
Rahmen
der
Äquivalenzlehre
die
naturgesetzliche Wiederholbarkeit unter gleichbleibenden Umständen erforderlich.
Unter gleichbleibenden Umständen muß der Vorgang den Nachteil notwendig zur
Folge haben. Geht es um die Kausalität der Unterlassung, kommt es darauf an, ob
die objektive Möglichkeit der Erfolgsabwendung bestand bzw ob das unterbliebene
Tun den Erfolgseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert
35
hätte. Im Haftungsrecht wird demgegenüber – ohne dass offengelegt werden würde,
warum – zumeist definiert, es müsse feststehen, ob nach Maßgabe des individuellen
Unfallgeschehens pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des konkreten Erfolges mit
Sicherheit verhindert haben würde.
Mehr noch als im Bereich der Unterlassens-Kausalität ist es erforderlich, im Bereich
der sog psychischen oder psychisch vermittelten Kausalität Abstriche an der
Gewißheit zuzulassen. Hier ist schon streitig, ob psychische Faktoren in der
Ereigniskette – gewissermaßen deterministisch – unter Naturgesetzen stehen oder
ob eine Möglichkeit besteht, seinen Willen heute in der einen und morgen in einer
anderen Weise zu betätigen, was von vornherein dem Abheben auf die
Wiederholbarkeit unter gleichen Bedingungen oder auf das Hinwegdenken der
entscheidenden Bedingung entgegenstehen würde. Jedenfalls muß man sich im
Bereich der psychischen oder psychisch vermittelten Kausalität mit mehr oder
weniger großen Wahrscheinlichkeiten zufrieden geben; in der Sache ist eine
Abschleifung des Beweismaßes erforderlich.
b)
Adäquanz
und
Normzwecklehre.
Mit
der
Kausalität
im
Sinne
der
Äquivalenztheorie hat die objektive Zurechnung noch nicht ihr Bewenden. Denn die
Haftungsfolgen würden nach einhelliger Meinung in zu weitgehendem Maße
zugerechnet werden. Es bedarf daher weiterer normativer Korrekturen. Diese
Korrekturen erfolgen zum einen über die Adäquanztheorie und zum anderen über die
Normzwecklehre (die im niederländischen BW als Import aus Deutschland sogar in
Gesetzesform gegossen worden ist, Art 6:163 BW). Nach – wenngleich kaum noch –
vertretener Auffassung soll die Adäquanztheorie die Normzwecklehre grundsätzlich
verdrängen. Häufiger wird umgekehrt die Adäquanztheorie insgesamt als von der
Normzwecklehre verdrängt angesehen. Nach hM sollen beide Kriterien kumulativ
eingreifen können. Der Streit beruht nicht zuletzt darauf, dass der Adäquanztheorie
in ihrer Entwicklung verschiedenartige Inhalte beigelegt worden sind; zum Teil ist es
auch heute noch nicht anders. Ihre ersten Protagonisten hoben das Merkmal der
Gefahrerhöhung
und
insbesondere
die
Notwendigkeit
einer
teleologischen
Ausrichtung bei der Umschreibung der Adäquanz hervor, was eine Nähe zur
heutigen Schutzzwecklehre herstellt. Später wurde darauf abgestellt, ob das
Verhalten generell den Eintritt der Folge begünstigt hat. Dabei wurde letztlich auf die
Voraussehbarkeit (Kenntnis oder Erkennbarkeit) aus der Sicht des Täters abgestellt,
36
und die Nähe zur Fahrlässigkeit wurde evident. Die Rechtsprechung schied teilweise
nur (negativ) noch völlig unvorhersehbare Umstände aus (ZB BGHZ 57, 137, 141;
RGZ 105, 336, 338; RGZ 78, 270, 272). Teilweise wurde die Adäquanz aber auch
positiv dahin umschrieben, der Schadenseintritt dürfe nicht ebenso wahrscheinlich
sein wie ohne die in Rede stehende Handlung. Heute liegt der wesentliche
Unterschied der Adäquanz zur Fahrlässigkeit darin, dass die Voraussehbarkeit im
Sinne
der
Adäquanz
von
der
Voraussehbarkeit
im
Sinne
fahrlässiger
Begehungsweise folgendermaßen zu trennen ist: Die Adäquanz rekurriert nicht auf
den engeren Verkehrskreis der Fahrlässigkeit, sondern auf die menschenmögliche
Voraussicht schlechthin. Das freilich führt dazu, dass der Adäquanzgedanke – in
dieser Ausformung konsequent verfolgt – letztlich nur noch in geringem Maße zu
dem fähig ist, wozu er entwickelt worden war, nämlich zu einer angemessenen
Begrenzung der Haftung. Um der Adäquanz noch eine wirkliche Funktion als
Haftungskorrektiv beizulegen, wird deshalb teilweise an die Stelle des optimalen,
nahezu allwissenden Beobachters, den es doch realiter nicht gibt, ein „erfahrener“
Beobachter gesetzt.
Es verwundert nicht, dass die Adäquanztheorie in ihrer Ausrichtung an dem
Kenntnisstand des optimalen Beobachters einerseits Ergebnisse hervorrief, die als
zu weitgehend angesehen wurden, andererseits aber auch die Haftung wegen
angeblich fehlender Adäquanz abgelehnt wurde, obwohl man von einer völligen
Unvorhersehbarkeit im Sinne der Adäquanztheorie kaum sprechen konnte. Zudem
verschleiert die so verstandene Adäquanz auch ihr methodisches Fundament, hat sie
doch
zunächst
im
Gebot
teleologischer
Gesetzesauslegung
ihre
originäre
Rechtfertigung gefunden. Insgesamt erweist sich das Adäquanzkriterium als Unterfall
der Normzwecklehre in einem weit verstandenen Sinn. Als allgemeines, an
Wahrscheinlichkeitsprognosen
anknüpfendes
und
daher
Zurechnungskriterium
sie
aus
dem
kann
generell
eher
statisches
Erfordernis
einer
zweckentsprechenden Begrenzung der Haftung aus den haftungsrechtlichen
Rechtsfolgenormen
abgeleitet
werden.
Gerade
der
Gesichtspunkt
der
Methodenehrlichkeit in Gestalt der Verdeutlichung, aus welcher Norm oder welchen
Normen ein bestimmtes Kriterium zur Bestimmung der Reichweite der Haftung folgt,
spricht freilich dafür, das Erfordernis der Adäquanz als selbständiges Kriterium
beizubehalten. Das bedeutet nicht, dass das Kriterium der Adäquanz nicht im
Einzelfall durch den Schutzzweck der konkret verletzten Verhaltensnorm korrigiert
37
werden könnte und müßte. Indes zeigt gerade der (weithin anerkannte) Satz, ganz
fernliegende, unwahrscheinliche Schäden seien regelmäßig nicht mehr zuzurechnen,
dass es sich hierbei um einen allgemeinen Grundsatz handelt. Wenn von dieser
Regel (eben der der Adäquanz) abgewichen werden soll, bedarf dies besonderer
Begründung (etwa in Gestalt des besonderen Zwecks der übertretenen Norm).
In Bezug auf § 823 Abs. 1 ist das Kriterium der Adäquanz im Rahmen der
haftungsbegründenden Kausalität freilich insgesamt bedeutungslos. Denn die
Ersatzpflicht
wird
insoweit
in
der
Tat
schon
durch
das
(engere)
Verschuldenserfordernis begrenzt. Daran fehlt es freilich im Rahmen von § 831. Das
erforderliche Verschulden des Geschäftsherrn hat hier andere Bezugspunkte.
Ebenso steht es im Rahmen von § 1004. Will man namentlich im Rahmen der §§
831, 1004 von dem Satz, dass es des Adäquanzkriteriums nicht bedarf, nicht
abweichen, ist die Adäquanz auch im Rahmen des Haftungsgrundes einheitlich zu
prüfen.
Ohne praktische Relevanz bleibt auch die Frage, ob
weitere besondere
Zurechnungskriterien allgemeiner Natur (wie die Sonderproblematik der sog.
Schockschäden, aber auch die sog. Herausforderungsfälle) integrale Bestandteile
der Schutzzwecklehre sind oder eigenständige Zurechnungskriterien darstellen bzw
im Rahmen der Adäquanztheorie zu verorten sind. Hinter derlei Fragen steht der
Befund, dass die Bezugspunkte der Schutzzwecklehre, ihr dogmatischer Standort
und ihr Verhältnis zu anderen Haftungsbeschränkungen letztlich ungeklärt geblieben
sind. Meist wird nicht deutlich, auf den Zweck welcher Norm (Tatbestandsnorm,
Rechtsfolgenorm oder beider Normen) abzustellen ist. Im Rahmen von § 823 Abs 2
ist anerkannt, dass es jedenfalls auch auf den Schutzzweck und Schutzbereich der
Verhaltensnorm ankommt, also des Schutzgesetzes.
Doch können besondere Zwecke der konkreten Verhaltensnorm, insbesondere im
Bereich
von
Schutzgesetzen,
Verkehrssicherungspflichten,
dazu
aber
ebenso
führen,
dass
im
Bereich
die
von
allgemeinen
Zurechnungskriterien eingegrenzt werden. Die Regel, dass die Vermeidung ganz
entfernt liegender Schäden im allgemeinen nicht in den Schutzbereich der verletzten
Verhaltensnorm fällt (unter dem Aspekt der fehlenden Adäquanz), kann kaum aus
dem Schutzbereich einer konkret verletzten Verhaltensnorm abgeleitet werden,
sondern sie folgt aus der grundsätzlichen Abwägung der Freiheitsinteressen des
Täters mit den Schutzinteressen des Opfers. Sehr unwahrscheinliche Folgen werden
38
grundsätzlich der Sphäre des Opfers zugeschlagen; sie sind zu (er-)tragen. Indes
können abweichende Zwecksetzungen der konkret verletzten Schutznorm dieser
Regel (und damit den Wertungen und Zwecksetzungen der Rechtsfolgenorm)
vorgehen. So erfassen Sicherheitsvorschriften, die besonders große und schwer
abschätzbare Gefahren vermeiden sollen, ggf eben auch und gerade entlegene (und
zumindest
statistisch) fernliegende
Risiken.
Ebenso
ist es denkbar, dass
Schädigungen, die normalerweise in den von jedem selbst zu tragenden Bereich des
„allgemeinen Lebensrisikos“ fallen, aufgrund von besonderen Zwecken und
Wertungen
der
konkret
verletzten
Schutznorm
ausnahmsweise
dem
Täter
zugerechnet werden. Der Zweck des Schutzgesetzes kann schließlich zu
Einschränkungen der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs wegen
vorsätzlichen Dazwischentretens (novus actus interveniens) führen. So sollen etwa
Bewachungspflichten das intervenierende Eingreifen eines Dritten, etwa eines
Diebes, unterbinden. Verletzt der Wächter diese Pflicht, haftet er trotz des
intervenierenden Diebstahls. Auf der gleichen Linie liegt es, dass der Schutzbereich
des StVG § 21 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Nr 1 (fahrlässiges Zulassen des Fahrens ohne
Fahrerlaubnis) geradezu typischerweise ein vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis
durch eine dritte Person erfaßt, weil dadurch drohende Gefahren für andere
Verkehrsteilnehmer hintan gehalten werden sollen. Der Aspekt des novus actus
interveniens wird in diesen Zusammenhängen durch den Zweck des Schutzgesetzes
verdrängt. Zugerechnet wurden weiter unter dem Aspekt der Freiheitsberaubung und
der Vergiftung Vergewaltigungen durch einen Dritten, dem eine ihrer Freiheit
beraubte und betäubte Frau im Zustand der Hilf- und Willenlosigkeit überlassen
worden war. Das Opfer soll durch die verletzten Verhaltensnormen gerade vor den
Folgen der Hilf- und Willenlosigkeit geschützt werden. Weder wurde die Adäquanz
abgelehnt, noch eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch das
Dazwischentreten des Zweittäters angenommen.
Für die Bestimmung des Schutzbereichs, nicht nur eines Schutzgesetzes, sondern
auch im Rahmen der sog Verkehrs(sicherungs)pflichten, ist dabei der persönliche,
sachlich-gegenständliche (bezogen auf das geschützte Interesse) und modale
Schutzbereich in Rechnung zu stellen. Insgesamt sind Einschränkungen der
objektiven Zurechnung unter den Aspekten der Normzwecke von Tatbestandsnorm
sowie Rechtsfolgenorm sowohl im Rahmen der haftungsbegründenden als auch im
Rahmen der haftungsausfüllenden Zurechnung angezeigt. Im Rahmen von § 823
Abs 1 entfaltet die Prüfung des Schutzbereichs der konkret verletzten
Verhaltensnorm innerhalb des haftungsbegründenden Tatbestands besondere
Bedeutung, und zwar namentlich im Bereich von VerkehrssicherungspflichtVerletzungen. So liegt im Recht der Straßenverkehrsunfälle ein Zweit-(Auffahr-)
39
Unfall nicht mehr im (modalen) Schutzbereich des verschuldeten Erstunfalls, wenn
es zu dem Zweitunfall nur deshalb kommt, weil der Verursacher des Zweitunfalls
ordnungsgemäße und ausreichende Absicherungsmaßnahmen nicht beachtet, die
nach einem die Fahrbahn versperrenden oder verengenden Erstunfall getroffen
worden sind. Zwar liegt dann kein Fall der sog Unterbrechung des
Zurechnungszusammenhangs wegen vorsätzlichen oder wenigstens grob
fahrlässigen novus actus interveniens vor. Doch ist es in derlei Fällen ggf letztlich
unwesentlich, ob das bestehende Hindernis durch einen vorangegangenen Unfall
oder aus anderen Gründen (zB einen Stau) geschaffen wurde, so dass der Schaden
nicht mehr im modalen Schutzbereich der Norm liegt. – Freilich hat v Bar
(Verkehrspflichten, 1980, S 181 ff.) die Berechtigung der Schutzbereichsprüfung und
der
Normzwecklehre
selbst
bezogen
auf
die
Verletzung
von
Verkehrs(sicherungs)pflichten in Frage gestellt. Und in der Tat besteht hier von
Vornherein die Möglichkeit, diese Pflichten sogleich auf die Besonderheiten des
Einzelfalles zuzuschneiden und zu formulieren. Bei Verkehrs(sicherungs)pflichten
kann daher die Konkretisierung des Schutzbereichs der betreffenden Pflicht schon in
deren Formulierung mit eingehen, so dass sich eine darüber hinausgehende
Ermittlung des Schutzbereichs dieser Pflicht damit im Wesentlichen erübrigt. Anders
liegt
es
freilich
bei
bereits
in
abstrahierter
Form
konsolidierten
Verkehrs(sicherungs)pflichten, die richter- oder gewohnheitsrechtlich verfestigt sind
und daher schriftlich fixierten, abstrakter formulierten Gesetzen nahe kommen.
Wichtige Entscheidungen zum Problemkreis psychisch vermittelter Kausalverläufe
und Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs (ungenau: des
Kausalzusammenhangs):
BGHZ 57, 25
Tatbestand
1
Am 24. Juni 1967 traf der Kläger, der als Betriebsoberaufseher der Deutschen
Bundesbahn in H. auf der Strecke Hauptbahnhof-A. Fahrkartenkontrollen
durchführte, den damals 23jährigen Beklagten auf dem Bahnhof S. ohne
Fahrtausweis an. Er versuchte, den Beklagten zur Zahlung des erhöhten
Fahrgeldes von 20,-- DM oder zur Vorlage seines Ausweises zu veranlassen,
um die Personalien festzustellen. Der Beklagte ergriff jedoch schließlich die
Flucht und lief an der Sperre vorbei die Treppe zum Bahnhofsausgang
hinunter. Der Kläger verfolgte ihn und suchte ihn noch auf der Treppe zu
ergreifen. Am Fuß der Treppe stürzte der Kläger. Er erlitt einen komplizierten
Schenkelhalsbruch am linken Bein.
2
Der Kläger verlangt vom Beklagten Ersatz des ihm entstandenen Schadens,
soweit er nicht von dritter Seite getragen wird.
3
40
Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage zu zwei Dritteln
stattgegeben. Die zugelassene Revision des Beklagten ist ohne Erfolg
geblieben.
Entscheidungsgründe
4
Das Berufungsgericht bejaht in Übereinstimmung mit dem Landgericht nach §
823 Abs 1 BGB die Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger zwei Drittel des
Schadens zu ersetzen, den er infolge des Sturzes auf der Treppe des
Bahnhofs erlitten hat. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben
im Ergebnis keinen Erfolg.
5
1. Zu dem im einzelnen streitigen Unfallhergang hält das Berufungsgericht
zwar einen auf den Sturz des Klägers gerichteten Zugriff seitens der
Beklagten nicht für erwiesen. Das gilt insbesondere von dem Vorbringen des
Klägers, der Beklagte habe ihn mittels eines Polizeigriffs gepackt, über sich
hinweg auf die Treppenstufen oder die Fliesen am Fuß der Treppe geworfen
und dort durch Schüttelbewegungen gegen die Stufen geschleudert. Das
Berufungsgericht stellt aber jedenfalls fest, daß der Beklagte infolge seiner
nicht mehr beherrschten Geschwindigkeit auf der Treppe gefallen und der
Kläger sodann über ihn hinweg gestürzt ist, wobei er sich den
Schenkelhalsbruch zugezogen hat.
6
2. Damit hat der Beklagte die Körperverletzung des Klägers im Sinne des
Bedingungszusammenhangs verursacht.
7
Das Berufungsgericht führt weiterhin aus, dieser Ursachenzusammenhang
zwischen dem Verhalten des Beklagten und der Körperverletzung des Klägers
sei auch adäquat.
8
Es mag dahinstehen, ob der Adäquanz nur im Bereich der
haftungsausfüllenden Ursächlichkeit ein Platz zukommt, wie man zunehmend
unter Hinweis auf die haftungsbeschränkende Funktion dieses
Zurechnungsgrundes meint, die bei der Haftungsbegründung bereits durch
das Erfordernis schuldhaften Verhaltens erfüllt werde (Esser, SchR I 4. Aufl §
44 II 1 S 300; Lorenz, JZ 1964, 179, 180; Deutsch, JZ 1967, 641; vgl Huber,
JZ 1969, 677, 680 und Stoll, Kausalzusammenhang und Normzweck im
Deliktsrecht, 1968 S 20; unterscheidend: Weitnauer, Festgabe für Karl
Oftinger, 1969 S 321, 325/326), oder ob sie auch im Bereich der hier in Frage
stehenden haftungsbegründenden Ursächlichkeit rechtliche Bedeutung
gewinnt, wovon das Berufungsgericht ausgeht (E.-Lehmann, SchR 15. Aufl §
41
15 I S 63/64; Esser, SchR 2. Aufl § 59, 10 S 229; Medicus, Bürgerliches Recht
3. Aufl § 25 I 1a, b, 2; Brox, Besonderes Schuldrecht S 249 Nr 1b, Rn 438;
Palandt/Thomas, 28. Aufl § 823, 5; vgl auch BGHZ 41, 123, 125; Adäquanz im
Bereich der Haftungsbegründung; vgl ebenfalls BGH Urt v 24. März 1964 - VI
ZR 33/63 = LM BGB § 823 (C) Nr 32 = NJW 1964, 1363; Urt v 3. Februar
1967 - VI ZR 115/65 = LM BGB § 823 (C) Nr 36 = VersR 1967, 580 = JZ 1967,
639 m Anm Deutsch). Denn wenn man die Adäquanz auch in diesem Bereich
für erforderlich hält, bestehen - vorbehaltlich der Erwägungen zu 3 - gegen
ihre Bejahung hier aus den insoweit zutreffenden Gründen des
Berufungsgerichts keine ernsthaften Bedenken. Auch die Revision räumt
einen adäquaten Zusammenhang zwischen der Flucht des Beklagten und
seinem Sturz ein. Entgegen ihrer Meinung ist aber auch der fernere Verlauf,
nämlich der Sturz des Klägers über den Beklagten und die hierbei erlittene
Körperverletzung, nicht besonders eigenartig, unwahrscheinlich und nach dem
gewöhnlichen Lauf der Dinge außer Betracht zu lassen. Im Gegenteil lag ein
solcher Sturz des Verfolgenden durchaus nahe.
9
3. Der durch das Verhalten des Beklagten verursachte Verletzungserfolg
(Körperverletzung) ist auch im übrigen, ohne daß es auf die Erwägungen zu 2
ankommt, dem Beklagten im Rechtssinne objektiv zuzurechnen.
10
a) Hierfür ist entscheidend, daß der Beklagte, für ihn erkennbar, durch sein
Weglaufen ohne Notwendigkeit in zurechenbarer Weise eine Lage erhöhter
Verletzungsgefahr für den Kläger geschaffen hat, indem er die mit dem
Gesetz in Einklang stehende Verfolgung durch den Kläger herausforderte,
obgleich er die nicht unerhebliche Gefährdung voraussehen und vermeiden
konnte (vgl von Caemmerer, DAR 1970, 283, 291 unter Hinweis auf Nökel,
Rechtsstellung des Nothelfers, Anglo-Amerikanisches im Vergleich zum
Deutschen Recht, Diss Freiburg 1968 S 96ff, 102ff; von Caemmerer,
Festschrift DJT II 1960, 49, 74; Huber aaO S 679; vgl auch Stoll,
Kausalzusammenhang aaO S 32). Der Kläger war zur Verfolgung des
Beklagten jedenfalls berechtigt. Ihm stand nicht nur das Recht aus § 127
StPO zu, sondern auch die Ausübung des Selbsthilferechts (§ 229 BGB), das
der Bahn zur Sicherung ihres Anspruchs gegen den Beklagten zukam.
Demgegenüber standen dem Beklagten für seine Flucht keine schutzwürdigen
Belange zur Seite. Durch sein Weglaufen suchte er sich nach einer strafbaren
Handlung (§ 265a StGB) der Feststellung seiner Personalien zu entziehen,
obgleich er zu deren Offenlegung und damit auch zum Verbleiben zu ihrer
Feststellung bürgerlich-rechtlich schon auf Grund der zwischen ihm und der
Bahn bestehenden schuldrechtlichen Sonderverbindung sogar verpflichtet
war.
11
Daß der eigentliche Zurechnungsgrund die Schaffung des gekennzeichneten
gesteigerten Gefahrenzustandes ist, auf Grund dessen der Verfolgende eine
Verletzung der in der Rechtsordnung deliktisch geschützten Rechtsgüter oder
42
Rechte erleidet, klingt bereits in den Ausführungen des Urteils des
erkennenden Senats vom 24. März 1964 (VI ZR 33/63 = aaO) zur Begründung
der objektiven Zurechnung an. In derartigen Gefahrenlagen, so ist dort
ausgeführt, wird das Eingreifen (dort) opferbereiter Dritter nahezu
zwangsläufig herausgefordert (vgl auch BGHZ 43, 178, 181). So ist diese
Entscheidung auch verstanden worden (von Caemmerer, DAR aaO S 291
unter Hinweis auf Nökel aaO; vgl auch Stoll aaO).
12
b) Daß der Kläger durch sein Dazutreten, nämlich durch seinen Entschluß zur
Verfolgung und dessen Ausführung, eine neue Gefahr gesetzt hat und damit
ein Schadensrisiko eingegangen ist, schließt die Zurechnung der verursachten
Rechtsgutverletzung nicht ohne weiteres aus.
13
Allerdings gibt es, wie allgemein anerkannt ist, Fälle, in denen der Ausschluß
der Zurechnung geboten ist, obgleich an sich ein Ursachenzusammenhang
besteht und auch der Schutzzweck der die Haftung begründenden Norm
keinen Anhalt für eine Begrenzung hergibt (vgl Larenz, SchR I 10. Aufl § 27 III
3 S 322; ders Festschrift f Honig, 1970, S 79, 83o). In diesem Zusammenhang
werden ua eben die Fälle erörtert, in denen die Schadensfolge auf einem
selbständigen oder "freien" Entschluß des Verletzten selbst (oder eines
Dritten) beruht. Diese Gestaltung wird meist unter dem Gesichtspunkt und der
Bezeichnung "Unterbrechung" oder Abbruch des (adäquaten)
Ursachenzusammenhangs behandelt (vgl dazu: Larenz, SchR I aaO;
Weitnauer, aaO S 345; Esser, SchR I 4. Aufl § 44 III 2c S 305; Deutsch aaO;
vgl auch Oftinger, Schweiz Haftungsrecht Bd I 2. Aufl S 91ff). Ohne Rücksicht
darauf, ob man diesem Gesichtspunkt dem Bereich der Adäquität des
Ursachenzusammenhang oder einem daneben stehenden
Zurechnungsbereich zuordnet (vgl Larenz, SchR I 10. Aufl § 27 III 3;
Festschrift f Honig S 322; Esser aaO), ändert sich nichts an seiner
Erheblichkeit. So ist anerkannt, daß sich diese Frage der Zurechnung, wenn
sie auch meist nur im haftungsausfüllenden Bereich von Belang wird, auch im
Rahmen der haftungsbegründenden Zurechnung stellen kann (Larenz, SchR I
10. Aufl § 27 III 3 N 1 S 324 unter Hinweis auf BGH Urt v 3. Februar 1967 - VI
ZR 115/65 = aaO; vgl auch BGH Urt v 24. März 1964 - VI ZR 33/63 = aaO; Urt
v 1. Februar 1966 - VI ZR 196/64 = VersR 1966, 368).
14
Auch im Streitfall liegt es so. Die Verfolgung und damit die Körperverletzung
des Klägers beruht (auch) auf seinem eigenen selbständigen freien
Willensentschluß. Bei solcher Lage erscheint eine Zurechnung der
Schadensfolge allerdings dann nicht gerechtfertigt, wenn der Entschluß des
Verletzten (Dritten), der eine neue Gefahr schafft, durch den
haftungsbegründenden Vorgang nicht herausgefordert ist (vgl BGH Urt v 24.
März 1964 - VI ZR 33/63 = aaO), wenn das Verhalten des die erste Ursache
Setzenden lediglich den äußeren Anlaß und nur die Gelegenheit für den
Verletzten (Dritten) darstellt, sich zusätzlich einem unfallfremden Risiko
43
auszusetzen (vgl BGH Urt v 12. Februar 1963 - VI ZR 181/62 = LM BGB § 823
(C) Nr 28 = NJW 1963, 1671). Wird aber der selbständige Entschluß des
Verletzten (Dritten) durch den haftungsbegründenden Vorgang
herausgefordert, so ist in der Regel die Verantwortlichkeit nicht schon wegen
des Dazutretens des Verletzten (Dritten) ausgeschlossen (Larenz, SchR I
aaO; Festschrift f Honig S 79, 87). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der
Verfolgende sich des Risikos eigener Verletzung bewußt war oder nicht. So
liegt der Fall hier.
15
c) Diese im Grundsatz anerkannte Unterscheidung und Einschränkung
bezweckt haftungsrechtlich, im Bereich psychisch vermittelter Kausalität bei
Dazutreten eines selbständigen Entschlusses des Verletzten oder eines
Dritten nicht ohne weiteres für sämtliche im Sinne des
Bedingungszusammenhangs ursächliche Verletzungsfolgen - vorbehaltlich
des Verschuldens - schlechthin einstehen zu lassen. Bei dieser Fallgruppe ist
die objektive Zurechnung der verursachten Verletzung somit nicht
selbstverständlich. Vielmehr ist eine genauere Bestimmung der
Voraussetzungen für die wertende Einschränkung geboten. Das kommt
bereits darin zum Ausdruck, daß ein herausgefordertes Dazutreten
(Eingreifen) zur Bejahung der Zurechnung vorausgesetzt wird. Diesem
Erfordernis ist nicht bereits genügt, wenn sich der Verletzte (Dritte) tatsächlich
zum Eingreifen hat bewegen lassen. Außer dieser psychischen Verursachung
ist notwendig, daß sich der Eingreifende zum Handeln herausgefordert fühlen
durfte, und zwar überhaupt und gegebenenfalls in der gewählten Art und
Weise. Wann ein Eingreifen in diesem Sinne als herausgefordert zu werten
ist, hängt von den Umständen ab. So hat der erkennende Senat im Urteil vom
24. März 1964 (VI ZR 33/63 = aaO) - dort bei Erörterung der Adäquanz ausgeführt, daß bei Gefahr für Leib und Leben das Eingreifen opferbereiter
Dritter, und zwar nicht nur in den Fällen rechtlicher und sittlicher Pflicht zur
Rettung, nahezu zwangsläufig herausgefordert werde. Für den Fall der
Verfolgung eines nach Verkehrsunfall Flüchtigen hat er dort weiter ausgeführt,
es hänge von dem Verhältnis des von dem Flüchtenden angerichteten und
noch drohenden Schadens zu den Wagnissen der Verfolgung ab, ob gesagt
werden könne, jener habe mit dem Unfall und der Flucht objektiv auch das
Risiko weiterer Unfälle bei seiner Verfolgung gesetzt. Das hat der erkennende
Senat dort bejaht; es lag ebenso bei der im Urteil vom 3. Februar 1967 (VI ZR
115/65 = aaO) beurteilten Sachlage vor (hierzu zustimmend: von Caemmerer,
DAR 1970, 283, 291 unter Hinweis auf Nökel aaO S 99).
16
Auch bei dieser Sicht ist im übrigen nicht ausgeschlossen, daß der
Ersatzanspruch des Eingreifenden durch ein mitwirkendes Verschulden auf
seiner Seite gemindert wird, was das Berufungsgericht hier auch bejaht hat
(vgl dazu Deutsch aaO S 643 aE).
17
44
Der Senat brauchte nicht darüber zu befinden, ob die damit geforderte
Verhältnismäßigkeit zwischen Zweck und erkennbarem Risiko des Eingreifens
für die verschiedenen Fallgruppen - etwa für die Fälle der Rettung und die der
Verfolgung - einheitlich zu beurteilen ist oder nicht (vgl dazu Deutsch aaO S
643). Bereits im Urteil vom 24. März 1964 (VI ZR 33/63 = aaO) klingt an, daß
ein Eingreifen Dritter bei einer Gefahr für Leib und Leben als "nahezu
zwangsläufig herausgefordert" anzusehen ist und damit Schäden des Retters
weithin ohne Einschränkung zu ersetzen sind, während die Antwort bei
weniger bedrohlichen Situationen von der Wertung der besonderen Umstände
abhängt (vgl zu dieser Fallgruppe auch: Larenz, SchR I 10. Aufl § 27 III 3 S
323). Denn diese Verhältnismäßigkeit unterliegt hier nach der zutreffenden
Wertung des Berufungsgerichts keinen durchgreifenden Bedenken. Das
allerdings hier gesteigerte Risiko der Verfolgung zu Fuß über die, wie der
Beklagte vorgetragen hat, steile und langgezogene Treppe stand nicht außer
Verhältnis zu dem Anliegen des Klägers, für die Bahn zur Sicherstellung ihres
bürgerlich-rechtlichen Anspruchs die Personalien des Beklagten festzustellen.
Außerdem diente es einer wirksamen Durchführung der Fahrkartenkontrolle
und damit zugleich der Abschreckung vor Schwarzfahrten (vgl zur Prävention:
Deutsch, JZ 1971, 244). Welche schließliche Auswirkung das Risiko hat, ist
nicht entscheidend, denn es kommt auf die bei Übernahme des Risikos
erkennbare Gefahrenlage an.
18
d) Soweit eine Haftung des Verfolgten für die Verletzungs- und Schadens*folgen hiernach gerechtfertigt ist, beschränkt sie sich auf die gesteigerten
Risiken der Verfolgung. Dagegen hat er, wie schon das Erfordernis des
inneren Zusammenhangs mit dem Grund der Haftung naheliegt, das normale
Risiko des Eingreifenden jedenfalls bei der Gruppe der Verfolgungsfälle nicht
zu tragen (Deutsch aaO S 642; vgl auch Lüer, Die Begrenzung der Haftung
bei fahrlässig begangenen unerlaubten Handlungen, 1969, S 150 u). Legt
man die Feststellungen des Tatrichters zugrunde, so hat sich ein durch die
Verfolgung deutlich erhöhtes Risiko verwirklicht. Der Kläger mußte zur
Verfolgung die steile und langgezogene Treppe mit einer hohen
Geschwindigkeit hinablaufen, um den Beklagten einholen und seiner habhaft
werden zu können.
19
4. Das Berufungsgericht hat schließlich im einzelnen zutreffend ausgeführt,
daß der Beklagte die Körperverletzung des Klägers fahrlässig verursacht hat.
20
Zunächst mußte der Beklagte bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen
Sorgfalt damit rechnen, daß der Kläger ihn weiterhin verfolgen werde. Es
mußte für ihn naheliegen, daß ein Kontrollbeamter entsprechend dem Sinn
und Zweck der Überwachung und seiner Aufgabe eine Person, die Fahrgeld
hinterzogen und hierdurch eine strafbare Handlung nach § 265a StGB
begangen hat, verfolgt. Der Tatrichter stellt sogar fest, daß der Beklagte die
Aufnahme und Fortsetzung der Verfolgung durch den Kläger erkannt hat. Der
45
Kläger hatte den Beklagten bereits an der Sperre vor der Treppe erreicht, wo
dieser sich dem Zugriff entziehen konnte. Der Beklagte wußte den Kläger aber
auch auf der Treppe unmittelbar hinter sich mit dem Vorhaben, ihn zu
ergreifen. Unter diesen Umständen unterliegt auch die weitere Annahme des
Berufungsgerichts keinen rechtlichen Bedenken, der Beklagte habe ebenfalls
voraussehen können, daß der Kläger bei der schnellen Verfolgung über die
Treppe körperliche Schäden davontragen könne. Die Verfolgung führte zu
einer erhöhten für den Beklagten erkennbaren Gefahr für den Kläger, als der
Beklagte in Kenntnis der Verfolgung die Flucht fortsetzte und die Treppe
hinabstürmte, um sich der Festnahme zu entziehen.
21
Auf den Einwand der Revision, der Beklagte habe vernünftigerweise nicht
damit zu rechnen brauchen, daß er selbst stürzen und der Kläger dann über
ihn fallen und in solchem Hergang verletzt werde, kommt es nicht an. Die
Vorhersehbarkeit braucht sich nur darauf zu erstrecken, daß der Kläger bei
dem Hergang irgendwie körperlich zu Schaden kommen könne, aber nicht
darauf, daß er gerade in dem schließlich verwirklichten Ablauf verletzt werde
(von Caemmerer, Festschrift DJT 1960 II S 75 Nr 114 mwN; Stoll, AcP 162,
203, 234).
BGH NJW 1971, 1982
Haftung eines Flüchtigen für Körperschaden des Verfolgenden
BGB § 823
Wer sich einer berechtigten Verfolgung durch Flucht entzieht, haftet für einen
dadurch bedingten Körperschaden des Verfolgenden nur, wenn dieser
Schaden die Folge eines gesteigerten Risikos der Verfolgung ist.
BGH, Urteil vom 13. 7. 1971 - VI ZR 165/69 (Bremen)
Am 17. 9. 1966 verließ die damals 16jährige Beklagte heimlich ihr Elternhaus und
wollte mit zwei weiteren minderjährigen Mädchen per Anhalter nach H. fahren. Die
Mädchen wurden am Abend desselben Tages von der Polizei an der
Bundesautobahn nahe dem Br.-Kreuz aufgegriffen und als ausweis- und mittellose
Jugendliche in polizeilichen Gewahrsam genommen. In der Folge wurde die Beklagte
von der Polizei dem Hauptgesundheitsamt Br. zur Untersuchung auf
Geschlechtskrankheiten zugeführt. Da sie eine Untersuchung durch den dort Dienst
46
tuenden Arzt verweigerte, verfügte das Amt ihre Einweisung in die Dermatologische
Klinik der Städtischen Krankenanstalten. Dorthin wurde sie in einem polizeilichen
Transportfahrzeug gefahren. Beim Aussteigen ergriff sie die Flucht. Der
Polizeimeister B. verfolgte sie. Als er einen feuchten, frisch geschnittenen Rasen
überquerte, glitt er aus, stürzte und zog sich einen Muskelriß an der Beugeseite des
linken Oberschenkels mit einem Bluterguß zu. Er war dadurch vorübergehend
dienstunfähig.
Die Klägerin macht kraft Rechtsübergangs gemäß § 87 BremBeamtenG einen
angeblichen Schadensersatzanspruch des Polizeimeisters B. aus § 823 BGB
geltend. Sie hat vorgetragen, sie habe dem Polizeibeamten während dessen
Dienstunfähigkeit Dienstbezüge gezahlt. Mit ihrer Klage hat sie von der Beklagten
Erstattung begehrt.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG die
Klage abgewiesen. Die zugelassene Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
Das Berufungsgericht verneint einen nach § 87 BremBeamtenG auf die Klägerin
übergegangenen Schadensersatzanspruch des Polizeimeisters B. aus § 823 BGB.
Eine Schadensersatzpflicht der Beklagten nach § 823 Abs. 1 BGB lehnt es mit der
Begründung ab, sie habe zwar die Verletzung des Polizeibeamten in adäquater
Weise verursacht, jedoch nicht widerrechtlich gehandelt. Gegen diese Beurteilung
wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.
1. Ohne das Fliehen der Beklagten hätte der Polizeibeamte sie nicht verfolgt und den
dabei erlittenen Körperschaden erlitten. Damit hat die Beklagte die Körperverletzung
des Polizeibeamten im Sinne des Bedingungszusammenhangs verursacht.
Das Berufungsgericht hält diesen Ursachenzusammenhang weiterhin für adäquat.
Es mag offen bleiben, ob der Adäquanz nur im Bereich der haftungausfüllenden
Ursächlichkeit ein Platz zukommt, wie man zunehmend unter Hinweis auf die
haftungbeschränkende Funktion dieses Zurechnungsgrundes meint, die bei der
Haftungsbegründung bereits durch das Erfordernis schuldhaften Verhaltens erfüllt
werde (Esser, SchuldR I, 4. Aufl., § 44 II 1, S. 300; Lorenz, JZ 64, 179, 180; Deutsch,
JZ 66, 641; vgl. auch Huber, JZ 69, 677, 680, und Stoll, Kausalzusammenhang und
Normzweck im Deliktsrecht, 1968, S. 20; unterscheidend Weitnauer, Festgabe für
Karl Oftinger, 1969, S. 321, 325/326), oder ob sie auch im Bereich der hier in Frage
stehenden haftungbegründenden Ursächlichkeit rechtliche Bedeutung gewinnt,
wovon das Berufungsgericht ausgeht (Enneccerus-Lehmann, SchuldR, 15. Aufl., §
15 I, S. 63/64; Esser, SchuldR, 2. Aufl., § 59, 10 S. 229; Medicus, Bürgerl. Recht, 3.
Aufl., § 25 I 1 a, b, 2; Brox, Bes. SchuldR, S. 249 Nr. 1 b Rdnr. 438; Palandt-Thomas,
28. Aufl., § 823, 5; vgl. BGHZ 41, 123, 125 = NJW 64, 720: Adäquanz im Bereich der
Haftungsbegründung; vgl. auch BGH, Urt. v. 24. 3. 1964 - VI ZR 33/63 = LM Nr. 3 zu
§ 823 [C] BGB = NJW 64, 1363; Urt. v. 3. 2. 1967 - VI ZR 115/65 = LM Nr. 36 zu §
823 [C] BGB = VersR 67, 580 = JZ 67, 639 mit Anm. Deutsch). Denn wenn man die
Adäquanz auch in diesem Bereich für erforderlich hält, bestehen gegen ihre
Bejahung aus den insoweit zutreffenden Gründen des Berufungsgerichts hier keine
ernsthaften Bedenken. Auch die Revision erhebt insoweit keine Einwendungen.
47
2. Der verursachte Verletzungserfolg (Körperverletzung) ist der Beklagten aber aus
anderen Gründen objektiv nicht zuzurechnen.
a) Allerdings kann, wie der Senat im Urteil v. heutigen Tage in der Sache VI ZR
125/70 (i. ds. Heft S. 1980 lfd. Nr. 1) ausgeführt hat, entscheidender Haftungsgrund
in derartigen Fällen sein, daß der Fliehende, ihm erkennbar, durch sein Weglaufen
ohne Notwendigkeit in zurechenbarer Weise eine Lage gesteigerter
Verletzungsgefahr für den Verfolgenden geschaffen hat, indem er diesen zu der mit
dem Gesetz in Einklang stehenden Verfolgung herausfordert, obgleich er die nicht
unerhebliche Gefährdung voraussehen und vermeiden konnte (vgl. von Caemmerer,
DAR 71, 283, 291 unter Hinweis auf Nökel, Rechtsstellung des Nothelfers, AngloAmerikanisches im Vergleich zum Deutschen Recht, Diss. Freiburg 1968, S. 96 ff.,
102 ff.; von Caemmerer, Festschrift DJT 1960, 49, 74; Huber, aaO S. 679; vgl. auch
Stoll, aaO S. 32). Daß der eigentliche Zurechnungsgrund die Schaffung des
gekennzeichneten gesteigerten Gefahrenzustandes ist, auf Grund dessen der
Verfolgende eine Verletzung der in unserer Rechtsordnung deliktisch geschützten
Rechtsgüter oder Rechte erleidet, klingt bereits in den Ausführungen des Urteils des
erkennenden Senats v. 24. 3. 1964 (VI ZR 33/63, aaO) zur Begründung der
objektiven Zurechnung an. In derartigen Gefahrenlagen, so ist dort ausgeführt, wird
das Eingreifen (dort) opferbereiter Dritter nahezu zwangsläufig herausgefordert (vgl.
auch BGHZ 43, 178, 181 = NJW 65, 1177). So ist diese Entscheidung denn auch
verstanden worden (von Caemmerer, DAR 71, 283, 291 unter Hinweis auf Nökel,
aaO; vgl. auch Stoll, aaO).
b) Der objektiven Zurechnung der verursachten Körperverletzung stünde, wie das
Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, nicht schon entgegen, daß der Verfolgende
durch sein Dazutreten, nämlich durch seinen Entschluß zur Verfolgung und dessen
Ausführung, eine neue Gefahr gesetzt hat und ein Schadensrisiko eingegangen ist.
Allerdings gibt es, wie allgemein anerkannt ist, Fälle, in denen der Ausschluß der
Zurechnung geboten ist, obgleich an sich ein Ursachenzusammenhang besteht und
auch der Schutzzweck der die Haftung begründenden Norm keinen Anhalt für eine
Begrenzung hergibt (vgl. Larenz, SchuldR I, 10. Aufl., § 27 III 3, S. 322; ders.,
Festschr. Honig 1970, S. 70, 83 o). In diesem Zusammenhang werden u.a. eben die
Fälle erörtert, in denen die Schadensfolge auf einem selbständigen oder „freien“
Entschluß des Verletzten selbst (oder eines Dritten) beruht. Diese Gestaltung wird
meist unter dem Gesichtspunkt und der Bezeichnung „Unterbrechung“ oder Abbruch
des (adäquaten) Ursachenzusammenhangs behandelt (vgl. dazu Larenz, SchuldR I,
aaO; Weitnauer, aaO S. 345; Esser, SchuldR I, 4. Aufl., § 44 III 2 c, S. 305; Deutsch,
aaO; vgl. auch Oftinger, Schweiz. Haftungsrecht Bd. I, 2. Aufl., S. 91 ff.). Ohne
Rücksicht darauf, ob man diesen Gesichtspunkt dem Bereich der Adäquanz des
Ursachenzusammenhangs oder einem danebenstehenden Zurechnungsbereich
zuordnet (vgl. Larenz, SchuldR I, 10. Aufl., § 27 III 3; Festschr. Honig, S. 322; vgl.
Esser, aaO), ändert sich nichts an seiner Erheblichkeit. So ist anerkannt, daß sich
diese Frage der Zurechnung, wenn sie auch meist nur im haftungausfüllenden
Bereich von Belang wird, auch im Rahmen der haftungbegründenden Zurechnung
stellen kann (Larenz, SchuldR I, 10. Aufl., § 27 III 3 Nr. 1, S. 324 unter Hinw. auf
BGH, Urt. v. 3. 2. 1967 - VI ZR 115/65, aaO; vgl. auch BGH, Urt. v. 24. 3. 1964 - VI
ZR 33/63, aaO; BGH, Urt. v. 1. 2. 1966 - VI ZR 196/64 = VersR 66, 368 = LM Nr. 8 a
zu § 832 BGB).
48
Auch hier liegt es so. Die Verfolgung und damit die Körperverletzung des
Polizeibeamten beruht (auch) auf seinem selbständigen freien Willensentschluß. Bei
solcher Lage erscheint eine Zurechnung der Schadensfolge allerdings dann nicht
gerechtfertigt, wenn der Entschluß des Verletzten (Dritten), der eine neue Gefahr
schafft, durch den haftungbegründenden Vorgang nicht herausgefordert ist (vgl.
BGH, Urt. v. 24. 3. 1964 - VI ZR 33/63, aaO), wenn das Verhalten des die erste
Ursache Setzenden lediglich den äußeren Anlaß und nur die Gelegenheit für den
Verletzten (Dritten) darstellt, sich zusätzlich einem unfallfremden Risiko auszusetzen
(vgl. BGH, Urt. v. 12. 2. 1963 - VI ZR 181/62 = LM Nr. 28 zu § 823 (C) BGB = NJW
63, 1671). Wird aber der selbständige Entschluß des Verletzten (Dritten) durch den
haftungbegründenden Vorgang herausgefordert, so ist in der Regel die
Verantwortlichkeit nicht schon wegen des Dazutretens des Verletzten (Dritten)
ausgeschlossen (Larenz, SchuldR I, aaO; Festschr. Honig 1970, S. 79, 87).
c) Wie der erkennende Senat in dem Urteil in der Sache VI ZR 125/70 (vorstehend
Nr. 1) ausgeführt hat, bezweckt diese im Grundsatz anerkannte Unterscheidung und
Einschränkung haftungsrechtlich im Bereich psychisch vermittelter Kausalität bei
Dazutreten eines selbständigen Entschlusses des Verletzten oder eines Dritten nicht
ohne weiteres für sämtliche im Sinne des Bedingungszusammenhangs ursächliche
Verletzungsfolgen - vorbehaltlich des Verschuldens - schlechthin einstehen zu
lassen. Bei dieser Fallgruppe ist die objektive Zurechnung der verursachten
Verletzung somit nicht selbstverständlich. Vielmehr ist eine genauere Bestimmung
der Voraussetzungen für die wertende Einschränkung geboten. Das kommt bereits
darin zum Ausdruck, daß ein herausgefordertes Dazutreten (Eingreifen) zur
Bejahung der Zurechnung vorausgesetzt wird. Diesem Erfordernis ist nicht bereits
genügt, wenn sich der Verletzte (Dritte) tatsächlich zum Eingreifen hat bewegen
lassen. Außer dieser psychischen Verursachung ist notwendig, daß sich der
Eingreifende zum Handeln herausgefordert fühlen durfte, und zwar überhaupt und
gegebenenfalls in der gewählten Art und Weise. Wann ein Eingreifen in diesem
Sinne als herausgefordert zu werten ist, hängt von den Umständen ab. So hat der
erkennende Senat bereits im Urteil v. 24. 3. 1964 (VI ZR 33/63, aaO) - dort bei
Erörterung der Adäquanz - ausgeführt, daß bei Gefahr für Leib und Leben das
Eingreifen opferbereiter Dritter, und zwar nicht nur in den Fällen rechtlicher oder
sittlicher Pflicht zur Rettung, nahezu zwangsläufig herausgefordert werde. Für den
Fall der Verfolgung eines nach Verkehrsunfall Flüchtigen hat er dort weiter
ausgeführt, es hänge von dem Verhältnis des von dem Flüchtenden angerichteten
und noch drohenden Schadens zu den Wagnissen der Verfolgung ab, ob gesagt
werden könne, jener habe mit dem Unfall und der Flucht objektiv auch das Risiko
weiterer Unfälle bei seiner Verfolgung gesetzt. Das hat der erkennende Senat dort
bejaht; es lag ebenso bei der im Urteil v. 3. 2. 1967 (VI ZR 115/65, aaO) beurteilten
Sachlage vor (hierzu zustimmend von Caemmerer, DAR 70, 283, 291 unter Hinweis
auf Nökel, aaO S. 99).
d) In der Sache VI ZR 125/70 hat der erkennende Senat im einzelnen dahinstehen
lassen, ob die damit geforderte Verhältnismäßigkeit für die verschiedenen
Fallgruppen des hier in Frage stehenden Bereichs einheitlich zu beantworten ist oder
nicht (vgl. dazu Deutsch, aaO S. 643). Bereits im Urteil v. 24. 3. 1964 (VI ZR 33/63,
aaO) klingt an, daß Schäden, die einem Retter aus einer Gefahr für Leib und Leben
zustoßen, als „nahezu zwangsläufig herausgefordert“ anzusehen und damit weithin
ohne Einschränkung zu ersetzen sind, während die Antwort bei weniger bedrohlichen
49
Situationen von der Wertung der besonderen Umstände abhängt (vgl. zu dieser
Fallgruppe Larenz, SchuldR I, aaO § 27 III 3, S. 323).
In dem jetzt zu beurteilenden Sachverhalt kommt es hierauf schon deshalb nicht an,
weil, wie der Senat in der Sache VI ZR 125/70 ebenfalls befunden hat, eine im
Grundsatz gebotene Haftung für die bei dem Eingreifenden eingetretenen
Verletzungsfolgen jedenfalls in Fällen der Verfolgung auf die gesteigerten Risiken der
Verfolgung zu beschränken ist. Dagegen hat der Verfolgte das normale Risiko des
Eingreifenden nicht zu tragen (vgl. Deutsch, aaO S. 642; vgl. auch Lüer, Die
Begrenzung der Haftung bei fahrlässig begangenen unerlaubten Handlungen, 1969,
S. 150 u.).
Um die Verwirklichung eines solchen normalen Risikos handelt es sich aber hier.
Nach den Feststellungen des Tatrichters glitt der Polizeibeamte aus, als er einen
feuchten, frisch geschnittenen Rasen überquerte. Damit hat sich nicht das besondere
gesteigerte Risiko der Verfolgung verwirklicht. Art und Umfang der schließlich
eingetretenen Schadensfolgen sind für diese Beurteilung kein brauchbarer Maßstab.
BGHZ 58, 162
Tatbestand
1
Am 21. Juni 1968 ereignete sich auf der L.-Straße in B. ein Verkehrsunfall. Ein
Lastkraftwagen der niederländischen Streitkräfte war bei dem Versuch, einen
parkenden Kraftwagen zu überholen, mit einem ihm entgegenkommenden
Personenkraftwagen zusammengestoßen. Die beiden Fahrer ließen ihre
Fahrzeuge in der durch den rechts parkenden Wagen gebildeten Engstelle der
Straße stehen, um das Eintreffen der Polizei abzuwarten. Infolgedessen war
die Straße für die nachfolgenden Kraftfahrer zunächst gesperrt. Daraufhin
fuhren mehrere Kraftfahrer, die wegen des vor ihnen stehenden LKW nicht
weiterfahren konnten, um die Unfallstelle herum, indem sie über den rechts
befindlichen Rad- und Fuß*-weg fuhren. Als die Verkehrspolizei nach etwa 15
Minuten eintraf, waren an dem Rad- und Fuß*-weg erhebliche Schäden
entstanden. Für deren Beseitigung mußte die Stadt B., die Klägerin, als
Wegeeigentümerin 1.736,58 DM aufwenden.
2
Die Kraftfahrer, die über den Bürgersteig gefahren waren, sind nicht ermittelt
worden.
3
Die Bundesrepublik hat aufgrund der Bestimmungen des NATOTruppenstatuts dem Eigentümer des von dem Militär-LKW angefahrenen PKW
dessen Schaden ersetzt. Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, daß die
50
Bundesrepublik auch für die Schäden einstehen müsse, die jene Kraftfahrer
beim Überfahren des Rad- und Geh*-weges verursacht hatten.
4
Während das Landgericht die Klage abgewiesen hat, hat ihr das
Oberlandesgericht stattgegeben.
5
Auf die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision der Beklagten hat der
Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts wiederhergestellt.
Entscheidungsgründe
6
1. Die Bundesrepublik hat, worüber die Parteien einig sind, nach den
Bestimmungen des NATO-Truppenstatuts für die von dem LKW der
niederländischen Streitkräfte verursachten Schäden in gleicher Weise
einzustehen, wie wenn der Schaden von einem LKW der Bundeswehr
angerichtet worden wäre. Anspruchsgrundlage ist daher zunächst § 839 BGB
iV mit Art 34 GG, so daß eine Haftung aus den §§ 831, 823 BGB i Verb mit
den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung ausscheidet. Nach Satz 2 des §
839 Abs 1 BGB hätte die Klägerin dartun müssen, daß sie den Ersatz ihrer
Schäden nicht anderweit erreichen konnte - vor allem nicht von den
Kraftfahrern, die die eigentlichen Schadensurheber gewesen sind und ihr,
wären sie ermittelt worden, zweifellos hätten Ersatz leisten müssen. Das
Berufungsgericht brauchte nicht zu untersuchen, ob die Klägerin etwa,
nachdem die schuldigen Kraftfahrer nicht hatten ermittelt werden können,
einen Ersatzanspruch - wenigstens soweit er 1.000 DM übersteigt - gegen den
"Entschädigungsfonds" (§ 12 des PflVersG idF vom 5. April 1965 - BGBl I 213)
hätte geltend machen können, (vgl aber auch § 152 VVG). Auf diese Frage
kam es nicht mehr an, nachdem die Klägerin erklärt hatte, sich lediglich auf
die Haftung der Beklagten nach § 7 StVG zu stützen.
7
Daß an sich hier die Voraussetzungen dieser Haftungsnorm erfüllt sind, ist
zwischen den Parteien nicht streitig. Da, wie das angefochtene Urteil feststellt,
den Fahrer des LKW sogar ein Verschulden trifft, entfällt die
Gefährdungshaftung nicht etwa wegen unabwendbaren Ereignisses (§ 7 Abs
2 StVG). Fraglich ist allein, ob auch die Schäden, welche die hinter dem die
Straße sperrenden LKW zunächst zum Halten gezwungenen Kraftfahrer beim
Überfahren des Rad- und Geh*-weges angerichtet haben, noch auf ein
haftungsbegründendes Verhalten, hier die vom Halter zu vertretende
Betriebsgefahr des LKW, zurückgeführt werden können. Das Berufungsgericht
hat das bejaht.
II.
51
8
Diesem Standpunkt kann nicht gefolgt werden.
9
1. Dem Berufungsgericht muß zwar zugestimmt werden, wenn es auch im
vorliegenden Fall den Ursachenzusammenhang zwischen dem zum Unfall
führenden Verhalten des LKW-Fahrers und der Beschädigung von Rad- und
Geh*-weg als adäquat angesehen hat (insofern richtig auch LG Düsseldorf
NJW 1955, 1031: "Grünstreifen-Fall"). Erfahrungsgemäß gibt es bei Unfällen
der hier geschehenen Art immer wieder Kraftfahrer, die - unzweifelhaft
verkehrswidrig und wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung strafbar (§ 303
StGB) - nicht so lange warten, bis die Weiterfahrt wieder möglich oder ihnen
die Umfahrung durch eine Anordnung der Verkehrspolizei erlaubt worden ist.
Angesichts der Erfahrung, daß das Verhalten jener Kraftfahrer immer wieder
vorkommt, wird man sogar annehmen können, ein Kraftfahrer müsse
voraussehen, daß ein von ihm verursachter Unfall im fließenden Verkehr
derartige Reaktionen nachfolgender Fahrer mit den damit angerichteten
Schäden an öffentlichen Straßen, privaten Vorgärten, Zäunen usw zur Folge
haben kann. Indes kommt es im vorliegenden Fall ohnehin nicht auf
Verschulden als Zurechnungsgrund entscheidend an, weil die Klägerin ihren
Ersatzanspruch auf § 7 StVG stützen kann.
10
Zu Unrecht zieht die Revision den Standpunkt des Berufungsgerichts in
Zweifel, daß der LKW noch in dem Zeitpunkt "im Betrieb" war, in welchem
jene Kraftfahrer den Rad- und Geh*-weg überfuhren. Der LKW war, als er zum
Stehen gekommen war, aber die anderen Fahrzeuge an der Weiterfahrt
hinderte, noch nicht aus dem Verkehr gezogen. Im Sinne des § 7 StVG dauert
der Betrieb eines Kraftfahrzeugs so lange fort, wie es der Fahrer im Verkehr
beläßt und die dadurch geschaffene Gefahrenlage fortbesteht (BGHZ 29, 163,
166). Auch stand das Ausweichen der ungeduldig gewordenen Kraftfahrer
noch in dem erforderlichen nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit
dem von dem LKW verursachten Zusammenstoß (vgl BGHZ 37, 311, 318).
Wäre ein nachfolgendes Kraftfahrzeug, um nicht auf den vor ihm stehenden
LKW aufzufahren, beim Bremsen ins Schleudern gekommen und dabei auf
den Rad- und Geh*-weg geraten, so wäre der dabei von ihm angerichtete
Schaden gewiß noch der Betriebsgefahr des LKW zuzurechnen. Nichts
anderes würde gelten, wenn ein nachfolgender Kraftfahrer, um nicht
aufzufahren oder nicht von nachkommenden Verkehrsteilnehmern angefahren
zu werden, sein Fahrzeug bewußt auf den Rad- und Geh*-weg gelenkt hätte.
11
2. Lassen sich somit der adäquate Ursachenzusammenhang und der
Zusammenhang mit der Betriebsgefahr des die Straße sperrenden LKW nicht
verneinen, so hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob einem
Schädiger auch solche Folgen zugerechnet werden können, die auf einem
"freien" Entschluß eines Dritten beruhen (sog "Unterbrechung des
52
Kausalzusammenhangs" oder Regreßverbot"). Diese Frage stellt sich in
Fällen der vorliegenden Art ohne Rücksicht darauf, ob der Geschädigte seinen
Ersatzanspruch auf § 823 Abs 2 (iV mit den Vorschriften der StVO) oder Abs 1
BGB oder auf § 839 BGB oder, wie hier, weil die Straße durch ein
Kraftfahrzeug gesperrt worden war, auf die §§ 7, 18 StVG stützt.
12
a) Entgegen der Meinung der Revision ist diese Zurechnung nicht schon
deshalb zu verneinen, weil jene ungeduldigen Kraftfahrer vorsätzlich und
rechtswidrig handelten, als sie über den Rad- und Geh*-weg fuhren.
13
Die Zurechnung eines Schadens ist keineswegs schlechthin schon deshalb
ausgeschlossen, weil er auf dem Eingreifen eines Dritten beruht (BGHZ 12,
206, 211; 17, 153, 159; 24, 263, 266). Nur dann, wenn die Ursächlichkeit des
ersten Umstandes für das zweite Ereignis völlig unerheblich war, kann davon
gesprochen werden, daß der Kausalzusammenhang "unterbrochen" ist (BGHZ
3, 261, 268; 12, 211; 17, 159). Das ist hier nicht der Fall. Der Zurechnung
steht auch nicht entgegen, daß jene Kraftfahrer den Schaden rechtswidrig
angerichtet haben. Ob das Eingreifen des Dritten in den Ablauf des
Geschehens rechtmäßig war oder rechtswidrig, ist nicht von entscheidender
Bedeutung für die Frage der Zurechnung.
14
Ebensowenig wird ein Schädiger, dessen Verhalten einen
haftungsbegründenden Tatbestand erfüllt hat, von der Haftung für Schäden,
die ein Dritter angerichtet hat, schon deshalb freigestellt, weil dieser
außerdem vorsätzlich gehandelt hat (vgl Senatsurteil vom 1. Februar 1966 - VI
ZR 196/64 - LM BGB § 832 Nr 8a; vgl auch Larenz in NJW 1958, 627 gegen
NJW 1955, 1009). Deshalb muß zB der Fahrer und der Halter, dessen
Kraftwagen einen Lieferwagen so angefahren hat, daß dessen Ladung auf die
Straße gefallen ist, nicht nur die Waren ersetzen, die bei dem Unfall
beschädigt worden sind oder nicht mehr geborgen werden konnten, sondern
auch die aus der verstreut auf der Straße liegenden Ladung gestohlenen
Waren. Hier kann der für den Unfall Haftende den Geschädigten nicht auf
seine Ansprüche gegen die Diebe verweisen; der von diesen verursachte
Schaden ist auch ihm zuzurechnen, weil er die Gefahr, daß der durch den
Unfall Geschädigte bestohlen werden könnte, geschaffen hat. Daß diese
Folgen seines haftungsbegründenden Tuns, nämlich das Halten seines
schadensträchtigen Kraftfahrzeugs oder der Verkehrsverstoß seines Fahrers,
nicht mehr in den Bereich der Gefahren fielen, zu deren Abwehr jene
Haftungsnormen (§§ 7, 18 StVG, §§ 823ff BGB iV mit den Vorschriften der
StVO usw) erlassen worden sind, kann nicht angenommen werden (vgl BGHZ
27, 137, 140; H. Lange Gutachten zum 43. DJ-Tag 1960 S 50). Ebensowenig
kann, wer aufgrund Vertrages dafür einzustehen hat, daß eine Sache behütet
bleibt, seinen trotzdem bestohlenen Auftraggeber auf seine Ansprüche gegen
den Dieb verweisen. Auch durch Gesetz können derartige "Garantenpflichten"
begründet sein. So kann unter Umständen die einem Verkehrsteilnehmer
53
obliegende Sorgfaltspflicht so weit gehen, daß er darauf achtet, nicht durch
sein verkehrswidriges Verhalten Dritte zu vorsätzlichen Verkehrsverstößen zu
verleiten. Vor allem ist der Halter eines Kraftfahrzeugs für sämtliche Schäden
verantwortlich, die mit dem Betrieb seines Fahrzeugs verbunden sind,
gleichviel wie im konkreten Fall dessen Gefährlichkeit schadenswirksam
geworden ist; er haftet auch für Schäden, die der Schwarzfahrer mittels seines
Fahrzeugs bewußt und gewollt anrichtet, sogar bei vorsätzlicher Tötung eines
Menschen (BGHZ 37, 311, 316/317).
15
b) Bei wertender Betrachtung liegt aber der hier zu entscheidende Fall anders.
Die Kraftfahrer sind, nachdem sie auf der Straße zum Halten gekommen
waren, aus freien Stücken über den Rad- und Geh*-weg gefahren. Das war
nur insofern noch mit dem Unfall, also mit der Fahrweise des LKW und der
von ihm ausgehenden Betriebsgefahr verknüpft, als der Unfall mit seiner
Sperrung der Straße den Anlaß für das Verhalten jener Kraftfahrer bildete.
Dies aber war nicht mehr als ein äußerer Umstand, der lediglich die Motivation
für das eigenmächtige, nicht mehr von Rücksichten auf Verkehrssicherheit
bestimmte Verhalten der Kraftfahrer abgab. Er kann daher nicht als
ausreichend angesehen werden, um einen zurechenbaren Zusammenhang zu
begründen (vgl auch BGHZ 25, 86, 90; Senatsurteil vom 12. Februar 1963 - VI
ZR 181/62 - LM BGB § 823 (C) Nr 28). Vor allem kann hier nicht gesagt
werden, daß das Verhalten des LKW-Fahrers und die Sperrung der Straße
das Handeln jener Kraftfahrer "herausgefordert" hätte (so die Formulierung
von Larenz, Schuldrecht, Bd I 10. Aufl § 27 III b3 S 323; vgl BGHZ 57, 25, 28
mw Nachw). Eine solche zum Eingreifen Dritter drängende Lage war durch die
Sperrung der Straße nicht entstanden. "Herr" des schadenstiftenden
Geschehens waren in bezug auf die Beschädigung des Randstreifens allein
die ungeduldigen Kraftfahrer und nicht auch der Fahrer des LKW. Der
vorliegende Fall gibt daher keinen Anlaß zur Prüfung, ob bei der Frage nach
der "Herausforderung" des vorsätzlichen Handelns des Dritten auch dem
Grade und der Erheblichkeit der hervorgerufenen Gefahr für die Rechtsgüter
anderer Bedeutung zukommt. Die Entscheidung folgt im Streitfall bereits aus
dem Grundsatz, daß die Vorgänge, die für die Frage nach der Zurechnung
eines Schadens erheblich sind, stets einer wertenden Betrachtung zu
unterwerfen sind (BGHZ 18, 286, 288; 30, 154, 157; Senatsurteile vom 8.
Januar 1963 - VI ZR 80/62 - und vom 12. Februar 1963 - VI ZR 181/62 - BGH
LM BGB § 823 (C) Nr 27 und Nr 28).
16
Bei wertender Betrachtung besteht ein für die Haftung ausreichender
Zusammenhang zwischen dem Verhalten des LKW-Fahrers und der
Sachbeschädigung hier auch dann nicht, wenn zugunsten der Klägerin nicht
nur auf § 7 StVG abgestellt wird, sondern auf das den LKW-Fahrer treffende
Verschulden, das zu dem Zusammenstoß geführt hat. Hier waren nach der
Rechts-, vor allem der Verkehrs*-ordnung die Verantwortungsbereiche
deutlich getrennt: Der Fahrer und der Halter des LKW waren verantwortlich für
den Zusammenstoß und seine Folgen für andere Verkehrsteilnehmer, die
etwa in den Unfall verwickelt worden waren, sowie für alle durch den
54
Zusammenstoß in Mitleidenschaft gezogenen Sachen. Für die Beschädigung
des Rad- und Geh*-weges sind aber bei dem hier gegebenen
Schadensverlauf allein die Kraftfahrer, die über ihn gefahren waren,
verantwortlich. Die für den Fahrer des LKW geltenden Gebote und Verbote
schützten nur insoweit auch die Interessen derer, die mit ihrem Eigentum dem
Verkehrsraum nahe waren, als der Fahrer nicht mit seinem LKW auf den
Bürgersteig geraten und nicht Anlaß dafür geben durfte, daß andere
Fahrzeuge, um nicht mit ihm zusammenzustoßen, auf das Gelände neben der
Straße ausweichen mußten. In seinen Pflichtenkreis fällt aber nicht mehr das,
was sich, nachdem das Unfallgeschehen beendet war, dadurch ereignete,
daß die nachfolgenden, schon zum Halten gelangten Kraftfahrer über den
Rad- und Geh*-weg fuhren, um schneller vorwärts zu kommen. Diese daran
zu hindern, war der LKW-Fahrer weder tatsächlich in der Lage noch rechtlich
verpflichtet. Daß die vom Berufungsgericht bejahte Zurechnung zu weit geht,
wird auch dadurch deutlich, daß die Klägerin, wäre ihr Standpunkt zutreffend,
auch den Halter des PKW, auf den der LKW aufgefahren war, in Anspruch
nehmen könnte, wenn diesem nicht der Entlastungsbeweis aus § 7 Abs 2
StVG gelungen wäre; unter Umständen könnte dann sogar die Mit-Haftung
des rechts parkenden Kraftwagens in Betracht kommen. Zu weit ginge es
auch, einen Halter, dessen Fahrzeug sich infolge Versagens seiner
Einrichtungen (§ 7 Abs 2 StVG) in der Straße quergestellt hat, für die Schäden
haften zu lassen, die nachfolgende Kraftfahrer durch überfahren des
Bürgersteiges angerichtet haben.
17
3. Hier war es nach alledem nicht die Betriebsgefahr des LKW oder die
Fahrweise des Fahrers, die in zurechenbarer Weise zu den Schäden an dem
Bürgersteig geführt hat. Diese mögen allerdings dadurch verursacht worden
sein, daß der Fahrer des LKW diesen anschließend so lange stehen ließ, bis
die hereingerufene Verkehrspolizei eintraf. Sollte er für die dadurch
herbeigeführte Behinderung des Verkehrs (vgl § 1 StVO) keinen vernünftigen
Grund (mehr) gehabt haben, so könnte aus diesem Verhalten eine Haftung für
die von den ungeduldig gewordenen Kraftfahrern angerichteten Schäden
hergeleitet werden (§ 823 Abs 1 und 2, hier § 839 BGB), so daß auch der
Halter (nach § 831 BGB, hier die Beklagte nach Art 34 GG) haftbar sein
könnte. Eine so begründete Haftung ist aber rechtlich von der Haftung aus
dem vorausgegangenen Verhalten für die eigentlichen Unfallfolgen zu
trennen. Jene Haftung könnte auch den treffen, der die Straße nicht durch ein
Kraftfahrzeug (§ 7 StVG) sperrt oder an dem Unfall schuldlos gewesen war.
18
Unter welchen Voraussetzungen eine solche Haftung zu bejahen wäre, bedarf
hier keiner Prüfung. In dieser Richtung hat die Klägerin gegen den Fahrer des
LKW keine Vorwürfe erhoben.
III.
19
55
Die Klägerin kann sich somit wegen der Schäden, die ihr jene Kraftfahrer
zugefügt haben, lediglich an diese halten. Sie läuft zwar, nachdem diese nicht
mehr zu ermitteln sind, Gefahr, den Schaden endgültig tragen zu müssen.
Das aber ist ein allgemeines Risiko, das jeden Anlieger einer vom Verkehr
benutzten Straße trifft und das sie nicht auf die Beklagte abwälzen kann (vgl
H. Lange aaO S 53). Infolgedessen kann das angefochtene Urteil nicht
aufrechterhalten bleiben (vgl die Bedenken von von Caemmerer DAR 1970,
290; Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl § 7 StVG Anm 2d S 886). Mit
Recht ist daher auch das "Grünstreifen-Urteil" des Landgerichts Düsseldorf
angegriffen worden (Larenz, NJW 1955, 1009, und von Caemmerer, Das
Problem des Kausalzusammenhangs, 1956 = Gesammelte Schriften S 398,
405). Auch im übrigen Schrifttum wird dieses Urteil überwiegend als unrichtig
angesehen (H. Lange aaO; Wolf, Der Normzweck im Deliktsrecht, Göttinger
Rechtswissenschaftliche Studien Bd 42 S 30; Rother NJW 1965, 180 und in
Haftungsbeschränkungen im Schadensrecht 1965 S 26; Deutsch in der
Festschrift für Honig 1970 S 33, 51; Esser Schuldrecht, Bd I 4. Aufl § 45 II 2
Fn 9; Erman/Sirp, BGB 4. Aufl § 249 Anm 3h; von Caemmerer DAR 1970,
290).
20
Somit war das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts
wiederherzustellen.
BGH NJW 1985, 671 m. Anm. Deutsch
Schadensersatz bei fehlgeschlagenem Schwangerschaftsabbruch*
BGB §§ 611, 823, 847; StGB 1975 § 218a
1. Mißlingt bei festgestellter Notlagenindikation, die auch auf wirtschaftlichen
Umständen beruht, dem Arzt schuldhaft der Schwangerschaftsabbruch, so hat
er in der Regel wie im Falle der mißlungenen Sterilisation der Mutter des
Kindes den Unterhaltsaufwand zu ersetzen.
2. Die Mutter kann den Anspruch nicht geltend machen, wenn sie sich einer
alsbald möglichen, medizinisch zumutbaren und rechtlich noch erlaubten
Wiederholung des Eingriffs verweigert. Jedoch entfällt der Anspruch
grundsätzlich nicht, wenn die Mutter sich später weigert, die Schwangerschaft
aufgrund einer anderen Konfliktlage (hier: medizinische Indikation) abbrechen
zu lassen.
3. Der Arzt ist nicht ersatzpflichtig, wenn die Schwangere ihren ursprünglichen
Entschluß aufgibt und das Kind nunmehr ohne Rücksicht auf etwaige
Indikationslagen des § 218a StGB austragen will.
4. Auch bei fehlgeschlagenem Schwangerschaftsabbruch kommt ein
Schmerzensgeldanspruch der Mutter in Betracht.
BGH, Urteil vom 27-11-1984 - VI ZR 43/83 (KG)
56
Zum Sachverhalt:
Die damals 35jährige, berufstätige und unverheiratete Kl. war ab 17. 11. 1978 in der
Behandlung des Bekl., der eine gynäkologische Praxis in B. unterhielt. Am 19. 12.
1978 diagnostizierte der Bekl. bei der Kl. eine Schwangerschaft. Nach
entsprechender ärztlicher Untersuchung und Beratung erteilte die Fachärztin für
innere Krankheiten Dr. K der Kl. am 2. 1. 1979 eine „Bescheinigung zur Indikation für
den Schwangerschaftsabbruch“. Sie kreuzte dabei auf dem Formular an: „Indikation
aus sozialen Gründen“ und bescheinigte eine Schwangerschaft im 2. Monat. Am 9.
1. 1979 nahm der Bekl. im Krankenhaus V., einer Belegklinik, den
Schwangerschaftsabbruch vor. Wegen von ihm festgestellter Myome in der
Gebärmutter entschloß er sich dabei zur sogenannten Curettage. Da nach den
Angaben des Bekl. bei dem Eingriff kein für eine pathologische Untersuchung
ausreichendes Material gewonnen wurde, konnte er, wie er behauptet, nicht
feststellen, ob der Eingriff zum gewünschten Erfolg geführt hatte. Er untersuchte die
Kl. in der Klinik am 16. 1. 1979 manuell, stellte aber keinen Fortbestand der
Schwangerschaft fest. Am 8. 2. 1979 untersuchte er erneut die Kl., die über
zunehmende Beschwerden am Unterleib klagte. Er fand eine Gewichtszunahme und
mittels Palpation eine Vergrößerung des Uterus und schloß daraus auf ein
Wachstum der Myome. Er gab der Kl. darauf in einem verschlossenen Umschlag
eine Einweisung in das A.-Krankenhaus mit, die die Diagnose „Uterus myomatosus"
und die Indikation für eine Operation enthielt. Ob die Kl. sich in das Krankenhaus
begeben hat, ist unter den Parteien streitig. Jedenfalls wurde sie dort nicht
untersucht und behandelt. Am 12. 2. 1979 rief sie den Bekl. an und teilte mit, sie
wolle sich noch einmal überlegen, ob sie sich operieren lasse. Der Bekl. forderte sie
auf, sich umgehend im Krankenhaus untersuchen zu lassen. Indessen wartete die Kl.
die Rückkehr ihres Freundes, des Erzeugers des Kindes, von einer Auslandsreise ab
und ließ sich erst am 2. 3. 1979 im G.-Krankenhaus von dem Chefarzt der dortigen
gynäkologischen Abteilung Dr. S untersuchen. Dieser stellte eine intakte
Schwangerschaft bei Uterus myomatosus fest; er will auch Herztöne des Kindes
gehört haben. Den Befund teilte die Kl. darauf dem Bekl. mit. Dieser untersuchte sie
erneut und riet ihr zu einer Operation, wobei streitig ist, ob dabei nur von einer
Entfernung der Myome oder auch von einem Schwangerschaftsabbruch die Rede
gewesen ist. Die Kl. unterzeichnete jedenfalls am 12. 3. 1979 eine
Einverständniserklärung zur Operation. Sie suchte aber am 13. 3. 1979 Prof. Dr. M
im L.-Krankenhaus auf und ließ sich von diesem untersuchen sowie ausführlich,
insbesondere auch über die Frage eines Schwangerschaftsabbruches, beraten.
Sodann begab sie sich in das Beleg-Krankenhaus des Bekl., verweigerte aber am
Morgen des 14. 3. 1979 die vorgesehene Operation und verließ die Klinik.
Anschließend wurde sie in der Zeit vom 16. bis 31. 3. 1979 bei Prof. M im L.Krankenhaus stationär behandelt. Sie trug das Kind aus, das am 13. 7. 1979 mittels
Kaiserschnitt geboren wurde. Dabei fand auch eine Hysterektomie des myomatosen
Uterus (Entfernung der Gebärmutter) statt. Das Kind wurde zunächst von der
Schwester der Kl. gegen Bezahlung versorgt, befindet sich aber inzwischen seit
längerem bei der Kl. Der Erzeuger des Kindes zahlt monatlich 300 DM Unterhalt. Die
Kl. verlangt vom Bekl. wegen der fehlgeschlagenen Schwangerschaftsunterbrechung
Ersatz der Unterhaltsaufwendungen für ihr Kind, Zahlung eines Schmerzensgeldes
sowie Feststellung der Ersatzpflicht des Bekl. für materielle Zukunftsschäden.
Das LG hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Das KG hat sie abgewiesen.
Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung und Zurückweisung.
57
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. läßt offen, ob der Bekl. das Fortbestehen der Schwangerschaft hätte
erkennen können und müssen. Es meint, daß ein etwaiges ärztliches Fehlverhalten
jedenfalls nicht zu dem geltend gemachten Schaden geführt hat. Dazu erwägt es im
wesentlichen:
Die in der Rechtsprechung des BGH entwickelten Grundsätze zum Schadensersatz
nach fehlgeschlagener Sterilisation ließen sich nicht auf einen mißlungenen
Schwangerschaftsabbruch übertragen. Voraussetzung für einen Anspruch in solchen
Fällen sei, daß die Entscheidung der Mutter für den Abbruch nicht mehr realisierbar
sei. Die Kl. hätte aber den Eingriff zumindest aufgrund medizinischer Indikation noch
vornehmen lassen können. Jedenfalls aber sei das Kind, was Voraussetzung für
einen Schadensersatzanspruch sei, zum Zeitpunkt der Geburt für die Kl. nicht
„unerwünscht“ gewesen. Aus einem Schreiben von Prof. M über die Behandlung und
Beratung der Kl. ergebe sich nämlich, daß die Kl. sich im Verlauf der Gespräche mit
ihm dazu entschieden habe, das Kind auszutragen, weil eine spätere
Schwangerschaft wegen der myomatösen Gebärmutter ausgeschlossen gewesen
sei und sie sich die einzige Möglichkeit, ein Kind zu gebären, habe erhalten wollen.
Sie habe mithin ihre ursprüngliche Einstellung durch freiwilligen Entschluß geändert
und das Kind nunmehr haben wollen. Der Anspruch der Kl. auf Zahlung des
Schmerzensgeldes scheide schon deswegen aus, weil der Bekl. allenfalls die
Beendigung einer schon bestehenden Schwangerschaft versäumt habe. Der
Fortbestand einer Schwangerschaft und die damit verbundenen Beschwerden für die
Kl. bedeuteten aber keine Verschlechterung ihres körperlichen Zustandes.
II. Dem kann aus Rechtsgründen nicht in allen Punkten gefolgt werden. Das
angefochtene Urteil erweist sich auch im Ergebnis nicht als richtig, weil es im
entscheidenden Punkt, der Frage, ob die Kl. sich nicht nur unter dem Druck der
Verhältnisse, sondern aufgrund einer grundsätzlichen Änderung ihrer inneren
Einstellung zum Austragen des Kindes entschlossen hat, den Verfahrensrügen der
Revision nicht standhält.
1. Für die Revisionsinstanz ist davon auszugehen, daß der Bekl. schuldhaft das
Fortbestehen der Schwangerschaft bei der Kl. nach dem mißlungenen Eingriff vom 9.
1. 1979 nicht erkannt und deshalb die Schwangerschaft nicht entsprechend dem
weiter bestehenden Willen der Kl. noch innerhalb der 12-Wochen-Frist des § 218a III
StGB i. V. mit Abs. 2 Nr. 3 dieser Vorschrift mittels eines weiteren Eingriffs
abgebrochen hat. Ein solches, dem Bekl. zuzurechnendes ärztliches Versagen, das
zur Geburt des Kindes der Kl., die gerade verhindert werden sollte, geführt hat, kann
Schadensersatzansprüche der Kl. wegen der Unterhaltsbelastungen für das Kind
und - wegen immaterieller Schäden infolge körperlicher Belastung durch die
Schwangerschaft - auch einen Schmerzensgeldanspruch entstehen lassen. Die
dagegen gerichteten Bedenken des BerGer. und der Revisionserwiderung sind nicht
begründet.
a) Der Bekl. hatte sich der Kl. gegenüber vertraglich verpflichtet, die bei ihr
bestehende Schwangerschaft abzubrechen. Ein nach § 218a StGB straffreier
Abbruch der Schwangerschaft kann Gegenstand eines rechtswirksamen ärztlichen
Vertrages sein, wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsurt. BGHZ 86, 240
(244 ff.) = NJW 1983, 1371; BGHZ 89, 95 (98) = NJW 1984, 658). An dieser
58
Rechtsprechung wird auch gegenüber den Bedenken von G. Müller, NJW 1984,
1798 ff., festgehalten. Für die Frage, ob der Schwangerschaftsabbruch Gegenstand
eines von der Rechtsordnung gebilligten Vertrages zwischen der Frau und dem den
Eingriff vornehmenden Arzt sein kann, kommt es nicht darauf an, ob die in § 218a
StGB bezeichneten sogenannten Indikationen für einen Schwangerschaftsabbruch
Rechtfertigungsgründe sind, oder ob nur die Voraussetzungen für eine Straffreiheit in
besonderen Fällen geregelt sind. Der Senat sieht auch jetzt keine Notwendigkeit, auf
die dogmatischen Streitfragen hierzu einzugehen. Zweifel an der
Verfassungsmäßigkeit der geltenden Fassung des § 218a StGB haben weder die
Parteien noch das LG und das KG gehabt. Der Senat hält die derzeitige gesetzliche
Regelung nach den hierfür vom BVerfG verlangten Anforderungen (BVerfGE 39, 1 ff.
(48 ff.) = NJW 1975, 574 ff.) entgegen vereinzelten anderslautenden Stimmen in der
Literatur für verfassungskonform. Unter dieser Voraussetzung ist zivilrechtlich allein
von Bedeutung, ob der Vertrag über die Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs
bei Vorliegen einer der gesetzlichen Indikationen gegen ein gesetzliches Gebot
verstößt oder sittenwidrig ist. Beides ist nicht der Fall, wie die gesetzliche
Gesamtregelung des Schwangerschaftsabbruchs einschließlich der sogenannten
flankierenden Maßnahmen nach Ansicht des Senates eindeutig zeigt. Daran vermag
die auf achtbaren sittlichen Gründen beruhende anderweitige Überzeugung
derjenigen, die die derzeitige gesetzliche Regelung für sittlich anstößig, ja verwerflich
und für verfassungswidrig halten, nichts zu ändern (zur notwendigen Toleranz
gegenüber anderen Meinungen in diesem Falle vgl. Senat, NJW 1984, 2625 = VersR
1984, 864 m. w. Nachw.).
Das alles gilt nicht nur für den Fall der sogenannten medizinischen Indikationen des
§ 218a II Nr. 1 StGB, sondern auch für die anderen gesetzlichen Indikationen, die
den Schwangerschaftsabbruch straffrei machen, mithin auch für die hier von der Kl.
in Anspruch genommene Notlagenindikation des § 218a II Nr. 3 StGB (sachlich
ungenau häufig als soziale Indikation bezeichnet). Dabei geht es um die
Respektierung eines ernsthaften Entscheidungskonfliktes der Mutter, die sich durch
das Fortbestehen der Schwangerschaft und die zu erwartende Geburt des Kindes
vor schwerwiegende Belastungen verschiedenster Art gestellt sieht, die sie in ihrer
sozialen, wirtschaftlichen und seelischen Befindlichkeit treffen können
(zusammenfassend zum Problem neuerdings Poettgen, DtÄrztBl 1984, 1918 ff. m. w.
Nachw., der sich mit Recht gegen eine im Gesetz nicht vorgesehene verkürzte Sicht
auf die wirtschaftliche Notlage wendet). Die Notlagenindikation ist mithin nicht
weniger ernst zu nehmen als andere Indikationen und darf insoweit rechtlich auch
nicht anders als diese behandelt werden.
Im Streitfall hatte sich die Kl. den gesetzlichen Vorschriften entsprechend von der
Ärztin Dr. K beraten lassen, die ihr das Vorliegen einer Notlagenindikation
bescheinigt hat. Mangels festgestellter anderer Tatsachen ist für die
Revisionsinstanz davon auszugehen, daß die tatsächlichen Umstände die Indikation
zum Schwangerschaftsabbruch rechtfertigten und sich auch später nicht wesentlich
geändert haben, so daß es keiner Entscheidung darüber bedarf, ob die
Voraussetzungen für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch im Einzelfall von
den Zivilgerichten nachprüfbar sind und welche rechtliche Folgen sich aus einer
anderen Beurteilung für etwaige Schadensersatzansprüche der Mutter ergeben
können.
59
b) Mißlingt der erlaubte Schwangerschaftsabbruch durch Verschulden des Arztes,
und kommt das Kind entgegen dem Wunsch der Mutter auf die Welt, verwirklicht sich
diejenige Gefahr für die Mutter, der mit dem Eingriff gerade vorgebeugt werden
sollte. Sie wollte die mit dem Austragen und Haben des Kindes verbundenen
Belastungen gerade nicht auf sich nehmen. In aller Regel wird zu diesen
Belastungen, die es abzuwenden galt, bei Vorliegen einer Notlagenindikation zum
Schwangerschaftsabbruch gerade auch der Unterhaltsaufwand für das Kind
gehören. Diese wirtschaftliche Seite wird deshalb in solchen Fällen von dem
Schutzzweck des Arztvertrages mitumfaßt; mißglückt der Schwangerschaftsabbruch
infolge ärztlichen Fehlverhaltens, so ist mithin auch die Belastung mit dem Unterhalt
eine diesem Umstand zuzurechnende Schadensfolge (zur Unterhaltsbelastung durch
die Geburt eines planwidrig auf die Welt gekommenen Kindes s. Senatsurt. BGHZ
76, 249 ff. = NJW 1980, 1450; NJW 1984, 2625). Freilich geht es im Falle des
mißlungenen Schwangerschaftsabbruches nicht wie im Falle der mißlungenen
Sterilisation um die Störung der Familienplanung in einer Ehe und auch nicht um die
Störung der Lebensplanung einer unverheirateten Frau, die die Empfängnis eines
Kindes von vornherein ausschließen will. Das führt indessen zu keiner anderen
rechtlichen Beurteilung. Auch der Entschluß zum erlaubten
Schwangerschaftsabbruch ist eine Willensentscheidung der Frau, die ihr weiteres
Lebens-Schicksal entscheidend beeinflußt. Sie wird deshalb in der Konfliktslage, in
der sich die werdende Mutter befindet, vom Gesetz anerkannt. Der Arzt, der sich der
Frau gegenüber zum Abbruch der Schwangerschaft bereit erklärt, stellt sich in den
Dienst dieser ihrer Entscheidung und wird insoweit zum Garant für deren
Durchsetzung, als er sich zum Einsatz des medizinisch Möglichen für die von ihm
übernommene Aufgabe verpflichtet. Daran knüpft seine Schadensersatzpflicht an,
wenn er seine vertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt hat. Daß es in diesem
Zusammenhang keinen Unterschied machen kann, ob die schwangere Frau
verheiratet ist oder nicht, liegt auf der Hand. Es kommt nur auf die den
Schwangerschaftsabbruch straffrei lassende Konfliktlage und die Einbeziehung ihrer
Beseitigung in den Arztvertrag an.
2. Ein ersatzfähiger Schaden der Kl. entfällt dem Grunde nach weiter nicht
deswegen, weil der Erzeuger des Kindes entsprechend seiner gesetzlichen
Verpflichtung Unterhaltszahlungen leistet. Diese Zahlungen decken den
Unterhaltsbedarf nicht vollständig. Es bleibt die von der Mutter für das Kind
aufzuwendende Unterhaltsleistung in Form der Pflege und Sorge für das persönliche
Wohl des Kindes, deren Vermögenskomponente sich in Geld bewerten läßt. Insoweit
gilt hier nichts anderes als für den Unterhaltsschaden der Frau im Falle einer
mißglückten Sterilisation. Die für seine Ersatzfähigkeit von dem erkennenden Senat
aufgestellten Grundsätze sind auch auf die hier in Rede stehenden Fallgestaltungen
anwendbar. Daraus ergibt sich weiter, daß die Kl. auch für die Zeit, in der sie ihr Kind
durch ihre Schwester gegen Entgelt hat versorgen lassen, neben den Zahlungen des
Erzeugers Anspruch auf Ersatz ihrer entsprechenden Baraufwendungen hat. Im
übrigen kann zur Frage des Unterhaltsschadens der Mutter und der Abgrenzung zu
den Unterhaltsaufwendungen des Vaters auf die grundsätzlichen Erwägungen im
Senatsurteil BGHZ 76, 259 (269 ff.) = NJW 1980, 1452, verwiesen werden, aus
denen sich auch die Maßstäbe für eine Aufteilung der geschuldeten
Unterhaltsleistungen zwischen der Mutter des Kindes und dem nichtehelichen
Erzeuger entwickeln lassen. Da der Mutter jedenfalls nur ein Anspruch auf Ersatz der
ihr verbleibenden Unterhaltsaufwendungen als Schadensersatz zusteht, kann es im
Ergebnis nicht zu einer doppelten Unterhaltsleistung an das Kind kommen. Ob und in
60
welchem Umfange dem Erzeuger des Kindes Ersatzansprüche gegen den Arzt
zustehen und ob insoweit durch § 218a StGB, der allein auf die Interessen der Mutter
abhebt, Grenzen gesetzt sind, ist nicht zu entscheiden, weil solche Ansprüche nicht
geltend gemacht werden.
3. Der Anspruch der Kl. scheitert auch nicht schon daran, daß sie sich nicht alsbald
im Februar 1979 der vom Bekl. vorgeschlagenen Operation der Myome im Uterus
unterzogen hat. Freilich wird nach dem Fehlschlag eines
Schwangerschaftsabbruches, wenn er innerhalb der ersten 12 Wochen nach der
Empfängnis entdeckt wird, der Mutter, die einen den Umständen nach straffreien
Schwangerschaftsabbruch weiter wünscht, ein erneuter Eingriff zugemutet werden
können. Angesichts des Mißverhältnisses zwischen den Belastungen eines erneuten,
nicht schweren operativen Eingriffs, und den von ihr befürchteten Schwierigkeiten
wirtschaftlicher, sozialer und psychischer Art, die erst die Notlagenindikation für den
Abbruch herbeiführen können, handelte sie widersprüchlich und damit arglistig, wenn
sie den unter ihrer Mitwirkung noch wiedergutzumachenden Fehler des Arztes dazu
benutzen würde, ihn an seinen schadensersatzrechtlichen Unterhaltsverpflichtungen
festzuhalten.
So liegt es aber im Streitfall nach den Feststellungen des BerGer. nicht. Die Kl.
erfuhr nämlich erst am 12. 3. 1979 bei der Untersuchung des Dr. S, daß ihre
Schwangerschaft fortbestand. Anfang Februar 1979 hatte ihr der Bekl. nichts darüber
mitgeteilt; er ging ja auch selbst davon aus, daß der Schwangerschaftsabbruch
gelungen war und daß sich das körperliche Befinden der Kl. aus dem Wachstum der
Myome erklärte. Dann kann es der Kl. nicht, wie der Bekl. gemeint hat, angelastet
werden, daß sie selbst nichts von der Schwangerschaft bemerkte. Selbst wenn sie
ihre Regel nicht wiederbekommen hatte, mußte das für sie noch kein Alarmsignal
sein, und andere Anzeichen für ein etwaiges Fortbestehen der Schwangerschaft
hatte der Bekl. als der Fachmann ihr gegenüber anders gedeutet.
4. Endlich kann der Bekl. der Kl. nicht anlasten, daß sie sich im März 1979 nach
Kenntnis von dem Fortbestehen der Schwangerschaft einem möglichen
Schwangerschaftsabbruch, nun aber aus medizinischer Indikation nach § 218a I Nr.
2 StGB und aus einer etwaigen eugenischen Indikation nach § 218a II Nr. 1 StGB,
nicht unterzogen hat. Selbst wenn eine solche Indikationslage bestand, betraf diese
eine andere Konfliktslage. Es ging nicht mehr um einen Schwangerschaftsabbruch
aus „sozialer“ Notlage; ein solcher hätte schon deswegen nicht mehr durchgeführt
werden dürfen, weil die 12-Wochen-Frist seit der Empfängnis (§ 218a III StGB)
längst verstrichen war. Nunmehr ging es in erster Linie um die Gesundheit der Kl.
und um die Gesundheit des werdenden Kindes, die durch die Myome im Uterus der
Kl. bedroht sein konnten. Mit Hilfe der jetzt, wie zu unterstellen ist, vorliegenden
Indikationslage hätte die Kl. allerdings auch jetzt noch ihre nach einer durch die
Geburt des Kindes zu befürchtende Notlage, die den ursprünglich gewünschten
Schwangerschaftsabbruch rechtfertigte, beseitigen können. Daß sie von dieser
rechtlichen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, entbindet den Bekl. indessen
nicht von seiner Ersatzpflicht; dies schon deshalb nicht, weil er sie durch seine
Fehlbehandlung, die hier zu unterstellen ist, in eine ganz andere
Entscheidungssituation gebracht hatte. Die Kl. befand sich nunmehr mindestens im
5. Schwangerschaftsmonat. Das bedeutet, daß sie das werdende Kind als ein neues,
selbständiges Leben in ganz anderer Weise wahrnahm. Ein Abbruch der
Schwangerschaft war dazu jetzt nicht mehr als ein verhältnismäßig kleiner Eingriff
61
vaginal möglich, sondern nur mittels Bauchschnitt. Schon das sind Umstände, die die
Entscheidungslage der Kl. für oder gegen das Kind völlig veränderten. Was sie in
ihrer Not und Bedrängnis noch zu Beginn der Schwangerschaft hinzunehmen bereit
war, konnte ihr verständlicherweise jetzt als nicht mehr verantwortbar erscheinen.
Das ist einfühlbar und zu respektieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob bei
naturwissenschaftlicher oder ethischer Betrachtung Unterschiede in der
Lebensqualität des Fötus in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten und danach
gemacht werden können und dürfen. Im Vordergrund der rechtlichen Betrachtung
muß die Person der Schwangeren stehen und die für sie sichtbaren und einfühlbaren
Umstände, die für ihre Entscheidung zum Abbruch der Schwangerschaft oder zum
Austragen des Kindes von Bedeutung sind. Wenn die Kl., wie sie hat vortragen
lassen, im März 1979 trotz medizinischer Indikation zum Abbruch sich nunmehr für
das Kind entschieden hat, weil sie den Abbruch jetzt als „Mord“ ansah, dann hat ein
solcher Entschluß den Haftungszusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des
Bekl. und dem durch die Geburt des Kindes entstandenen Schaden von der
Unterhaltsleistung nicht unterbrochen.
5. Anders läge es, wenn die Kl. angesichts der Eröffnung durch Prof. M, sie werde
kein Kind mehr bekommen können, wenn sie nicht versuche, trotz aller Risiken das
bereits empfangene auszutragen, sich nunmehr entschlossen hätte, wenigstens
dieses Kind zu bekommen, weil sie in jedem Falle wenigstens ein Kind haben wollte.
Das stellt das BerGer. im angefochtenen Urteil fest. In der Tat entfiele dann der
rechtliche Grund für die Schadensersatzpflicht des Bekl., der nur darin liegen kann,
daß er die Geburt des Kindes nicht im Interesse der Notlage der Mutter verhindert
hat. Wenn diese selbst eine Notlage nicht mehr verhindern will, sondern im Gegenteil
alles in Kauf nehmen will, weil sie anderen Sinnes geworden ist und jetzt auf jeden
Fall ein Kind haben will, zeigt sie, daß sie den vom Bekl. vertraglich geschuldeten
Schutz nicht mehr will, sondern den gegenteiligen Erfolg. Es fehlte damit an dem
Zurechnungszusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Bekl. und der die Kl.
belastenden Folge, nämlich der Geburt des Kindes und den daraus erwachsenden
Unterhaltsbelastungen (vgl. dazu und zu der Frage, wann ein Kind im Rechtssinne
„erwünscht“ oder „unerwünscht“ ist, Senat, NJW 1984, 2625). Indessen ist die
entsprechende Feststellung des BerGer., wie die Revision mit Recht rügt, nicht
verfahrensfehlerfrei zustandegekommen (§ 286 ZPO).
a) Das BerGer. folgert den von ihm festgestellten „Sinneswandel“ der Kl. aus dem
Inhalt des Schreibens von Prof. M an den Haftpflichtversicherer des Bekl. Der Inhalt
des Schreibens, auf das sich beide Parteien im Laufe des Rechtsstreits bezogen
haben, ist nicht streitig. Die Kl. hat überdies sämtliche Ärzte, die sie im
Zusammenhang mit der Schwangerschaft behandelt haben, von ihrer
Schweigepflicht entbunden. Deswegen bestehen keine Bedenken dagegen, daß das
BerGer. das Schreiben bei der Entscheidung des Rechtsstreites als Parteivortrag
gewürdigt hat. Indessen durfte es angesichts des entgegenstehenden Vortrages der
Kl. aus den von Prof. M in seinem Schreiben gewählten Formulierungen nicht
folgern, das lasse nur den Schluß zu, daß die Kl. sich im Verlaufe der Gespräche mit
Prof. M entschieden habe, das Kind auszutragen, weil eine spätere Schwangerschaft
ausgeschlossen schien und sie die ihr verbliebene einzige Möglichkeit, ein Kind zu
gebären, sich erhalten wollte. Freilich liegt eine solche Deutung dem Wortlaut nach
recht nahe. Sie ist aber einmal nicht die einzige Möglichkeit der Auslegung, zum
anderen hat die Kl. einer solchen gerade widersprochen. In erster Instanz hat sie
nach Einführung des Schreibens des Prof. M durch den Bekl., der unter Bezug
62
darauf behauptete, die Kl. habe sich mithin bewußt für das Kind entschieden,
erwidern lassen, ihr sei vielmehr der Gedanke unerträglich gewesen, das in ihrem
Mutterleib nun bereits ausgebildete Kind töten zu lassen. Nachdem der Bekl. in der
Berufungsbegründung wiederum einen Sinneswandel der Kl. behauptet hatte, hat sie
zur Frage eines „nachträglichen Einverständnisses“ ausführen lassen, es sei ja nun
schon ausführlich dargelegt worden, daß die Kl. sich am 14. 3. 1979 aus ethischen
und auch medizinischen Gründen gegen die Kaiserschnittoperation entschieden
habe und nicht etwa, weil sie sich plötzlich zu diesem Zeitpunkt ein Kind gewünscht
habe.
b) Danach hat die Kl. entgegen der Ansicht des BerGer. die sich aus dem Inhalt des
Schreibens von Prof. M ergebenden oder jedenfalls naheliegenden tatsächlichen
Umstände und Gesprächsinhalte im hier interessierenden Kernpunkt in aller
Deutlichkeit bestritten. Sie hat auch - was das BerGer. zu Unrecht vermißt dargelegt, sie habe sich zum Austragen des Kindes aus den oben unter II 4
dargelegten Gründen entschlossen. Danach fehlt den rechtlichen Erwägungen des
BerGer. die tatsächliche Grundlage. Es wird vielmehr erst aufzuklären sein, ob die Kl.
aus den vom Bekl. behaupteten Gründen das Kind nunmehr entgegen ihren früheren
Bedenken und ohne Rücksicht auf die dadurch geschaffene wirtschaftliche Lage
haben wollte. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Bekl., einen solchen Sachverhalt,
durch den Umstände geltend gemacht werden, die ausnahmsweise den
bestehenden Zurechnungszusammenhang zwischen dem ärztlichen Fehlverhalten
und eingetretenen Schaden entfallen lassen können, zu beweisen. Im Streitfall mag
freilich nach dem unstreitig im Wortlaut vorliegenden Schreiben des Prof. M schon
viel für die Darstellung des Bekl. sprechen, so daß die Kl. die gegen sie sprechenden
Umstände entkräften müßte. Das mag das BerGer. aber mit den Parteien erörtern
und entsprechende Beweisanträge anregen. Als unstreitig durfte es das Vorbringen
des Bekl. nicht ansehen.
6. Rechtlich nicht haltbar sind darüber hinaus die Erwägungen, mit denen das
BerGer. einen Anspruch der Kl. auf Zahlung von Schmerzensgeld abgelehnt hat.
a) Ein etwaiger schuldhafter Behandlungsfehler des Bekl., der im Nichterkennen des
Fortbestehens der Schwangerschaft und im Unterlassen eines rechtzeitigen weiteren
Eingriffs liegen könnte, kann, sofern das zu einer Körperverletzung der Kl. geführt
hat, auch einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung nach § 823 I
BGB rechtfertigen. Es kommt dann auch ein Anspruch auf Zahlung von
Schmerzensgeld nach § 847 BGB, den die Kl. geltend macht, in Betracht.
b) Der Senat hat in der Herbeiführung einer Schwangerschaft und Geburt entgegen
dem Willen der betroffenen Frau, auch wenn es sich um einen normalen
physiologischen Fall ohne Komplikationen handelt, eine Körperverletzung gesehen,
die die Zubilligung eines Schmerzensgeldes rechtfertigen kann (Senat, NJW 1980,
1452 (1453), insoweit in BGHZ 76, 259, nicht abgedruckt). Mit Einschränkungen hat
er einen Schmerzensgeldanspruch der Mutter auch dann für möglich gehalten, wenn
die Schwangerschaft selbst (wie auch hier) zwar nicht auf dem Versagen des Arztes,
sondern auf freier Entschließung der Mutter beruht oder von dieser doch
hingenommen worden ist, nämlich für diejenige Schmerzbelastung, die
schadensbedingt die mit einer natürlichen, komplikationslosen Geburt verbundenen
Beschwerden übersteigt (BGHZ 86, 240 (248) = NJW 1983, 1371). Darüber hinaus
können im Einzelfall die körperlichen und vor allem auch seelischen Belastungen der
63
Schwangeren durch den Fortbestand ihrer Schwangerschaft, soweit auch sie
schadensbedingt sind, d. h. gerade auf das dem Arzt zuzurechnende Mißlingen
eines frühzeitigen Schwangerschaftsabbruchs zurückzuführen sind, einen so
schwerwiegenden Eingriff in ihre körperliche Befindlichkeit darstellen, daß ein
Schmerzensgeld in Betracht kommt. Im Streitfall ist der Kl., wie der eindrucksvolle
Verlauf der verschiedenen ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen nach dem
Fehlschlagen des geplanten Schwangerschaftsabbruchs, die erforderlich werdenden
schwierigen persönlichen Entscheidungen sowie die drohenden, stets vor Augen
stehenden Gesundheitsgefahren zeigen, körperlich und seelisch viel abverlangt
worden, wofür der Bekl. verantwortlich sein kann. Das kann selbst unter
Berücksichtigung dessen, daß die Kl. sich ohnehin zum Zwecke der Entfernung der
myomatösen Gebärmutter einer Operation hätte unterziehen müssen, entgegen der
Ansicht des BerGer., das die unterschiedliche Belastung im Verlauf einer
komplikationslosen, „normalen“ Schwangerschaft im Vergleich zu dem, was die Kl.
hat auf sich nehmen müssen, verkennt, eine billige Entschädigung in Geld
rechtfertigen.
7. Das angefochtene Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechts- und
Verfahrensfehlern. Es ist deshalb insgesamt aufzuheben und die Sache an das
BerGer. zurückzuverweisen. Derzeit ist nämlich nicht auszuschließen, daß das
BerGer. nach der gebotenen weiteren Aufklärung zu der Überzeugung gelangt, daß
dem Bekl. ein haftungsbegründendes ärztliches Fehlverhalten zur Last fällt, das eine
Schadensverpflichtung der Bekl. auslösen kann, und zwar einschließlich der
Verpflichtung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes.
N.
Anmerkung:
Dem Urteil ist zuzustimmen. Es verbindet Arztrecht und moderne haftungsrechtliche
Theorie. Welches Urteil behandelte bisher schon den Schutzzweck, die
Unterbrechung des Haftungszusammenhangs und den Zurechnungszusammenhang
in einem Atemzug? Allerdings dienen alle drei Institute demselben Zweck, nämlich
der Einschränkung des versari in re illicita. Nicht jede Folge eines Fehlers soll
haftungsrechtlich ausgeglichen werden.
1. Schutzzweck und Gefahrverwirklichung. Nach den Gründen des vorstehenden
Urteils ist der Unterhaltsschaden durch den Arzt nur zu ersetzen, wenn sich diejenige
Gefahr für die Mutter verwirklicht, der mit dem Eingriff vorgebeugt werden sollte. Bei
Vorliegen einer Notlagenindikation zum Schwangerschaftsabbruch gehöre dazu in
aller Regel auch der Unterhaltsaufwand für das Kind. Deshalb werde die
wirtschaftliche Seite in solchen Fällen vom Schutzzweck des Arztvertrages mit
umfaßt. Dem kann man im ausgesprochenen Teil voll zustimmen, im nicht
ausgesprochenen, vielleicht aber mitgedachten Teil ist eher ein Rat zur Vorsicht am
Platze. Sollte das Gericht etwa meinen, daß eine mißlungene Sterilisation aus
Gesundheitsgründen keinen Anspruch auf Unterhaltsschaden des dennoch
geborenen Kindes gibt (so Staudinger-Medicus, BGB, 12. Aufl., § 249 Rdnr. 17). An
dieser Stelle ist es wichtig, daran zu erinnern, daß aus vielerlei Gründen die
wirklichen Motive für eine Sterilisation oder einen Schwangerschaftsabbruch nicht
immer nach außen deutlich hervortreten. Auch spielt der Vertrauensgrundsatz eine
erhebliche Rolle: Ist aus gesundheitlichen Gründen eine Sterilisation versucht
64
worden, so können sich die Eheleute auf den vertraglich versprochenen Erfolg
grundsätzlich verlassen. Das Vertrauen bezieht dann den Vermögensschaden des
nicht eingeplanten Kindes mit in den Schutzbereich der Vertragsverletzung ein.
2. Unterbrechung des Haftungszusammenhangs. Die Unterbrechung des
Haftungszusammenhangs setzt für gewöhnlich voraus, daß durch vorsätzliches oder
wenigstens bewußtes Dazwischentreten ein psychischer Kausalzusammenhang
völlig in den Hintergrund gedrängt wird. Allerdings darf das Dazwischentreten nicht
durch das schuldhafte Verhalten „herausgefordert“ sein (Steffen, in: RGRK, 12. Aufl.,
§ 823 Rdnrn. 93 ff.; Deutsch, HaftungsR I, S. 164). Die vorliegende Entscheidung
führt die Lehre von der Unterbrechung des Haftungszusammenhangs weiter. Auf
seiten der Schwangeren handelt es sich nicht um positives Tun, sondern um ein
Unterlassen der Mitwirkung. Auch wird ein normaler Kausalzusammenhang, nicht
etwa eine psychisch vermittelte Kausalität unterbrochen. Aus diesen Gründen paßt
auch das Merkmal der „Herausforderung“ nicht. Vielmehr handelt es sich um einen
Haftungszusammenhang, der durch bewußtes Nichtmitwirken der Schwangeren
möglicherweise gestoppt sein kann. Dazu kommt es darauf an, ob das Unterlassen
der Mitwirkung auf vertretbare Motive zurückzuführen ist. Daß dies der Fall ist, hat
der BGH unter Bezug auf die Person der Schwangeren zutreffend und
nachvollziehbar dargelegt. Auf diese Weise hat das deutsche Gericht den Fehler
eines englischen Richters vermieden, der nach einer fehlgegangenen Sterilisation
das Krankenhaus wegen eines novus actus interveniens nicht für haftbar gehalten
hatte. Die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs sah er in der Weigerung der
Schwangeren, einer Abtreibung zuzustimmen, obwohl sie zu der entscheidenden
Zeit etwas mehr als vier Monate schwanger war (Emeh v. Kensington, Chelsea and
Fulham Area Health Authority (The Times 3. 1. 1983)).
3. Zurechnungszusammenhang. Wie früher schon das Schweizerische
Bundesgericht gestaltet der BGH nunmehr auch den Fahrlässigkeitsbegriff
zunehmend zum relativen Rechtsbegriff um (vgl. BGE 64 II 254; Deutsch,
Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 113). Zwischen dem Fehlverhalten und
dem eingetretenen Schaden hat eine enge Verbindung zu bestehen, d. h. die
Sorgfaltswidrigkeit muß sich in dem besonderen Schaden verwirklichen oder
umgekehrt sorgfältiges Verhalten müßte nach der Vorstellung der
Vertragsschließenden den Schaden hintangehalten haben. Das noch etwas
undeutlich erscheinende Merkmal des Zurechnungszusammenhangs bedarf wohl
noch weiterer Erhellung.
4. Operationspflicht und Mitverschulden. Als obiter dictum äußert der BGH, daß nach
dem Fehlschlag eines Schwangerschaftsabbruchs, der innerhalb der ersten 12
Wochen nach der Empfängnis entdeckt wird, der Mutter ein erneuter Eingriff
zugemutet werden könnte. Damit begibt sich das Gericht in einen gewissen
Gegensatz zu der deutlichen Zurückhaltung schon des RG, aber auch ausländischer
Gerichte, hinsichtlich der Zurechenbarkeit der sogenannten Operationspflicht beim
Mitverschulden, § 254 BGB. Es ist zwar herrschende Lehre, daß der Geschädigte
gehalten ist, eine gefahrlose und nicht mit nennenswerten Schmerzen verbundene
Operation auf Kosten des Schädigers vornehmen zu lassen, wenn die Heilung oder
eine beträchtliche Besserung mit Sicherheit zu erwarten ist. Jedoch hat das RG die
Ablehnung einer Operation mangels Verschuldens auch wegen fehlender
Entschlußkraft nicht als Mitverschulden angerechnet (RGZ 139, 131 (135); RG, JW
1935, 1402; ähnlich Selvanayagam v. University of the West Indies, Privy Council
65
1983 1 W. L. R. 585). Hier geht es allerdings um den erneuten Entschluß zum
gleichen Eingriff, der schon vergeblich versucht worden ist. Aber könnte das nicht
doch etwas anderes sein? Hat der Mut der Schwangeren vielleicht nur für einen
Eingriff ausgereicht? Ist einmal wirklich keinmal?
Professor Dr. Erwin Deutsch, Göttingen
c) Weitere Sonderformen der Kausalität werden im Schadensrecht erörtert.
4.
Rechtfertigungsgründe
Siehe Grundkurs Ia (§ 20)
5.
Verschuldensfähigkeit
a) Zweck und Anwendungsbereich der §§ 827 ff. § 828 stellen auf einen
Entschuldigungsgrund
ab,
der
von
einem
streng
subjektiven
Maßstab
gekennzeichnet ist. Den Verkehrsinteressen kommt lediglich § 827 S 2 sowie § 829
entgegen. Im Wesentlichen geht es dem Gesetzgeber um den Schutz von in der
konkreten Situation schuldlos Bewusstlosen, Unzurechnungsfähigen, Behinderten
und Minderjährigen (alte Personen fallen ggf unter die krankhafte Störung der
Geistestätigkeit, welche die freie Willensbestimmung ausschließt). Allein die
Präventionsfunktion trägt den Grund des Wechsels vom objektiven Maßstab bei der
allgemeinen Fahrlässigkeitsdefinition zum subjektiven Maßstab der §§ 827, 828
demgegenüber nicht. Denn obwohl der objektive Verschuldensmaßstab im Prinzip
Verhaltensanforderungen aufstellt, die vom Delinquenten subjektiv-konkret nicht
erbracht werden können, die aber vom Verkehr erwartet werden, greift auch in
seinem Anwendungsbereich – ja sogar in den Fällen der Gefährdungshaftung – die
Präventionsfunktion (s oben Vor § 823). So gesehen lassen sich §§ 827, 828 eher
als besondere Fälle verstehen, in denen der Gesetzgeber dem Verkehr schuldlose
persönliche Unzurechnungsfähigkeit zumutet. Im Übrigen schränken die §§ 827 f das
"Alles-oder-Nichts"
–
Prinzip
nicht
ein.
Auch
gibt
es
keine
verminderte
Zurechnungsfähigkeit wie in StGB § 21. Insgesamt schließen die §§ 827 f die
Haftung (erst) auf der Verschuldensebene aus, und zwar unabhängig von dem Streit
zwischen gemischt erfolgs- und verhaltensbezogenen und streng verhaltensbezogen
ausgerichtetem Rechtswidrigkeitskonzept.
66
Im Bereich der Gefährdungshaftung gelten die §§ 827 f nicht unmittelbar, weil es
mangels Verschuldenserfordernis nichts zu „entschuldigen“ gibt. Damit erhebt sich
die Frage nach einer analogen Anwendung der §§ 827 f, und zwar in Bezug auf die
Haltereigenschaft. Eine planwidrige Regelungslücke liegt offenbar vor. Zweifelhaft ist
allein die Vergleichbarkeit der Interessenlage. Eine verbreitete Ansicht tritt für die
analoge Anwendung der §§ 104ff ein. Indes erfassen diese Vorschriften nicht den
Interessenkonflikt deliktischer Tatbestände. Nach einer weiteren Ansicht ist
hinsichtlich der Begründung der Haltereigenschaft Minderjähriger weder auf die
Geschäfts- noch auf die Deliktsfähigkeit abzustellen, sondern auf die Kriterien des
Eigeninteresses und der Eigengewalt und den Reifegrad der Betroffenen. Doch sind
derartige Kriterien außerhalb der §§ 104 ff, 827 f zu undeutlich. Schließlich wird
zwischen der Begründung der Haltereigenschaft mit Zustimmung des gesetzlichen
Vertreters (dann §§ 104 ff) und dem Halten des Tieres auf eigene Faust (dann § 828)
unterschieden. Eine entsprechende Anwendung der §§ 827 f erscheint dann insoweit
angebracht, als es sich um die Begründung der Haltereigenschaft ohne Wissen und
Willen eines gesetzlichen Vertreters handelt.
Selbst diese Auffassung greift in Bezug auf die Anwendbarkeit der §§ 827 f
noch zu kurz. Schon unbeantwortet bleibt zunächst das Problem der nach
Begründung der Haltereigenschaft eintretenden Geschäfts- bzw Deliktsunfähigkeit.
Sodann sollte es keinen Unterschied machen, ob ein Minderjähriger mit einer
gefährlichen Sache hantiert, die der Gefährdungshaftung unterliegt (typischerweise
geht es um Tiere), oder nicht (im letzteren Fall sind die §§ 827 f ohnedies immer
anwendbar). Daher sind in Bezug auf die Haltereigenschaft zur Zeit des
schädigenden Ereignisses die §§ 827 f (bis hin zu § 829) analog anzuwenden. Dem
Einwand, dass unklar sei, worauf sich die erforderliche Einsicht iSd § 828 Abs 2 zu
beziehen hat, ist entgegenzuhalten, dass es nicht auf die Begründung der
Haltereigenschaft, sondern – nicht anders als im Falle der Verschuldenshaftung – auf
die
(erlaubte,
aber
haftungsbewehrte
und
daher
wenigstens
de
facto
hintanzuhaltende) Gefahr ankommen muss. Haben die Eltern bzw hat der
gesetzliche Vertreter der Begründung der Haltereigenschaft zugestimmt, so liegt die
überhaupt die Haltereigenschaft des gesetzlichen Vertreters nahe.
b) § 827.
Nach S 1 ist Voraussetzung für den Ausschluss der Verantwortlichkeit
des Täters für den Schaden, dass dieser im Zustand der Bewusstlosigkeit oder bei
sonst krankhafter Störung der Geistestätigkeit, welche die freie Willensbestimmung
67
ausschließt, zugefügt worden ist. Unter Bewusstlosigkeit ist ein Zustand von solchem
Tiefengrad zu verstehen, in dem die Fähigkeit zur Willenssteuerung aufgehoben ist.
Bei voller Bewusstlosigkeit - so etwa im Zustand der Ohnmacht oder des Schlafes –
fehlt es rechtlich gesehen bereits an der Möglichkeit einer Handlung. § 827 S 1 greift
also
erst
ein,
wenn
bei
gegebener
Handlungsfähigkeit
die
Freiheit
der
Willensbestimmung aufgehoben ist. Als Bewusstlosigkeit iS des § 827 sind indessen
(mit der Folge bloßer Zurechnungsunfähigkeit) auch starke Störungen des
Bewusstseins anzusehen, die – ohne dass sie krankhaft zu sein brauchen – die freie
Willensbestimmung ausschließen. Eine solche Störung kann uU bei einem
Unfallschock, äußerster Erregung, schwerer Übermüdung, hypnotischen Zuständen,
hochgradiger
Trunkenheit
(Umkehrschluss
aus
S
2),
sonstigen
Berauschungszuständen, panischem Schrecken oder kreislaufbedingtem "Blackout"
vorliegen. Es kommt ganz auf den Einzelfall an. Das gilt auch bei alkoholbedingter
Zurechnungsunfähigkeit. Die Überschreitung der Promille-Grenzen zur Annahme von
Fahruntüchtigkeit genügt jedenfalls nicht zur Annahme der Zurechnungsunfähigkeit.
Unterhalb der Schwelle von 2 o/oo ist jedenfalls ohne besondere weitere Umstände
keine Deliktsunfähigkeit anzunehmen; als solch besondere Umstände kommen eine
Ausschaltung des Bewusstseins durch einen Unfallschock in Kombination mit
Alkoholkonsum, Drogenkonsum, jugendlichem oder hohem Alter in Betracht. Eine
leichte Gehirnerschütterung genügt aber noch nicht.
Die krankhafte Störung der Geistestätigkeit entspricht der in § 104 Nr 2 genannten.
Ob es sich um einen dauernden oder einen vorübergehenden Zustand handelt, ist für
§ 827 ohne Bedeutung. Erforderlich ist nur, dass im Augenblick der Tat die freie
Willensbestimmung durch die Störung völlig ausgeschlossen ist. Ein sog lucidum
intervallum stellt ggfs also die Zurechnungsfähigkeit wieder her.
c)
§ 827 S. 2 und „actio libera in causa“. Liegt zur Zeit der unmittelbar
verletzenden Verhaltensweise Deliktsunfähigkeit vor, ist immer noch an ein sog
Übernahmeverschulden (oder auch einleitendes Verschulden) zu denken. Da das
Verschulden zur Zeit des zur Verletzung führenden Verhaltens vorgelegen haben
muss,
ist
also
eine
Vorverlagerung
des
haftungsrechtlich
relevanten
Anknüpfungspunkts in Betracht zu ziehen.
Befindet sich der Täter später im Zustand der Deliktsunfähigkeit, sind zunächst die
Grundsätze der actio libera in causa anwendbar. Vorausgesetzt ist dafür, dass sich
der Täter vorsätzlich oder fahrlässig in den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit
68
gesetzt hat, sei es, dass er von vornherein plante, im Zustand der Deliktsunfähigkeit
die Tat zu begehen, sei es, dass er hätte erkennen können, während der
Deliktsunfähigkeit
eine
rechtswidrige
Tat
zu
begehen.
Es
besteht
keine
Veranlassung, Grundsätze der actio libera in causa neben § 827 S 2 nicht
anzuwenden. Die Vorverlagerung des haftungsrechtlich erheblichen, weil (noch)
schuldhaften Verhaltens führt freilich dazu, dass die Kausalverbindung zwischen
dem entsprechenden (vorverlagerten) Verhalten und dem Verletzungserfolg so dünn
werden kann, dass die Grenze der objektiven Zurechenbarkeit überschritten ist.
Dann hilft immer noch ggf § 827 S 2, der über die „normale“ haftungsrechtlichen
Vorverlagerungsmöglichkeiten und die actio libera in causa hinausgeht. Noch im
Rahmen der Grundsätze der actio libera in causa befindet man sich demgegenüber,
wenn sich der Täter Mut antrinkt, um eine vorsätzlich-sittenwidrige Schädigung zu
begehen und diese auch verwirklicht. Dabei ist zu beachten, dass § 827 S 2 nicht
weiter hilft, wenn die Haftung Vorsatz (z. B. § 826) voraussetzt; hier greifen ggf allein
die Grundsätze der actio libera in causa. Anders steht es in dem geradezu
klassischen Beispiel, dass sich der Delinquent betrinkt und hernach mit seinem Pkw
fährt,
obwohl
er
damit
rechnen
musste,
im
Zustand
der
alkoholisierten
Zurechnungsunfähigkeit seinen Wagen zu benutzen.
d) § 828 und Verfassungsrechtliche Fragen. Kann der Minderjährige seine
Zurechnungsunfähigkeit nicht darlegen und beweisen, haftet er nach dem Alles-oderNichts-Prinzip ggf in unbegrenzter Höhe. Es fragt sich, ob eine solche Konsequenz
gegen sein Persönlichkeitsrecht verstoßen kann, zumal dann, wenn ihm dadurch die
Möglichkeit zur Gestaltung seines späteren Lebens genommen wird. Ein – freilich
anders gelagertes – Phänomen (Haftung für Verbindlichkeiten, welche die
Sorgeberechtigten mit Wirkung zu Lasten eines Minderjährigen eingegangen sind „Kinder haften für ihre Eltern“) hat der Gesetzgeber im Anschluss an das BVerfG
(BVerfGE 72, 155) in § 1629 a aufgegriffen. Die Haftung des einsichtsfähigen
Minderjährigen für eigene Delikte wird dadurch freilich nicht berührt. In einem 1989
ergangenen Vorlagebeschluss hat das OLG Celle indes die Ansicht vertreten, die
unbegrenzte Haftung von Kindern und Jugendlichen nach § 828 Abs 2 sei mit dem
GG jedenfalls insoweit nicht vereinbar, als es sich um Fälle handelt, in denen auf
Seiten des Kindes oder Jugendlichen nur leichte Fahrlässigkeit vorliegt, die
uneingeschränkte Haftung zu einer wirtschaftlichen Existenzvernichtung führen
69
würde und die Entschädigung des Opfers von dritter Seite – zB durch eine
Versicherung – gewährleistet ist; der Rechtsstreit wurde durch Vergleich erledigt.
OLG Celle NJW-RR 1989, 791 = VersR 1989, 709 mAnm E Lorenz; vgl dazu Canaris
JZ 1990, 679; Kuhlen JZ 1990, 273; Medicus AcP 192 (1992), 35, 65 ff.
Zum Sachverhalt:
Die Kl. nimmt die beiden Bekl., die zur Vorfallszeit 14 Jahre und 10 Monate sowie 15
Jahre und 8 Monate alt waren, aus übergegangenem Recht auf Ersatz eines
Brandschadens in Anspruch. Am Abend des 22. 1. 1984 gegen 18. 00 hielten sich
die Bekl. auf dem Gelände der Fa. S auf. Der Bekl. zu 1 holte aus einer Telefonzelle
ein Telefonbuch, welches die Bekl. anzündeten, um sich zu wärmen. Streitig ist
insbesondere, ob dieses Feuer vor oder in einem Anbau einer dort befindlichen Halle
entzündet worden ist. In der darauffolgenden Nacht gegen 3. 00 wurde der Polizei
ein Feuer auf demselben Grundstück gemeldet, das u. a. zur Vernichtung der Halle
führte. Die Kl. zahlte an die Fa. S als deren Feuerversicherer in Teilbeträgen
330870,04 DM, die sie von den Bekl. erstattet verlangt. Der von der Kl. beauftragte
Sachverständige I hat den Schaden auf 467774 DM geschätzt. Der Bekl. zu 1 ist
nicht haftpflichtversichert.
Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine Brandstiftung durch die
Bekl. stehe nicht fest. Auf die Berufung der Kl. erklärte das OLG den Klageanspruch
gegen den Bekl. zu 2 dem Grunde nach zu 70 % für gerechtfertigt und verwies
wegen der Höhe an das LG zurück; hinsichtlich des Bekl. zu 1 setzte es gem. Art.
100 I GG den Rechtsstreit aus und legte dem BVerfG die in dem Leitsatz enthaltene
Frage zur Entscheidung vor.
Aus den Gründen:
A. ... I. Der von der Kl. geltend gemachte Anspruch ist nicht verjährt. (Wird
ausgeführt.) ...
II. ... 2. Nach Überzeugung des Senats gibt es keinen ernstlichen Zweifel daran, daß
die Bekl. das Telefonbuch im Anbau angezündet, andererseits aber das Feuer vor
dem Verlassen des Gebäudes ausgetreten haben, nach ihrer Einschätzung in
ausreichendem Umfang, in Wirklichkeit aber nur in der Weise, daß Reste
weiterglimmten und das Gebäude entzündeten. (Es folgt eine ausführliche
Beweiswürdigung.)
... IV. Die Bekl. sind für die Schadensverursachung auch nach Maßgabe der §§ 823
I, 828 II BGB verantwortlich.
1. Eine Zurechnungsfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist zu bejahen, wenn der
Jugendliche die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht, d. h. die
geistige Entwicklung besitzt, die ihn in den Stand versetzt, das Unrecht seiner
Handlung gegenüber Mitmenschen und zugleich die Verpflichtung zu erkennen, in
70
irgendeiner Weise für die Folgen seines Verhaltens selbst einstehen zu müssen
(BGH, NJW 1984, 1958). In dieser Hinsicht bestehen zunächst einmal schon deshalb
keine ernstlichen Zweifel, weil nach der sprachlichen Fassung des § 828 BGB der
Mangel der Einsicht nicht von Amts wegen zu berücksichtigen, sondern vom Täter zu
behaupten und zu beweisen ist (BGH, VersR 1970, 467; NJW 1984, 1958). Da in
dieser Hinsicht nichts vorgetragen worden ist, kann eine Haftung insoweit nicht
verneint werden, ganz abgesehen davon, daß angesichts des Alters der Bekl. von
knapp unter 15 bzw. über 15 Jahren auch sonst keine erkennbaren Zweifel an der
zuvor näher beschriebenen Einsichtsfähigkeit bestehen (vgl. die empirischen
Untersuchungen von Wille-Bettge, VersR 1971, 878 ff.).
2. Die Bekl. haben auch schuldhaft i. S. von § 276 BGB gehandelt, und zwar
fahrlässig. Insoweit ist nach ständiger Rechtsprechung nicht auf die individuellen
Fähigkeiten des Jugendlichen abzustellen, sondern darauf, ob ein normal
entwickelter Jugendlicher dieses Alters die Gefährlichkeit seines Tuns hätte
voraussehen und dieser Einsicht gemäß hätte handeln können und müssen (BGH,
NJW 1970, 1038; 1984, 1958). Hinsichtlich dieses Verschuldens, welches der
Geschädigte zu beweisen hat, ist ein Anscheinsbeweis mit der Einschränkung
zulässig, daß es bei der Prüfung der Fahrlässigkeit nicht auf die persönliche Schuld
des Jugendlichen ankommt, sondern objektiv darauf, was von einem Jugendlichen
seiner Altersgruppe zu fordern war (BGH, NJW 1970, 1038). In dieser Beziehung ist
zunächst daran zu erinnern, daß bei der Fahrlässigkeit generell nicht die
Vorhersehbarkeit des konkreten Geschehensablaufes erforderlich ist, die Bekl. also
nicht mit den Feinheiten der Entstehung eines Schwelbrandes vertraut zu sein
brauchten. Ausgangspunkt ist vielmehr, daß das Telefonbuch und der in ihm
befindliche Brandherd nicht vollständig ausgetreten worden sein kann, weil sich
anderenfalls der Brand nicht entwickelt hätte. Das Verschulden der Bekl. liegt
dementsprechend vor in bezug auf das nicht ordnungsgemäße Austreten des
Feuers, zumal der Brand schon verhindert worden wäre, wenn die Bekl. ein paar
Hand voll Schnee zusätzlich auf das Telefonbuch geworfen hätten. Gerade wenn ein
dickes Telefonbuch vorher geglimmt hat, kann sich auch ein 15jähriger sagen, daß
die Reste des Feuers auf einem Holzfußboden zur Entzündung führen können,
mögen die Einzelheiten der Schadensentwicklung auch für ihn nicht vorhersehbar
gewesen sein.
V. Der Anspruch des S ist indessen durch ein Mitverschulden seinerseits zu kürzen
(§ 254 BGB). (Wird ausgeführt.)
... B. Bezüglich des Bekl. zu 1 ist eine Vorlage an das BVerfG gem. Art. 100
BVerfGoten.
I. Nach Überzeugung des Senats ist § 828 II BGB jedenfalls in denjenigen Fällen
nicht mit der Verfassung (Art. 1, 2, 6 II 2 GG) vereinbar, in denen Kinder und/oder
Jugendliche im Alter zwischen sieben und siebzehn Jahren in existenzvernichtender
Weise auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, obwohl ihnen einerseits
nur leichtes Verschulden vorzuwerfen, andererseits aber die finanzielle
Entschädigung des Opfers von dritter Seite gewährleistet ist.
II. 1. Nach § 823 I i. V. mit § 828 I BGB haftet bereits ein Kind (in Übernahme der
strafrechtlichen Terminologie: eine Person von sieben bis dreizehn Jahren) und/oder
ein Jugendlicher (im Alter von vierzehn bis siebzehn Jahren) dann, wenn er einem
71
anderen einen Schaden zufügt, in unbegrenzter Höhe. Diese Haftung greift schon bei
ganz geringem Verschulden, d. h. bei leichtester Fahrlässigkeit ein, und zwar mit
dem Ergebnis, daß auch eine momentane und angesichts der Situation verständliche
Unaufmerksamkeit eines Kindes oder Jugendlichen oder insbesondere ein
Verhalten, welches typischerweise als „Dummenjungenstreich“ charakterisiert wird,
zu einer unbegrenzten Haftung führt.
2. Nach Überzeugung des Senats reichen die in § 828 II BGB enthaltenen
Schranken, die eine Haftung des Kindes bzw. des Jugendlichen von seiner
Zurechnungsfähigkeit und dem Verschulden - bezogen auf ein normal verständiges
Kind der entsprechenden Altersgruppe - abhängig machen, nicht aus, um in
sämtlichen Fällen zu akzeptablen Ergebnissen zu gelangen.
a) Was zunächst die Zurechnungsfähigkeit anbetrifft, so wird die erforderliche
Einsicht im Sinne einer geistigen Entwicklung, die den Handelnden in den Stand
setzt, das Unrecht seiner Tat gegenüber den Mitmenschen und zugleich seine
Verpflichtung zu erkennen, in irgendeiner Weise für die Folgen seiner Handlung
selbst einstehen zu müssen, in der Regel bei den typischen Fällen der
Unaufmerksamkeit oder der „Dummenjungenstreiche“ zu bejahen sein, insbesondere
bei Kindern oberhalb der Grenze von zehn Jahren.
b) Auch das Erfordernis des Verschuldens wird regelmäßig zu sachgerechten
Ergebnissen nicht ohne weiteres führen können. Wenn, um dies an einem Beispiel
zu erläutern, ein zehn oder zwölfjähriges Kind, das ein schlechtes Zeugnis erhalten
hat oder nicht versetzt worden ist, voller Angst vor Strafe nach Hause geht, deshalb
unaufmerksam die Straße überquert und einen schweren Unfall mit hohem Schaden
zu Lasten eines Autofahrers verursacht, der ihm ausweicht und dabei verunglückt, so
wird regelmäßig nicht um die Feststellung herumzukommen sein, daß auch ein
normaler Zehn- oder Zwölfjähriger selbst unter Berücksichtigung der konkreten
Situation an die ihm seit vielen Jahren eingeimpfte Belehrung hätte denken können,
daß Straßen nicht unaufmerksam überquert werden dürfen. Entsprechendes gilt für
typisches kindliches Fehlverhalten beim Spielen und die bereits erwähnten
„Dummenjungenstreiche“ trotz der vom BGH entwickelten Haftungseinschränkungen
(z. B. BGH, NJW 1984, 1958), denn gerade auch im vorliegenden Fall hätten sich die
Bekl. sagen können und müssen, daß schon das Anzünden eines Telefonbuches in
einem Raum mit Holzfußboden gefährlich war und die Brandreste zumindest mit
Schnee hätten gelöscht werden müssen. Die in jedem Kommentar zitierten
Einzelfälle aus der Rechtsprechung belegen im übrigen dieses Urteil, ganz
abgesehen davon, daß Gerichte dazu neigen, und zwar berechtigterweise, an das
Verschulden - gerade eines versicherten - Kindes oder Jugendlichen nur geringe
Anforderungen zu stellen, weil anderenfalls den möglicherweise schwer
geschädigten Opfern sonst jegliche Entschädigung abgesprochen werden müßte.
c) Ganz besonders problematisch ist die Haftung jedoch, weil es beim Verschulden
auf die Sorgfalt eines durchschnittlichen Kindes dieser Altersgruppe ankommt (st.
Rspr., z. B. BGH, NJW 1984, 1958), so daß gerade ein in seiner Entwicklung
zurückgebliebenes Kind besonders scharf haftet.
3. Die in § 828 II BGB getroffene Regelung ermöglicht somit die Existenzvernichtung
von Kindern und Jugendlichen, der sie sich im Ergebnis nicht entziehen können.
72
a) Richtig ist zwar, daß auch die menschlich nachvollziehbare und verständliche
momentane kleine Unaufmerksamkeit eines Erwachsenen zu dessen unbegrenzter
Schadensersatzpflicht führen kann, und zwar bei fahrlässigem Verhalten sowohl im
beruflichen als auch im privaten Bereich. Die diesbezügliche gesetzliche Regelung
erscheint jedoch deshalb vertretbar, weil in Teilbereichen (Stichwort: gefahrgeneigte
Arbeit) jedenfalls bei leichter Fahrlässigkeit der Schadensersatzanspruch des Opfers
durch den Arbeitgeber befriedigt wird, während der Erwachsene in den übrigen
Fällen durch den Abschluß einer Berufs- und/oder einer Privathaftpflichtversicherung
zu akzeptablen finanziellen Bedingungen die Folgen einer wirtschaftlichen
Existenzvernichtung vermeiden kann, zumal eine derartige
Privathaftpflichtversicherung bei einer Deckungssumme von 2 Mio. DM je nach
Versicherungsgesellschaft lediglich zwischen 70 und 150 DM im Jahr kostet.
b) Das der unbegrenzten Haftung unterliegende Kind bzw. der Jugendliche ist
indessen nicht in der Lage, gegen existenzvernichtende Schadensersatzansprüche
selbst Vorsorge zu treffen. Die Erwägung der Kl., das Kind oder der Jugendliche
möge unter Berücksichtigung des § 110 BGB selbst eine Versicherung abschließen,
kann nur als abwegig bezeichnet werden, und zwar zum einen deshalb, weil ein
Zehnjähriger, der beispielsweise 2 DM pro Monat Taschengeld erhält, nicht
zumutbarerweise davon eine jährliche Versicherungsprämie von 100 DM aufbringen
kann und soll, vor allen Dingen aber auch deshalb, weil diesem Kind oder
Jugendlichen die ihm drohenden Gefahren in der Regel überhaupt nicht bewußt sind.
c) Ebenso abwegig ist die ferner angesprochene Möglichkeit, das Kind oder der
Jugendliche möge im Falle eines Schadenseintritts bei seinen Eltern Regreß
nehmen. Es ist aus psychologischen Gründen und im Interesse des notwendigen
vertrauensvollen Eltern-Kind-Verhältnisses indiskutabel, von dem Kind bzw. dem
Jugendlichen zu erwarten, er möge seine eigenen Eltern auf Zahlung von mehreren
100000 DM verklagen, weil sie ihn unter Verletzung der Sorgepflichten nicht
ausreichend versichert hätten, ganz abgesehen davon, daß die finanzielle
Leistungsfähigkeit der Eltern nicht gesichert ist und der Schaden dadurch, daß
eventuelle Erbansprüche damit verkürzt oder zunichte gemacht werden, wiederum
auf dem Kind bzw. dem Jugendlichen selbst hängenbleibt. Der entscheidende Punkt
ist indessen nicht die finanzielle Konsequenz, sondern das unvertretbare Ansinnen
einer gerichtlichen Auseinandersetzung innerhalb der Familie.
III. Die Haftung nach § 828 II BGB ist mit der Verfassung nicht in allen Fällen
vereinbar.
1. Die unbegrenzte Haftung von Kindern oder Jugendlichen hat deren wirtschaftliche
Existenzvernichtung und häufig zweifellos auch die weitgehende Zerstörung ihrer
Persönlichkeit zur Folge, die auch unter Berücksichtigung der Interessen des Opfers
und der Allgemeinheit nicht mit der Würde des Menschen und dem Gebot der freien
Entfaltung der Persönlichkeit, sowie dem Willkürverbot vereinbar ist.
2. Angesichts des im vorliegenden Fall angerichteten Schadens muß der Bekl. zu 1
mit einer Zahlungspflicht von etwa 116000 DM rechnen, wobei sich diese Summe
pro Jahr um etwa 8000 DM für die Zinsen erhöht. Dieser Betrag ergibt sich auf der
Basis des Grund-Urteils gegen den Bekl. zu 2, hinsichtlich der Zinsen unter
Berücksichtigung des allgemeinen Erfahrungssatzes, daß die von der Kl. geltend
gemachte Zinsforderung jedenfalls in einer Größenordnung von 7 % begründet
73
erscheint, weil Versicherungen die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel etwa mit
dieser Rendite anlegen können.
Der Bekl. zu 1, der nach seinen insoweit nicht angezweifelten und glaubhaften
Angaben im Rahmen der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe über kein Vermögen
verfügt, war zum Zeitpunkt der Tat knapp 15 Jahre alt, ihm stand ausweislich der
Strafakten ein monatliches Taschengeld von 40 DM zur Verfügung. Selbst wenn er
deshalb sein gesamtes Taschengeld - eine absurde Vorstellung angesichts des
pädagogischen Gebots, Jugendliche den Umgang mit Geld erlernen zu lassen - zur
Rückführung der Schulden eingesetzt hätte, so würde sich die Forderung der Kl. pro
Jahr um etwa 7500 DM allein aufgrund der Zinsen erhöhen, wobei die Prozeßkosten
bei einem Verfahren durch drei Instanzen in einer fünfstelligen Größenordnung noch
gar nicht in Betracht gezogen worden sind. Wie dem Protokoll vom 14. 4. 1989 zu
entnehmen ist, befindet sich der Bekl. zu 1 auch jetzt noch in der Ausbildung. Geht
man davon aus, daß diese Ausbildung - wobei es sich nur um Annäherungswerte
handeln kann - mit 17 Jahren beginnt, so würden ihm angesichts der Bruttovergütung
von 730 DM im ersten, 1136 DM im zweiten und 1434 DM im dritten Lehrjahr mit 17
Jahren etwa monatlich netto 500 DM, mit 18 Jahren 700 DM und mit 19 Jahren etwa
900 DM zur Verfügung stehen. Unter Berücksichtigung der in § 850c ZPO
festgelegten Pfändungsfreigrenze von 754 DM monatlich, wobei von den
Besonderheiten beim Wohnen im elterlichen Haushalt abgesehen werden soll, wäre
der Bekl. zu 1 an sich bis zum 18. Lebensjahr überhaupt nicht in der Lage, zur
Tilgung seiner Schulden in irgendeiner Form beizutragen, so daß seine
Verbindlichkeiten um jährlich mindestens 8000 DM und somit in den vier Jahren bis
zum Erreichen des dritten Lehrjahres auf etwa 150000 DM nebst 7 % Zinsen
gestiegen wären, mit der Folge, daß selbst im dritten Ausbildungsjahr bei einer
Rückzahlung von monatlich 200 DM die Forderung pro Jahr allein im Hinblick auf die
Zinsen um 5000 DM ansteigt - von den bereits erwähnten Prozeßkosten ganz
abgesehen. Auch die eventuelle Verjährung von Zinsen nach § 197 BGB hilft dem
Schuldner im Hinblick auf die Möglichkeiten der Unterbrechung nicht wesentlich
weiter.
Wenn man sodann unterstellt, daß der Bekl. zu 1 mit 20 Jahren einen Arbeitsplatz
erhält und 2000 DM netto verdient, so müßte er allein 875 DM monatlich an Zinsen
zahlen, wobei die Rückzahlung der Forderung als solche ihn für Jahrzehnte auf den
Status eines Sozialhilfeempfängers verweist. Dabei hat der Senat bereits - worüber
noch nicht rechtskräftig entschieden ist - die Forderung der Kl. wegen
Mitverschuldens ihres Versicherungsnehmers um 100000 DM gekürzt. Der Bekl. zu 1
befindet sich darüber hinaus noch in der vergleichsweise glücklichen Lage, daß ein
weiterer Schuldner zur Verfügung steht, von dem, weil er haftpflichtversichert ist, ein
hälftiger Schadensausgleich tatsächlich erwartet werden kann mit der Folge der
Verringerung der Hauptforderung und insbesondere der Zinslast. Gleichwohl
verbleibt es dabei, daß der Bekl. zu 1 auch im vorliegenden Fall für eine leichte
Fahrlässigkeit bzw. ein Verhalten, welches man als „Dummenjungenstreich“
charakterisieren kann, für Jahrzehnte, wenn nicht lebenslänglich, auf den einem
Sozialhilfeempfänger vergleichbaren Status verwiesen werden wird.
3. Nach Auffassung des Senats verstößt eine derartige unbegrenzte Haftung bereits
gegen Art. 1 GG. Es bedarf keiner psychologischen Beratung und auch nicht der
Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung, um erkennen zu können, daß die
Jugend eines Menschen durch die psychische Belastung weitgehend zerstört wird,
74
wenn er sich derart unerfüllbaren Forderungen gegenübersieht. Es war für den Senat
auch bedrückend zu erleben, daß der Bekl. zu 1 mit Zustimmung seiner Mutter sich
bereiterklärte, aus verständlicher Verzweiflung über die drohende
Existenzvernichtung einen Eid hinsichtlich seiner Aussage zu schwören, an welchem
Ort das Telefonbuch angezündet worden ist, der nach Überzeugung des Senats ein
Meineid gewesen wäre. Es liegt darüber hinaus auf der Hand, daß die auf den Bekl.
zu 1 zukommende finanzielle Belastung seine Lebensplanung (Heirat, Kinder,
Ausscheiden der Ehefrau aus dem Beruf, Berufsausbildung der Kinder) in einer
Weise beeinträchtigt, daß von einer würdevollen und freien Gestaltung nicht mehr die
Rede sein kann.
Die dem Bekl. zu 1 drohenden Gefahren sind im übrigen deshalb sehr realistisch,
weil es unter den Versicherungsgesellschaften keine Absprachen und/oder
Regelungen gibt mit dem Ziel, die existenzvernichtende Inanspruchnahme von
Kindern und/oder Jugendlichen zu vermeiden. Diese Situation mag zwar einerseits
angesichts der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles verständlich sein, könnte
aber auch darauf beruhen, daß man durch ständige Pfändungsversuche bei dem
Jugendlichen schließlich so viel Druck auf Eltern und Verwandte erzeugt, daß diese
sich zur Übernahme eines erheblichen Teils der Verbindlichkeiten bereit erklären, um
dem Jugendlichen eine vertretbare Lebensplanung zu ermöglichen, obwohl sie
gesetzlich zum Ausgleich des Schadens nicht verpflichtet sind. Insgesamt besteht
somit die realistische Gefahr, daß eine vernünftige Lebensplanung des Bekl. zu 1
noch für viele Jahre - wenn nicht Jahrzehnte - verhindert wird.
4. In verfassungsrechtlicher Hinsicht nimmt der Senat ergänzend Bezug auf eine
Entscheidung des BVerfG (NJW 1986, 1859), in der es als ein Verstoß gegen Art. 2 i.
V. mit Art. 1 GG angesehen worden ist, daß Eltern ihre Kinder finanziell in einer
Weise verpflichten können, durch die in erheblichem Maße die Grundbedingungen
der freien Entfaltung und Entwicklung und damit nicht nur einzelne Ausformungen
allgemeiner Handlungsfreiheit, sondern die engere persönliche Lebenssphäre junger
Menschen betroffen werden. Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang ausgeführt,
es könne nicht ausgeschlossen werden, daß Eltern nicht fähig oder nicht bereit sind,
den Anforderungen des Elternrechts zu entsprechen und der Gesetzgeber insoweit
nach Maßgabe seines Wächteramtes (Art. 6 II 2 GG) aufgerufen sei, Regelungen zu
treffen, die verhindern, daß der volljährig Gewordene nicht mehr als nur eine
scheinbare Freiheit erreicht, und ihm Raum bleibt, um sein weiteres Leben selbst
und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten (ebenso RefE 1967 des BMJ, S.
74).
Dem ist nichts hinzuzufügen außer einer Begründung dafür, warum in Fällen der hier
vorliegenden Art entsprechende Schlußfolgerungen gezogen werden sollten.
Während in dem vom BVerfG entschiedenen Fall die Kinder überhaupt keinen
Einfluß auf die wirtschaftlichen Dispositionen ihrer Eltern nehmen konnten, ist den
Bekl. dieses Verfahrens immerhin ein gewisses Verschulden im Sinne des bereits
erwähnten „Dummenjungenstreichs“ vorzuwerfen. Auch ein solcher rechtfertigt aber
nach Maßgabe des Willkürverbots, wonach Anlaß und Reaktion in einem noch
vertretbaren Verhältnis zueinander stehen müssen (BVerfG, NJW 1988, 2232), eine
entsprechende Anwendung der Grundgesetzvorschriften, zumal die Fälle in einem
entscheidenden Punkt parallel liegen, nämlich in bezug auf Eltern, die bei der Sorge
für ihre Kinder den ihnen obliegenden Pflichten - vielleicht aus Unkenntnis - nicht
nachgekommen sind, weil verantwortungsbewußte Eltern angesichts des
75
Spieltriebes und der typischerweise jungen Menschen eigenen Unachtsamkeit unter
Berücksichtigung der finanziellen Konsequenzen eine Privathaftpflichtversicherung
abschließen würden, um die Existenz ihrer Kinder nicht zu gefährden. Es ist deshalb
auch unter Berücksichtigung des Art. 6 II 2 GG Aufgabe des Gesetzgebers, Kinder
und junge Menschen nicht sehenden Auges bei unzulänglicher Wahrnehmung der
Erziehungsaufgaben in ihr Verderben laufen zu lassen.
IV. Es gibt auch vertretbare und sachgerechte alternative Lösungsmöglichkeiten für
die zivilrechtliche Haftung Minderjähriger.
1. Wie der Senat insoweit nicht verkennt, obliegt ihm nicht die Aufgabe, dem
Gesetzgeber Alternativlösungen zu empfehlen, zumal er dazu mangels
ausreichender Informationsmöglichkeiten, die nur dem Gesetzgebungsapparat zur
Verfügung stehen, gar nicht in der Lage ist. Wenn der Senat deshalb gleichwohl
derartige Möglichkeiten kurz anspricht, so ausschließlich unter dem
verfassungsrechtlichen Aspekt, nämlich deshalb, weil dann, wenn man allein die
gegenwärtige Rechtslage als sachgemäß ansehen müßte, sie nicht gleichzeitig
verfassungswidrig sein kann. Das wesentliche Kriterium für ein verfassungswidriges
Gesetz liegt, wie das BVerfG (z. B. BVerfG, NJW 1988, 2232) mehrfach
ausgesprochen hat, gerade darin, daß willkürliche - und/oder unverhältnismäßige Regelungen zum Gesetz erhoben werden, obwohl es andere gerechte und
praktikable Lösungsmöglichkeiten gibt.
Zur Klarstellung sei zunächst folgendes angemerkt:
a) Die Ausführungen des Senats zur teilweisen Verfassungswidrigkeit des § 828
BGB beziehen sich nicht auf Fälle, in denen Kinder und/oder Jugendliche grob
fahrlässig oder sogar vorsätzlich einen bestimmten Schaden herbeiführen. Mag es
aus jugendpsychologischer Sicht möglicherweise problematisch sein, grobe
Fahrlässigkeit auf die intellektuelle und emotionale Entwicklungsstufe des Kindes zu
übertragen, so sind derartige Konstellationen auf jeden Fall nicht Gegenstand dieser
Entscheidung.
b) Der Senat ist ferner keineswegs der Auffassung, daß eine zivilrechtliche Haftung
von Kindern oder Jugendlichen generell ausgeschlossen sein sollte, und zwar
sowohl aus pädagogischen als auch aus generalpräventiven Gründen.
c) Besondere Bedeutung würde bei der gesetzlichen Neuregelung auch dem
Gedanken des Schutzes des Geschädigten zukommen müssen. Dieser Aspekt
würde es dem Senat verfassungsrechtlich nicht geboten erscheinen lassen, eine
Haftungsbegrenzung auch dort vorzunehmen, wo sich die finanzielle Situation des
Täters und des Opfers entsprechen. Wenn deshalb ein Jugendlicher schuldhaft
einen Schaden verursacht, der bei einem nichtversicherten und auch sonst finanziell
schlecht gestellten - z. B. arbeitsunfähigen und/oder kranken - Opfer zur
Existenzvernichtung führt, so müßte es bei der unbegrenzten Haftung des
Schädigers bleiben.
Zusammenfassend sei somit darauf hingewiesen, daß der Senat nur über die
Verfassungswidrigkeit der unbegrenzten Haftung bei leichter Fahrlässigkeit zu
entscheiden hat, die einerseits zur Existenzvernichtung des Jugendlichen führt,
während das Opfer finanziell von anderer Seite befriedigt wird.
76
2. Bei der Erörterung von Alternativen mag zunächst einmal dahinstehen, ob die
gesetzliche Regelung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der
Entwicklungspsychologie (vgl. Wille-Bettge, VersR 1971, 878 ff., m. w. Nachw.)
überhaupt sachgerecht ist. Jedenfalls ist die Problematik der gegenwärtigen
Regelung bekannt, und deshalb wurde im Jahre 1967 ein Referentenentwurf zur
Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vorgelegt - wobei
frühere Reformbestrebungen außer Betracht bleiben können, in dem eine
Neufassung des § 828 II BGB des Inhalts vorgesehen war, daß die Haftung von
Kindern und Jugendlichen zwischen sieben und siebzehn Jahren angesichts der
geringeren Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen beschränkt werden sollte, und zwar
auch insoweit, als es nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen
der Beteiligten, der Billigkeit entsprach.
a) Dieser Referentenentwurf, der, wie dem Senat bekannt ist, zur Zeit nicht
weiterverfolgt wird, enthielt bereits eine jener möglichen vertretbaren
Alternativlösungen, nämlich die grundsätzliche Haftung des Kindes aus
generalpräventiven und pädagogischen Gründen, während andererseits auf eine
existenzvernichtende Inanspruchnahme verzichtet wurde. Damit übereinstimmend
hat v. Bar in seiner Stellungnahme (Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung
des SchuldR, Bd. II, hrsg. vom BMJ, 1981, S. 1739 ff., 1762) eine Vorschrift
(Neufassung nach § 829 BGB) des Inhalts vorgeschlagen, daß Kinder und
Jugendliche bis einschließlich siebzehn Jahren zum Schadensersatz insoweit nicht
verpflichtet sind, als dies im Hinblick auf ihr Alter, ihre Entwicklung, die Art der Tat,
der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten und die übrigen Umständen des
Einzelfalles nicht der Billigkeit entspricht. Bei der Feststellung der wirtschaftlichen
Verhältnisse soll dabei ein vorhandener oder im Verkehr erwarteter
Versicherungsschutz berücksichtigt werden. V. Bar weist dabei in der Begründung
unter ausführlichen Hinweisen auf die internationale Rechtsentwicklung (S. 1740,
1774) darauf hin, daß eine Neuordnung der Haftung schuldunfähiger oder begrenzt
schuldfähiger Personen angezeigt erscheint, wobei die Berücksichtigung des
Versicherungsschutzes im Rahmen der schon jetzt in § 829 BGB geregelten
Billigkeitsprüfung im übrigen auch der Rechtsprechung des BGH (NJW 1980, 1623)
entspricht.
b) Demgegenüber gäbe es als zweite Alternative grundsätzlich auch die Möglichkeit
einer staatlichen Haftpflichtversicherung, wie dies - teilweise mit einer
Altersbegrenzung - von einigen Autoren vorgeschlagen worden ist (vgl. die
Literaturnachw. bei v. Bar, S. 1739, Rdnr. 10). Diese Lösung hätte den Nachteil, daß
die Kosten vernünftiger Maßnahmen, wie der Abschluß einer
Privathaftpflichtversicherung, zu denen sich verantwortungsbewußte und informierte
Eltern ohnehin entschließen, auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, während die
Billigkeitshaftung selbst bei fehlendem Versicherungsschutz immer noch zu einer
fühlbaren Inanspruchnahme des Schädigers führen würde, die seine Eltern
erwünschtermaßen veranlassen könnte, selbst auf eigene Kosten eine derartige
Versicherung abzuschließen.
c) Als dritte Möglichkeit käme in Betracht, Eltern gesetzlich vorzuschreiben, eine
Privathaftpflichtversicherung für ihre Kinder abzuschließen.
Wie bereits dargelegt, gehört es nicht zu den Aufgaben und Befugnissen des Senats,
dem Gesetzgeber Empfehlungen zu geben. Die voranstehenden Ausführungen
77
sollen nur verdeutlichen, daß es unter Berücksichtigung des RefE 1967, der
internationalen Rechtsentwicklung und der sonst in der Literatur gemachten
Reformvorschläge vertretbare Alternativen gibt, die es als insgesamt unerträglich
erscheinen lassen, Kinder und Jugendliche für eine verständliche Unaufmerksamkeit
lebenslänglich in ihren Entwicklungsmöglichkeiten zu beschneiden (und zwar auch
und gerade solche, die in ihrer Entwicklung zurückgeblieben sind, mag das auch in
concreto nicht der Fall sein).
V. Nach Auffassung des Senats liegen auch die Voraussetzungen einer
Richtervorlage i. S. von Art. 100 GG an das BVerfG vor.
1. Der Senat hat erwogen, von einer Vorlage vorerst deshalb abzusehen, weil
einstweilen die Haftung der Bekl. nur in einem Grund-Urteil festgeschrieben wird und
nach seiner Überzeugung eine teilweise Inanspruchnahme des Bekl. zu 1 nicht
verfassungswidrig wäre, beispielsweise eine Verurteilung zum Ersatz von 20000 DM
nebst Zinsen und anteiliger Gerichtskosten. Die Gültigkeit von § 828 BGB wäre somit
dann (noch nicht) entscheidungserheblich, wenn im Betragsverfahren beispielsweise
nur ein Schaden von 70000 DM festgestellt würde, weil der Senat dann nach
Maßgabe der ständigen Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 2, 266 (271) = NJW
1953, 1057; BVerfGE 7, 171 (173 ff.) = NJW 1958, 98 L; BVerfG 53, 257 (287) =
NJW 1980, 692) im Falle der Gültigkeit der Norm nicht anders entscheiden würde als
im Falle ihrer Ungültigkeit, denn eine Haftung von 24500 DM (70 %, davon die
Hälfte) erschiene jedenfalls vertretbar. In Anbetracht der durch die Einreichung von
Unterlagen zur Bewilligung von Prozeßkostenhilfe glaubhaft gemachten
Vermögenslosigkeit des Schuldners einerseits sowie der Höhe der von der Kl.
geltend gemachten Schadensersatzforderung andererseits ist der Senat indessen
davon überzeugt, daß keine realistischen Aussichten dafür bestehen, im
Betragsverfahren die Schadensersatzverpflichtung des Bekl. zu 1 umfangsmäßig auf
eine Summe herabzusetzen, die dem Bekl. die bereits erwähnte Lebensperspektive
nicht verschließt.
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß Versicherungen
erfahrungsgemäß bei der Auszahlung von Schadensersatzleistungen eher
Zurückhaltung zu ihren Gunsten üben, die Gebäude abgebrannt sind und bereits ein
Sachverständigengutachten vorliegt, in dem der von der Kl. geltend gemachte
Schaden plausibel und nachvollziehbar dargelegt ist, so daß in Betragsverfahren
realistische Änderungen, die über eine Größenordnung von 10000 DM bis 20000 DM
hinausgehen, nicht zu erwarten sind. Selbst eine Kürzung im Betragsverfahren von
30000 DM würde sich im übrigen auf den Bekl. zu 1 nicht wesentlich - nämlich nur in
Höhe von 10500 DM (70 %, davon die Hälfte) - auswirken. Auch im Hinblick auf die
dem Senat bekannte drückende Arbeitsbelastung des BVerfG erscheint eine weitere
Verzögerung einer Vorlage um mehrere Jahre bei der zu erwartenden Revision
gegen das Grund-Urteil, dem anschließenden Betragsverfahren beim LG und der
sich dann evtl. anschließenden Berufung - auch im Interesse des Bekl. zu 1, dessen
Leben seit über fünf Jahren beeinträchtigt ist -, nicht vertretbar, wenn im
Betragsverfahren realistischerweise erhebliche Abweichungen nicht zu erwarten
sind.
2. Nach Auffassung des Senats besteht auch kein ernstlicher Zweifel daran, daß es
sich bei § 828 BGB um ein sogenanntes nachkonstitutionelles Gesetz nach
Maßgabe der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 2, 124 (128 ff.) = NJW 1953,
78
497; BVerfGE 18, 241 (252) = NJW 1965, 343; Maunz-Dürig, GG, Art. 100 Rdnr. 12;
v. Münch-Meyer, GG, 2. Aufl., Art. 100 Rdnr. 13; Stern, in: BK, Art. 100 Rdnr. 86)
handelt.
Zwar ist die betreffende Vorschrift nicht nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes
erlassen worden, ein nachkonstitutionelles Gesetz im Sinne dieser Vorschrift ist
indessen auch dann zu bejahen, wenn der Gesetzgeber die betreffende Regelung in
seinen Willen aufgenommen hat (BVerfGE 6, 55 (65) = NJW 1957, 417). Auch wenn
in der Literatur (Maunz-Dürig, Art. 100 Rdnr. 14) bisweilen die Auffassung vertreten
wird, das Kriterium der nachträglichen Willensaufnahme sei im Einzelfall kaum einer
eindeutig rationalen Klärung fähig, so ergibt sich aus den zahlreichen Modifikationen
des BGB nach Inkrafttreten der Verfassung in Verbindung gerade mit den hier
erörterten Reformbestrebungen (RefE 1967, Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung
des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes aus dem Jahre 1959), daß
der Gesetzgeber durch die Änderung zahlreicher Vorschriften des Bürgerlichen
Gesetzbuches in Verbindung mit dem Festhalten an § 828 BGB gerade diese
Vorschrift und die entsprechenden Haftungsregelungen in seinen Willen
aufgenommen hat, so daß das Vorliegen eines nachkonstitutionellen Gesetzes nicht
ernstlich zweifelhaft sein kann.
3. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß der Senat nicht befugt ist, durch
Auslegung der Vorschrift eine Haftungsbegrenzung auf ein vertretbares Maß selbst
herbeizuführen, weil dies dem ausdrücklichen und erkennbaren Willen des
Gesetzgebers widerspricht.
Diese Entscheidung vermag jedoch in ihrer Grundkonzeption nicht zu überzeugen.
Das Problem existenzbedrohender Schadensersatzpflichten ist allgemeinerer Natur.
Es kann sich nicht nur in Fällen leichter Fahrlässigkeit ergeben und ist vor allem auch
nicht auf den in § 828 geregelten Bereich der Verantwortlichkeit Minderjähriger
beschränkt; dass diese nicht selbst durch Abschluss einer Haftpflichtversicherung
Vorsorge treffen können, erscheint dabei nicht von entscheidender Bedeutung,
zumal für Volljährige keineswegs von einer allgemeinen Obliegenheit oder Üblichkeit
einer umfassenden privaten Haftpflichtversicherung ausgegangen werden kann und
zudem auch an Schäden zu denken ist, die von einer solchen nicht gedeckt sind.
Entschärft wird das Problem durch die in der neuen InsO enthaltenen Vorschriften
über die Möglichkeiten der Restschuldbefreiung (InsO §§ 286ff) und des für
Verbraucherinsolvenzverfahren und sonstige Kleinverfahren vorgesehenen
Schuldenbereinigungsplanes (InsO §§ 305ff). Auch der Ausschluss der
Restschuldbefreiung bei vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen eines
Minderjährigen (InsO § 302 Nr 1) führt nicht per se zu unerträglichen Härten, blendet
man nicht die Interessen des (evtl seinerseits minderjährigen) Opfers von vornherein
aus. Zudem ist an alle sonstigen Möglichkeiten des Vollstreckungsschutzes ebenso
zu denken (s insbes ZPO §§ 765a, 850f Abs 1 Buchst b) wie an die allgemeinen
materiellrechtlichen Beschränkungen der Rechtsausübung.
Rechtspolitisch spricht freilich vieles dafür, wenigstens im Bereich der
Minderjährigenhaftung eine Reduktionsklausel an § 828 anzufügen, wenn man nicht
– zu Recht – eine allgemeine Reduktionsklausel im Schadensrechts befürwortet. Der
Preis dafür wäre (in beiden Fällen) allerdings eine gewisse Einbuße an
Rechtssicherheit, was freilich allen Generalklauseln eigen ist. Und bekanntlich
79
konnte über die Generalklauseln, welche die Kodifikation des BGB seit jeher prägen,
dieser über die Jahre hinweg die notwendige Flexibilität gesichert worden.
e) Absolute Zurechnungsunfähigkeit
- Kinder unter sieben Jahren (Abs 1). Kinder, die im Zeitpunkt der Handlung das 7.
Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind unter dem Gesichtspunkt der
Verschuldenshaftung für die von ihnen verursachten Schäden von vornherein als
Deliktstäter nicht verantwortlich. Auf den Grad ihrer individuellen Reife kommt es
nicht an.
- Kinder von sieben Jahren bis zu zehn Jahren im Unfallrecht (Abs 2). Der
Grund dafür, dass auch ein Kind nach Vollendung des siebten und vor Vollendung
des zehnten Lebensjahres haftungsrechtlich nicht verantwortlich ist für einen
Schaden, den es bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder
einer Schwebebahn einem anderen zufügt, soll ieL darin liegen, dass Kinder im
Allgemeinen erst ab dem zehnten Lebensjahr dazu im Stande sind, die besonderen
Gefahren der Motorisierung im Straßen- oder Schienenverkehr zu erkennen und sich
entsprechend zu verhalten. Insbesondere fällt es solchen Minderjährigen
entsprechend schwer, Entfernungen und Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen.
Demgemäß besteht kein Grund für die Privilegierung, wenn der Minderjährige die
Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat, wenn er also die entsprechende Entfernung
oder Geschwindigkeit zutreffend einschätzte (§ 828 Abs 2 S 2).
Nach dem eindeutigen Wortlaut reicht – auch im Rahmen von § 823 Abs 2 – nicht
der verkürzte Verschuldensbezug, der sich mit einem vorsätzlichen Verstoß allein
gegen Verhaltensnormen zufrieden gibt. Gedacht ist an den geradezu klassischen
Fall von Kindern, die von der Autobahnbrücke Steine auf fahrende Autos werfen. Für
den Vorsatz genügt jede Form des Vorsatzes bis hin zum dolus eventualis. Freilich
muss jedenfalls die Möglichkeit eines Eintritts des Verletzungserfolges vom
Jugendlichen klar und konkret erkannt worden sein; entsprechend deutliche
Feststellungen sind im Urteil erforderlich.
- Fraglich ist, inwieweit § 828 Abs 2 teleologisch einzuschränken ist. Vertreten
worden ist zunächst eine teleologische Einschränkung der Norm in dem Sinn, dass
sich der Unfall „beim Betrieb“ des Kraftfahrzeugs, der Schienen- oder Schwebebahn
ereignet haben muss, so wie dies zB StVG § 7 erfordert. Dafür spricht, dass die
Privilegierung des § 828 Abs 2 zunächst einmal auf der besonderen Schwierigkeit
der Einschätzung von Geschwindigkeiten für Jugendliche beruhen soll. Dieser
Aspekt greift beim ruhenden Verkehr allerdings von vornherein nicht, obwohl der
ruhende Verkehr nach herrschender Meinung durchaus in den Schutzbereich von
StVG § 7 fallen kann. Zudem hat der Gesetzgeber die abweichende Formulierung
von StVG § 7, HaftpflG § 1 für § 828 Abs 2 nicht gewählt und Schwierigkeiten einer
Abschätzung von Geschwindigkeiten auch nicht zum Tatbestandsmerkmal für das
Eingreifen von § 828 Abs 2 erhoben. Vielmehr ist die Ungleichbehandlung von
Unfällen mit und ohne motorisierten Verkehr offenbar auch zur Vermeidung von
Abgrenzungsschwierigkeiten, die sich aus einer „Sonderdogmatik des
Verkehrsunfalls“ in § 828 Abs 2 ergeben würden, in Kauf genommen worden. Zudem
greift § 828 Abs 2 nicht einmal immer, wenn der Unfall aufgrund einer
Fehleinschätzung von Geschwindigkeiten (zB mit dem Fahrrad, Roller, Rollschuhen,
Kettcar uä) zustande kommt. Freilich ist dann besonders sorgfältig die konkrete
Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen im Rahmen von § 828 Abs 3 in Frage zu stellen.
Die undifferenzierte Übernahme der Kriterien, die zur Präzisierung des
Schutzbereichs von StVG § 7 entwickelt worden sind, könnte überdies zu
80
eigentümlichen Differenzierung führen: Hat – für das zB radfahrende Kind nicht
erkennbar – der Fahrer des abgestellten Pkw schon den Motor angelassen,
geschieht nach hM zu StVG § 7 der Unfall (Beschädigung des Pkw durch das
Fahrrad des Kindes) ggf schon „beim Betrieb“; erst recht gilt das, wenn das Fahrzeug
vom Kind im Stau oder an der Ampel im Vorbeifahren beschädigt wird. Beschädigt
das Kind, das rechts an einer Schlange wartender Kraftfahrzeuge vorbeifährt,
zugleich links und rechts (rechts geparkte) Fahrzeuge, würde nach der die Kriterien
von StVG § 7 übernehmende Ansicht der Eigentümer des geparkten Fahrzeugs
unter den Voraussetzungen von Abs 3 Schadensersatzansprüche erhalten können,
der Eigentümer des im Stau oder an der Ampel wartenden Fahrzeugs wegen Abs 2
aber nicht. Der sachliche Unterschied dieser Konstellation zu im Verkehrsraum
ordnungsgemäß geparkten Fahrzeugen (an die das Kind womöglich gerät, um nicht
zu weit auf die Fahrbahnmitte zu gelangen) ist jedenfalls denkbar gering, wenn
überhaupt vorhanden. All das zeigt, dass eine teleologische Reduktion von § 828
Abs 2 durch eine undifferenzierte Implantation des Schutzbereichs der
Gefährdungshaftungstatbestände der StVG § 7, HaftpflG § 1 nicht angezeigt ist.
Der BGH hat demgemäß vorsichtiger § 828 Abs 2 S 1 aus sich selbst heraus
teleologisch ausgelegt: Der Schutzbereich des Haftungsprivilegs dieser Norm soll nur
eingreifen, wenn sich bei der gegebenen Fallkonstellation eine typische
Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des
motorisierten Verkehrs realisiert hat. Das ist nicht der Fall (und demgemäß greift die
Haftungsprivilegierung zugunsten des Kindes nicht ein), wenn Kinder – zB beim
Wettrennen mit Kickboards – gegen ordnungsgemäß am rechten Straßenrand
geparkte Fahrzeuge prallen und diese beschädigen. Ebenso liegt es, wenn Kinder
mit Fahrrädern ordnungsgemäß geparkte Fahrzeuge beim Spielen beschädigen,
wenn ein neunjähriger Fußgänger beim Spielen auf ein geparktes Auto fällt oder mit
dem Ball ein geparktes Auto zerbeult. Derlei Fälle entsprechen wertungsmäßig
solchen Konstellationen, in denen ein Kind mit einer Wand, einem Gartenzaun oder
der Marmorstatue auf einem Privatgrundstück kollidiert; hier greift nur Abs 3. Indes
hat der BGH ausdrücklich hervorgehoben, dass sich in besonders gelagerten Fällen
auch im ruhenden Verkehr eine spezifische Gefahr des motorisierten Verkehrs
verwirklichen kann. Zu prüfen ist demgemäß, ob im konkreten Fall die betroffenen
Kinder durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs in typisierter
Weise überfordert sind. Das kann auch bei dem zuvor erwähnten Fall angenommen
werden, in dem Kinder mit dem Fahrrad im Stau oder an der Ampel Fahrzeuge
beschädigen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Fahrzeuge handelt, die
(links) in der Schlange des wartenden Verkehrs stehen, oder die zB rechts (an sich
ordnungsgemäß) geparkt sind. Nur in diesem Rahmen wird mithin durch § 828 Abs 2
von Kindern bis zum Alter von zehn Jahren das haftungsrechtliche Risiko der
unvorsätzlichen Beschädigung namentlich von Kraftfahrzeugen (oder durch
Kraftfahrzeuge, BGB § 254, StVG § 9) genommen.
BGH NJW 2005, 354 (s. ferner BGH NJW 2005, 356 – hier nicht abgedruckt)
Tatbestand
1
Am 12. September 2002 veranstalteten der damals neun Jahre alte Beklagte
zu 1 (nachfolgend: Beklagter), sein Zwillingsbruder und ein Klassenkamerad
81
auf der Fahrbahn der M.-straße in K. ein Wettrennen mit Kickboards. Obgleich
der Beklagte im Umgang mit einem Kickboard geübt war, stürzte er aus
Unachtsamkeit. Sein Kickboard prallte gegen den ordnungsgemäß am rechten
Straßenrand geparkten PKW des Klägers. Es entstand ein Sachschaden, für
den der Kläger nebst weiteren Folgeschäden vom Beklagten und - wegen
einer Verletzung der Aufsichtspflicht - auch von dessen Eltern Ersatz begehrt
hat.
2
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat
das Landgericht den Beklagten zu einem Schadensersatz in Höhe von
1.904,16 € verurteilt und seine weitergehende Berufung sowie die gegen
seine Eltern gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht
zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des
erstinstanzlichen Urteils.
Emtscheidungsgründe
I.
3
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2004, 172 veröffentlicht ist, hat
ausgeführt, der Beklagte sei gemäß § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem
Kläger die aus der Beschädigung seines Fahrzeugs entstandenen Schäden
zu ersetzen.
4
Ein Schadensersatzanspruch sei nicht nach § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB (n.F.)
ausgeschlossen. Zwar könne nach dessen Wortlaut ein Sachverhalt wie der
vorliegende ohne weiteres der Haftungsprivilegierung unterfallen. Der
Gesetzeswortlaut reiche aber offensichtlich zu weit, weshalb er einschränkend
auszulegen sei. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei es ein wichtiges
Ziel des Gesetzgebers gewesen, die haftungsrechtliche Situation von Kindern
im motorisierten Verkehr nachhaltig zu verbessern und den
Mitverschuldenseinwand gemäß §§ 9 StVG, 4 HPflG und 254 BGB im
Verhältnis zu Kindern auszuschließen. Deshalb sei der Anwendungsbereich
des § 828 Abs. 2 BGB dahin teleologisch zu reduzieren, daß ein "Unfall mit
einem Kraftfahrzeug" nur vorliege, wenn sich die von einem in Bewegung
befindlichen Kraftfahrzeug ausgehende typische Gefahr realisiert habe.
Voraussetzung der Haftungsprivilegierung sei deshalb, daß sich das
Kraftfahrzeug in Bewegung, also im sogenannten "fließenden" Verkehr
befinde. Die von einem parkenden Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren
würden sich nicht von denen eines ordnungsgemäß abgestellten Fahrrads,
eines Baumes oder einer Mauer unterscheiden. Eine weitergehende
Haftungsprivilegierung führte zudem zu unbilligen Ergebnissen.
II.
82
5
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im
Ergebnis stand.
6
Der Beklagte ist gemäß § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Kläger den
aufgrund des Zusammenpralls seines Kickboards mit dessen PKW
entstandenen Schaden zu ersetzen.
7
1. Unter den Umständen des Streitfalls hat das Berufungsgericht zutreffend
angenommen, daß die Verantwortung des Beklagten nicht gemäß § 828 Abs.
2 Satz 1 BGB ausgeschlossen ist. Da das schädigende Ereignis nach dem 31.
Juli 2002 eingetreten ist, richtet sich die Verantwortlichkeit des minderjährigen
Schädigers gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB nach § 828 BGB in der
Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher
Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl I S. 2674). Danach ist für den Schaden,
den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug einem anderen zufügt, nicht
verantwortlich, wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet
hat.
8
a) Wie vom Berufungsgericht zutreffend gesehen, könnte der hier zu
beurteilende Sachverhalt nach dem Wortlaut des neugefaßten § 828 Abs. 2
Satz 1 BGB ohne weiteres unter das Haftungsprivileg für Minderjährige fallen.
Aus seinem Wortlaut geht nicht hervor, daß das Haftungsprivileg davon
abhängen soll, ob sich das an dem Unfall beteiligte Kraftfahrzeug im
fließenden oder - wie der hier geschädigte parkende PKW - im ruhenden
Verkehr befindet. Auch aus der systematischen Stellung der Vorschrift ergibt
sich nicht, daß der Gesetzgeber einen bestimmten Betriebszustand des
Kraftfahrzeugs zugrunde legen wollte, zumal er bewußt nicht das
Straßenverkehrsgesetz, sondern das allgemeine Deliktsrecht als Standort für
die Regelung gewählt hat (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 26). Allein diese
Auslegungsmethoden führten daher nicht zu dem Ergebnis, daß § 828 Abs. 2
BGB auf Fälle des fließenden Verkehrs von Kraftfahrzeugen begrenzt ist.
Andererseits ist dem Wortlaut der Vorschrift auch nicht zweifelsfrei zu
entnehmen, daß sie sich ohne Ausnahme auf sämtliche Unfälle beziehen soll,
an denen ein Kraftfahrzeug beteiligt ist, wie schon die seit ihrem Inkrafttreten
dazu veröffentlichten kontroversen Meinungen im Schrifttum zeigen (vgl. für
eine weite Auslegung: Cahn, Einführung in das neue Schadensrecht, 2003,
Rn. 232 ff.; Elsner DAR 2004, 130, 132; Jaklin/Middendorf, VersR 2004, 1104
ff.; MünchKommBGB/Wagner, 4. Aufl., § 828, Rn. 6; Pardey, DAR 2004, 499,
501 ff.; für eine einschränkende Auslegung: Ady, ZGS 2002, 237, 238;
Erman/Schiemann, BGB, 11. Aufl., § 828 Rn. 2a; Heß/Buller, ZfS 2003, 218,
220; Huber, Das neue Schadensersatzrecht, 2003, § 3 Rn. 48 ff.; Kilian, ZGS
2003, 168, 170; Lemcke, ZfS 2002, 318, 324; Ternig, VD 2004, 155, 157). Im
Hinblick darauf würde bei einer einschränkenden Auslegung oder bei einer im
83
Schrifttum und in der bisher veröffentlichten Rechtsprechung (vgl. neben dem
Berufungsurteil auch LG Koblenz NJW 2004, 858 und AG Sinzheim NJW
2004, 453) in Bezug auf parkende Fahrzeuge befürworteten teleologischen
Reduktion der Vorschrift jedenfalls keine einschränkende Anwendung
vorliegen, die einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz einen
entgegengesetzten Sinn verliehe oder den normativen Gehalt der
auszulegenden Norm grundlegend neu bestimmte und deshalb nicht zulässig
wäre (vgl. BVerfG NJW 1997, 2230).
9
b) Da der Wortlaut des § 828 Abs. 2 BGB nicht zu einem eindeutigen Ergebnis
führt, ist der in der Vorschrift zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des
Gesetzgebers mit Hilfe der weiteren Auslegungskriterien zu ermitteln, wobei
im vorliegenden Fall insbesondere die Gesetzesmaterialien von Bedeutung
sind. Aus ihnen ergibt sich mit der erforderlichen Deutlichkeit, daß das
Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB nach dem Sinn und Zweck der
Vorschrift nur eingreift, wenn sich bei der gegebenen Fallkonstellation eine
typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren
des motorisierten Verkehrs realisiert hat.
10
Mit der Einführung der Ausnahmevorschrift in § 828 Abs. 2 BGB wollte der
Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, daß Kinder regelmäßig
frühestens ab Vollendung des zehnten Lebensjahres imstande sind, die
besonderen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs zu erkennen,
insbesondere Entfernungen und Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen, und
sich den Gefahren entsprechend zu verhalten (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 16,
26). Allerdings wollte er die Deliktsfähigkeit nicht generell (vgl. dazu
Wille/Bettge, VersR 1971, 878, 882; Kuhlen, JZ 1990, 273, 276; Scheffen, 29.
Deutscher Verkehrsgerichtstag 1991, Referat Nr. II/3, S. 97; dieselbe in
Festschrift Steffen, 1995, S. 387, 388 ff.) und nicht bei sämtlichen
Verkehrsunfällen (vgl. Empfehlungen des Deutschen Verkehrsgerichtstages
1991, S. 9; Antrag von Abgeordneten und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vom 18. Juli 1996, BT-Drucks. 13/5302, S. 1 ff.; Antrag von Abgeordneten und
der SPD-Fraktion vom 11. Dezember 1996, BT-Drucks. 13/6535, S. 1, 5 ff.)
erst mit Vollendung des zehnten Lebensjahres beginnen lassen. Er wollte die
Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit vielmehr auf im motorisierten Straßenoder Bahnverkehr plötzlich eintretende Schadensereignisse begrenzen, bei
denen die altersbedingten Defizite eines Kindes, wie z.B. Entfernungen und
Geschwindigkeiten nicht richtig einschätzen zu können, regelmäßig zum
Tragen kommen (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 26). Für eine solche
Begrenzung sprach, daß sich Kinder im motorisierten Verkehr durch die
Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe in einer
besonderen Überforderungssituation befinden. Gerade in diesem Umfeld
wirken sich die Entwicklungsdefizite von Kindern besonderes gravierend aus.
Demgegenüber weisen der nicht motorisierte Straßenverkehr und das
allgemeine Umfeld von Kindern gewöhnlich keine vergleichbare Gefahrenlage
auf (vgl. Bollweg/Hellmann, Das neue Schadensersatzrecht, 2002, Teil 3, §
828 BGB, Rn. 11; BT-Drucks. 14/7752, S. 16 f., 26 f.). Diese Erwägungen
84
zeigen, daß Kinder nach dem Willen des Gesetzgebers auch in dem hier
maßgeblichen Alter von sieben bis neun Jahren für einen Schaden haften
sollen, wenn sich bei dem Schadensereignis nicht ein typischer Fall der
Überforderung des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten
Verkehrs verwirklicht hat und das Kind deshalb von der Haftung freigestellt
werden soll.
11
Dem Wortlaut des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB ist nicht zu entnehmen, daß der
Gesetzgeber bei diesem Haftungsprivileg zwischen dem fließenden und dem
ruhenden Verkehr unterscheiden wollte, wenn es auch im fließenden Verkehr
häufiger als im sog. ruhenden Verkehr eingreifen mag. Das schließt jedoch
nicht aus, daß sich in besonders gelagerten Fällen - zu denen der Streitfall
aber nicht gehört - auch im ruhenden Verkehr eine spezifische Gefahr des
motorisierten Verkehrs verwirklichen kann (vgl. etwa Senatsurteile BGHZ 29,
163, 166 f. und vom 25. Oktober 1994 - VI ZR 107/94 - VersR 1995, 90, 92).
Der Gesetzgeber wollte vielmehr lediglich den Fällen einer typischen
Überforderung der betroffenen Kinder durch die spezifischen Gefahren des
motorisierten Verkehrs Rechnung tragen. Zwar wird in der
Gesetzesbegründung ausgeführt, der neue § 828 Abs. 2 BGB lehne sich an
die Terminologie der Haftungsnormen des Straßenverkehrsgesetzes an (vgl.
BT-Drucks. aaO, S. 26). Die danach folgende Erläuterung, im motorisierten
Straßenverkehr sei das deliktsfähige Alter heraufzusetzen, weil bei dort
plötzlich eintretenden Schadensereignissen in der Regel die altersbedingten
Defizite eines Kindes beim Einschätzen von Geschwindigkeiten und
Entfernungen zum Tragen kämen (vgl. BT-Drucks. aaO S. 26 f.), zeigt aber
deutlich, daß für den Gesetzgeber bei diesem Aspekt nicht das bloße
Vorhandensein eines Motors im Fahrzeug ausschlaggebend war, sondern
vielmehr der Umstand, daß die Motorkraft zu Geschwindigkeiten führt, die
zusammen mit der Entfernung eines Kraftfahrzeugs von einem Kind vor
Vollendung des zehnten Lebensjahres nur sehr schwer einzuschätzen sind
(vgl. Bollweg/Hellmann, aaO).
12
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß der Gesetzgeber nur
dann, wenn sich bei einem Schadensfall eine typische
Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des
motorisierten Verkehrs verwirklicht hat, eine Ausnahme von der
Deliktsfähigkeit bei Kindern vor Vollendung des zehnten Lebensjahres
schaffen wollte. Andere Schwierigkeiten für ein Kind, sich im Straßenverkehr
verkehrsgerecht zu verhalten, sollten diese Ausnahme nicht rechtfertigen.
Insoweit ging der Gesetzgeber davon aus, daß Kinder in dem hier
maßgeblichen Alter mit solchen Situationen nicht generell überfordert sind und
die Deliktsfähigkeit daher grundsätzlich anzunehmen ist. Das wird auch
deutlich bei der Begründung, weshalb das Haftungsprivileg in Fällen
vorsätzlicher Schädigung nicht gilt. Hierzu heißt es, daß in diesen Fällen die
Überforderungssituation als schadensursächlich auszuschließen sei und sich
jedenfalls nicht ausgewirkt habe (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 16, 27;
Hentschel, NZV 2002, 433, 442). Allerdings kam es dem Gesetzgeber darauf
85
an, die Rechtsstellung von Kindern im Straßenverkehr umfassend zu
verbessern. Sie sollte insbesondere nicht davon abhängen, ob das betroffene
Kind im Einzelfall "Täter" oder "Opfer" eines Unfalls ist, denn welche dieser
beiden Möglichkeiten sich verwirklicht, hängt oft vom Zufall ab (vgl. Medicus,
Deutscher Verkehrsgerichtstag 2000, Referat Nr. III/4, S. 121;
Bamberger/Roth/Spindler, BGB, § 828 Rn. 4). Die Haftungsprivilegierung
Minderjähriger erfaßt deshalb nicht nur die Schäden, die Kinder einem
anderen zufügen. Da § 828 BGB auch für die Frage des Mitverschuldens nach
§ 254 BGB maßgeblich ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 34, 355, 366), hat die
Haftungsfreistellung Minderjähriger auch zur Folge, daß Kinder dieses Alters
sich ihren eigenen Ansprüchen, gleichviel ob sie aus allgemeinem Deliktsrecht
oder aus den Gefährdungshaftungstatbeständen des
Straßenverkehrsgesetzes oder des Haftpflichtgesetzes hergeleitet werden, ein
Mitverschulden bei der Schadensverursachung nicht entgegenhalten lassen
müssen (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 16; Bollweg/Hellmann, Das Neue
Schadensersatzrecht, § 828 Teil 3, Rn. 5; Heß/Buller ZfS 2003, 218, 219). §
828 Abs. 2 BGB gilt deshalb unabhängig davon, ob das an einem Unfall mit
einem Kraftfahrzeug beteiligte Kind Schädiger oder Geschädigter ist.
13
Diese Grundsätze können im Streitfall jedoch nicht eingreifen, weil nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts unter den Umständen des vorliegenden
Falles das Schadensereignis nicht auf einer typischen
Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des
motorisierten Verkehrs beruht, so daß das Berufungsgericht im Ergebnis zu
Recht eine Freistellung des Beklagten von der Haftung verneint hat.
14
2. Entgegen der Auffassung der Revision steht auch § 828 Abs. 3 BGB einer
haftungsrechtlichen Verantwortung des Beklagten nicht entgegen.
15
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats besitzt derjenige die zur
Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht im Sinne von § 828
Abs. 3 BGB, der nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig ist,
das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für die
Folgen seines Tuns bewußt zu sein. Auf die individuelle Fähigkeit, sich dieser
Einsicht gemäß zu verhalten, kommt es insoweit nicht an (vgl. Senatsurteile
vom 28. Februar 1984 - VI ZR 132/82 - VersR 1984, 641, 642 m.w.N. und vom
29. April 1997 - VI ZR 110/96 - VersR 1997, 834, 835). Die Darlegungs- und
Beweislast für das Fehlen der Einsichtsfähigkeit trägt der in Anspruch
genommene Minderjährige; ab dem Alter von 7 Jahren wird deren Vorliegen
vom Gesetz widerlegbar vermutet (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1997 - VI ZR
110/96 - aaO; Baumgärtel/Strieder, 2. Aufl., § 828 BGB, Rn. 2 m.w.N.).
16
86
Der Beklagte hat zu einem Mangel, das Gefährliche seines Tuns erkennen
und sich der Verantwortung seines Tuns bewußt sein zu können, nichts
vorgetragen. Der von der Revision herangezogene Vortrag, der Beklagte habe
mit dem Kickboard zunächst die Fahrbahn einer Spielstraße befahren und
habe deren Ende im Eifer des veranstalteten Wettrennens übersehen, bevor
es zu dem Unfall mit dem PKW des Klägers gekommen sei, betrifft nicht die
Einsichtsfähigkeit des Beklagten im Sinne von § 828 Abs. 3 BGB.
17
3. Mit Recht hat das Berufungsgericht auch ein fahrlässiges Verhalten (§ 276
BGB) des Beklagten bejaht.
18
a) Ein solches Verhalten setzt voraus, daß die im Verkehr erforderliche
Sorgfalt außer acht gelassen (§ 276 Abs. 2 BGB) und dabei die Möglichkeit
eines Schadenseintritts erkannt oder sorgfaltswidrig verkannt wurde sowie ein
die Gefahr vermeidendes Verhalten möglich und zumutbar war (vgl.
Senatsurteile BGHZ 58, 48, 56 und vom 10. November 1992 - VI ZR 45/92 VersR 1993, 230, 231; BGH Urteil vom 23. Oktober 1952 - III ZR 273/51 - LM
Nr. 1 zu § 828 BGB). Dabei ist dem Alter des Schädigers Rechnung zu tragen
(vgl. BGH Urteil vom 23. Oktober 1952 - III ZR 273/51 - aaO). Bei einem
Minderjährigen kommt es darauf an, ob Kinder bzw. Jugendliche seines Alters
und seiner Entwicklungsstufe den Eintritt eines Schadens hätten voraussehen
können und müssen und es ihnen bei Erkenntnis der Gefährlichkeit ihres
Handelns in der konkreten Situation möglich und zumutbar gewesen wäre,
sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten (vgl. Senatsurteile vom 27. Januar
1970 - VI ZR 157/68 - VersR 1970, 374, 375 und vom 29. April 1997 - VI ZR
110/96 - VersR 1997, 834, 835).
19
b) Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Kinder in der Altersgruppe des
Beklagten wissen, daß sie sich so zu verhalten haben, daß ihr Kickboard nicht
gegen einen parkenden PKW prallt und diesen beschädigt. Es ist ihnen auch
möglich und zumutbar, dieses Spielgerät so zu benutzen, daß eine solche
Schädigung vermieden wird. Die danach gebotene Sorgfalt hat der Beklagte
mißachtet, indem er im Wettrennen mit seinem Bruder und einem Freund so
schnell fuhr, daß er stürzte und sein Kickboard führungslos mit dem PKW des
Klägers zusammenstieß. Insoweit ist ohne Bedeutung, ob der Beklagte das
Ende der Spielstraße im Eifer des Wettrennens übersah, da er die
vorgenannten Sorgfaltspflichten auf allen Verkehrsflächen hätte beachten
müssen.
20
4. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, daß sich unter den vom
Berufungsgericht festgestellten Umständen die Betriebsgefahr des parkenden
Fahrzeugs ausgewirkt haben könnte, so daß auch nicht eine Mithaftung des
Klägers nach den Grundsätzen des § 254 BGB in Betracht kommt.
87
f)
Relative Zurechnungsunfähigkeit (§ 828 Abs 3). Für alle Jugendlichen, die
das siebente, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, trifft Abs 3
außerhalb von Unfällen, die Jugendliche im Sinne des Abs 2 verursacht haben, eine
differenzierende Regelung: Sie sind für den Schaden, den sie einem anderen
zufügen, dann nicht verantwortlich, wenn sie nach dem Stand ihrer persönlichen
Entwicklung bei Begehung der Tat nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit
erforderliche Einsicht haben. Ebenso wie früher StGB § 56 stellt das Gesetz damit
(im Gegensatz zu JGG § 3, vgl auch StGB § 20) lediglich auf die intellektuelle
Fähigkeit des Täters ab und nicht auch darauf, ob er imstande ist, nach seiner
Einsicht zu handeln. Die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht
setzt nach ständiger Rechtsprechung einen Stand der geistigen Entwicklung voraus,
der es dem Jugendlichen ermöglicht, das Unrecht seiner Handlung und zugleich die
Verpflichtung zu erkennen, in irgendeiner Weise für die Folgen seines Verhaltens
einzustehen.
g)
Billigkeitshaftung (§ 829).
- Zweck. Im Wesentlichen handelt es sich bei § 829 um einen Ausdruck für die
Abwägung der Interessen des (unzurechnungsfähigen) Schädigers einerseits und
des Geschädigten andererseits. Zwar mutet man dem Geschädigten prinzipiell zu,
deliktsrechtlich erhebliches Verhalten des Delinquenten, das sich zum Nachteil des
Geschädigten auswirkt, ohne haftungsrechtliche Konsequenzen zu ertragen,
gewissermaßen als Unglück. Doch wenn der Delinquent namentlich aus
wirtschaftlichen Gründen ohne Weiteres oder doch wenigstens wesentlich eher in der
Lage ist, den Schaden zu tragen, als der Geschädigte, genügt die kausal verursachte
und objektiv zurechenbare Realisierung der Gefahr, die von dem
unzurechnungsfähigen Delinquenten ausgegangen ist, für die Schadenszurechnung.
§ 829 federt also die Konsequenzen der §§ 827, 828 ab. § 829 ist in diesem Sinn
Ausdruck des Bemühens um Verteilungsgerechtigkeit. Der BGH (VersR 1958, 485,
487) sprach sogar vom "Millionärsparagraphen".
- Voraussetzungen:
(1.) § 829 setzt zunächst voraus, dass in einem der Fälle der §§ 823 bis 826 der
Schädiger eigentlich haften würde, aber auf Grund der §§ 827, 828 für den von ihm
verursachten Schaden deliktsrechtlich nicht verantwortlich ist. Angesichts des
Zwecks von § 829 ist die Norm auch im Rahmen der Sondertatbestände des
Deliktsrechts als Sonderausprägungen der §§ 823 bis 826 anzuwenden. Angesichts
des engen Zusammenhangs der Ansatzpunkte erkennt der BGH (BGHZ 39, 281) des
weiteren mit Recht die entsprechende Anwendbarkeit der Vorschrift insoweit an, als
ein jugendlicher Schädiger zwar über so viel allgemeine Einsicht verfügt, dass er
nicht schuldunfähig ist, aber nach Maßgabe des typischen Entwicklungsstandes von
Personen seiner Altersgruppe nicht die Reife besitzt, die in der konkreten Lage zur
Bejahung eines Verschuldens erforderlich ist. Mindestvoraussetzung ist aber das
Erfordernis des "natürlichen Vorsatzes", wenn es auf den Vorsatz tatbestandlich
notwendigerweise ankommt.
(2.) Seinem Wortlaut nach ist § 829 nur für Fälle der deliktischen Haftung der §§ 823826 anwendbar, vorausgesetzt, die Haftung entfällt aufgrund der §§ 827, 828. Da –
wie erwähnt - § 827 S 1 mit der Bewusstlosigkeit auch Fälle erfasst, in denen es an
einem deliktsrechtlich relevanten willensgesteuerten Verhalten fehlt, ist in neuerer
Zeit vorgeschlagen worden, diese Fälle im Wege der teleologischen Restriktion aus
dem Anwendungsbereich von § 829 auszuklammern. Dem liegt die Vorstellung
88
zugrunde, dass § 829 ausnahmslos eine tatbestandliche und rechtwidrige
Schädigung voraussetzt. Angesichts der eindeutigen Einbeziehung der
Bewusstlosigkeit des § 827 S 1, die kaum auf einem Redaktionsversehen beruhen
kann, überzeugt dies nicht. Vielmehr muss zugegeben werden, dass § 829 in
solchen Fällen auch ohne tatbestandsmäßig-rechtswidrige Tat im eigentlichen Sinne
eingreifen kann.
(3.) § 829 setzt des weiteren voraus, dass der Ersatz des Schadens nicht von einem
aufsichtspflichtigen Dritten (§ 832) erlangt werden kann. Das gilt auch im Falle
öffentlich-rechtlicher Aufsichtspflichten (zB in der Schule).
(4.) Sodann ist die Ersatzpflicht sowohl hinsichtlich des Grundes als auch hinsichtlich
der Art und des Umfanges davon abhängig, dass die Billigkeit nach den gesamten
Umständen des Falles, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, trotz
der Zurechnungsunfähigkeit des Schädigers eine Schadloshaltung erfordert. Zu
berücksichtigen sind dabei außer der wirtschaftlichen Lage und den Bedürfnissen der
Beteiligten vor allem die Besonderheiten der Zufügung und Entstehung des
Schadens. Erhebliche Schwierigkeiten bereitet dabei insbesondere die Frage, ob bei
der Entscheidung über die Billigkeit das Bestehen einer Haftpflichtversicherung des
Schädigers zu berücksichtigen ist. Die Problematik ergibt sich daraus, dass die
Haftpflichtversicherung an sich nicht dazu bestimmt ist, eine Haftung des Schädigers
gegenüber dem Geschädigten zu begründen, sondern dass ihr Eingreifen die
Haftung des Schädigers voraussetzt. Der BGH hat in BGHZ 23, 90, 100 die
Berücksichtigung einer bestehenden Haftpflichtversicherung bejaht, bei der es sich
um eine Pflichtversicherung handelte, ohne dass aber das Urteil hierauf besonders
abhebt. In später entschiedenen Fällen freiwilliger Versicherungen hat er dann
dahingehend differenziert, dass für die Frage, ob überhaupt eine Schadloshaltung
geboten sei, die Haftpflichtversicherung außer Betracht zu bleiben habe, dass sie
dagegen zu berücksichtigen sei, soweit es sich um die Höhe der Haftung handle
(BGH NJW 1958, 1630). Inzwischen hat er aber eingeräumt, dass diese im
Schrifttum vielfach kritisierte Unterscheidung zwischen Grund und Höhe des
Billigkeitsanspruchs keine brauchbare Eingrenzung für die Berücksichtigung der
Haftpflichtversicherung biete. Jedenfalls für den Bereich der freiwilligen
Privathaftpflichtversicherung lehnt er jedoch eine generelle Berücksichtigung
weiterhin ab und erkennt nur einen Einfluss auf die Höhe des Anspruches in der
Weise an, dass die Grenzen des dem Schädiger mit Rücksicht auf seinen
notwendigen Lebensunterhalt noch Zumutbaren weiter ausgedehnt werden, dabei
aber nicht jeden Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten des
Schädigers verlieren (BGHZ 76, 279). Hinsichtlich der KFZ-Pflichtversicherung nimmt
der BGH dagegen nunmehr an, dass die besondere Zweckbestimmung dieser
Versicherung es rechtfertige, dem Geschädigten den Versicherungsschutz des
Schädigers schon für das „Ob“ des Anspruches nach § 829 zugute kommen zu
lassen (BGHZ 127, 186, 191 f).
§ 3. Grundtatbestände der Verschuldenshaftung
I.
§ 823 Abs. 1 BGB
1.
Enumerationsprinzip
2.
Rechtsgüter
89
Herkömmlicherweise
werden
Leben,
Körper,
Gesundheit
und
Freiheit
als
Rechtsgüter bezeichnet, die selbst keine Rechte sind, sondern auf die der Mensch
nur ein Recht hat. Rechte ieS sind demgegenüber das Eigentum sowie die
sonstigen (im klassischen Sinne: eigentumsähnlichen) Rechte. Unterschiede
bestehen insbes in Bezug auf die Übertragbarkeit und den Charakter als
Herrschaftsrechte; beides trifft für Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit nicht zu.
Freilich ist nach der Anerkennung der sog Rahmenrechte (insbes des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts und des Rechts am Gewerbebetrieb bzw des Rechts am
Unternehmen) die Entwicklung über diese Unterscheidung hinausgegangen, soweit
man die Rahmenrechte – freilich kaum zutreffend – als „sonstige Rechte“ einordnet.
Daher wird die Sinnhaftigkeit der herkömmlichen terminologischen Differenzierung
zwischen Rechten und Rechtsgütern zunehmend – ohne dass aus der uneinheitlich
gewordenen Terminologie zwangsläufig unterschiedliche Konsequenzen abgeleitet
werden müssten – in Frage gestellt und relativiert.
a)
Leben
Die Verletzung des Lebens eines anderen ist gleichbedeutend mit Tötung eines
Menschen. Da die Rechtsfähigkeit mit dem Tod endet, können Ansprüche
demgemäß wegen eines durch den Tod verursachten Schadens nicht mehr für den
Verletzten selbst entstehen, sondern nur für Dritte (vgl insbesondere §§ 844, 845).
Ein sog Angehörigenschmerzensgeld wird (über den sog Schockschaden hinaus)
mangels eigener Rechtsgutsverletzung der Angehörigen gleichwohl nicht anerkannt.
Daneben kommen aber aus der Person des Verletzten Ansprüche auf Ersatz
etwaiger Schäden in Frage, die noch zu seinen Lebzeiten entstanden sind (zB
Kosten einer versuchten Heilung).
Um die Frage der Verletzung des Lebens beantworten zu können, ist es auch im
Rahmen von § 823 Abs 1 erforderlich, sich über den Todesbegriff Klarheit zu
verschaffen. Bekanntlich wird die Diskussion von dem möglichen Unterschied
zwischen Herz-Kreislauf-Tod und Hirntod geprägt. Auch für § 823 Abs 1 in der
Fallgruppe der Verletzung des Lebens wird in Anlehnung an die herrschende
Auffassung im Strafrecht auf das Hirntodkriterium abgestellt. Indes ist der „Tod“ ein
rechtlicher Begriff. Medizinisch handelt es sich nicht um einen fixen Zeitpunkt,
sondern vielmehr um einen Prozess. Um so mehr ist zu bedenken, dass der
Todesbegriff in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedliche Aufgaben erfüllt,
90
ganz abgesehen davon, dass das Hirntod-Kriterium auch aus medizinischer Sicht
zunehmend auf Kritik stößt. Zudem ist der Herz-Kreislauf-Tod eindeutiger
festzustellen, was im zivilen Haftungsrecht ebenso wie im Versicherungsrecht ein
gewichtiges Argument begründet. Über das Herz-Kreislauf-Todeskriterium bleiben
daher Kosten für Maßnahmen bis zu diesem Zeitpunkt schadensersatzfähige
Positionen, was den Opferschutz verstärkt. Das angeblich aus den Grundrechten
(GG Art 1 Abs 1, 2 Abs 2) abzuleitende Hirntodkriterium würde seine Aufgabe hier
verfehlen. Freilich wird der Todesbegriff des TPG § 3 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Nr 2
maßgeblich
sein
müssen,
soweit
es
darum
geht,
die
Straf-
und
Haftungsbestimmungen bezüglich der Tötung einzuschränken, um Transplantationen
zu ermöglichen und die Reanimation zu beenden.
Zu fragen ist weiter, ob eine haftungsbegründende Verletzung des Lebens auch
vor der Geburt möglich ist. Bislang ist man überwiegend davon ausgegangen, dass
nur ein im Sinne von § 1 BGB bereits rechtsfähiger Mensch getötet (= am Leben
verletzt) werden kann. Demgegenüber ist eine vorgeburtliche Körperverletzung
anerkannt worden (BGHZ 58, 48, 49). Schon im Hinblick auf GG Art 1 Abs 1, 2 Abs 2
wird man daher auch den Nasciturus, ja sogar den extrakorporal erzeugten Embryo
als vom deliktischen Lebensschutz des § 823 Abs 1 anzusehen haben. Relevant
werden kann die Frage, wenn es um die Kosten für eine mögliche Bestattung geht,
wenn etwa eine Spätabtreibung durchgeführt worden ist, zB weil eine schwere
Schädigung des Embryos fehlerhaft diagnostiziert wurde (vgl § 844 Abs 1). Eine
Ersatzpflicht nach § 844 Abs 2 wird bei der „Tötung eines Embryos“ demgegenüber
nur schwer darstellbar sein. Zwar kommt der dort geregelte Entzug der
Unterhaltspflicht auch in Betracht, wenn der Getötete dem Dritten gegenüber kraft
Gesetzes unterhaltspflichtig „werden konnte“. Jedoch ist schon bei der Tötung eines
Kindes schwierig, dessen mutmaßliche Leistungsfähigkeit anhand der zur Zeit der
Urteilsfindung bekannten Tatsachen (Alter, Gesundheit, geistige Befähigung, Schulund Berufsausbildung, Arbeitswilligkeit und Erwerbsmöglichkeit) zu prüfen.
b)
Körper
Verletzung des Körpers ist jeder nicht völlig unerhebliche äußere Eingriff in die
körperliche Unversehrtheit eines anderen. Ein solcher kann auch auf einer psychisch
vermittelten Verursachung beruhen. So hat der BGH in einem Falle, in dem auf
91
Grund eines ärztlichen Fehlers die einzige Niere eines Kindes entfernt worden war,
die dadurch veranlaßte Nierenspende der Mutter dem verantwortlichen Arzt als
Verletzung des Körpers der Spenderin zugerechnet (BGHZ 101, 215). Die Lage ist
insoweit ähnlich wie in den Fällen, in denen jemand durch das rechtswidrige
Verhalten eines anderen zu einer sonstigen Rettungshandlung oder zur Verfolgung
des Rechtsbrechers „herausgefordert“ wird und dabei einen körperlichen Schaden
erleidet.
Auf Grund der Erwägung, dass § 823 Abs 1 den Körper als Basis der Persönlichkeit
schützt, bewertet es der BGH sogar als eine zu einem Schmerzensgeldanspruch
führende Verletzung des Körpers oder jedenfalls als einen entsprechend zu
behandelnden Tatbestand, wenn Sperma, das auf Veranlassung eines Spenders
eingefroren worden war, um diesem bei einer vorhersehbaren Unfruchtbarkeit die
Möglichkeit eigener Nachkommen zu erhalten, durch das Verschulden eines anderen
vernichtet wird BGHZ 124, 52). Der BGH vertritt dabei zugleich die Auffassung, dass
der Schutz des Körperverletzungstatbestandes auch anderen Bestandteilen des
Körpers zuzuerkennen sei, die diesem entnommen werden, um mit ihm nach dem
Willen des Rechtsträgers zur Bewahrung der Körperfunktion oder zu ihrer
Verwirklichung später wieder vereinigt zu werde. Kaum anders könnte es demgemäß
beurteilt werden, wenn eine weibliche Eizelle, die nach extrakorporaler Befruchtung
reimplantiert werden soll, entsprechend verfrüht zerstört würde. Angesichts der
völligen gegenständlichen Trennung der betreffenden Teile vom Körper des
Spenders erscheint eine solche Ausdehnung des Begriffs der Körperverletzung aber
problematisch. Zwar ist nicht zu verkennen, dass es sich in den zur Erörterung
stehenden Fällen um das Fortbestehen körperlicher Lebensfunktionen des Spenders
handelt. Sachgerecht zu erfassen ist die Situation aber wohl besser unter dem
Gesichtspunkt des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, unter dem ja auch ein
Anspruch auf Geldentschädigung für immateriellen Schaden in Betracht kommt. Für
eine in diese Richtung gehende Einordnung läßt sich ua geltend machen, dass sich
ähnliche Probleme des Rechtsschutzes auch noch nach dem Tode des Spenders
ergeben können (wobei von der Frage der Zulässigkeit einer postmortalen
künstlichen Insemination an dieser Stelle abgesehen werden mag). Soweit es sich
um die Vernichtung oder Schädigung entnommener Körperbestandteile handelt, die
dem Körper des Spenders wieder eingefügt werden sollen (oder auch für einen
92
anderen Empfänger bestimmt sind), ist im übrigen auch an den Aspekt einer
Verletzung der Gesundheit des Empfängers zu denken.
Auch
eine
medizinische
Körperverletzung
Heilbehandlung
begründen.
Unstreitig
kann
ist
den
dies
Tatbestand
im
Falle
der
des
behandlungsfehlerhaften medizinischen Eingriffs in die körperliche Integrität des
Patienten. Nach – immer wieder bestrittener - stRspr und hM gilt nichts anderes aber
auch im Falle der behandlungsfehlerfreien Maßnahme; hier fehlt es im Falle der
wirksamen
Einwilligung
nach
zureichender
Aufklärung
freilich
an
der
Rechtswidrigkeit. Diese wird allerdings „indiziert“, so dass der Arzt bzw der in
Anspruch
genommene
Krankenhausträger
den
entsprechenden
Rechtfertigungsgrund darzulegen und zu beweisen hat. S näher zum ganzen Anhang
ArzthaftungsR. Nicht anders als die medizinische Heilbehandlung ist auch das
Abschneiden oder Versengen von Haaren tatbestandlich eine Körperverletzung, die
(namentlich beim Friseur) der rechtfertigenden Einwilligung bedarf (ohne dass
insoweit über die allgemein bekannte Möglichkeit der – evtl nur subjektiven –
Missglückens einer Frisur als Voraussetzung der Einwilligung aufgeklärt werden
müsste).
Als Verletzung des Körpers einer Frau stellt sich nach der Rspr des BGH auch die
Herbeiführung einer Schwangerschaft und einer Geburt entgegen dem Willen
der betroffenen Frau dar (BGH NJW 1980, 1452, 1453). Eine deliktsrechtliche
Haftung kann sich danach ua daraus ergeben, dass es wegen eines Fehlers bei
einem Sterilisationseingriff zu einer Schwangerschaft kommt. Entsprechend ist eine
Körperverletzung auch in der zusätzlichen körperlichen Beeinträchtigung zu
erblicken, die eine Frau dadurch erleidet, dass infolge eines zurechenbaren Fehlers
des sie behandelnden Arztes eine zulässige Schwangerschaftsunterbrechung
mißlingt oder unterbleibt. Entgegen der in BGHZ 86, 240, 248 anklingenden
Tendenz dürfte dies nicht nur für eine mit besonderen Komplikationen verbundene
Geburt gelten, sondern grundsätzlich für jede erhöhte Beeinträchtigung, die mit der
fortdauernden Schwangerschaft und der Entbindung im Vergleich zu der Lage
einhergeht, die sich bei Unterbrechung der Schwangerschaft ergeben hätte.
Eine Körperverletzung kann ferner ua im Geschlechtsverkehr (nicht nur mit einem
Mädchen im Kindesalter) liegen; die Einwilligung ist Rechtfertigungsgrund. Siehe
auch § 825 BGB. Als Körperverletzung kommt weiter in Betracht die körperliche
Züchtigung
eines
Minderjährigen;
die
Rechtswidrigkeit
wird
weder
durch
93
Amtspflichten noch über die Geschäftführung ohne Auftrag beseitigt. Auch gibt es
kein elterliches Züchtigungsrecht, das vom Personensorgerecht gedeckt wäre (§
1631 Abs 2 BGB; die Norm ist zugleich Schutzgesetz). Leichteste Einwirkungen, die
lediglich Missbilligung symbolisieren, erfüllen allerdings weder den Tatbestand der
„körperlichen Bestrafung“ nach § 1631 Abs 2 S 2 BGB (und wären daher noch vom
Personensorgerecht erfaßt), noch übersteigen sie die Unerheblichkeitsschwelle, die
der Tatbestand der Körperverletzung auch in § 823 verlangt. Abgesehen davon wird
der Schadensersatzanspruch des § 823 aber ggf insoweit nicht vom Familienrecht
verdrängt.
c)
Gesundheit
Die Verletzung der Gesundheit ist die zu einer nachteiligen Abweichung vom
Normalzustand führende Störung der inneren Lebensvorgänge; dass der Betroffene
unter Schmerzen oder einer sonstigen tiefgreifenden Veränderung der Befindlichkeit
leidet, gehört nicht zu den Voraussetzungen. Die Gesundheitsverletzung verbindet
sich oft mit einer Verletzung des Körpers aufs engste, so dass die Abgrenzung
einerseits dogmatisch schwierig, andererseits aber auch praktisch irrelevant ist,
solange nur wenigstens entweder eine Körper- oder eine Gesundheitsverletzung
vorliegt. Die Gesundheitsverletzung kann auf sehr verschiedenartigen Ursachen
beruhen und nicht nur im körperlichen, sondern auch im geistigen oder seelischen
Bereich liegen. Als Verletzung der Gesundheit ist aber nicht schon die Verursachung
von seelischen Schmerzen, Trauer, Schrecken u dgl anzusehen. Auch die mit
schweren negativen Erlebnissen dieser Art häufig verbundenen Störungen von
physiologischen Abläufen und seelischen Funktionen werden vom BGH in den
Fällen, in denen eine gesundheitliche Beeinträchtigung vom Täter nicht gewollt war,
nur dann als Gesundheitsverletzung anerkannt, wenn sie als solche nicht nur in
medizinischer Sicht, sondern auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung
betrachtet werden. Dogmatisch sollte das Problem der Verkehrsauffassung freilich
nicht als solches des Verletzungserfolges „Gesundheitsverletzung“ (die eben
vorliegt), sondern im Bereich der psychisch vermittelten Kausalität verortet werden.
Psychisch verursachte Störungen unterhalb dieser Schwelle gehören, so gesehen,
zur Sphäre der Eigenrisiken des Betroffenen. Man hat deshalb mit Grund bemerkt,
dass der Schutzbereich der gesundheitlichen Integrität – und hier vor allem der
psychischen Gesundheit – weniger deutlich abgesteckt ist als derjenige der
körperlichen Integrität. Da die Verletzung der psychischen Gesundheit zugleich einen
94
Fall der von vornherein unsicher feststellbaren sog. psychisch vermittelten
Zurechnung, zumeist sogar einen Fall der „mittelbaren“ Verletzung darstellt, ist hier
auch die Rechtswidrigkeit im allgemeinen durch Abwägung im Einzelfall festzustellen
und wird nicht stets „indiziert“. Daher lösen psychische Schädigungen von psychisch
ganz unterschiedlichen Individualpersonen durch die Medien nicht per se die
Rechtswidrigkeit aus.
Um eine Gesundheitsverletzung kann es sich auch handeln, wenn ein Kind infolge
einer vor seiner Geburt oder sogar vor der Empfängnis begangenen Handlung
bereits geschädigt zur Welt kommt (BGHZ 8, 243: angeborene Lues eines Kindes
infolge Infektion der Mutter bei einer mehr als ein Jahr vor der Geburt des Kindes
vorgenommenen Bluttransfusion; BGHZ 58, 48: Gehirnschaden eines Kindes infolge
einer von der Mutter während der Schwangerschaft erlittenen Verletzung). Dies gilt
auch dann, wenn die Verletzung der Leibesfrucht durch einen Angriff auf die Psyche
der Schwangeren vermittelt worden ist; dabei ist es nicht entscheidend, ob die
Einwirkung auf die Mutter auch bei dieser eine als Gesundheitsverletzung
anzusehende Beeinträchtigung herbeigeführt hat. Des weiteren kann es nicht darauf
ankommen, ob die schädigende Handlung den Nasciturus betroffen oder schon vor
der Empfängnis zu einer für den Gesundheitsschaden des Kindes ursächlichen
Keimschädigung geführt hat.
Ob eine rechtswidrige Gesundheitsverletzung auch dann anzunehmen ist, wenn
einer der Elternteile bei der Zeugung und Empfängnis eines Kindes auf dieses eine
Krankheit übertragen hat, oder ob in einem solchen Falle eine Schadensersatzpflicht
ausgeschlossen ist, weil ohne das dem Vater oder der Mutter vorzuwerfende
Verhalten das Kind überhaupt nicht geboren worden wäre, hat der BGH in BGHZ 8,
243, 249 unentschieden gelassen. In Fällen dieser Art ist zunächst zu beachten,
dass überall dort, wo die Schädigung des Kindes nach der Empfängnis noch durch
eine rechtzeitige ärztliche Behandlung abgewendet werden kann, als Grundlage der
Schadensersatzpflicht das von Zeugung und Empfängnis zu sondernde Unterlassen
der Herbeiführung einer solchen Behandlung in Betracht kommt. Aber auch soweit
eine Ersatzpflicht unter diesem Blickwinkel ausscheidet (sei es, dass eine
entsprechende Behandlungsmöglichkeit objektiv nicht besteht oder dass es in dieser
Richtung am Verschulden fehlt), dürfte eine deliktsrechtliche Haftung grundsätzlich
zu bejahen sein, sofern der Verkehr, aus dem das geschädigte Kind hervorgegangen
ist, um der Vermeidung derartiger Folgen willen von Rechts wegen untersagt war.
95
Dass das der Fall ist, wird man freilich etwa bei Erbkrankheiten nicht ohne weiteres
annehmen können, wohl aber zB bei Geschlechtskrankheiten. Zwar wäre das
geschädigte Kind unter diesen Umständen ohne das verbotene Verhalten seiner
Eltern nicht etwa gesund, sondern überhaupt nicht geboren worden. Da aber gerade
der Eintritt einer Gesundheitsstörung verhindert werden sollte, erscheint es
sachgerecht, dem Verantwortlichen eine Pflicht zur Beseitigung oder Milderung der
Folgen seiner Handlung in der Weise aufzubürden, dass er die Beeinträchtigung des
aus seinem Verhalten entstandenen neuen Lebens, das als solches voll zu
respektieren ist, nach Möglichkeit auszugleichen hat.
Die Übertragung einer Krankheit ist im übrigen ganz allgemein als möglicher Fall
einer Gesundheitsverletzung zu erwähnen. Dabei kann eine solche schon vor dem
unmittelbaren Ausbruch der Krankheit in der Infektion liegen. Wie freilich das
Beispiel eines gewöhnlichen Schnupfens zeigt, gibt es auch mancherlei Infektionen,
deren Gefahr der Verkehr im allgemeinen hinnimmt. Die sich damit abzeichnende
Frage, wo im Hinblick auf die Herbeiführung von Infektionsgefahren die Grenze
zwischen erlaubtem und unerlaubtem Verhalten verläuft, läßt sich wohl nicht mit
einer präzisen Einheitsformel beantworten. Eine wesentliche Rolle spielt zunächst
die allgemeine Eigenart der Krankheit, insbesondere ihre Schwere, des weiteren
auch die Intensität der mit ihr gegebenen Ansteckungsgefahr. Darüber hinaus
können aber auch andere Umstände bedeutsam sein. So ist es etwa denkbar, dass
man mit manchem Infekt zwar noch am normalen Verkehr teilnehmen, sich aber
nicht mehr ohne weiteres in einen Kreis von Menschen begeben darf, für die, wie
vielleicht für die Pfleglinge eines Alters- oder Säuglingsheimes, eine Ansteckung
besonders gefährlich wäre. Abgesehen von der Übertragung einer eigenen Krankheit
kann sich eine Verantwortlichkeit für eine Ansteckung auch daraus ergeben, dass
jemand einen an einer infektiösen Erkrankung Leidenden mit anderen in Kontakt
bringt oder nicht diejenigen Vorkehrungen zum Schutz vor Infektionen trifft, die ihm
nach
den
Umständen
des
Falles
obliegen.
Nicht
minder
kommen
als
haftungsbegründend zB auch die Weitergabe, die Zuführung und die unzureichende
Sicherung infizierter Stoffe in Betracht.
Psychische Gesundheitsverletzungen. Eine Verletzung der Gesundheit kann auch
über psychische Einwirkungen eine psychische Krankheit und damit eine
Gesundheitsverletzung
auslösen,
so
zB
durch
Zeitungsartikel,
durch
wahrheitswidrige Prozeßbehauptungen des Prozeßgegners, durch Beleidigungen
96
oder durch ehrenkränkende Behandlung eines Untergebenen. Voraussetzung ist
aber immer, dass ein pathologischer, behandlungsbedürftiger Zustand entsteht. Die
bloße Aufregung gehört dazu nicht. Die Zurechnung findet in Fällen dieser Art aber
dort eine Grenze, wo sich in der Schädigung letztlich nur das allgemeine
Lebensrisiko des Betroffenen aktualisiert. Die genauere Bestimmung kann freilich im
Einzelfall sehr zweifelhaft sein, zumal die Gefahr der Manipulation durch das Opfer
einerseits
und
die
Schwierigkeit
der
Feststellung,
also
der
richterlichen
Überzeugungsbildung andererseits, auf der Hand liegen.
Das RG hat unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitsverletzung auch einen
Schadensersatzanspruch der geschiedenen Ehefrau gegen den früheren Ehemann
wegen der durch dessen ehewidriges Verhalten ausgelösten Verschlimmerung
eines Nervenleidens anerkannt (RGZ 85, 335). Dagegen hat der BGH seine
ablehnende Rspr zum Schadensersatz wegen Ehestörung selbst auf den Fall
erstreckt, dass ein geschiedener Ehegatte wegen einer durch die Zerstörung der Ehe
herbeigeführten körperlichen und seelischen Erkrankung einen Ersatzanspruch
gegen einen Dritten geltend macht, dem ehewidrige und ehebrecherische
Beziehungen zu dem anderen Ehegatten vorgeworfen werden (BGHZ 23, 279).
Fraglich ist, ob es gerechtfertigt erscheint, den Ehegatten auch den Schutz der
unzweifelhaft unter § 823 Abs 1 fallenden Rechte und Rechtsgüter insoweit a limine
zu versagen, als ihre Verletzung aus einer Verletzung der Ehe oder ehelicher
Pflichten folgt. Einen Verletzungserfolg (Gesundheitsverletzung zB in Form von
nachhaltiger
Schlaflosigkeit,
Aufregungs-
und
Erregungszuständen
mit
Krankheitswert) sowie haftungsbegründende adäquate Kausalität wird man kaum
verneinen können. Indes wird man trotz § 1353 BGB (Pflicht zur
Lebensgemeinschaft
auf
Lebenszeit)
einen
innerehelichen
ehelichen
deliktischen
Rechtsgüterschutz wegen Ehebruchs außerhalb der Fälle gezielt-absichtlicher
Verletzungen der körperlichen Integrität des Ehegatten durch Ehebruch als
außerhalb des Schutzbereichs der Norm ansehen müssen. Genaugenommen ist die
Möglichkeit des Scheiterns der Ehe (durch Ehebruch uam) deren Wesen (negativ)
von vornherein immanent. Obwohl der Ehebruch gleichwohl durchaus rechtswidrig
bleibt, liegt im Eingehen der Ehe daher gewissermaßen ein Ansprüche aus
fahrlässiger Gesundheitsverletzung wegen Ehebruchs (oder sonst ehewidrigen
Verhaltens) ausschließendes Handeln auf eigene Gefahr. Ansprüche wegen
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (die ohnedies als subsidiär hinter
97
der tatbestandsmäßigen Gesundheitsverletzung zurücktreten) scheiden ebenso aus.
„In einer Zeit, in welcher jede dritte Ehe in Scheidung endet, mag der Gesetzgeber
noch an der Fiktion des § 1353 Abs 1 S 1 BGB festhalten, wonach die Ehe auf
Lebenszeit geschlossen wird. Das Haftungsrecht sollte jedoch in dieser Zeit die
gewöhnlichen Umstände, die zur Scheidung führen, nicht zum Grund eines
Schadensersatzanspruchs machen. … Die tiefgreifenden Umwälzungen im sozialen
Verständnis der Ehe und die rechtstatsächliche Wirklichkeit der häufigen
Scheidungen mit ihren Vorstadien lässt das Haftungsrecht vom Zweck her
weitgehend zurücktreten.“ (Deutsch Festschr. f. Gernhuber, S. 581, 588 mit dem
Vorschlag, es im wesentlichen mit § 826 sein Bewenden haben zu lassen. Unstreitig
ist, dass es keinen prinzipiellen Schmerzensgeldanspruch „für verlorene Liebe“ (nach
einem Wort von MünchKommBGB/Wacke4, § 1353 Rn. 40) gibt.
Eine besondere Fallgruppe bilden die sog Schockschäden Dritter. Wie in der Rspr
seit langem grundsätzlich anerkannt ist, kann gegenüber einem nahen Angehörigen
eines Unfallopfers eine (eigene!) Gesundheitsverletzung darin liegen, dass das
Miterleben des Unfalls oder die Nachricht von diesem Schockfolgen auslöst. Diese
müssen – so die Rspr - indes über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen
hinausgehen, denen nahe Angehörige des Unfallopfers in derartigen Fällen
erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Diese Einschränkung wird im Schrifttum zu Recht
kritisiert. Eine Grenze ist jedoch dort zu ziehen, wo es sich um eine ganz
ungewöhnliche und daher inadäquate Reaktion handelt. Im Prinzip gilt aber auch hier
der Grundsatz, dass der Ersatzpflichtige den Geschädigten so nehmen muss, wie er
ist.
Das
einzig
geeignete
medizinisch-fachmännisch
„mittelbar“
verursacht
haftungsbegründenden
dogmatische
festgestellter
worden
objektiven
sein
Feld
einer
Haftungsbegrenzung
Gesundheitsverletzungen,
können,
Zurechnung.
Da
ist
der
psychische
die
Bereich
auch
der
Kausalitäten
unsicherer verlaufen als naturgesetzliche oder zumindest schwerer feststellbar sind,
ist der Schutzbereich des Tatbestandes der Gesundheitsverletzung wertend zu
begrenzen. Zugerechnet werden im persönlichen Schutzbereich zunächst Schockund Neuroseschäden eines am Unfallgeschehen Beteiligten. Entsprechend einer im
Schrifttum vielfach vertretenen Auffassung und internationaler Tendenz dürfte es
dem für den Unfall Verantwortlichen nicht mehr zuzurechnen sein, wenn ein
außenstehender Dritter, der mit dem Unfallopfer nicht enger verbunden ist, unter
dem Eindruck des Geschehens einen Schockschaden erleidet. Insoweit ist vielmehr
98
davon auszugehen, dass sich dann ein der Eigensphäre des Betroffenen
zugehöriges
(allgemeines
Lebens-)
Risiko
verwirklicht
hat,
welches
vom
Schutzzweck des § 823 Abs 1 nicht mehr gedeckt wird. Zweifelhaft ist indes die
genaue Abgrenzung zwischen außenstehenden Dritten und nahestehenden
Personen. Jedenfalls sind nahe Angehörige des Opfers (Eheleute, Eltern, Kinder,
Lebenspartner iS des Lebenspartnerschaftsgesetzes) vom Schutzzweck noch erfaßt.
Auch Verlobte oder Lebensgefährten, jedenfalls solche aus stabiler Partnerschaft,
sind noch erfasst, wohl nicht mehr hingegen die das Opfer begleitende Freundin oder
der Freund. Im Übrigen führt nicht nur die Tötung, sondern auch die schwere
Verletzung oder die drohende schwere Verletzung zu einem Ersatzanspruch von
Opfern aus dem genannten Personenkreis wegen Schockschadens unter dem
Aspekt einer Gesundheitsverletzung. Ob das physisch verletzte Unfallopfer später
stirbt oder wie sich dessen Körperverletzungen sonst weiterentwickeln, ist für die
haftungsbegründende Zurechnung des Schockgeschädigten irrelevant. Daher genügt
an sich überhaupt eine bloß akute schwere Gefahrenlage (Zug, Bus oder Lkw fährt
über eine Person, ohne diese zu verletzen). Mit Grund werden auch Retter in den
geschützten Kreis mit einbezogen. Und ebenso kann der (schuldlose) Führer eines
Unfallwagens oder einer Eisenbahnlokomotive Schockschadensberechtigter sein,
vorausgesetzt, der Getötete oder Verletzte hat die weiteren haftungsbegründenden
Voraussetzungen von § 823 Abs 1 erfüllt oder ein anderer erfüllt die
Voraussetzungen von § 823 Abs 1, etwa indem der Täter das noch lebende Opfer
vor ein Kfz oder die herannahende Eisenbahn wirft. Das folgt schon daraus, dass
hier der Schockgeschädigte gewissermaßen zum mittelbaren Tatwerkzeug gemacht
wird und insoweit Unfallbeteiligter ist. Hierin liegt auch der wesentliche Unterschied
zum bloßen Zuschauer, der sich – nicht etwa als Retter – aus bloßer Sensationsgier
zum Unfallort begibt. Zumindest am Verschulden (fehlende Voraussehbarkeit) fehlt
es, wenn ein Schock bei der Nachricht von einem unbedeutenden Sachschaden am
Pkw erlitten wird. Überhaupt kommt die Zurechnung eines Schockschadens kaum in
Betracht, wenn es sich um bloß (drohende) Sach- und Vermögensschäden, ja
sogar um geringfügige Primärverletzungen, handelt.
Auch aktives wie passives Rauchen kann – nicht anders als im Fall des Einatmens
von emittierenden Stoffen - zu Gesundheitsverletzungen führen. Allerdings muss
zum einen die Erheblichkeitsschwelle überschritten werden. Zudem kommt ein
Mitverschulden bzw Handeln auf eigene Gefahr in Betracht, vorausgesetzt, der
99
Geschädigte begibt sich freiwillig an Orte, an denen bekanntermaßen geraucht zu
werden pflegt (Gaststätte oä). Überdies ist der Nachweis der Kausalität schwierig zu
führen. All dies steht ggf auch Ansprüchen auf Unterlassung entgegen.
d)
Freiheit
Die Freiheitsverletzung, wie sie in § 823 Abs 1 zusammen mit der Verletzung von
Leben, Körper und Gesundheit aufgeführt wird, ist nach hM die Beeinträchtigung
der körperlichen Bewegungsfreiheit; es geht insoweit also vom Ansatz her im
wesentlichen um den gleichen Bereich wie bei der persönlichen Freiheit im Sinne
von § 239 StGB und nicht um das gesamte, nur schwer eingrenzbare Feld bloßer
Einwirkungen auf die Entschlußfreiheit. Dementsprechend wird auch die
Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Freiheit nicht erfaßt. Ebenso wenig fällt die
bloße Nötigung zu einer Handlung unter den Tatbestand der Freiheitsverletzung; hier
genügt der Rückgriff auf §§ 823 Abs 2 BGB iVm § 240 StGB. Auch die bloße
Zutrittsverhinderung begründet keine Freiheitsberaubung.
Stets ist eine gewisse Erheblichkeit der Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit zu
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§8
23
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das
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ein
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Per
son
ein
verlangen: Minima non curat praetor. Daher erfüllt das nur kurzfristige Versperren der
Garagenzufahrt vornherein weder den Tatbestand der Freiheitsverletzung noch den
der Eigentumsverletzung. Von der gezielten Blockade abgesehen dürfte zumindest
im Ergebnis auch der schuldhaft verursachte Autobahnstau keinen Anspruch wegen
Freiheitsverletzung auslösen; hierbei hat sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko
verwirklicht bzw. man handelt durch die Teilnahme am allgemeinen Verkehr auf
eigene Gefahr. Zudem können sich Autofahrer bzw Insassen im Prinzip bewegen,
wohin sie wollen (wenn auch nicht im Kfz). Das Einverständnis, etwa beim Einsteigen
in öffentliche Beförderungsmittel (Busse, Bahn), schließt – nicht anders als im
Strafrecht - schon den Tatbestand aus, soweit es um Einschränkungen der
Fortbewegungsfreiheit im Rahmen der üblichen Beförderungsmodalitäten geht.
Daher begründet die Nichtöffnung der Türen im Stau bzw beim Stopp der Bahn auf
offener Strecke insoweit nicht den Tatbestand der Freiheitsverletzung, wenn die
Fahrgäste
aussteigen
wollen;
zumindest
rechtswidrigkeitsausschließende Einwilligung vor.
3. Eigentum und sonstige Rechte
liegt
eine
bindende
100
a) Eigentum
Die Eigentumsverletzung bezieht sich auf den einzigen in § 823 benannten Fall
eines absoluten, subjektiven Rechts, zu dem freilich weitere als sonstige Rechte
hinzukommen. Schutzgegenstand sind alle Sachen (bewegliche wie unbewegliche)
iSd §§ 90 ff. BGB. Weil § 823 Abs. 1 BGB an den sachenrechtlichen Begriff des
Eigentums anschließt (und nicht etwa an den des Art 14 GG), wird die Reichweite
des Eigentumsschutzes zunächst einmal auch über die §§ 903 ff (bis hin zur
Eigentumsvermutung des § 1006) bestimmt.
Daher ist das Grundwasser
ebensowenig Schutzgegenstand iSd § 823 Abs 1 wie sonstige Umweltgüter, die nicht
eigentumsrechtlich einem bestimmten Rechtsträger zugeordnet sind.
Fallgruppen der Eigentumsverletzung:
aa) Zuordnungsverletzungen
Die Zuordnungsverletzung besteht in einer rechtlichen Einwirkung, und zwar
entweder in einer Aufhebung der Zuordnung (zB in einer unberechtigten, aber
wirksamen rechtsgeschäftlichen Verfügung über das Eigentum oder in einer
unberechtigten Herbeiführung eines Rechtsverlustes nach §§ 946 ff) oder aber auch
in
einer Beeinträchtigung der
gutgläubigen
Erwerbs
eines
Zuordnung
Grundpfandrechts
beweglichen Sachen). Der Veräußerer haftet
Verursachung des Verlustes
(zB
durch
oder
Ermöglichung des
eines
Pfandrechts
an
im Falle jeder schuldhaften
bzw einer Beeinträchtigung der sachenrechtlichen
Zuordnung, der Erwerber hingegen nicht im Rahmen gutgläubigen Erwerbs. Auch im
Rahmen der §§ 946 ff ist zwischen Bauherrn und Einbauenden zu unterscheiden:
Derjenige, der eine Sache nach §§ 946, 950 verbindet oder verarbeitet, verletzt das
Eigentum. Der einen Einbau nur duldende Bauherr soll demgegenüber nicht aus §
823 Abs 1 wegen Eigentumsverletzung haften. Das passt nicht zu den
Wertungsmodellen der §§ 932, 989, 990. Im Falle grober Fahrlässigkeit des
Bauherrn sollte eine Haftung des den Einbau fremder Sachen duldenden Bauherrn
wegen Eigentumsverletzung nach § 823 Abs 1 möglich sein. Freilich ist bei der
konkreten Annahme grober Fahrlässigkeit des Bauherrn deutliche Zurückhaltung
geboten. Der Bauherr trägt angesichts der verschiedenen Lieferanten grundsätzlich
nicht das Risiko des Einbaus schuldnerfremder Baumaterialien; ihn trifft demgemäß
101
auch nur dann eine entsprechende Nachforschungspflicht, wenn die konkret
fehlende Eigentumsstellung des Lieferanten auf der Hand liegt.
bb) tatsächliche Einwirkungen
Der klassische, prototypische Fall ist derjenige der Substanzverletzung, die sich in
einer Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder der sächlichen Beschaffenheit
(Zerstörung, Beschädigung, nachhaltige Verschmutzung u dgl, gleich, ob es um
bewegliche, lebende oder unbewegliche Sachen geht) realisiert.
cc) Sonstige Eigentumsverletzungen
Eine weitere Fallgruppe umfasst alle sonstigen die Eigentümerbefugnisse
treffenden tatsächlichen Einwirkungen auf die Sache. Hier kann wieder
unterschieden werden zwischen der Entziehung der Sache und der Verletzung der
sonstigen Befugnisse des Eigentümers in Bezug auf Nutzung und Gebrauch
(Störung des Gebrauchs und der Benutzbarkeit), zB durch unzulässige
Immissionen, unberechtigten Gebrauch, etwa in Gestalt einer widmungswidrigen
Benutzung eines dem öffentlichen Verkehr erkennbar nur beschränkt gewidmeten
Weges oder ähnlichem. Eine unzulässige Eigentumsbeeinträchtigung wird etwa auch
in einem verbotswidrigen Einwurf von Werbesendungen in den Briefkasten des
Betroffenen gesehen.
dd) Sonderfall Nutzungsbeeinträchtigungen
Diese Fallgruppe markiert den Übergang zu reinen Vermögensschäden und damit
zum Recht am Gewerbebetrieb (dazu später). Sie ist eher unproblematisch, wenn es
um den Entzug bzw. die Vorenthaltung des Besitzes geht, problematisch aber bei
Behinderung des Eigentümers ohne Einwirkung auf Sachsubstanz oder überhaupt
ohne körperliche Einwirkung.
Als
Verletzung
des
Eigentums
kommen
insoweit
auch
Störungen
der
Eigentumsfunktion in Betracht, die sich weder als Eingriffe in den rechtlichen
Bestand des Eigentums darstellen, noch als tatsächliche Einwirkung auf die Sache,
noch als Beeinträchtigung der Sachsubstanz. Dass dies der Konzeption des
Gesetzes entspricht, zeigt sich nicht zuletzt an der Vorschrift des § 906 Abs 1. Für
Fälle dieser Art bedarf es aber einer Abgrenzung der Eigentumssphäre gegenüber
102
den
Sphären
der
Person
und
der
rechtsgeschäftlichen
Beziehungen.
Verhaltensweisen, die eine bestimmte Person als solche treffen oder die Begründung
oder Durchführung von bestimmten Leistungsverhältnissen stören, sind daher auch
dann keine rechtlich relevanten („mittelbaren“) Eigentumsverletzungen, wenn der
Eigentümer durch sie an der Nutzung oder Verwertung seines Eigentums gehindert
wird; anderenfalls würde sich der Übergang zum durch § 823 Abs 1 nicht
geschützten bloßen Vermögensschaden verflüchtigen. Es stellt dementsprechend
keine Eigentumsverletzung dar, wenn der Eigentümer seine Sache infolge eines
Freiheitsentzuges oder einer Körperverletzung nicht nutzen kann, wenn die
Veräußerung einer bestimmten Sache, etwa eines Grundstücks, planmäßig
hintertrieben wird oder wenn infolge einer Unterbrechung der Stromzufuhr eine
elektrisch
betriebene
Maschine
nicht
arbeitet.
Dagegen
kann
eine
Eigentumsverletzung zB darin liegen, dass der Zugang zu einem Grundstück oder
der zur bestimmungsgemäßen Nutzung des Grundstücks erforderliche sonstige
Kontakt zur Umwelt durch Behinderung des Verkehrs vor dem Grundstück
nachhaltig beeinträchtigt wird. Verneint hat der BGH (BGHZ 86, 152) aber die
Verletzung des Eigentums an Lagerei- und Umschlagseinrichtungen eines Hafens
bei einem Dammbruch an einer Bundeswasserstraße, der dazu führte, dass die über
Land zugänglichen Anlagen zeitweilig nicht von Schiffen erreicht werden konnten. –
Ebenso kann das Eigentum dadurch verletzt werden, dass ein Grundstück wegen
der von einem Nachbargrundstück drohenden akuten Brand- oder Explosionsgefahr
vorübergehend geräumt werden muß. Entsprechendes gilt grundsätzlich auch dann,
wenn eine bewegliche Sache dergestalt von der Umwelt abgeschlossen wird, dass
sie nicht mehr funktionsgerecht genutzt werden kann, wie im Falle des Einschlusses
eines Binnenschiffes durch Verursachung eines Schiffahrtshindernisses in einem
Kanal („Fleet“):
Fleet-Fall : BGHZ 55, 153
Tatbestand:
1
Die beklagte Bundesrepublik ist Eigentümerin eines als Bundeswasserstraße
eingetragenen Fleets, das in B. eine Mühle mit dem dortigen Hafen verbindet.
In das Fleet stürzte in der Nacht vom 21. zum 22. Oktober 1962 ein 3 bis 4 m
langes Stück der Ufermauer mit einem Teil der darauf ruhenden Außenwand
eines Wohnhauses. Um den weiteren Einsturz des Hauses zu verhindern, ließ
der Eigentümer dieses, und zwar in Vollzug einer baupolizeilichen Verfügung,
abstützen. Hierbei wurden zwei Baumstämme so angebracht, daß sie
103
unmittelbar über der Wasseroberfläche von der einen zur anderen Seite des
Fleets führten. Damit war das Fleet - bis zur vorläufigen Instandsetzung der
Ufermauer Mitte 1963 - für Schiffe unpassierbar. Dies hatte zur Folge, daß
das der Klägerin gehörende MS "Christel" während der Zeit der Sperrung des
Fleets dieses nicht verlassen konnte und an der Verladestelle der Mühle
festlag. Außerdem konnte die Klägerin, die der Mühle gegenüber vertraglich
gehalten war, Schiffsraum für Transporte bereit zu stellen, mit drei Schuten
nicht zur Mühle fahren.
2
Die Klägerin beziffert den ihr durch die Sperrung des Fleets entstandenen
Verdienstausfall auf insgesamt 31.061,10 DM. Sie verlangt diesen Betrag von
der Beklagten ersetzt.
3
Beider Vorinstanzen haben den Klageanspruch dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten führte zur teilweisen
Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
I. ...
4
II. Das angefochtene Urteil hält nicht in allen Punkten einer rechtlichen
Nachprüfung stand:
5
1. Rechtlich zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß im Falle
einer schuldhaften Verletzung der der Beklagten obliegenden
Unterhaltungspflicht durch deren verfassungsmäßige Vertreter § 823 Abs 1,
§§ 89, 31 BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht kommen und nicht, wie die
Revision meint, allenfalls § 839 BGB, Art 34 GG.
6
Die Unterhaltungspflicht an einer Wasserstraße wird unabhängig davon, wer
der Träger dieser Pflicht ist, als eine öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit
angesehen (Wüsthoff, Handbuch des Deutschen Wasserrechts, WHG § 29
Anm 1; Holtz/Kreutz/Schlegelberger, Das Preußische Wassergesetz, 3. und 4.
Aufl § 133 Anm 4). Im Streitfall ergibt sich überdies der öffentlich-rechtliche
Charakter der Unterhaltungspflicht aus § 80 Nds WasserG. Das bedeutet
jedoch nur, daß die Unterhaltungspflicht gegenüber der Allgemeinheit zu
erfüllen ist und ihre Erfüllung allein von der Aufsichtsbehörde im
Verwaltungswege erzwungen werden kann (Rehder, Niedersächsisches
Wassergesetz, 3. Aufl § 80 Anm 1; Giesecke/Wiedemann,
104
Wasserhaushaltsgesetz § 28 Rdnr 2; vgl auch BGH VersR 1964, 534ff; 1967,
604). Hingegen folgt aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter der
Unterhaltungspflicht nicht, wie die Revision meint, daß ihre Erfüllung in den
Fällen, in denen sie, wie vorliegend, der Bundesrepublik obliegt, zu den
Hoheitsaufgaben des Unterhaltungspflichtigen gehört. Das ist zwar nunmehr
kraft ausdrücklicher Gesetzesvorschrift (§ 7 Abs 1 BWasserStrG) der Fall. Im
Zeitpunkt des Einsturzes der Ufermauer und davor wurde jedoch die
Unterhaltungspflicht unabhängig von dem Träger der Pflicht überwiegend als
ein Teil der Vermögensverwaltung des Pflichtigen betrachtet, deren
schuldhafte Verletzung Ansprüche nach § 823 Abs 1 BGB begründet (BGH
VersR 1964, 534ff; BGB-RGRK 11. Aufl § 89 Anm 5; Rehder aaO § 80 Anm 2;
Giesecke/Wiedemann aaO; Holtz/Kreutz/Schlegelberger aaO).
7
2. Das Berufungsgericht leitet die Pflicht der Beklagten, das Fleet zu
unterhalten, für die Zeit bis zum 14. Juni 1960 aus den § 113, 114 PrWasserG
und für die Zeit danach aus den §§ 80, 81 des am 15. Juni 1960 in Kraft
getretenen Niedersächsischen Wassergesetzes her. Es meint, die
Unterhaltungspflicht umfasse auch die Ufermauer im Bereich der
Einsturzstelle. Diese Auffassung stützt es für die hier in erster Linie
interessierende Zeit nach dem Inkrafttreten des Niedersächsischen
Wassergesetzes zunächst auf dessen § 81 Abs 2 Satz 1, der bestimmt, daß
zur Erhaltung des ordnungsmäßigen Zustandes eines Gewässers auch die
Unterhaltung des Gewässerbettes einschließlich der Ufer gehört. Weiter
gründet es sie auf die in § 81 Abs 1 NdsWasserG enthaltene Regelung,
wonach die Unterhaltungspflicht an einem schiffbaren Gewässer auch die
Pflicht umgreift, die Schiffbarkeit zu erhalten. Hierzu, so führt das
Berufungsgericht näher aus, gehöre auch die Verpflichtung, alle erkennbaren,
die Schiffahrt hindernden Zustände des Wasserlaufs, und zwar auch soweit
diese von den Ufern oder Uferanlagen ausgehen, zu beseitigen. Andernfalls
wäre nicht sichergestellt, daß die Schiffahrt die Wasserstraße überhaupt oder
auch nur ungehindert benutzen könne. Die Revision wendet sich gegen diese
Ausführungen im Ergebnis ohne Erfolg.
8
Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung der Frage, ob die Beklagte vor dem
Inkrafttreten des Niedersächsischen Wassergesetzes verpflichtet war, die
Ufermauer im Bereich der Einsturzstelle zu unterhalten. Es kann weiter
dahinstehen, ob den §§ 80ff NdsWasserG allgemein die Pflicht zur
Unterhaltung der Ufer durch den Gewässerunterhaltungspflichtigen zu
entnehmen ist, und zwar unabhängig davon, wie die Ufer beschaffen oder
gestaltet sind, in wessen Eigentum oder Besitz sie stehen oder welchen
Zwecken sie außer der Begrenzung des Gewässers dienen. Insbesondere
kann offen bleiben, ob § 89 NdsWasserG die gleiche Regelung wie § 120 Abs
5 PrWasserG (vgl zu dieser Bestimmung PrOvG 96, 131, 136) enthält und,
wie die Revision meint, die Unterhaltung von Ufermauern grundsätzlich dem
Nutzungsberechtigten und nicht dem Gewässerunterhaltungspflichtigen
auferlegt. Auf alle diese Fragen und die eingehenden Erörterungen der
Revision zu diesen Punkten kommt es im Streitfall nicht an. Denn unter den
105
gegebenen besonderen Umständen folgte jedenfalls aus der nach § 81 Abs 1
NdsWasserG (vgl auch § 28 Abs 1 Satz 1 WHG) bestehenden Verpflichtung
der Beklagten, die Schiffbarkeit des Fleets zu erhalten, auch die Pflicht, den
drohenden Einsturz der Ufermauer durch geeignete, vom Eigentümer des
Hauses zumindest in sinngemäßer Anwendung des § 95 Abs 1 und 2
NdsWasserG zu duldende Sicherungsmaßnahmen zu verhindern.
9
Das Fleet besitzt, wie im angefochtenen Urteil festgestellt ist, eine Breite von
etwa 5 m. Das Fahrwasser reicht nach den Ausführungen in der Verfügung
des Wasser- und Schiffahrts*-amts vom 4. Juni 1957 von Ufermauer zu
Ufermauer. Das Fleet durfte bis zu dem Mauereinsturz, wie zwischen den
Parteien außer Streit steht, von Schiffen befahren werden, deren Breite
nahezu der Breite des Fahrwassers entsprach. Jeder Einsturz eines Teils der
Ufermauern mußte danach die Schiffbarkeit des Fleets zumindest
beeinträchtigen. Unter diesen besonderen Umständen umfaßte die Pflicht der
Beklagten, die Schiffbarkeit des Fleets zu erhalten, aber nicht nur, wie die
Revision meint, die Verpflichtung, nach Eintritt einer Beeinträchtigung oder
nach Wegfall der Schiffbarkeit des Fleets diese wiederherzustellen. Vielmehr
ging diese Pflicht auch dahin, zumindest jeder unmittelbaren Gefahr, die der
Schiffbarkeit des Fleets von der Beschaffenheit der Ufermauern drohte, durch
geeignete Maßnahmen zu begegnen. Denn die Schiffbarkeit eines Gewässers
zu erhalten, bedeutet nicht nur, sie wiederherzustellen, sondern, wie das Wort
"erhalten" besagt, auch dafür zu sorgen, daß es möglichst zu keiner
Beeinträchtigung oder Beseitigung der Schiffbarkeit kommt. Daran, daß
letzteres im Streitfall technisch möglich war, kann, wie der weitere Verlauf
zeigt, nicht gezweifelt werden.
10
3. Gegen diese Pflicht haben, wie das Berufungsgericht mit Recht
angenommen hat, die verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten dadurch
schuldhaft verstoßen, daß sie in Kenntnis des baufälligen Zustandes der
Ufermauer und obwohl sie, wie bereits in der Verfügung des Wasser- und
Schiffahrts*-amts vom 4. Juni 1957 zum Ausdruck kommt, jederzeit mit einem
Einsturz der Mauer rechnen mußten, über Jahre hinweg nichts unternommen
haben, um durch geeignete Sicherungsmaßnahmen den drohenden Einsturz
der Mauer zu verhindern. Wenn das Berufungsgericht in diesem
Zusammenhang allerdings meint, die Beklagte habe derartige Maßnahmen
"notfalls im Wege der Ersatzvornahme" durchführen müssen, so unterscheidet
es nicht hinreichend zwischen deren öffentlich-rechtlicher Unterhaltungspflicht
und etwaigen öffentlich-rechtlichen Befugnissen der Beklagten gegenüber
Dritten. Vorliegend handelt es sich aber nicht um die Durchsetzung derartiger
Befugnisse (vgl hierzu die vorerwähnte Verfügung des Wasser- und
Schiffahrts*-amts), sondern um die Erfüllung einer der Beklagten selbst
obliegenden Pflicht. Das beachtet auch die Revision nicht.
11
106
Daß der schuldhafte Pflichtverstoß der verfassungsmäßigen Vertreter der
Beklagten für die Sperrung des Fleets (mit den der Klägerin daraus
entstandenen Nachteilen) adäquat kausal war, zieht die Revision zu Unrecht
in Zweifel. Sicher war der unmittelbare Anlaß für die Sperrung des Fleets die
Verfügung der Stadt B. vom 22. Oktober 1962 und die in Vollzug dieser
Verfügung erfolgte Abstützung des Hauses F.straße 10. Beides war aber nur
eine adäquate Folge der vorangegangenen Pflichtwidrigkeit der
verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten. Denn daß das Unterlassen der
Sicherung einer baufälligen Ufermauer, auf der eine Außenwand eines
Gebäudes ruht, unter den gegebenen Umständen zu derartigen Folgen führen
kann, liegt nicht außerhalb der Lebenserfahrung.
12
Ob der weitere Vorwurf des Berufungsgerichts berechtigt ist, die Beklagte
habe nach dem Einsturz der Mauer unverzüglich durch deren Ausbesserung
für ihre Standfestigkeit sorgen und dadurch die alsbaldige Wiederaufnahme
der Schiffahrt auf dem Fleet ermöglichen müssen, kann dahinstehen. Denn für
das Schadensersatzbegehren der Klägerin ist es ohne Belang, ob die
verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten die Sperrung des Fleets (mit den
der Klägerin daraus entstandenen Nachteilen) durch eine weitere
Pflichtwidrigkeit länger als notwendig schuldhaft verursacht haben.
13
4. Das Berufungsgericht verneint den Schutzgesetzcharakter (§ 823 Abs 2
BGB) der Vorschriften über die Unterhaltungspflicht an einem Gewässer. Das
ist rechtlich zutreffend (BGH VersR 1967, 405, 406; RG HRR 1935 Nr 1068;
vgl auch BGH VersR 1964, 534ff). Es hält die Beklagte aber deshalb für den
der Klägerin durch die Sperrung des Fleets entstandenen Schaden für
ersatzpflichtig, weil in dem schuldhaft pflichtwidrigen Verhalten ihrer
verfassungsmäßigen Vertreter ein unzulässiger Eingriff in den eingerichteten
und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin zu sehen sei. Diese Auffassung
begegnet in ihrer Begründung, teilweise auch im Ergebnis, rechtlichen
Bedenken.
14
a) Die Haftung aus einem Eingriff in das Recht an einem eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb tritt wegen ihres subsidiären Charakters nur ein,
wenn eine andere Rechtsgrundlage nicht gegeben ist und der
Zusammenhang der auf dem jeweiligen Rechtsgebiet geltenden Normen
ergibt, daß eine Lücke besteht, die mit Hilfe des § 823 Abs 1 BGB
geschlossen werden muß (BGHZ 38, 200, 204). Eine Prüfung des Streitfalls
aus dieser Sicht führt zu folgendem Ergebnis:
15
Hinsichtlich des MS "Christel"der Klägerin kommen Schadensersatzansprüche
wegen eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb deshalb nicht in Betracht, weil insoweit eine die Beklagte zum
107
Schadensersatz verpflichtende Eigentumsverletzung vorliegt. Die Verletzung
des Eigentums an einer Sache kann nicht nur durch eine Beeinträchtigung der
Sachsubstanz, sondern auch durch eine sonstige die Eigentümerbefugnisse
treffende tatsächliche Einwirkung auf die Sache erfolgen (Soergel/Zeuner,
BGB, 10. Aufl § 823 Rdnr 24; vgl auch BGB-RGRK, 11. Aufl § 823 Anm 15;
Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts II. Bd 9. Aufl S 407). Im Streitfall ergibt
sich eine Verletzung des Eigentums der Klägerin an MS "Christel" daraus, daß
das Schiff an der Verladestelle der Mühle wegen der Sperrung des Fleets
liegen bleiben mußte. Es verlor dadurch jede Bewegungsmöglichkeit über das
zwischen der Verladestelle und den als Sperre wirkenden Baumstämmen
befindliche Fleetstück hinaus. Es war damit als Transportmittel praktisch
ausgeschaltet, seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch entzogen. Die
"Einsperrung" des Schiffes stellte sich demnach als eine die
Eigentümerbefugnisse der Klägerin treffende tatsächliche Einwirkung auf
dieses Fahrzeug dar. Sie war mithin eine Eigentumsverletzung. Wenn das
Reichsgericht in einem ähnlichen Falle eine Eigentumsverletzung verneint hat
(RG Gruchot 68, 76, 79), so ging es im Gegensatz zu dem erkennenden
Senat ersichtlich davon aus, daß eine Eigentumsverletzung im Sinne des §
823 Abs 1 BGB nur bei einem Eingriff in die Sachsubstanz, nicht aber bei
sonstiger Einwirkung auf die Sache (vgl BGH WM 1967, 562, 563), vorliegt.
Eine derart enge Auslegung des § 823 Abs 1 BGB wird aber dem Zweck
dieser Vorschrift nicht gerecht. Diese will die dort aufgeführten Rechte gegen
jede schuldhaft widerrechtliche Verletzung schützen. Die Beklagte, die für das
pflichtwidrige schadensursächliche Verhalten ihrer verfassungsmäßigen
Vertreter verantwortlich ist (§§ 89, 31 BGB), ist daher der Klägerin für den
dieser aus der "Einsperrung" des MS "Christel" entstandenen Schaden
ersatzpflichtig (§ 823 Abs 1 BGB). Insoweit kommt eine Haftung der Beklagten
wegen eines schuldhaft rechtswidrigen Eingriffs in das Recht der Klägerin am
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht in Betracht. Dabei bleibt
offen, ob ein derartiger Eingriff überhaupt vorgelegen hat.
16
Anders verhält es sich hingegen hinsichtlich des von der Klägerin wegen der
Nichtbefahrbarkeit des Fleets für die Schuten geltend gemachten
Schadensbetrages. Eine Eigentumsverletzung seitens der Beklagten liegt
insoweit deshalb nicht vor, weil die Schuten durch die Sperrung des Fleets in
ihrer Eigenschaft als Transportmittel nicht betroffen und damit ihrem
natürlichen Gebrauch nicht entzogen wurden. An dieser Beurteilung ändert
sich nichts dadurch, daß die Klägerin die Schuten während der Sperrung des
Fleets nicht zur Verladestelle der Mühle fahren lassen konnte. Darin ist kein
Eingriff in das Eigentum an den Schuten zu sehen, sondern eine Behinderung
der Klägerin in der Ausübung des ihr wie jedem Schiffahrttreibenden an dem
Fleet zustehenden Gemeingebrauchs. Dieser stellt aber kein "sonstiges
Recht" im Sinne des § 823 Abs 1 BGB dar (RG Gruchot 68, 76, 78; KG JW
1938, 948; vgl auch RG SeuffArch 76 Nr 14 und Soergel/Zeuner aaO Rndnr
35).
17
108
b) Allein für den Schadensersatzanspruch der Klägerin aus der
Nichtbefahrbarkeit des Fleets für die Schuten kommt es demnach darauf an,
ob in dem pflichtwidrigen Verhalten der verfassungsmäßigen Vertreter der
Beklagten ein unzulässiger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb der Klägerin zu sehen ist. Dem Berufungsgericht kann nicht
beigetreten werden, wenn es diese Frage bejaht. Zwar meint die Revision zu
Unrecht, im Streitfall könne schon deshalb nicht von einer Verletzung des
Rechts der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb die
Rede sein, weil das Begehen einer derartigen Verletzung durch ein
Unterlassen nicht möglich sei. Denn die Verletzung der durch § 823 Abs 1
BGB geschützten Rechte oder Rechtsgüter kann auch durch Unterlassung
eines den Verletzungserfolg abwendenden Tuns begangen werden
(Soergel/Zeuner aaO Rdnr 102). Jedoch ist der Revision zuzugeben, daß die
Ausführungen des Berufungsgerichts zu der Frage, ob im Streitfall ein
unmittelbarer Eingriff der Beklagten in den eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb der Klägerin gegeben ist, rechtlich jedenfalls insoweit nicht
einwandfrei sind, als sie den vorliegend zur Erörterung stehenden
Schadensbetrag betreffen.
18
Es ist in er Rechtsprechung anerkannt, daß nicht jede rechtswidrige und
schuldhafte Beeinträchtigung der gewerblichen Tätigkeit eines Dritten
Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs 1 BGB auslöst. Das ist vielmehr
nur dann der Fall, wenn sie einen unmittelbaren Eingriff in den Bereich des
Gewerbebetriebes darstellt, also betriebsbezogen ist und nicht vom
Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betrifft
(BGHZ 29, 65, 74; vgl auch Hauß zu LM Nr 1 § 823 (Ai) BGB und zu Nr 10 §
823 (Ac) BGB). Um einen derartigen, irgendwie gegen den Betrieb der
Klägerin gerichteten Eingriff handelt es sich vorliegend aber nicht. Die
Schiffbarkeit einer Wasserstraße gehört nicht zum Bereich des
Gewerbebetriebes eines Schiffahrttreibenden. Die zeitweilige, auch andere
Schiffahrttreibende treffende Sperrung einer Wasserstraße greift daher nicht
in dessen Gewerbebetrieb ein. Wenn das Berufungsgericht im Streitfall
deshalb eine andere Beurteilung Platz greifen lassen will, weil die Klägerin
das Fleet mit ihren Fahrzeugen vor der Sperrung mehr als andere
Schiffahrttreibende oder zeitweilig nahezu allein benutzt und die Sperrung sie
an der Einhaltung vertraglicher Bindungen gegenüber der Mühle
vorübergehend gehindert hat, so kann dem nicht gefolgt werden. Das
Bestehen derartiger Bindungen kann nicht dazu führen, die Schiffbarkeit einer
von einem Schiffahrttreibenden im Rahmen der Erfüllung vertraglicher
Pflichten zu benutzenden Wasserstraße als zum Bereich seines
Gewerbebetriebes gehörend anzusehen. Die gegenteilige Auffassung des
Berufungsgerichts kann auch nicht der Umstand stützen, daß die Fahrten der
Schiffe der Klägerin für die Mühle im Zeitpunkt des Einsturzes der Ufermauer
einen wesentlichen Teil ihrer geschäftlichen Tätigkeit ausgemacht haben.
Darüber, was dem Bereich des Gewerbebetriebes eines Schiffahrttreibenden
zuzurechnen ist, kann nicht der schwerpunktmäßige, ausschließlich von den
jeweiligen Frachtangeboten Dritter abhängige Einsatz eines oder mehrerer
Schiffe eines Schiffahrttreibenden auf bestimmten Fahrwasserstrecken
entscheiden. Es trifft deshalb nicht zu, wenn das Berufungsgericht meint, im
109
Streitfall liege ein zum Schadensersatz verpflichtender Eingriff der Beklagten
in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin auch
insoweit vor, als diese mit ihren Schuten das Fleet zeitweilig nicht befahren
konnte. Wollte man dieser Auffassung folgen, so würde das nur auf dem
Umweg über das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
zu einer Anerkennung des Gemeingebrauches als eines "sonstigen Rechts"
im Sinne des § 823 Abs 1 BGB führen.
19
6. Im Ergebnis ist damit dem angefochtenen Urteil nur insoweit beizutreten,
als es den Schadensersatzanspruch der Klägerin aus dem "Einsperren" des
MS "Christel" (24.096,-- DM) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hat.
Siehe weiter BGHZ 86, 152 (Leergelaufener Elbe-Seitenkanal); BGH NJW 1977,
2264 (Polizeiliche Räumung eines Grundstücks für 2 Stunden wegen verschuldeten
Brandes auf Nachbargrundstück, danach Blockade durch Einsatzfahrzeuge für fünf
Stunden: Eigentumsverletzung nur hinsichtlich 2 Stunden, in kurzer Störung des
öffentlichen Verkehrs zum Grundstück ist keine Eigentumsverletzung zu sehen);
Stromkabelfall BGHZ 29, 65 (Eigentumsverletzung ebenfalls abgelehnt; nur
Betriebsstillstand begründet keine Eigentumsverletzung, anders aber, wenn durch
mangelnde Stromzufuhr Substanzschäden entstehen - Bruteier verderben).
ee) „Weiterfressende Mängel“
Sehr umstritten ist die Frage, ob es bei Mangelhaftigkeit eines Teiles einer auf
Grund
eines
Kaufvertrages
gelieferten
Sache
zur
Begründung
einer
deliktsrechtlichen Haftung des Verkäufers führen kann, wenn der Mangel des Teiles
nach der Übereignung des Kaufgegenstandes an den Käufer die Beschädigung
oder
Zerstörung
weiterer
Teile
dieses
Gegenstandes
zur
Folge
hat
(„weiterfressende Mängel“). Der BGH bejaht dies grundsätzlich, wenn sich – wie er
die Voraussetzungen zu umschreiben pflegt – in der Beschädigung oder Zerstörung
ein Schaden verwirklicht, den zu vermeiden demjenigen, der die Sache hergestellt
oder in Verkehr gebracht hat, im Integritätsinteresse des Erwerbers durch eine
deliktische Sorgfaltspflicht aufgegeben ist; insoweit sind auch die vertraglichen
(kaufrechtlichen) Verjährungsvorschriften nicht angewandt worden. Dagegen besteht
nach Ansicht des BGH keine deliktsrechtliche Haftung für diejenigen Schäden, die
lediglich den auf der Mangelhaftigkeit des Produktes beruhenden Unwert für das
Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Erwerbers ausdrücken (und in diesem Sinne
mit dem von Anfang an bestehenden Mangelunwert „stoffgleich“ sind; zunächst war –
mE ein praktikableres Kriterium - die funktionelle Abgrenzbarkeit des mangelhaften
Teils vom Rest der Kaufsache entscheidend). Anders formuliert erblickt der BGH
eine Verletzung des Eigentums an diesen bisher unversehrten Teilen, wenn
110
gelieferte mangelhafte Sachen im Rahmen ihrer Bestimmung mit mangelfreien zu
einer neuen Sache verbunden werden und sich die wegen des Mangels erforderliche
nachfolgende Trennung nur unter Beschädigung der mangelfreien Teile durchführen
lässt. Der BGH geht bei alledem mit der hM zu Recht davon aus, dass die Lieferung
einer mangelhaften Sache als solche keine Verletzung des Eigentums an der
betreffenden Sache darstellt, weil der Vertragspartner insoweit nie Eigentümer einer
einwandfreien Sache war.
Wie hat die Rspr nun das entscheidende Merkmal der fehlenden oder
vorhandenen „Stoffgleichheit“ konkretisiert? Hier hilft in erster Linie ein Blick auf die
Kasuistik des BGH, der nicht selten Entscheidungen der OLG aufhob, weil er „sein“
Merkmal anders ausgefüllt hat als die Vorinstanz(en). „Stoffungleichheit“, funktionelle
Abgrenzbarkeit des fehlerhaften Teils und also eine Eigentumsverletzung bejaht
hat der BGH in folgenden Fällen: Ein als Sicherung wirkender, als funktionell
abgrenzbar angesehener (heute: „stoffungleicher“) Schwimmerschalter funktionierte
nicht und setzte die gekaufte Reinigungsanlage in Brand (BGHZ 67, 359). Der
geplatzte Reifen ist nicht stoffgleich mit dem gekauften Pkw (BGH NJW 2004, 1032).
Das "Fehlen (!)" einer Befestigungsschraube soll nicht stoffgleich sein mit dem
infolgedessen später beschädigten Motor (BGH NJW 1992, 1678). Der nach dem
Gasgeben nicht zurückfedernde Gaszug eines später insgesamt beschädigten Kfz
soll nicht stoffgleich mit dem Kfz selbst sein (BGHZ 86, 256) Stoffgleichheit bejaht
und damit die Eigentumsverletzung abgelehnt hat der BGH im Fall einer fehlerhaft
konstruierten Kfz-Hebebühne, deren hydraulisch betriebene Säule absackte (BGH
NJW 1983, 812). Die Auffüllung eines Grundstücks mit Elektroofenschlacke, die sich
später ausdehnt und das mittlerweile darauf gebaute Grundstück beschädigt, keine
Eigentumsverletzung bewirken. Denn Grundstück und Bauwerk seien bei natürlicher
Betrachtung ebenso wie aus juristischen Gründen (Bauwerk als wesentlicher
Bestandteil) stoffgleich (BGH NJW 2001, 1364 = LM § 823 Ac Nr. 68 m. Anm.
Spickhoff).
Kritik: Hinsichtlich des Interesses am Kaufgegenstand selbst sollten die
Vorschriften über die vertragliche Haftung gegenüber dem Deliktsrecht als
abschließend angesehen werden; der Ansatz für eine systemgerechte Behandlung
der in Frage stehenden Haftungsprobleme ist deshalb auf der Ebene des Vertrages
zu suchen. Das Deliktsrecht sollte (nur) anwendbar bleiben, soweit der Mangel der
Sache
zur
Verletzung
anderer
deliktsrechtlich
geschützter
Rechte
oder
111
Rechtsgüter führt. Bedacht werden sollte nicht zuletzt das ganz erhebliche Maß an
Rechtsunsicherheit,
das
das
Stoffgleichheitskriterium
und
die
damit
zusammenhängenden Wertungen in Bezug auf die Abgrenzung von sog Äquivalenzund Integritätsinteresse bewirkt haben. Die Zahl der
insofern vom BGH
aufgehobenen und anders bewerteten Entscheidungen der Vorinstanzen bilden eine
Legion. Genau genommen kann man heute das Stoffgleichheitskriterium nur noch in
dem Sinne definieren, als Stoffgleichheit dann anzunehmen ist, wenn der BGH es
eben annimmt. Eine zureichende Vorsehbarkeit der Ergebnisse gewährleistet dieses
Kriterium nicht, und es ist weder Rechtsprechung noch Schrifttum bislang gelungen,
es zureichend zu präzisieren oder ein anderes praktikables Abgrenzungskriterium zu
benennen. Schon dieser Umstand deutet auf die prinzipielle Fragwürdigkeit der
„Weiterfresser-“ Doktrin hin. Man sollte auch deshalb in Zukunft davon Abstand
nehmen, die Verjährungsvorschrift des § 438 in ihrer Wertung zu konterkarieren.
b) sonstige Rechte
Zu den „sonstigen Rechten“, die § 823 Abs 1 im Anschluss an Leben, Körper,
Gesundheit, Freiheit und Eigentum nennt, sind nach hM nur solche Rechte zu
zählen, die sich gegen jedermann richten, also absolute Rechte. Kein Recht in
diesem Sinne ist anerkanntermaßen das Vermögen als solches! Nicht als
„sonstiges Recht“ iS des § 823 Abs 1 sind nach hM des weiteren die
Forderungsrechte anzusehen. Nicht zu den „sonstigen Rechten“ iS des § 823 Abs 1
gehört
des
weiteren
der
Gemeingebrauch
an
öffentlichen
Wegen
und
Wasserstraßen.
Als „sonstige Rechte“ kommen namentlich dingliche Rechte in Betracht. So sind
Pfandrechte, Grundpfandrechte und Nießbrauch in entsprechender Weise wie das
Eigentum gegen Zerstörung, Beschädigung oder sonstige Verschlechterung der
belasteten Sache geschützt. Auch absolute Anwartschaftsrechte, wie sie sich vor
allem aus bedingten oder befristeten Verfügungen über absolute Rechte ergeben,
kommen als „sonstige Rechte“ iS des § 823 Abs 1 in Betracht. Zu den „sonstigen
Rechten“ iS des § 823 Abs 1 wird weithin ganz allgemein der Besitz gezählt, da er
gleich einem absoluten Recht gegen jedermann geschützt sei. Dabei ist die
Anwendung des § 823 Abs 1 zunächst sicher insoweit angebracht, als es sich um
den Schutz eines im Besitz verkörperten Rechts zum Besitz handelt, so
insbesondere etwa bei Verletzung des Miet- oder Pachtbesitzes oder des dem
Käufer schon vor dem Eigentumsübergang übertragenen Besitzes. Auch ohne ein
112
besonderes Recht zum Besitz erscheint ein deliktsrechtlicher Schutz außerdem
insoweit gerechtfertigt, als, wie zB nach §§ 955, 994ff und 1007, an die Stellung des
Besitzers über die possessorischen Rechte hinaus weitere Befugnisse geknüpft
sind. Den Besitz über diesen Rahmen hinaus als „sonstiges Recht“ zu behandeln,
stößt dagegen auf Bedenken. Auch die Aktie und der Geschäftsanteil an einer
GmbH
werden
als
„sonstige
Rechte“
iS
des
§ 823
Abs 1
angesehen.
Entsprechendes ist generell für Mitgliedschaftsrechte anzunehmen. Zu den
„sonstigen Rechten“ gehören Namens- und Firmenrecht. „Sonstige Rechte“ sind
des weiteren das Urheberrecht und die gewerblichen Schutzrechte. Soweit ihre
Verletzung in den betreffenden Spezialgesetzen geregelt ist, greifen aber lediglich
diese ein. Die Deliktsvorschriften des BGB kommen daher hier nur ergänzend in
Betracht.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat, wie dies auch im Schrifttum weithin
geschieht, mehrfach ausdrücklich ein absolutes Recht der Ehegatten auf den
Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft anerkannt. Dagegen bestehen
Bedenken. Alternativ wird vorgeschlagen, den ehelichen Status als ein Schutzgut iS
des § 823 Abs 1 anzusehen, woraus für den Fall der schuldhaften Verletzung ein
Restitutionsanspruch abgeleitet wird, der sich inhaltlich mit der quasi-negatorischen
Beseitigungsklage deckt. Noch konsequenter dürfte es sein, den Schutz der Ehe
nach § 823 Abs 1 generell abzulehnen und in diesem Bereich eine Haftung nur unter
den Voraussetzungen des § 826 anzunehmen (die durchgängig vorliegen dürften).
Indessen gewährt der BGH gegen den anderen Ehegatten und gegen Dritte bei
Störungen des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe Unterlassungs- und
Beseitigungsklagen. Auf diese Weise wurde der Ehefrau gegen das Eindringen oder
die Aufnahme der Geliebten des Ehemannes in die Ehe- und Familienwohnung
Schutz gewährt (BGHZ 6, 361). So soll es einen Anspruch der im Geschäft des
Ehemannes mitarbeitenden Ehefrau gegen den Ehemann darauf geben, dass dieser
seiner Geliebten das Betreten der Geschäftsräume verbiete, ebenso die Möglichkeit
einer entsprechenden Unterlassungsklage gegen die Geliebte (BGH FamRZ 1963,
553; BGH LM § 823 (Af) Nr 2; s ferner BGHZ 34, 80). Deliktsrechtliche Ansprüche
auf Ersatz der auf einer Ehestörung beruhenden allgemeinen Vermögensschäden
lehnt die höchstrichterliche Rechtsprechung jedoch unter Berufung auf die
Besonderheiten des Eherechts ab. Auf Grund der Annahme, dass sich der
deliktsrechtliche Rechtsgüterschutz des § 823 Abs 1 generell nicht auf den Bereich
113
der Ehestörungen beziehe, wird ferner ein auf die Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts gestützter Anspruch des hintergangenen Ehegatten gegen den
am Ehebruch des Partners beteiligten Dritten auf eine Geldentschädigung für
Nichtvermögensschaden abgelehnt (BGH NJW 1973, 991).
Ein „sonstiges Recht“ ist auch das Recht der elterlichen Sorge. Noch nicht
eindeutig geklärt ist, ob das Umgangsrecht eines Elternteils als „sonstiges Recht“
anzuerkennen ist. In Rspr und Schrifttum wird das Umgangsrecht mit guten Gründen
als absolutes Recht gekennzeichnet und als sonstiges Recht anerkannt. Dann
könnte auch über § 823 Abs 1 der umgangsberechtigte Elternteil vom anderen
Schadensersatz verlangen, wenn ihm der andere Elternteil den Umgang nicht in der
vom Familienrecht vorgesehenen Art und Weise gewährt und ihm daraus
Mehraufwendungen (zB zusätzliche Reise- oder Fahrtkosten) entstehen. Der BGH
(JZ 2003, 46) hat die Frage offen gelassen und stattdessen auf die Verletzung von
Pflichten aus einem gesetzlichen, besonderen familienrechtlichen Schuldverhältnis
abgestellt, die einen Schadensersatzanspruch (mittlerweile unmittelbar über § 280
Abs 1, da die Norm auch gesetzliche Schuldverhältnisse erfasst) auslöst.
Als ein „sonstiges Recht“ ist des weiteren ein den Angehörigen eines Verstorbenen
zustehendes Recht der Totensorge anerkannt; nach der neueren Entwicklung ist
insoweit auch der Gesichtspunkt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht
zu ziehen.
4. Rahmenrechte
Die sog. Rahmenrechte befinden im Spannungsfeld der im BGB nicht vorgesehenen
Haftung für fahrlässige reine Vermögensschäden; allerdings hat sich Notwendigkeit
gezeigt, abgegrenzte Vermögensschäden rechtlich zu schützen; Entwicklung durch
die Rspr: mittlerweile Gewohnheitsrecht, allerdings teilweise kritisiert im Schrifttum
zB Larenz/Canaris Schuldrecht Band II/2 S. 544ff bzgl. Recht am Gewerbebetrieb.
Hauptunterschied zu den anderen Rechtsgütern und Rechten: Lehre vom
Erfolgsunrecht gilt nicht, vielmehr umfassende Interessenabwägung notwendig;
Lehre vom Verhaltensunrecht.
a) Recht am Unternehmen (Gewerbebetrieb)
aa) Entwicklung
114
Schon
vom
Reichsgericht
im
Zusammenhang
mit
unberechtigten
Schutzrechtsverwarnungen entwickelt, auch für Boykottaufrufe, dh zunächst nur bei
sehr
einschneidenden
Beeinträchtigungen
(führen
oft
zu
Einstellungen,
Einschränkungen der Geschäftstätigkeit); später ausgedehnt auf jede schuldhafte
Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung eines anderen.
Es bestehen aber eingrenzende Kriterien, damit keine ausufernde Anerkennung von
Ersatz für fahrlässige Vermögensschäden eintritt.
Zunächst wurde das Unmittelbarkeitskriterium (gegen Bestand des Betriebs
gerichtet)
hinsichtlich
des
Eingriffs
entwickelt,
das
später
auf
die
sog.
Betriebsbezogenheit des Eingriffs fortentwickelt wurde.
bb) Allgemeines:
Grundsatz der Subsidiarität, im Besonderen hinsichtlich wettbewerbsrechtl.
Vorschriften (UWG), § 824 BGB (unwahre Tatsachenbehauptungen) und Eigentum
(zB
Eier
verderben
durch
Stromausfall,
Eigentumsverletzung,
Nutzungsbeeinträchtigungen). Ziel: keine Umgehung gesetzgeberischer Wertungen
(zB Frist §11 UWG kürzer als §§ 195, 199 BGB).
cc) Voraussetzungen
(1) Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb? ( TB-Ebene)
Unternehmerische
Tätigkeit
(als
Anbieter
den
Mechanismen
des
Marktes
unterworfen), gegenständlicher Betrieb nicht notwendig, reine Privattätigkeit scheidet
also aus, auch Nicht-Gewerbe iSd Handels und Gewerbebetriebs wie Freiberufler
sind erfasst fasst (str.), wobei BGH dort meist Persönlichkeitsrecht heranzieht
Nach dem BGH geht es um den Schutz gegen solche Störungen, die verhindern,
dass ein Unternehmen zur vollen, in der Gesamtheit seiner Bestandteile und
Betriebsmittel begründeten Entfaltung kommt. Die bloße Erwerbsaussicht wird nicht
geschützt.
(2) Der Eingriff muss betriebsbezogen sein
Welche Eingriffe sind betriebsbezogen?
Das ist i. w. fallgruppenbezogen zu beantwortenen
115
Formel
der Rspr: Handlung muss zweckbezogen auf die Einschränkung einer
unternehmerischen Tätigkeit abzielen und sich irgendwie gegen einen Betrieb als
solchen richten; Beeinträchtigung muss auf der Wesenseigentümlichkeit von
Unternehmen (und nicht Privaten) beruhen.
Manche Praktiken tragen Betriebsbezogenheit bereits in sich, zB Streiks,
Schutzrechtsverwarnungen,
Boykotte,
unternehmensschädigende
Äußerungen,
wenn sie sich auf ein bestimmtes Unternehmen beziehen
Keine Betriebsbezogenheit bei mittelbaren Schädigungen bzw. Drittschädigungen,
zB bei Produktionsausfall in Folge Beschädigung einer Stromleitung.
BGHZ 29, 65, 69
Tatbestand
Die Klägerin betreibt eine Fabrik. Im September 1955 hatte ein Baggerführer
des Beklagten, der als Tiefbauunternehmer tätig ist, auf dem Grundstück der
Firma M., Graphische Betriebe, ein unterirdisch verlegtes, dem
Elektrizitätswerk in H. gehörendes Starkstromkabel, das von dort zum Werk
der Klägerin führt, beschädigt. Am 18. Juni 1956 ließ der Beklagte auf dem
gleichen Grundstück der Graphischen Betriebe M. durch einen anderen
Arbeiter mit einem Bagger eine Grube für einen Öltank ausgraben. Gegen
9.40 Uhr wurde von dem Bagger das Starkstromkabel erneut und zwar etwa
60 m hinter der alten Bruchstelle zerrissen; infolge der Stromunterbrechung
lag der Betrieb der Klägerin bis zum 19. Juni 1956, 6.30 Uhr, still.
2
Die Klägerin macht den Beklagten für den ihr durch die erneute Betriebsruhe
entstandenen Schaden verantwortlich. Sie ist der Ansicht, daß das
Starkstromkabel, durch das von der Schadensstelle ab außer den
Graphischen Betrieben nur noch sie mit Strom beliefert werde, wirtschaftlich
einen Teil ihres Betriebes darstelle. Der Beklagte habe durch die
Kabelunterbrechung widerrechtlich und schuldhaft in ihren Gewerbebetrieb
eingegriffen; er habe es auch pflichtwidrig unterlassen, sich hinreichend über
den Kabelverlauf zu unterrichten, diesen äußerlich kenntlich zu machen, den
für eine derartige Erdarbeit erforderlichen zweiten Arbeiter zur Beobachtung
abzustellen und den Baggerführer hinreichend zu unterrichten und zu
überwachen.
3
Der Beklagte hat den Anspruch bestritten. Er vertritt die Auffassung, durch
den Kabelbruch sei der Gewerbebetrieb der Klägerin nur mittelbar betroffen
worden; jedoch verpflichte nur ein unmittelbarer Eingriff in einen
Gewerbebetrieb zum Schadensersatz. Bei der Vorbereitung der Arbeit habe er
ebenso wie bei der Auswahl des Baggerführers und bei dessen Einweisung
116
die erforderliche Sorgfalt beobachtet; eine persönliche Überwachung der
Baggerarbeiten sei ihm bei der Größe seines Geschäfts nicht zuzumuten
gewesen.
4
Das Landgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt
erklärt. Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Seine Revision führte zur
Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
5
1. Landgericht und Oberlandesgericht haben übereinstimmend die
Schadensersatzpflicht des Beklagten bejaht und angenommen, daß der
Beklagte durch die Beschädigung des zum Werk der Klägerin führenden
Starkstromkabels und die dadurch herbeigeführte Unterbrechung der
Stromzufuhr in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb widerrechtlich und schuldhaft eingegriffen habe. Das
Oberlandesgericht hat die Haftung des Beklagten aus § 823 Abs 1 BGB in
Verb mit § 831 BGB, wobei es den Entlastungsbeweis als nicht hinreichend
erboten angesehen hat, sowie aus § 823 Abs 1 BGB allein wegen Verletzung
der Verkehrssicherungspflicht hergeleitet.
6
Die Revision wendet sich dagegen, daß die Kabelunterbrechung als Eingriff in
den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin gewertet
worden ist.
7
Die Revision mußte im Ergebnis Erfolg haben.
8
a) Das Reichsgericht hat in ständiger Rechtsprechung das Recht an einem
bestehenden Gewerbebetrieb als ein "sonstiges Recht" im Sinne des § 823
Abs 1 BGB anerkannt.
9
Bereits in RGZ 58, 24, 29 ist das Recht am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb als ein subjektives Recht angesehen worden, das unmittelbar
verletzt werden könne; Störungen und Beeinträchtigungen, welche sich
unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb richteten, stellten danach eine unter §
823 Abs 1 BGB fallende Rechtsverletzung dar. In der Folgezeit hat das
Reichsgericht dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb den
Schutz des § 823 Abs 1 BGB zunächst nur dann gewährt, wenn ein Eingriff in
den Bestand des Gewerbebetriebes vorlag, also wenn der Betrieb tatsächlich
behindert, seine Unzulässigkeit behauptet oder seine Einschränkung oder
117
Einstellung verlangt wurde; gelegentlich hat es auch so formuliert, daß die
Grundlagen des Gewerbebetriebes unmittelbar angetastet sein müßten (RGZ
64, 52, 55; 64, 155, 156; 76, 35, 46; 95, 339, 340; 102, 223, 225; 109, 272,
276; 119, 435, 438; 126, 93, 96; 135, 242, 247). Nach dieser an Fragen des
Wettbewerbs und Boykotts entwickelten Rechtsprechung wurden Handlungen,
die den Gewerbebetrieb nur mittelbar schädigten, nicht als
Rechtsverletzungen im Sinne des § 823 Abs 1 BGB erachtet, so wenn dem
Gewerbetreibenden nur ein wirtschaftlicher Gewinn entzogen wurde (RGZ
126, 93, 96), ferner bei schädigenden Einwirkungen auf Lieferanten (RGZ 56,
271, 275), bei Beschränkung des Kundenkreises (RGZ 79, 224, 226),
schließlich wenn nur die Aussicht auf Erwerb beeinträchtigt oder gestört wurde
(RGZ 102, 223, 225; 119, 435, 438; 135, 242, 247). Gewährt wurde der
Schutz des § 823 Abs 1 BGB vor allem in solchen Fällen, in denen die
Einstellung der gewerblichen Tätigkeit eines anderen mit der Behauptung
verlangt wurde, die Tätigkeit verstoße gegen ein dem Untersagenden
zustehendes gewerbliches Schutzrecht (Gebrauchsmuster, Patent) und sich
dann herausstellte, daß ein solches Schutzrecht nicht bestand und die
dahingehende Behauptung mindestens fahrlässig falsch war (RGZ 58, 24; 94,
248; 141, 336); ferner zB bei einem Boykott, bei dem durch Postenstehen vor
der Tür und durch tätliche Einwirkung Besucher von dem Betreten einer
Gastwirtschaft abgehalten worden waren (RGZ 76, 35, 46).
10
Eine Lockerung der strengen Erfordernisse für den Schutz des Rechts am
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wurde in der späteren
Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Reichsgerichts vollzogen. Ein Ansatz
zeigte sich bereits in dem Urteil vom 7. Juni 1929 (MuW 1929, 378), durch
welches die Bestimmung einer Ortskrankenkasse, daß für gewisse
wortgeschützte Arzneikörper keine Zahlung geleistet würde, als bewußte
Gefährdung des auf Herstellung der wortgeschützten Arzneimittel gerichteten
Gewerbebetriebes angesehen wurde, da die Bestimmung der
Ortskrankenkasse bei voller Auswirkung den Hersteller zu
Betriebseinschränkungen zwänge. In dem Urteil vom 9. Oktober 1934 (MuW
1935, 26, 30) ist der II. Zivilsenat eindeutig vom bloßen Bestandsschutz
abgerückt und hat ausgesprochen, daß für die Anwendbarkeit des § 823 Abs
1 BGB auf dem Gebiete des Warenzeichen- und Wettbewerbs*-rechts eine
schuldhafte Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung eines anderen zur
Begründung eines Schadensersatzanspruchs ausreiche, ohne daß auch ein
"unmittelbar gegen den Bestand des Geschäftsbetriebs gerichteter Eingriff"
erforderlich sei. Diese Auffassung hat der gleiche Senat in seiner
Entscheidung vom 19. Dezember 1938 (JW 1938, 484 = RGZ 158, 377 (in
den für die vorliegende Rechtsfrage maßgeblichen Teilen jedoch in der
Amtlichen Sammlung nicht abgedruckt)) bestätigt; es werde damit dem
Gedanken Rechnung getragen, daß jeder Unternehmer beanspruchen könne,
vor widerrechtlichen Störungen bewahrt zu bleiben, die sein Unternehmen
nicht zur vollen, in der Gesamtheit seiner Bestandteile und Betriebsmittel
begründeten Entfaltung kommen ließen, auch wenn dadurch der Bestand des
Unternehmens selbst nicht in Frage gestellt sein möge (vgl RGZ 132, 311,
316; RG GRUR 1940, 375, 378; 1942, 364). Der II. Zivilsenat hat in RGZ 163,
21, 32 weiter erwogen, ob das gleiche nicht auch außerhalb des
118
Wettbewerbs- und Warenzeichen*-rechts zu gelten habe. In seinem Urteil vom
3. Oktober 1941 GRUR 1942, 54 = DR 1942, 175 (auszugsweise)) hat sich
der I. Zivilsenat des Reichsgerichts der Ansicht des II. Zivilsenats, daß ein
unmittelbar gegen den Bestand des Betriebes gerichteter Angriff für eine
Anwendung des § 823 Abs 1 BGB bei schuldhafter Beeinträchtigung der
gewerblichen Betätigung eines anderen nicht erforderlich sei, ausdrücklich
angeschlossen (anders noch der V. Zivilsenat des Reichsgerichts in DR 1940,
723).
11
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Schutz des § 823
Abs 1 BGB gegen jede Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb, wenn sie einen unmittelbaren Eingriff in den
gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt, gewährt, und zwar auch außerhalb des
Gebietes des Wettbewerbs und der gewerblichen Schutzrechte (BGHZ 3, 270;
8, 142; 8, 387; 24, 200; vgl auch BGHZ 23, 157). In der vorgenannten
Entscheidung BGHZ 3, 270, 279 ist ausgeführt, daß das Recht am
bestehenden Gewerbebetrieb - ebenso wie das Eigentum - durch § 823 Abs 1
BGB nicht nur in seinem eigentlichen Bestand, sondern auch in seinen
einzelnen Erscheinungsformen, wozu der gesamte gewerbliche Tätigkeitskreis
zu rechnen sei, vor unmittelbaren Störungen bewahrt bleiben müsse. Hieran
ist festzuhalten.
12
b) Durch die von der Rechtsprechung vorgenommene Einordnung des Rechts
am bestehenden Gewerbebetrieb in den Kreis der "sonstigen Rechte" des §
823 Abs 1 BGB ist dieses Recht den dort ausdrücklich aufgeführten
Rechtsgütern und Rechten Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum
hinsichtlich seines Schutzes gleichgestellt. Deshalb ist auch bei einer
Verletzung des Rechts am bestehenden Gewerbebetrieb zu prüfen, ob die
Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, in den Schutzbereich des Gesetzes
fallen (Urteil des erkennenden Senats = BGHZ 27, 137). Allerdings kann,
soweit der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes in
Frage steht, nicht wie im vorgenannten grundlegenden Urteil des Senats zum
Problem der Haftungsbegrenzung gefragt werden, ob der geltendgemachte
Schaden aus der Verletzung eines Rechtsgutes entstanden ist, zu dessen
Schutz das Gesetz erlassen worden ist. Denn der Gesetzgeber hatte bei der
Fassung des § 823 Abs 1 BGB den Schutz des eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetriebes noch nicht ins Auge gefaßt. Die Frage der
Haftungsbegrenzung ist deshalb vorliegend in der Richtung aufzuwerfen und
zu entscheiden, was eigentlich der Gegenstand des dem eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb durch die Rechtsprechung zuerkannten
Rechtsschutzes ist.
13
Unter dem Begriff des Gewerbebetriebes im Sinne des § 823 Abs 1 BGB ist
alles das zu verstehen, was in seiner Gesamtheit den Gewerbebetrieb zur
Entfaltung und Betätigung in der Wirtschaft befähigt, also nicht nur Betriebs*-
119
räume und -grundstücke, Maschinen und Gerätschaften,
Einrichtungsgegenstände und Warenvorräte, sondern auch
Geschäftsverbindungen, Kundenkreis und Außenstände. Durch den dem
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb von der Rechtsprechung
gewährten und nach und nach erweiterten Schutz soll das Unternehmen in
seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, in seinem Funktionieren vor widerrechtlichen
Eingriffen bewahrt bleiben. Wenn auch in BGHZ 23, 157, 163 selbst die
jeweilige Situation, in der ein Gewerbe betrieben wird, als für den Umfang des
gewerblichen Tätigkeitskreises bestimmend angesehen worden ist, so handelt
es sich in allen Fällen, in denen der Bundesgerichtshof die Verletzung des
Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bejaht hat, um den
Schutz solcher Erscheinungsformen des Gewerbebetriebes, die ihm
spezifisch und als solchem eigen sind. Geschützt werden soll der
Gewerbebetrieb in seinem Bestande und in seinen Ausstrahlungen, soweit es
sich um gerade dem Gewerbebetrieb in seiner wirtschaftlichen und
wirtschaftenden Tätigkeit wesensgemäße und eigentümliche
Erscheinungsformen und Beziehungen handelt.
14
c) Nach wie vor aber ist, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, ein
unmittelbarer Eingriff in den Bereich des Gewerbebetriebes als Voraussetzung
für eine Anwendbarkeit des § 823 Abs 1 BGB zu fordern (RGZ 163, 21, 32;
BGHZ 8, 387, 394; 15, 338, 349; 23, 157; BGH LM BGB § 823 (Da) Nr 4). Zu
Unrecht beruft sich demgegenüber die Klägerin auf die Entscheidungen des
Reichsgerichts in RGZ 132, 311, 316 und DR 1942, 175; in diesen ist lediglich
der bloße Bestandsschutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb als zu eng und jede schuldhafte Beeinträchtigung der
gewerblichen Betätigung eines anderen für die Anwendbarkeit des § 823 Abs
1 BGB als ausreichend erachtet worden; das Erfordernis der Unmittelbarkeit
des Eingriffs aber wurde nicht angetastet. Es ist freilich richtig, daß, wie das
Berufungsgericht ausgeführt hat, der Begriff des "unmittelbaren Eingriffs" in
der Rechtsprechung nicht definiert worden ist. Baumbach/Hefermehl
(Wettbewerbs- und Warenzeichen*-recht, 7. Aufl 1955, Allg Ziff 53 (S 33))
weisen zutreffend darauf hin, daß die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen
unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen bei dem komplexen Rechtsbegriff des
Unternehmens besonders groß sind. Aus der rein sprachlichen
Unterscheidung zwischen "unmittelbar" und "mittelbar" können entgegen der
Ansicht der Revision die Merkmale für die erforderliche Begriffsabgrenzung
nicht gewonnen werden. Die Frage der Unmittelbarkeit eines Eingriffs in das
Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb kann auch nicht nur
aus der Kausalitätslehre beantwortet werden, und es kommt auch auf das
Fehlen sogenannter Zwischenursachen nicht entscheidend an, wie das
Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ausgeführt hat (BGHZ 3, 270; 8, 142; 23, 157; abw RGZ
163, 21, 32, wo auf die Unmittelbarkeit des Kausalzusammenhangs abgestellt
worden ist, desgl OLG München vom 21. März 1956 NJW 1956, 1719). Auch
der Vorschlag von Larenz NJW 1956, 1719) in seiner Anmerkung zum
vorgenannten Urteil des Oberlandesgerichts München - auf das sich beide
Parteien für ihren Rechtsstandpunkt berufen -, die Unmittelbarkeit des
Eingriffs teleologisch, also im Sinne einer Zweckbezogenheit der
120
Eingriffshandlung auf eine Einschränkung der gewerblichen Tätigkeit
aufzufassen, so daß sich die Richtung auf eine Schädigung des
Gewerbebetriebes aus ihrer Zweckbestimmung ergäbe, vermag zu einer
hinreichend bestimmten Abgrenzung zwischen unmittelbaren und mittelbaren
Eingriffen nicht zu führen. Wenn Larenz als "unmittelbar" jeden Eingriff in den
Gewerbebetrieb ansehen will, der dessen Einschränkung oder
Beeinträchtigung entweder zum Zwecke hatte oder mindestens, unter den
gegebenen Umständen, zum Zwecke haben konnte, so werden sogleich die
Schwierigkeiten im Falle fahrlässigen Handelns des Eingreifenden offenbar.
Dennoch kann Baumbach/Hefermehl (aaO) nicht darin beigepflichtet werden,
daß wegen der bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten das Erfordernis der
Unmittelbarkeit des Eingriffs aufgegeben werden und statt dessen die Wirkung
des Eingriffs auf den Tätigkeitsbereich entscheiden sollte (für die Beibehaltung
des Unmittelbarkeitserfordernisses: Enneccerus/Lehmann, Recht der
Schuldverhältnisse, 15. Bearb 1958, § 234 I 1b (S 940); Larenz, Lehrbuch des
Schuldrechts, II. Bd 2. Aufl 1957,§ 66 Id (S 339); Kleine, JZ 1952, 229).
15
Das Berufungsgericht meint unter Berufung auf das Das Berufungsgericht
meint unter Berufung auf das Urteil des erkennenden Senats vom 14. April
1954 (LM BGB § 823 (Da) Nr 4), der Begriff der Unmittelbarkeit sei
zielbezogen aufzufassen. Daraus ergebe sich für vorsätzliche Handlungen
eine brauchbare Abgrenzung; bei fahrlässig begangenen Eingriffen in den
Gewerbebetrieb sei es ausreichend, wenn die Handlung die Beeinträchtigung
des Gewerbebetriebes unter den gegebenen Umständen zum Ziel gehabt
haben könne und der Handelnde diese Richtung seines Tuns in seine
Vorstellung aufgenommen, aber darauf vertraut habe, daß der Erfolg nicht
eintrete. Diese Voraussetzungen eines fahrlässigen, zum Schadensersatz
verpflichtenden Eingriffs hält das Berufungsgericht im vorliegenden Falle für
gegeben. Der erkennende Senat hat in der genannten Entscheidung
ausgesprochen, daß ein Angriff, der eine Verletzung des Rechts am
Gewerbebetriebe darstelle, irgendwie gegen den Betrieb als solchen gerichtet
sein müsse. Deshalb hat der Senat allein darin, daß ein unbegründeter
Rückerstattungsantrag auf Rückgabe eines mit einem Gewerbebetrieb
verbundenen Grundstücks die treuhänderische Verwaltung des Grundstücks
gemäß MilRegG 52 zur Folge hatte, noch keinen widerrechtlichen Eingriff des
Rückerstattungsklägers in den Gewerbebetrieb erblickt; denn der Angriff
richtete sich gegen die Person des Inhabers, nicht aber gegen den
Gewerbebetrieb selbst, mögen auch dadurch mittelbar Schäden in dem
Gewerbebetrieb hervorgerufen worden sein. Ebensowenig liegt ein
unmittelbarer Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis vor, wenn einem
Betriebe durch Verletzung von Personen das zu seiner Fortführung
unentbehrliche Personal entzogen wird (BGHZ 7, 30, 36). Diese
Entscheidungen, nach denen zu fordern ist, daß ein unter § 823 Abs 1 BGB
fallender Angriff gegen den Gewerbebetrieb selbst gerichtet sein muß, zeigen
die Grundhaltung der herrschenden Rechtsprechung auf, eine übermäßige
Ausweitung des Schutzes des Rechts am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb zu vermeiden, die dem deutschen Rechtssystem der in
kasuistischer Art geregelten Deliktstatbestände zuwider laufen würde. So fehlt
es denn auch nicht an Stimmen in der Rechtsprechung und Literatur, die zu
121
der älteren Auffassung des Reichsgerichts zurückkehren möchten, wonach
nur diejenige Beeinträchtigung eines Gewerbebetriebes, die dessen Bestand
berührt, als Angriff auf ein absolutes Recht gelten soll (OLG Freiburg JZ 1952,
231; erwägend OLG Köln MDR 1953, 617; Gramm in Palandt, 17. Aufl 1958, §
823 BGB Anm 6g, der ausführt, es würden sonst dem § 823 BGB Aufgaben
zugewiesen, für die er nicht geschaffen sei). Diese Stellungnahmen werden
ersichtlich von der Sorge getragen, daß, wie Lehmann (MDR 1952, 297)
meint, die Anerkennung eines zu weit gehenden generellen Schutzes des
Gewerbebetriebes leicht zu einer Normenerschleichung führen könne.
16
Sicherlich ist dadurch, daß nach der späteren Auffassung des Reichsgerichts
und der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jeder
widerrechtliche unmittelbare Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis eine
Verletzung des durch § 823 Abs 1 BGB geschützten Rechts am eingerichteten
und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt, mag sich der Angriff auch nicht
gegen den Bestand desselben, sondern gegen eine seiner
Erscheinungsformen richten, der Rechtsschutz gegenüber dem zunächst nur
gewährten Bestandsschutz des Gewerbebetriebes erweitert worden. Damit ist
aber nicht etwa auf dem Umwege über den Schutz des Gewerbebetriebes ein
Schutz von Forderungsrechten eingeführt worden, die im Gegensatz zu den
absoluten Rechten nur bestimmte Personen binden und deshalb nicht unter
den Begriff der "sonstigen Rechte" im Sinne des § 823 Abs 1 BGB fallen (RGZ
82, 189; 95, 283; 111, 298, 302), oder ein Schutz des Vermögens, das als
solches nur unter besonderen Voraussetzungen Deliktsschutz genießt (zB
über § 826 BGB); beides wäre unserem geltenden Rechtssystem fremd. Auch
die bei der Frage der Widerrechtlichkeit erforderliche sorgfältige
Untersuchung, ob unter Anwendung des Prinzips der Güter- und Pflichten*abwägung dem Eingreifenden etwa ein besonderer Rechtfertigungsgrund zur
Seite steht (BGHZ 3, 270; 8, 142; 24, 200), wirkt sich einschränkend aus. Im
übrigen sind der Umfang und die Grenzen, innerhalb derer das Recht am
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu schätzen ist, gerade durch
eine sachgemäße Ausfüllung des Begriffs der "Unmittelbarkeit" des Eingriffs
zu ermitteln.
17
Unmittelbare Eingriffe in das Recht am bestehenden Gewerbebetrieb, gegen
welche § 823 Abs 1 BGB Schutz gewährt, sind nur diejenigen, die irgendwie
gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen sind und nicht
vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter
betreffen. Alle Fälle, in denen höchstrichterlich eine Verletzung des Rechts am
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bejaht worden ist, hatten auch
solche betriebsbezogenen Eingriffe zum Gegenstand. Ebensowenig wie etwa
die Verletzung eines Angestellten oder die Beschädigung oder Zerstörung
eines Betriebskraftwagens steht aber die Unterbrechung des zum
Unternehmen der Klägerin führenden Stromkabels durch den Beklagten bzw
seinen Baggerführer in Beziehung gerade zum Gewerbebetrieb der Klägerin;
denn der Baggerführer des Beklagten hat ein Stromkabel beschädigt, das
zwar außer den Graphischen Betrieben M. gleichsam zufälligerweise nur noch
122
den Betrieb der Klägerin mit Strom versorgte, genau so gut aber für die
Stromlieferung an andere Abnehmer hätte bestimmt sein können. Die
Lieferung elektrischen Stroms über ein Kabel und der Anspruch darauf ist
zudem keine dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
wesenseigentümliche Eigenheit, sondern eine auf der Energielieferungspflicht
der Versorgungsunternehmen beruhende Beziehung, die derjenigen
gleichartig ist, die auch die anderen Stromabnehmer, wie zB die
Haushaltungen und die Angehörigen freier Berufe, mit dem Elektrizitätswerk
verbindet. Die Beschädigung eines Kabels mit der Folge der Unterbrechung
der Stromzufuhr auf einem nicht zum betroffenen Unternehmen gehörenden
Grundstück kann ohne besondere, hier nicht in Betracht kommende
Umstände sonach nicht als betriebsbezogener Eingriff in den Tätigkeitskreis
dieses Gewerbebetriebes angesehen werden. Wenn durch den Bagger des
Beklagten das zum Werk der Klägerin führende Starkstromkabel zerrissen
wurde, brachte dies zwar eine Beeinträchtigung der sachlich-technischen
Grundlagen mit sich, vermittels welcher der Klägerin durch das
Elektrizitätswerk elektrische Energie entsprechend dem zwischen ihnen
bestehenden schuldrechtlichen Vertrag zugeführt werden konnte und
zugeführt wurde. Aber darin ist kein Eingriff in das Recht der Klägerin am
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu finden, weil dies über den
dem Gewerbebetrieb von der Rechtsprechung zuerkannten Schutzbereich
hinausginge; vielmehr handelt es sich um eine Verletzung des Eigentums des
Elektrizitätswerks am Kabel sowie des durch dessen Geschäftsbedingungen
eingeschränkten Stromlieferungsanspruchs der Klägerin gegen das
Elektrizitätswerk.
18
Kann demnach ein Schadensersatzanspruch der Klägerin nicht aus
Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
hergeleitet werden, so kommt ein solcher - entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts - auch nicht wegen Verletzung einer dem Beklagten
obliegenden Verkehrssicherungspflicht in Betracht. Denn die schuldhafte
Unterlassung der Verkehrssicherung löst nur dann einen
Schadensersatzanspruch aus, wenn ein anderer dadurch in seinen nach §
823 Abs 1 BGB geschützten Rechtsgütern oder Rechten beeinträchtigt wird.
Die KLägerin hat aber, selbst wenn der Beklagte die ihm obliegende
Verkehrssicherungspflicht verletzt hätte, was dahingestellt bleiben kann, einen
Schaden nicht an den nach § 823 Abs 1 BGB geschützten Rechtsgütern und
absoluten Rechten, sondern an ihrem Vermögen erlitten.
- Güter- und Interessenabwägung (RW-Ebene)
Die Beeinträchtigung von Unternehmensinteressen kann mit der Wahrnehmung
berechtigten Interessen der Eingreifenden kollidieren. Es hat eine umfassende
Abwägung im Einzelfall zu erfolgen. Wesentliche Kriterien: Intensität des Eingriffs,
verfassungsrechtlich geschützte Freiheiten wie Meinungs- und Pressefreiheit;
Versammlungs-/Demonstrationsrecht, Verhältnismäßigkeitsprüfung
Fallgruppen:
123
- unberechtigte Schutzrechtsverwarnung (jüngst bestätigt durch großen Senat
BGH NJW 2005, 3141, stark kritisiert, da eigentlich § 1 UWG iSv
Behinderungswettbewerb anwendbar ist bzw. §14 bzgl. Abnehmerverwarnung; aber:
UWG hilft nicht wegen der engen Auslegung der Merkmale. Eine objektive
Unhaltbarkeit der Schutzrechtsverwarnung reicht aus.
- geschäftsschädigende Kritik (Werturteile, wahre Tatsachenangaben, die nicht
über § 824 BGB geschützt werden), Warentests enthalten meist Werturteile.
Werturteile sind wegen Art. 5 GG bis zur Schmähkritik erlaubt.
- Boykott (v.a. bei religiösen, politischen, sittl. Motiven, sonst UWG)
- Blockaden (bei Demonstrationen Art. 8GG beachten)
- rechtswidrige Streiks (näher zu erörtern im Arbeitsrecht)
b) Allgemeines Persönlichkeitsrecht
aa) Allgemeines
Der Gesetzgeber des Jahres 1900 hat bewusst davon abgesehen, ein allg.
Persönlichkeitsrecht zu statuieren. Die Ehre wurde als Schutzgut nicht in § 823 Abs.
1 BGB aufgenommen. So finden sich nur besondere Persönlichkeitsrechte wie das
Recht am Namen (§ 12 BGB) das Recht am Bild (§ 22 KUG, siehe auch §§11, 12-14
UrhG).
Wegen Art. 1, 2 I GG (staatliche Schutzpflichten in Bezug auf die Menschenwürde
und die freie Entfaltung der Persönlichkeit) wurde zivilrechtlich ein allgemeines
Persönlichkeitsrecht entwickelt.
bb) Voraussetzungen
Der Schutzbereich ist sehr schwierig genau zu definieren. Ein immaterielles
körperloses Gut schließt per se eine trennscharfe inhaltlilche Definition aus; Rspr
(auch BVerfG) lehnt klaren konturierten Tatbestand (durch „besondere
Persönlichkeitsrechte“) ab. Erforderlich ist eine Einzelfallabwägung; die Praxis
arbeitet mit Fallgruppen.
Allgemein geht es um das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner personalen und
sozialen Identität sowie auf Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit. Der
Gegenstand lässt sich anhand von Sphären umreißen:
- Intimsphäre: absolut geschützt, aber sehr eng definiert (Beispiel
Tagebuchaufzeichnungen),
- Privatsphäre: häuslicher, familiärer, der Öffentlichkeit entzogener Umkreis,
Gesundheitszustand, Vermögensverhältnisse,
- Individualsphäre: auch Sozialsphäre genannt, Beziehungen einer Person zur
Umfeld und Beruf .
Fallgruppen/Aspekte:
- Ehre, Ansehen
-
Selbstbestimmung
-
Recht am eigenen Bild
Recht am gesprochenen und geschriebenen Wort
124
-
Sonstige Informationen (Einzelheiten des Privatlebens, gentechnische Daten,
Verlobung etc)
Träger können auch Unternehmen sein, allerdings nur begrenzt aufgrund des
Wesens des Unternehmens (im Rahmen des Berufs gegeben, zB Bezichtigung der
Tierquälerei bei einem Mastbetrieb)
Sonderfall: Das postmortale Persönlichkeitsrecht ist ebenfalls geschützt.
Darunter fällt z.B. das Andenken des Verstorbenen. Es besteht für angemessene
Zeit nach dem Tod (30 Jahre für ideelle Beeinträchtigungen mit Unterlassungs- und
Widerrufsanspruch, 10 Jahre für Beeinträchtigung kommerzieller Interessen, BGH
NJW 2007, 684). Hinsichtlich ideeller Interessen wird das postmortale PKR nur von
Angehörigen wahrgenommen und geht auf diese über. Es ist nicht vererbbar oder
übertragbar; hinsichtlich kommerzieller Interessen indes vererblich, daher besteht
insoweit ein eigener Schadensersatzanspruch der Erben.
BGHZ 50, 133 (Mephisto)
Tatbestand
Der klagende Adoptivsohn und Alleinerbe des verstorbenen Schauspielers
und Intendanten Gustaf Gründgens beanstandet mit der vorliegenden Klage
die Verbreitung des Buches "Mephisto - Roman einer Karriere" von Klaus
Mann.
2
Gründgens war in den zwanziger Jahren mit Klaus Mann befreundet und mit
dessen Schwester Erika kurze Zeit bis 1928 verheiratet. Im Jahre 1933
begaben sich die Geschwister Klaus und Erika Mann aus politischer
Überzeugung in die Emigration. Gründgens, der insbesondere durch seine
Mephisto-Rolle bekannt geworden war, wurde im Jahre 1934 zum Intendanten
des Staatlichen Schauspielhauses in Berlin ernannt, im Jahre 1936 zum
Preußischen Staatsrat und im Jahre 1937 zum Generalintendanten der
Preußischen Staatstheater, die Göring unterstanden.
3
Klaus Mann schrieb den Mephisto-Roman bald nach seiner Emigration und
veröffentlichte ihn im Jahre 1936 im Querido-Verlag in Amsterdam in
deutscher Sprache. Der Roman schildert die Karriere eines Schauspielers, der
im Roman den Namen Hendrik Höfgen trägt und der als ehrgeiziger,
talentierter Opportunist aus kleinbürgerlichem Milieu mit perversen sexuellen
Neigungen, als zynisch-rücksichtsloser Mitläufer der nationalsozialistischen
Machthaber und als Rückversicherer dargestellt wird. Zahlreiche Einzelheiten
- so die Beschreibung von Figur und Gesicht, die Reihenfolge der
Theaterstücke, in denen dieser Schauspieler mitwirkt, insbesondere auch die
Übernahme der Mephisto-Rolle, sowie der Aufstieg zum Generalintendanten
der Preußischen Staatstheater - entsprechen dem äußeren Erscheinungsbild
und dem Lebenslauf von Gründgens. Auch Personen aus dessen Umgebung
sind in dem Roman wiederzuerkennen.
125
4
Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß auf Gründgens wesentliche negative
Charakterzüge und Handlungen nicht zutreffen, die im Roman der Person
Höfgens angedichtet werden.
5
Der "Mephisto"-Roman erschien im Jahre 1956 erneut im Aufbau-Verlag in
Ost-Berlin und trug auf der letzten Seite den Vermerk: "Alle Personen dieses
Buches stellen Typen dar, nicht Porträts K. M.". Dieser Herausgabe hat der
Kläger im Namen von Gründgens, dessen Assistent er seit seiner Adoption bis
zu dessen Tode war, im Jahre 1957 widersprochen, doch war die Auflage
bereits ausgeliefert. Weitere Herausgaben bei drei westdeutschen Verlagen
konnten verhindert werden.
6
Im August 1963 kündigte die Beklagte ihrerseits die Herausgabe des Buches
an. Nach dem Tode von Gründgens am 7. Oktober 1963 hat der Kläger
hiergegen zunächst erfolglos protestiert und schließlich Klage erhoben.
Nachdem die Beklagte in erster Instanz obgesiegt hatte, brachte sie das Buch
mit folgendem, durch einstweilige Verfügung angeordnetem Vorspruch
heraus:
7
"AN DEN LESER
8
Der Verfasser Klaus Mann ist 1933 freiwillig aus Gesinnung emigriert und
hat 1936 diesen Roman in Amsterdam geschrieben. Aus seiner damaligen
Sicht und seinem Haß gegen die Hitlerdiktatur hat er ein zeitkritisches Bild
der Theatergeschichte in Romanform geschaffen. Wenn auch
Anlehnungen an Personen der damaligen Zeit nicht zu verkennen sind, so
hat er den Romanfiguren doch erst durch seine dichterische Phantasie
Gestalt gegeben. Dies gilt insbesondere für die Hauptfigur. Handlungen
und Gesinnungen, die dieser Person im Roman zugeschrieben werden,
entsprechen jedenfalls weitgehend der Phantasie des Verfassers. Er hat
daher seinem Werk die Erklärung beigefügt: "Alle Personen dieses Buches
stellen Typen dar, nicht Porträts".
9
Der Verleger"
10
126
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ua
ausgeführt, daß die durch den Roman verletzten Persönlichkeitsrechte von
Gründgens mit dessen Tode untergegangen seien.
11
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein
KLagebegehren weiterverfolgt, jedoch zum Ausdruck gebracht hat, daß das
Verbot nicht unbedingt für alle Zeiten erstrebt werde. Die Beklagte hat erklärt,
sie verpflichte sich, den Roman künftig stets mit dem durch einstweilige
Verfügung angeordneten Vorspann zu veröffentlichen.
12
Das Oberlandesgericht hat der Berufung stattgegeben und die Beklagte
antragsgemäß verurteilt. Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
I. ...
13
II. 1. Das Berufungsgericht führt aus, die ihrer Natur nach nicht übertragbaren
Persönlichkeitsrechte könnten zwar nach dem Tode nicht mehr fortbestehen,
da es dann an einem Rechtssubjekt fehle. Gleichwohl gewähre aber die
Rechtsordnung einen über den Tod hinauswirkenden Persönlichkeitsschutz,
wie sich in der Pflicht zur Beachtung von Beisetzungsanordnungen eines
Verstorbenen zeige, ferner in der Pflege seiner Ruhestätte, dem Schutz der
Totenruhe, der Bestrafung von Leichenentwendungen und der
Verunglimpfung des Andenkens, der Wiederaufnahme von Strafverfahren
auch nach dem Tode, dem Bildnisschutz, dem Recht, Entstellungen der
Darbietungen eines ausübenden Künstlers nach dessen Tode zu verfolgen,
und auch in der Fortwirkung eines zu Lebzeiten erstrittenen Verbotsurteils
wegen Ehrverletzung. Die aus diesem Persönlichkeitsschutz folgenden
Ansprüche könne der Kläger als Adoptivsohn und damit als Angehöriger von
Gründgens, als dessen Alleinerbe und als derjenige wahrnehmen, den
Gründgens bereits zu Lebzeiten damit beauftragt habe, die Verbreitung des
Buches zu verhindern.
14
2. Diesen Ausführungen ist im Ergebnis beizutreten.
15
Der Bundesgerichtshof hat bereits im Zusammenhang mit der Frage, wem die
Befugnis zur Veröffentlichung von Tagebüchern eines Verstorbenen zusteht,
dargelegt, es werde für das Urheberpersönlichkeitsrecht einmütig anerkannt,
daß es über den Tod des ursprünglichen Rechtsträgers hinaus fortwirkte. Dies
127
gelte in gleicher Weise auch für das allgemeine Persönlichkeitsrecht; denn die
schutzwürdigen Werte der Persönlichkeit überdauerten die Rechtsfähigkeit
ihres Subjekts, die mit dem Tode erlösche (BGHZ 15, 249, 259 - Cosima
Wagner). Diese Auffassung hat in Rechtsprechung und Schrifttum
überwiegend Billigung gefunden (LG München Ufita 20, 230 - von Witzleben;
Koebel, NJW 58, 936; Nipperdey, Ufita 30, 1, 20; Hubmann, Das
Persönlichkeitsrecht, 1953, S 245f sowie in der Anmerkung zu dem
angefochtenen Urteil aaO; Staudinger/Coing, BGB, 11. Aufl, Vorbem 24 vor 1,
vgl auch Anm 151 zu § 1922; von Gamm, NJW 1955, 1826; zurückhaltend
Bußmann, Gutachten zum 42. Juristentag, 1957, S 62ff).
16
Die gegen diese Auffassung erhobenen Bedenken (vgl insbes May, NJW
1958, 2101 und Wolpert, Ufita 34, 150, 156ff) greifen nicht durch. Das
Persönlichkeitsrecht erfährt zwar - wie schon ein Vergleich des Ehrenschutzes
nach §§ 185 bis 187 StGB mit der engeren Bestimmung des § 189 StGB zeigt
- mit dem Tode der Person eine einschneidende Einschränkung, da alle
diejenigen Ausstrahlungen enden, welche die Existenz einer aktiv handelnden
Person bedingen. Ferner kann bei der Abwägung widerstreitender Belange im
Rahmen der Abgrenzung des Persönlichkeitsrechtes nicht mehr der Schutz
der persönlichen Empfindung des Angegriffenen als solcher ins Gewicht
fallen. Aus diesem Grunde ist beispielsweise bei Darstellungen aus dem
Intimbereich die Frage, ob eine Verletzung des Persönlichkeitsrechtes
vorliegt, bei Verstorbenen nach einem anderen Wertungsmaßstab als bei
Lebenden zu beurteilen. Andererseits ist aber allgemein anerkannt, daß der
Verstorbene nicht nur übertragbare materielle Werte hinterläßt, sondern daß
auch immaterielle Güter seinen Tod überdauern, die verletzbar und auch nach
dem Tode noch schutzwürdig sind. Was im einzelnen zu diesen Gütern zählt
und welche Ansprüche sich aus ihrer Beeinträchtigung ergeben könnten,
bedarf im Streitfall keiner abschließenden Prüfung. Denn hier handelt es sich wie noch zu erörtern sein wird - lediglich um Unterlassungsansprüche gegen
grobe Entstellungen des Lebensbildes. Insoweit sind keine überzeugenden
Gründe dafür ersichtlich, daß der persönlichkeitsrechtliche
Unterlassungsanspruch trotz Fortbestehens des verletzbaren und
schutzwürdigen Gutes in dem Augenblick völlig erlöschen sollte, in dem
dieses Lebensbild seinen Abschluß gefunden hat und der Angegriffene sich
nicht mehr selbst verteidigen kann.
17
Es ist nicht entscheidend, daß das Persönlichkeitsrecht - abgesehen von
seinen vermögenswerten Bestandteilen - als höchstpersönliches Recht
unübertragbar und unvererblich ist. Die Rechtsordnung kann Gebote und
Verbote für das Verhalten der Rechtsgenossen zum Schutz
verletzungsfähiger Rechtsgüter auch unabhängig vom Vorhandensein eines
lebenden Rechtssubjektes vorsehen und namentlich Unterlassungsansprüche
der in Rede stehenden Art durch jemanden wahrnehmen lassen, der nicht
selbst Subjekt eines entsprechenden Rechtes ist, wenn der ursprüngliche
Träger dieses Rechtes durch den Tod die Rechtsfähigkeit verloren hat. Seit
langer Zeit sieht die Rechtsordnung diese Lösung bereits für besonders
128
wichtige Fallgruppen vor, in denen es um an sich unübertragbare
Persönlichkeitsrechte geht. So ist die Verbreitung von Abbildungen nach dem
Tode des Abgebildeten von der Einwilligung seiner Angehörigen abhängig (§
22 des Kunsturhebergesetzes vom 9. Januar 1907). Auch zu der
Strafvorschrift über die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189
StGB) wird heute die Auffassung vertreten, daß hier nicht allein das
Pietätsgefühl und die Familienehre der antragsberechtigten Angehörigen,
sondern auch die eigene Ehre des Verstorbenen in Gestalt eines
fortbestehenden Achtungsanspruchs im sozialen Raum geschützt wird (vgl
Welzel, Das deutsche Strafrecht, 10. Aufl, S 293, 299). § 361 StPO läßt die
Wiederaufnahme des Strafverfahrens zugunsten des Verstorbenen auf Antrag
bestimmter Angehöriger zu. Ferner können die Angehörigen eines
ausübenden Künstlers nach dem Tode Entstellungen der Darbietungen des
Verstorbenen untersagen (§ 83 UrhG). Wenn derartige Regelungen zum Teil
schon nach früherem Recht galten, dann kann erst recht nach der
verfassungsrechtlichen Wertordnung des Grundgesetzes nicht mehr
angenommen werden, daß nach dem Tode einer Person zwar deren
übertragbare Rechte an materiellen Gütern fortbestehen, dagegen das durch
ihre Leistungen erworbene, uU viel nachhaltiger im Gedächtnis der Nachwelt
fortlebende Ansehen Eingriffen Dritter schutzlos preisgegeben wäre. Wenn
auch davon auszugehen sein mag, daß das Grundgesetz, indem es in Art 1
die Würde des Menschen für unantastbar erklärt und in Art 2 das Recht auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit festlegt, vorwiegend den Schutz der
Persönlichkeitsbelange des in der Rechtsgemeinschaft noch tätigen Bürgers
gewährleisten wollte, so ist andererseits kein Anhalt dafür gegeben, daß
entgegen den Anschauungen unseres Kulturkreises die Schutzgarantie für die
Menschenwürde, die auch nach dem Tod "antastbar" bleibt, für Verstorbene
entfallen sollte. Da die Wertentscheidung des Grundgesetzgebers im
Grundrechtskatalog zugunsten eines umfassenden Schutzes der
Menschenwürde keine zeitliche Begrenzung auf das Leben des Menschen
erkennen läßt, ist nicht einzusehen, warum der Schutz des sog allgemeinen
Persönlichkeitsrechts, das die höchstrichterliche Rechtsprechung als
sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs 1 BGB anerkannt hat, indem es
diese Generalklausel des bürgerlichen Rechts gemäß der Wertentscheidung
des Verfassungsgebers ausgefüllt hat, zwangsläufig mit dem Tod sein Ende
finden sollte. Nach Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind
vielmehr die erwähnten näher geregelten Einzelfälle des Schutzes von
Persönlichkeitsgütern Verstorbener als Ausdruck einer allgemeinen
Rechtspflicht aufzufassen, wonach Persönlichkeitsgüter der hier strittigen Art allerdings in dem durch das Ableben der Person bedingten eingeschränkten
Umfang - auch nach dem Tode ihres Inhabers von den Rechtsgenossen zu
beachten sind, da andernfalls die Wertentscheidung des Grundgesetzes nicht
ausreichend zur Geltung käme. Der Senat ist der Überzeugung, daß
Menschenwürde und freie Entfaltung zu Lebzeiten nur dann im Sinne des
Grundgesetzes zureichend gewährleistet sind, wenn der Mensch auf einen
Schutz seines Lebensbildes wenigstens gegen grobe ehrverletzende
Entstellungen nach dem Tode vertrauen und in dieser Erwartung leben kann.
18
129
Hiergegen hat die Revision in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht,
der strittige Unterlassungsanspruch sei jedenfalls in dem Sinne
höchstpersönlicher Natur, daß dem Betroffenen die Entscheidung darüber
vorbehalten bleiben müsse, ob dieser Anspruch im Wege einer öffentlichen
Klage verfolgt werden solle. Eine Wahrnehmung des Persönlichkeitsschutzes
nach dem Tode komme daher allenfalls dann (und insoweit) in Betracht, wenn
der Verstorbene bereits zu Lebzeiten eine Ermächtigung erteilt habe.
19
Abgesehen davon, daß Gründgens dem Kläger die entsprechende
Ermächtigung tatsächlich erteilt hat, kann dieser Auffassung schon deshalb
nicht beigepflichtet werden, weil dann die Rechtsverfolgung von dem Zufall
abhinge, ob eine vor dem Tode begangene Handlung dem Verletzten noch
rechtzeitig bekanntgeworden ist, oder davon, ob die Handlung kurz vor oder
kurz nach dem Tode des Verletzten begangen worden ist. Hinzuweisen ist
ferner auf solche Fälle, in denen sich der Berechtigte infolge Zermürbung
durch Alter, Krankheit oder Resignation nicht mehr selbst dazu aufraffen
konnte, noch vor seinem Tode ein Verfahren einzuleiten. Daß der
höchstpersönliche Charakter der immateriellen Persönlichkeitsrechte nicht
dazu nötigt, die Rechtsverfolgung von einer Ermächtigung des Verletzten
abhängig zu machen, wird auch durch die erwähnten, vom Gesetzgeber
bereits näher geregelten Fälle einer Wahrnehmungsbefugnis bestätigt.
20
Entgegen der Ansicht der Revision nötigt nicht etwa der Gesichtspunkt der
Rechtssicherheit dazu, die Wahrnehmung des Persönlichkeitsschutzes
Verstorbener durch Dritte schlechthin auszuschließen, wenn keine besondere
Ermächtigung erteilt wurde. Der höchstpersönliche Charakter des Rechts
rechtfertigt zwar die Folgerung, daß in Ermangelung entgegenstehender
anderweitiger Regelungen in erster Linie der vom Verstorbenen zu Lebzeiten
Berufene als Wahrnehmungsberechtigter anzusehen ist. Ferner kommen aber
in Analogie zu den vom Gesetzgeber bereits näher geregelten Fällen die
nahen Angehörigen des Verstorbenen in Betracht, die durch die
Verunglimpfung eines verstorbenen Familienmitgliedes oftmals selbst in
Mitleidenschaft gezogen werden. Das kann zu einer Mehrzahl von
Wahrnehmungsberechtigten führen. Daraus folgt jedoch keine so erhebliche
Gefahr für die Rechtssicherheit, daß deshalb die Wahrnehmung des
Persönlichkeitsschutzes Verstorbener mangels ausdrücklicher Ermächtigung
zu entfallen hätte. Zwar schließt nach dieser Auffassung das Einverständnis
einzelner Wahrnehmungsberechtigter mit der beanstandeten Handlung nicht
aus, daß andere Berechtigte gleichwohl dagegen einschreiten. Doch wird
dieses Einverständnis ein wichtiger Anhaltspunkt dafür sein, ob überhaupt der
Tatbestand einer Rechtsverletzung vorliegt. Der Streitfall nötigt nicht dazu,
den Kreis der Wahrnehmungsberechtigten abschließend zu bestimmen. Denn
daß zu diesem Kreis jedenfalls der Kläger als der Adoptivsohn des
Verstorbenen und insbesondere als derjenige gehört, den Gründgens nicht
nur zu seinem Alleinerben eingesetzt, sondern bereits zu Lebzeiten beauftragt
hatte, die Verbreitung des Romans zu verhindern, hat das Berufungsgericht
ohne Rechts- und Verfahrens*-verstoß festgestellt.
130
21
In den Fällen des § 22 KunstUrhG und des § 83 UrhG sind die dort geregelten
Befugnisse zeitlich befristet. Auch ohne eine derartige gesetzgeberische
Einzelregelung ist kein uferloser postmortaler Schutz des Lebensbildes zu
befürchten. Eine zeitliche Begrenzung folgt bereits daraus, daß die
Persönlichkeitsrechte eines Verstorbenen nicht von jedermann, sondern nur
von dem Kreis der überlebenden Wahrnehmungsberechtigten geltend
gemacht werden können. Davon abgesehen setzt die Geltendmachung des
erörterten persönlichkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs voraus, daß der
Wahrnehmungsberechtigte ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis dartun
kann. Dieses schwindet gerade in Fällen der vorliegenden Art in dem Maße, in
dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblaßt. Auch wird bei der
Güterabwägung, nach der im Einzelfall Tatbestand und Rechtswidrigkeit von
Persönlichkeitsrechtsverletzungen abzugrenzen sind, ins Gewicht fallen, daß
im Laufe der Zeit das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes
abnimmt, während umgekehrt das Gegeninteresse daran wächst, nicht wegen
eines Fehlers in der Darstellung historischer Vorgänge Rechtsansprüchen
ausgesetzt zu werden. Jedenfalls ist der noch lebende Kläger berechtigt,
gegen die kurz nach dem Tode von Gründgens begangene
Persönlichkeitsrechtsverletzung einzuschreiten. Das Unterlassungsgebot
bedarf auch keiner zeitlichen Begrenzung, da es der Beklagten unbenommen
bleibt, der Vollstreckung des Urteils entgegenzutreten, wenn infolge
Zeitablaufs das Rechtsschutzinteresse für die Weiterverfolgung des
eingeklagten Anspruchs entfallen sollte.
22
III. 1. In der Sache selbst führt das Berufungsgericht im einzelnen aus, daß
Klaus Mann die Hauptfigur seines Romans unbestritten an Gründgens
angelehnt habe. Eine ausreichende "Verfremdung" der aus der Wirklichkeit
entlehnten Vorgänge lasse sich nicht feststellen. Zwar würden jüngere Leser
in zunehmendem Umfang in den dargestellten Romanfiguren die damals
lebenden Personen nicht erkennen und den Roman als zeitkritische
Darstellung des Theaterlebens in den zwanziger und dreißiger Jahren werten.
Eine nicht unbeträchtliche Zahl des theaterkundigen Publikums, von dem das
Buch überwiegend gelesen werde, denke aber bei der Hauptfigur Höfgen an
Gründgens und identifiziere diesen infolge der Übereinstimmungen im
äußeren Erscheinungsbild, dem Lebens- und Berufs*-weg und der Umgebung
mit Höfgen. Dabei könne der Leser nicht zwischen Wahrheit und Erdichtetem
unterscheiden.
23
Diese tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichtes sind frei von
Rechts- oder Verfahrens*-verstößen ... .
24
2. Das Berufungsgericht führt sodann weiter aus, daß der Roman für
diejenigen Leser, welche Handlungen, Motive und Äußerungen des Höfgen
131
auf Gründgens beziehen, ein negativ verzerrtes, verunglimpfendes Charakterund Lebens*-bild von Gründgens vermittle. Das Buch sei - so gesehen - eine
Schmähschrift in Romanform, insbesondere wegen der unstreitig frei
erfundenen Schilderung der masochistischen Beziehungen Höfgen's zu der
Negertänzerin. Gründgens werde in der Gestalt Höfgen's als ein begabter
Schauspieler mit großer Karriere geschildert, der die Mephisto-Rolle
vorzüglich spiele und seinem Charakter nach selbst ein Mephisto sei, der sich
den nationalsozialistischen Machthabern seiner Karriere wegen ausliefere.
Ferner bedeute die Unterstellung, Höfgen habe einigen politisch Verfolgten
nur geholfen, um sich dadurch für später eine Rückversicherung zu
beschaffen, eine Verächtlichmachung des Höfgen und somit von Gründgens.
Auch das physische Versagen des Höfgen in seiner Ehe - möge es auf
Gründgens zutreffen oder nicht - sowie die zahlreichen verbalen
Beleidigungen seien geeignet, Gründgens herabzusetzen.
25
Die Beklagte habe nicht dargelegt und unter Beweis gestellt, daß dieses
negative Lebens- und Charakter*-bild auf Gründgens tatsächlich zutreffe.
Unstreitig habe Gründgens nicht - wie in dem Roman dargestellt - im Hause
Göring verkehrt und zu dessen 43. Geburtstag eine Rede gehalten. Sein
schneller Aufstieg sei - ebenso wie seine Ehrungen nach dem Kriege - seinen
schauspielerischen Leistungen zuzuschreiben. Auch die Beklagte behaupte
nicht, daß Gründgens sich nach 1933 für politische Propagandazwecke habe
mißbrauchen lassen. Möge Klaus Mann auch seinerzeit geglaubt haben,
Gründgens habe politisch Verfolgte nur aus Gründen der Rückversicherung
unterstützt, so spreche doch dagegen, daß Gründgens - wie auch die
Beklagte anerkenne - unter eigener Gefährdung jüdischen und mit Jüdinnen
verheirateten Schauspielern sowie politisch Verdächtigen geholfen habe.
26
Die wahrheitswidrige Entstellung des Charakter- und Lebens*-bildes von
Gründgens werde - so führt das Berufungsgericht weiter aus - weder durch
das Recht zur freien kritischen Meinungsäußerung noch dadurch gedeckt, daß
der beanstandete Roman in Übereinstimmung mit dem Landgericht als
Kunstwerk zu werten sei. Soweit die Intimsphäre angetastet werde, entfalle
überhaupt jede Interessenabwägung. Daher sei der auf die Verletzung des
Persönlichkeitsrechts gestützte Unterlassungsanspruch des Klägers gemäß
§§ 1004, 823 BGB iVm Art 1 und 2 GG begründet.
27
3. Den Angriffen der Revision, die sich gegen die rechtlichen Folgerungen
richten, die das Berufungsgericht aus den genannten Feststellungen und
Würdigungen gezogen hat, muß im Ergebnis der Erfolg versagt bleiben.
28
a) Das auf der Würde des Menschen beruhende Persönlichkeitsrecht (Art 1, 2
GG) ist als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs 1 BGB geschützt (vgl
132
BGHZ 13, 334 - Leserbriefe; 24, 200 - Spätheimkehrer; 26, 349 - Herrenreiter;
30, 7 - Caterina Valente; 31, 308 - Burschenschaft; 35, 363 - Ginsengwurzel;
39, 124 - Fernsehansagerin; GRUR 1965, 256 - Gretna Green). Indem bei der
inhaltlichen Präzisierung dieses generalklauselartigen "Auffangstatbestandes"
auf verfassungsrechtliche Wertentscheidungen zurückgegriffen wird, ist freilich
zu beachten, daß das Persönlichkeitsrecht nicht nur in Art 2 GG eine
ausdrückliche Begrenzung durch die Rechte anderer, die verfassungsmäßige
Ordnung und das Sittengesetz erfährt. Vielmehr sind darüber hinaus bereits
bei der Prüfung, ob überhaupt tatbestandsmäßig eine rechtswidrige
Persönlichkeitsbeeinträchtigung vorliegt, auch die weiteren
Wertentscheidungen des Verfassungsgebers heranzuziehen, die sich gerade
bei der verfassungskonformen Auslegung von Generalklauseln auswirken
(BVerfGE 7, 198, 204 - Lüth; 12, 113, 125 - Schmid) und die nicht erst unter
dem Gesichtspunkt eines besonderen Rechtfertigungsgrundes zu
berücksichtigen sind (BGHZ 45, 296, 307 - Höllenfeuer).
29
b) Als eine der grundlegenden Wertentscheidungen kommt insbesondere das
Recht auf freie kritische Meinungsäußerungen (Art 5 Abs 1 GG) namentlich
gegenüber solchen Personen in Betracht, die - wie Gründgens - durch ihr
Wirken und ihre Stellung im öffentlichen Leben Gegenstand des allgemeinen
Interesses geworden sind (BGHZ 36, 77 - Waffenhändler; BGH NJW 1964,
1471 - Sittenrichter). Dieses Recht deckte im Streitfall nicht nur eine
allgemeine zeitkritische Auseinandersetzung mit den Verhältnissen des
Theaterlebens seit 1933, sondern auch, daß Klaus Mann in scharfer Polemik
Karriere und Charakterbild von Gründgens als einer weithin bekannten
Persönlichkeit der Zeitgeschichte kritisierte, deren Verhalten, besonders aus
der Sicht eines emigrierten und engagierten Gegners der Hitler-Diktatur, die
Gefahr in sich barg, den Nationalsozialismus in den Augen der Welt
aufzuwerten. Klaus Mann hat sich aber nach den zutreffenden Ausführungen
des Berufungsgerichts nicht auf eine derartige Kritik beschränkt, sondern in
seine Darstellung frei erfundene Vorgänge eingearbeitet. Unter diesen ist
schlechterdings nicht zu rechtfertigen die Erfindung des Verhaltens gegenüber
der schwarzen Tänzerin, zu der Höfgen langdauernde perverse Beziehungen
unterhält und die er, als sie seiner Karriere gefährlich zu werden drohte, in
niederträchtiger Weise von der Gestapo verhaften und abschieben läßt. Zu
nennen ist hier ferner die Erfindung einer besonders engen Art von
Beziehungen zu den damaligen Machthabern und die Entstellung der
Hilfeleistungen für rassisch und politisch Gefährdete in ein auf berechnender
Rückversicherung beruhendes Verhalten. Das Recht, Verhalten und
Lebensbild einer Persönlichkeit kritisch zu beurteilen, findet nach der
ausdrücklichen Regelung in Art 5 Abs 2 GG seine Schranken in dem Recht
der persönlichen Ehre und rechtfertigt es jedenfalls nicht, das Lebensbild einer
Persönlichkeit mittels frei erfundener, oder doch ohne jeden Anhaltspunkt
behaupteter, die Gesinnung negativ kennzeichnender Verhaltensweisen zu
entstellen, die nur noch das Urteil zulassen, daß es sich um einen
niederträchtiger Handlungsweise fähigen Menschen gehandelt habe.
Namentlich das erdichtete abschließende Verhalten gegenüber der Tänzerin
läßt dem Leser keine andere Wahl.
133
30
c) Entstellungen derart schwerwiegender Art werden auch nicht durch die
ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit der Kunst (Art 5 Abs 3 GG)
gedeckt, auf welche sich die Beklagte in erster Linie beruft. Da der
beanstandete Roman in beiden Vorinstanzen rechtsirrtumsfrei als Ergebnis
künstlerischen Schaffens gewürdigt worden ist, greift allerdings auch diese
Grundrechtsnorm im Streitfall Platz, die entgegen der Auffassung des Klägers
nicht lediglich eine gegen den Staat gerichtete institutionelle Garantie enthält,
sondern notwendigerweise auch die persönliche Freiheit des Künstlers
umfaßt, sich künstlerisch zu betätigen und die Ergebnisse des Schaffens der
Öffentlichkeit bekanntzumachen (v Mangoldt/Klein, GG, 2. Aufl, Anm X 2b zu
Art 5; Hamann, GG, 2. Aufl, Anm 13 zu Art 5; Schmidt/Bleibtreu/Klein, GG,
Anm 2 zu Art 5; Arndt, Die Kunst im Recht, NJW 1966, 26; BayObLG NJW
1964, 1149; OVG Münster NJW 1959, 1890 mit insoweit zustimmender Anm
von Hamann und von Stein in JZ 1959, 720; vgl ferner zum vergleichbaren
Problem der Freiheit der Wissenschaft BVerfGE 3, 58, 151; 5, 85, 145; 15,
256, 263). Diese Freiheitsverbürgung, die in ihrer historisch gewordenen
Ausprägung in erster Linie ein Abwehrrecht des Bürgers gegen staatliche
Eingriffe darstellt, verkörpert zugleich eine Grundentscheidung im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl BVerfGE 6, 71; 7, 204;
9, 248), in der für einen bestimmten Bereich der Rechts- und Sozial*-ordnung
eine Wertentscheidung des Verfassungsgebers verbindlich ausgedrückt wird,
die ihrerseits in engem Zusammenhang mit dem Grundwert der
Menschenwürde steht und die als Grundsatznorm bei der Ausfüllung von
Generalklauseln des bürgerlichen Rechtes Beachtung erheischt.
31
Bei der Heranziehung dieser Verfassungsnorm ist zu Gunsten der Beklagten
zu berücksichtigen, daß der Verfassungsgeber die Freiheit der Kunst
außerordentlich umfassend verbürgt hat. Anders als beim Schutz der
Persönlichkeit und beim Recht der Meinungsfreiheit hat er trotz der
Meinungsverschiedenheit über die Auslegung der entsprechenden
Bestimmung der Weimarer Verfassung keine ausdrückliche Einschränkung
angeordnet und dadurch zum Ausdruck gebracht, daß der allgemeine
Gesetzesvorbehalt des Art 5 Abs 2 nicht anwendbar ist (vgl etwa BVerwGE 1,
303 - Sünderin; OLG Hamburg NJW 1963, 675). Daraus folgt, daß dann,
wenn eine Meinungsäußerung in die Form eines Kunstwerkes gekleidet ist,
der Freiheitsspielraum gegenüber der Persönlichkeitssphäre eines
Betroffenen weiter zu ziehen sein kann als bei solchen Meinungsäußerungen,
die nicht den Rang eines Kunstwerkes erreichen (aA OVG Münster aaO; wie
hier Arndt aaO, Stein aaO; Hamann, NJW 1959, 1890). Das bedeutet für Fälle
der vorliegenden Art, daß der Künstler nicht nur - was für den künstlerischen
Schaffensprozeß unverzichtbar ist - an reale Geschehnisse und persönliche
Umwelterfahrungen anknüpfen darf und daß ihm bei der Verarbeitung dieser
Anregungen im Falle ausreichender Verfremdung weiter Schaffensspielraum
bleibt. Vielmehr kann beim Konflikt zwischen Freiheit der Kunst und
geschützter Persönlichkeitssphäre die Güterabwägung dazu führen, daß der
Künstler bei romanhafter Darstellung des Lebens einer Person der
Zeitgeschichte, wenn jene erkennbar nicht den Anspruch erhebt, die
134
historischen Begebenheiten wirklichkeitstreu widerzuspiegeln, den
Dargestellten auch durch erfundene Begebenheiten ergänzend
charakterisieren und - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - bei
Verstorbenen in gewissen Grenzen auch Vorgänge aus dem Intimbereich
schildern darf. Von hier aus gesehen wäre es im Streitfall für sich allein noch
nicht zu beanstanden, daß Klaus Mann in dem Roman Wahres und
Erfundenes vermischt und dabei auch den Intimbereich berührt hat.
32
Aber auch diese umfassende Gewährleistung künstlerischer Schaffensfreiheit
kann nicht bedeuten, daß künstlerisches Schaffen schrankenlos ausgeübt
werden darf. Denn die Freiheit der Kunst ist kein isolierter Höchstwert der
verfassungsmäßigen Wertordnung, dem alle anderen Werte unterzuordnen
wären. Wo sie im einzelnen unter Berücksichtigung der vom
Verfassungsgeber angeordneten besonders umfassenden Verbürgung ihre
Grenzen findet, bedarf keiner ausführlichen Erörterung. Es kann insbesondere
dahinstehen, ob es ohne weiteres zulässig wäre, diese Grenze - unter
Anwendung des Art 2 Abs 1 GG als "Muttergrundrecht" - in den Rechten
anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Sittengesetz und auch in
den in diesem Rahmen erlassenen Gesetzen zu suchen (vgl dazu BGH
GoldtArch 1961, 240 - Religionsdelikte; LM Nr 22 zu Art 5 GG Reichstagsbrand; BayObLG aaO; OLG Hamburg aaO; zurückhaltender
BVerwG aaO sowie Arndt und Stein aaO). Denn jedenfalls erfährt das Recht
zur freien künstlerischen Betätigung in gewissem Umfang eine immanente
Begrenzung mit Rücksicht auf das gleichfalls verfassungsrechtlich garantierte
Persönlichkeitsrecht. Diese Grenze ist überschritten, wenn das Lebensbild
einer bestimmten Person, die derart deutlich erkennbar als Vorbild gedient hat
wie im vorliegenden Falle, durch frei erfundene Zutaten grundlegend negativ
entstellt wird, ohne daß dies als satirische oder sonstige Übertreibung
erkennbar ist. Nimmt der Künstler im Falle der Charakterisierung einer Person
bewußt derartige Veränderungen des wirklichen Geschehens vor, dann kann
und muß von ihm erwartet werden, daß er im Interesse des
verfassungsrechtlich garantierten Persönlichkeitsrechts die Anknüpfung an
das Vorbild unerkennbar macht. Im Streitfall ist das nach den zutreffenden
Ausführungen des Berufungsgerichts nicht geschehen. Der Einbruch in die
Persönlichkeitssphäre von Gründgens wäre allenfalls zu rechtfertigen, wenn
das sich aus dem Roman ergebende Charakter- und Lebens*-bild von Höfgen
mit den grundlegenden Wesenszügen und dem Persönlichkeitsbild von
Gründgens, so wie dieses aus seinem Leben zu entnehmen ist,
übereinstimmen würde. Unter dieser Voraussetzung können bei einer
erkennbar romanhaften Darstellung tatsächliche Vorgänge, Gespräche und
Erlebnisse hinzuerfunden werden, ohne daß die Grenzen der Freiheit der
Kunst überschritten wären. Im vorliegenden Fall ist aber nicht geltend
gemacht worden, daß Gründgens dem Typ des zynisch rücksichtslosen
Opportunisten entsprach, der im Interesse seiner Karriere unter Verrat seiner
früheren politischen Gesinnung engsten Umgang mit den Machthabern pflegt,
der seine Geliebte der Gestapo ausliefert und Gefährdeten lediglich aus
Berechnung hilft.
33
135
Nach alledem ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das
Berufungsgericht die Verbreitung des angegriffenen Romans als
Persönlichkeitsrechtsverletzung beurteilt hat.
- Verletzungshandlung
Beeinträchtigung in einer der genannten Sphären. Sie muss eine konkrete Person
betreffen, nicht unter Kollektivbezeichnung, wenn es sich um einen
unüberschaubaren Personenkreis handelt.
- Widerrechtlichkeit des Eingriffs/Rechtswidrigkeit
Umfassende Güter und Interessenabwägung, wiederum grundrechtliche Garantien
von Besonderer Bedeutung , Verhältnismäßigkeitsprüfung, Orientierung an der
Intensität bzw. Tiefe der Verletzung.
Weitere wichtige Aspekte der Abwägung: Zweck des Eingriffs, eigenes Verhalten des
Verletzen, verletzendes Medium (Bild oder nur Text), Verbreitungsgrad, bei
Werturteilen bildet wieder meist die Schmähkritik eine Grenze (Prangerstellung,
unsachliche Kritik, die Diffamierung steht im Vordergrund), bei
Tatsachenbehauptungen ist zu differenzieren zwischen wahren und unwahren, im
Zeitpunkt der Äußerung nicht ungewissen Äußerungen, Öffentlichkeitsinteresse an
Aufklärung der Allgemeinheit, Diskussion hinsichtlich von Belangen des
Gemeinwohls.
Zur Sonderbehandlung von „Personen der Zeitgeschichte“:
Eine der vielfachen von Caroline von Monaco bzw. Hannover erhobenen Klagen sei
hier nur kurz referiert. Es ging um die ohne Einwilligung erfolgte Veröffentlichung
namentlich von Bildern der Prinzessin in einem abgeschiedenen und schlecht
beleuchteten Gartenlokal mit einem Freund, beim Pferdereiten, zusammen mit ihren
Kindern, beim Spaziergang allein, beim Radfahren sowie beim Einkaufen (mit Kind
und Freund). Das OLG Hamburg hat alle dagegen gerichteten Klagen, die
vornehmlich auf Unterlassung gerichtet waren, als insgesamt unbegründet
abgewiesen (NJW-RR 1995, 790). Der BGH (NJW 1996, 1128) meinte, außerhalb
erkennbarer örtlicher Abgeschiedenheit hätten Personen der Zeitgeschichte die
Veröffentlichung von Bildaufnahmen von sich hinzunehmen, auch wenn diese sie
nicht bei der Wahrnehmung einer öffentlichen Funktion zeigten, sondern ihr
Privatleben im weiteren Sinn betreffen. Das Ergebnis des BGH war, daß –
weitergehend als zuvor vielfach in der unterinstanzlichen deutschen Rechtsprechung
und im Schrifttum – Bildaufnahmen nicht nur innerhalb der Räume im eigenen Haus
im Fall der Veröffentlichung der Zustimmung des Betroffenen bedürfen, sondern
auch solche Aufnahmen, die heimlich – auflauernd an einem Platz erkennbar
örtlicher Abgeschiedenheit – aufgenommen worden seien. Damit durfte das Bild im
schlecht beleuchteten, abgeschiedenen Gartenlokal nicht (weiter-)verwendet werden,
wohl aber alle anderen Photos. Das BVerfG (NJW 2000, 1021) teilte den
Ausgangspunkt des BGH, mahnte aber darüber hinausgehende Zurückhaltung im
Kontext der Zulässigkeit von Veröffentlichungen an, soweit auch Kinder der „Person
der Zeitgeschichte“ (die ihrerseits noch keine Personen der Zeitgeschichte wären)
mit abgebildet werden. Demgemäß hat der BGH mittlerweile gegenüber Kindern eine
zusätzliche Schranke in Bezug auf die Veröffentlichung von entsprechenden
Fotografien gezogen (NJW 2004, 1795: Die Tochter Caroline von Monacos bzw.
136
Hannovers sei keine Person der Zeitgeschichte). Auch dies erfuhr nicht die Billigung
des EuGMR (EGMR NJW 2004, 2647 m. Besprechungsaufsatz Heldrich, NJW 2004,
2634). Heldrich hat in seiner Besprechung spitz formuliert, die Entscheidungen der
deutschen Gerichte (BGH und BVerfG) seien mit dem Urteil versehen worden:
„Gewogen und zu leicht befunden“. Genau entgegengesetzt zum BVerfG und zum
BGH fordert der EGMR nun eine fundamentale Unterscheidung zwischen Berichten
über Tatsachen, die einen Beitrag zu einer öffentlichen Debatte in einer
demokratischen Gesellschaft leisten können, und Berichten über das Privatleben von
Personen ohne offizielle Funktionen. Die bloße Neugier der Leserschaft bzw. deren
Befriedigung könnten von vornherein keinen Beitrag zu einer Debatte von
allgemeinem gesellschaftlichem Interesse liefern. Demgemäß sei die Pressefreiheit
hier durch das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen deutlich stärker einzuschränken.
Auch wenn man diese Entscheidung des EGMR mit Heldrich befürwortet, weil in der
Tat die deutsche Rechtsprechung die Pressefreiheit im Verhältnis zum
Persönlichkeitsrecht bekannter Persönlichkeiten überbetont hat, hat man neben der
obligatorischen Kritik an der Einschränkung dieser Möglichkeit der Erhöhung der
Auflagen durch die deutschen Presseorgane durchaus auch verärgerte
Stellungnahmen aktueller und früherer Richter des BVerfG in Erinnerung, die die
Bundesregierung – ohne Erfolg – aufforderten, die Sache an die große Kammer des
EGMR zu verweisen.
-Verschulden
cc) Rechtsfolgen
zunächst auf Schutz immaterieller Interessen beschränkt (Unterlassung- uund
Beseitigungsansprüche: § 1004 Abs. 1 BGB analog, sog. quasi-negatorische
Ansprüche)
Schrittweise Ausdehnung in den Rechtsfolgen:
Geldentschädigung anerkannt,
schwere Beeinträchtigung erforderlich, Beeinträchtigung kann wegen Art der
Verletzung nicht befriedigend in anderer Weise ausgeglichen werden,
Genugtuungsfunktion anders als beim Schmerzensgeld im Vordergrund, zudem
Ausgleichsfunktion tritt hinter Präventivfunktion zurück, Gewinn durch Verletzung
spielt bei Bemessung einer Rolle, aber keine Gewinnabschöpfung
Seit Marlene-Entscheidung BGHZ 143, 214, 218 auch kommerzielle Interessen
der Persönlichkeit geschützt, Vermarktungsmöglichkeiten geschützt, selbst wenn
Verletzte zur Vermarktung gar nicht bereit gewesen wäre. Der Schaden kann
entweder konkret oder im Wege der sog. Lizenzanalogie berechnet werden.
BGHZ 26, 349 („Herrenreiter“)
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Mitinhaber einer Brauerei in K. . Er betätigt sich als Herrenreiter
auf Turnieren. Die Beklagte ist Herstellerin eines pharmazeutischen
137
Präparats, das nach der Vorstellung weiter Bevölkerungskreise auch der
Hebung der sexuellen Potenz dient. Sie hat zur Werbung für dieses Mittel in
der Bundesrepublik, ua auch in K., ein Plakat mit der Abbildung eines
Turnierreiters verbreitet. Dem Plakat lag ein Originalphoto des Klägers
zugrunde, das von dem Presseverlag S. auf einem Reitturnier aufgenommen
worden war. Eine Einwilligung zur Verwendung seines Bildes hatte der Kläger
nicht erteilt.
2
Der Kläger nimmt die Beklagte für den Schaden in Anspruch, der ihm durch
die Verbreitung des Werbeplakats entstanden ist. Er macht geltend, daß ihm
bei der gegebenen Sachlage nur der Weg bleibe, Ersatz dessen zu fordern,
was er erlangt haben würde, wenn er der Beklagten die Benutzung seines
Bildes gestattet hätte. Da seine geschäftliche und gesellschaftliche Stellung es
ihm nicht gestatteten um seine Vermögensverhältnisse ihn auch in keiner
Weise dazu nötigten, sein Bild für Werbezwecke, insbesondere für das
Präparat der Beklagten, zur Verfügung zu stellen, würde er dies, wenn
überhaupt, nur für ein angemessenes Entgelt getan haben. Diese sei
schätzungsweise auf mindestens 15.000 DM zu bemessen.
3
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, einen angemessenen,
vom Gericht festzusetzenden Betrag als Schadensersatz zu zahlen .
4
Die Beklagte hat behauptet, daß die Gesichtszüge des Klägers infolge von
Retuschierungen auf dem Plakat nicht zu erkennen gewesen seien. Sie hat
weiter jedes Verschulden in Abrede gestellt und vorgetragen: Sie habe das
Plakat weder selbst entworfen und hergestellt noch das Bild von dem Verlag
S. erworben. Damit habe sie vielmehr das Werbeunternehmen H. beauftragt.
Diese Firma sei seriös, fachkundig und zuverlässig, so daß sie, die Beklagte,
sich darauf verlassen habe, daß Rechte Dritter nicht verletzt würden. Sie habe
nicht wissen können, daß das Plakat auf Grund einer Photographie entworfen
worden sei, auch nicht, daß das Photo einen Herrenreiter darstelle. Erst im
Laufe des Prozesses habe sie erfahren, daß es sich tatsächlich um ein Bild
des Klägers handle. Daraufhin habe sie unverzüglich jede Weiterverwendung
der Reklame untersagt.
5
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.000 DM als
Schadensersatz zu zahlen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte verurteilt,
10.000 DM an den Kläger zu zahlen. Die Revision der Beklagten blieb
erfolglos.
Entscheidungsgründe:
6
138
I. Das Berufungsgericht entnimmt in Übereinstimmung mit dem Landgericht
dem beanstandeten Plakat, daß die Darstellung des Reiters die Person des
Klägers trotz der vorgenommenen Retuschierungen noch erkennen lasse. Es
geht deshalb rechtlich bedenkenfrei davon aus, daß die Verbreitung des
Plakates ohne die Zustimmung des Klägers dessen persönlichkeitsrechtliche
Befugnisse an seinem Bild verletzt habe und die Beklagte gemäß § 823 Abs 2
BGB in Verbindung mit § 22 KunstUrhG zum Schadensersatz verpflichtet sei,
wenn ihr ein Verschulden zur Last zu legen sei (vgl RG JW 1929, 2257; BGHZ
20, 345, 347ff). Das hat das Berufungsgericht aus der Erwägung bejaht, die
Beklagte habe nicht die nach den Umständen gebotene Sorgfalt beobachtet,
weil sie das von dem Werbeunternehmen H. angefertigte Plakat in den
Verkehr gebracht habe, ohne sich darüber zu vergewissern, ob die
abgebildete Person mit der beabsichtigten Verwendung ihres Bildes
einverstanden sei.
7
Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision können keinen Erfolg haben
(wird ausgeführt).
8
II. Als Schaden billigt das Berufungsgericht dem Kläger unter dem
Gesichtspunkt der entgangenen Lizenzgebühr einen Betrag zu, den er hätte
verlangen können, wenn zwischen den Parteien ein Vertrag zu
angemessenen Bedingungen zustande gekommen wäre. Das
Berufungsgericht hält diese bei Verletzung von Urheberrechten entwickelte Art
der Schadensberechnung im vorliegenden Fall für gerechtfertigt, weil es für
den Kläger schwer nachweisbar sei, ob und in welcher Höhe ein Schaden in
seinem Vermögen entstanden sei. Es schätzt den angemessenen Betrag im
Gegensatz zum Landgericht, das 1.000 DM als ausreichend angesehen hat,
auf 10.000 DM.
9
Der Revision ist, wenngleich sie damit im Ergebnis keinen Erfolg haben kann,
zuzugeben, daß diese Begründung des Berufungsgerichts rechtlich zum Teil
der Besonderheit der Sachlage nicht gerecht wird.
10
1. Die Revision bestreitet nicht, daß der Schaden auch bei Verletzung der
persönlichkeitsrechtlichen Befugnisse am eigenen Bild nach dem Entgelt
bemessen werden kann, das bei Abschluß einer Vereinbarung vermutlich zu
entrichten gewesen wäre. Sie ist indessen der Ansicht, daß diese Methode
der Schadensberechnung, die der erkennende Senat in dem Urteil vom 8. Mai
1956 (BGHZ 20, 345f - Dahlke) bei unbefugter Verbreitung eines Bildes für
zulässig erklärt hat, nicht in Betracht kommen könne, wenn feststehe, daß der
Abgebildete die Verwendung seines Bildes zu Werbezwecken aus
besonderen Gründen niemals gestattet hätte.
139
11
Würden im Streitfall tatsächlich eingetretene Vermögensschäden in Rede
stehen, so wäre dieser Revisionsangriff nicht begründet. Denn nach ständiger
Rechtsprechung und der in der Rechtslehre vertretenen Auffassung handelt
es sich bei der Anerkennung des Anspruchs auf angemessene Vergütung
nicht um die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen des
Schadensersatzrechtes, sondern um ihre gewohnheitsrechtliche Ergänzung
für den Fall der Verletzung von vermögenswerten Ausschließlichkeitsrechten,
die auf die Billigkeitserwägung beruht, daß der Verletzer durch die Verletzung
nicht besser gestellt sein soll, als er im Falle einer ordnungsgemäß
nachgesuchten Erlaubnis gestanden hätte. Der Anspruch auf angemessene
Vergütung ist deshalb in allen Fällen eines unerlaubten Eingriffs in
Ausschließlichkeitsrechte gegeben, wenn die Erlaubnis üblicherweise von der
Zahlung eines Entgelts abhängig gemacht wird und der Eingriff demgemäß
nach den Gepflogenheiten des täglichen Lebens bei der Art des verletzten
Rechts - wenn überhaupt - nur gegen eine Vergütung gestattet wird (BGHZ
20, 345, 353ff). Es ist keineswegs erforderlich, daß ein Vertrag bei
einwandfreiem Verhalten des Verletzers tatsächlich zustandegekommen wäre
(vgl auch Ulmer, Urheber- und Verlags*-recht S 307).
12
2. Der Revision ist indessen darin beizutreten, daß das Berufungsgericht
durch die von ihm gewählte Berechnungsmethode in Wahrheit nicht die
wirtschaftliche Einbuße des Klägers zu ermitteln versucht hat, vielmehr die
Vergütung nach der ideellen Beeinträchtigung des Klägers bemessen hat.
Insbesondere die Begründung des Berufungsurteils für die Höhe des dem
Kläger entstandenen Schadens zeigt, wie die nachfolgenden Erörterungen
ergeben werden, daß auch nach Ansicht des Berufungsgerichts der Kläger
tatsächlich einen irgendwie faßbaren Vermögensschaden nicht erlitten hat. In
Wahrheit verlangt er nicht Ersatz eines gar nicht vorhandenen
Vermögensschadens, sondern begehrt eine fühlbare Genugtuung für einen
widerrechtlichen Eingriff in seine durch § 22 KunstUrhG, Art 1 und 2
Grundgesetz geschützte Persönlichkeitssphäre. Er begehrt Genugtuung dafür,
daß ihn das weitverbreitete Plakat, indem es ihn ohne sein Wissen in der
Pose des Herrenreiters für das - auch sexuelle - Kräftigungsmittel der
Beklagten werben, man könnte fast sagen: reiten ließ, in eine weithin
demütigende und lächerliche Lage gebracht hat. Bei einer solchen
Fallgestaltung ist es aber in der Tat sinnwidrig, einen
Schadensersatzanspruch auf Grund der Fiktion eines abgeschlossenen
Lizenzvertrages zuzubilligen. Diese Art der Schadensberechnung kommt nur
in Betracht, wenn davon ausgegangen werden kann, daß ein
Vermögensschaden irgendwelcher Art zugefügt worden ist und nur der
oftmals schwierige Nachweis der Höhe dieses Schadens erleichtert werden
soll. Sie versagt, wenn eine Beeinträchtigung vermögensrechtlicher Belange
überhaupt nicht in Frage steht. Sie versagt im vorliegenden Falle auch um
deswillen, weil sie dem Kläger ein Verhalten unterstellen müßte, das er - und
nicht nur er, sondern auch alle anderen in der gleichen beruflichen und
gesellschaftlichen Stellung befindlichen Personen - als kränkend und als
erneute Persönlichkeitsminderung empfinden müßten. Sie müßte unterstellen,
140
daß der Kläger sich für viel Geld doch freiwillig in die unwürdige Lage
gebracht hätte, gegen die er sich nun wehrt.
13
Dem Klaganspruch kann deshalb nicht auf Grund der vom Berufungsgericht
gewählten Berechnungsmethode mit Hilfe der Fiktion einer entgangenen
Lizenzgebühr stattgegeben werden.
14
3. Auch eine Klagebegründung aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten
Bereicherung verbietet sich im Hinblick darauf, daß der Kläger eine
vermögensrechtliche Benachteiligung nicht erfahren hat und demzufolge auch
eine Vermögensverschiebung als Voraussetzung der in §§ 812ff BGB
normierten Ansprüche nicht gegeben ist.
15
4. Versagt hiernach die Art der Schadensberechnung, die das
Berufungsgericht seinen Feststellungen über die Schadenshöhe zugrunde
gelegt hat und erweist sich, daß dem Kläger in Wahrheit kein
vermögensrechtlicher Schaden entstanden ist, so geht die entscheidende
Frage dahin, ob der Kläger Ersatz des immateriellen Schadens verlangen
kann, der sich für ihn aus der mit der Abbildung seiner Person auf den
Werbeplakaten verbundenen Beeinträchtigung seiner Persönlichkeit ergeben
hat. Für den vorliegenden Sachverhalt bejaht der Senat diese Frage.
16
Bereits in der Entscheidung BGHZ 13, 334, 338 hat der Senat
ausgesprochen, daß die durch das Grundgesetz Art 1, 2 geschützte
Unantastbarkeit der Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit auch als bürgerlichrechtliches, von jedem im
Privatrechtsverkehr zu achtendes Recht anzuerkennen ist, soweit dieses
Recht nicht die Rechte anderer verletzt oder gegen die verfassungsmäßige
Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Diesem sog allgemeinen
Persönlichkeitsrecht kommt mithin auch innerhalb der Zivilrechtsordnung
Rechtsgeltung zu und es genießt als "sonstiges Recht" den Schutz des § 823
Abs 1 BGB (vgl auch BGHZ 24, 12ff).
17
Die Art 1 und 2 des Grundgesetzes schützen, und zwar mit bindender
Wirkung auch für die Rechtsprechung, das, was man die menschliche
Personhaftigkeit nennt; ja sie erkennen in ihr einen der übergesetzlichen
Grundwerte der Rechtsordnung an. Sie schützen damit unmittelbar jenen
inneren Persönlichkeitsbereich, der grundsätzlich nur der freien und
eigenverantwortlichen Selbstbestimmung des Einzelnen untersteht und
dessen Verletzung rechtlich dadurch gekennzeichnet ist, daß sie in erster
Linie sogenannte immaterielle Schäden, Schäden, die sich in einer
141
Persönlichkeitsminderung ausdrücken, erzeugt. Diesen Bereich zu achten und
nicht unbefugt in ihn einzudringen, ist ein rechtliches Gebot, das sich aus dem
Grundgesetz selbst ergibt. Ebenso folgt aus dem Grundgesetz die
Notwendigkeit, bei Verletzung dieses Bereiches Schutz gegen die der
Verletzung wesenseigentümlichen Schäden zu gewähren.
18
Auf dem begrenzten Gebiet des Bildnisschutzes ist dies von dem
Gesetzgeber übrigens bereits lange vor Inkrafttreten des Bonner
Grundgesetzes und zu einer Zeit, als man das bürgerlichrechtlich zu
schützende allgemeine Persönlichkeitsrecht noch nicht anerkannte, durch die
Sonderregelung der §§ 22ff des Kunstschutzgesetzes aus dem Jahre 1907
ausdrücklich festgelegt worden. Denn wenn nach § 22 KunstUrhG Bildnisse
nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau
gestellt werden dürfen, so beruht dieser Schutz im Kern auf dem Grundsatz
der Freiheit der Person in ihrem höchstpersönlichen Lebensbereich, zu dem
vor allem auch das äußere Erscheinungsbild des Menschen zu rechnen ist.
Die unbefugte Veröffentlichung des Bildes eines Menschen stellt, wie in der
Rechtslehre seit langem anerkannt ist, einen Eingriff in die Freiheit der
Selbstbestimmung und der freien Betätigung der Persönlichkeit dar
(Osterrieth, Das Kunstschutzgesetz, § 22 KunstUrhG). Das Unzulässige der
eigenmächtigen Bildnisveröffentlichung durch einen Dritten liegt darin, daß
damit dem Abgebildeten die Freiheit entzogen wird, auf Grund eigener
Entschließung über dieses Gut seiner Individualsphäre zu verfügen.
19
Würdigt man unter diesem Blickpunkt die die Persönlichkeit beeinträchtigende
Verletzung des Rechts am eigenen Bild, so läßt sich in diesem Bereich für die
Frage, wie die Zubilligung des Ersatzes auch immaterieller Schäden im
einzelnen begründet werden könne, schon an die Regelung anknüpfen, die §
847 BGB für den Fall der "Freiheitsentziehung" trifft und kraft deren er dem
Verletzten auch wegen eines nicht vermögensrechtlichen Schadens eine
billige Entschädigung in Geld gewährt. Zwar versteht das Bürgerliche
Gesetzbuch hier unter Freiheitsentziehung die Entziehung der körperlichen
Bewegungsfreiheit sowie die Nötigung zu einer Handlung durch Gewalt oder
Bedrohung (BGB-RGRK § 823 Anm 7), während es sich bei dem Tatbestand
des § 22 KunstUrhG um eine Freiheitsberaubung im Bereich
eigenverantwortlicher Willensentschließung handelt. Bereits vor dem
Inkrafttreten des Grundgesetzes ist jedoch schon mehrfach die Ansicht
vertreten worden, daß als Freiheitsverletzung im Sinne des § 847 BGB jeder
Eingriff in die ungestörte Willensbetätigung anzusehen sei (vgl ua Staudinger,
Anm II A 2c zu § 823 BGB). Nachdem nunmehr das Grundgesetz einen
umfassenden Schutz der Persönlichkeit garantiert und die Würde des
Menschen sowie das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit als einen
Grundwert der Rechtsordnung anerkannt und damit die Auffassung des
ursprünglichen Gesetzgebers des Bürgerlichen Gesetzbuches, es gäbe kein
bürgerlichrechtlich zu schützendes allgemeines Persönlichkeitsrecht,
berichtigt hat und da ein Schutz der "inneren Freiheit" ohne das Recht auf
Ersatz auch immaterieller Schäden weitgehend unwirksam wäre, würde es
142
eine nicht erträgliche Mißachtung dieses Rechts darstellen, wollte man
demjenigen, der in der Freiheit der Selbstentschließung über seinen
persönlichen Lebensbereich verletzt ist, einen Anspruch auf Ersatz des
hierdurch hervorgerufenen immateriellen Schadens versagen. Begründet die
schuldhafte Entziehung der körperlichen Freiheit einen Anspruch auf Ersatz
des ideellen Schadens, so ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der es hindern
könnte, die in § 847 BGB getroffene Regelung im Wege der Analogie auch auf
solche Eingriffe zu erstrecken, die das Recht der freien Willensbetätigung
verletzen, zumal auch bei dieser Freiheitsberaubung "im Geistigen" in gleicher
Weise wie bei der körperlichen Freiheitsberaubung in der Regel eine
Naturalherstellung ausgeschlossen ist. Bei Beeinträchtigungen der
vorliegenden Art, durch die in den natürlichen Herrschafts- und Freiheits*raum des Einzelnen unter schuldhafter Verletzung seines
Persönlichkeitsrechtes eingegriffen wird, kann der nach dem Grundgesetz
gebotene wirksame Rechtsschutz, solange es an einer gesetzlichen
Sonderregelung fehlt, tatsächlich nur durch ihre Einbeziehung in die in § 847
BGB angeführten Verletzungstatbestände erzielt werden, weil ihre
Schadensfolgen auf Grund der Natur des angegriffenen Rechtsgutes
zwangsläufig in erster Linie auf immateriellem Gebiet liegen.
20
Die Bestimmung des § 35 KunstUrhG steht dieser Annahme nicht entgegen.
Zwar kann der Verletzte nach dieser Vorschrift nur im Strafverfahren und unter
der Voraussetzung, daß der Verletzte vorsätzlich gehandelt hat, wegen einer
Verletzung seines Rechtes am eigenen Bild eine Buße fordern, mithin auch
einen immateriellen Schaden ersetzt verlangen. Diese Sonderregelung
erweist indessen nur, daß der Gesetzgeber bereits im Jahre 1907 eine
Verletzung des § 22 KunstUrhG für so einschneidend und bedrohlich
angesehen hat, daß er es für geboten erachtet hat, dem Verletzten
ausdrücklich auch einen Anspruch wegen des eingetretenen ideellen
Schadens zu gewähren. Die Beschränkung des strafrechtlichen
Bußanspruchs auf vorsätzliche Verletzungen steht im Einklang damit, daß der
Gesetzgeber die Strafandrohung wegen einer Verletzung der Bestimmungen
über den Bildnisschutz auf vorsätzliche Verstöße begrenzt hat. Dies zwingt
aber keineswegs zu der Folgerung, daß das Gleiche auch für die
zivilrechtlichen Ersatzansprüche, die im Kunstschutzgesetz überhaupt nicht
geregelt sind, gelten müsse. Im Gegenteil. Da das Grundgesetz nunmehr das
auch bürgerlichrechtlich bedeutsame allgemeine Persönlichkeitsrecht
anerkannt und ihm allgemein einen erheblich über die enge Regelung des §
35 KunstUrhG hinausgehenden auch bürgerlich-rechtlichen Schutz gewährt
hat, kann aus der Sonderbestimmung des § 35 KunstUrhG nichts mehr gegen
einen weitergehenden, bürgerlichrechtlichen Schutz des Rechtes am eigenen
Bild hergeleitet werden. Insoweit greifen vielmehr jetzt die allgemeinen
Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über unerlaubte Handlungen ein.
Das aber bedeutet, daß auf dem zivilrechtlichen Sektor jede schuldhafte
Verletzung des Rechtes am eigenen Bilde in analoger Anwendung von § 847
BGB, wie sie aus den dargelegten Gründen jedenfalls nach Inkrafttreten des
Bonner Grundgesetzes geboten erscheint, die Verpflichtung zum Ersatz auch
immaterieller Schäden auslöst.
143
21
Soweit der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsgericht in
der Dahlke-Entscheidung (BGHZ 20, 345, 352ff) ausgeführt hat, daß ein
immaterieller Schaden nicht zu einem Geldersatzanspruch führen könne,
wenn kein Fall vorliege, in dem das Gesetz den Anspruch eigens darauf
erstrecke, wird dies nach Maßgabe der vorstehenden Erörterungen nicht
aufrechterhalten. Dieser Ausspruch hatte im übrigen für die damalige
Entscheidung keine tragende Bedeutung, da bei dem dort zu entscheidenden
Tatbestand ein Vermögensschaden in Frage stand, der auf der Grundlage der
üblichen Lizenzgebühr berechnet werden konnte.
22
III. Die Höhe der an den Kläger als Schadensersatz zu zahlenden Vergütung
hat das Berufungsgericht auf 10.000 DM geschätzt. Wenngleich es bei dieser
Schätzung von der Möglichkeit einer Schadensberechnung nach der
angemessenen Vergütung ausgegangen ist, die im Falle eines
Vertragsabschlusses zu den üblichen Bedingungen zu zahlen gewesen wäre,
treffen die vom Berufungsgericht insoweit angestellten Erwägungen in vollem
Umfange auch auf die bei der Bemessung der Höhe einer billigen
Geldentschädigung (§ 847 BGB) zu berücksichtigenden Umstände zu. Sie
zeigen darüber hinaus, daß auch das Berufungsgericht in Wahrheit dem
Kläger eine Entschädigung für den ihm entstandenen immateriellen Schaden
zugesprochen hat.
23
Wie der Große Zivilsenat in seinem Beschluß vom 6. Juli 1955 (BGHZ 18,
149) ausgeführt hat, kommt dem Anspruch auf "Schmerzensgeld" die Funktion
zu, dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen
Schäden, diejenige Lebens- (oder Persönlichkeits-)*- Minderung zu bieten, die
nicht vermögensrechtlicher Art sind. Zugleich trägt er aber auch dem
Gedanken Rechnung, daß der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung für
das schuldet, was er ihm angetan hat. In dem Beschluß wird betont, daß
gerade der Genugtuungsfunktion, die aus der Regelung der Entschädigung für
immateriellen Schaden gar nicht wegzudenken sei, ihre besondere Bedeutung
zukomme, im übrigen aber bei der Festsetzung der Entschädigung
grundsätzlich alle in Betracht kommenden Umstände des Falles berücksichtigt
werden dürften. Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat auch für
den vorliegenden Fall an. Geht man hiervon aus, so ergibt sich, daß das
Berufungsgericht alle insoweit maßgebenden Umstände für die Bemessung
der Schadenshöhe rechtsfehlerfrei berücksichtigt hat. Das Berufungsgericht
hat insbesondere ausgeführt, schon die Tatsache, daß der Kläger überhaupt
nicht bereit gewesen sei, an irgend einer Reklame mitzuwirken, müsse sich
auf die Höhe der zu zahlenden Entschädigung maßgeblich auswirken. Als
besonders schwerwiegend hat es angesehen, daß es sich um eine Werbung
für ein als Sexualkräftigungsmittel geltendes Präparat gehandelt habe, bei
dem ein Vergleich mit der Werbung für andere Erzeugnisse gar nicht möglich
sei. Mit Recht hat das Berufungsgericht hervorgehoben, es sei
unwahrscheinlich, daß Personen, die Gefahr liefern, für dieses Mittel auf
144
einem Werbeplakat von einem größeren oder kleineren Personenkreis erkannt
zu werden, ihr Bild für diese Reklame zur Verfügung stellen würden, da sie
sich dann den Anspielungen aussetzten, zu denen das Präparat der
Beklagten Anlaß gebe. Das Berufungsgericht hat darüberhinaus auch die
gesellschaftliche Stellung des Klägers in Betracht gezogen und seine guten
wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigt. Auch hat es darauf verwiesen,
daß sich der Kläger in einer Gesellschaftsschicht bewege, deren Mitglieder
überwiegend miteinander bekannt seien und daher die Gefahr, sich lächerlich
zu machen, besonders groß sei. Wenn das Berufungsgericht unter
Berücksichtigung und Würdigung aller dieser für die Höhe eines
Schmerzensgeldes maßgeblichen besonderen Umstände den von ihm
geschätzten Schadensbetrag von 10.000 DM als angemessene
Entschädigung (§ 287 ZPO) angesehen hat, so ist hierin ein Verstoß gegen
Rechtsregeln nicht zu erkennen.
Bei der Bemessung einer Geldentschädigung, die im Fall einer schweren Verletzung
des Persönlichkeitsrechts zu zahlen ist, kommt dem Präventionsgedanken
besondere Bedeutung zu:
BGH NJW 1996, 984:
Tatbestand:
1
Die Klägerin, Caroline von Monaco, verlangt von der Beklagten, in deren
Verlag u.a. die Wochenzeitschriften "frau aktuell" und "NEUE WELT"
erscheinen, die Veröffentlichung einer Richtigstellung und Zahlung einer
Geldentschädigung.
2
Die beiden Wochenzeitschriften berichteten in ihren Ausgaben vom 19.
Januar 1994 auf den Titelblättern und im Innern der Hefte über die Klägerin.
Die Schlagzeile des Titelblatts von "frau aktuell" lautete "Caroline - Tapfer
kämpft sie gegen Brustkrebs", auf der Titelseite von "NEUE WELT" heißt es
neben der Abbildung der Klägerin "Hilfe für Millionen Frauen - CAROLINE Kampf gegen Brustkrebs". Im Innenteil der Zeitschriften wird darüber berichtet,
daß sich die Klägerin, die unstreitig selbst nicht an Brustkrebs erkrankt ist, für
Vorsorgeuntersuchungen zur Erkennung von Brustkrebs einsetzt.
3
Die Klägerin erblickt in den Veröffentlichungen auf den Titelseiten eine
Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Auf ein Aufforderungsschreiben hat
sich die Beklagte hinsichtlich der Veröffentlichung auf dem Titelblatt von "frau
aktuell" zur Unterlassung und zum Abdruck einer Widerrufserklärung
verpflichtet sowie einen Betrag von 10.000 DM an die Klägerin gezahlt;
bezüglich der Veröffentlichung auf der Titelseite der "NEUE WELT" wurde der
Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung die Verbreitung der Äußerung
"CAROLINE - Kampf gegen Brustkrebs" untersagt.
145
4
Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin eine Richtigstellung verlangt, mit
der in einer bestimmten Schriftart und Schriftgröße auf der Titelseite der
"NEUE WELT" klargestellt wird, daß der durch die Veröffentlichung auf dem
Titelblatt der Ausgabe vom 19. Januar 1994 erweckte Eindruck, sie sei an
Brustkrebs erkrankt, unrichtig ist. Ferner hat die Klägerin die Verurteilung der
Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung begehrt, die für jede der
beiden Veröffentlichungen 50.000 DM - für die Veröffentlichung in "frau
aktuell" abzüglich der gezahlten 10.000 DM - betragen soll.
5
Das Landgericht hat dem Richtigstellungsanspruch (mit Abstrichen bei der
verlangten Buchstabengröße) stattgegeben und der Klägerin eine
Geldentschädigung von 15.000 DM wegen der Titelveröffentlichung in "frau
aktuell" (abzüglich der vorgerichtlich gezahlten 10.000 DM) und 5.000 DM
wegen der Titelveröffentlichung in "NEUE WELT" zuerkannt.
6
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt; die Beklagte
hat ihren Klageabweisungsantrag und die Klägerin hat ihren Anspruch auf
eine Geldentschädigung in der geltend gemachten Höhe weiterverfolgt. Die
Rechtsmittel beider Parteien sind ohne Erfolg geblieben.
7
Mit ihrer Revision greift die Klägerin das Berufungsurteil an, soweit zu ihrem
Nachteil erkannt worden ist. Die Beklagte erstrebt mit ihrer (unselbständigen)
Anschlußrevision weiterhin die Abweisung der Klage. Der Senat hat die
Revision der Klägerin angenommen und die Anschlußrevision der Beklagten
nicht angenommen.
Entscheidungsgründe
I.
8
Das Berufungsgericht hält den Richtigstellungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1,
1004 Abs. 1 BGB für begründet; nach seiner Auffassung kann kein ernsthafter
Zweifel daran bestehen, daß die verbreitete Äußerung zumindest einem
erheblichen Teil der Leser den Eindruck vermittelt, die Klägerin habe
Brustkrebs. Durch die beanstandeten Veröffentlichungen werde die Klägerin
so schwer in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, daß ihr trotz der
Richtigstellungen und der schon geleisteten Zahlung von 10.000 DM aus §§
823, 847 BGB ein Anspruch auf Schmerzensgeld zustehe. Es sei grob
fahrlässig gewesen, derartig mißverständlich formulierte Schlagzeilen auf den
Titelblättern zu verwenden. Dabei werde die Intensität der
146
Persönlichkeitsrechtsverletzung noch durch die hohe Auflage der beiden
Zeitschriften gesteigert. Allerdings könne die Klägerin kein höheres
Schmerzensgeld verlangen, als es ihr das Landgericht zuerkannt habe. Ein
höherer Betrag gehe über die für ein Schmerzensgeld maßgebliche
Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion hinaus; Gedanken der
Gewinnabschöpfung und Strafsanktion könnten für die Bemessung eines
Schmerzensgeldes bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht zum
Tragen kommen.
II.
9
Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe der Geldentschädigung
halten den Angriffen der Revision nicht stand. Sie werden den Besonderheiten
des vorliegenden Falles nicht gerecht.
10
1. Allerdings geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß die
Klägerin wegen der Schlagzeilen auf den beiden Titelblättern von der
Beklagten eine Geldentschädigung verlangen kann. Das Berufungsgericht trifft
jedoch mit seinen Erwägungen zur Höhe dieses Anspruchs nicht den
entscheidenden rechtlichen Gesichtspunkt.
11
Die Klägerin hat durch diese Veröffentlichungen eine schwere Verletzung
ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts erlitten. Angaben über den
Gesundheitszustand eines Menschen betreffen die durch Art. 1 Abs. 1 und 2
Abs. 1 GG geschützte Privatsphäre (vgl. BVerfGE 32, 373, 379 f); das gilt, wie
das Berufungsgericht mit Recht ausführt, erst recht für Angaben über eine so
tückische und lebensbedrohende Erkrankung wie Brustkrebs. In
tatrichterlicher Würdigung, die Rechtsfehler nicht erkennen läßt, ist das
Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die mißverständnisträchtige
Formulierung der Schlagzeilen auf den Titelblättern auf einer groben
Pflichtverletzung der Verantwortlichen auf Seiten der Beklagten beruht.
Darüber hinaus erhält der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin, wie
das Berufungsgericht gleichfalls zutreffend erkennt, sein besonderes Gewicht
durch die hohe Auflage der beiden Zeitschriften. Eine Rechtsverletzung dieses
Schweregrades rechtfertigt einen Anspruch des Opfers auf
Geldentschädigung.
12
Das Berufungsgericht verfehlt indes den entscheidenden rechtlichen
Ansatzpunkt, wenn es sich für die Bestimmung der Höhe dieser
Geldentschädigung an den in BGHZ 18, 149 ff. für die
Schmerzensgeldbemessung entwickelten Grundsätzen der Ausgleichs- und
Genugtuungsfunktion orientiert. Zwar hat der Bundesgerichtshof den
Anspruch auf Geldentschädigung in den Fällen einer schweren Verletzung
147
des Persönlichkeitsrechts im Jahre 1958 zunächst aus einer Analogie zu §
847 BGB hergeleitet (BGHZ 26, 349, 356). Diese Begründung ist jedoch
längst aufgegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat in der sog. SorayaEntscheidung aus dem Jahre 1973 die rechtliche Grundlage für einen solchen
Geldleistungsanspruch in Art. 1 und 2 GG erblickt (BVerfGE 34, 269, 292). In
Parallele hierzu geht der Bundesgerichtshof davon aus, daß es sich bei dem
Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts nicht um ein Schmerzensgeld nach § 847 BGB, sondern
um ein Recht handelt, das auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG
zurückgeht (vgl. etwa Senatsurteil vom 22. Januar 1985 - VI ZR 28/83 - VersR
1985, 391, 393; zuletzt Senatsurteil vom 15. November 1994 - VI ZR 56/94 VersR 1995, 305, 309 = NJW 1995, 861, 864 f., zum Abdruck in BGHZ 128, 1
ff. vorgesehen).
13
Die Herleitung dieses Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 und 2
GG hat Folgen für seine Höhe (vgl. hierzu BGB-RGRK/Dunz, 12. Aufl., Anh. I
zu § 823 Rdnrn. 141 ff.). Die Zubilligung einer Geldentschädigung im Fall
einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung beruht auf dem Gedanken,
daß ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des
Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, daß der Rechtsschutz
der Persönlichkeit verkümmern würde. Bei dieser Entschädigung steht anders als beim Schmerzensgeld - regelmäßig der Gesichtspunkt der
Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll sie der Prävention
dienen (vgl. Senatsurteil vom 15. November 1994 - VI ZR 56/94 aaO. m.w.N.).
14
Dies bedeutet, daß hier der Ausgleichsgedanke, auf den sich das
Berufungsgericht bei der Bemessung der Geldentschädigung maßgeblich
gestützt hat, zugunsten des Präventionsgedankens in den Hintergrund treten
muß (vgl. BGB- RGRK/Dunz, aaO.).
15
2. Ferner tragen die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe der
Geldentschädigung nicht hinreichend den Besonderheiten Rechnung, die der
Persönlichkeitsrechtsverletzung im vorliegenden Fall das Gepräge geben.
16
In dem - allerdings erst nach der Verkündung des Berufungsurteils erlassenen
- Senatsurteil vom 15. November 1994 (VI ZR 56/94 - aaO.), in dem es
gleichfalls um Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der
Klägerin durch Veröffentlichungen in Zeitschriften ging, hat der Senat
ausgeführt, daß in Fällen der vorliegenden Art besonders in Betracht zu
ziehen ist, daß der Schädiger die Verletzung der Persönlichkeit seines Opfers
als Mittel zur Auflagensteigerung und damit zur Verfolgung eigener
kommerzieller Interessen eingesetzt hat. Im Streitfall wäre die Klägerin
ebenso wie im damals entschiedenen Fall ohne eine für die Beklagte fühlbare
148
Geldentschädigung einer rücksichtslosen Zwangskommerzialisierung ihrer
Persönlichkeit weitgehend schutzlos ausgeliefert. "Fühlbar" in diesem Sinne
ist eine Geldentschädigung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
aber nicht schon dann, wenn sie in der der Klägerin zuerkannten Höhe
unmittelbar den Gewinn der Beklagten schmälert, vielmehr ist sie erst dann
geeignet, den aus dem Persönlichkeitsrecht des Opfers heraus gebotenen
Präventionszweck zu erreichen, wenn sie der Höhe nach ein Gegenstück
auch dazu bildet, daß hier das Persönlichkeitsrecht zum Zwecke der
Gewinnerzielung verletzt worden ist. Das bedeutet zwar, wie das
Berufungsgericht insoweit zu Recht ausführt, nicht, daß eine
"Gewinnabschöpfung" vorzunehmen ist, wohl aber, daß - und insoweit
entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - im Fall einer
rücksichtslosen Vermarktung einer Persönlichkeit wie hier die Erzielung von
Gewinnen aus der Rechtsverletzung als Bemessungsfaktor in die
Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung mit einzubeziehen ist. In
solchen Fällen muß von der Höhe der Geldentschädigung ein echter
Hemmungseffekt ausgehen; als weiterer Bemessungsfaktor kann die
Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung berücksichtigt werden.
Vorstellungen zur Höhe der Entschädigung, wie sie die Klägerin in ihren
Anträgen zum Ausdruck gebracht hat, sprengen nicht den Rahmen dessen,
was zu einer wirksamen Prävention als angemessen in Betracht kommt.
III.
17
Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben, soweit das Berufungsgericht
den Anspruch der Klägerin auf eine höhere Geldentschädigung abgewiesen
hat. Das Berufungsgericht erhält damit Gelegenheit, über die Höhe dieses
Anspruchs im Lichte der vorstehenden Erwägungen erneut zu entscheiden.
Diese Entscheidung ist in erster Linie Sache des Tatrichters (vgl. Senatsurteil
vom 15. November 1994 - VI ZR 56/94 - aaO.).
5. Verkehrspflichten:
a) Begriff
Früher und häufig auch heute: Verkehrssicherungspflichten genannt (historischer
Anknüpfungspunkt waren Maßnahmen zur Sicherung von Straßen, Wegen, Plätzen).
Wer eine Gefahrenquelle schafft oder in seinem Verantwortungsbereich andauern
lässt, muss die erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine
Schädigung Dritter durch Gefahrverwirklichung möglichst zu verhindern. Gemeint
sind nur mittelbare Verletzungen.
b) Einordnung
H.M.: Einordnung in § 823 Abs. 1 BGB (ist also Anspruchsgrundlage), nicht § 823
Abs. 2 BGB (so z. B. von Bar).
für Unterlassungen auf TB-Ebene zu prüfen; mittelbare RG-Verletzungen auf RWEbene. Es gilt die Lehre vom Verhaltensunrecht.
149
Abgrenzung zur Fahrlässigkeit (Verschulden), die im Zivilrecht obj. typisierenden
Maßstab anlegt: Objektive Pflichtwidrigkeit im Tatbestand/RWK; „innere Sorgfalt“
(als objektivierte Erkennbarkeit der Umstände und der Existenz des Verbots) bei
Verschuldensprüfung (h. M.)
Bedeutung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. VSP markieren die Linie
zwischen Handlungsfreiheit und Integritätsschutz. Es sind richterliche
Gefahrsteuerungsgebote. Es geht insgesamt um die Zuweisung von
Schadenslasten, nach einer Mindermeinung ohne Rücksicht auf Fehlverhalten (m. E.
unzutreffend), weil zum Teil kaum zu erfüllende Verhaltensanforderungen aufgestellt
worden sind.
c) Merkmale
- Unterhaltung/Schaffung einer Gefahr
- Erforderlichkeit einer Maßnahme zur Gefahrabwendung
- Zumutbarkeit der Maßnahme
- Verletzung durch Tun oder Unterlassung
- Geschützte Interessen: § 823 Abs. 1 BGB!
- Verschulden (Verletzung der inneren Sorgfalt wird durch Verletzung der
äußeren Sorgfalt (= Pflichtverletzung) „indiziert“.
d) Fallgruppen
- Systematisierung durch Vielzahl von topoi vorgenommen
Gebräuchlich ist Zweiteilung:
VSP richten sich einerseits auf die Kontrolle von Gefahrenquellen, andererseits auf
die Fürsorge für bestimmte Rechtsgüter Dritter (parallel im Strafrecht,
Überwachungsgaranten, Beschützergaranten)
Sicherungspflichten von Gefahrenquellen durch Gegenstände bzw. gefährliches
Verhalten (umfasst auch Ingerenz) lässt sich aufteilen in
- Verkehrssicherungspflichten im eigentlichen Sinn bei gegenständlichen
Gefahrenquellen
Grund der Haftung: Bestimmungsgewalt des Inhabers über eigenen; Möglichkeit,
Vorteile aus der Gefahrenquelle zu ziehen
Verkehrseröffnung als Schaffung der Gefahrenquelle, mittlerweile steht
Einstandspflicht für räumlich-gegenständlichen Bereich im Vordergrund
- Gefährliches Verhalten generiert Sicherungspflichten
- In-Verkehr-Bringen von Gegenständen (Produkthaftung) dazu später genauer;
- Fürsorgepflichten für Güter bzw. Rechtsgüter anderer
- aus ehelicher oder familiärer Verbundenheit = soziale Nähebeziehung, aus
ausdrücklicher Übernahme der Fürsorge oder auch faktische Übernahme (Nichtigkeit
eines Vertrages spielt daher keine Rolle)
- Straßensicherung
- Wege und Zugänge
- Eisenbahn
- Sportstätten
- Veranstaltungen
- öffentlich zugängliche Plätze, Restaurants,
- Spielplätze (BGHZ 103, 338),
- stillgelegter Grubenstollen (BGH VersR 1985, 781),
- Baustellensicherung und Baggersee (BGH JZ 1999, 249 m. Anm. v. Bar),
- Gefahr zweckwidriger Verwendung (Natronlauge: BGH NJW 1968, 1182),
- (fehlende) Hinweise auf Gefahren
150
- Reiseveranstalter bzgl. Hotel mit „Wasserrutsche“ im Ausland (BGH LMK 2007 Nr.
212027 m. Anm. Spickhoff)
- Brandherd durch brennendes Heu unter Autobahnbrücke (BGH LMK 2007 Nr.
238681 m. Anm. Spickhoff)
- Delegation von Verkehrspflichten möglich; Übernehmender wird dann direkt
deliktspflichtig; allerdings bleibt sekundäre Pflicht des zunächst Verkehrspflichtigen
bestehen, geht auf Auswahl, Instruktion und Überwachung, Frage des Einzelfalls
(str., ob möglich, dafür: BGH, Kriterien: siehe § 831 BGB; strenge Kriterien)
- Schutzbereich der VSP
- Berufsstellung, die gelegentlich als eigene Fallgruppe behandelt wird, fungiert nur
als pflichtenverstärkendes Kriterium.
- Inhalt und Umfang: Ausmaß der gebotenen Gefahrsteuerung hängt von legitimer
Verkehrserwartung aus Perspektive des Geschädigten ab (schutzwürdige
Erwartungshaltung), etwa:
- Art und Ausmaß der drohenden Schäden und Wahrscheinlichkeit des Schadens
- Zustand der angesprochenen Verkehrsteilnehmer (Gebot des Berücksichtigung der
Schwächsten innerhalb einer Gruppe, nicht des Durchschnittsmenschen, z. B. alte
Menschen; Bauarbeiter wissen um Baustellengefahr)
- Grds. ist vom Erwartungshorizont des sich ordnungsgemäß verhaltenden
Verkehrsteilnehmers auszugehen; eigenes unvernünftiges Verhalten soll nicht
zivilrechtlich geschützt werden, sog. Vertrauensgrundsatz (greift z. B. auch ein,
wenn Gefahrenquelle vor sich selbst warnt)
e) Träger der Pflichten
Derjenige, der Gefahrenquelle schafft oder unterhält; tatsächl. Verfügungsgewalt
entscheidend; bei Fürsorgepflicht derjenige, der Fürsorge übernommen hat oder
sonst fürsorgepflichtig ist
-Nebeneinander von Verkehrspflichtigen möglich, z. B. Bauherr u. Architekt,
Entlastung durch Hinweis auf Verkehrspflichtigkeit des anderen nicht möglich
- Verkehrspflichten im Unternehmen: Regelmäßig Einschaltung von Hilfspersonen zu
Erfüllung der Verkehrspflicht, aber: § 823 Abs. 1 BGB (Organisationspflicht, für jur.
Personen teilweise über § 31 BGB analog für Mitarbeiter, die für Verkehrspflichten
zuständig sind, aber keine formale Organstellung inne haben).
6.
Produzentenhaftung
Ausgangspunkt der Produzentenhaftung war BGHZ 51, 91 („Hühnerpest“):
Tatbestand:
1
Die Klägerin, die eine Hühnerfarm betreibt, ließ am 19. November 1963 ihre
Hühner durch den Tierarzt Dr H. gegen Hühnerpest impfen. Einige Tage
danach brach jedoch die Hühnerpest aus. Mehr als 4.000 Hühner verendeten,
über 100 mußten notgeschlachtet werden.
2
151
Die Klägerin nimmt die Beklagte, ein Impfstoffwerk, auf Ersatz ihrer Schäden
in Anspruch. Der Tierarzt hatte für die Impfung den von der Beklagten
hergestellten Impfstoff XY verwendet. Diesen hatte er Anfang November 1963
in 500 ccm-Flaschen von der Beklagten bezogen. Die Flaschen stammten aus
der Charge ALD 210, die die Beklagte am 18. Oktober 1963 im Staatlichen
Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt aM hatte prüfen lassen; dabei war die Charge
freigegeben worden. Anschließend hatte die Beklagte sie in ihrem Betrieb auf
handelsübliche Gefäße abgefüllt. Bei Behältnissen unter 500 ccm geschieht
dies unter luftdichtem Abschluß bei Unterdruck; bei größeren Flaschen ließ es
die Beklagte im offenen Eingußverfahren durchführen, jedoch im
abgeschlossenen Raum bei ultravioletter Bestrahlung.
3
Als Dr H. wenige Tage darauf am 22. November 1963 bei dem Landwirt R. die
Hühner impfte, brach auch dort die Hühnerpest aus. Dasselbe trat Ende
November 1963 bei drei Geflügelzüchtern in Württemberg ein, die ihre Hühner
ebenfalls mit dem Impfstoff der Beklagten aus der Charge ALD 210 hatten
impfen lassen. Als daraufhin das Tierärztliche Untersuchungsamt Stuttgart
mehrere Flaschen dieser Charge von der Bundesforschungsanstalt für
Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen untersuchen ließ, wurden in einigen
Flaschen bakterielle Verunreinigungen und noch aktive ND (Newcastle
Disease)-Viren festgestellt, die nicht ausreichend immunisiert worden waren.
Auch das Paul-Ehrlich-Institut stellte fest, daß einige der ihm zur Überprüfung
eingesandten Flaschen unsteril waren und in ihnen ND-Virus nachgewiesen
werden konnte.
4
Die Beklagte hat bestritten, daß der Ausbruch der Hühnerpest auf die
Verwendung ihres Impfstoffes zurückzuführen sei. Jedenfalls könne die
fehlende Sterilität der Flaschen nicht die Ursache gewesen sein. Hierzu hat
sie sich auf das von ihr überreichte Gutachten von Prof Dr E. bei der
Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen berufen. Sie hat für die
Arbeiter und die Leiterin ihrer Virus-Abteilung den Entlastungsbeweis
angetreten.
5
Landgericht und Oberlandesgericht haben den Klageanspruch dem Grunde
nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe:
6
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der in den an Dr H. gelieferten
Flaschen enthaltene Impfstoff durch Bakterien verunreinigt gewesen sei, und
hält für erwiesen, daß der Ausbruch der Hühnerpest hierauf zurückzuführen
sei. Selbst der von der Beklagten zugezogene Gutachter Prof Dr E. vermöge
nicht auszuschließen, daß es zu der Verunreinigung durch eine Fahrlässigkeit
der beim Abfüllen von der Beklagten beschäftigten Personen gekommen sei.
152
Für deren Verschulden müsse sie gemäß § 278 BGB im Verhältnis zu dem
Käufer des Impfstoffes, dem Tierarzt einstehen. Dieser aber sei berechtigt
gewesen, den bei der Klägerin eingetretenen Schaden ersetzt zu verlangen.
Da er seinen Ersatzanspruch an die Klägerin abgetreten habe, sei der
Klageanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt.
7
I. Die Grundsätze über die Drittschadensliquidation können im vorliegenden
Falle nicht angewendet werden.
8
1. Grundsätzlich kann auf Grund eines Vertrages nur der den Ersatz eines
Schadens verlangen, bei dem der Schaden tatsächlich eingetreten ist und
dem er rechtlich zur Last fällt. Tritt der Schaden bei einem Dritten ein, so
haftet ihm der Schädiger - von besonderen Ausnahmen abgesehen (vgl § 618
Abs 3 mit §§ 844, 845 BGB) - nur nach Deliktsrecht. Diese Unterscheidung
zwischen begünstigter Vertragshaftung und begrenzter Deliktshaftung gehört
zum System des geltenden Haftungsrechts und ist nicht nur ein theoretisches
Dogma. Nur in besonderen Fällen hat die Rechtsprechung Ausnahmen
zugelassen, nämlich dann, wenn das durch den Vertrag geschützte Interesse
infolge besonderer Rechtsbeziehungen zwischen dem aus dem Vertrag
berechtigten Gläubiger und dem Träger des Interesses dergestalt auf den
Dritten "verlagert" ist, daß der Schaden rechtlich ihn und nicht den Gläubiger
trifft. Daraus darf der Schädiger keinen Vorteil zum Nachteil des Dritten
ziehen: er muß dem Gläubiger den Drittschaden ersetzen. Das gilt - von den
seltenen Fällen einer "Gefahrenentlastung" abgesehen (BGHZ 40, 91, 100) dann, wenn der Gläubiger für Rechnung des Dritten kontrahiert hatte (BGHZ
25, 250, 258) oder wenn die Sache, deren Obhut der Schuldner versprochen
hatte, nicht dem Gläubiger, sondern dem Dritten gehörte (BGHZ 15, 224).
9
a) Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Eine "Interessenverknüpfung"
kraft mittelbarer Stellvertretung kommt nicht in Betracht. Dr H. hatte den
Impfstoff nicht im Auftrage und nicht für Rechnung der Klägerin gekauft. Als er
ihn bei der Beklagten bestellte und bezog, wußte er noch nicht, bei welchem
Landwirt er ihn anwenden werde. In aller Regel wird ein Tierarzt - wie
durchweg ein Werkunternehmer sein Material - seine Medikamente selbst
dann nicht im Auftrag und für Rechnung eines Patienten oder Auftraggebers
kaufen, wenn er sie zur Ausführung eines ihm schon erteilten
Behandlungsauftrages benötigt. Der dem Urteil des Reichsgerichts DR 1941,
637 = HRR 1941, 225 zugrunde liegende Sachverhalt lag entscheidend
anders.
10
Hier geht es auch nicht um einen der Fälle, in denen die dem Schuldner in
Obhut gegebene Sache nicht dem Vertragsgegner, sondern einem Dritten
gehört. Zwar mag Dr H. eine "Obhutspflicht" bezüglich der Hühner der
153
Klägerin obgelegen haben. Drittschadensliquidation setzt aber voraus, daß die
Obhutspflicht zwischen Gläubiger und Schuldner bestanden hat (BGHZ 40,
101). Das war hier nicht der Fall.
11
b) Von diesen Grundsätzen geht an sich auch das Berufungsgericht aus. Es
ist sich auch dessen bewußt, daß grundsätzlich der Hersteller und Lieferant
einer Ware, die sein Käufer an einen Dritten weiterverkauft hat, nicht schon
auf Grund des Kaufvertrages für Schäden einzustehen braucht, die einem
Dritten entstanden sind (BGHZ 40,104,105). Dennoch glaubt es, im
vorliegenden Fall die Liquidierung des Drittschadens zulassen zu können. Hier
habe die einwandfreie Beschaffenheit des Impfstoffes entscheidend im
Interesse der Klägerin, an deren Hühnern er angewendet wurde, gelegen. Der
Tierarzt habe die Beschaffenheit des Impfstoffes nicht überprüfen können,
sondern sich auf sorgfältige Herstellung durch die Beklagte verlassen müssen.
Diese habe daher davon ausgehen müssen, daß ihre Pflicht zu einwandfreier
Lieferung nicht nur gegenüber dem Tierarzt, sondern gegenüber den
jeweiligen Hühnerhaltern bestanden habe.
12
c) Diese Erwägungen reichen nicht aus, um einen Fall zulässiger
Drittschadensliquidation anzunehmen. Der Bundesgerichtshof hat bereits in
seinem Urteil BGHZ 40, 99ff betont, daß dem durch Mängel der Kaufsache
geschädigten Dritten nicht schon durch eine auf Treu und Glauben gestützte
Auslegung des Kaufvertrages ein aus diesem Vertrag abgeleiteter
Ersatzanspruch gewährt werden kann. Er ist in dieser Entscheidung von dem
Urteil des Reichsgerichts RGZ 170, 246 abgerückt. Auch das
Berufungsgericht hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür festgestellt,
weshalb die Beklagte bereit und willens gewesen sein sollte, ihrem
Vertragsgegner, dem Tierarzt, weitergehende Schadensersatzansprüche
einzuräumen, als sie nach dem gesetzlichen Kaufrecht mußte. Zudem setzt
Drittschadensliquidation voraus, daß nur ein Schaden entstanden ist, der sich,
wäre nicht "zufällig" ein Dritter Träger des geschützten Rechtsgutes, bei dem
Gläubiger ausgewirkt hätte. Von einer solchen "Verlagerung" des Schadens
kann hier nicht gesprochen werden. Dieser ist hier sowohl tatsächlich wie
rechtlich bei der Klägerin eingetreten, während er bei einer echten
Schadensverlagerung tatsächlich, wenn auch nicht rechtlich, beim Gläubiger
eintritt. Er konnte nicht ebensogut beim Tierarzt wie bei den Hühnerhaltern
eintreten, sondern nur bei diesen und nicht, worauf es entscheidend ankommt,
statt beim Tierarzt bei ihnen.
13
Die bisher von der Rechtsprechung zugelassenen Fälle einer
Drittschadensliquidation lassen sich auch nicht um einen Fall der hier
vorliegenden Art erweitern. Andernfalls müßte auch der Hersteller und
Lieferant von Lebens- und Genuß*-mitteln, von Wasch- und Arznei*-mitteln
usw den beim Endverbraucher entstehenden Schaden nicht bloß aus Delikt,
sondern aus Kaufrecht ersetzen. Denn auch er weiß, so wie sein Käufer, der
154
Groß- oder Zwischen- und Einzel*-händler, daß sich etwaige Schäden nicht
beim Händler, sondern erst beim Endabnehmer zeigen werden. Daraus allein
läßt sich aber noch nicht eine vertragliche Haftung des Herstellers gegenüber
dem Endabnehmer ableiten. Die Frage, wie dessen Interessen gewahrt
werden können, ist somit nicht mittels Drittschadensliquidation zu lösen (so
auch Soergel/Ballerstedt, BGB 10. Aufl Bem 43 vor § 459; Esser, Schuldrecht
Bd I 3. Aufl S 297; von Caemmerer, ZHR 1965, 269, 277).
14
2. Das Berufungsgericht hat seine Ansicht auch damit begründet, hier ergebe
sich aus Sinn und Zweck des Vertrages eine Fürsorgepflicht des Herstellers
zugunsten des Dritten. Dies könnte dahin verstanden werden, als wolle das
Berufungsgericht der Klägerin einen Ersatzanspruch aus einem Vertrag mit
Schutzwirkung zugunsten Dritter zubilligen. Auch dem könnte nicht gefolgt
werden.
15
a) Der Bundesgerichtshof hat zwar unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt
unter bestimmten Umständen auch einem am Vertrag nicht beteiligten Dritten
Ersatzansprüche zugebilligt (BGHZ 33, 247, 249 und 49, 350, 351 mit
Nachweisen). Diese Grundsätze können hier jedoch nicht herangezogen
werden.
16
Keineswegs kann schon jeder, der infolge einer Sorgfaltsverletzung des
Schuldners Schaden erlitten hat, einen eigenen Ersatzanspruch aus dem
Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner ableiten (Senatsurteil vom 30.
April 1968 - VI ZR 29/67 -, NJW 1968, 1323). Der Senat hat in seinem Urteil
vom 18. Juni 1968 (VI ZR 120/67, NJW 1968, 1929) erneut darauf
hingewiesen, daß das Gesetz zwischen unmittelbar und mittelbar
Geschädigten unterscheidet und daß die Haftung aus einem Vertrag
grundsätzlich an das Band geknüpft ist, das den Schuldner mit seinem Partner
verbindet (vgl auch BGH Urt v 9. Oktober 1968 - VIII ZR 173/66 -, WM 1968,
1354). Andernfalls besteht die Gefahr, daß der Schuldner das Risiko, das er
bei Abschluß eines Vertrages eingeht, nicht mehr einkalkulieren kann. Daher
wäre es nicht mehr mit den Grundsätzen von Treu und Glauben, aus denen
der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gerade entwickelt worden ist,
zu vereinbaren, wenn der Schuldner für so weitgehende Folgen seiner
Vertragsverletzung haften müßte. Das kann nur dann angenommen werden,
wenn der Gläubiger sozusagen für das Wohl und Wehe des Dritten
mitverantwortlich ist, weil dessen Schädigung auch ihn trifft, indem er ihm
gegenüber zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist. Dieses Innenverhältnis
zwischen dem Gläubiger und einem Dritten, durchweg gekennzeichnet durch
einen personenrechtlichen Einschlag, führt zur Schutzwirkung zugunsten des
Dritten, nicht das Verhältnis zwischen dem Gläubiger und seinem
Vertragspartner. Ein solches Verhältnis liegt bei einem Kauf- oder einem
Werk*-vertrag in aller Regel nicht vor (vgl Larenz, Schuldrecht 9. Aufl II § 37
IV).
155
17
b) Auch im vorliegenden Fall fehlt es an solchen engen Beziehungen
zwischen dem Gläubiger (Tierarzt) und seinen Auftraggebern. (Wird
ausgeführt).
18
II. Wird somit das angefochtene Urteil von der ihm gegebenen Begründung
nicht getragen, so war zu prüfen, ob es sich mit anderer Begründung
aufrechterhalten läßt. Die Klägerin hat ihre Klage nicht nur auf Ansprüche
gestützt, die sie aus dem von Dr H. mit der Beklagten geschlossenen
Kaufvertrag ableiten wollte, sondern sich auch auf die §§ 823ff BGB berufen.
Außerdem hat sie die in letzter Zeit, vor allem auf dem Deutschen Juristentag
1968 (vgl JZ 1968, 714), eingehend erörterte Frage der unmittelbaren Haftung
des Warenherstellers gegenüber dem Endverbraucher ("Produzentenhaftung")
ins Feld geführt (vgl Karlsruher Forum 1963, Beiheft zum VersR: Haftung des
Warenherstellers; Simitis, Grundfragen der Produzentenhaftung, 1965, und
sein Gutachten zum Deutschen Juristentag 1968; vgl auch die Nachweise bei
Weitnauer, NJW 1968, 1593).
19
1. Auch die Befürworter einer weitergehenden Haftung des Produzenten
gehen durchweg davon aus, daß sie sich weder mittels
Drittschadensliquidation noch mittels eines Vertrages mit Schutzwirkung
zugunsten Dritter begründen lasse. Sie wollen dem Verbraucher einen
eigenen, nicht vom Vertrag Käufer-Hersteller abhängigen Ersatzanspruch
gewähren, der sich als "action directe" unmittelbar gegen den Hersteller
richten soll - so wie der vom Gesetz gewährte Ersatzanspruch aus §§ 823ff
BGB. Indes sehen sie diesen Deliktsanspruch nicht mehr als ausreichend und
sachgerecht an, weil er in der Regel reine Vermögensschäden nicht deckt,
und vor allem, weil er dem Produzenten, insbesondere bei bloßen
"Fabrikationsfehlern", die Möglichkeit offenläßt, sich zu entlasten (§ 831 BGB).
20
Der hier zu entscheidende Fall gibt keinen Anlaß zur Prüfung der Frage, ob an
der Rechtsprechung festzuhalten ist, daß sich der Produzent bei
Fabrikationsfehlern auf § 831 BGB berufen kann (dagegen - im Anschluß an
Simitis, Grundfragen S 72, und Gutachten S 51 - der Deutsche Juristentag
1968; siehe aber auch Rehbinder, ZHR 1967, 179/180; Weitnauer, AcP 1967,
290; NJW 1968, 1598; Canaris, JZ 1968, 497) und daß bei solchen Fehlern
nicht prima facie von einem Verschulden des Herstellers ausgegangen
werden könne (Senatsurteil vom 21. April 1956 - VI ZR 36/55 -, VersR 1956,
410). Denn hier steht nicht fest, daß der Impfstoff deshalb reaktivierte Viren
enthielt, weil eine Hilfskraft der Beklagten einen Fehler begangen hat.
Vielmehr kann das auch auf Ursachen beruhen, die im Herstellungs-,
insbesondere im Abfüll*-verfahren der Beklagten liegen. Der vorliegende Fall
nötigt auch nicht dazu, zur Problematik der Produzentenhaftung in vollem
Umfang Stellung zu nehmen. Hier kommt es nur auf das Folgende an.
156
21
a) Der Klageanspruch würde ohne weiteres zuzusprechen sein, wenn der von
Diederichsen (Die Haftung des Warenherstellers, 1967) vertretenen Ansicht
gefolgt werden könnte, daß der Hersteller für jede Art von Fehlern des
Produkts ohne Rücksicht auf Verschulden, also wie bei einer Gefährdungsoder gar Erfolgs*-haftung ("strict liability"), einstehen müsse. Diederichsen
glaubt, dies aus "rechtssoziologischen und rechtstheoretischen Überlegungen"
dem geltenden Recht entnehmen zu können. Es kann jedoch schon
zweifelhaft sein, ob sein Standpunkt rechtspolitisch zu befürworten wäre.
Jedenfalls läßt sich eine Haftung ohne Verschulden mit den Grundsätzen des
geltenden Haftungsrechts nicht vereinbaren. Die in einzelnen Gesetzen
angeordnete Gefährdungshaftung - meist zudem bis zu unterschiedlichen
Höchstgrenzen - auch auf die Produzentenhaftung auszudehnen, ist dem
Richter verwehrt. Vielmehr muß der Gesetzgeber entscheiden, ob und
inwieweit dem Hersteller eine stärker objektivierte Haftung aufzuerlegen ist
(vgl die Begründung des Referentenentwurfs eines Gesetzes über Änderung
und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, 1967, S 102).
22
b) Ebensowenig ist es - von besonders gelagerten Fällen abgesehen (vgl
Lukes, JuS 1968, 347) - rechtlich möglich, dem Endabnehmer dadurch einen
direkten Ersatzanspruch zu gewähren, daß ein zwischen ihm und dem
Produzenten unmittelbar, wenn auch stillschweigend, abgeschlossener
Garantievertrag angenommen wird (so Müller, AcP 1965, 311). Darin, daß der
Produzent seine Ware unter Benennung seiner Urheberschaft, nämlich mit
seinem Etikett, in Originalverpackungen, unter seinem Warenzeichen oder der
von ihm geprägten Bezeichnung (Markenwaren) usw vertreiben läßt, liegt im
allgemeinen noch keine Willenserklärung in dem Sinne, daß er dem
Verbraucher für sorgfältige Herstellung einstehen wolle (vgl RGZ 87, 1;
Schlegelberger/Hefermehl, HGB 4. Aufl Bem 51 vor § 373; Simitis, Gutachten
zum DJT 1968 S 24 mit weiteren Nachweisen). In aller Regel läßt sich sogar
in der Werbung für Markenwaren, die den Endabnehmer in besonders
eindringlicher Weise anspricht, noch keine Zusage finden, für etwaige Mängel
der Ware haften zu wollen (BGHZ 48, 118, 122/123). Das kann auch dann
nicht angenommen werden, wenn es um die, zudem erheblich weitergehende
Frage geht, ob der Hersteller auch einem Endabnehmer seines Produkts
direkt haften wolle (vgl Rehbinder, ZHR 1967, 173; Weitnauer, NJW 1968,
1597).
23
c) Außer Frage steht auch, daß dem Endabnehmer ein Ersatzanspruch nicht
schon aus Verletzung der aus "sozialem Kontakt" angeblich folgenden
Schutzpflichten gewährt werden kann (vgl Lorenz in der Festschrift für
Nattorp, 1961 S 83; Soergel/Schmidt aaO Bem 5 vor § 275). Zwischen
Hersteller und Abnehmer bestehen keine geschäftlichen Beziehungen; sie
sollen auch nicht angebahnt und demnächst abgeschlossen werden. Die
soziologisch gewiß vorhandenen Beziehungen haben rechtlich nicht das
Gewicht, daß aus ihnen Haftungsansprüche kraft rechtlicher
157
Sonderbeziehungen folgten. Das gilt auch für den Versuch von Weimar, die
Haftung des Produzenten aus der Generalklausel des § 242 BGB anzuleiten
(Untersuchungen zum Problem der Produktenhaftung, Basler Studien zur
Rechtswissenschaft Heft 79 S 69ff, und DRiZ 1968, 266).
24
2. Besondere Überlegung verdient der Gedanke, eine auf dem Gesetz
beruhende, aus dem Vertrauensgedanken entwickelte quasikontraktliche
Sonderrechtsbeziehung zwischen Hersteller und Verbraucher anzuerkennen.
In der Tat dürften die Beziehungen, die zwischen dem Käufer eines
schadenstiftenden Produktes und dessen Hersteller vor Eintritt des Schadens
bestanden haben, von engerer Art sein als die, die den Hersteller mit
"jedermann" dann - und erst dann - in Verbindung bringen, wenn dieser durch
sein Produkt zu Schaden kommt. Diesen "Jedermann" auf deliktische
Ansprüche zu verweisen, ist gerecht. Hinsichtlich der Ersatzansprüche eines
Käufers dagegen könnte erwogen werden, sie auch dann aus Vertragsrecht
abzuleiten, wenn er die Ware nicht beim Hersteller direkt, sondern über einen
Händler gekauft hat.
25
a) Von derartigen Sonderrechtsbeziehungen zwischen Hersteller und
Abnehmer der Ware ausgehend hatte zunächst Lorenz (auf dem Karlsruher
Forum 1963) die Ansicht vertreten, der Hersteller müsse für das Vertrauen,
das er mit einem Produkt, verstärkt durch die Werbung, beim Verbraucher
erweckt habe, entsprechend § 122 BGB einstehen. Diesen Gedanken hat der
VIII Zivilsenat des Bundesgerichtshofs am Schluß seines Urteils vom 13. Juli
1963 (BGHZ 40, 91, 108) erwähnt. Er hat damit aber keine Stellung nehmen
wollen. In seinem Urteil BGHZ 48, 118 hat er es abgelehnt, der Werbung
haftungsbegründende Kraft zuzulegen. Daß sie im Ringen um den "König
Kunde" immer umfangreicher und, betriebswirtschaftlich gesehen, immer
bedeutungsvoller geworden ist, besagt noch nicht, daß ihr rechtlich die
Bedeutung einer Haftungszusage zukäme. so versteht sie ein verständiger
Verbraucher auch nicht. Lorenz hat denn auch seinen Gedanken - den vor
allem Markert (BB 1964, 319ff) und Rehbinder (ZHR 1967, 180ff)
aufgenommen hatten - nicht weiterverfolgt (s Kieler Tagung für
Rechtsvergleichung 1965, Heft 28 der Schriftenreihe für Rechtsvergleichung S
51/52).
26
b) Auf dem Grundgedanken von Lorenz bauen die Lösungsversuche auf, die
Haftung des Herstellers aus einem Einstehen für in Anspruch genommenes
und vom Verbraucher gewährtes Vertrauen, entsprechend den für culpa in
contrahendo entwickelten Rechtssätzen, abzuleiten (vgl Rehbinder, BB 1965,
439 und ZHR 1967, 176; Steffen, JR 1968, 287 und vor allem Canaris, JZ
1968, 494).
27
158
Es ist indes zweifelhaft, ob diese Überlegungen tragfähig sein könnten, im
Wege einer Fortbildung des Rechts dem Verbraucher einen Ersatzanspruch
zu gewähren, der, so wie der deliktische Anspruch, nicht ohne weiteres
abbedungen werden könnte, andererseits nicht vom Entlastungsbeweis des §
831 BGB bedroht wäre. Der Senat hat sich schon in seinem Urteil vom 21.
März 1967 (VI ZR 164/65, LM BGB § 276 (Ha) Nr 4) gegen die Versuche
gewandt, die Haftung eines außerhalb des Vertrages stehenden Dritten aus in
Anspruch genommenen Vertrauen zu begründen, und betont, daß damit die
durch den Vertrag gezogene Abgrenzung zwischen schuldrechtlichem und
deliktischem Haftungsbereich in folgenschwerer Weise durchbrochen würde.
Ob die dort gegen eine Haftungsausdehnung bei positiver Vertragsverletzung
ausgesprochenen Bedenken auch gegen die Einbeziehung des Produzenten
in eine vertragsähnliche Haftung sprechen, braucht im vorliegenden Fall nicht
abschließend entschieden zu werden. Auch braucht der Frage nicht
nachgegangen zu werden, wie einem durch das Produkt Geschädigten ein
solcher quasikontraktlicher Anspruch zugesprochen werden soll, wenn er das
Produkt nicht gekauft hatte, sondern bei dessen Benutzung durch ihn selbst
oder durch andere zu Schaden gekommen war. Im vorliegend zu
entscheidenden Fall handelt es sich nicht um hintereinander geschaltete,
rechtlich selbständige Kaufverträge in einer "Absatzkette", bei der der
Verkäufer in der Tat oft der bloße "Verteiler" des Herstellers geworden ist, ein
"Durchgriff" daher naheliegt. Hier stand vielmehr zwischen der Klägerin und
der Beklagten ein Tierarzt, der allein zu entscheiden hatte, welchen Impfstoff
er benutzte. Ihm und nicht einer etwaigen Werbung der Beklagten hatte die
Klägerin ihr Vertrauen gewährt. Sie wäre nicht imstande gewesen, selbst den
Impfstoff bei der Beklagten unmittelbar oder im Handel zukaufen: die Beklagte
durfte ihn nur an den Tierarzt abgeben und nur dieser durfte in anwenden (§
87 Der Ausführungsvorschriften zum Viehseuchengesetz idF v 1. März 1958,
BAnz Nr 45 v 6. März 1958, BGBl III 7831-1-1). Schon deshalb scheidet hier
der Gedanke aus, zwischen den Parteien hätten vertragsähnliche
Beziehungen bestanden. Die Klägerin war nicht "Verbraucherin" des
Impfstoffes, auch nicht dessen "Benutzerin", sondern, rechtlich gesehen, "nur"
die Geschädigte. als solche ist sie aber auf deliktische Ersatzansprüche
beschränkt.
28
III. Nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt sind die
Voraussetzungen des § 823 BGB erfüllt. Der von der Beklagten gelieferte
Impfstoff war fehlerhaft und die Ursache für die Erkrankung der Hühner. Auch
wenn hier, wie oben ausgeführt, die Regeln des Vertragsrechts nicht
anwendbar sind, so muß dennoch davon ausgegangen werden, daß der
Beklagten ein eigenes Verschulden zur Last fällt. Wird jemand bei
bestimmungsgemäßer Verwendung eines Industrieerzeugnisses dadurch an
einem der in § 823 Abs 1 BGB geschützten Rechtsgüter geschädigt, daß
dieses Produkt fehlerhaft hergestellt war, so ist es Sache des Herstellers, die
Vorgänge aufzuklären, die den Fehler verursacht haben, und dabei darzutun,
daß ihn hieran kein Verschulden trifft.
29
159
1. Nicht in Frage steht, daß auch bei der "Produzentenhaftung" der
Geschädigte nachzuweisen hat, daß der Schaden durch einen Fehler des
Produktes verursacht ist. Die Klägerin hatte daher zu beweisen, daß die
Geflügelpest bei ihren Hühnern ausgebrochen ist, weil der Impfstoff von der
Beklagten stammte und bei seiner Auslieferung aktive Viren enthielt.
30
Diesen Beweis hat das Berufungsgericht als erbracht angesehen. (Wird
ausgeführt.)
31
2. Das Berufungsgericht geht bei Prüfung der Frage, worauf es
zurückzuführen ist, daß der Impfstoff unabgetötete Viren enthielt, von der
Tatsache aus, daß sowohl das Paul-Ehrlich-Institut wie die
Bundesforschungsanstalt in den von ihnen untersuchten Flaschen Bakterien
festgestellt haben. Es legt seiner Würdigung im wesentlichen zugrunde, was
Prof Dr E. in seinem Gutachten ausgeführt hatte. Dieser hatte erklärt, mit
hoher Wahrscheinlichkeit sei anzunehmen, daß die Bakterien beim
Abfüllvorgang, nämlich bei dem im Betriebe der Beklagten von Hand
ausgeführten Umschütten des Impfstoffes aus den großen Behältern, in die
Flaschen geraten seien. Schon mehrfach sei beobachtet worden, daß Viren,
die - wie hier - durch Zusatz von Formaldehyd abgetötet worden seien, unter
bestimmten Umständen wieder aktiv geworden seien. Es sei daher möglich,
daß es hier die Bakterien gewesen seien, die eine Reaktivierung der Viren
ausgelöst hätten. Auf Grund dieser Ausführungen des Sachverständigen
glaubt das Berufungsgericht feststellen zu können, daß die bakterielle
Verunreinigung der Flaschen die Ursache der Reaktivierung gewesen sei.
Dazu weist es darauf hin, daß durch den Teil der Charge, der nicht bakteriell
verunreinigt gewesen sei, keine Schäden entstanden seien, während dies bei
den Flaschen der Fall gewesen sei, die von Dr H. und im Kreise Heilbronn
benutzt und in denen anschließend die Bakterien festgestellt wurden. Auch Dr
E. halte es für möglich, daß die Verunreinigung des Impfstoffs "durch
menschliches Versagen" einer der Personen verursacht worden sei, die die
Beklagte beim Abfüllen des Impfstoffs beschäftigt habe.
32
3. Die Revision greift diese Würdigung des Berufungsgerichts an. Ihre Rügen
haben keinen Erfolg.
33
Richtig ist zwar, daß das Berufungsgericht kein Verschulden der Beklagten
selbst als bewiesen angesehen hat. Vielmehr hat es lediglich angenommen,
daß wahrscheinlich eine Hilfsperson den Schaden verschuldet habe. Eine
Haftung der Beklagten gemäß § 278 BGB läßt sich indessen, wie oben
dargetan, nicht aus der Anwendung des Vertragsrechts ableiten. Das nötigt
aber nicht dazu, den Rechtsstreit an den Tatrichter zurückzuverweisen. Denn
160
es war auch dann Sache der Beklagten, sich zu entlasten, wenn die Klägerin
sich nur auf § 823 BGB stützen kann.
34
aa) Dies ergibt sich schon daraus, daß der Ersatzanspruch der Klägerin auch
aus § 823 Abs 2 BGB folgt. Denn die Beklagte hat durch die Auslieferung der
gefährlichen Flaschen mit Impfstoff gegen ein Schutzgesetz verstoßen. Dieser
Impfstoff, ein Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes vom 16. Mai
1961 (§ 3 Abs 3 AMG), war geeignet, bei den Hühnern schädliche, ja tödliche
Wirkungen hervorzurufen. § 6 AMG verbietet es, derartigen Impfstoff in den
Verkehr zu bringen. Diese Vorschrift stellt - nicht anders als der für
gesundheitsschädliche Lebensmittel geltende § 3 LebMG (vgl RGZ 170, 155,
156 zu § 4 LebMG) - ein Gesetz zum Schutz der gefährdeten Menschen oder
Tiere dar. Ist aber ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz bewiesen, so spricht
eine Vermutung dafür, daß dies schuldhaft geschehen ist. Der das
Schutzgesetz Übertretende muß daher Umstände dartun und beweisen, die
geeignet sind, die Annahme seines Verschuldens auszuräumen (Senatsurteil
vom 12. März 1968 - VI ZR 178/66 -, NJW 1968, 1279). Diesen Beweis hat ein
Betriebsinhaber nicht geführt, wenn eine mögliche Ursache ungeklärt
geblieben ist, die in der Sphäre seiner Verantwortlichkeit liegt und ein
schadensursächliches Verschulden enthalten würde (Senatsurteile vom 3.
Januar 1961 - VI ZR 67/60 -, VersR 1961, 231, und vom 4. April 1967 - VI ZR
98/65 -, VersR 1967, 685).
35
bb) Diese Beweislastregelung würde aber auch dann gelten, wenn die
Klägerin ihren Ersatzanspruch allein auf Absatz 1 des § 823 BGB stützen
könnte. Auch dann war es Sache der Beklagten, sich zu entlasten.
36
Zwar hat in aller Regel der Geschädigte, der sich auf § 823 Abs 1 BGB stützt,
nicht nur die Kausalität zwischen seinem Schaden und dem Verhalten des
Schädigers darzutun und notfalls zu beweisen, sondern auch dessen
Verschulden (BGHZ 24, 21, 29). Jedoch hängt die Möglichkeit dieses
Nachweises der subjektiven Voraussetzungen erheblich davon ab, inwieweit
der Geschädigte den objektiven Geschehensablauf in seinen Einzelheiten
aufklären kann. Das aber ist vor allem dann mit besonderen Schwierigkeiten
verknüpft, wenn es um Vorgänge geht, die sich bei der Herstellung des
Produkts im Betriebe abgespielt haben. Die Rechtsprechung ist daher seit
langem dem Geschädigten dadurch zu Hilfe gekommen, daß sie sich mit dem
Nachweis einer Kausalkette begnügt hat, die nach der Lebenserfahrung
zunächst für ein "Organisationsverschulden" des Herstellers spricht. Hierbei
kann jedoch für Schadensersatzansprüche aus "Produzentenhaftung" nicht
stehengeblieben werden. Allzuoft wird der Betriebsinhaber die Möglichkeit
dartun, daß der Fehler des Produkts auch auf eine Weise verursacht worden
sein kann, die den Schluß auf sein Verschulden nicht zuläßt - ein Nachweis,
der zumeist wiederum auf Vorgängen im Betriebe des Schädigers beruht,
daher vom Geschädigten schwer zu widerlegen ist. Infolgedessen kann der
161
Hersteller dann, wenn es um Schäden geht, die aus dem Gefahrenbereich
seines Betriebes erwachsen sind, noch nicht dadurch als entlastet angesehen
werden, daß er Möglichkeiten aufzeigt, nach denen der Fehler des Produkts
auch ohne ein in seinem Organisationsbereich liegendes Verschulden
entstanden sein kann. Dies gebieten in den Fällen der Produzentenhaftung
die schutzbedürftigen Interessen des Geschädigten - gleich ob Endabnehmer,
Benutzer oder Dritter; andererseits erlauben es die schutzwürdigen Interessen
des Produzenten, von ihm den Nachweis seiner Schuldlosigkeit zu verlangen.
37
Diese Beweisregel greift freilich erst ein, wenn der Geschädigte nachgewiesen
hat, daß sein Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des
Herstellers, und zwar durch einen objektiven Mangel oder Zustand der
Verkehrswidrigkeit ausgelöst worden ist. Dieser Beweis wird vom
Geschädigten sogar dann verlangt, wenn er den Schädiger wegen Verletzung
vertraglicher oder vorvertraglicher Schutz- und Neben*-pflichten in Anspruch
nimmt (Senatsurteile vom 26. September 1961 - VI ZR 92/61 -, LM BGB § 276
(Fa) Nr 13 = NJW 1962, 31 und vom 18. Januar 1966 - VI ZR 184/64 -, MDR
1966, 491). Nichts anderes gilt, wenn er den Produzenten wegen Verletzung
der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch nimmt. Hat er aber diesen Beweis
geführt, so ist der Produzent "näher daran", den Sachverhalt aufzuklären und
die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen. Er überblickt die Produktionssphäre,
bestimmt und organisiert den Herstellungsprozeß und die
Auslieferungskontrolle der fertigen Produkte. Oft machen die Größe des
Betriebes, seine komplizierte, verschachtelte, auf Arbeitsteilung beruhende
Organisation, verwickelte technische, chemische oder biologische Vorgänge
und dergleichen es dem Geschädigten praktisch unmöglich, die Ursache des
schadenstiftenden Fehlers aufzuklären. Er vermag daher dem Richter den
Sachverhalt nicht in solcher Weise darzulegen, daß dieser zuverlässig
beurteilen kann, ob der Betriebsleitung ein Versäumnis vorzuwerfen ist oder
ob es sich um einen von einem Arbeiter verschuldeten Fabrikationsfehler, um
einen der immer wieder einmal vorkommenden "Ausreißer" oder gar um einen
"Entwicklungsfehler" gehandelt hat, der nach dem damaligen Stand der
Technik und Wissenschaft unvorhersehbar war. Liegt so aber die Ursache der
Unaufklärbarkeit im Bereich des Produzenten, so gehört sie auch zu seiner
Risikosphäre. Dann ist es sachgerecht und zumutbar, daß ihn das Risiko der
Nichterweislichkeit seiner Schuldlosigkeit trifft.
38
Von solcher Beweisregel ist die Rechtsprechung schon immer bei
vertraglichen oder quasivertraglichen Sonderrechtsbeziehungen zwischen
Geschädigtem (Gläubiger) und Schädiger (Schuldner) ausgegangen (BGHZ
48, 310, 312; BGH LM BGB § 536 Nr 6a = NJW 1964, 34; BGH NJW 1968,
2240). Es ist kein durchgreifender Grund ersichtlich, warum diese Beweisregel
nicht dann für nach Deliktsrecht zu entscheidende Haftungsfälle ebenso
gelten soll, wenn die ihr zugrunde liegenden Erwägungen auch hier zutreffen.
Schon § 831 BGB erlegt dem Geschäftsherrn in bestimmten Beziehungen
einen Entlastungsbeweis auf - ähnliches gilt in den Haftungsfällen der §§ 832,
833, 834 BGB. Vor allem gilt dies in den Fällen der §§ 836ff BGB. Hier
162
verlangt das Gesetz zwar von dem durch den Einsturz eines Gebäudes
Geschädigten den Beweis, daß sein Schaden "die Folge fehlerhafter
Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung" des Gebäudes war, erlegt aber
dem Besitzer usw den Beweis dafür auf, daß er alles getan hat, um die
Gefahren, die von seinem Gebäude ausgehen konnten, abzuwenden. Die in
diesen Vorschriften angeordnete Umkehr der Behauptungs- und Beweis*-last
geht nicht immer davon aus, das Verschulden des Schädigers sei zu
vermuten. Vielmehr beruht sie überwiegend auf dem Gedanken, daß der
Schädiger eher als der Geschädigte in der Lage ist, die für den Vorwurf der
Fahrlässigkeit maßgebenden Vorgänge aufzuklären, daß es daher gerecht
sei, ihn das Risiko einer Unaufklärbarkeit tragen zu lassen. Der Senat hat
schon in seinem Urteil vom 1. April 1953 (VI ZR 77/52, LM ZPO § 286 (C) Nr
12) darauf hingewiesen, vom Kläger könne nicht der für ihn gewöhnlich fast
unmögliche Nachweis verlangt werden, daß die schadenstiftende Sache durch
ein Verschulden des Geschäftsinhabers oder seiner Angestellten in den
Betrieb gekommen sei. Vor allem hat der Senat bereits in seinem Urteil vom
17. Oktober 1967 (VI ZR 70/66, NJW 1968, 247) ausgesprochen, es sei
Sache des Produzenten, sich zu entlasten, wenn der Geschädigte keine
Angaben darüber machen könne, in welchen Einzelpunkten schuldhafte
Pflichtverletzungen der Unternehmensleitung vorgelegen hätten. Die moderne
Entwicklung der Warenproduktion, an der oft nachträglich nur schwer zu
ermittelnde Personen oder Maschinen beteiligt sind und die auf nur noch vom
Fachmann zu durchschauenden und zu kontrollierenden Fertigungsprozessen
beruht, verlangt eine Fortbildung des Beweisrechts in der Richtung, wie sie
das Gesetz in § 836 BGB vorgezeichnet hat (vgl Simitis, Gutachten zum DJT
1968 S 92ff; Stoll in Festschrift für von Hippel, 1967, S 557).
39
Dabei wird es allerdings - so wie bei der für positive Vertragsverletzungen
anerkannten Umkehrung der Beweislast - stets auf die in der jeweiligen
Fallgruppe gegebene Interessenlage ankommen. Die Frage, ob auch dem
Inhaber eines kleineren Betriebes, dessen Herstellungsverfahren
überschaubar und durchsichtig ist (Familien- und Einmann*-betriebe,
landwirtschaftliche Erzeuger und dergleichen), die Übernahme des
Beweisrisikos zugemutet werden kann, bedarf hier keiner Prüfung. In den
Fällen der hier vorliegenden Art ist es jedenfalls Sache des Herstellers, sich
zu entlasten.
40
4. Diesen Entlastungsbeweis hat die Beklagte nicht erbracht.
41
a) Nach dem von ihr selbst vorgelegten Gutachten von Prof Dr E. ist es
möglich, daß Unachtsamkeit einer beim Abfüllen tätigen Hilfskraft zur
Verunreinigung der Flaschen geführt hat. Es hält das Verfahren, Gefäße über
500 ccm, also auch die an Dr H. gelieferten Flaschen, mittels Umschüttens
von Hand abzufüllen und sie nicht, wie dies bei den kleineren Gefäßen
geschieht, mittels einer Apparatur zu füllen, für eine "ältere Methode", die zwar
163
noch "tragbar", aber verbesserungsbedürftig sei. Für dieses Von-HandAbfüllen müsse zumindest eine entsprechend höhere "Arbeitskapelle" mit UVAusleuchtung konstruiert werden. Außerdem müsse die "bescheidene
apparative Ausstattung" des Betriebes erweitert werden, indem
Trockensterilisatoren angeschafft würden, damit die zu füllenden größeren
Gefäße besser, vor allem ohne längere Unterbrechung sterilisiert werden
könnten. Prof Dr E. hat ferner darauf hingewiesen, daß mangels Temperaturund Druck*-schreiber nicht kontrolliert werden konnte, ob die beim
Autoklavieren erforderliche hohe Temperatur auch wirklich erreicht wurde. Er
hat daher die Verwendung von Farbumschlag-Röhrchen empfohlen.
Außerdem hat er geraten, den Abfüllraum von Zeit zu Zeit durch Aufstellen
von Agar- oder Blut*-platten auf seinen Keimgehalt zu prüfen.
42
Der Gutachter meint nun zwar trotz dieser Verbesserungsvorschläge, die
Herstellungsmethoden der Beklagten seien "nicht unzulänglich" und "erfüllten
die Normalanforderungen". Auch die Abfüllmethode verbürge ein
ausreichendes Maß an Sicherheit, wenn sie auch verbesserungsbedürftig sei.
Abschließend meint er, die Beklagte habe keine der notwendigen
Sicherungsmaßnahmen fahrlässig außer acht gelassen. Die bakterielle
Verunreinigung könne zwar durch mangelnde Beachtung der gebotenen
Vorsichtsmaßnahmen verursacht, könne aber trotz Beachtung dieser
Maßnahmen eingetreten sein.
43
b) Dieser Auffassung des Sachverständigen über das Maß der erforderlichen
Sorgfalt kann nicht gefolgt werden. Auch er geht davon aus, daß bei der
Herstellung von Impfstoffen, bei denen lebende Viren abgeschwächt werden
müssen, ein "höchstmögliches Maß an Sicherheit" verlangt werden muß. Eben
deshalb unterliegen Impfstoffwerke strenger staatlicher Überwachung (§ 19
AMG mit den nach Abs 5 noch maßgebenden landesrechtlichen Vorschriften).
die von Prof Dr E. angeführten Mängel in der Ausstattung des Betriebes des
Beklagten, vor allem hinsichtlich des Abfüllens von Hand, stehen einer
Feststellung entgegen, daß der Leitung der Beklagten keine fahrlässigen
Versäumnisse zur Last fielen. Die von ihm empfohlenen Änderungen lagen
keineswegs fern und stellten an die Beklagte weder technisch noch finanziell
unzumutbare Anforderungen. Es ist nicht auszuschließen, daß diese
zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen die Abfüllung gefährlichen Impfstoffes
verhütet hätten.
Gelegentlich wird sogar der Fehler vermutet (BGHZ 104, 323 – explodierende
Limonadenflasche), wenn der Prüfungsbefund nicht gesichert worden ist.
a) Produkthaftung nach dem BGB
aa) Fehlertypen:
(1)
Konstruktionsfehler
164
Bspl.: Klapphocker, OLG Celle VersR 1978, 258
(2)
Fabrikationsfehler
Ausnahme: sog. Ausreißer (ganz seltene Fehler, die sich
nach dem Fertigungsstandard ganz einfach nicht
vermeiden lassen.
(3)
Instruktionsfehler
Vermutung, dass eine gebotene Instruktion befolgt worden
wäre (BGHZ 64, 46).
(4)
Produktbeobachtung und Rückruf
bb) Zweipersonenverhältnis: „Weiterfresser“
b)
ProdHaftG
§ 1 Abs. 1 ProdHaftG regelt aufgrund einer europarechtlichen Richtlinie die
Produkthaftung als Anspruchsgrundlage. § 1 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG betrifft unsere
„Stoffgleichheit“ und löst die Frage im Gegensatz zur deutschen Rechtsprechung
(str.).
Es ist streitig, ob es sich bei der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz um eine
Gefährdungshaftung oder um eine sonstige objektive Haftung (m. E. zutreffend), ja
sogar um eine Verschuldenshaftung handelt.
Zentralbegriff des Produkthaftungsgesetzes ist der des Fehlers, der in § 3 ProdHaftG
umschrieben wird. Er deutet auf eine objektive Sorgfaltswidrigkeit hin.
Im Gegensatz zum BGB haftet unter Umständen auch der Zwischenhändler nach § 4
Abs. 3 ProdHaftG, wenn er seine Bezugsquelle nicht benennen kann.
c)
§ 74 AMG und § 27 GentechnikG
Spezialkenntnisse sind hier nicht erforderlich. Wichtig ist: Die Produkthaftung nach
dem BGB gilt immer neben dem Produkthaftungsgesetz, dem AMG und dem
GentechnikG. Soweit das AMG anwendbar ist, ist die Anwendbarkeit des ProdhaftG
ausgeschlossen, § 15 Abs. 1 ProdHaftG. Das AMG geht auch dem GentechnikG vor,
§ 37 GentechnikG.
II.
§ 823 Abs. 2 BGB
1. Begriff des Schutzgesetzes
a) Gesetz
Vor allen anderen inhaltlichen Voraussetzungen verlangt § 823 Abs 2 die Verletzung
eines Gesetzes. Dieser Begriff schließt nach allgemeiner Ansicht zunächst einmal an
denjenigen der Legaldefinition des Art 2 EGBGB an. Es gilt der sog materielle
Gesetzesbegriff. Gesetz ist mithin jede Rechtsnorm iS der Rechtsquellenlehre, die
165
eine abstrakt-generelle Anordnung (Imperativ) in Bezug auf menschliches Verhalten
zum Gegenstand hat. Erforderlich ist, dass die in Betracht gezogene Norm vom Staat
selbst
oder
zumindest
Rechtssetzungsbefugnis
aufgrund
erlassen
einer
wurde.
Daher
vom
Staat
sind
die
verliehenen
von
privaten
Normungsverbänden aufgestellten technischen Normen keine Rechtsnormen mit
Schutzgesetzqualität,
und
nicht
anders
steht
es
im
Fall
von
bloßen
Vereinssatzungen, den VOB und sonstigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Gesetze können aber jedenfalls sein: alle Gesetze im formellen Sinne bis hin zu
Staatsverträgen sowie Entscheidungen des BVerfG im Rahmen von § 31 Abs. 2
BVerfGG. Auch untergesetzliche Rechtsnormen wie Rechtsverordnungen und
Satzungen werden vom Rechtsnormbegriff des § 823 Abs 2 erfasst, vorausgesetzt,
die Norm ist im Rahmen der staatlichen Rechtssetzungsbefugnis erlassen worden.
Eine solche Norm muss, um wirksam zu sein, insbesondere mit höherem Recht
vereinbar sein. Unter diesen Voraussetzungen kommen auch Tarifverträge (vgl. § 1
TVG) und Berufsordnungen im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung des
erlassenen Berufsverbandes als Schutzgesetze in Betracht.
Fraglich und umstritten ist die Einordnung von Verwaltungsakten im Rahmen
von § 823 Abs 2. Zum Teil wird Verwaltungsakten schlechthin jede Bedeutung im
Rahmen von § 823 Abs 2 abgesprochen. Die Gegenmeinung im Schrifttum spricht
Verwaltungsakten Schutzgesetzqualität offenbar ohne weiteres zu. Zutreffend
erscheint eine modifizierte Auffassung. Auszugehen ist davon, dass der Begriff des
Verwaltungsaktes (vgl § 35 VwVfG) im Gegensatz zur abstrakt-generell regelnden
Rechtsnorm
steht.
Bezieht
man
neben
dem
Verwaltungsakt
auch
die
Ermächtigungsgrundlage ins Blickfeld mit ein und sieht diese als Schutzgesetz an, so
verflüchtigen sich jedenfalls im Hinblick auf den Rechtsnormbegriff die Bedenken. Es
bleibt zu klären, ob auch rechtswidrige Verwaltungsakte die Ermächtigungsgrundlage
aktualisieren. Die eigentliche Ermächtigungsgrundlage ist dann überschritten; auf sie
kann an sich nicht mehr zurückgegriffen werden. Doch liegt auf der Hand, dass sich
etwa der herannahende Verkehrsteilnehmer auch dann an ein Verkehrszeichen
(Vorfahrtsregelung oä) halten muss, wenn dieses rechtswidrig aufgestellt worden ist.
Indes sind die §§ 43 Abs 2 und 3, 44 VwVfG bzw die vergleichbaren Bestimmungen
der Ländergesetze als Rechtsnorm hinzuzunehmen.
An sich erfasst der Begriff der Rechtsnorm iS des Art 2 EGBGB auch Sätze
des Gewohnheits- und Richterrechts. Kaum erörtert und meist übergangen ist jedoch
166
die Frage, ob Normen des Richter- und Gewohnheitsrechts auch als "Schutzgesetze"
herangezogen werden können. In Gerichtsentscheidungen ist das bislang noch nie
geschehen. Die darin zum Ausdruck kommende Praxis erscheint zutreffend. Denn
mit der Anerkennung von Normen des Richterrechts (und darauf typischerweise
beruhendem Gewohnheitsrecht) als Schutzgesetze würde der Rechtsprechung die
Befugnis eingeräumt, über § 823 Abs 2 selbständig Verhaltenspflichten zu kreieren
und ins Deliktsrecht zu introdizieren, die auch solche Interessen erfassen, welche
sonst im Deliktsrecht nicht geschützt sein würden. Genau das wollte der historische
Gesetzgeber
durch
die
Ablehnung
einer
deliktsrechtlichen
Generalklausel
vermeiden, und nichts spricht dafür, dass sich dieser Wille etwa über eine Änderung
des Normenumfeldes geändert haben würde.
Generelles Erfordernis für jedes Schutzgesetz ist, dass die Norm ein Ge- oder
Verbot ausspricht. Dieses Erfordernis folgt aus dem Tatbestandsmerkmal des
"Verstoßes".
b) Schutzzweck
Weil nach dem Wortlaut des § 823 Abs 2 Satz 1 das in Bezug genommene
Gesetz "den Schutz eines anderen" zu bezwecken hat, ist es erforderlich, dass die
Schutznorm nicht lediglich dem Schutz der Allgemeinheit, sondern zumindest
reflexhaft auch dem Schutz von Einzelpersonen dienen soll. Es ist heute weitgehend
anerkannt, dass auch Normen, die zunächst einmal nur dem Allgemeininteresse
dienen,
daneben
auch
Individualschutz verfolgen
können. Wie
mit Recht
hervorgehoben wird, kommt es hierzu darauf an, dass die Norm nach der ihr im
Regelungszusammenhang zukommenden Funktion einem gezielten Individualschutz
dient. Dabei ist es nicht erforderlich, dass dies die einzige Aufgabe des Gesetzes ist;
es genügt vielmehr, dass sie zu einem anderen Normzweck hinzutritt (wie zu dem
eines Schutzes der Allgemeinheit). Dagegen reicht es nicht aus, wenn sich eine
Norm zwar zum Vorteil bestimmter Personen oder Personengruppen auswirkt,
hierauf aber nach ihrer Ordnungsfunktion nicht abzielt. Allerdings führt das
Erfordernis der Feststellung generellen Individualschutzcharakters nur im negativen
Sinn weiter (und ist deshalb gelegentlich kritisiert worden): Ist ein solcher
Individualschutzzweck unter keinem Aspekt erkennbar, scheidet ein Anspruch aus §
823
Abs
2
iVm
dieser
Norm
aus.
Das
Erfordernis
des
generellen
Individualschutzcharakters des Gesetzes hat also nur negativ Filterfunktion. Es ist
167
daher eher eine Geschmacksfrage, ob man die Frage nach einem generellen
Individualschutzzweck einer Norm sogleich in die Prüfung des persönlichen,
gegenständlichen oder sachlichen Schutzbereichs integriert. Jedenfalls wird der
Kreis der potentiell bezogenen Schutzgesetze durch dieses Kriterium nur sehr
begrenzt ausgedünnt. Im übrigen können selbst Vorschriften, die Institutionenschutz
bezwecken, zugleich auch dem Individualschutz dienen, was bis hin zu fiskalischen
Interessen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder eines öffentlichrechtlichen Sondervermögens reicht. Ebenso ist die Steuerhinterziehung nicht
deshalb
als
Schutzgesetz
auszuscheiden,
weil
die
Norm
lediglich
Allgemeininteressen schützen, sondern lediglich deshalb, weil das Steuerrecht die
Durchsetzung von Steuerschulden selbst abschließend regelt. Nicht überzeugend ist
weiter
die
Auffassung
des
BGH
(BGHZ
100,
13,
17),
§
267
StGB
(Urkundenfälschung) sei kein Schutzgesetz, weil die Norm nur die Sicherheit und
Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden schützen wolle. Denn über den
Schutz der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs vor unechten
Urkunden werden handfest Individualinteressen der am Rechtsverkehr Beteiligten
geschützt. Hinter der Entscheidung des BGH steht letztlich das Bestreben,
deliktischen Vermögensschutz, der über §§ 826, 823 Abs 2 BGB iVm § 263 StGB
(Betrug) hinausreicht, zurückzudrängen, weil die Urkundenfälschung als abstraktes
Gefährdungsdelikt
keine
(und
sei
es
auch
nur
bedingt)
vorsätzliche
Schadenszufügung verlangt. Doch liegt gerade in der Vorverlagerung des
deliktischen Schutzes ein Kennzeichen von § 823 Abs 2. Ausschließlich der Ordnung
des Staatsganzen und nicht dem Individualschutz dienen dagegen etwa die
Vorschriften über Friedensverrat, Hochverrat, Gefährdung des demokratischen
Rechtsstaates, Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit. Auch das
Verbot der Verbreitung pornographischer Schriften drückt wohl nur allgemeine
Wertvorstellungen bzw den Anspruch der Allgemeinheit auf Achtung von Werten und
Ordnungen der Gemeinschaft aus, so dass kein haftungsrechtlich relevanter
Individualschutzzweck festgestellt werden kann. Keinen Individualschutz verfolgt
weiter § 258 StGB (Strafvereitelung); denn hierdurch wird allein die Strafrechtspflege
geschützt (BGHSt 43, 82, 84).
In ständiger Rspr heißt es, eine Haftung wegen Schutzgesetzverletzung
erfordere, dass sie im Licht (oder im Rahmen) des haftpflichtrechtlichen
Gesamtsystems als tragbar erscheine. Richtigerweise kommt es entgegen der Rspr
168
nicht auf die Tragbarkeit der Haftung im Lichte des deutschen Deliktsrechts der §§
823 ff an, sondern vielmehr darauf, ob ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs 2
iVm dem betreffenden Schutzgesetz Widersprüche und Unstimmigkeiten zu anderen,
vom Gesetzgeber schon explizit ausformulierten oder gerade im negativen Sinn
bewusst nicht normierten versagten Schadensersatzansprüchen heraufbeschwören
würde. Ob der Regelungszusammenhang eines potentiellen Schutzgesetzes eine
Ergänzung durch die Schadenshaftung des Deliktsrechts zulässt, ist im Allgemeinen
zunächst einmal nach außerdeliktsrechtlichen Wertungen zu beurteilen. Daher wird §
823 Abs 2 etwa durch das UWG (§§ 8, 9 UWG) verdrängt, soweit es um den Schutz
von Mitbewerbern geht. Auch Normen, die vertragliche Beziehungen zwischen den
am Vertrag beteiligten Personen regeln - zumal solche des BGB selbst –, sind
regelhaft
aus
systematischen
Gründen
nicht
als
geeignete
Schutzgesetze
anzusehen. Von vornherein sinnlos ist es ferner, Schadensersatzansprüche
ihrerseits
als
Schutzgesetze
anzusehen;
dies
wäre
–
schon
aufgrund
unterschiedlicher Verjährungsfristen – geradezu systemsprengend. Auch die
Heranziehung namentlich strafrechtlicher Erfolgsdelikte (etwa §§ 212, 222, 223, 229
StGB), die gemeinhin als Schutzgesetze anerkannt werden, schadet zwar nichts,
macht aber wenig Sinn. Die in diesen Vorschriften enthaltenen Verhaltensnormen (in
Form von Gefährdungsverboten) sind bereits in § 823 Abs 1 konkretisiert. Im Übrigen
verlangen Straftatbestände im Allgemeinen in subjektiver Hinsicht, aber auch bei der
objektiven Zurechnung ein Mehr gegenüber der Haftung aus § 823 Abs 1 BGB.
c) Schutzbereich
Unstreitig sind neben der Kausalität iS der Äquivalenztheorie zur Bestimmung
der Haftungsreichweite weitere Wertungen erforderlich, die der Feststellung der
objektiven Zurechnung dienen. Schon aus dem Wortlaut des § 823 Abs 2 folgt, dass
das geltend gemachte Interesse im Schutzbereich des Schutzgesetzes liegt; § 823
Abs 2 Satz 1 spricht davon, dass das Schutzgesetz den Schutz "eines anderen" zu
bezwecken hat. Trotz mancher grundsätzlicher Bedenken, die gegen die
Normzwecklehre geltend gemacht worden sind, ist ihre Berechtigung jedenfalls
innerhalb von § 823 Abs 2 unstreitig. Der eindeutige Wortlaut wird überdies durch die
Entstehungsgeschichte unterstrichen. Herrschend geworden ist die bereits von
Rümelin (AcP 90 [1900], 171, 304 ff.), eingeführte Auffächerung in den persönlichen
Schutzbereich, den sachlich-gegenständlichen (ausgerichtet am verletzten Recht
169
oder Rechtsgut bzw Interesse) Schutzbereich und den modalen Schutzbereich, der
die Art und Weise der Schädigung erfasst. Das sollte indes nicht darüber
hinwegtäuschen, dass die Zuordnung von Einzelfällen als Problem der einen oder
anderen Auffächerung des Schutzbereichs durchaus oft unklar geblieben ist. So wird
§ 248 b StGB (Gebrauchsanmaßung): Die überwiegende Auffassung konkretisiert
den
Schutzbereich
personenbezogen
(mit
dem
Ergebnis,
dass
nur
Gebrauchsberechtige, also Eigentümer oder sonstige Nutzungsberechtigte von der
Norm geschützt sind). Vereinzelt wird aber auch das Schutzgut (und damit die
Prüfung des sachlich-gegenständlichen Schutzbereichs) in den Vordergrund gestellt,
weil es um die Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs gehe. Trotz der dadurch
sichtbar werdenden strukturellen Unschärfe kann an der Aufgliederung festgehalten
werden. Denn die Aufgliederung der drei Elemente des Schutzbereichs macht deren
Konkretisierung trotz ihrer Unschärfen in Randbereichen faßlicher und leichter
handhabbar. Würde auf die Prüfung einer der drei Teilfragen verzichtet, bestünde die
Gefahr, dass ein wesentliches Wertungskriterium vernachlässigt oder gar ganz
übersehen
wird.
tatbestandsbildende
Im
Übrigen
Funktion
kommt
zu.
der
Ermittlung
Namentlich
der
des
Schutzbereichs
sachlich-gegenständliche
Schutzbereich enthält eine dem haftungsbegründenden Verletzungserfolg iS von §
823 Abs 1 vergleichbare Filterfunktion bei der Prüfung der geltend gemachten
Positionen der Schadensberechnung. So gesehen bezieht sich der Schutzbereich
des Schutzgesetzes zumeist auf einen Verletzungserfolg bzw einen "ersten"
Schaden. Demgegenüber ergibt sich die objektive Zurechnung von Folgeschäden,
die über das personal und konkret geschützte und verletzte Interesse vermittelt
werden, vor allem aus Wertungen bzw dem "Schutzbereich" anderer Normen oder
Normenkomplexe.
(1) Persönlicher Schutzbereich
(2) Sachlicher Schutzbereich
(3) Modaler Schutzbereich
2.
Verschulden und Verschuldensbezug
Mit der Frage, ob der in Anspruch Genommene gegen das betreffende
Schutzgesetz verstoßen hat, verbindet sich die Frage, welche Voraussetzungen der
Schutznorm erfüllt sein müssen, um einen "Verstoß" dagegen bejahen zu können.
Insbesondere im Kontext von Normen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts
170
stellt sich die weitere Frage, ob hierfür die Maßstäbe und Kriterien des
Schutzgesetzes oder des zivilen Deliktsrechts heranzuziehen sind. Wie sich aus §
823 Abs 2 Satz 2 ergibt, ist jedenfalls zumindest zivilrechtliches Verschulden in
Bezug auf den Verstoß gegen das Schutzgesetz erforderlich. Im Übrigen sind die mit
der Reichweite der Verweisung zusammenhängenden Fragen unklar und umstritten.
Zu folgen ist der Auffassung, die jeweiligen Einzelfragen in dem Sinne zu
beantworten, dass sich die Anforderungen aus dem Kontext des betreffenden
Schutzgesetzes
und
des
Rechtsgebietes,
aus
dem
es
stammt,
in
die
Ordnungsaufgaben und Wertungszusammenhänge des Haftungsrechts einfügen
lassen
müssen.
Auslegungsschranken
des
Schutzgesetzes,
etwa
das
Analogieverbot des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, sind auch im Rahmen
von § 823 Abs 2 zu beachten.
Nach hM hat sich das Verschulden nur auf den Schutzgesetzverstoß selbst zu
beziehen. Hinsichtlich der sich aus der Tatbestandsverwirklichung ergebenden
Folgeschäden ist dagegen ein Verschulden nicht erforderlich. Eine Verletzung des
Betroffenen braucht dementsprechend vom Verschulden nur umfasst zu werden,
wenn und soweit sie – wie etwa im Falle der Körperverletzung nach StGB § 229 –
selbst zu den Tatbestandsvoraussetzungen des Schutzgesetzes gehört (und sich
also nicht als eine bloße Folge der Tatbestandsverwirklichung darstellt). Das ist im
Schrifttum allerdings kritisiert worden. Für die Verkürzung des Verschuldensbezugs
spricht indes nicht nur der Wortlaut des § 823 Abs 2 Satz 2, sondern auch dessen
Zweck. Ungewöhnlich oder dem deutschen Haftungsrecht gar fremd ist die
Verkürzung des Verschuldensbezugs jedenfalls nicht; auch § 280 Abs. 1 BGB lässt
die bloß schuldhafte Normübertretung ausreichen, so dass – wenn man so will – hier
wie dort die haftungsrechtliche "Verteidigungslinie der Rechtsordnung vorverlegt" und
eine Verschiebung der Zurechnungselemente in Richtung auf eine Verobjektivierung
der Haftung vorgenommen wird. Es fällt schwer, einen Sachgrund dafür zu finden,
warum diese Frage im Rahmen von § 823 Abs 2 anders als in § 280 Abs 1 zu
beantworten sein soll, obwohl die Problemlage von der Normstruktur her
(Pflichtverletzung einerseits, Schutzgesetzverletzung andererseits) ähnlich ist.
Ohnedies ist die Relevanz der sog Verkürzung des Verschuldensbezugs gering. Als
Beispiel mag immerhin der Fall in BGH VersR 1954, 102 dienen. Der Beklagte hatte
nach dem Zweiten Weltkrieg Sprengkapseln verbotswidrig nach Hause geschafft.
Nachdem sein Bruder abredewidrig eine Zusage, die Sprengkapseln zu vernichten,
171
nicht eingehalten hatte, obwohl sich der Beklagte auf diese Zusage offenbar ohne
Schuld verlassen durfte, kam es zu einer Verletzung eines Kindes, das sich zu einer
Sprengkapsel Zugang verschafft hatte und sie mit Feuer anzündete. Schon der
ursprüngliche verschuldete, vorsätzliche Besitz von Sprengstoff löste die Haftung
aus; auf die Vorhersehbarkeit der späteren Verletzungen kam es nicht an.
Allgemein anerkannt ist, dass die Verschuldensform des Schutzgesetzes
heranzuziehen ist. Ebenso steht es, wenn das Schutzgesetz qualifizierende
Anforderungen stellt, etwa Absicht, grobe Fahrlässigkeit oder Leichtfertigkeit
verlangt. Anders als die Verschuldensform ist der Verschuldensmaßstab (etwa der
subjektive Fahrlässigkeitsmaßstab des Strafrechts) des Schutzgesetzes nach
zutreffender hM nicht ins zivile Haftungsrecht der Schutzgesetzverletzung zu
übernehmen.
Es
gilt
also
der
im
Zivilrecht
herrschende
objektive
Fahrlässigkeitsmaßstab im Rahmen von § 823 Abs 2 Satz 2. Für diese Auffassung
spricht, dass im Zivilrecht keine täterausgerichtete Bestimmung des Maßstabs strafund ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verschuldens, die zum dortigen subjektiven
Verschuldensmaßstab geführt hat, Maß gibt. Vielmehr sind der Ausgleichsgedanke
und die Interessen (auch) des Geschädigten leitend für den prinzipiell objektiven
Fahrlässigkeitsmaßstab des zivilen Deliktsrechts. Soweit es um die Haftung und
nicht um die staatliche Strafsanktion geht, erscheint daher der objektive oder
objektivierende Maßstab des Zivilrechts geeigneter. Entschuldigungsgründe sind –
anders als Rechtfertigungsgründe – nicht dem Strafrecht zu entnehmen. Daher
gelten auch im Fall der Heranziehung von Straftatbeständen nicht die strafrechtlichen
Regelungen der Schuldfähigkeit (§§ 19-21 StGB, §§ 1, 3 JGG). Vielmehr gelten die
§§ 827 f. BGB als eigene, vorrangige deliktsrechtliche Regelung.
III.
§ 826 BGB
Bei § 826 BGB handelt es sich um eine der drei kleinen deliktsrechtlichen
Generalklauseln. Manche sprechen sogar von der eigentlichen Generalklausel des
deutschen Deliktsrechts, weil es keine Enumeration wie in § 823 Abs. 1 BGB gibt.
§ 826 hat Entwicklungsfunktion, weil auf neue Praktiken reagiert werden
kann, und Überwindungsfunktion, weil eine formal bestehende Rechtsposition über
§ 826 BGB überwunden werden kann.
1.
Schaden
Es gelten die §§ 249 ff. BGB.
172
2.
Sittenwidriges Verhalten
Es gilt im Prinzip Ähnliches wie im Rahmen des § 138 BGB. Sittenwidrig ist
nach einer üblichen Leerformel ein Verhalten, dass gegen das Anstandsgefühl aller
Billig und Gerecht Denkenden verstößt. Wertungen der Grundrechte sind bei der
Ausfüllung dieser („kleinen“) Generalklausel zu berücksichtigen.
3.
Kausalität und Zurechnung
Äquivalente Kausalität ist jedenfalls zu verlangen (unter Einbeziehung der
psychisch vermittelten Kausalität). Ob Einschränkungen über den Schutzbereich
angezeigt sind, ist zweifelhaft und zum Teil streitig, aber im Ergebnis zu bejahen.
Auch wird regelmäßig für den ersten inadäquaten Schaden gehaftet. Zu bedenken ist
die Präventionsfunktion des § 826 BGB.
4.
Vorsatz
Eventualvorsatz sowie bloße Tatumstandskenntnis im Hinblick auf die
Sittenwidrigkeit reicht aus. Die Bewertung eines Verhaltens als sittenwidrig ist nicht
erforderlich.
5.
Wichtige Fallgruppen
– Täuschung
Klassisches Bspl.: Gebrauchtwagenhändler sagt dem Interessenten nicht,
dass er den Wagen nicht geprüft hat, vertraut aber darauf, dass das Fahrzeug
fehlerfrei ist). Die Rechtsprechung meint, hier würden Angaben „ins Blaue hinein“
gemacht, woraus Eventualvorsatz folge. In der Literatur wird dies zum Teil kritisch
gesehen.
Weiteres Beispiel für die Täuschung: BGHZ 97, 372: kein Anspruch auf § 826
BGB, wenn der Partner der ehelichen Partnerin über die Einnahme von
empfängnisverhütenden Mitteln getäuscht worden ist. Grund: Unterhaltsinteressen
des Kindes.
BGHZ 97, 372
Leitsätze:
1. Eine unter Partnern einer nichtehelichen Gemeinschaft getroffene Abrede
über den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel berührt den engsten
persönlichen Freiheitsbereich und ist einer rechtsgeschäftlichen Regelung
nicht zugänglich.
Hält sich einer der Partner nicht an eine solche Abrede, so kann daraus auch
dann kein vertraglicher Schadensersatzanspruch hergeleitet werden, wenn er
dies dem anderen nicht mitteilt.
2. Der Intimbereich zweier volljähriger Partner, die beim freiwilligen
Geschlechtsverkehr nicht nur ihr sexuelles Bedürfnis befriedigen, sondern das
Entstehen von Leben verantworten, unterliegt im Falle der Geburt eines
173
Kindes grundsätzlich auch dann nicht dem Deliktsrecht, wenn der eine Partner
dabei den anderen über die Anwendung von empfängnisverhütenden
Maßnahmen getäuscht hat.
Tatbestand:
1
Die Kläger waren Prozeßbevollmächtigte des Beklagten in einem von diesem
gegen Frau S. vor dem Amts- und Landgericht Krefeld geführten Rechtsstreit
(Vorprozeß). Mit der Klage verfolgen sie ihren Gebührenanspruch. Der
Beklagte macht geltend, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, weil die Kläger
ihm wegen Verletzung ihrer anwaltlichen Pflichten schadensersatzpflichtig
seien.
2
Der unverheiratete Beklagte lebte seit Ende 1977 mit der damals 18 Jahre
alten, ledigen Frau S. zusammen. Er bezeichnet das damalige Verhältnis als
eheähnliche Lebensgemeinschaft. Die Partner waren sich zumindest bis Ende
1980 darüber einig, daß aus ihren Beziehungen kein Kind hervorgehen und
Frau S. empfängnisverhütende Medikamente einnehmen solle. Im Dezember
1980 setzte Frau S. diese ab. Dies teilte sie dem Beklagten nicht mit. Als er im
März 1981 von ihrer Schwangerschaft erfuhr, zerbrach das Verhältnis. Am 3.
November 1981 wurde das Kind Sv. S. geboren. Es ist rechtskräftig
festgestellt worden, daß der Beklagte dessen nichtehelicher Vater ist. Er
wurde zur Zahlung des Regelunterhalts verurteilt. In dem Vaterschaftsprozeß
hatten die Kläger den Beklagten vertreten. Frau S. hatte als Zeugin
ausgesagt, sie habe unbedingt ein Kind von dem Beklagten haben wollen und
daher "die Pille" nicht mehr genommen.
3
Der Beklagte war der Auffassung, er könne von Frau S. Schadensersatz
verlangen, und beauftragte die Kläger mit der Wahrnehmung seiner
Interessen. Er informierte sie dahin, daß seine mit Frau S. getroffene
Vereinbarung, keine Kinder haben zu wollen, auch zur Zeit der Empfängnis
von Sv. gegolten habe. Frau S. habe "die Pille" vorsätzlich abgesetzt, um von
ihm ein Kind zu bekommen und ihn zur Heirat zu bewegen. Sie habe einer
Zeugin gegenüber eingestanden, ohne sein Wissen und gegen seinen Willen
"die Pille" abgesetzt und ihn dabei "ganz schön reingelegt zu haben".
4
Die Kläger sahen unter dem Gesichtspunkt einer Vertragsverletzung
Erfolgsaussichten für ein Klagebegehren auf Erstattung des dem Kind zu
zahlenden Regelunterhalts. Sie gingen dabei davon aus, Sv. S. sei im Sinne
der Entscheidungen des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 18. März
1980 (BGHZ 76, 249; 259) ein aus Gründen der Familienplanung
unerwünschtes Kind. Sie rieten dem Beklagten deshalb zu einer Klage gegen
seine frühere Gefährtin.
174
5
In der im Dezember 1982 anhängig gemachten Klage stellten die Kläger unter
Beweisantritt den ihnen von dem Beklagten geschilderten Sachverhalt dar. Sie
führten aus, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von
einem Schaden auszugehen und der Vertrag über die
empfängnisverhütenden Maßnahmen wirksam sei. Zusammenfassend legten
die Kläger dar:
6
"Wenn dann die Beklagte, wie eingeräumt, ohne Wissen des Klägers und
gegen die getroffene Vereinbarung sich entschließt, die Pille abzusetzen,
um ein Kind zu bekommen, dessen Vater der Kläger ist, so stellt dies ein
schadensersatzverpflichtendes vertragswidriges Verhalten dar".
7
Das Amtsgericht hielt die Klage nicht für schlüssig und wies sie ab. Es
bezweifelte einen rechtlichen Bindungswillen von Frau S., die Vereinbarkeit
eines eventuellen Rechtsgeschäfts mit § 138 BGB und hielt einen Vertrag
jedenfalls gemäß § 306 BGB für nichtig, weil die Einnahme eines
empfängnisverhütenden Medikaments keinen sicheren Schutz vor einer
Empfängnis bieten könne. Ansprüche aus § 823 f BGB verneinte das Gericht.
8
In ihrem Schreiben, mit dem die Kläger den Beklagten über den Verlust des
Rechtsstreits in der ersten Instanz informierten, erklärten sie dies damit, daß
das Gericht "sich offensichtlich nicht an die auch heikle Frage in der
Bewertung des Vertrages herangewagt" habe. Sie fuhren fort, es sei "sinnvoll
und unbedingt erforderlich, gegen dieses Urteil Berufung einzulegen". Der
Beklagte erteilte dazu Auftrag. Die Kläger begründeten die Berufung unter
Wiederholung ihrer bisher vorgetragenen Rechtsauffassung. Nachdem das
Berufungsgericht den Streitwert heraufgesetzt hatte, kamen dem Beklagten
Bedenken, ob es im Hinblick auf die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse
der von Sozialhilfe lebenden Frau S. sinnvoll sei, das Berufungsverfahren
weiter durchzuführen. Er bat die Kläger dazu um Rat und fragte, ob es nicht
eventuell so sei, daß ihm "laut Rechtsprechung" ein Schadensersatz zustehe,
er diesen jedoch "mangels Masse" nie erhalte. Die Kläger antworteten, daß
selbst bei einem obsiegenden Urteil die Möglichkeiten einer Vollstreckung
sehr gering seien. Der Beklagte erwiderte: "Nur aus Kostengründen würde ich
die Berufung zurückziehen. Andererseits würde ich gerne zu meinem Recht
kommen, um dadurch gewissermaßen ein Exempel zu statuieren". Die Kläger
nahmen die Berufung im Auftrag und Namen des Beklagten zurück. Sie
berechneten ihre Gebühren auf der Grundlage eines Streitwerts von 15.000
DM und forderten für ihre Tätigkeit in der ersten und zweiten Instanz 2.639,30
DM abzüglich eines gezahlten Vorschusses von 500 DM. Der Beklagte
wandte ein, die Kläger seien ihm durch die Führung des aussichtslosen
Vorprozesses schadensersatzpflichtig geworden; dies schließe die
Geltendmachung ihrer Gebührenforderung aus. In dem vorliegenden
175
Rechtsstreit machen die Kläger ihren Gebührenanspruch geltend. Mit seiner
Widerklage begehrt der Beklagte die Zahlung von 926 DM für von ihm
gezahlte Verfahrenskosten sowie Freistellung von den von ihm noch nicht
beglichenen Kostenforderungen der Frau S. und der Landeskasse.
9
Das Landgericht wies die Klage ab und gab der Widerklage statt. Das
Oberlandesgericht wies die Berufung der Kläger zurück. Mit der zugelassenen
Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren und den Antrag auf
Zurückweisung der Widerklage weiter.
Entscheidungsgründe
10
I. Das Berufungsgericht bestätigt die Klageabweisung, weil der Beklagte
gemäß § 242 BGB nicht dazu verpflichtet sei, den mit der Klage geltend
gemachten Honoraranspruch zu erfüllen. Die Kläger seien ihm wegen
schuldhafter Verletzung anwaltlicher Pflichten schadensersatzpflichtig.
11
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß ein Rechtsanwalt den ihm
mitgeteilten Sachverhalt auf die rechtlichen Aussichten des Begehrens des
Mandanten überprüfen müsse, diesen über eine Aussichtslosigkeit
aufzuklären habe und ihm von der klageweisen Geltendmachung
unbegründeter Ansprüche entschieden abraten müsse.
12
Der Vorprozeß sei aussichtslos gewesen. Ein Schadensersatzanspruch des
Klägers folge nicht schon aus den Gründen der von dem Bundesgerichtshof
am 18. März 1980 (BGHZ 76, 249; 259) entschiedenen sogenannten
Sterilisationsfälle. In jenen Fällen hätten die Eltern aus Anlaß der Geburt eines
ihnen beiden unerwünschten Kindes von dem Arzt als einem Dritten, mit dem
sie einen wirksamen Vertrag geschlossen hätten, Ersatz ihres
Unterhaltsaufwands verlangen können. Diese Entscheidungen enthielten
keine Anhaltspunkte, die es erlaubten, die dort dargestellten Grundsätze auch
in den Fällen anzuwenden, in denen eine von den Partnern geplante
Empfängnisverhütung mißglückt sei. In diesen Fällen würde mit der
Gewährung eines Schadensersatzanspruchs unzulässigerweise in die im
Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützte Intimsphäre des
Partners eingegriffen. Im Rahmen der vorzunehmenden umfassenden
Würdigung müsse das Interesse des Beklagten gegenüber dem Anspruch auf
Respektierung dieses Persönlichkeitsbereichs zurücktreten. Es könne daher
offen bleiben, ob eine Vereinbarung über die Empfängnisverhütung zwischen
Partnern einer eheähnlichen Gemeinschaft überhaupt rechtlich wirksam oder
gemäß § 306 BGB oder nach § 138 BGB nichtig sei. Diese naheliegenden
rechtlichen Gesichtspunkte hätten die Kläger bei ihrer Beratung nicht in
Betracht gezogen. Das sei ihnen als Verletzung der Pflicht zur gebotenen
176
Sorgfalt gemäß § 276 BGB vorzuwerfen. Sie hätten dem Beklagten von der
aussichtslosen Klage abraten müssen. Sie hätten ihn aber statt dessen nicht
einmal auf ein besonderes Risiko des Prozesses hingewiesen.
13
II. Dies greift die Revision ohne Erfolg an.
14
1. Wird einem Rechtsanwalt der Auftrag übertragen, angebliche Rechte
seines Mandanten gegen einen Dritten zu verfolgen, so obliegt es ihm zu
prüfen, ob dessen Begehren bei dem vorgetragenen Sachverhalt Erfolg haben
kann (BGH, Urteile v. 17. Januar 1963 - III ZR 145/61, VersR 1963, 387, 388;
v. 4. Dezember 1973 - VI ZR 10/72, VersR 1974, 488, 489; v. 8. Dezember
1983 - I ZR 183/81, NJW 1984, 791, 792; v. 16. Oktober 1984 - VI ZR 304/82,
NJW 1985, 264, 265; Müller JR 1969, 161, 163, 164). Ist eine Klage praktisch
aussichtslos, so muß der Anwalt von der Klageerhebung abraten. Wünscht
der Mandant dennoch die Klage, so muß der Anwalt das Prozeßrisiko klar
herausstellen. Bleibt der Mandant nach einer solchen eindringlichen
Belehrung bei seinem Entschluß, die Klage durchzuführen, so kann der
Anwalt dem ohne Verstoß gegen seine Mandatspflicht entsprechen (BGH, Urt.
v. 4. Dezember 1973 aaO). Auch dann, wenn das Begehren des Mandanten
aufgrund einer gut vertretbaren Rechtsauffassung zwar Erfolg haben kann, die
Rechtslage aber dennoch zweifelhaft ist, weil sich etwa eine gefestigte
Rechtsprechung noch nicht gebildet hat, muß der Anwalt gegenüber seinem
Mandanten Zweifel und Bedenken, zu denen die Rechtslage Anlaß gibt,
darlegen und erörtern und die weiteren Schritte von der nach dieser
Belehrung zu treffenden Entscheidung des Mandanten abhängig machen
(BGH, Urteile v. 21. November 1960 - III ZR 160/59, NJW 1961, 601, 602; v.
17. Januar 1963 aaO; v. 25. Juni 1974 - VI ZR 18/73, NJW 1974, 1865, 1866;
BGHZ 89, 178, 182; BGH, Urt. v. 16. Oktober 1984 aaO; Müller aaO;
Borgmann/Haug, Anwaltspflichten, Anwaltshaftung, 1979 § 20 3 S. 79).
15
2. Diese Pflichten haben die Kläger verletzt.
16
a) Es ist unstreitig, daß sie dem Beklagten zu dem Rechtsstreit und zur
Einlegung der Berufung geraten haben, weil sie sein Begehren für
aussichtsreich hielten. Noch in ihrer Berufungsbegründung haben sie
ausgeführt, sie hätten ihn dahin belehrt, daß aus der verbindlichen
Vereinbarung zwischen ihm und Frau S. Ansprüche und Gegenansprüche
entstehen können. Dies ließ den Beklagten noch in der Berufungsinstanz des
Vorprozesses davon überzeugt sein, daß ihm "laut Rechtsprechung ein
Schadensersatzanspruch zusteht" und daß er nur aus wirtschaftlichen
Erwägungen davon absehe, "zu seinem Recht zu kommen".
17
177
b) Der ohne Aufklärung über ein besonderes Risiko gegebene Rat der Kläger
zur Durchführung des Vorprozesses wäre allenfalls dann pflichtgemäß
gewesen, wenn die Rechtslage zu Zweifeln und Bedenken keinen Anlaß
gegeben hätte. So lag der Fall aber nicht.
18
aa) Es bestand keine Aussicht für die Zuerkennung eines vertraglichen
Schadensersatzanspruchs aus der Verletzung einer Vereinbarung der
Partner, daß aus ihrer Lebensgemeinschaft ein Kind nicht hervorgehen und
Frau S. deshalb empfängnisverhütende Medikamente einnehmen solle.
19
Schon das Vorliegen einer entsprechenden rechtsgeschäftlichen
Vereinbarung erscheint äußerst zweifelhaft.
20
Ein Rechtsgeschäft kommt durch Abgabe entsprechender Willenserklärungen
zustande. Eine Willenserklärung liegt vor, wenn der Erklärende das
Bewußtsein hat, eine verbindliche rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben,
oder wenn die Erklärung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als
eine mit rechtlichem Bindungswillen abgegebene Äußerung aufgefaßt werden
durfte (BGHZ 91, 324, 327, 329, 330).
21
Die Zusage der Frau S., zur Verhütung einer Schwangerschaft Medikamente
nehmen zu wollen, mußte nach der Verkehrssitte nicht ohne weiteres als eine
Erklärung verstanden werden, mit der sie sich rechtlich binden wollte.
22
Bestehen für die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft keine
rechtlichen oder wirtschaftlichen Hindernisse zur Eingehung einer Ehe - von
diesem Fall ist auch hier auszugehen -, so verzichten sie im allgemeinen
bewußt auf die mit der Institution der Ehe zur Verfügung stehende rechtliche
Ordnung ihrer Beziehungen. Sie wollen ihre freie Partnerschaft nicht
Rechtsvorschriften unterordnen (zur üblichen Einstellung betroffener Partner
vgl. von Münch, Zusammenleben ohne Trauschein, 1982 S. 146, 147; BGBAK/Münder Anh. § 1302 Rdnr. 9). Im allgemeinen gründen Partner solcher
Gemeinschaften ihre Beziehungen daher auf ihre individuellen Vorstellungen
von Moral und Anstand sowie auf Gefühl und Vertrauen. Sie wollen für ihre
persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen gerade keine rechtliche
Regelung (BGHZ 77, 55, 58; BGH, Urteile v. 23. Februar 1981 - II ZR 124/80,
FamRZ 1981, 530; v. 16. September 1985 - II ZR 283/84, JZ 1986, 239;
MünchKomm/Ulmer BGB 2. Aufl. vor § 705 Rdnr. 53; Palandt/Diederichsen
BGB 45. Aufl. Einführung § 1353 Bem. 8 a; Schwab, Die nichteheliche
Lebensgemeinschaft, 1978, S. 76; De Witt/Huffmann, Nichteheliche
Lebensgemeinschaft, 2. Aufl. Rdnr. 70, 71; a.A. BGB- RGRK/Roth-Stielow 12.
178
Aufl. vor § 1353 Rdnr. 31). Rechtliche Bindungen zur Ordnung
vermögensrechtlicher Beziehungen unter den Partnern sind daher die
Ausnahme (BGH, Urt. v. 3. Oktober 1983 - II ZR 133/82, FamRZ 1983, 1213,
1214). Noch ferner liegt es nach allgemeiner Vorstellung, daß Partner ihre
persönlichen, intimen Beziehungen zum Gegenstand vertraglicher Bindung
machen wollen.
23
Die Kläger hatten nicht ermittelt, ob der Beklagte mit Frau S. auch seine
übrigen persönlichen und vor allem die beiderseitigen wirtschaftlichen
Verhältnisse vertraglich geregelt hatte. Fehlte eine solche Regelung des
Partnerschaftsverhältnisses, so mußte sich aus der Sicht eines objektiven
Beurteilers (vgl. dazu BGHZ 21, 102, 107) eine Abrede ausgerechnet über
engste persönliche Beziehungen nicht ohne weiteres als gesondert
vereinbarte, rechtsverbindlich gewollte Absprache darstellen.
24
In dem Vorprozeß hat das Amtsgericht daher mit Recht bezweifelt, ob bei dem
von den Klägern vorgetragenen Sachverhalt ein rechtlicher Bindungswille der
Frau S. vorgelegen habe.
25
Selbst wenn aber angenommen werden könnte, Frau S. habe an der
Vereinbarung in dem Bewußtsein mitgewirkt, eine verbindliche
rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben, so wäre dieses Rechtsgeschäft
nicht wirksam, weil der von ihm erfaßte engste persönliche Freiheitsbereich
einer vertraglichen Regelung entzogen ist.
26
Zur personalen Würde und zum Persönlichkeitsrecht von Partnern, die
miteinander Geschlechtsverkehr haben, gehört es, sich immer wieder neu und
frei für ein Kind entscheiden zu können. Sie müssen daher in ihrer
Entscheidung, ob sie zur Vermeidung einer Schwangerschaft
empfängnisverhütende Mittel gebrauchen, frei bleiben. Diese
Entscheidungsfreiheit betrifft den engsten Kern ihrer Persönlichkeit und ihrer
Entfaltung in Selbstbestimmung (vgl. auch LAG Hamm DB 1969, 2353, 2354).
Daraus folgt, daß ein Partner sich nicht wirksam im voraus zur regelmäßigen
Anwendung eines Empfängnisverhütungsmittels rechtsverbindlich verpflichten
kann.
27
Wenn der Partner zur Mitwirkung bei der Empfängnisverhütung nicht mehr
bereit ist, kann daraus daher auch dann kein vertraglicher
Schadensersatzanspruch hergeleitet werden, wenn er dies dem anderen nicht
mitteilt, weil auch dadurch seine Intimsphäre unzumutbar berührt würde.
179
28
bb) Entgegen der Auffassung der Revision begründete das von dem
Beklagten behauptete Verhalten der Frau S. auch keine Ansprüche aus
unerlaubter Handlung.
29
Die §§ 823 ff BGB knüpfen Haftungsfolgen an ein Verhalten, das sittlichen
Grundvorstellungen und Ordnungsprinzipien des Gemeinschaftslebens
widerspricht (BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl. § 826 Rdnr. 15). Der Intimbereich
zweier volljähriger Partner, die beim freiwilligen Geschlechtsverkehr nicht nur
ihr sexuelles Bedürfnis befriedigen, sondern das Entstehen von Leben
verantworten, unterliegt im Falle der Geburt eines Kindes grundsätzlich auch
dann nicht dem Deliktsrecht, wenn der eine Partner dabei den anderen über
die Anwendung empfängnisverhütender Maßnahmen getäuscht hat.
30
Dieses ist im vorliegenden Fall darüberhinaus auch durch die Interessen des
Kindes geboten. Der Sohn des Beklagten lebt bei seiner Mutter, Frau S., die
ihn betreut und erzieht und ihm dadurch gemäß § 1606 Abs. 3 BGB Unterhalt
leistet. Er nimmt dabei naturgemäß in allen seinen Lebensbedingungen an
den Lebensverhältnissen der Mutter und ihrem Lebensstandard teil. Wegen
des Schadensersatzverlangens seines eigenen Vaters müßte er daher bis
zum Ende seiner Unterhaltsbedürftigkeit erhebliche persönliche, psychische
und wirtschaftliche Beeinträchtigungen erleiden. Das Kind müßte die
finanzielle und seelische Belastung der Mutter miterleben und mitempfinden.
Besonders schwerwiegend wären diese Auswirkungen im Falle einer
zwangsweisen Beitreibung des Anspruchs gegen die Mutter. Möglicherweise
würde diese durch ihre im Ergebnis doppelte Unterhaltslast auch zu einem
beruflichen Einsatz veranlaßt, der die Belange des Kindes nicht mehr wahrt.
Einem Kind, dessen Mutter derartigen seelischen und finanziellen
Belastungen ausgesetzt ist, werden die Ursachen dafür nicht verborgen
bleiben. Die damit notwendigerweise verbundene Erkenntnis des Kindes, daß
es durch seine eigene Existenz eine Haftung der Mutter gegenüber dem Vater
ausgelöst hat, betrifft das Kind in der ihm zukommenden Menschenwürde.
31
3. Die Kläger haben ihre vorprozessuale Beratungspflicht schuldhaft verletzt,
weil sie die ihnen als Rechtsanwälten ihm Rahmen des Mandatsvertrages
obliegenden Sorgfaltspflichten außer acht gelassen haben (§ 276 BGB). Sie
haben allgemeine rechtswissenschaftliche Methoden bei der Prüfung der
Erfolgsaussicht nicht beachtet und daher die rechtliche Zweifelhaftigkeit des
eingeklagten Anspruchs nicht erkannt. Sie haben deshalb auch den Beklagten
nicht einmal auf das erhebliche Risiko des Rechtsstreits hingewiesen und in
ihm sogar die Vorstellung geweckt, der Anspruch stehe ihm "laut
Rechtsprechung" zu.
32
180
Die Kläger haben den Beklagten nach ihrem eigenen Vorbringen auf der
Grundlage der Entscheidung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom
18. März 1980 (BGHZ 76, 249; 259) beraten. Sie haben damit entscheidende,
ohne weiteres erkennbare Unterschiede in der Fallgestaltung verkannt und
methodisch ungenau beim Ansatzpunkt ihrer Beratung und ihres
Prozeßvortrags auf die Frage abgestellt, ob ein Kind "ein Schaden" sein kann.
Die Kläger mögen zwar richtig erkannt haben, daß deliktische Ansprüche als
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch nicht in Betracht
kommen. Einen vertraglichen Schadensersatzanspruch haben sie aber
unzureichend fundiert und daher entscheidende Probleme, die das
Prozeßrisiko begründeten, nicht erkannt. Konkrete Anhaltspunkte für einen
Rechtsbindungswillen haben sie nicht vorgetragen. Es mußte ihnen aber
bekannt sein, daß der Bundesgerichtshof (Urt. v. 24. März 1980 - II ZR
191/79, NJW 1980, 1520, 1521) und ein überwiegender Teil der Literatur (zum
Stand der damaligen Diskussion vgl. z.B. Derleder NJW 1980, 545 f) im
Verzicht der Partner außerehelicher Gemeinschaften auf die Ehe die
Dokumentation ihres Entschlusses zur rechtlichen Ungebundenheit sehen und
daher für das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens zur rechtsgeschäftlichen
Ordnung der vermögensrechtlichen Beziehungen besondere Anhaltspunkte
verlangen. Die Kläger mußten daher damit rechnen, daß der Vortrag, die
Partner hätten die Kinderlosigkeit ihres Verhältnisses "verbindlichst"
vereinbart, nicht ohne weiteres als Darlegung eines dem objektiven Beurteiler
nachvollziehbaren Rechtsbindungswillens ausreichen würde. Auch zur
rechtsgeschäftlichen Verfügbarkeit des Gegenstandes der Bindung haben die
Kläger Bedenken offenbar nicht gesehen; sie haben jedenfalls insoweit keine
Prozeßrisiken offengelegt.
33
Die Fallgestaltung der von den Klägern als einschlägig angesehenen
Entscheidungen des VI. Zivilsenats zum Schadensersatzanspruch bei
fehlgeschlagener Sterilisation wich schon darum entscheidend von der
vorliegenden ab, weil Sv. S. keineswegs ein ungewünschtes Kind war,
sondern nur von einem seiner Elternteile nicht gewollt war. Die von den
Klägern im Vorprozeß dargestellten Rechtsausführungen, es handele sich bei
Sv. ebenso um ein ungewolltes Kind, wie es die Kinder waren, wegen deren
Geburt der VI. Zivilsenat jeweils beiden Elternteilen Schadensersatz zuerkannt
hatte, waren falsch. Es entsprach nicht der von einem Rechtsanwalt zu
verlangenden Gewissenhaftigkeit, einen Klageanspruch auf eine eindeutig
nicht vorhandene Parallelität der Sachverhaltsgestaltung zu gründen.
34
Die Kläger werden auch nicht durch die Rechtsausführungen des
Oberlandesgerichts Frankfurt in seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1982
(NJW 1983, 341, 344) entlastet. Das Oberlandesgericht Frankfurt lehnt die
Rechtsprechung des VI. Zivilsenats zur Arzthaftung wegen fehlgeschlagener
Sterilisation ab und meint unter Aufzeigen denkbarer, sich daraus ergebender,
von vornherein untragbar erscheinender Konsequenzen, es müsse dann auch
einen Befreiungsanspruch der Eltern des Kindes gegeneinander geben, wenn
einer von ihnen Absprachen über empfängnisverhütende Maßnahmen
181
zuwider gehandelt habe. Diese Ausführungen sind erkennbar nicht
entscheidungserheblich und bewußt argumentativ überspitzt. Die Kläger
haben dieses erst nach Klageerhebung im Vorprozeß veröffentlichte Urteil
auch bis zur mündlichen Verhandlung in erster Instanz gar nicht gekannt. Erst
das Gericht hat auf das Urteil hingewiesen. Die Kläger haben sich dann
erstmals im Schriftsatz vom 24. Februar 1983 auf diese Entscheidung
berufen.
35
III. 1. Das Berufungsgericht sieht den Schaden des Beklagten in der
Belastung mit der Kostenforderung der Kläger und den übrigen mit der
Widerklage geltend gemachten, aus dem Vorprozeß gegen ihn entstandenen
Gebührenansprüchen bzw. in den von dem Beklagten auf diese getätigten
Zahlungen. Das ist richtig.
36
2. Das Berufungsgericht geht auch zutreffend davon aus, daß dieser Schaden
durch den pflichtwidrigen Rat zur Durchführung des Prozesses und der
Berufung verursacht wurde.
37
3. Die Revision macht zu Unrecht geltend, der Beklagte habe jedenfalls eine
Gebühr gemäß §§ 118, 20 BRAGO zu zahlen. Eine solche Gebühr wäre
angefallen, wenn die Kläger sich richtig verhalten und dem Beklagten von dem
Rechtsstreit abgeraten hätten.
38
Dem kann nicht gefolgt werden.
39
Es kann dahinstehen, ob bei der gemäß §§ 249, 251 BGB zur
Schadensberechnung anzustellenden sogenannten Differenzhypothese (vgl.
dazu Senatsurteil v. 14. März 1985 - IX ZR 26/84, WM 1985, 666, 670)
haftungsmindernd berücksichtigt werden kann, daß bei pflichtgemäßem
Verhalten des Anwalts zwar nicht die dem Mandanten in Rechnung gestellten
Gebühren hätten beansprucht werden können, daß dann aber eine nach
einem anderen Gebührentatbestand abzugeltende anwaltliche Tätigkeit
vorgelegen hätte.
40
Die Kläger haben in den Tatsacheninstanzen zu den Voraussetzungen der §§
20, 118 BRAGO nichts vorgetragen. Von ihrem Vorliegen kann nach dem
festgestellten Sachverhalt auch nicht ausgegangen werden.
41
182
Bei der vorliegenden Fallgestaltung liegt es nahe, daß der Beklagte nicht von
sich aus die Vorstellung hatte, Frau S. könne ihm aus einer
Vertragsverletzung schadensersatzpflichtig sein, sondern daß die Kläger, die
nach ihrem eigenen Vortrag zu einer Schadensersatzklage gegen seine
frühere Gefährtin rieten, ihn im Zusammenhang mit dem Vaterschaftsprozeß
auf von ihnen für rechtlich unproblematisch gehaltene Ansprüche gegen Frau
S. hingewiesen haben. Bei einer solchen Sachlage wäre entweder die falsche - Beratung über den Erfolg des Vorprozesses bereits im Rahmen des
Vaterschaftsprozesses erfolgt oder aber die Kläger hätten zumindest eine
Hoffnung des Beklagten auf mögliche Schadloshaltung für den Verlust des
Vaterschaftsprozesses geweckt. Die Kläger hätten nach allem in den
Tatsacheninstanzen darlegen müssen, daß eine Beratung des Beklagten über
die Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen Frau S. auch ohne ihre
pflichtwidrig vertretene Rechtsauffassung stattgefunden hätte.
- Kollusives Verhalten
- Gläubigergefährdung
- Eingriff in die persönliche Rechtstellung
- Unangemessene Äußerungen
- Treuwidriges Verhalten
- Verleitung zum Vertragsbruch
- Ausschluss aus einem Verein unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensregeln
- Missbrauch einer Monopolstellung
- Rechtsmissbrauch, Ausnutzung einer formalen Rechtsposition, Überwindung
der Rechtskraft
Beispiel: BGH NJW 2005, 2991
Tatbestand:
1
Die 77 Jahre alte Klägerin erhielt im Jahr 2001 von den Unternehmen A.
Versand und L.-Versand wiederholt Werbeschreiben und Bestellangebote für
Haushaltsgegenstände und ähnliches, die mit Gewinnzusagen verbunden
waren. In der Hoffnung auf die versprochenen Gewinne bestellte die Klägerin
in sechs Fällen Waren zu Preisen bis zu 24,28 €, die am 10. August 2001, 17.
August 2001, 1. September 2001, 2. September 2001, 3. September 2001 und
22. September 2001 ausgeliefert wurden. Gewinne wurden nicht ausgezahlt.
2
Die Versender traten ihre Kaufpreisansprüche gegen die Klägerin an die
Beklagte ab. Da die Klägerin nicht zahlte, schaltete die Beklagte zunächst die
U. Inkasso GmbH ein. Der Geschäftsführer dieses Inkassobüros ist
gleichzeitig Geschäftsführer der Beklagten. Am 21. Mai 2002 und am 24. Mai
2002 ließ sie durch einen Rechtsanwalt die Klägerin jeweils drei mit
Anerkenntnis und Antrag auf Ratenzahlung überschriebene Schriftstücke
unterzeichnen, in denen diese anerkannte, der Beklagten Beträge zwischen
137,40 € und 149,68 € zuzüglich 13,25 % Zinsen auf die jeweilige
183
Hauptforderung ab dem 4. Juni 2002 zu schulden, und zugleich jeweils
monatliche Ratenzahlungen von 15 € beantragte.
3
Nach vorangegangenen Mahnverfahren erwirkte die Beklagte im Zeitraum
zwischen dem 3. September 2002 und dem 16. Oktober 2002 sechs
Vollstreckungsbescheide über Beträge von 190,98 € bis 207,03 €, in denen
als Hauptforderungen die vorgenannten Schuldanerkenntnisse aufgeführt
sind. Die Forderungen setzen sich im wesentlichen aus Inkasso- und
Mahnkosten zusammen. Die Vollstreckungsbescheide sind rechtskräftig
geworden, weil die Klägerin keine Rechtsbehelfe ergriffen hat.
4
Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin von der Beklagten die
Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus den Vollstreckungsbescheiden
sowie deren Herausgabe. Hilfsweise hat sie die Aufrechnung mit einem
Anspruch aus einem Gewinnversprechen von November 2002 über 6.500 €
erklärt und beantragt, die Vollstreckung aus den Vollstreckungsbescheiden für
unzulässig zu erklären.
5
Das Amtsgericht hat dem Hauptantrag stattgegeben. Die dagegen gerichtete
Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der
Klage.
Entscheidungsgründe:
I.
6
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
7
Der Klägerin stehe gemäß § 826 BGB ein Schadensersatzanspruch auf
Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus den Vollstreckungsbescheiden
und auf deren Herausgabe zu. Es sei ein besonders schwerwiegender
Ausnahmefall zu bejahen, der die Durchbrechung der Rechtskraft rechtfertige.
Voraussetzung dafür, daß der Gläubigerin zuzumuten sei, die ihr unverdient
zugefallene Rechtsposition aufzugeben, seien die materielle Unrichtigkeit des
rechtskräftigen Vollstreckungsbescheids, die Kenntnis der
Vollstreckungsgläubigerin davon sowie eine sittenwidrige Ausnutzung des
Vollstreckungstitels. Ein solcher Fall sei hier gegeben.
8
184
Das Berufungsgericht hat Bezug genommen auf die Gründe des
angefochtenen Urteils, worin es heißt: Die Vollstreckungsbescheide seien
materiellrechtlich unrichtig, weil der Beklagten aus den
Schuldanerkenntnissen keine Zahlungsansprüche gegen die Klägerin
zustünden. Die Klägerin erhebe zu Recht den Einwand der ungerechtfertigten
Bereicherung. Auch wenn es sich um selbständige Schuldanerkenntnisse
handeln sollte, hätten diese den Zweck, eine dem Grunde nach bestehende
Schuld zu sichern. Eine solche sei nicht entstanden, denn die
Hauptforderungen gründeten sich auf nach § 138 BGB sittenwidrige und damit
nichtige Rechtsgeschäfte.
9
Die Klägerin sei in sittenwidriger Weise zu ihren Bestellungen veranlaßt
worden. Sie habe diese ausschließlich und gerade auf Grund von
Geldgewinnzusagen getätigt, die ihr gegenüber abgegeben und nicht
ausgezahlt worden seien. Die Geschäftspraktik der Zedentinnen - in
Kombination mit den nicht erfüllten Gewinnversprechen - verstoße gegen das
Rechtsempfinden aller billig und gerecht Denkenden und sei damit
sittenwidrig. Es seien dadurch die Unerfahrenheit, das mangelnde
Urteilsvermögen und eine erhebliche Willensschwäche der Klägerin
ausgenutzt worden. Die Zedentinnen wendeten sich in ihrer Geschäftspraktik
gerade an ältere, rechtlich und geschäftlich unerfahrene Personen. Das folge
aus dem von ihnen angebotenen Sortiment (Kaffeeservice im "Stiefmütterchen
Design", Tortenringe, Zwiebelschneider, Tischdecken, Hammerzehschützer,
Wärme-Kältekissen, Massagegeräte und ähnliches), das herkömmlicher
Weise gerade bei diesen Menschen Bestellungen herausfordere.
10
Entscheidend sei die Tatsache, daß es hier im Zuge der Gewinnzusagen nicht
bei einer einmaligen Aufforderung geblieben sei, eine Bestellung abzugeben,
sondern es von seiten der Zedentinnen ein wiederholtes Nachhaken und
Drängen auf Abgabe einer Bestellung gegeben habe, um den Gewinn
"endlich" auszahlen zu können. Dadurch hätten diese die geschäftliche
Unerfahrenheit der Klägerin und ihre eigene wirtschaftliche und intellektuelle
Übermacht mißbraucht. Auch wenn sie die Unerfahrenheit und das Alter der
Klägerin nicht gekannt hätten, hätten sie bewußt deren schwächere Lage zum
eigenen Vorteil ausgenutzt, weil sie sich leichtfertig der Erkenntnis
verschlossen hätten, daß sich die Klägerin nur wegen ihrer schwächeren Lage
auf die ungünstigen Verträge eingelassen habe. Sie hätten davon ausgehen
müssen, daß es durch das wiederholte Zurückhalten des Gewinns keine echte
Entscheidungsfreiheit der anderen Seite gegeben habe. Es sei unschwer zu
erkennen, daß es der Klägerin bei den wiederholt aufgegebenen Bestellungen
letztlich nicht darum gegangen sei, die bezeichneten Gegenstände zu
erwerben, sondern die versprochenen Gewinne ausgezahlt zu bekommen,
und daß so nur ein geschäftlich unerfahrener, besonders schutzbedürftiger
Kunde handele. Im Hinblick auf das mehrmalige Nachhaken - zudem in
mehreren Fällen - spreche sogar eine tatsächliche Vermutung für ein Handeln
aus verwerflicher Gesinnung. Stets sei in den Schreiben der Zedentinnen
davon die Rede, daß mit der "Bargeldzuweisung" und der "Lieferanweisung"
185
der Bestellschein möglichst rasch zurückgeschickt werden möge, erst dann
stünde der Auszahlung "wirklich nichts mehr im Wege". Auch die Formulierung
"Kann es sein, daß bei der Zusendung Ihrer Gewinnanforderung die
Bestellung fehlt? Weil ich sie als Gewinner ganz persönlich betreue, möchte
ich schon sichergehen, daß auch in der Bestellabwicklung alles stimmt",
belege die sittenwidrige Typik des Vorgehens.
11
Angesichts des Eindrucks, den das Gericht im Rahmen der mündlichen
Verhandlung von der Klägerin gewonnen habe, könne nicht angenommen
werden, die Klägerin habe damit rechnen müssen, daß der dem
Schuldanerkenntnis zugrunde liegende Kaufvertrag nach § 138 BGB als
nichtig zu beurteilen sei. Nur dann aber könnten die Schuldanerkenntnisse
nicht der Rückforderung wegen ungerechtfertigter Bereicherung unterliegen.
12
Der Beklagten sei als Titelgläubigerin die Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels
bekannt gewesen. Es reiche aus, wenn dem Gläubiger diese Kenntnis
während des Rechtsstreits über den Anspruch aus § 826 BGB vermittelt
werde. Schließlich lägen auch die besonderen Umstände vor, die es
verlangten, daß die Beklagte die von ihr erlangten Rechtspositionen aufgebe.
Sie habe Forderungsinkasso und Mahnverfahren bewußt dazu mißbraucht,
um für ihr nicht zustehende Ansprüche Vollstreckungstitel zu erlangen. Bei
Wahl des Klageverfahrens wäre die Beklagte, wie sie hätte erkennen müssen,
mit ihrem Anspruch schon deshalb gescheitert, weil die gerichtliche
Schlüssigkeitsprüfung die Sittenwidrigkeit der zugrunde liegenden
Bestellungen offenbart hätte. Die Klägerin habe aus Unerfahrenheit und
Ungewandtheit die Vollstreckungsbescheide rechtskräftig werden lassen. Ihr
seien die Vielzahl der Schreiben der Beklagten und der Zedentinnen schlicht
über den Kopf gewachsen. Sie habe auch gar nicht mehr überblicken können,
worüber sich die Schuldanerkenntnisse verhielten. Die materiellen Ansprüche
der einzelnen Warenbestellungen seien in dem von der Beklagten gewählten
Verfahren geradezu verschleiert worden. Die Mahnverfahren seien nicht auf
Ansprüche aus Warenlieferungen, sondern auf Ansprüche aus
Schuldanerkenntnissen gestützt worden. Bereits daraus könne ein Schluß auf
die fehlende Gutgläubigkeit der Beklagten gezogen werden. Insgesamt weise
damit auch die Durchsetzung der Forderung eine sittenwidrige Typik auf und
berühre ein besonderes Schutzbedürfnis der Klägerin, weswegen das
Vorgehen aus den Titeln das Rechtsgefühl in schlechthin unerträglicher Weise
verletzen würde.
13
In Ergänzung dieser Erwägungen des Amtsgerichts hat das Berufungsgericht
ausgeführt: Die Sittenwidrigkeit der Anerkenntnisse folge zum einen aus dem
Umstand, daß die Hauptforderungen der Zedentinnen sittenwidrig und somit
nichtig gewesen seien. Außerdem seien die Anerkenntnisse der Klägerin in
sittenwidriger Weise erlangt. Die Art und Weise ihres Zustandekommens
benachteilige die Klägerin unter Würdigung des Gesamtcharakters des
186
Rechtsgeschäfts in unangemessener Weise. Sie seien der Klägerin als
"Antrag auf Ratenzahlung und Anerkenntnis" übersandt worden. Eine
geschäftlich unerfahrene Person sehe darin in erster Linie die Möglichkeit,
Verbindlichkeiten in überschaubaren Beträgen zurückzuzahlen. Daß darüber
hinaus auch das Bestehen einer Schuld dadurch bestätigt werde, sei für die
Klägerin als geschäftlich unerfahrene Person nicht erkennbar gewesen.
Zudem hätten die Anerkenntnisse lediglich die Angabe einer Summe aus
Hauptforderung und Inkassogebühren der Beklagten enthalten; für die
Klägerin sei nicht erkennbar gewesen, wie sich die Summe zusammengesetzt
und welche einzelnen Forderungen sie anerkannt habe.
II.
14
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem
entscheidenden Punkt nicht stand.
15
A. Die Revision rügt allerdings vergeblich, das Berufungsurteil enthalte keine
der Vorschrift des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO genügende Begründung.
Danach bedarf es einer kurzen Begründung für die Abänderung, Aufhebung
oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung. Diesen Anforderungen
wird das Berufungsurteil gerecht. Auch eine reine Bezugnahme auf die
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ist jedenfalls dann erlaubt,
wenn dadurch das zulässige Berufungsvorbringen erschöpft wird
(Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 540 Rdnr. 7; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25.
Aufl., § 540 Rdnr. 13). Das Berufungsgericht muß sich mit den
Berufungsgründen nur auseinandersetzen, soweit dies zur Begründung der
getroffenen Entscheidung erforderlich ist (Musielak/Ball, aaO). Dafür war es
hier aus der Sicht des Berufungsgerichts entgegen der Auffassung der
Revision nicht geboten, im einzelnen auf die Angriffe der Berufung gegen die
Feststellungen des Amtsgerichts zur Sittenwidrigkeit der Kaufverträge
einzugehen. Denn das Berufungsgericht hat sich nicht nur den Gründen des
erstinstanzlichen Urteils angeschlossen, sondern es hat daneben - als weitere
und selbständige Begründung seines Urteils - die Auffassung vertreten, die
Vollstreckungsbescheide seien materiell unrichtig, weil die Beklagte (auch) die
Schuldanerkenntnisse, auf die sie gestützt seien, in sittenwidriger Weise
erlangt habe.
16
B. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht einen
Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß § 826 BGB auf Unterlassung
der Zwangsvollstreckung aus den Vollstreckungsbescheiden und auf
Herausgabe der Vollstreckungstitel angenommen.
17
187
1. Zutreffend ist allerdings die Auffassung der Vorinstanzen, die
Vollstreckungsbescheide seien materiell unrichtig.
18
a) Die von der Klägerin mit den Zedentinnen geschlossenen Kaufverträge hat
das Amtsgericht, dessen Würdigung sich das Berufungsgericht
angeschlossen hat, zu Recht gemäß § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit als
nichtig angesehen. Diese Einwendung muß sich gemäß § 404 BGB auch die
Beklagte entgegen halten lassen.
19
aa) Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach
seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu
entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist
(BGHZ 146, 298, 301; 107, 92, 97; 86, 82, 88). Hierbei ist weder das
Bewußtsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich, es
genügt vielmehr, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen die
Sittenwidrigkeit folgt; dem steht es gleich, wenn sich jemand bewußt oder grob
fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen verschließt (BGHZ 146, 298,
301; BGH, Urteil vom 10. Oktober 1997 - V ZR 74/96, WM 1998, 513 = NJWRR 1998, 590, unter II, m.w.Nachw.). Zu berücksichtigen ist nicht nur der
objektive Gehalt des Geschäftes, sondern es sind auch die Umstände, die zu
seiner Vornahme geführt haben, sowie die Absicht und die Motive der
Parteien in die Würdigung einzubeziehen (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1997,
aaO). Liegt dem Vertragsschluß eine arglistige Täuschung - wie hier über die
zu erwartenden Geldgewinne - zugrunde, müssen zudem besondere
Umstände zu der durch arglistige Täuschung bewirkten Willensbeeinflussung
hinzukommen, die das Geschäft nach seinem Gesamtcharakter als
sittenwidrig erscheinen lassen, damit § 138 Abs. 1 BGB neben § 123 BGB
anwendbar ist (BGH, Urteil vom 26. September 1995 - XI ZR 159/94, WM
1995, 1950 = NJW 1995, 3315, unter II 1 b; Urteil vom 23. Februar 1995 - IX
ZR 29/94, NJW 1995, 1425 = WM 1995, 1064, unter II 2 d bb; vgl. auch Urteil
vom 4. Juli 2002 - IX ZR 153/01, NJW 2002, 2774 = WM 2003, 89, unter I 2,
zur widerrechtlichen Drohung).
20
bb) Solche Umstände hat das Amtsgericht, dessen Begründung sich das
Berufungsgericht zu eigen gemacht hat, rechtsfehlerfrei festgestellt. Es hat
neben den nicht erfüllten Gewinnversprechen insbesondere die allgemeine
Geschäftspraktik der Zedentinnen als gegen das Anstandsgefühl aller billig
und gerecht Denkenden angesehen. Seine Feststellung, die Zedentinnen
wendeten sich gezielt an ältere, rechtlich und geschäftlich unerfahrene
Personen, wie hier die Klägerin, ist entgegen der Ansicht der Revision aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Auch wenn das von den Zedentinnen
angebotene Warensortiment Produkte enthalten mag, die in nahezu jedem
Haushalt Verwendung finden können, ist nicht zu erwarten, daß sich eine
rechtlich und geschäftlich erfahrene Person, unabhängig von ihrem Alter,
durch Gewinnzusagen, wie sie die Zedentinnen erteilt haben, dazu verleiten
188
läßt, derartige Produkte überhaupt oder (wegen der Gewinnzusagen) gerade
bei den Zedentinnen zu erwerben. Bei den von der Klägerin abgeschlossenen
Kaufverträgen handelt es sich zwar im einzelnen um einfache und
überschaubare Geschäfte des täglichen Lebens, deren Bewältigung
regelmäßig keine nennenswerten Erfahrungen im Rechts- und
Geschäftsleben voraussetzt. Ihre Entscheidungsfreiheit und ihre Fähigkeit zur
unvoreingenommenen Beurteilung der Sinnhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit der
angebotenen Vertragsschlüsse wurden jedoch, wie das Amtsgericht
zutreffend in den Vordergrund stellt, seitens der Zedentinnen systematisch
dadurch geschwächt, daß sie der Klägerin innerhalb kurzer Zeiträume eine
Vielzahl von Gewinnzusagen in beträchtlicher Höhe zusandten, deren
Erfüllung sie von Bestellungen abhängig machten.
21
Entgegen der Auffassung der Revision steht einer Berücksichtigung der
zahlreichen Gewinnzusagen bei der Würdigung des Verhaltens der
Zedentinnen als sittenwidrig im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB nicht die
Vorschrift des § 661a BGB entgegen. Daß der Gesetzgeber damit dem
Verbraucher, der eine Gewinnzusage erhält, einen Anspruch auf Leistung des
Preises eingeräumt hat, läßt nicht den Schluß zu, nach seinem Willen könnten
solche Gewinnversprechen nicht (auch) die Nichtigkeit eines mit ihrer Hilfe
herbeigeführten Rechtsgeschäfts zur Folge haben. Nach der Begründung des
Gesetzentwurfs hat der Gesetzgeber mit der Regelung das Ziel verfolgt, die
Praxis, dem Verbraucher durch Gewinnzusagen Waren aufzudrängen, mit
denen er sich nicht befassen möchte, schon im Ansatz zu unterbinden (BTDrucks. 14/2658, S. 48 f.; BT-Drucks. 14/2920, S. 15). Dieses Regelungsziel
schließt es nicht aus, für den Fall seiner Verfehlung Art und Weise der
Erteilung der Gewinnzusage und des damit verbundenen Einwirkens auf die
Entschließungsfreiheit im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB als sittenwidrig
anzusehen.
22
Schließlich hat das Amtsgericht für sein Sittenwidrigkeitsurteil rechtsfehlerfrei
darauf abgestellt, daß es seitens der Zedentinnen nicht bei einer einmaligen
Aufforderung, eine Bestellung abzugeben, geblieben ist, sondern es ein
wiederholtes Drängen auf Abgabe einer Bestellung gegeben hat, um den
Gewinn "endlich" auszahlen zu können. Die von der Beklagten in der Berufung
erhobene und von der Revision in Bezug genommene Rüge (§ 286 ZPO),
dem Vorbringen der Klägerin könne ein solches wiederholtes Drängen, das
letztlich ursächlich für tatsächlich erfolgte Bestellungen der Klägerin geworden
sei, nicht entnommen werden, hat der Senat geprüft, aber nicht für
durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird abgesehen (§ 564 ZPO).
23
Die geschilderte Geschäftspraktik der Zedentinnen hat das Amtsgericht zu
Recht als mit den guten Sitten nicht vereinbar angesehen. Sie war darauf
angelegt, unter bewußter Ausnutzung der rechtlichen und geschäftlichen
Unerfahrenheit der angesprochenen Personen diese, wie die Klägerin, durch
189
eine massive Häufung von Gewinnzusagen und wiederholte Appelle, dabei einschließlich der Bestellungen - auch alles "richtig" zu machen, zum Kauf von
Gegenständen zu verleiten, die sie sonst nicht erworben hätten.
24
b) Aus der Nichtigkeit der Kaufverträge folgt, daß die hier streitigen
Vollstreckungsbescheide auch im Hinblick auf die darin enthaltenen Mahnund Inkassokosten materiell unrichtig sind, weil Mahn- und Inkassokosten von
der Klägerin nur als Schadensersatz gemäß § 286 BGB in der bis zum 31.
Dezember 2001 geltenden Fassung (jetzt §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB)
wegen Verzuges mit der Erfüllung der Kaufpreisforderung geschuldet sein
könnten.
25
c) Zutreffend haben die Vorinstanzen schließlich angenommen, daß die
Vollstreckungsbescheide nicht wegen der von der Klägerin abgegebenen
Schuldanerkenntnisse materiell richtig sind. Dabei kommt es weder darauf an,
ob - wie das Berufungsgericht meint - die Schuldanerkenntnisse als solche in
sittenwidriger Weise erlangt und deshalb nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind,
noch darauf, ob es sich um deklaratorische oder konstitutive
Schuldanerkenntnisse handelt.
26
aa) Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist nicht nur nichtig, soweit es
selbst gegen die guten Sitten verstößt, sondern grundsätzlich auch, soweit es
sich auf ein sittenwidriges Ausgangsverhältnis bezieht und die
Nichtigkeitsgründe bei seiner Abgabe noch fortbestehen (BGHZ 104, 18, 24).
Das war hier der Fall, weil die Wirkung des sittenwidrigen Verhaltens der
Zedentinnen im Zeitpunkt der Abgabe der Anerkenntnisse durch die Klägerin
noch andauerte. Auf die Kenntnis der Klägerin von den tatsächlichen
Umständen, die das Unwerturteil begründen und die ihr auch schon bei
Abschluß der Kaufverträge bekannt waren, kommt es bei einer derartigen
Fallgestaltung nicht an (BGHZ 104, 18, 25).
27
bb) Als selbständige, konstitutive Schuldanerkenntnisse unterliegen die von
der Klägerin abgegebenen Anerkenntnisse jedenfalls der Rückforderung
wegen ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt., Abs.
2 BGB. Ihrer Geltendmachung durch die Beklagte steht und stand deshalb
schon bei Erlaß der Vollstreckungsbescheide der von Amts wegen zu
beachtende (BGHZ 37, 147, 152) Einwand der unzulässigen Rechtsausübung
gemäß § 242 BGB entgegen, weil die Beklagte das aufgrund der
Anerkenntnisse Erlangte alsbald gemäß §§ 812, 818 Abs. 1 BGB an die
Klägerin zurückzugewähren hätte (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus
est). Der allgemeine Arglisteinwand des § 242 BGB wird durch die
Bereicherungseinrede des § 821 BGB, die von dem Berechtigten geltend
gemacht werden muß (BGH, Urteil vom 16. April 1991 - XI ZR 68/90, WM
190
1991, 1152 = NJW 1991, 2140, unter II 3 a; Urteil vom 30. November 1998 - II
ZR 238/97, NJW-RR 1999, 573, unter III), nicht ausgeschlossen
(Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl., § 821 Rdnr. 2 a. E.).
28
Das Amtsgericht, auf dessen Begründung das Berufungsgericht Bezug
genommen hat, ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß die Klägerin die
Verpflichtungen aus den Anerkenntnissen zum Zwecke der Sicherung der
Forderungen aus den Kaufverträgen bzw. erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2
BGB) übernommen hat. Ein solches Anerkenntnis ist grundsätzlich
kondizierbar, wenn die gesicherte Forderung, wie hier, nicht oder nicht mehr
besteht (BGH, Urteil vom 16. April 1991, aaO, unter II 3 b; Urteil vom 30.
November 1998, aaO; Urteil vom 18. Mai 2000 - IX ZR 43/99, NJW 2000,
2501 = WM 2000, 1806, unter I 1).
29
Ein Bereicherungsanspruch kommt lediglich dann nicht in Betracht, wenn die
Parteien mit dem Anerkenntnisvertrag einen Streit oder eine Unsicherheit über
den Inhalt des zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses beenden
und ohne Rücksicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen des anerkannten
Anspruchs eine klare Rechtslage schaffen wollten (Urteil vom 18. Mai 2000,
aaO). Entgegen der Rüge der Revision haben die Vorinstanzen eine solche
Unsicherheit jedenfalls auf seiten der Klägerin, - rechtsfehlerfrei - verneint.
30
2. Über die danach gegebene materielle Unrichtigkeit der
Vollstreckungsbescheide hinaus setzt jedoch ein Anspruch aus § 826 BGB auf
Unterlassung der Zwangsvollstreckung und Herausgabe der Titel das
Hinzutreten besonderer Umstände voraus, die sich aus der Art und Weise der
Titelerlangung oder der beabsichtigten Vollstreckung ergeben und die das
Vorgehen des Gläubigers als sittenwidrig prägen, so daß letzterem zugemutet
werden muß, die ihm unverdient zugefallene Rechtsposition aufzugeben.
Solche Umstände haben das Amtsgericht und ihm folgend das
Berufungsgericht zu Unrecht bejaht.
31
Die Durchbrechung der Rechtskraft eines Vollstreckungstitels, auch eines
Vollstreckungsbescheides, auf der Grundlage eines
Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB darf - wie im Ansatz auch die
Vorinstanzen nicht verkannt haben - nur in besonders schwerwiegenden, eng
begrenzten Ausnahmefällen gewährt werden, weil sonst die Rechtskraft
ausgehöhlt und die Rechtssicherheit beeinträchtigt würden. Die Rechtskraft
muß nur dann zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken
schlechthin unvereinbar wäre, daß der Titelgläubiger seine formelle
Rechtsstellung unter Mißachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des
Schuldners ausnutzt (st. Rspr.: BGH, Urteil vom 9. Februar 1999 - VI ZR 9/98,
NJW 1999, 1257 = WM 1999, 919, unter II B 1; Urteil vom 30. Juni 1998 - VI
191
ZR 160/97, WM 1998, 1950 = NJW 1998, 2818, unter II 1; BGHZ 112, 54, 58
f.; 103, 44, 46 f.; 101, 380, 383 ff.).
32
a) Das kann der Fall sein, wenn der Gläubiger das Mahnverfahren bewußt
mißbraucht, um für einen ihm nicht zustehenden Anspruch einen
Vollstreckungstitel zu erlangen (Urteil vom 9. Februar 1999, aaO, unter II B 2
b aa; Urteil vom 30. Juni 1998, aaO, unter II 2 b aa). Der festgestellte
Sachverhalt rechtfertigt jedoch den vom Amtsgericht angenommenen
bewußten Mißbrauch des Mahnverfahrens durch die Beklagte nicht. Das
Amtsgericht folgert diesen aus dem Umstand, daß die Beklagte, wie diese
hätte erkennen müssen, bei Wahl des Klageverfahrens mit ihrem Anspruch
schon deshalb gescheitert wäre, weil die gerichtliche Schlüssigkeitsprüfung
die Sittenwidrigkeit der zugrunde liegenden Bestellungen offenbart hätte.
Diese Annahme trifft, wie die Revision zu Recht rügt, nicht zu, so daß
offenbleiben kann, ob sie den Schluß auf einen bewußten Mißbrauch des
Mahnverfahrens rechtfertigen könnte.
33
Die Beklagte hätte zur Begründung einer Klageforderung lediglich vortragen
müssen, daß und mit welchem Inhalt zwischen den Zedentinnen und der
Klägerin Kaufverträge geschlossen worden sind. Der Inhalt dieser Verträge ist
nach den tatrichterlichen Feststellungen für sich genommen nicht zu
beanstanden; dies gilt erst recht für die Schuldanerkenntnisse. Die
sittenwidrigen Geschäftspraktiken der Zedentinnen, die zu den Bestellungen
der Klägerin geführt haben, sind allein aufgrund der geschlossenen Verträge
nicht zu erkennen; daß sie den Bestellscheinen zu entnehmen gewesen
wären, hat die Klägerin nicht behauptet. Auch daß die Geschäftspraktiken etwa aufgrund der vom Amtsgericht angeführten Kampagne der
Verbraucherzentrale Mecklenburg-Vorpommern - offenkundig im Sinne von §
291 ZPO gewesen wären, ist nicht festgestellt und auch nicht dargetan. Der
Anspruch der Beklagten hätte deshalb einer Schlüssigkeitsprüfung, wie sie für
den Erlaß eines Versäumnisurteils nach § 331 ZPO geboten ist, stand
gehalten.
34
Andere Anhaltspunkte für einen bewußten Mißbrauch des Mahnverfahrens
durch die Beklagte sind nicht ersichtlich. Sie hat - wie die Revision zu Recht
geltend macht - in den Tatsacheninstanzen stets bestritten, die Umstände, die
dem Sittenwidrigkeitsurteil bezüglich der Forderungen der Zedentinnen
zugrunde liegen, bereits bei Beantragung der Mahn- und
Vollstreckungsbescheide gekannt zu haben, und hat vorgetragen, sie sei mit
den Unternehmen A. GmbH und L.-Versand weder persönlich verbunden
noch wirtschaftlich an diesen beteiligt; vielmehr betreibe sie reines
Forderungsfactoring, indem sie von diversen Versandhäusern und Verlagen
fällige, unbestrittene und kaufmännisch angemahnte Forderungen erwerbe,
ohne dabei Kenntnis davon zu erlangen, in welcher Weise die
zugrundeliegenden Verträge im Einzelfall beworben würden. Dem ist die
192
Klägerin, die die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des
Anspruchs aus § 826 BGB trägt (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., vor § 322
Rdnr. 74), nicht mit einem unter Beweis gestellten abweichenden Sachvortrag
entgegen getreten; entsprechendes wird auch von der Revisionserwiderung
nicht aufgezeigt.
35
b) Der Fall weist auch keine sonstigen Merkmale typisch sittenwidriger
Fallgestaltungen auf, wie sie in der Rechtsprechung etwa bei der Fallgruppe
der Ausnutzung des Mahnverfahrens im Rahmen von Ratenkreditverträgen
mit unerfahrenen Darlehensnehmern herausgearbeitet worden sind.
Grundvoraussetzungen für eine Durchbrechung der Rechtskraft ist in diesen
Fällen, daß der Gläubiger einen Vollstreckungsbescheid für eine - auch aus
seiner Sicht - erkennbar unschlüssige Forderung erwirkt hat (BGH, Urteil vom
9. Februar 1999, aaO, unter II B 2 b bb (a); Urteil vom 4. Mai 1993 - XI ZR
9/93, WM 1993, 1324 = NJW-RR 1993, 1013, unter II 3 a). Schon daran fehlt
es hier, wie hinsichtlich der Hauptforderung oben bereits ausgeführt.
36
Ob auch die von der Beklagten im Mahnverfahren geltend gemachten, die
geringen Hauptforderungen der Höhe nach um ein Vielfaches übersteigenden
Ansprüche auf Inkasso- und Rechtsverfolgungskosten einer
Schlüssigkeitsprüfung stand gehalten hätten, kann dahinstehen. Denn die
Erstattungsfähigkeit von Mahn- und Inkassokosten ist in Rechtsprechung und
Schrifttum stark umstritten. Insbesondere ob, unter welchen Voraussetzungen
und in welcher Höhe der Schuldner für Kosten einzustehen hat, die wie hier
durch die Einschaltung eines Inkassobüros entstanden sind, ist bisher nicht
abschließend geklärt (vgl. Seitz in Inkasso-Handbuch, 3. Aufl., Rdnr. 639 ff.;
MünchKomm/Thode, BGB, 4. Aufl., § 286 Rdnr. 22; Palandt/Heinrichs, BGB,
64. Aufl., § 286 Rdnr. 49; Staudinger/Löwisch, BGB (2004), § 286 Rdnr. 216
ff., jeweils m.w.Nachw.). Der Senat hat in einer Entscheidung vom 24. Mai
1967 (VIII ZR 278/64, unter II) die einem Gläubiger durch den Auftrag zur
Einziehung einer Forderung bei einem Inkassobüro entstandenen Kosten als
möglichen Verzugsschaden angesehen, der grundsätzlich gemäß § 286 BGB
zu ersetzen ist, und lediglich unter dem Gesichtspunkt der
Schadensminderungspflicht des Gläubigers nach § 254 Abs. 2 BGB die Frage
aufgeworfen, ob der Gläubiger eine Erfolglosigkeit der Bemühungen des
Inkassobüros voraussehen konnte. Vor diesem Hintergrund wäre die
Annahme, die Beklagte hätte bei ihren Anträgen auf Erlaß der
Vollstreckungsbescheide jedenfalls erkennen können und müssen, daß ihre
Ansprüche auf Mahn- und Inkassokosten zumindest teilweise schon in einer
Schlüssigkeitsprüfung scheitern würden, selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn
dies tatsächlich der Fall ist.
37
Der Beklagten kann deshalb auch nicht als ein besonderer, ihr Vorgehen bei
der Durchsetzung ihrer Gesamtforderungen als sittenwidrig prägender
Umstand vorgeworfen werden, sie habe eine etwaige gerichtliche
193
Sachprüfung, sei es hinsichtlich der Hauptforderungen, sei es hinsichtlich
Mahn- und Inkassokosten von vornherein dadurch umgangen, daß sie die
Klägerin Schuldanerkenntnisse habe unterzeichnen lassen und ihre Anträge
auf Erlaß der Mahn- und Vollstreckungsbescheide auf diese
Schuldanerkenntnisse gestützt habe.
38
c) Nach alledem fehlt es - selbst wenn man von einem besonderen
Schutzbedürfnis der Klägerin als einer geschäftlich und wirtschaftlich
unerfahrenen Person ausgeht, die nach den tatrichterlichen Feststellungen mit
der Vielzahl der von der Beklagten veranlaßten Mahnungen, Anerkenntnisse,
Teilzahlungsabreden und schließlich Mahn- und Vollstreckungsbescheide in
der Abwicklung, wenn auch möglicherweise nicht in finanzieller Hinsicht,
überfordert war - auf seiten der Beklagten, die lediglich Zessionarin der
geltend gemachten Forderungen aus den sittenwidrigen Kaufverträgen ist, an
den erforderlichen - nachweisbaren - besonderen Umständen, die es mit dem
Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar erscheinen ließen, daß sie
als Titelgläubigerin ihre formelle Rechtsstellung unter Mißachtung der
materiellen Rechtslage zu Lasten der Klägerin ausnutzt. Die Rechtssicherheit
gebietet es, eine Durchbrechung der Rechtskraft auch bei einem unrichtigen
Titel - wie ausgeführt - nur in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten
Ausnahmefällen zuzulassen. Die von den Vorinstanzen festgestellten
Umstände bei der Durchsetzung der Forderungen durch die Beklagte reichen
dafür ihrer Art und ihrer Bedeutung nach nicht aus.
III.
39
Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben und ist aufzuheben
(§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die
Sache nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zur Endentscheidung
reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
40
Der auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus den
Vollstreckungsbescheiden und auf Herausgabe der Titel gerichtete
Hauptantrag der Beklagten ist nach dem oben (unter II) Ausgeführten als
unbegründet abzuweisen.
41
Unbegründet und mithin abzuweisen ist auch der Hilfsantrag der Klägerin, die
Vollstreckung aus den Vollstreckungsbescheiden für unzulässig zu erklären.
Die Klägerin hat die damit erhobene Vollstreckungsabwehrklage aus § 767
ZPO auf ein von der Beklagten im November 2002 abgegebenes
Gewinnversprechen über 6500 € gestützt, das gemäß § 661a BGB einen
Leistungsanspruch der Klägerin begründet habe, mit dem sie die Aufrechnung
194
gegenüber den mit den Vollstreckungsbescheiden titulierten Forderungen
erklärt hat. Diese Aufrechnung ist unzulässig.
42
Denn der Vortrag der Klägerin zu einem Gewinnversprechen der Beklagten ist
unschlüssig. Sie hat zur Begründung ein Schreiben von November 2002
vorgelegt, das nicht die Beklagte, sondern das Unternehmen A. Versand als
Absender der Gewinnzusage ausweist. Nur diesem gegenüber kann sie
deshalb nach § 661a BGB einen Zahlungsanspruch erworben haben;
Absender einer Gewinnzusage im Sinne des § 661a BGB ist derjenige
Unternehmer, den ein durchschnittlicher Verbraucher in der Lage des
Empfängers einer Gewinnzusage als Versprechenden ansieht (BGH, Urteil
vom 7. Oktober 2004 - III ZR 158/04, NJW 2004, 3555, unter II 2 a). Für eine
Aufrechnung fehlt es daher an der gemäß § 387 BGB erforderlichen
Gegenseitigkeit der aufgerechneten Forderungen. Die Klägerin kann mit
einem erst im November 2002 gegenüber dem Unternehmen A. begründeten
Anspruch aus § 661a BGB auch nicht gemäß § 406 BGB gegenüber der
Beklagten aufrechnen, weil sie bei Erwerb des Anspruchs bereits wußte, daß
das Unternehmen A. die Gegenforderungen an die Beklagte abgetreten hatte.
- Grob unfaire Maßnahmen im Arbeitskampf
- Verletzung von Grundrechten
- Hinweis: Die Fallgruppen sind (natürlich) nicht abschließend und sie überschneiden
sich auch.
6.
Rechtsfolgen
Schadensersatz, evtl. auch Schmerzensgeld, ferner Unterlassung (§ 1004
BGB analog)
Die Sittenwidrigkeit kann schließlich als Einwendung gegen einen Anspruch
verwendet werden (sog. exceptio doli).
§ 4. Sondertatbestände der Verschuldenshaftung
I.
§ 824 BGB
Beispiel: Stiftung Warentest
1. Behauptung
Tatsachen, keine Werturteile!
2. Kreditgefährdung
3. Unrichtigkeit
Unwahrheit einschl. der Äußerung eines unzutreffenden Verdachts, den man sich
konkludent zu eigen macht.
4. Verschulden
Bezug: Unwahrheit!
5. Rechtfertigung
195
§ 824 Abs. 2 BGB enthält einen besonderen Rechtfertigungsgrund.
Beim „Warentest“ ist eine sorgfältige Recherche erforderlich; vorsichtige
Bewerzungen sind angezeigt!
BGH NJW 1986, 981:
Tatbestand:
1
Die Klägerinnen sind 12 Handelsunternehmen, in deren Firmenbezeichnung
das Wort "Globus" vorkommt. Sie betreiben schwerpunktmässig in RheinlandPfalz und im Saarland, aber auch in Hessen und Baden-Württemberg, 12
Selbstbedienungsläden, die sich zu gemeinsamer Werbung und Abrechnung
zusammengeschlossen haben.
2
Die Beklagte, die Stiftung Warentest, veröffentlichte in der Juli-Ausgabe 1982
ihrer Zeitschrift "test" unter der Überschrift "Wo der Einkauf am billigsten ist"
einen Preisvergleich, dem Testkäufe in Lebensmittelgeschäften und
Lebensmittelabteilungen von Supermärkten und Warenhäusern zugrunde
lagen. In verschiedenen Listen, in denen die einzelnen Anbieter, beginnend
mit dem billigsten, aufgeführt waren, nahm "Globus" bei den haltbaren Waren
Platz 44, bei den frischen Waren Platz 7 und im Gesamtergebnis Platz 16 ein.
Unter der Bezeichnung "Globus" waren Testkäufe in 16 "Globus"-Märkten
ausgewertet, von denen jedoch - was die Beklagte nicht wußte - nur drei zur
Gruppe der Klägerinnen gehören, während die übrigen 13 unter demselben
Namen von anderen Unternehmen oder Unternehmensgruppen betrieben
werden, die mit den Klägerinnen nichts zu tun haben. Durch die
Zusammenfassung mit den übrigen "Globus"-Märkten haben die drei
Selbstbedienungsläden der Klägerinnen unstreitig schlechter abgeschnitten,
als wenn sie getrennt aufgeführt worden wären. Nachdem sich dieser
Sachverhalt Anfang Juli 1982 herausgestellt hatte, erklärte die Beklagte sich
bereit, in der August-Ausgabe der Zeitschrift "test" eine entsprechende
Richtigstellung zu veröffentlichen; das ist auch geschehen. Außerdem sagte
sie zu, bei der Auslieferung weiterer Exemplare der Juli-Ausgabe sowie bei
der Freigabe der Testergebnisse zur Veröffentlichung in anderen Zeitschriften
für eine Klarstellung zu sorgen. Die Klägerinnen veröffentlichten von sich aus
Anfang Juli 1982 in allen Tageszeitungen der Einzugsgebiete ihrer 12
Selbstbedienungsläden ganzseitige Anzeigen, in denen der Sachverhalt
dargestellt und unter Wiedergabe "berichtigter" Listen behauptet wurde, die
Klägerinnen rangierten beim Einkauf haltbarer Waren an dritter und beim
Einkauf frischer Waren und in der Gesamtwertung jeweils an erster Stelle.
3
Mit der Klage verlangen die Klägerinnen Erstattung der Kosten für diese
Anzeigenaktion sowie für Funk- und Fernsehwerbung, Flugblätter und
ähnliches, die sie mit 209.130,18 DM beziffert haben. Ferner begehren sie die
196
Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihnen den darüberhinaus durch
die Veröffentlichung des Testergebnisses in der Juli- Ausgabe der Zeitschrift
"test" entstandenen Schaden zu ersetzen.
4
Das Landgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben und die bezifferte
Schadensersatzklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, soweit mit
ihr nicht die durch Werbung im Rundfunk und Fernsehen entstandenen
Kosten geltend gemacht werden.
5
Das Berufungsgericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Mit der
Revision erstreben die Klägerinnen die Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
6
I. 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß die Beklagte
durch die Veröffentlichung des Testergebnisses eine für die Klägerinnen
nachteilige unwahre Tatsache i.S. des § 824 BGB behauptet und verbreitet
hat. Indem der Testbericht für alle "Globus"-Märkte jeweils einen einzigen
Durchschnittspreis angab und ihnen damit in jeder Liste einen bestimmten
Rang zuwies, erweckte er bei dem unbefangenen Leser den Eindruck, daß
dieser Durchschnittspreis und dieser Rang für alle unter dem Namen "Globus"
firmierenden Selbstbedienungsläden repräsentativ seien. Für den Leser
enthielt der Testbericht konkludent die Behauptung, den ausgewiesenen
Preisen seien die Angebote von SB-Märkten zugrundegelegt, die unter der
Bezeichnung "Globus" durch eine einheitliche Preisgestaltung ausgewiesen
seien; denn allein unter dieser Prämisse konnte der Preisvergleich überhaupt
nur einen Sinn haben. In Wahrheit indes sind die angegebenen Preise den
Angeboten mehrerer, durch eine derartige einheitliche Preisgestaltung nicht
verbundener Ladenketten entnommen worden. Für die Klägerinnen waren die
angegebenen Preise nicht repräsentativ; das ist zwischen den Parteien außer
Streit.
7
Derartige unrichtige Angaben über die Preisgestaltung der Klägerinnen waren
geeignet, Umsatz und Gewinn der Klägerinnen zu schmälern und damit
Nachteile für ihren Erwerb i.S. des § 824 BGB herbeizuführen. Das war vor
allem deshalb zu befürchten, weil die Klägerinnen in ihrer Werbung darauf
abstellen, sie seien besonders preisgünstig.
8
197
2. Nach Ansicht des Berufungsgerichts scheitert indes ein
Schadensersatzanspruch der Klägerinnen aus § 824 BGB an fehlendem
Verschulden der Beklagten. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
9
An die Sorgfaltspflicht der Beklagten sind hohe Anforderungen zu stellen (vgl.
dazu Senat BGHZ 65, 325, 333 f; Assmann/Kübler ZHR 142, 413, 424 ff). Das
gilt nicht nur für die Veröffentlichung vergleichender Warentests, sondern auch
für Preisvergleiche der hier vorliegenden Art. Sie können für die betroffenen
Unternehmen einschneidende Folgen haben. Die Beklagte nimmt in der
Öffentlichkeit das Vertrauen als staatliche Einrichtung in Anspruch, die nach §
2 Abs. 2 ihrer Satzung verpflichtet ist, ihre Untersuchungen nach
wissenschaftlichen Methoden durchzuführen und unparteiisch darzustellen.
Ihre Veröffentlichungen finden eine weite Verbreitung. Das legt den
Mitarbeitern der Beklagten eine hohe Verantwortung auf.
10
Hier fehlte zwar, wie dem Berufungsgericht zuzugeben ist, jeder konkrete
Anhaltspunkt, der die Sachbearbeiter der Beklagten hätte darauf hinweisen
können, daß hinter der einheitlichen Bezeichnung "Globus"-Markt ganz
unterschiedliche Betreiber stecken. Dennoch ist der Beklagten der Vorwurf
mangelnder Sorgfalt nicht zu ersparen. Die Sachbearbeiter der Beklagten
hätten von sich aus Überlegungen darüber anstellen müssen, ob mehrere von
ihnen getestete Geschäfte, die unter einem einheitlichen Namen betrieben
werden, auch wirklich zu einem Unternehmen oder einer
Unternehmensgruppe gehörten. Sie durften nicht als selbstverständlich davon
ausgehen, daß die unter dem Allerweltsnamen "Globus" betriebenen 16
Geschäfte, die in den Test einbezogen worden waren, in Bezug auf die
Preisgestaltung für ihr Warenangebot miteinander soweit organisatorisch
verbunden waren, daß die von den Testern ermittelten Preise als
repräsentativ gelten konnten. Bei Anwendung der hohen von ihnen zu
fordernden Sorgfalt hätten die Sachbearbeiter der Beklagten sich Gewißheit
verschaffen müssen, daß die unter dem Namen "Globus" betriebenen
Selbstbedienungsläden auch wirklich eine einheitliche Preisgestaltung
aufweisen, ehe sie die Ergebnisse der 16 von ihnen getesteten "Globus"Läden in einer Rubrik unter der Bezeichnung "Globus" zusammenfaßten.
Dazu genügte es nicht, daß die Sachbearbeiterin H. - wie zugunsten der
Beklagten zu unterstellen ist - sich über die Unternehmensverhältnisse
anhand der Schrift "G + L Top 200 - Die Umsatzkonzentration im
Lebensmitteleinzelhandel" informiert hat. Darin ist lediglich die Klägerin zu 5)
verzeichnet, die ihren Sitz in St.W. im Saarland hat. Es fehlt jeder Hinweis
darauf, daß die von der Klägerin zu 5) vertretene "Globus-H-Gruppe" auch
außerhalb des Saarlandes in den Gebieten tätig ist, in denen die Tester Preise
von "Globus"-Märkten erhoben hatten. Es wäre beispielsweise ein leichtes
gewesen, bei der in der Schrift "G + L Top 200 - Die Umsatzkonzentration im
Einzelhandel" verzeichneten Klägerin zu 5) anzurufen, um sich zu
vergewissern, daß alle getesteten "Globus"-Märkte zu dieser
Unternehmensgruppe gehören. Daß die Sachbearbeiterin der Beklagten diese
Nachfrage unterlassen hat, stellt einen Verstoß gegen die ihr obliegenden
198
Sorgfaltspflichten dar. Für dieses Fehlverhalten muß die Beklagte nach § 831
BGB einstehen. Daneben haftet sie auch aus §§ 824, 31 BGB dafür, daß
keiner ihrer satzungsmässigen Vertreter Vorkehrungen getroffen hat, um zu
gewährleisten, daß die Testergebnisse verschiedener unter einem Namen
betriebener Geschäfte nicht ohne ausreichende Nachprüfung ihrer
Zusammengehörigkeit in einer Rubrik zusammengefaßt wurden.
11
Daß die Klägerinnen die nicht geschützte, auch von anderen SB-Märkten
benutzte Etablissementbezeichnung "Globus" verwenden, kann ihnen
entgegen der Auffassung der Beklagten nicht als Mitverschulden vorgehalten
werden. Die Klägerinnen brauchten nicht damit zu rechnen, daß sie in einem
bundesweit angelegten Verbrauchertest mit anderen "Globus"-Märkten, die
weit außerhalb des Einzugsgebiets der Klägerinnen betrieben werden, allein
wegen dieser Bezeichnung als einheitliche Unternehmensgruppe
ausgewiesen wurden. Insoweit konnten die Klägerinnen darauf vertrauen, daß
sie von einem etwaigen Irrtum der Tester durch die diesen auferlegten
Erkundigungspflichten ausreichend geschützt waren. Es war vielmehr Sache
der den Test veranstaltenden Beklagten, sich Gedanken darüber zu machen,
ob alle von ihr in verschiedenen Gebieten getesteten "Globus"-Läden zu einer
einheitlichen Ladenkette gehören.
12
3. Die Haftung der Beklagten ist nicht wegen Wahrnehmung berechtigter
Interessen nach § 824 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Mit der Veröffentlichung
des Preisvergleichs hat die Beklagte zwar ein ernsthaftes
Informationsinteresse der Öffentlichkeit erfüllt. Das genügt aber nicht, um
wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S. des § 824 Abs. 2 BGB
Ersatzansprüche der Klägerinnen auszuschließen. Hierzu ist vielmehr eine
Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen, bei der die schutzwürdigen
wirtschaftlichen Belange der Klägerinnen abzuwägen sind gegenüber dem
Interesse an freier Kommunikation auf seiten der Beklagten und der Leser
ihrer Zeitschrift. Auf seiten der Klägerinnen ist vor allem zu berücksichtigen,
daß ihre Kunden durch die Lektüre des Testberichts einen für die Klägerinnen
ungünstigen, falschen Eindruck darüber vermittelt bekamen, wie hoch ihre
Preise im Vergleich zu denen ihrer Konkurrenz waren. Dies konnte sich
gerade deshalb nachteilig auf den Umsatz der Klägerinnen auswirken, weil sie
ihre Werbung mit dem Argument betreiben, sie seien besonders preisgünstig.
Dem schutzwürdigen Interesse der Klägerinnen, vor derartigen Eingriffen
bewahrt zu werden, kann die Beklagte das von ihr verfolgte Interesse der
Verbraucheraufklärung hier umso weniger entgegensetzen, als die
Absicherung des Preisvergleichs durch sorgfältige Recherchen auch im Sinne
der Verbraucher lag, die nur an zuverlässigen, auf ihre Richtigkeit ausreichend
geprüften Informationen interessiert sein konnten. Derartige Recherchen
bedeuteten auch keine unverhältnismässige Belastung für die Verwirklichung
des Tests. Vielmehr wäre es, wie bereits oben bei der Frage des
Verschuldens dargelegt, für die Beklagte ein leichtes gewesen, die
erforderlichen Informationen einzuholen.
199
13
Damit sind die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 824
BGB erfüllt.
14
II. Aus den dargelegten Gründen muß das Berufungsurteil aufgehoben
werden.
15
1. Hinsichtlich des Zahlungsanspruchs, der die Kosten für die Anzeigenaktion
der Klägerinnen betrifft, muß die Sache an das Berufungsgericht
zurückverwiesen werden. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt
aus folgerichtig - über die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten keine
Entscheidung getroffen. Das Landgericht hat die Anzeigenkosten dem Grunde
nach als erstattungsfähig angesehen. Dagegen bestehen aufgrund des bisher
festgestellten Sachverhalts Bedenken.
16
a) Wie der erkennende Senat in seinen Urteilen vom 6. April 1976 und 15.
November 1977 (BGHZ 66, 182, 191 ff und 70, 39, 42 f) im einzelnen
dargelegt und näher erläutert hat, können zwar zu dem Schaden, der nach §§
824, 249 ff BGB zu ersetzen ist, auch die Kosten von Anzeigen gehören, mit
denen der Geschädigte der Beeinträchtigung seines wirtschaftlichen Rufes
durch falsche Behauptungen in der Presse entgegenwirken will. Der
Erstattungsfähigkeit dieser Kosten sind jedoch enge Grenzen gesetzt. Wenn
der Betroffene dem Angriff auf seinen wirtschaftlichen Ruf durch eine
presserechtliche Gegendarstellung begegnen kann, dann ist es ihm in aller
Regel verwehrt, den Verantwortlichen mit den höheren Aufwendungen einer
berichtigenden Darstellung durch besondere Anzeigen zu belasten (Senat
aaO). Nur in besonderen Fällen - so, wenn ein ungewöhnlich hoher Schaden
droht, dem durch eine Gegendarstellung nicht so zeitig oder so gezielt wie
etwa durch Anzeigen begegnet werden kann, oder wenn das Verfahren der
Gegendarstellung sich hinzieht - kann eine auf Kosten des Angreifers
durchgeführte Anzeigenaktion zulässig sein (BGHZ 66, 182, 194). Dabei ist
stets sehr sorgfältig aufgrund einer Würdigung der Umstände des Einzelfalles
die Erforderlichkeit solcher Maßnahmen zu prüfen. Die Kosten derartiger
Anzeigen müssen vor allem in einem angemessenen Verhältnis zur Größe
und Schwere des drohenden Schadens stehen; sie müssen dem Maßstab
wirtschaftlicher Vernunft genügen. Auch die schutzwürdigen Belange des
Schädigers sind bei der Prüfung der Erforderlichkeit voll zu würdigen. Es muß
verhindert werden, daß der Geschädigte einen Schaden, dessen Schwere und
Ausmaß durchaus zweifelhaft sind, erst dadurch konkretisiert und womöglich
vergrössert, daß er teure Anzeigen in Auftrag gibt (vgl. auch Assmann/Kübler
ZHR 142, 413, 430). Deshalb muß die Erstattungsfähigkeit von
Anzeigenkosten auf wirklich schwerwiegende Ausnahmefälle beschränkt
bleiben, in denen von vornherein erkennbar ist, daß die berichtigenden
Anzeigen dringend geboten sind, um einen unmittelbar bevorstehenden und
200
sich in seinen Ausmaßen bereits klar abzeichnenden schweren Schaden
abzuwenden.
17
b) Das Landgericht hat zur Begründung der Erstattungsfähigkeit der
Anzeigenkosten u.a. darauf abgestellt, daß die von der Beklagten angebotene
und dann auch in der nächsten Ausgabe ihrer Zeitschrift "test" veröffentlichte
Berichtigung nicht ausreichend war. Das ist richtig. Nachdem die Beklagte die
"Globus"-Läden der Klägerinnen in eine bestimmte Rangfolge eingeordnet
hatte, konnte sie sich in der Berichtigung nicht unter Hinweis auf ihren Irrtum
auf die Erklärung beschränken, die für "Globus" ermittelten Beträge seien zu
"annullieren". Sie hätte vielmehr mitteilen müssen, welche Preise die drei von
ihr getesteten Läden der Klägerinnen gefordert hatten. Auf den
unzureichenden Inhalt der Richtigstellung können die Klägerinnen sich jedoch
nicht berufen. Denn sie haben weitere Verhandlungen über den Inhalt der
Richtigstellung dadurch blockiert, daß sie als Vorbedingung von Gesprächen
die Zahlung von 175.000 DM für ihre Anzeigenaktion gefordert haben. Im
übrigen hätten die Klägerinnen auch jederzeit den Abdruck einer
Gegendarstellung verlangen können.
18
Entscheidend hat das Landgericht auf das zeitliche Moment abgestellt.
Während die von den Klägerinnen in Auftrag gegebenen Anzeigen bereits am
6. Juli 1982 erschienen sind, kam die nächste Ausgabe der Zeitschrift "test"
erst drei Wochen später in der letzten Juliwoche auf den Markt. Dieser
zeitliche Vorsprung von drei Wochen reicht jedoch allein nicht aus, um die
Anzeigenaktion als erforderlich erscheinen zu lassen. Es muß hinzukommen,
daß tatsächlich die Gefahr eines schweren Schadens sich für die allernächste
Zeit schon derart konkret verdichtet hatte, daß bei vernünftiger wirtschaftlicher
Betrachtung eine derartige Aktion zur Verringerung der Abwendung dieses
Schadens geboten erschien. Dazu haben die Klägerinnen bisher keine
konkreten, nachvollziehbaren Anhaltspunkte vorgetragen. Nach Darstellung
der Beklagten sind von der Juli-Ausgabe der Zeitschrift "test" im Einzugsgebiet
der Klägerinnen nur 1.726 Exemplare verbreitet worden.
19
Außerdem beschäftigt sich der beanstandete Artikel nicht etwa ausschließlich
mit den "Globus"-Läden. Der Name "Globus" erscheint vielmehr nur in den
Preislisten zusammen mit den Namen von 70 bis 80 anderen
Lebensmittelgeschäften. Angesichts dieser Umstände liegt es nicht auf der
Hand, daß den Klägerinnen ein einschneidender Umsatzrückgang drohte,
wenn sie bis zum Erscheinen einer Berichtigung im Augustheft der Zeitschrift
"test" zuwarteten. Dies ist entgegen der Auffassung der Revision keine Frage
der Schadenshöhe, sondern des Schadensgrundes. Wenn die Klägerinnen
nicht darlegen, daß zur Abwendung eines hohen Schadens eine
Anzeigenaktion - welchen Umfangs auch immer - notwendig war, können sie
auch nicht einen Teil der von ihnen aufgewandten Kosten erstattet verlangen.
Dann war ihnen vielmehr zuzumuten, das Erscheinen der Richtigstellung im
201
Augustheft von "test" abzuwarten und einen etwa in der Zwischenzeit
eingetretenen Umsatzrückgang von der Beklagten erstattet zu verlangen.
20
Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen ist die Sache an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen.
21
2. Bezüglich des Feststellungsbegehrens der Klägerinnen ist der Rechtsstreit
zur Endentscheidung reif. Insoweit ist das Urteil des Landgerichts
wiederherzustellen. Wenn den Klägerinnen die Kosten für ihre Anzeigenaktion
nicht zuerkannt werden können, dann ist mit dem Feststellungsausspruch
auch der hypothetische Schaden erfaßt, der den Klägerinnen entstanden
wäre, wenn sie den zu erwartenden Schaden nicht durch ihre Anzeigen
gemindert hätten.
II.
§ 831 BGB
1.
Verrichtungsgehilfe
Kriterium: Weisungsabhängigkeit (früher: „sozial abhängig“).
2.
Ausführung der Verrichtung
Abgrenzung zur bloßen Gelegenheitssta; Kriterium (str., aber h.
M.): „innerer Zusammenhang“
3.
Widerrechtliche Schadenszufügung
Siehe dazu die Ausführungen im „Allgemeinen Teil“ des
Haftungsrechts und BGHZ 24, 21.
4.
Exkulpation
Sehr schwer zu führen. Wenn iregdwelche Zweifel verbleiben, ist
der Exkulpationsbeweis nicht geführt. Die verschiedenen Fälle
sind in § 831 Abs. 1 S. 2 BGB genannt.
Zum „dezentralisierten Entlastungsbeweis“ (str.!) siehe BGHZ 4, 1:
Tatbestand:
1
Der Beklagte ist Eigentümer eines Hofgutes. Sein Verwalter K. beauftragte
den auf dem Gut tätigen damals 16jährigen landwirtschaftlichen Arbeiter B.,
Benzin zu holen. Dieser benutzte ein Halbblutpferd. Das Pferd ging durch und
verletzte die Klägerin erheblich.
2
202
Der Beklagte bestreitet eine Haftung mit der Begründung, das Pferd sei
"lammfromm" gewesen, B. sei ein ordentlicher Fahrer, der den Umgang mit
Pferden gewohnt gewesen sei, das Pferd sei täglich im Milchwagen gegangen
und an klappernde Gefäße gewohnt gewesen.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat dem
Klagantrage entsprochen, die Revision führte zur Aufhebung und
Zurückverweisung.
Entscheidungsgründe:
4
Das Berufungsgericht sieht den dem Beklagten obliegenden
Entlastungsbeweis deshalb nicht als geführt an, weil der Beklagte sich um die
Fahrt nicht gekümmert habe. Es sieht eine Verletzung der dem Beklagten
obliegenden Aufsichtspflicht darin, daß er nicht selbst darauf achtete, daß der
Verwalter dem Jungen für die nicht ungefährliche Fahrt mit dem Halbblutpferd
ins Einzelne gehende Anweisungen gab. Das Berufungsgericht hält es für
erwiesen, daß der Verwalter K. zu B. im Hinblick auf diese Fahrt gesagt hat, er
solle vorsichtig fahren, es ist aber der Meinung, diese Anweisung reiche nicht
aus, vielmehr habe K. mit Rücksicht auf die Jugend des B., die abfallende
Straße und die Benutzung des Halbblutpferdes, das erfahrungsgemäß eher
Schwierigkeiten bereite, nähere Anweisungen geben müssen.
5
Soweit das Berufungsgericht die Haftung des Beklagten daraus herleitet, daß
er sich nicht persönlich um die Fahrt gekümmert hat, kann ihm nicht gefolgt
werden.
6
Im vorliegenden Fall hat der Verwalter den B. angestellt und seine Arbeit
geleitet. Er ist als Mittelsperson zwischen den Verrichtungsgehilfen B. und den
Beklagten als Geschäftsherrn getreten. Nach der Rechtsprechung des
Reichsgerichts ist bei größeren Betrieben dem Geschäftsherrn nicht
zuzumuten, daß er das gesamte Personal auswähle und beaufsichtige. Wenn
eine Mehrheit von Personen in der Weise beschäftigt ist, daß die eine der
anderen nachgeordnet ist, richtet sich der Sorgfaltsbeweis des Geschäftsherrn
auf Auswahl und Beaufsichtigung des von ihm ausgewählten höheren
Angestellten, den Verwalter (RGZ 87, 61; 89, 136; RGRK 9. Aufl zu § 831 5c).
7
Diese erleichterte Beweisführung gemäß § 831 BGB ist vom Reichsgericht
aus Zweckmäßigkeits- und Billigkeits*-gründen zugelassen worden. Allerdings
muß der Geschäftsherr eine ausreichende Kontrolle durchführen, die eine
ordentliche Geschäftsführung und Beaufsichtigung gewährleistet. Auch wenn
die unmittelbare persönliche Aufsicht über den landwirtschaftlichen Arbeiter
203
allein dem Verwalter obliegt, bleibt es Aufgabe des Gutsherrn, allgemeine
Aufsichtsanordnungen zu treffen, die die Gewähr für eine ordentliche
Betriebsführung bieten. Sollte ein Mangel der Organisation vorliegen, so ist
der Geschäftsherr wegen Vernachlässigung der allgemeinen Aufsicht aus §
823 Abs 1 BGB haftbar (vgl RGZ 89, 136; JW 1938, 1651; RG Warn 1920 Nr
30, Nipperdey, Gutachten zum 34. Deutschen Juristentag 1927, 411 RGRK §
831 5c).
8
Einige Schriftsteller haben sich gegen diese Haftungsgrundsätze des
Reichsgerichts bei größeren Betrieben gewandt. Sie empfinden die
erleichterte Beweisführung des Geschäftsherrn als unbillig und mit dem
Gesetz nicht vereinbar. Wenn schon ein Zwischenglied zwischen
Unternehmer und Arbeiter eingeschaltet sei, so genüge nicht der Nachweis
des Geschäftsherrn, daß er das Zwischenglied sorgfältig ausgewählt und
beaufsichtigt habe, sondern es müsse auch dargetan werden, daß das
Zwischenglied seinerseits bei Auswahl des unteren Angestellten sorgfältig
gehandelt habe. Wenn aber der Geschäftsherr für diese Auswahl einen
Vertreter benötige, so müsse er für das Verschulden dieses Vertreters wie für
ein eigenes einstehen (§ 278 BGB); andernfalls komme man zu dem
unbilligen Ergebnis, daß der Kapitalkräftige Unternehmer sich entlasten
könne, während der höhere Angestellte nicht in der Lage sei, einen größeren
Schaden zu ersetzen (vgl hierzu Weigert, Die außervertragliche Haftung von
Großbetrieben für Angestellte 1925; Ruth, ArchZivPrax Bd 126 S 353,
Nipperdey aaO; Enneccerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 13.
Bearb 1950 § 241 III 1c).
9
Diese Einwendungen geben jedoch keinen Anlaß zur Aufgabe der
Rechtsprechung des Reichsgerichts. Das geltende Recht unterscheidet
zwischen den Voraussetzungen der Haftung für das Verhalten von
Hilfspersonen danach, ob diese Haftung auf vertraglicher oder auf
außervertraglicher Grundlage beruht. Wenn auch die für die vertragliche
Haftung geltende Vorschrift des § 278 BGB auf verschiedene Fälle
vertragsähnlicher Beziehungen angewendet wird, insbesondere auf das
öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis (BGHZ 1, 369ff (732 m Nachw); 3,
162ff (172f); Urteil vom 11. Oktober 1951 - IV ZR 71/50), so ist es dennoch
nicht möglich, diese Vorschrift auf den Fall der unerlaubten Handlung
auszudehnen, für den das Gesetz ausdrücklich die Sondervorschrift des § 831
BGB enthält. Diese gibt dem Geschäftsherrn die Möglichkeit eines
Entlastungsbeweises, macht aber andererseits seine Haftung nicht davon
abhängig, daß die Hilfsperson ein Verschulden trifft. Dieser allgemeine
Grundsatz des § 831 BGB ist nicht von der Größe des Betriebes abhängig.
Auch bei der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs waren schon
Großbetriebe vorhanden, in denen es unmöglich war, jede einzelne
Hilfsperson durch den Inhaber oder einen nach § 31 BGB berufenen
verfassungsmäßigen Vertreter auswählen und überwachen zu lassen. Hätte
man für solche Betriebe eine Sonderregelung schaffen, insbesondere den in §
204
278 BGB enthaltenen Rechtsgedanken auf die unerlaubten Handlungen
ausdehnen wollen, so wäre dies im Gesetz zum Ausdruck gekommen.
10
Es war hiernach zunächst zu prüfen, ob der Beklagte bei Auswahl und
Beaufsichtigung seines Verwalters K. die erforderliche Sorgfalt hat walten
lassen (wird ausgeführt).
11
Sollte nach der neuen Verhandlung der Entlastungsbeweis als nicht geführt
anzusehen sein, so kommt es darauf an, ob der eingetretene Schaden auch
bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt entstanden sein würde. Wäre dies
zu bejahen, so fehlte es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang. Hierbei
müßte der Beklagte dartun, daß auch ein sorgfältig ausgewählter Verwalter
nicht anders hätte handeln können (RG JW 1934, 2973). Dieser Nachweis
könnte zwar nicht schon dadurch erbracht werden, daß K. schuldlos gehandelt
(RGZ 135, 149ff (155)) oder B. ordnungsmäßig ausgewählt und überwacht
hat. Aber ein solcher Nachweis wäre geeignet, den Beweis des mangelnden
Kausalzusammenhangs zu erleichtern (RG aaO). Bei dieser Prüfung käme es
dann auf die weiteren Beweisantritte an, daß B. sich als Eleve im Umgang mit
Tieren gut ausgekannt habe und wegen seiner Zuverlässigkeit und guten
Fahrweise verschiedentlich gelobt worden sei; daß er als Führer solcher
Fahrzeuge besonders geeignet und als besonders sorgsam im Umgang mit
Pferden bekannt gewesen und auch entsprechend überwacht worden sei.
Sollte die Beweisaufnahme die Richtigkeit dieser Behauptungen ergeben, so
könnte dies für die Frage des Kausalzusammenhangs bedeutsam sein.
5.
Anspruchsgrundlage
Verhältnis zu §§ 31 und 278 BGB
§ 31
§ 278
§ 831
(-)
(-)
(+)
Verhältnis zueinander: § 31 geht §§ 278, 831 als lex specialis vor!
Sonderverbindung
(-)
(+, idR: Vertrag)
Für wen wird gehaftet ? Repräsentant
„in Ausführung“
Verrichtungen
Erfüllungs-
widerr.-schuldh./nur tb./r.w.
verpfl. Verh.
III.
§ 832 BGB
nicht erf.
Verrichtungsgeh.
zur Erfüllung Verrichtungen
einer Verbindlichkeit
Haftungsvoraussetzungen:Jedes zum Schers.
Verschulden des GH:
(-)
Verh. des Gehilfen
nicht erf.
erforderlich!
205
Aufsichtshaftung für vermutetes Verschulden
1. Passivlegitimiert
sind:
Eltern,
Pfleger,
vertraglich
zur
Aufsicht
Verpflichtete (ggf. Abgrenzung zur bloßen Gefälligkeit erforderlich). Bspl.:
Internat (BGH NJW 1984, 2093, krit. Picker, JZ 1985, 644, zu §§ 832, 278
BGB).
2. Entlastungsbeweis
IV.
§ 833 S. 2 BGB
Haftung für vermutetes Verschulden; näheres bei § 833 S. 1 BGB.
V.
§§ 836 f. BGB
1. Verletzung
2. Einsturz/Ablösung
3. Folge mangelhafter Errichtung
4. Verschuldensvermutung
§ 5. Haftung mehrerer Schädiger
Gelegentlich sind für eine Verletzung oder einen Schaden mehrere Personen
möglicher Weise kausal oder haftungsrechtlich verantwortlich. Im Allgemeinen haften
mehrer Haftpflichtige dann nebeneinander.
I.
Nebentäter
Für Nebentäter gelten die §§ 840, 421 BGB. Mehrere Täter haften damit als
sog. Gesamtschuldner. Das bedeutet nach § 421 BGB, dass jeder Schuldner die
ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal
zu fordern berechtigt ist. Der Gläubiger (der Geschädigte) kann dann die Leistung
nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder teilweise fordern; bis zur
Bewirkung der ganzen Leistung bleiben sämtliche Schuldner verpflichtet (Satz 2).
Der Gläubiger (= Geschädigte) ist also der „juristische Pascha“ (Heck). So liegt es
etwa, wenn jemand betrunken Motorrad fährt und dabei auf ein unbeleuchtet
abgestelltes Fahrzeug prallt, so dass der Mitfahrer verletzt wird. Dann sind beide
Halter gesamtschuldnerisch haftende Nebentäter. Vorauszusetzen ist, dass jeder
206
Verantwortliche
voll
kausal
gewesen
ist.
Wird
ein
Fußgänger
in
aufeinanderfolgenden Jahren von einem Pkw und einem Lkw angefahren, so sind die
jeweiligen Halter Nebentäter, wenn die Schadensanfälligkeit (erster Unfall) den
Dauerschaden (zweiter Unfall) begünstigt hat.
Im Innenverhältnis gilt § 426 BGB. Danach sind die Gesamtschuldner im
Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht – wie etwa über
§ 254 BGB – ein anderes bestimmt ist. Als zweite Anspruchsgrundlage hält § 426
Abs. 2 BGB eine Legalzession bereit: Soweit ein Gesamtschuldner den Gläubiger (=
Geschädigten) befriedigt und von den übrigen Schuldnern Ausgleichung verlangen
kann, geht die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner auf ihn über.
Er kann also aus § 426 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der übergegangenen Schuld
(s. § 412 BGB) den Ausgleich beanspruchen.
Bei alledem ist zu beachten, dass in der Prüfung derjenige zunächst geprüft
wird, der dem Tatgeschehen am nächsten steht (der „am nächsten dran“ ist).
II.
Mittäter
Für Mittäter gilt § 830 Abs. 1 BGB. Mittäterschaft meint ein bewusstes und
gewolltes
Zusammenwirken
mit
dem
Ziel
der
Herbeiführung
desselben
Verletzungserfolges. Es gelten die strafrechtlichen Kriterien (§ 25 Abs. 2 StGB).
Fraglich ist, ob es auch eine fahrlässige Mittäterschaft gibt. Die herrschende
Auffassung lehnt dies ab (BGHZ 137, 89; anderer Ansicht insbes. Deutsch/Ahrens,
Deliktsrecht, Rn. 147). Für Exzesshandlungen eines Mittäters, die nicht vorhersehbar
und nicht zurechenbar sind, haftet der andere Mittäter nicht.
In Bezug auf die Kausalität werden nach der Rechtsprechung den Mittätern
die einzelnen Tatbeiträge auch der jeweils anderen unwiderleglich zugerechnet. Es
ist also nicht erforderlich, dass der jeweilige Tatbeitrag nachweisbar ursächlich für
die Verletzung geworden ist.
III.
Teilnahme
Die Teilnahme ist in § 830 Abs. 2 BGB geregelt. Die Kriterien sind diejenigen
des Strafrechts (§§ 26 [Beihilfe], 27 [Anstiftung] StGB).
207
1.
Anstiftung
Eine Anstiftung liegt zumindest dann vor, wenn der Täter vorsätzlich zu seiner
Tat bestimmt, d. h. der Tatentschluss in ihm hervorgerufen wird. Es ist sog.
Doppelvorsatz des Anstiftenden erforderlich, der sich sowohl auf die Anstiftung als
auch auf die sog. Haupttat beziehen muss. Auch der sog. Haupttäter (der
Angestiftete) muss vorsätzlich gehandelt haben.
2.
Beihilfe
Für die Beihilfe genügt körperliche oder geistige Unterstützung des Täters
(sog. psychische Kausalität). Auch hier ist der sog. Doppelvorsatz (in Bezug auf die
Beihilfe als auch in Bezug auf die Haupttat) erforderlich. Bloß psychische
Unterstützung (z. B. „Schmierestehen“) reicht aus. Auch genügt die Unterstützung
bei der Vorbereitung der Tat.
Als Haupttat ist auch hier jeweils eine vorsätzliche Tat erforderlich.
Bei Anstiftung wie Beihilfe besteht für Exzesse des Haupttäters, die
keinesfalls vorhersehbar waren, keine Einstandspflicht (Beispiel: Mord anlässlich des
geplanten und unterstützten Diebstahls einer Flasche Limonade vom Gartentisch).
BGH VersR 1998, 109 (nur Leitsätze)
1. Eine - nicht nur kurzfristige (hier: zweitägige) - Blockade des Einsatzes von
Baumaschinen durch eine Protestdemonstration kann einen rechtswidrigen
und schuldhaften Eingriff in den berechtigten Besitz der Bauunternehmen
darstellen und zum Ersatz des durch den Ausfall der Nutzung der
Baumaschinen entstandenen Schadens verpflichten.
2. Derartige Blockademaßnahmen sind nicht vom Grundrecht der
Versammlungsfreiheit gedeckt und daher rechtswidrig, wenn sie durch
zielgerichtete Anwendung unmittelbaren, sei es auch nur psychischen
Zwanges den bestimmungsgemäßen Einsatz der Baumaschinen verhindern
sollen.
3. Für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit solchen Vorgehens können
grundsätzlich auch dann keine Besonderheiten gelten, wenn es um Ereignisse
208
geht, die wenige Monate nach der Wiedervereinigung Deutschlands in den
neuen Bundesländern stattgefunden haben.
4. Die bloße (zeitweilige) Anwesenheit am Demonstrationsort und die nicht
näher bestimmte Teilnahme an der Versammlung als solche reicht nicht aus,
um eine Mittäterschaft oder Beihilfe an deliktischen Rechtsgutverletzungen
zu begründen. Für den einzelnen Teilnehmer muß jedenfalls ein Verhalten
festgestellt werden können, das den rechtswidrigen Eingriff in das fremde
Rechtsgut unterstützt hat und das (gemäß den im Rahmen des BGB § 830
Abs 1 S 1 und Abs 2 maßgeblichen strafrechtlichen Grundsätzen) von der
Kenntnis der Tatumstände und dem auf die Rechtsgutverletzung gerichteten
Willen getragen war.
IV.
Alternativtäterschaft
Die Alternativtäterschaft ist in § 830 Abs. 1 S. 2 BGB geregelt. Vorausgesetzt
ist dafür, dass sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden
durch seine Handlung verursacht hat. Erforderlich ist indes, dass es sich um mehrere
Beteiligte handelt, von denen jeder kausal gewesen sein kann, aber nur der eine
oder andere kausal geworden ist. Es geht also um die sich gegenseitig verdrängende
Kausalität. Hauptzweck der Normen des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB, der zu § 840 Abs. 1
BGB und damit zur Gesamtschuldnerschaft führt, ist, dem Geschädigten aus einer
Beweisnot zu helfen. Das Mitgefühl mit dem Opfer ist hier größer als mit dem Täter.
Jedenfalls muss feststehen, dass einer der Alternativtäter kausal geworden ist.
1.
Jeder muss voll haftbar sein (Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld usw.),
einzige Ausnahme ist die Kausalität.
2.
Die „Beteiligung“ im Sinne von § 830 Abs. 1 S. 2 lässt sich in zwei Fallgruppen
unterteilen. Es geht zum einen um Urheberzweifel, zum zweiten um Anteilszweifel
(hat einer der Beteiligten den Gesamtschaden oder nur einen Teil verursacht?).
Nach BGHZ 25, 271 ist erforderlich ein tatsächlich einheitlicher, örtlich und
zeitlich zusammenhängender Vorgang. Beispiel: Sturz an der Grenze zweier
ungestreuter Grundstücke.
Nach BGHZ 33, 286 war der Fußgänger in derselben Nacht von zwei Pkw
überfahren worden. Auch das soll für § 830 Abs. 1 S. 2 BGB noch genügen. Ebenso
stand es in BGHZ 55, 86: Ein Unfallopfer war auf dem Weg ins Krankenhaus erneut
verletzt worden. Wer von den Schädigern (Erst- oder Zweitschädiger) welche
Verletzungen herbeigeführt hat, war unklar. Auch hier wurde § 830 Abs. 1 S. 2 BGB
angewendet.
Anders stand es in BGH LM § 249 (BB) BGB Nr. 74 mit Anm. Spickhoff. Es
handelte sich um zwei nacheinander folgende Unfälle im Abstand von einem Jahr.
Am Ende erlitt das Opfer ein Schleudertrauma. Es war insgesamt unklar, wer das
Schleudertrauma verursacht hatte: nur der erste Täter, nur der zweite Täter oder alle
beide. Der BGH lehnte hier wegen eines fehlenden tatsächlichen einheitlichen, örtlich
und zeitlich zusammenhängenden Vorgangs die Anwendung von § 830 Abs. 1 S. 2
BGB ab.
209
3.
Steht fest, dass der Ersttäter für den gesamten Schaden haftet, weil ihm die
Schädigung durch den Zweitbeteiligten als adäquat-kausale Folge seiner Tat
zuzurechnen ist, so fehlt es an den von § 830 Abs. 1 S. 2 BGB vorausgesetzten
Beweisschwierigkeiten hinsichtlich der Kausalität, so dass die Vorschrift nicht
angewendet wird (BGHZ 67, 14, 19 ff, strittig).
Sonderfall zur Demonstrationsfreiheit und Haftung von Demonstranten:
BGHZ 89, 400 (Demo gegen Kernkraftwerk Grohnde - Auszug)
Tatbestand:
1
Am 19. März 1977 fand an der Baustelle des Kernkraftwerks G eine
Großdemonstration gegen die Errichtung von Kernkraftwerken statt, zu der
zahlreiche Bürgerinitiativen und politische Gruppen aufgerufen hatten. Daran
beteiligten sich zwischen 10.000 und 20.000 Demonstranten, die aus vielen
Teilen der Bundesrepublik angereist waren. Das Grundstück, auf dem das
Kernkraftwerk errichtet wurde, liegt zwischen den Ortsteilen G und K der
Gemeinde E mehrere hundert Meter westlich der We, die hier etwa in
nordwestlicher Richtung fließt. Die Baustelle war durch einen doppelten
Stahlgitterzaun von etwa 3 m Höhe gesichert. Parallel zur We verläuft unmittelbar an der Ostgrenze des Bauplatzes entlang - die Bundesstraße 83
(B 83). Die Demonstranten hatten sich im wesentlichen in K, etwa 1 km
nordwestlich der Baustelle, und in G, etwa 1 km südöstlich der Baustelle,
versammelt und brachen gegen 12.00 Uhr zum Kernkraftwerk auf, - ein Teil
von ihnen von vornherein in der Absicht, den Bauplatz notfalls gewaltsam zu
besetzen. Von der Einsatzleitung der Polizei des Landes Niedersachsen, die
von solchen Plänen erfahren hatte, waren innerhalb und außerhalb des
Bauplatzgeländes starke Polizeikräfte bereitgestellt. Am Südausgang von K
hatte die Polizei auf der B 83 eine Kraftfahrzeugsperre errichtet, indem sie
zwei Lastwagen quer, dazwischen einen längs der Straße und vor diesen
Wagen ein Gitter aufgestellt hatte. Die Lücken ließen das gleichzeitige
Passieren von drei Personen zu. Gegen 12.45 Uhr kam es vor dieser Sperre
zu einer Stauung des von K anrückenden Demonstrationszuges, in dem auch
mehrere Fahrzeuge mitgeführt wurden. Dem Verlangen von Demonstranten
auf Räumung der Sperre kam die Polizei nicht nach, weil sie vor allem die
Fahrzeuge, in denen sie Waffen und schweres Gerät zur Beseitigung des
Bauzaunes vermutete, nicht durchlassen wollte. Daraufhin beseitigten
Demonstranten die Sperre gewaltsam, indem sie das Sperrgitter und einen
der quergestellten Lastwagen wegzogen. Es kam zu körperlichen
Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizeibeamten, die den
weggezogenen Lastwagen zurückholen wollten. Dabei gab es auf beiden
Seiten Verletzte. Sodann setzte sich der Demonstrationszug unter Mitführung
der Fahrzeuge in Richtung Baugelände in Bewegung. Gleichzeitig rückte von
Süden her der aus G kommende Demonstrationszug heran; eine bei G
ebenfalls auf der B 83 errichtete Kraftfahrzeugsperre war von der Polizei
aufgehoben worden, nachdem die Demonstranten sich mit der Durchsuchung
mitgeführter Kraftfahrzeuge einverstanden erklärt hatten.
2
210
Gegen 14.00 Uhr kamen beide Demonstrationszüge an der Baustelle an. Ein
Teil der Demonstranten versuchte, den Zaun mit Hilfe von Wurfankern und
Seilen, Bolzenschneidern, Schneidbrennern und ähnlichem Gerät
einzureißen, und zwar hauptsächlich an dem sogenannten Haupttor, das sich
im nördlichen Teil der Ostseite des Baugeländes befindet, und dem
sogenannten Tor 2 im südlichen Drittel der Ostseite. Den Demonstranten
gelang es, beim Haupttor den äußeren Zaun und beim Tor 2 den äußeren und
inneren Zaun ein kleines Stück einzureißen. Während dieser Aktionen griffen
Demonstranten die innerhalb des Baugeländes eingesetzten Polizeibeamten
durch Würfe von Steinen und anderen Gegenständen an. Die Polizeibeamten
ihrerseits setzten Wasserwerfer, Tränengas und Löschpulver ein. Gegen
15.00 Uhr begannen nach vorheriger Ankündigung Polizeieinheiten, die aus
Richtung Nordwesten in einer etwa 250 m breiten Kette anrückten, das
Gelände östlich des Bauplatzes von den Demonstranten zu räumen. Sie
setzten dabei Schlagstöcke ein. Von den Demonstranten wurden sie mit
Steinen und anderen Gegenständen beworfen. In der Nähe des Tores 2 kam
es auch zu unmittelbaren körperlichen Auseinandersetzungen zwischen
Polizisten und Demonstranten. Wiederum gab es auf beiden Seiten Verletzte.
Gleichzeitig rückten an der südlichen Begrenzung des Bauplatzes andere
Polizeieinheiten nach Osten vor. Beide Einsatzgruppen erreichten etwa zur
gleichen Zeit die Südost-Ecke des Baugeländes. Zu dieser Zeit setzte die
Polizei auch eine Reiterstaffel ein, die gegen die Demonstranten vorging.
3
Das klagende Land hat 18 Teilnehmer an der Demonstration auf Ersatz der
Schäden in Anspruch genommen, die bei den Auseinandersetzungen an der
Kraftfahrzeugsperre K und bei der späteren Räumung des Geländes östlich
und südlich des Bauplatzes dadurch entstanden sind, daß eingesetzte
Polizisten und Grenzschutzbeamte Verletzungen erlitten und Polizeimaterial
verloren ging oder beschädigt wurde. Unter Darstellung des jeweiligen
Verhaltens der Beklagten während der Auseinandersetzungen zwischen
Demonstranten und Polizei ist das klagende Land der Ansicht, diese seien als
Mittäter oder Gehilfen einer einheitlichen Handlung anzusehen und hätten
deshalb für alle geltend gemachten Schäden einzustehen. Es verlangt
deshalb von jedem der Beklagten als Gesamtschuldner die Zahlung von
233.926,09 DM nebst Zinsen.
4
Der Zweitkläger, der beim Einsatz der Polizeibeamten zur Räumung des
Geländes südlich des Bauplatzes durch ein Rundholz und durch einen dicken
Feldstein erheblich verletzt worden ist, hat von den Beklagten zu 1) bis 7) und
9) bis 18) als Gesamtschuldnern die Zahlung eines Schmerzensgeldes von
20.000 DM verlangt.
5
Die Beklagten bestreiten zum Teil die Behauptungen über ihre angeblichen
Tatbeiträge und vertreten überdies die Ansicht, die Klage sei aus
Rechtsgründen abzuweisen.
211
6
Das Landgericht hat den Beklagten zu 8) durch Teilversäumnisurteil
antragsgemäß verurteilt und sodann seinen Einspruch als unzulässig
verworfen; das Teilversäumnisurteil ist insoweit rechtskräftig. Die Klagen
gegen die Beklagten zu 2), 3), 16) und 18) hat das Landgericht abgewiesen.
Die Klage des Landes gegen den Beklagten zu 9) hat es in vollem Umfang
dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die gegen den Beklagten zu 1)
gerichtete Klage hat es jedoch nur hinsichtlich des in K entstandenen
Schadens, die gegen die Beklagten zu 4) bis 7), 10) bis 15) und 17)
hinsichtlich des unmittelbar am Kernkraftwerksgelände entstandenen
Schadens dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Klage des
Zweitklägers hat das Landgericht gegenüber dem Beklagten zu 1)
abgewiesen und ihr im übrigen dem Grunde nach gegenüber den Beklagten
zu 4) bis 7), 9) bis 15) und 17) stattgegeben.
7
Hinsichtlich der Abweisung der gegen die Beklagten zu 2) und 18) gerichteten
Klage hat das klagende Land dieses Urteil nicht angefochten. Auch der
Zweitkläger hat keine Berufung eingelegt. Im übrigen hat das
Berufungsgericht auf die Rechtsmittel des klagenden Landes und der noch am
Rechtsstreit beteiligten Beklagten die Abweisung der gegen die Beklagten zu
3) und 16) gerichteten Klage bestätigt. Darüber hinaus hat es die beiden
Klagen gegen die Beklagten zu 6) und 17) abgewiesen. Gebilligt hat es die
Verurteilung des Beklagten zu 9) dem Grunde nach in vollem Umfang.
Gegenüber dem klagenden Land haften nach seinem Urteil dem Grunde nach
voll ferner die Beklagten zu 1), 7), 13), 14) und 15). Eine Haftung dem Grunde
nach gegenüber dem klagenden Land hat das Berufungsgericht bei den
Beklagten zu 4), 5), 10), 11) und 12) jeweils für die Schäden angenommen,
die nach einem bestimmten Zeitpunkt - Beginn der jeweiligen
Teilnahmehandlung - entstanden sind, im übrigen "nur im Rahmen des § 830
Abs. 1 Satz 2 BGB".
8
Die Berufungen der Beklagten zu 4), 5), 7), 9), 10), 11), 12), 13), 14) und 15)
gegen das ihre Haftung dem Zweitkläger gegenüber dem Grunde nach
feststellende Urteil des Landgerichts hat das Berufungsgericht
zurückgewiesen.
9
Das klagende Land wendet sich mit seiner Revision gegen die Abweisung der
gegen die Beklagte zu 6) gerichteten Klage sowie gegen die vom
Berufungsgericht ausgesprochenen Einschränkungen der Haftung der
Beklagten zu 4), 5), 10), 11) und 12). Die Beklagten zu 1), 4), 5), 7), 9), 10),
11), 12), 13), 14) und 15) verfolgen mit ihrer Revision ihre Anträge auf volle
Abweisung der Klagen weiter.
212
Entscheidungsgründe
10
Das Berufungsgericht - sein Urteil ist auszugsweise veröffentlicht in Nds Rpfl
1982, 39 ff und VersR 1982, 598 ff - führt, soweit es zu einer Verurteilung der
Beklagten gekommen ist, im wesentlichen aus: Bei den
Verletzungshandlungen und Sachbeschädigungen, die im Zusammenhang mit
der von einem Teil der Demonstranten von vornherein geplanten und
erstrebten Bauplatzbesetzung des Kernkraftwerksgeländes begangen seien,
handele es sich rechtlich um eine einheitliche Tat. Alle Handlungen hätten
dazu gedient, ein gemeinsam erstrebtes Ziel, nämlich die Bauplatzbesetzung,
zu erreichen. Ein nicht geringer Teil der Demonstranten habe von vornherein
den Plan gehabt, unter Anwendung von Gewalt und unter Einsatz der
mitgeführten Waffen den Zaun um das Bauplatzgelände zu überwinden. Es
habe sich mithin um eine Demonstration gehandelt, die jedenfalls von einem
Teil der Teilnehmer als von Anfang an unfriedlich und gewaltsam geplant
gewesen sei. Deswegen - so meint das Berufungsgericht - seien die im
Zusammenhang mit der angestrebten Bauplatzbesetzung begangenen
Handlungen für diese Teilnehmer und diejenigen, die sich deren Plan
angeschlossen hätten, von einem gemeinsamen Willen zur Erreichung eines
gemeinschaftlichen Zieles getragen gewesen. Sie seien deshalb Teilnehmer
an den im Verlauf der Demonstration verübten Körperverletzungen und
Sachbeschädigungen (§ 830 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB). Diese Taten
seien, wie das Berufungsgericht im einzelnen ausführt, rechtswidrig gewesen;
insbesondere begründeten die nach Meinung der Demonstranten von
Kernkraftwerken ausgehenden Gefahren kein Widerstandsrecht gegen deren
Errichtung.
11
Von diesem Ausgangspunkt aus wertet das Berufungsgericht die einzelnen,
von ihm jeweils festgestellten Tatbeiträge der Beklagten während der
Auseinandersetzungen am Kernkraftwerksgelände. Wegen der Einzelheiten
wird auf die nachfolgenden Ausführungen unter B verwiesen. Dabei rechnet
es dem Beklagten zu 1), der sich nur an der Beseitigung der
Kraftfahrzeugsperre in K beteiligt hat, aufgrund einer Fortwirkung seines
Tatbeitrages auch die bei den späteren Auseinandersetzungen am Bauplatz
entstandenen Schäden zu. Ebenso haften seiner Ansicht nach die Beklagten
zu 7), 13), 14) und 15) deswegen für die in K entstandenen Schäden mit, weil
sie von vornherein zu Gewalttaten entschlossen waren, obwohl eine aktive
Beteiligung an Gewalthandlungen bei ihnen erst später festzustellen sei. Bei
den übrigen zum Schadensersatz verurteilten Beklagten vermag das
Berufungsgericht nicht auszuschließen, daß diese sich erst zu einem späteren
Zeitpunkt spontan zu Gewalttätigkeiten und zur Solidarisierung mit
Gewalttätern entschlossen haben. Es will diese Beklagten nur für diejenigen
Schäden haften lassen, die nach ihrem jeweiligen ersten konkreten Tatbeitrag
entstanden sind. Soweit freilich im späteren Betragsverfahren nicht
aufzuklären sein sollte, ob Schäden vor oder nach dem für die Haftung des
einzelnen Beklagten maßgebenden Zeitpunkt entstanden seien, gehe diese
Unklarheit in Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zu Lasten der
Beklagten.
213
12
Soweit sie als Mittäter oder Gehilfen an gemeinschaftlichen
Körperverletzungen anläßlich der Demonstration anzusehen seien, hafteten
die Beklagten - so meint das Berufungsgericht - auch auf Ersatz des
immateriellen Schadens des Zweitklägers, der während seines Einsatzes als
Polizist durch Wurfgeschosse verletzt worden ist; dies freilich nur, sofern die
einzelnen Beklagten sich nach den getroffenen Feststellungen schon vor der
Verletzung des Zweitklägers dem gemeinschaftlichen Tatplan der
gewaltsamen Bauplatzbesetzung angeschlossen hätten. Nicht aufklärbare
Zweifel in zeitlicher Hinsicht gehen nach Ansicht des Berufungsgerichts dabei
wiederum in Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zu Lasten des
jeweiligen Beklagten.
13
Soweit das Berufungsgericht die Klage gegen die Beklagten zu 3), 6), 16) und
17) als unbegründet angesehen hat, vermochte es sich aufgrund der von ihm
festgestellten Tatumstände nicht davon zu überzeugen, daß diese die
Körperverletzungen und Sachbeschädigungen vorsätzlich physisch oder
psychisch unterstützt haben. Auf Einzelheiten wird bei den Ausführungen über
die Revision des klagenden Landes betreffend die Klagabweisung gegen die
Beklagte zu 6) eingegangen werden.
14
Die gegen das Berufungsurteil gerichteten Revisionsangriffe des klagenden
Landes sind - abgesehen von den nachfolgend unter A I erörterten
verfahrensrechtlichen Punkten - in sachlicher Hinsicht unbegründet. Dagegen
hält das angefochtene Urteil den Revisionen der Beklagten im Ergebnis nicht
stand.
…
21
II. Zur Teilnahme an unerlaubten Handlungen während der Demonstration
22
Schon der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, die Beklagten
seien als Teilnehmer an einer rechtlich als Einheit anzusehenden unerlaubten
Handlung zu betrachten, findet in den tatsächlichen Feststellungen keine
ausreichende Stütze.
23
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß sich die Prüfung, ob
sich jemand als Mittäter oder Gehilfe an einer die zivilrechtliche Haftung
begründenden Körperverletzung oder Sachbeschädigung beteiligt hat (§ 830
Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB), nach den für das Strafrecht entwickelten
214
Rechtsgrundsätzen richtet (BGHZ 63, 124, 126 m.w.Nachw.). Danach verlangt
die Teilnahme neben der Kenntnis der Tatumstände wenigstens in groben
Zügen den jeweiligen Willen der einzelnen Beteiligten, die Tat
gemeinschaftlich mit anderen (als Mittäter) auszuführen oder sie (als Gehilfe)
als fremde Tat zu fördern, objektiv darüber hinaus eine Beteiligung an der
Ausführung der Tat, die in irgendeiner Form deren Begehung fördert und für
diese relevant ist.
24
a) Zur subjektiven Seite stellt das Berufungsgericht fest: Ein nicht geringer Teil
der Teilnehmer an der Demonstration habe von vornherein den Plan gehabt,
unter Anwendung von Gewalt und notfalls unter Einsatz mitgeführter Waffen
(wie Knüppeln, Stöcken, Stangen und Zwillen mit Munition, ferner
Bolzenschneidern, Schweißgeräten, Wurfankern mit Tauen und dergl.) den
Sicherheitszaun um das Kernkraftwerksgelände zu überwinden und den
Bauplatz zu besetzen. Alle im Zusammenhang mit der angestrebten
Bauplatzbesetzung begangenen Handlungen - gemeint sind offenbar die hier
in Rede stehenden vorsätzlichen Körperverletzungen von Polizeibeamten und
die Beschädigung von Polizeimaterial - sind nach Ansicht des
Berufungsgerichts schon deswegen von einem gemeinschaftlichen Willen
derjenigen umfaßt, die ihrem Plan entsprechend von vornherein zu etwaigen
Gewalttaten entschlossen waren oder die sich dem Plan später
angeschlossen hatten. Darüber hinaus sieht das Berufungsgericht in dem
Gesamtgeschehen eine einzige, von dem gemeinschaftlichen Willen
getragene Tat. Zur Begründung beruft es sich auf die Rechtsprechung des
erkennenden Senats zur Blockade und zu Angriffen gegen Betriebe des
Verlages S in F und B (BGHZ 59, 30 und Urt. v.30. Mai 1972 - VI ZR 139/70 NJW 1972, 1571) sowie zu unerlaubten Handlungen im Zusammenhang mit
einer Hausbesetzung (BGHZ 63, 124).
25
b) Indessen reichen die Verabredung, im Rahmen einer Großdemonstration
das Kernkraftwerksgelände zu besetzen, und der darin zum Ausdruck
kommende Wille, sich notfalls auch gewaltsam gegen zum Schutz des
Geländes oder zur Auflösung der Demonstration eingesetzte Polizeibeamte
durchzusetzen, noch nicht aus, um einen gemeinsamen Tatentschluß für alle
im Verlauf der Großdemonstration von Mitdemonstranten verübten
Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen anzunehmen; ebensowenig ist
eine solche Annahme ohne weiteres bei denjenigen Demonstranten
begründet, die sich erst im Verlaufe der Demonstration der einen oder
anderen gewalttätigen Handlung angeschlossen haben. Das läßt sich auch
den vom Berufungsgericht angeführten Entscheidungen des erkennenden
Senats nicht entnehmen.
26
aa) Der Einzelne, der sich allein oder meist in kleinen oder größeren Gruppen
zu einer Großdemonstration begibt, wird im allgemeinen nur eine ungefähre
Vorstellung von der Planung und Durchführung der Aktion haben, wenn er
215
nicht maßgeblich an deren Vorbereitung beteiligt war und zu den sogenannten
"Rädelsführern" geplanter Gewalttätigkeiten gehört. Für keinen der Beklagten
hat das Berufungsgericht derartiges festgestellt. Weiß der Demonstrant, daß wie im Streitfall - eine gewaltsame Bauplatzbesetzung stattfinden soll, und will
er sich unter Billigung zu erwartender Gewalttätigkeiten gegen Polizeibeamte
an einer solchen Besetzung beteiligen, so ist es doch für ihn häufig nicht
erkennbar und vorerst völlig offen, ob und in welchem Umfang es zu
Tätlichkeiten kommen wird, ob er selbst überhaupt in die Lage kommt, sich an
diesen zu beteiligen, welcher Art die Auseinandersetzungen sein und mit
welchen Mitteln sie ausgetragen werden, sowie in welcher Gruppierung von
Demonstranten er sich dabei befinden wird. Dementsprechend kann ihm nicht,
zumal schon für den Zeitpunkt seines Hinzutretens zu der Demonstration,
ohne weiteres unterstellt werden, er werde sich auf alle Fälle an Gewalttaten
jeder Art beteiligen und wolle sich mit jeder anderen Demonstrantengruppe
solidarisieren.
27
Dagegen sprechen bei Großdemonstrationen, wie im Streitfall, vor allem zwei
Gründe:
28
Einmal sind die Teilnehmer an einer solchen Demonstration keine homogene
Gruppe, in der über Durchführung und Ablauf der Demonstration die gleichen
Vorstellungen und Zielsetzungen herrschen. Die Demonstranten können
durchaus unterschiedliche Motive für ihre Teilnahme haben. Die meisten
werden, wie im Streitfall, nach Möglichkeit friedlich demonstrieren wollen,
andere planen unter Umständen sogenannten passiven, gewaltfreien
Widerstand, andere wollen Gewaltanwendung nicht ausschließen, wiederum
andere mögen zu allem entschlossen sein. Selbst bei solchen Demonstranten,
die sich bewaffnet haben, folgt aus diesem Umstand noch nicht zwingend,
daß sie diese Waffen in jeder sich bietenden Lage einsetzen wollen; der eine
oder andere mag etwa nur an die Abwehr von, wenn auch rechtmäßigen,
Eingriffen der Polizei gegenüber Demonstranten denken. Soweit Gruppen von
vornherein zu Ausschreitungen gegen Sachen oder Personen unter
Ausnutzung der jeweiligen Demonstrationslage entschlossen sind, wird es
sich ohnehin nur um einen kleineren, fest umrissenen Täterkreis handeln.
29
Zum anderen kann der Entschluß des einzelnen Demonstrationsteilnehmers,
sich an der Ausführung von Gewalttätigkeiten zu beteiligen, aus ganz
unterschiedlichen, auch situationsgebundenen Motivationen entstehen.
Kommt es zu Auseinandersetzungen anderer Demonstranten mit der Polizei,
deren eigentlicher Anlaß dem einzelnen Teilnehmer gar nicht ohne weiteres
erkennbar sein muß, können Angst, Wut, Enttäuschung, der Wunsch,
bedrängten Mitdemonstranten zu helfen, zuweilen vielleicht auch nur die
Absicht, sich selbst vor der von den Ordnungskräften ausgeübten
unmittelbaren körperlichen Gewalt zu schützen, zu spontanen
216
Solidarisierungen mit ihrerseits gewaltausübenden Mitdemonstranten und zur
Teilnahme an deren Gewaltakten führen.
30
Es wird sich deshalb der jeweilige Wille eines Teilnehmers an der
Großdemonstration zur Begehung oder Förderung von Gewalttaten in der
Regel nur auf einen bestimmten Tatkomplex beziehen lassen. Der Wille zur
gemeinschaftlichen Tat oder deren Unterstützung ist zunächst nur auf das für
den Demonstranten räumlich und zeitlich überschaubare Aktionsfeld gerichtet
und auf die dort von ihm oder der Gruppe, mit der er sich solidarisiert hat,
ausgeführten Handlungen. Das gemeinschaftlich gewollte Ziel - Besetzung
des Bauplatzgeländes unter Überwindung von Widerstand - hat für sich allein
zu wenig Substanz, um bereits auf einen gemeinschaftlichen Willen zu jeder
dabei verübten Gewalttat oder auch nur auf einen entsprechenden
Gehilfenvorsatz zu schließen. Zwar genügt es, vor allem bei Massendelikten,
daß die gewollte Übereinstimmung zwischen den Mittätern irgendwie
hergestellt wird; der einzelne Mittäter muß nur wissen, daß neben ihm andere
unter dem gleichen Bewußtsein des gemeinsamen einverständlichen
Handelns aktiv sind (vgl. dazu etwa Cramer in Schönke/Schröder, StGB,
21.Aufl., § 25, Rdn. 71; LK-StGB-Roxin, 10.Aufl., § 25, Rdn. 119). Indessen
gehört dazu eine übereinstimmende Rollenverteilung, durch die das
gemeinschaftliche Bewußtsein hergestellt wird (Cramer aaO vor § 25, Rdn.
82). Diese wird nicht schon durch die bloße Absicht, bei einer
Großdemonstration mitzumachen und dabei je nach Lage der Dinge auch
gegen andere Gewalt anzuwenden, hergestellt. Sie aktualisiert sich bei dem
jeweiligen Teilnehmer an einer Großdemonstration, solange er nicht an der
konkreten Planung mitwirkt oder diese in leitender Funktion zur Durchführung
bringt, mithin gezielt gewalttätige Aktionen lenkt, im allgemeinen erst durch die
Solidarisierung mit anderen gewalttätigen Demonstranten oder Teilgruppen an
Ort und Stelle (Bedenken gegen eine Haftung bei Fehlen eines "gezielten
Planes" auch bei Esser/Schmidt, Schuldrecht, Bd. I, Teilband 2, 5.Aufl.,
S.118). Wann danach aus dem jeweiligen Verhalten des
Demonstrationsteilnehmers auf einen gemeinschaftlichen Täterwillen oder auf
einen entsprechenden Gehilfenvorsatz geschlossen werden darf, und wo die
Grenze zwischen dem Recht auf Teilnahme an einer nicht insgesamt
unfriedlich geplanten Demonstration und dem Unrecht einer Unterstützung
von Gewalttätigkeiten zu ziehen ist, wird noch zu erörtern sein. Jedenfalls
reichen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht aus, für
jeden der Beklagten die subjektiven Voraussetzungen einer Teilnahme an
allen nach ihrer Solidarisierung mit gewalttätigen Demonstranten im Umfeld
der Großdemonstration begangenen Körperverletzungen und
Sachbeschädigungen anzunehmen.
31
bb) Zu Unrecht beruft sich das Berufungsgericht für seine andere Sicht auf die
Rechtsprechung des erkennenden Senats. Dem Urteil vom 30. Mai 1972
(BGHZ 59, 30) lag ein Sachverhalt zugrunde, der die Feststellung der
tatsächlichen Voraussetzungen einer Mittäterschaft des damaligen Beklagten
rechtfertigte. Dieser war einer der Rädelsführer der als gewaltsam geplanten
217
Blockade, hatte an der Durchführung mitgewirkt, die Planung den späteren
Mitdemonstranten erläutert und sich sodann selbst an der Aktion in Kenntnis
und mit Billigung der dabei von anderen verübten Gewalttaten beteiligt. Unter
solchen Umständen besteht kein Zweifel an einem genügend konkretisierten
gemeinschaftlichen Tatentschluß und der objektiven Teilnahme an den
Sachbeschädigungen. Nicht anders war es in dem am gleichen Tage
entschiedenen Fall VI ZR 139/70 (NJW 1972, 1571). Der dort Beklagte, der
mit anderen Demonstranten gewaltsam in das S haus in B eindrang, billigte
die dabei verübten Gewalttätigkeiten nach den zugrunde liegenden
Feststellungen insgesamt und betrachtete sein eigenes Tun als Teil eines
gemeinschaftlichen Vorgehens. Es handelte sich auch um ein räumlich und
zeitlich überschaubares Geschehen. Im sogenannten Hausbesetzer-Fall
(BGHZ 63, 124), auf den sich das Berufungsgericht insbesondere bezieht, hat
der Senat aufgrund der tatsächlichen Feststellungen die Voraussetzungen
einer psychischen Beihilfe der Beklagten an Gewalttätigkeiten der
"Mitbesetzer" des Hauses gegen die zur Räumung eingesetzten
Polizeibeamten angenommen. Er hat auch dort auf den erforderlichen
Teilnahmewillen nicht allein aus ihrer Anwesenheit am Tatort geschlossen,
sondern schon auf ihre Mitwirkung bei den Vorbereitungshandlungen
abgestellt. Die Verhältnisse waren überdies für die dortigen Beklagten zeitlich
und räumlich überschaubar; sie waren auch nicht - wie im Streitfall - zu einer
wenigstens teilweise als friedlich geplanten Demonstration gegangen, sondern
hatten sich in Kenntnis der Tatsache, daß die Polizei das besetzte Haus
gewaltsam räumen werde, mit anderen verbarrikadiert, sich mit diesen
solidarisiert und dort ausgeharrt. Sie bildeten, wie das Berufungsgericht im
anderen Zusammenhang selbst richtig sagt, eine "verschworene
Gemeinschaft". Die erörterten Verhältnisse bei einer Großdemonstration
liegen tatsächlich anders und müssen deshalb, ohne daß die vom Senat
damals aufgestellten Rechtsgrundsätze aufgegeben werden müßten oder
dürften, auch rechtlich anders beurteilt werden.
32
2. Bei der rechtlichen Wertung, ob objektiv ein Tatbeitrag als Mittäter oder
Gehilfe geleistet worden ist, dürfen ferner folgende rechtlichen Überlegungen
und tatsächlichen Umstände nicht außer Acht gelassen werden:
33
a) Die verfassungsrechtlich mit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit
durch Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistete
Demonstrationsfreiheit gibt allerdings kein Recht zur Ausübung von
Gewaltakten, insbesondere auch nicht gegenüber den Ordnungskräften der
Polizei, weil die Gewährleistungen nur auf die friedliche Auseinandersetzung
mit geistigen Mitteln angelegt sind (vgl. u.a. BGHZ 59, 30 mit Anm. Pehle bei
LM BGB § 823 (Ai) Nr. 42 und BGHZ 63, 124 mit Anm. Steffen bei LM BGB §
830 Nr. 19; ferner BGHZ 70, 277, 287). Indessen darf die
Demonstrationsfreiheit nicht dadurch, daß an die Bejahung einer
haftungsbegründenden Teilnahme an Gewaltakten anderer Demonstranten zu
geringe Anforderungen gestellt werden, unterlaufen werden (vgl. dazu u.a.
Steffen aaO und in RGRK - BGB 12.Aufl. § 830 Rdn. 11 bis 13; Deutsch,
218
Haftungsrecht I, 346). Deswegen reicht es zu der Annahme einer
Mittäterschaft oder Beihilfe an solchen Ausschreitungen nicht schon aus, daß
der an ihnen nicht aktiv beteiligte Demonstrant an Ort und Stelle verharrt,
auch wenn er, wie es die Regel sein wird, von vornherein mit
Gewalttätigkeiten einzelner oder ganzer Gruppen rechnet und weiß,daß er
allein schon mit seiner Anwesenheit den Gewalttätern mindestens durch
Gewährung von Anonymität Förderung und Schutz geben kann. Ein solches
Verhalten kann auch nur die Kundgabe der eigenen Meinung zu den
sachlichen Anliegen der Demonstration in der Öffentlichkeit darstellen.
Darüber hinaus steht die Äußerung der Gesinnung allein - abgesehen von den
§§ 131, 140 StGB - nicht unter Strafandrohung und kann auch nicht die
zivilrechtliche Haftung begründen. Dazu ist mehr erforderlich, nämlich die
Feststellung, daß Gewährung von Anonymität und Äußerung von Sympathie
darauf ausgerichtet und geeignet sind, Gewalttäter in ihren Entschlüssen und
Taten zu fördern und zu bestärken, etwa durch Anfeuerung oder ostentatives
Zugesellen zu einer Gruppe, aus der heraus Gewalt geübt wird. Eine
Ausdehnung der zivilrechtlichen Haftung für die bei einer Großdemonstration
angerichteten Schäden auf "passiv" bleibende Sympathisanten wäre
verfassungswidrig, weil sie die Ausübung des Demonstrationsrechtes mit
einem unkalkulierbaren und untragbaren Risiko verbinden und so das Recht
auf öffentliche Kundgebung der Meinung unzulässig beschränken würde.
34
b) Einer pauschalen Haftung des Demonstrationsteilnehmers, der sich aktiv
an einzelnen Gewalttaten beteiligt, für alle anläßlich der Großdemonstration
entstandenen Schäden steht schließlich entgegen, daß sie den Mittätern oder
Gehilfen unterschiedslos auch das zurechnet, was von ihrem Willen nicht
mehr gedeckt ist. Mittäter oder Gehilfen haften nicht für den sogenannten
Exzeß des unterstützten Täters, d.h. für diejenigen unerlaubten Handlungen,
die dieser außerhalb der gemeinschaftlichen Tat ohne ihre Kenntnis und
Billigung begeht (BGHZ 59, 30, 42; 63, 124, 128). Es ist nicht
selbstverständlich, daß ein Demonstrant, der sich durchaus an körperlichen
Auseinandersetzungen mit Ordnungskräften und - wie im Streitfall - an der
Beschädigung des Sicherheitszaunes um ein Kernkraftwerksgelände
beteiligen will, jedes dabei von anderen eingesetzte Mittel und jede Brutalität
billigt. Zwar wird im allgemeinen der Vorsatz des Teilnehmers eine große
Spielbreite der konkreten Ausführung durch den unterstützten Täter umfassen
(vgl. Steffen in RGRK-BGB, 12.Aufl.,§ 830 Rdn. 13 m.Nachw.). Indessen ist
es etwa nicht selbstverständlich, daß derjenige, der bereit ist, mit anderen
Sperren zu beseitigen und Wasserwerfer mit Steinen anzugreifen, sich an
dem Einsatz lebensgefährlicher Waffen und Geräte beteiligen will.
35
Darüber hinaus können Verletzungen von Ordnungskräften und
Beschädigungen oder Verluste von Polizeimaterial auf Großdemonstrationen
vielfache Ursachen haben. Ausgeschlossen ist es schon nicht, daß sich
Polizeibeamte bei der Verfolgung von Demonstranten, die selbst friedlich
gewesen sein mögen und ihre Verfolgung nicht herausgefordert haben, ohne
fremde Einwirkung verletzen; auszuschließen ist auch nicht, daß es während
219
harter Auseinandersetzungen zu nicht mehr gerechtfertigten Übergriffen von
Polizeibeamten kommt, gegen die Notwehr geübt werden darf. Schäden, die
darauf beruhen, sind jedenfalls nicht ohne weiteres dem beteiligten
Demonstranten anzulasten. Freilich fehlt es im Streitfall insoweit an
tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts. Soweit es um den Ersatz
von beschädigtem oder verlorenem Material geht, ist es ebenfalls nicht
selbstverständlich, daß die Schäden alle darauf beruhen müssen, daß die
Beklagten sich an Gewalttaten beteiligt haben. Dürfte das klagende Land
ohne nähere Darlegung der Umstände, unter denen Polizeibeamte verletzt
worden sind und unter denen Material zerstört, beschädigt oder
verlorengegangen ist, den Beklagten - wie hier geschehen - pauschal die
gesamten Verluste zurechnen, würde ihnen die Möglichkeit genommen, sich
gegen unberechtigte Teilforderungen zur Wehr zu setzen. Das ist nicht nur
eine Frage der Schadenshöhe, die dem Betragsverfahren überlassen bleiben
könnte, sondern es handelt sich um mögliche Einwendungen gegen den
Grund, die jedenfalls einen Teil des geltend gemachten Anspruches betreffen
(vgl. dazu schon oben unter I.).
36
III. Zur Rechtswidrigkeit von Gewalttaten bei Großdemonstrationen
37
Das Berufungsgericht hat im einzelnen ausgeführt, daß für die Teilnehmer an
der Demonstration keine Notwehr- oder Notstandsituation vorgelegen hat und
die Beklagten vor allem auch kein Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG
für sich in Anspruch nehmen können. Das entspricht der bereits mehrfach
zitierten Rechtsprechung des Senats, an der festgehalten wird und auf die
verwiesen werden kann. Weder das Recht auf Meinungsäußerung noch das
Demonstrationsrecht (Art. 5 Abs. 1, Art. 8 GG) erlauben die Anwendung von
Gewalt gegen Personen oder Sachen.
38
Den Erwägungen der Revisionen der Beklagten, für Großdemonstrationen
gegen Kernkraftwerke könne etwas anderes gelten, vermag der Senat nicht
zu folgen. Er stimmt zwar der Auffassung zu, daß es für die zahlreichen
Gegner der Kernenergie ein Anliegen von existentieller Bedeutung ist, ihre
Bedenken gerade auch außerhalb der Parlamente und außerhalb von
Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zum Ausdruck zu bringen.
Demonstrationen sind ein geeignetes Mittel dazu. Solange aber, was auch die
Revision nicht behauptet, die Voraussetzungen für das verfassungsrechtlich
gewährte Widerstandsrecht nicht vorliegen, solange also nicht die Existenz
der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik auf dem Spiel steht
und andere Abhilfe unmöglich ist, kann auch den Bürgern des Staates, die die
von der Mehrheit getragenen politischen Entscheidungen für sich und ihre
Angehörigen als lebensbedrohend ansehen, nicht gestattet werden, ihre
andere Überzeugung durch Gewalttaten zu manifestieren. Wenn, wie oben im
einzelnen ausgeführt, die zivilrechtliche Haftung für Gewalttaten anläßlich von
Großdemonstrationen angemessen auf das beschränkt wird, was dem
220
jeweiligen Teilnehmer auch unter Berücksichtigung des Aggressionspotentials
und der Eigendynamik solcher Veranstaltungen noch zuzurechnen ist, kann
nicht mehr die Rede davon sein, der Staat verlange in Wahrheit Ersatz von
Folgekosten gesellschaftlicher Probleme, die durch die Ausübung von
Grundrechten entstanden seien. Meinungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit
werden nicht über Gebühr eingeschränkt, wenn Gewalttäter auch zivilrechtlich
für die Folgen ihrer Handlung einzustehen haben. Soweit Ersatz von
Einsatzkosten für Ordnungskräfte gefordert wird, muß ohnehin sorgfältig
geprüft werden, ob sie schadensrechtlich einer unerlaubten Handlung des in
Anspruch genommenen Demonstranten zuzurechnen sind.
39
IV. Zur Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB
40
1. Soweit das Berufungsgericht für die Beklagten zu 4), 5), 10), 11) und 12)
den Beginn ihrer Haftung von einem bestimmten Zeitpunkt ab annimmt, hat es
für solche Schäden, bei denen es im Betragsverfahren zweifelhaft bleiben
sollte, ob sie vor oder erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind, zu
Gunsten des klagenden Landes die Anwendung der Vorschrift des § 830 Abs.
1 Satz 2 BGB bejaht. Danach sind mehrere an einer unerlaubten Handlung
Beteiligte für den gesamten Schaden auch dann verantwortlich, wenn sich
nicht ermitteln läßt, wer von ihnen den Schaden durch seine Handlung
verursacht hat. Unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des
erkennenden Senates und mit der in der Literatur gegen sie teilweise
erhobenen Kritik meint das Berufungsgericht, der Zweck der Regelung in §
830 Abs. 1 Satz 2 BGB liege nicht ausschließlich darin, die Beweisnot des
Geschädigten zu beheben, sondern darin, Alternativtäter, die als Beteiligte
dem Verletzten gemeinschaftlich Unbill zugefügt haben, zu einer
Haftungseinheit zusammenzuführen und sie gegenüber dem sich in
Beweisnot befindlichen Verletzten auch gemeinschaftlich haften zu lassen.
Entlastung von ihrer gesamtschuldnerischen Haftung hätten sie im
Innenausgleich bei den anderen Beteiligten zu suchen.
41
2. Die von den betroffenen Beklagten dagegen erhobenen rechtlichen
Bedenken sind begründet. Zweifel, ob Schäden, für die die Beklagten
einstehen sollen, vor oder nach ihrem Hinzutreten zu gemeinschaftlichen
unerlaubten Handlungen entstanden sind, gehen grundsätzlich zu Lasten des
nach allgemeinen Regeln für seine Klagebehauptung, mithin auch für den
ursächlichen Zusammenhang zwischen Verletzungshandlungen und
Verletzungserfolg beweispflichtigen klagenden Landes.
42
Das Berufungsgericht verkennt den Anwendungsbereich der Vorschrift des §
830 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie betrifft Beweisschwierigkeiten bei der
haftungsbegründenden Kausalität für bestimmte Fälle einer Nebentäterschaft
221
(so ausdrücklich Motive II S. 738; Protokolle II S. 606; zur
Entstehungsgeschichte BGHZ 33, 286, 289). Zur Überwindung von Zweifeln,
ob die Beklagten im Zeitpunkt der Schädigung als Teilnehmer i.S. von § 830
Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB anzusehen und für diese mitverantwortlich sind, ist
sie dagegen nicht anwendbar (vgl. dazu u.a. Deutsch, Haftungsrecht I, S.350;
Steffen in RGRK-BGB § 830 Rdn. 15 bis 17). Zu solcher unzulässigen
Ausdehnung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB kann es aber führen, wenn das
Berufungsgericht hier dem zeitlichen Eintritt des Schadens keine Bedeutung
für die Haftung der Beklagten als Teilnehmer an der Schädigung beimißt. Die
Vorschrift kann hier nur zu Lasten der Beklagten eingreifen, wenn ihre
Beteiligung als Nebentäter an der Schädigung infrage kommt. Dazu bedarf es
der Feststellung, daß aus der Gruppe von Gewalttätern, denen sie sich als
Teilnehmer angeschlossen haben, sowohl vor als auch nach Anschluß
gleichgeartete Angriffe geführt worden sind, die - jeder für sich - geeignet
waren, die Schädigung, um die es geht, herbeizuführen. Nur in diesem Fall
können Urheberzweifel den Beklagten nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB
angelastet werden. Dagegen ist es nicht Zweck dieser Vorschrift, die Haftung
von Teilnehmern nach § 830 Abs.1 Satz 1, Abs. 2 BGB schon deshalb über
den Zeitpunkt hinaus vorzuverlegen, von dem ab sie als solche für das
Tatgeschehen verantwortlich sind, wenn sich nicht klären läßt, ob die
Schädigung schon eingetreten war, bevor sie sich dem Geschehen
verantwortlich angeschlossen haben, also offen bleibt, ob sie als Teilnehmer
dieser Schädigung in Betracht kommen. Steht ihre Teilnahme für den
Schadenszeitpunkt fest, so wird § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gebraucht, um
dem Geschädigten aus einer Beweisnot über die Kausalität der Tatbeiträge
mehrerer Beteiligter herauszuhelfen; denn dann haftet der Teilnehmer, wie
schon ausgeführt, ohnehin auf Ersatz des Gesamtschadens, wobei zu seinen
Lasten nach den gesetzlichen Regelungen unwiderleglich vermutet wird, daß
sein Tatbeitrag für den eingetretenen Schaden mit ursächlich geworden ist. Es
geht hier mithin nicht um die Ausräumung sogenannter Urheberzweifel und
auch nicht um die Ausräumung sogenannter Anteilszweifel, also die Klärung,
ob jeder der Schädiger den ganzen oder nur einen Teil des Schadens
verursacht hat (BGHZ 67, 14, 19 m.w. Nachw.). Ob einer der in Betracht
kommenden Beteiligten einen Tatbeitrag geleistet hat, der auch geeignet war,
den Schaden herbeizuführen, will § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zu Gunsten
des Geschädigten ausräumen helfen (Steffen aaO Rdn. 23). Eine solche
Ausdehnung der Vorschrift wird auch nicht in der vom Berufungsgericht
herangezogenen Literatur befürwortet.
…
§ 6. Gefährdungshaftung und Haftung für erlaubte Eingriffe
I.
Allgemeines
1838 wurde in Deutschland erstmals die Gefährdungshaftung normiert, und zwar im
Preußischen Eisenbahngesetz.
222
Die Gefährdungshaftung wird von dem Prinzip „Schadensabnahme“ durch
Risikoüberwälzung“ beherrscht. Diesem Gedanken liegt durchaus auch die
betriebswirtschaftliche Prävention zugrunde. Die Gefährdungshaftung ist dadurch
gekennzeichnet, dass der Gesetzgeber keine Rechtswidrigkeit voraussetzt (h. M.).
Der Gefährdende läuft also ein erlaubtes Risiko.
Allgemeine Voraussetzungen der Gefährdungshaftung sind:
-
eine Gefahr
-
die Verwirklichung der Gefahr
-
Abwesenheit von höherer Gewalt
Nach BGHZ 79, 259 ist wohl keine Adäquanz zu prüfen. Stattdessen gibt der
Schutzbereich der Gefährdungshaftung Maß. So werden im Falle der Haftung nach
dem Atomgesetz selbst ganz unwahrscheinliche Realisierungen der Gefahren der
Atomenergie die Haftung auslösen.
Dass im Rahmen der Gefährdungshaftung Ausführungen zur Schuld oder zur
Verschuldensfähigkeit bzw. zur Zurechnungsfähigkeit nicht in Betracht kommen,
versteht sich von selbst.
Nach der herrschenden Auffassung sollen die Gefährdungshaftungstatbestände als
Ausnahmen vom Prinzip der Verschuldenshaftung enumerativ aufgeführt und daher
eine Analogie nicht zugänglich sein. Deswegen soll etwa die Haftung für Schienenund Schwebebahnen nach dem heutigen Haftpflichtgesetz nicht im Falle von
Schlepp- oder Sesselliften eingreifen, da diese nicht die begrifflichen
Voraussetzungen einer „Bahn“ erfüllen (BGH, NJW 1960, 1345). Reißt das Seil,
kommt es danach – kaum überzeugend – darauf an, ob der Sessellift oder auch die
Kabinenbahn über Rollen gelaufen ist (dann „Bahn“ mit der Folge der
Gefährdungshaftung) oder nicht (dann nur Verschuldenshaftung nach § 823 Abs. 1
BGB). Ähnliches soll in Bezug auf den Unterschied zwischen einer Wasser- und
einer Gasleitung gelten (BGHZ 55, 229). In Österreich sieht es die Rechtsprechung
bei an sich ähnlichen normativen Rahmenbedingungen anders. Zwar wird man
223
gewiss nicht – wie in Frankreich – von einer allgemeinen objektiven,
verschuldensunabhängigen Haftung für Sachen und (verschuldensunfähige)
Menschen ausgehen können. Eine vorsichtige Einzelanalogie ist hingegen im Falle
einer offensichtlich planwidrigen Regelungslücke und der Vergleichbarkeit der
Interessenlage mit einer Minderheitsauffassung im Schrifttum zu befürworten.
Gefährdungshaftungen sind, damit die Unternehmen ihr Risiko versichern können
und die Höhe des von den Versicherungen zu tragenden Risikos kalkulierbar bleibt,
oft durch Haftungshöchstgrenzen begrenzt. Anders steht es etwa im Rahmen des
§ 833 S. 1 BGB, aber auch des § 22 WHG.
Seit 2002 ist in den Gefährdungshaftungstatbeständen, vor allem aber durch die
systematische Stellung von § 253 Abs. 2 BGB, in den dort aufgeführten Fällen auch
Schmerzensgeld zu gewähren. Das Schmerzensgeld hat – das sei bereits an dieser
Stelle vorweggenommen – nach der Rechtsprechung eine Ausgleichs- und eine
Genugtuungsfunktion. Im Falle der Gefährdungshaftung greift das Schmerzensgeld
nur im Falle der Ausgleichsfunktion. Denn die Genugtuungsfunktion schließt an ein
Verschulden an, dass es eben im Rahmen der Gefährdungshaftung nicht gibt.
II.
Tierhalterhaftung (§ 833 S. 1 BGB)
1.
Tier
Der Begriff des Tieres ist relativ unproblematisch. Streitig ist lediglich, ob
Mikroorganismen unter § 833 S. 1 BGB fallen. Als Mikroorganismen sind allerdings
von vornherein nur Bakterien, nicht aber Viren anzusehen; insofern käme also
lediglich eine analoge Anwendung der Norm in Betracht, die die Rechtsprechung
aber bislang ablehnt.
2.
Tierhalter
224
Tierhalter ist, wer das Tier im eigenen Interesse hält. Das wesentliche
Kriterium ist wohl das der Einwirkungsmöglichkeit. Kein Tierhalter ist derjenige, der
ein Tier nur zur vorübergehenden Pflege erhalten hat.
3.
Tiergefahr
Wesentliche Voraussetzung ist, dass sich die Tiergefahr verwirklicht hat.
Durch dieses Kriterium wird der Schutzbereich der Tierhalterhaftung umschrieben, so
wie er für jede Gefährdungshaftung kennzeichnend ist. Dabei hat die
Rechtsprechung unglücklich das Kriterium eines „willkürlichen, unnatürlichen
Verhaltens“ verwendet. Die Problematik dieses Kriteriums zeigte sich in BGHZ 67, S.
129. Es ging um das Decken einer reinrassigen Hündin durch einen
nichtreinrassigen Rüden. Die Haftung hat der BGH hier bejaht. Die Kriterien des
willkürlichen oder gar unnatürlichen Verhaltens des Rüden passten hier indes von
vornherein nicht.
BGHZ 67, 129
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist Eigentümerin einer reinrassigen Chow-Chow-Zuchthündin, die
Beklagte ist Halterin eines Bastard-Rüden (Kreuzung zwischen Boxer und
Schäferhund).
2
Die Klägerin hat behauptet, sie habe am 23. Dezember 1973 ihre damals
läufige Hündin angeleint spazieren geführt. Dabei sei sie dem frei
herumlaufenden Rüden der Beklagten begegnet, der ihre Hündin gedeckt
habe; ihre Versuche, dies zu verhindern seien erfolglos gewesen.
3
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Ersatz der Tierarztkosten für eine
Schwangerschaftsunterbrechung und die Behandlung der dadurch
eingetretenen Gebärmutterentzündung, sowie des ihr durch den
unerwünschten Deckakt angeblich entgangenen Verdienstes aus dem Verkauf
eines Wurfes reinrassiger Chow-Chow-Hunde.
4
225
Landgericht und Kammergericht haben die Klage abgewiesen. Mit der
zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
I.
5
Das Berufungsgericht verneint die Haftung der Beklagten, weil es nicht Sinn
und Zweck des § 833 BGB sei, jedes Verhalten eines Tieres, das notwendig
mit seiner Haltung und Existenz verknüpft sei, in den Bereich der
Tierhalterhaftung einzubeziehen, sondern nur ein solches Verhalten, das
Ausfluß der Gefährlichkeit der tierischen Natur sei. Der Deckakt habe aber
nichts mit der Gefährlichkeit eines Tieres zu tun, sondern sei die Folge des
natürlichen Vorganges der Fortpflanzung. Zudem sei der Nachteil, daß eine
Hündin, nachdem sie trächtig geworden sei, für ihren Halter in der Brauchund Nutzbarkeit beeinträchtigt sei, mit dem Halten eines weiblichen Tieres
notwendig verbunden. Der Deckakt begründe daher für den Halter des
männlichen Tieres keine Halterhaftung; auf eine Anwendung des § 254 BGB
zu Lasten des Halters des weiblichen Tieres komme es nicht mehr an.
II.
6
Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.
7
1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß der
ursächliche Zusammenhang zwischen der Existenz eines Tieres und einem
Schaden allein noch nicht ausreicht, um die Tierhalterhaftung aus § 833 BGB
zu begründen, wie dies zum Teil im neueren Schrifttum wieder vertreten wird
(vgl. Haase, JR 1973, 10, 13 unter Bezugnahme auf Oertmann, BGB, 5. Aufl.,
§ 833 Anm. 2 b).
8
Bei § 833 Satz 1 BGB handelt es sich um einen Fall der Gefährdungshaftung,
d. h. um eine Haftung für Schäden aus nicht voll beherrschbaren Gefahren
und Risiken (vgl. von Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, 1971, S.
15; Esser, Schuldrecht I, 4. Aufl., § 10 I S. 72). Zweck der Regelung ist daher
der Schutz vor einer besonderen Gefahr (vgl. RG JW 1912, 797). Die
Gefährdungshaftung unterscheidet sich damit nicht nur von der
Verschuldenshaftung, sondern auch von der bloßen Verursachungshaftung.
Aus dem Zweck all der Vorschriften, die eine solche Haftung begründen, folgt,
daß nur solche Schäden zu ersetzen sind, die im Bereich der jeweiligen
spezifischen Gefahr liegen (vgl. von Caemmerer aaO), so daß der Schaden
"Wirklichkeit gewordene Gefahr" sein muß (vgl. Deutsch, Haftungsrecht I, §
22, II 2, S. 372).
226
9
Sowohl das Reichsgericht als auch der Bundesgerichtshof haben deshalb
außer dem Kausalzusammenhang zwischen einem tierischen Verhalten und
dem Schaden immer geprüft, ob der Schaden auf eine "spezifische"
Tiergefahr (so RGZ 60, 65, 69; Senatsurteil vom 13. Februar 1975 – VI ZR
92/73 = VersR 1975, 522) oder auf eine "eigentliche" (so RGZ 141, 406, 407)
bzw. "typische" Tiergefahr (so Senatsurteile vom 28. September 1965 – VI ZR
94/64 = VersR 1965, 1102, 1103 und vom 13. November 1973 – VI ZR 152/72
= VersR 1974, 356) zurückzuführen ist. Offensichtlich würde der soeben
umgrenzte Zweck des Gesetzes mißachtet, wenn der Halter eines Tieres für
jeden Schaden, an dessen Entstehen dieses in irgendeiner Form beteiligt war
(z. B. nur als Wurfgeschoß) Ersatz schuldete.
10
2. Der Senat vermag dem Berufungsgericht aber nicht zu folgen, wenn es im
Streitfall in dem Deckakt keine Verwirklichung der Tiergefahr sieht.
11
a) Allerdings wird in letzter Zeit in der Rechtsprechung der Instanzgerichte
(OLG Düsseldorf VersR 1956, 226, 227; OLG Nürnberg VersR 1970, 1059,
1060; vgl. auch OLG München OLGZ 1071, 404, 405 und LG Kassel VersR
1965, 699, 700 (Deckakte) sowie LG Köln, MDR 1960, 924 (durch Kuhdung
verursachter Verkehrsunfall)) und im neueren Schrifttum (vgl.
Staudinger/Schäfer, BGB 11. Aufl., § 833 Rdnr. 29, 30), eine Tiergefahr
verneint, wenn sich ein Tier seiner "natürlichen Veranlagung" entsprechend
oder unter dem Zwang dieser Veranlagung bzw. "unter physiologischem
Zwang" verhalten hat (vgl. auch OLG Karlsruhe VersR 1969, 808, 809 und
OLG Oldenburg NJW 1976, 573). Dieses Abgrenzungskriterium erscheint dem
Berufungsgericht mit Recht als nicht treffend. Denn es ist nicht geeignet,
bestimmte Kreuzfälle, in denen der Risikozusammenhang fehlt, aus der
Tierhalterhaftung auszuscheiden (vgl. OLG Köln, VersR 1972, 177 = JZ 1972,
408 m. zust. Anmerkung von Stötter; ders. in MDR 1970, 100 ff). Es gibt
zumindest einige Fälle, in denen Tiere sich lediglich ihrer natürlichen
Veranlagung gemäß verhalten und dabei Schäden anrichten, die – bei
rechtlich richtiger Wertung – im Bereich der haftungsrechtlich erheblichen
Tiergefahr liegen, wie z. B. dann, wenn Kühe auf fremder Weide fressen. Der
Bundesgerichtshof hat deshalb, soweit ersichtlich, in seinen Entscheidungen
nicht von einem "natürlichen" Tierverhalten gesprochen, das nicht unter die
Haftung aus § 833 BGB fallen könne (zu Unrecht anders Haase JR 1973, 10,
11 und OLG Karlsruhe VersR 1969, 808, 809). Ob allerdings auch Schäden
aus gewissem natürlichem oder artspezifischem Verhalten von Tieren, wie sie
RGZ 80, 237 ff (Ansteckung eines Pferdes durch ein anderes beim
Beschnuppern) oder RGZ 141, 406 (Ausscheidung von Wachs und anderen
Stoffen aus dem Körper von Bienen) zugrunde lagen, noch als durch eine
Tiergefahr i. S. des § 833 BGB hervorgerufen angesehen werden können,
mag zweifelhaft sein, doch kann dies für die Entscheidung des vorliegenden
Falles dahinstehen.
227
12
b) Die vom Berufungsgericht im Streitfall (Deckakt) vertretene Abgrenzung
wird jedoch dem Schutzzweck des § 833 Satz 1 BGB nicht gerecht.
13
aa) Schon dadurch verengt das Berufungsgericht seine Betrachtungsweise,
daß es davon ausgeht, Grund für die Einführung der in § 833 normierten
Gefährdungshaftung sei der Umstand gewesen, daß mit dem Halten von
"wilden oder gefährlichen Tieren" außergewöhnliche Gefahren verbunden
seien. Das ist nicht der Fall. Zwar sollte nach einem (später nicht Gesetz
gewordenen) Beschluß der Kommission für die zweite Lesung nur für
derartige Tiere eine Gefährdungshaftung eingeführt werden, während für alle
Haustiere eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr entsprechend dem
jetzigen (nur für Haustiere, die dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem
Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt sind, geltenden) Satz 2 des §
833 BGB eintreten sollte (vgl. Prot. 2 S. 646 ff). Der Reichstag entschied sich
jedoch für die von der Reichstagskommission gerade mit Rücksicht auf die
öffentliche Sicherheit beschlossene weitergehende, alle Tiere einschließende
Fassung (vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen
Gesetzbuch für das Deutsche Reich II. Bd., 1301 und 1403 ff;
Staudinger/Schäfer, aaO Rdnr. 5 vgl. auch Deutsch NJW 1976, 1137).
14
Nicht geeignet scheint dem Senat auch das weitere Abgrenzungskriterium des
Berufungsgerichts, wonach mit der Tierhalterhaftung nur das Verhalten eines
Tieres erfaßt werden soll, das "als solches Schaden zu bringen geeignet ist".
Diese Definition ist zu unklar, stellt die Praxis daher vor zu große
Auslegungsschwierigkeiten. Im übrigen vermischt sie die Frage, ob aus der
Verwirklichung der Tiergefahr ein Schaden entstanden ist, mit dem
Tiergefahrbegriff selbst.
15
bb) Eine den Bereich der Tiergefahr zutreffend umschreibende Definition muß
sich am Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschrift orientieren. Da der Grund
der besonderen Regelung der Tierhalterhaftung – wie der Senat bereits in
seinem Urteil vom 28. September 1965 – VI ZR 94/64 = aaO ausgesprochen
hat – in der Unberechenbarkeit des Verhaltens eines Tieres und der dadurch
hervorgerufenen Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter
liegt, muß der Tierhalter für all das einstehen, was infolge dieser tierischen
Unberechenbarkeit an Schaden entsteht. Eine solche Abgrenzung steht auch
im Einklang mit den modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Nichts
anderes war der Sache nach gemeint, wenn der erkennende Senat in seinen
Entscheidungen die auf das Reichsgericht (vgl. RGZ 54, 73, 74; 60, 65, 69;
80, 237, 238; 141, 406, 407) zurückgehende Bestimmung des Begriffes
Tiergefahr gebraucht hat, indem er ausgeführt hat, ein Schaden sei dann
durch ein Tier verursacht, wenn er "durch ein der tierischen Natur
entsprechendes, willkürliches Verhalten" herbeigeführt worden ist, oder wenn
228
er gesagt hat, die Tiergefahr bestehe in der "von keinem vernünftigen Wollen
geleiteten Entfaltung der tierischen Kraft" (Urteile vom 23. Juni 1959 – VI ZR
83/58 = VersR 1959, 853, 854; vom 12. Juli 1966 – VI ZR 11/65 = VersR
1966, 1073, 1074; vom 15. Dezember 1970 – VI ZR 121/69 = aaO, insoweit
nicht in BGHZ 55, 96 abgedruckt, und vom 13. Februar 1975 – VI ZR 92/73 =
aaO). Es sollte damit keineswegs gesagt sein, es gebe auch Fälle, in denen
tierisches Verhalten "von einem vernünftigen Wollen geleitet" war. Schon das
Reichsgericht hat in JW 1912, 797 hervorgehoben, daß die für die
Analysierung menschlichen Handelns geläufigen Begriffe der Willensfreiheit,
der Verantwortlichkeit, des Vorsatzes usw. nicht auf das Verhalten von Tieren
übertragen werden können. Die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens
beruht zwar nach den jüngsten Ergebnissen der Verhaltensforschung nicht auf
"Willkür"; es soll auf den "quantitativen Beziehungen zwischen dem
auslösenden Außenreiz und der Antwort, die ihm der Organismus als ganzes
erteilt", beruhen (vgl. Lorenz, Über menschliches und tierisches Verhalten, Bd.
II S. 211; vgl. auch Haase aaO S. 12). In den Fällen, in denen der Senat die
Tierhalterhaftung bejaht hat, zeigten die Tiere aber sämtlich ein so
verstandenes unberechenbares tierisches Verhalten.
16
cc) Wird so die von einem Tier ausgehende Gefahr ausschließlich in dem für
dessen Halter unberechenbaren Tierverhalten gesehen, so muß zumindest
jeder Deckakt, den Tiere ohne Wissen und Willen ihrer Halter vollziehen, als
Ausfluß dieser Tiergefahr angesehen werden. Ob für Begattungen von Tieren,
die geplant und gelenkt sind, etwas anderes zu gelten hat, kann hier
dahinstehen (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1975, 229 und LG Mainz, MDR 1960,
496). Denn der z. B. von läufigen Hündinnen ausgehende Duft übt auf ihre
männlichen Artgenossen selbst auf weite Entfernung noch einen Reiz aus und
lockt sie an, so daß sie ihnen mit beharrlicher Ausdauer folgen. Der Deckakt
des männlichen Hundes ist daher nichts anderes als die Resultante der
jeweiligen Triebkonstellation von Hündinnen und Rüden (vgl. OLG Köln,
VersR 1972, 177 = JZ 1972, 408), so daß dadurch verursachte Schäden als
"Wirklichkeit gewordene Tiergefahr" angesehen werden müssen und der
Haftungsnorm des § 833 BGB unterfallen
17
3. Der zu enge Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts nötigt jedoch nicht
zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Denn der Klägerin steht – selbst
wenn sich ihr Sachvortrag in einer Beweisaufnahme als zutreffend erweisen
sollte – der gegen die Beklagte gemachte Anspruch nicht zu.
18
a) Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht ist zwar der
Klägerin durch den Deckakt ihrer Hündin auch ein als Schaden anzusehender
wirtschaftlicher Nachteil entstanden. Der Deckakt ist rechtlich als
Sachbeschädigung i. S. des § 833 BGB anzusehen. Durch die Besamung
konnte die Klägerin ihre Hündin nicht in der von ihr beabsichtigten Weise
nutzen, sie nämlich, wie sie vorgetragen hat, in den nächsten Tagen nach
229
Holland zu bringen, damit sie dort von einem ausgesuchten, rassereinen
Chow-Chow gedeckt wurde, um so Jungtiere aufzuziehen und diese dann zu
verkaufen. Diese Nutzbarkeit der Hündin hat aber gerade Einfluß auf ihren
Geldwert, so daß deren Beschränkung zu einem Schaden führen kann (vgl.
OLG Köln aaO).
19
b) Eine die Beklagte treffende Gefährdungshaftung wird im Streitfall jedoch
durch eine der Klägerin ebenfalls anzurechnende Tiergefahr und durch
eigenes Mitverschulden ausgeschlossen (§ 254 BGB).
20
aa) Den Schaden, der der Klägerin durch das Decken ihrer Hündin entstanden
ist, hat dieses Tier selbst mitverursacht, so daß bereits insoweit § 254 BGB
entsprechend anzuwenden ist. In der Rechtsprechung ist bisher schon eine
entsprechende Anwendung dieser Bestimmung für den Fall anerkannt
worden, daß sowohl der von einem fremden als auch von dem eigenen Tier
verursachte Schaden an einem anderen Rechtsgut als dem eigenen Tier
entstanden ist (vgl. RGZ 67, 120, 121). Dies muß auch dann gelten, wenn
Tiere verschiedener Halter sich gegenseitig verletzen (vgl. Staudinger/Schäfer
aaO Rdnr. 72) oder wenn nur eines der beiden Tiere "beschädigt" wird, dabei
aber seine spezifische Tiergefahr mitgewirkt hat. Davon gehen auch die
neueren Gesetze, die eine Gefährdungshaftung statuieren, aus (vgl. §§ 17
Abs. 2 StVG, 41 Abs. 1 Satz 2 LuftVerkG und 34 Abs. 1 Satz 2 Atomgesetz).
21
Die Ersatzpflicht der Beklagten mindert sich aber im Streitfall weiterhin durch
ein Mitverschulden der Klägerin. Nach ihrem eigenen Vorbringen wußte sie,
daß ihre Hündin läufig war. Das ist, wie jeder Halter von Hündinnen weiß oder
doch wissen muß, eine schwierige Zeit, weil eine läufige Hündin Rüden von
überall her anzieht. Wird daher die Hündin in der nur kurzen Zeit ihrer "Hitze"
ausgeführt, so ist ihr Halter zur Vermeidung eigenen Schadens nicht nur
gehalten, sie nicht frei herum laufen zu lassen, sondern, falls er sie überhaupt
ausführt, noch weitere Schutzvorkehrungen zu treffen, wie sie bei einer
Hündin möglich sind (wie im Fall des OLG München, OLGZ 1971, 404), oder
das Tier an einem Ort auszuführen, wo mit Hunden nicht zu rechnen ist, sich
jedenfalls nicht, wie dies die Klägerin getan hat, damit begnügt, die Hündin an
der Leine zu halten.
22
bb) Da die Gefahr für eine Schadensentstehung durch Deckakte – jedenfalls
bei Hunden – in erster Linie von dem weiblichen Tier ausgeht und der Klägerin
in dem zur Entscheidung stehenden Fall außerdem ein Mitverschulden zur
Last zu legen ist, muß die Abwägung zu dem Ergebnis führen, daß eine
Ersatzpflicht der Beklagten entfällt und die Klägerin damit ihren Schaden allein
zu tragen hat. Infolgedessen stellt sich im Ergebnis die Entscheidung des
Berufungsgerichts, die Klage abzuweisen, als richtig dar.
230
4.
Handeln auf eigene Gefahr
Wenig überzeugend erscheint auch die Rechtsprechung zur Problematik des
„Reiters auf dem Pferd und des Fußgängers unter dem Pferd“ (so der gleichnamige
Aufsatz von Deutsch, NJW 1978, 1998). Nach der Rechtsprechung haftet der
Tierhalter nämlich nicht aus Gefährdungshaftung, wenn ein Pferd unter der Leitung
seines Reiters einen Passanten verletzt (den „Fußgänger unter dem Pferd“). Wirft
das Pferd den Reiter hingegen aus dem Sattel und verletzt sich der Reiter, so haftet
der Pferdehalter gegenüber dem Reiter gegebenenfalls aus Gefährdungshaftung
(wenn nicht § 833 S. 2 BGB eingreift, etwa bei einem gewerblichen Vermieter von
Pferden). Man kann sich hier die Frage stellen, ob es nicht genau umgekehrt stehen
müsste: Der Reiter setzt sich der Gefahr, die von dem Tier ausgeht, freiwillig aus, der
Fußgänger unter dem Pferd tut es nicht. Der BGH hat jedoch auch in Bezug auf den
Reiter ein Handeln auf eigene Gefahr abgelehnt. M. E. sollte in beiden Fällen
gehaftet werden.
4.
Exkurs: Wild- und Jagdschadenshaftung
Die Wild- und Jagdschadenshaftung war früher in § 835 BGB geregelt. Heute
ist die Anspruchsgrundlage in § 29 BJagdG zu finden. Es geht um die Haftung des
Jagdausübungsberechtigten für Wildschäden. Schäden bei der Ausübung der Jagd
(sog. Jagdschäden) sind nach § 33 Abs. 2 BJagdG (eine Verschuldenshaftung) zu
ersetzen.
III.
Haftung für Fahrzeuge
1. Bahnbetrieb
Anspruchsgrundlage ist hier § 1 Haftpflichtgesetz.
a) Verletzungserfolg
b) Schienen- oder Schwebebahn
231
c) Betriebsgefahr
Damit sich die Betriebsgefahr verwirklicht hat, muss sich eine bahntypische
Gefahr verwirklicht haben. Dazu gehört etwa nicht der Sturz auf der Treppe im
Bahnhof.
d) Schadensumfang
Der Schadensumfang ist in §§ 5 ff Haftpflichtgesetz geregelt.
e) Ausschluß der Haftung
In Bezug auf den Ausschluss der Haftung ist insbesondere auf den
Ausschlusstatbestand der höheren Gewalt hinzuweisen (§ 1 Abs. 2 Haftpflichtgesetz,
siehe ferner auch den Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3 Haftpflichtgesetz).
2.
Kfz-Halter
Die Gefährdungshaftung des Kfz-Halters ist in § 7 StVG geregelt. Hinzu
kommt eine mögliche Haftung aus §§ 823 Abs. 1 BGB (einschl. der Verletzung einer
Verkehrssicherungspflicht) oder auch von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem
Schutzgesetz, etwa dem Tatbestand des fahrlässigen Zulassens des Fahrens ohne
Fahrerlaubnis.
§ 16 StVG stellt klar, dass die Haftung des Kraftfahrzeughalters neben die
verschuldensabhängige Haftung des allgemeinen Deliktsrechts (§§ 823 ff BGB)
treten kann (sog. Anspruchskonkurrenz).
a) Verletzungserfolg
b) Passivlegitimation
Passiv legitimiert ist der Kfz-Halters. Das ist, wer das Kfz im eigenen Interesse
in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug besitzt. Darunter fällt
etwa auch ein Leasingnehmer. Im Einzelfall sind auch mehrere Halter zugleich
denkbar (z. B. Ehegatten, car-sharing).
c) Betriebsgefahr
232
Die Betriebsgefahr wird dadurch umschrieben, dass sich die Verletzung bei
dem
Betrieb eines Kfz ereignet haben muss. Die herrschende, heute wohl
allgemeine Auffassung legt dabei die sog. verkehrstechnische Auffassung zugrunde,
während früher vertreten wurde, nur das bewegte Kraftfahrzeug könne die
Gefährdungshaftung auslösen (sog. maschienentechnische Auffassung, die auf den
laufenden Motor abstellte). Nach herrschender Auffassung geht es um die Entfaltung
von Geschwindigkeit und Bremsweg. Anerkannt ist indes, dass nicht nur das
bewegte Kraftfahrzeug, sondern auch das ruhende Kraftfahrzeug gefährlich ist,
solange
es
sich
im
Straßenverkehr
selbst
befindet
und
nicht
irgendwo
ordnungsgemäß abgestellt ist.
Unter die Gefährdungshaftung fällt etwa, wenn ein Kfz auf der Autobahn
liegen bleibt und sich ein Autounfall ereignet (BGH, VersR 1969, 668). Ebenso steht
es, wenn jemand auf eine zur Absicherung eines defekten Lkws aufgestellte Bierkiste
auffährt (OLG Köln, VersR 1978, 771: Haftung bejaht). Keine Haftung besteht, wenn
ein Pkw ohne eigene Motorkraft durch eine Waschanlage gezogen wird (KG VersR
1977, 626).
d) Ausschluß der Haftung
Die Haftung wird ausgeschlossen, wenn der Unfall auf höherer Gewalt beruht
(§ 7 Abs. 2 StVG). Vor 2002 genügte zudem schon das Vorliegen eines
„unabwendbaren Ereignisses“; dieser Ausschlusstatbestand ist in § 7 Abs. 2 StVG
entfallen.
Ein weiterer Ausschlusstatbestand ist die Schwarzfahrt (§ 7 Abs. 3 StVG, also
die Fahrt ohne Wissen und Wollen des Halters).
Hinzu kommen die Haftungsausschlüsse nach § 8 StVG; hierunter fällt vor
allem der Arbeitnehmer des Halters, der bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs oder
des Anhängers tätig war. Hier hat sich der Verletzte den mit dem Betrieb des
Kraftfahrzeugs
verbundenen
Gefahren
freiwillig
ausgesetzt.
Auch
ist
die
Halterhaftung ausgeschlossen, wenn eine durch das Kraftfahrzeug beförderte Sache
beschädigt wird.
(Nur)
bei
unentgeltlicher
und/oder
nicht
geschäftsmäßiger
Personenbeförderung (z. B. Vereinbarung der Beteiligung am Benzingeld) besteht
233
die Möglichkeit, die Haftung durch Vertrag auszuschließen. Im Übrigen sind Insassen
grundsätzlich Begünstigte der Gefährdungshaftung.
e) Haftungsumfang
f)
Exkurs: Haftung des Fahrers und der Versicherung. Schadensausgleich
Die Haftung des Fahrers ist in § 18 StVG geregelt. Hierbei handelt es sich
indes nur um eine vermutete Verschuldenshaftung (§ 18 Abs. 1 S. 2 StVG). Auch der
Fahrer haftet obendrein gegebenenfalls nach den beiden Absätzen des § 823 BGB.
Dann freilich muss sein Verschulden nachgewiesen werden (anders als nach § 18
Abs. 1 S. 2 StVG).
Hinzu tritt ein Direktanspruch gegen den Versicherer gemäß § 115 Abs. 1
S. 1 Nr. 1 VVG (früher: § 3 Nr. 1 PflVG a. F.). Der Direktanspruch stellt einen Fall
des gesetzlichen Schuldbeitritts dar. Im Innenverhältnis besteht freilich die alleinige
Verpflichtung des Versicherers (§ 116 Abs. 1 S. 1 VVG), wenn nicht der Versicherer
dem Halter gegenüber ausnahmsweise leistungsfrei ist.
Für das Mitverschulden des Geschädigten verweist § 9 StVG auf § 254 BGB.
Das hat nur deklaratorische Bedeutung. War auch der Verletzte als Halter oder
Fahrer eines Kraftfahrzeugs am Unfall beteiligt, so wird § 9 StVG durch die
Sonderregelung des § 17 Abse. 2, Abs. 1 StVG verdrängt. Das Mitverschulden
beurteilt sich somit nur bei Verletzung von nicht motorisierten Verkehrsteilnehmers
(z. B. Fußgängern, Radfahrern, Reitern) nach § 9 StVG.
Bei mehreren Ersatzpflichtigen – mindestens zwei Kraftfahrzeuge sind beteiligt
– ist § 17 StVG anzuwenden. Für den entsprechenden Ausgleich ist insbesondere §
17 Abs. 3 StVG zu beachten. Danach ist die Ersatzpflicht dann ausgeschlossen,
wenn der Unfall sich für den Betreffenden als ein unabwendbares Ereignis darstellt.
Nur dann kommt es (im Verhältnis zwischen mehreren Haltern) darauf an, ob der
Unfall bei Einhaltung der äußersten möglichen Sorgfalt für einen der beiden
Beteiligten (oder auch für beide Beteiligte) vermeidbar war.
3. Haftung im Luftverkehr
Siehe insofern lediglich die §§ 33, 44 ff LuftVG (nicht examensrelevant).
234
IV.
Haftung wegen Energieentfaltung
1.
Energieleiter
Siehe § 2 Abs. 2 S. 1 Haftpflichtgesetz (Beispiel: Gasversorgung).
Ausschlusstatbestände finden sich in § 2 Abs. 3 Haftpflichtgesetz.
2.
Atomenergie
Der Haftungsgrund findet sich in § 25 AtomG, Ausführungen zum
Haftungsumfang finden sich in §§ 28 ff AtomG.
Zu beachten ist, dass sich im Falle von Strahlenschäden das Problem des
anwendbaren Rechts stellen kann, da meist eine Grenzüberschreitung vorliegen wird
(Beispiele: Tschernobyl; man denke auch an den kürzlich in der Presse berichteten
Alarm aus Slowenien). Insofern gibt es indes oft (gerade bei Atomunfällen)
vorrangige Staatsverträge. Im Übrigen gilt nach Art. 7 Rom II-VO, dass das Recht am
Verletzungserfolg anzuwenden ist, es sei denn, der Geschädigte hat sich dazu
entschieden, seinen Anspruch auf das Recht des Staates zu stützen, in dem das
„schadensbegründende Ereignis eingetreten ist“. Damit ist gemeint, dass sich der
Geschädigte auch auf das Recht am sog. Handlungsort berufen kann, nicht aber auf
das Recht am Schadenseintrittsort (also etwa dort, wo er sich ins Krankenhaus legt);
anderenfalls könnte der Geschädigte das anwendbare Rechts manipulieren
(erschleichen).
V.
Sonstige Fälle der Gefährdungshaftung
Sonstige Fälle der Gefährdungshaftung (die nicht examensrelevant sind) finden sich
in:
- § 22 WHG (Handlungshaftung und Anlagenhaftung; man denke an die
Rheinverschmutzung aus der Schweiz; auch hier stellt sich das Problem des
anwendbaren Rechts in jedem erörterten Sinne),
- § 114 BergG (Bergschadenshaftung),
- § 1 UmwelthaftungsG (selten relevant),
- § 84 AMG (Ziffer 1: Gefährdungshaftung für Entwicklungs- und Herstellungsfehler;
Ziffer 2: verschuldensähnliche Haftung für Instruktionsfehler im Kontext der
Gebrauchsinformation),
- § 32 GentechnikG.
VI.
Haftung für rechtmäßige Eingriffe
235
Es geht hier im die zivilrechtliche Aufopferung (s. bereits § 20 GK-Ib).
1. § 904 S. 2 BGB
Diese Norm ist analog anwendbar, wenn der Eingriff im allgemeinen Notstand
erfolgt.
Nach
BGHZ
92,
357
soll
das
nicht
im
Falle
der
ungewollten
Schadensverursachung gelten, also etwa dann nicht, wenn jemand vor einem
schleudernden
Fahrzeug
ausweicht
und
dabei
ein
anderes
(z.
B.
entgegenkommendes) Fahrzeug in einer nicht eingeplanten Weise beschädigt.
Die Rechtsfolge ist zwar nicht zwingend der volle Ausgleich des Schadens,
sondern nur der angemessene Ausgleich des Schadens. Häufig läuft das aber auf
Ähnliches hinaus. BGHZ 58, 149 meinte früher, Schmerzensgeld könne nicht
gewährt werden. Mittlerweile hat sich allerdings durch die Einführung von § 253 Abs.
2 BGB das Normenumfeld geändert.
Die zivilrechtliche Aufopferung ist – wie bereits an anderer Stelle erörtert –
über den engeren Bereich von § 904 S. 2 BGB eine allgemeine Einrichtung: Wenn §
904 S. 2 BGB einen Entschädigungsanspruch bei bloßer Eigentumsverletzung
statuiert, dann muss dies erst recht bei der Verletzung von besonderen
Persönlichkeitsrechten (Leib, Leben, Freiheit, Gesundheit) gelten. Obendrein gilt ein
weiterer Erst-Recht-Schluss: Was selbst für rechtmäßige Eingriffe gilt (nämlich im
Falle des Rechtfertigungsgrundes des aggressiven Notstandes nach § 904 S. 1
BGB), muss erst recht dann gelten, wenn sich der Angreifer sogar rechtswidrig, aber
schuldlos verhält. Auch hier gilt also eine (ggf. doppelte) Analogie.
2.
Sonstige Fälle
Weitere Fälle der Haftung für rechtmäßige Aufopferung finden sich in den §§ 867,
961 ff (Bienenschwarm), 912 (Überbau), 917 (Notweg), 906 BGB, § 14 BImschG.
236
2. Abschnitt: Deliktsfolgen, insbesondere
Schadensersatz
§ 7. Überblick
I.
Zur Gliederung der Haftungstatbestände
II.
Haftungsgrund und Haftungsausfüllung
III.
Rechtsquellen
§§ 249 ff. BGB, Sonderregelungen in §§ 842 ff. BGB und in einigen
Sondergesetzen (z. B. Haftungshöchstgrenzen).
§ 8. Grundsätze des Schadensrechts
I.
Totalreparation
Ersatz des gesamten Schadens, den der Schädiger verursacht hat.
II.
Naturalrestitution
Sog. restitutio in integrum, Wiederherstellung des früheren Zustandes, § 249 Abs. 1
BGB.
Dogmatische Ausnahme (praktische Regel): Geldersatz (§§ 251Abse. 1 und 2 BGB,
249 Abs. 2 S. 1 BGB, 250, 251 Abs. 2 BGB, Spezialfall : Tiere, § 251 Abs. 2 S. 2
BGB)
III.
Schadensausgleich und Bereicherungsverbot
Der Schädiger hat nicht weniger, aber auch nicht mehr zu ersetzen als den
angerichteten, verursachten und zurechenbaren Schaden.
IV.
Materieller und immaterieller Schaden
Siehe § 253 BGB!
§ 9. Schaden und Geschädigter
I.
Schadensbegriff
1.
Unfreiwillige Einbuße
237
Gegensatz: freiwillige Aufwendungen
2.
Differenzhypothese
Vergleich der Vermögensstände: Es ist der Zustand herzustellen, der bestehen
würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstanbd nicht eingetreten wäre. Ergibt
der Vergleich einen negativen Saldo, ist die Differenz als Schadensersatz geschuldet
(Mommsen).
Nach h. M. in Deutschland (anders die Rechtsprechung in Frankreich) ist der Verlust
einer Chance kein Schadensposten (neuerdings in Deutschland zunehmend str.).
II.
Schadensarten
1.
Materieller Schaden
a)
Vermögensschaden
b)
Sonderproblem: Nutzungsausfall (str.)
aa)
Kommerzialisierungsthese
bb)
Bedarfschadensthese
cc)
Frustrationsthese
dd)
Richterliche Rechtsfortbildung
BGHZ 98, 212:
1
I. Die Klägerin ist Eigentümerin eines komfortabel ausgestatteten
Wohnhauses, das sie selbst bewohnt. Unterhalb davon errichteten die
Beklagten Reihenhäuser auf einem steil abfallenden Hanggrundstück. Dabei
wurde ein Teil des Hanges unsachgemäß abgegraben und hierdurch die
Standsicherheit des Anwesens der Klägerin vorübergehend beeinträchtigt.
Deswegen untersagte die Stadt der Klägerin, ihr Wohnhaus in der Zeit vom
12. August bis 16. September 1981 zu nutzen.
2
Die Klägerin hat neben Ersatz von Wiederherstellungskosten, die nicht mehr
im Streit sind, von den Beklagten 3.000 DM nebst Zinsen als Ausgleich für die
entgangene Gebrauchsmöglichkeit ihres Wohnhauses verlangt. Sie hat
behauptet, sie habe mit ihrem Ehemann in der Zeit des Nutzungsverbots in
ihrem in der Nähe des Grundstücks abgestellten Campingbus gelebt; nach
dem Vortrag der Beklagten dagegen haben sich beide täglich im Haus
aufgehalten.
3
238
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage insoweit abgewiesen. Mit
der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Klageforderung weiter.
4
Der V. Zivilsenat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Klägerin
auch bei unterstelltem vollständigen Verlust der Gebrauchsmöglichkeit ihres
Wohnhauses in der Zeit des Nutzungsverbots keinen Vermögensschaden,
sondern nur einen nicht ersatzfähigen immateriellen Schaden erlitten habe,
und möchte die Revision aus diesem Grunde zurückweisen. Zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung hat er dem Großen Senat für Zivilsachen
gemäß § 137 GVG folgende Fragen vorgelegt:
5
1. Stellt es einen ersatzfähigen Vermögensschaden dar, wenn der
Eigentümer einer von ihm selbst genutzten Sache, insbesondere eines
von ihm selbst bewohnten Hauses, infolge eines deliktischen Eingriffs in
das Eigentum die Sache vorübergehend nicht benutzen kann, ohne daß
ihm hierdurch zusätzliche Kosten entstehen oder Einnahmen entgehen?
6
2. Falls ein ersatzfähiger Nutzungsausfallschaden zu bejahen sein sollte:
Wie ist dieser Schaden der Höhe nach zu berechnen?
7
II. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird, wie der
Vorlagebeschluß (abgedruckt in VersR 1986, 189 = WM 1986, 266 = JZ
1986, 387) im einzelnen belegt, die Ersatzfähigkeit von
Gebrauchsverlusten, die Gegenstand der Vorlegungsfragen sind, nicht
einheitlich beurteilt.
8
Vom III., VI., VII. und VIII. Zivilsenat wird sie grundsätzlich bejaht, wenn die
herrschende Verkehrsauffassung der Fähigkeit der Sache zum eigenen
Gebrauch einen selbständigen Vermögenswert beimißt und der Verlust für
den Eigentümer "fühlbar" geworden ist, weil er die Sache ohne das
schädigende Ereignis hätte nutzen können und wollen. Auf dieser
Grundlage wird seit den Entscheidungen des III. Zivilsenats vom 30.
September 1963 (III ZR 137/62 = BGHZ 40, 345, 349 f und III ZR 186/61 =
NJW 1964, 717 = VersR 1964, 380) dem Eigentümer eines von ihm selbst
genutzten Kraftfahrzeugs, wenn er dessen zeitweisen Ausfall nicht durch
Anmietung eines Ersatzwagens überbrückt, Nutzungsentschädigung für
seinen Gebrauchsverlust zugebilligt. Die Entscheidungen, die zum
Gebrauchsverlust für Kraftfahrzeuge aus deliktischem Haftungsgrund
ergangen sind oder sich in anderem Zusammenhang auf ihn beziehen,
stellen im wesentlichen darauf ab, gerade die ständige Verfügbarkeit
derartiger Sachen werde üblicherweise erkauft, so daß die
Beeinträchtigung des Gebrauchs eine Beeinträchtigung des
239
vermögenswerten Äquivalents dieser Vermögensaufwendungen darstelle
(BGHZ 40, 345, 348, 350; 63, 393, 397; 74, 231, 234; 76, 179, 185; 86,
128, 131, 133). Sie heben hervor, daß sich eine zeitweise Unbenutzbarkeit
der Sache auch in ihrem Verkaufswert niederschlage und - insbesondere
in den Sätzen für ihre mietweise Überlassung - vom Markt anerkannte
Maßstäbe für die Bewertung der Gebrauchsmöglichkeit zur Verfügung
ständen (BGHZ 45, 212, 215, 217; 56, 214, 215 f; 63, 393, 397; 76, 179,
187; 86, 128, 131) und daß der Schädiger nicht entlastet werden dürfe,
wenn der Geschädigte die im Verzicht auf den Gebrauch liegenden
Entbehrungen auf sich nehme (BGHZ 45, 212, 216; 56, 214, 215; 63, 393,
396; 70, 199, 204; 76, 179, 186; 86, 128, 132).
9
Gegenübergestellt wird ein Gebrauch, den die Verkehrsauffassung als
"Liebhaberei" (BGHZ 76, 179, 187 - Schwimmbad), als "Luxus" (BGHZ 63,
393, 398 - Pelzmantel; 86, 128, 133 - Wohnwagen), als bloßes Mittel zur
"Freizeitgestaltung" (BGHZ 89, 60, 64 - Motorsportboot) ansehe und ihm
deshalb einen Wert nur für die Erhöhung des Lebensgefühls, jedoch
keinen selbständigen wirtschaftlichen Wert beimesse.
10
Mit diesem Ansatz, wenngleich unter ausdrücklicher Beschränkung auf die
Vertragshaftung, hat der VIII. Zivilsenat durch Urteil vom 14. Juni 1967 VIII ZR 268/64 = WM 1967, 749 = NJW 1967, 1803 (nicht vollständig
abgedruckt) auch einem Hauseigentümer für die zeitweise
Unbewohnbarkeit seines Hauses infolge nachvertraglichen Verschuldens
der Mieterin eine Nutzungsentschädigung zugesprochen. Denselben
Ansatz - verstärkt allerdings durch den Rückgriff auf den Normzweck des
werkvertraglichen Gewährleistungsrechts zur Bejahung einer
selbständigen vermögenswerten Position der Nutzungsmöglichkeit - hat
der VII. Zivilsenat in seinem Urteil vom 10. Oktober 1985 - VII ZR 292/84 =
BGHZ 96, 124 zugrundegelegt, mit dem er - ebenfalls aus vertraglichem
Haftungsgrund - dem Eigentümer gegen den Werkunternehmer
Schadensersatz für die Nichtbenutzbarkeit von Abstellplätzen in einer
Sammelgarage während werkvertraglich geschuldeter Mängelbeseitigung
zugesprochen hat.
11
Demgegenüber hat der V. Zivilsenat schon in seinen Urteilen vom 14. Mai
1976 - V ZR 157/74 = BGHZ 66, 277 und vom 21. April 1978 - V ZR
235/77 - BGHZ 71, 234 im Sinne seiner Ausführungen in seinem
Vorlagebeschluß Bedenken gegen die Zulässigkeit einer
Nutzungsentschädigung über den "fest umrissenen Regelungsbereich
typischer Massenrisiken" hinaus geäußert. Für den deliktischen Bereich
hat er in seinem Urteil vom 30. November 1979 - V ZR 214/77 = BGHZ 75,
366 den Standpunkt eingenommen, daß jedenfalls eine bloße
Beeinträchtigung des Gebrauchs eines Grundstücks, die nicht bis zum
240
völligen Verlust der Nutzungsmöglichkeit gesteigert sei, kein ersatzfähiger
Vermögensschaden sei.
12
Das Schrifttum lehnt wohl überwiegend die Qualifizierung des zeitweisen
Verlustes der Eigennutzung einer Sache als Vermögensschaden ab und
bewertet diesen Ausfall als bloße Schadensquelle, aus der bei
eigenwirtschaftlicher Verwendungsplanung nur nicht zu ersetzende
immaterielle Einbußen erwachsen könnten.
13
Stellvertretend für viele:
14
Bötticher, VersR 1966, 301 f; Keuk, Vermögensschaden und Interesse,
1972, 208 ff, 241 ff; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 13. Aufl., 1982,
Bd. I § 29 II c; ders., Der Vermögensbegriff im Schadensersatzrecht, in:
Festschrift für Nipperdey, 1965, Bd. I, 489 ff, 498 ff; ders., VersR 1963, 312
f; Löwe, VersR 1963, 307 ff; NJW 1964, 701 ff; Esser/Schmidt, Schuldrecht
Bd. I, 6. Aufl., 1984, § 31 II 2; Tolk, Der Frustrierungsgedanke und
Kommerzialisierung immaterieller Schäden, 1977, 95 ff; ders., JZ 1975,
530, 531.
15
Von einigen Autoren wird die Rechtsprechung für den begrenzten Bereich
der Kfz-Nutzungsentschädigung trotz erheblicher dogmatischer Bedenken
im Ergebnis gebilligt:
16
v. Caemmerer, in: Ansprache aus Anlaß des 25-jährigen Bestehens des
Bundesgerichtshofs am 3. Oktober 1975, 21 ff, 31; Lange,
Schadensersatz, 1979, § 6 VII 4, 184 ff, 190; Palandt/Heinrichs, BGB, 45.
Aufl., Vorb. 2 b bb vor § 249; Schmidt/Salzer, BB 1970, 55, 58 f, 63;
Schiemann, Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des
Schadensrechts, 1981, 66, 298 ff; Staudinger/Medicus, BGB, 12. Aufl., §
253 Rz. 33 ff, 36, 41;
17
Eine Mindermeinung erkennt die Möglichkeit eines Schadensersatzes für
den Gebrauchsverlust einer Sache an.
18
Grunsky, Aktuelle Probleme zum Begriff des Vermögensschadens, 1968,
30 ff; ders. in: MünchKomm-BGB, 2. Aufl., Rz. 17, 19 ff vor § 249; Mertens,
241
Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 1967, 157;
Niederländer, JZ 1960, 617, 620; Nörr, Der Ersatz des immateriellen
Schadens nach dem geltenden Recht, AcP 158, 1 ff, 6; AK-BGBRüssmann, Rz. 32 f vor §§ 249 bis 253; Jahr, Schadensersatz wegen
deliktischer Nutzungsentziehung AcP 1983, 725 ff, 751 ff; Neuner,
Interesse und Vermögensschaden, AcP 133, 277, 288 ff; Jürgen Schmidt,
Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, 1969, 88 ff; Schulte,
Schadensersatz in Geld für Entbehrungen, 1978, 101 ff; Werber, AcP, 173,
158, 182 ff; Wiese, Der Ersatz des immateriellen Schadens, 1964, 22 ff.
19
Einige Autoren wollen Schadensersatz für die infolge des
Gebrauchsverlustes fehlgeschlagenen Aufwendungen
20
Mertens aaO, 159 ff; Dunz, JZ 1984, 1010 ff; Esser/Schmidt, aaO § 31 III;
Küppers, Verdorbene Genüsse und vereitelte Aufwendungen im
Schadensersatzrecht, 1976, 134 ff; Stoll, Begriff und Grenzen des
Vermögensschadens, 1973, 28 ff
21
oder für den entstehenden Bedarf zubilligen.
22
Zeuner, Schadensbegriff und Ersatz von Vermögensschäden AcP 163,
380 ff, 396 ff; ders., Gedanken zum Schadensproblem in:
Gedächtnisschrift für Dietz, 1973, 99 ff, 123; ders., JZ 1986, 395 f.
23
III. Nach Auffassung des Großen Senats kann über die Fälle der
Eigennutzung eines Kraftfahrzeugs hinaus jedenfalls bei Sachen, auf
deren ständige Verfügbarkeit die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung des
Eigentümers derart angewiesen ist wie auf das von ihm selbst bewohnte
Haus, der zeitweise Verlust ihrer Möglichkeit zum eigenen Gebrauch
infolge eines deliktischen Eingriffs in das Eigentum bereits ein
ersatzfähiger Vermögensschaden sein, sofern der Eigentümer die Sache
in der Zeit ihres Ausfalls entsprechend genutzt hätte. Jedenfalls mit dieser
Einschränkung stehen einem Geldersatz weder das Gesetz noch
Bedürfnisse der Rechtssicherheit zwingend entgegen; vielmehr verlangt
ein gerechter und vollständiger Ausgleich der Vermögensschäden,
derartige Einbußen nicht entschädigungslos zu lassen.
24
1. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat für das Schadensrecht die Begriffe
Vermögen und Vermögensschaden nicht festgelegt, sondern sie
242
Wissenschaft und Praxis zur Ausbildung überlassen. Im allgemeinen
ermittelt der Bundesgerichtshof, wie vor ihm schon das Reichsgericht,
Vermögensschäden am subjektbezogenen Zuschnitt des betroffenen
Gesamtvermögens nach der Differenzmethode durch einen rechnerischen
Vergleich der durch das schädigende Ereignis eingetretenen
Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben
hätte (BGHZ 27, 181, 183 f; 40, 345, 347; 75, 366, 371; 86, 128, 130).
25
Zutreffend weist der Vorlagebeschluß darauf hin, daß in einer am
Vermögensbestand ausgerichteten Differenzrechnung der zeitweise
Verlust des Eigengebrauchs der Sache selbst nicht ausgewiesen ist. In
dieser Rechnung schlägt sich die Entwertung der Sache für ihren
Gebrauch, wenn keine Kosten für eine Ersatzsache entstehen, nur in
einem Gewinnentgang bei verhindertem erwerbswirtschaftlichem Einsatz
und in den durch den Sacheinsatz sonst abgewendeten Kosten und
Verbindlichkeiten nieder.
26
a) Indes hat sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die
Erkenntnis durchgesetzt, daß die Differenzmethode als wertneutrale
Rechenoperation nicht davon enthebt, am Schutzzweck der Haftung und
an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes die in die Differenzbilanz
einzusetzenden Rechnungsposten wertend zu bestimmen. In diesem Sinn
ist die Differenzmethode, die im übrigen ebenfalls nicht im Gesetz
festgeschrieben ist (Larenz, Festschrift für Nipperdey aaO 500), normativ
eingebunden (vgl. BGHZ 50, 304, 306 - GSZ). Zwar drückt sich ein
Vermögensschaden in der Differenzbilanz stets als Minderung von Aktivoder Vermehrung von Passivposten aus; es ist aber Aufgabe rechtlicher
Bewertung, die Parameter der Bilanz für den Zweck des
Schadensausgleichs mit festzulegen.
27
b) Eine auf den Ausgleich von Vermögensschäden ausgerichtete
Differenzrechnung kann nicht außer Acht lassen, daß Wesen und
Bedeutung des Vermögens sich nicht in dessen Bestand - dem "Haben" erschöpfen, sondern daß sie auch die im Vermögen verkörperten
Möglichkeiten für den Vermögensträger umfassen, es zur Verwirklichung
seiner Lebensziele zu nutzen (so schon v. Savigny, System des heutigen
Römischen Rechts, 1840, Bd. 1, 339; v. Tuhr, Der allgemeine Teil des
Deutschen Bürgerlichen Rechts, 1910, Bd. 1, 313; Kohler, ArchBürgR 12
(1897), 1 ff). Diese funktionale Zuweisung ist im vermögenswerten Recht
mitgeschützt.
28
Erfaßte bei einem deliktischen Eingriff in dieses Recht der
Schadensausgleich für die Verkürzung der Nutzungsmöglichkeit - weil nur
243
auf den Zufluß von Geld sehend - im wesentlichen nur Ausfälle im
erwerbswirtschaftlichen Einsatz des Vermögens, so ginge er daran vorbei,
daß das Vermögen nicht nur diesen Einsatz eröffnet, sondern daß auch
sein eigenwirtschaftlicher Einsatz "Ertrag" bringende vermögensmäßige
Aktivierung ist, deren Verkürzung in vergleichbarer Weise die
wirtschaftliche Sphäre des Vermögensträgers betreffen kann, obschon sie
sich nicht in einem Gewinnentgang ausdrückt.
29
So ist auch für den privaten Benutzer sein Kraftfahrzeug nicht nur oft der
gewichtigste Bestandteil seines Vermögens, sondern die Einsatzfähigkeit
des Fahrzeugs ist häufig die Grundlage für die Wirtschaftlichkeit seiner
hierauf zugeschnittenen Lebenshaltung, insbesondere wenn er als
Berufstätiger auf das Kraftfahrzeug angewiesen ist. Umsomehr beruht die
Entscheidung, den Wohnbedarf über ein Eigenheim zu decken, vorrangig
auf Wirtschaftlichkeitserwägungen.
30
Der Markt bewertet die Eignung derartiger Wirtschaftsgüter gerade auch
für den eigenwirtschaftlichen Einsatz im Preis und registriert deren
zeitweisen Verlust als zeitweise Entwertung der Sache. Korrespondiert
diese, weil der Geschädigte in der Ausfallzeit auf die Sache angewiesen
war, mit einer spürbaren Beschränkung in seiner eigenen
Wirtschaftshaltung, so ist das nur für eine ausschließlich auf die monetäre
Vermehrung oder Verminderung des Vermögens sehende Rechnung ohne
Vermögensrelevanz. Von Wesen und Bestimmung des Vermögens her ist
eine solche Betrachtungsweise nicht zwingend geboten.
31
2. Hierzu zwingt auch § 252 BGB nicht.
32
Bei erwerbswirtschaftlichem, produktivem Einsatz der Sache wird die
Verkürzung ihres Nutzungswerts im wesentlichen durch einen
Gewinnentgang ausgewiesen, dessen Ersatz § 252 Satz 1 BGB
ausdrücklich anordnet. Diese Vorschrift unterstreicht die
schadensrechtliche Bedeutung, die der Gesetzgeber Ausfällen im
erwerbswirtschaftlichen, vermögensmehrenden Einsatz von
Wirtschaftsgütern beigemessen hat; eine entsprechende Vorschrift für die
eigenwirtschaftliche Nutzung des Vermögens fehlt. Hieraus kann indes
nicht mit dem vorlegenden Senat gefolgert werden, daß das Gesetz sich
gegen den Geldersatz für Einbußen im eigenwirtschaftlichen Einsatz
dieser Wirtschaftsgüter, die sich nicht in einem Gewinnentgang
niederschlagen, entschieden hat. § 252 BGB stellt in erster Linie klar, daß in Abkehr von früheren Kodifikationen - das ganze, nicht nach
Verschuldensformen abgestufte Vermögensinteresse dem
Schadensausgleich zuzuführen ist (Mot. II 17 f = Mugdan, Materialien zum
244
BGB Bd. II 10); insoweit verwirklicht die Vorschrift den Grundsatz des
vollen Schadensausgleichs, der sich aus § 249 BGB ergibt. In dieses
Konzept ordnet sich auch § 252 Satz 2 BGB ein, den die Rechtsprechung
bisher durchweg nur in der Bedeutung einer Beweiserleichterung
betrachtet hat mit seinem auch von § 287 ZPO verfolgten Ziel, den
Geschädigten wegen dieser oft schwer nachzuweisenden Schäden nicht
nur auf einen Mindestersatz zu verweisen (BGHZ 29, 393, 398; 74, 221,
224 m.N.). Eine Fortentwicklung des an der produktiven Nutzung
orientierten Gesetzes, die einen den Sacheinsatz zu Erwerbszwecken
vergleichbaren eigenwirtschaftlichen Gebrauch der Sache in den Ausgleich
von Vermögensschäden einbezieht, muß nicht zu der vom vorlegenden
Senat befürchteten beweismäßigen Privilegierung des Geschädigten
führen, wenn gewährleistet bleibt, daß der Ersatz nicht zur abstrakten
Nutzungsentschädigung wird, die das Bürgerliche Gesetzbuch nur
ausnahmsweise zuläßt (§§ 288, 290, 849 BGB). Die Rechtsprechung zur
Nutzungsentschädigung für Kraftfahrzeuge hat dazu mit dem Begriff des
"fühlbaren" Schadens an den Ersatz das Erfordernis geknüpft, daß der
Geschädigte das Fahrzeug ohne das schädigende Ereignis auch wirklich
gebraucht hätte, also zur Nutzung willens und fähig gewesen wäre. Diese
auf andere Wirtschaftsgüter übertragbare Einschränkung eröffnet dem
Schädiger eine vergleichbare beweismäßige Stellung, wie sie ihm
gegenüber Ersatzansprüchen aus erwerbswirtschaftlichen Einbußen
eingeräumt ist, und stellt hinreichend sicher, daß auch der Geldersatz für
Verluste im eigenwirtschaftlichen Einsatz der Sache ungeachtet von
Notwendigkeiten zu seiner Typisierung und Pauschalierung einer
konkreten, auf das jeweils betroffene Vermögen bezogenen
Schadensbetrachtung verhaftet bleibt.
33
3. Ohne solche Erweiterung muß der Schadensausgleich zu
unbefriedigenden Ergebnissen führen, insbesondere wo es um
Wirtschaftsgüter von zentraler Bedeutung für die eigene Lebenshaltung
geht.
34
a) Zwar hat der Schädiger auf seine Kosten dem Geschädigten
grundsätzlich zur Überbrückung von Ausfällen auch im eigenen Gebrauch
der Sache eine entsprechende Gebrauchsmöglichkeit zu verschaffen, weil
das Gesetz die Naturalrestitution nicht von der Vermögensqualität des
Ausfalls abhängig macht. Jedoch bliebe etwa bei einem Verzicht des
Geschädigten auf die Ersatzbeschaffung, der im übrigen keineswegs stets
gegen sein Angewiesensein auf die Sache sprechen muß, deren
Entwertung als Gebrauchsgut trotz der für ihn damit einhergehenden
spürbaren Einschränkungen in der eigenen Wirtschaftsführung für den
Schädiger weithin ohne Ersatzfolge.
35
245
Durch den Substanzwert der Sache wird eine derartige Verkürzung ihres
Nutzungswerts für den Eigentümer nicht zureichend ausgewiesen. Zwar ist
die Eignung der Sache zum Gebrauch als Preisfaktor in ihrem
Verkehrswert mitbewertet; in diesem Sinn ist der Gebrauchswert kein vom
Substanzwert "abspaltbarer" Wert. Jedoch wird eine Entwertung der Sache
für den Gebrauch durch den Ersatz des Substanzverlustes nur dann
vollständig entschädigt, wenn dieser Verlust sofort restituiert wird; daß in
der Karenzzeit im Vermögen eine entwertete Sache ist, wird in diesem
rechnerischen Vergleich nicht erfaßt. Insoweit beruhen Nutzungswert und
Substanzwert auf verschiedenen Wertansätzen: Der Substanzwert zielt auf
den Güterbestand, der Nutzungswert auf den Gütereinsatz. Weder ist
dessen zeitweiser Ausfall mit der Herstellung der Sache oder durch die
Zinsen für die Substanzentschädigung hinreichend ausgeglichen, noch
kann der entgangene "Ertrag" nachgeholt werden. Allenfalls erwächst im
ersparten Verschleiß und in den ersparten einsatzbezogenen Kosten ein
Vorteil; der - zeitlich begrenzte - Gebrauchsverlust ist definitiv. Um ihn zu
erfassen, bedarf die Differenzrechnung eines ergänzenden Wertansatzes.
36
b) Jedenfalls für eine ganz der eigenwirtschaftlichen Sphäre verhaftete
Verwendungsplanung muß ein Ausgleich, der sich an der reinen
Differenzrechnung ohne solche Ergänzung orientiert, als unangemessene
schadensrechtliche Benachteiligung des Geschädigten gegenüber einem
erwerbswirtschaftlichen Sacheinsatz erscheinen, dessen Einbußen vom
Schädiger auch bei unterbliebener Naturalrestitution prinzipiell
auszugleichen sind. Es ist deshalb gerade das Grundanliegen der
Rechtsprechung zur Kfz-Nutzungsentschädigung, die eigenwirtschaftlichen
Vermögensdispositionen des Geschädigten für den Ausgleichsgedanken
des Schadensrechts, der auf Ersatz des vollen Vermögensschadens geht,
angemessener zu berücksichtigen. Das Bedürfnis dazu reicht über diesen
Regulierungsbereich hinaus. Nachdem für jenen Bereich die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Schadensrecht
entsprechend fortentwickelt und sie sich in der Praxis im Vertrauen auf
ihren Fortbestand umgesetzt hat, erscheint es nicht zuletzt auch aus
Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes in die
Gesetzesauslegung durch eine gefestigte höchstrichterliche
Rechtsprechung geboten, auf dem eingeschlagenen Weg fortzufahren.
37
Der Große Senat verkennt nicht die Vorteile der Differenzrechnung für die
Berechenbarkeit des Vermögensschadens und für die notwendige
Beschränkung des Schadensersatzes auf die konkreten Einbußen des
jeweils betroffenen Vermögens. Die Nachteile einer Differenzrechnung mit
normativen Ergänzungen lassen sich aber in vertretbaren Grenzen halten,
wenn das Ziel beachtet bleibt, der vermögensmehrenden,
erwerbswirtschaftlichen Verwendung des Wirtschaftsguts einen
vermögensmäßig vergleichbaren eigenwirtschaftlichen Einsatz im
Interesse eines gerechten Ausgleichs schadensrechtlich anzupassen. Die
Regulierungspraxis der Kfz-Nutzungsentschädigung zeigt, daß damit nicht
246
eine Ausuferung des Entschädigungsvolumens verbunden sein muß.
Jedenfalls erscheint es mit einem gerechten, vollständigen
Schadensausgleich nicht vereinbar, allein wegen der verbleibenden
Bewertungsschwierigkeiten die Ausfälle in der eigenwirtschaftlichen
Verwendung einer Sache stets ersatzlos zu lassen.
38
4. Freilich muß eine derartige Ergänzung des Gesetzes auf Sachen
beschränkt bleiben, auf deren ständige Verfügbarkeit die
eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise angewiesen ist. Eine
weitergehende Erstreckung des Ersatzes wäre nicht mehr durch das
Bedürfnis gerechtfertigt, der erwerbswirtschaftlichen Verwendungsplanung
der Sache schadensrechtlich einen vermögensmäßig vergleichbaren
eigenwirtschaftlichen Einsatz anzupassen. Sie liefe Gefahr, unter
Verletzung des § 253 BGB den Ersatz auf Nichtvermögensschäden
auszudehnen und müßte auch mit den Erfordernissen von
Rechtssicherheit und Berechenbarkeit des Schadens in Konflikt geraten.
39
a) Die Beschränkung des Geldersatzes auf Vermögensschäden durch §
253 BGB soll den Ersatz auf Interesseneinbußen begrenzen, die an
objektiven Maßstäben gemessen werden können. Der Schadensrichter soll
den Schadensersatz nicht an unkontrollierbaren subjektiven
Wertschätzungen festmachen müssen, die ihm der Geschädigte angibt,
sondern an Werten, die der Verkehr dem Interesse beimißt, an den
Geldmaßstäben des Marktes. Zugleich wollte der Gesetzgeber verhindern,
daß "ideelle" Güter und Interessen schadensrechtlich vermarktet werden
(Prot. I 622-623; Mugdan aaO 517). Funktionsstörungen der Sache für
ihren Eigengebrauch sind notwendig mit Einbußen in der Lebenshaltung
verbunden. Ein Schadensersatz für diese Störungen läuft deshalb Gefahr,
zum Ersatz für Einbußen in der von der Person untrennbaren Sphäre zu
führen, die nach § 253 BGB grundsätzlich entschädigungslos bleiben
sollen. Für den hier allein in Frage stehenden außervertraglichen,
deliktischen Schadensersatz ist diese Schranke zwingend. Anderes kann
für die Vertragshaftung gelten, für die § 253 BGB von den
Vertragspartnern abbedungen sein kann, ebenso wie diese den Schutz der
Vermögensinteressen weitergehend einschränken können.
40
Die Gefahr einer Überdehnung des Schadensersatzes in den
immateriellen Interessenbereich hinein besteht aber jedenfalls nicht für
Wirtschaftsgüter von allgemeiner, zentraler Bedeutung für die
Lebenshaltung. Nicht nur betrifft ihr Einsatz für die eigene
Wirtschaftsführung deutlich die materiale Vermögenssphäre (so auch Stoll
aaO), sondern er findet wegen der gerade durch ihre zentrale Rolle
standardisierten Einsatzziele objektivierbare Bewertungsmaßstäbe
wenigstens für einen vermögenswerten Kern, für den nicht die Gefahr
besteht, daß darin (subjektive) Wertschätzungen von Zielverwirklichungen
247
einfließen, die nur für die Person des Geschädigten, nicht aber für den
Verkehr Wert haben. Daß sich diese Funktionsstörungen nicht in einer
erwerbswirtschaftlich ausgerichteten Differenzrechnung niederschlagen,
kann für einen auf vollen Schadensausgleich gerichteten Ersatz
wenigstens hier nicht ausschlaggebend für ihre Ersatzlosigkeit sein.
41
b) Andererseits muß, weil es an einer dem Vergleich mit § 252 BGB
standhaltenden Ergebniskontrolle fehlt, durch entsprechend hohe
Anforderungen an die Bedeutung der Wirtschaftskraft der Sache für die
eigene Lebenshaltung gewährleistet werden, daß sich auch wirklich dieser
objektiv bewertbare Funktionsverlust im Vermögen des Betroffenen
niederschlägt. Derart hohe Anforderungen sind auch nötig, um
Schwankungsbreiten der Verwendungsplanung möglichst auszuschließen,
damit der Ersatz für den Gebrauchsverlust in einer Falltypik, in der der
Einzelfall trotz aller Besonderheiten erfaßt ist, berechenbar bleibt. Daher
muß Ersatz für Verluste des eigenen Gebrauchs in einer
gruppenbezogenen Ausformung grundsätzlich Fällen vorbehalten bleiben,
in denen die Funktionsstörung sich typischerweise als solche auf die
materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. Hierzu kann
auch auf die Verkehrsanschauung abgehoben werden. Dem vorlegenden
Senat ist zwar darin zuzustimmen, daß diese nicht darüber entscheiden
kann, wo die Grenze des § 253 BGB verläuft. Indes kann sich die
rechtliche Wertung auch an den Anschauungen des Verkehrs über die
Wichtigkeit eines Wirtschaftsguts für die Lebensführung und den geltenden
Lebensstandard ausrichten, ebenso wie sich die Schadensbemessung an
Marktmaßstäben auszurichten hat.
42
c) Maßstäbe für eine Ausgrenzung hat die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zur Nutzungsentschädigung für Kraftfahrzeuge
gesetzt. Allerdings sind diese wesentlich mitbestimmt von den
Besonderheiten einer Regulierung von Massenschäden, für die
Schwankungsbreiten in der Bedeutung des Sachgebrauchs für den konkret
Betroffenen eher vernachlässigt werden können.
43
Die Vorlegungsfragen, soweit sie für die Entscheidung in der
Ausgangssache erheblich sind, erfordern keine abschliessende
Stellungnahme zu dem Kreis der Sachen, die über die Fälle von
Gebrauchsverlusten eines eigengenutzten Kraftfahrzeugs hinaus nach den
vorstehenden Ausführungen für einen Geldersatz wegen zeitlich
begrenzter Verluste des Eigengebrauchs in Frage kommen. Jedenfalls der
zeitweise Verlust des Wohngebrauchs eines vom Eigentümer selbst
bewohnten Hauses infolge eines deliktischen Eingriffs in das Eigentum,
wie er hier zur Entscheidung steht, kann ein ersatzfähiger
Vermögensschaden sein. Daß die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung in
besonderem Maß auf den Wohngebrauch angewiesen und die ständige
248
Verfügbarkeit der Wohnung für diesen Gebrauch ein zentraler, im
Gesamtvermögen verflochtener Posten der eigenen Wirtschaftsführung ist,
bedarf keiner näheren Ausführung. Gerade hier erschiene die
Beschränkung des Geldersatzes auf Ausfälle nur im
erwerbswirtschaftlichen Einsatz, die die Verkürzung des Eigengebrauchs
selbst nur als Schadensquelle bewertete und sie bei einem Verzicht auf die
Anmietung einer Ersatzwohnung entschädigungslos ließe, als eine
unverhältnismäßige schadensrechtliche Privilegierung der
erwerbswirtschaftlichen gegenüber der eigenwirtschaftlichen
Verwendungsplanung. Die Entschädigungslosigkeit mag für kurzfristige
Gebrauchsbeeinträchtigungen, die der Geschädigte bei wirtschaftlich
vernünftiger Betrachtung durch zumutbare Umdispositionen auffangen
kann, gerechtfertigt sein. Sie ist aber bei zeitweiser völliger
Unbewohnbarkeit des Hauses, sofern der Eigentümer es in der Ausfallzeit
wirklich bewohnt hätte, mit dem Grundsatz eines vollen Ausgleichs der
Vermögensschäden nicht zu vereinbaren.
44
IV. Die Entwicklung von Methoden für die Bemessung derartiger
Gebrauchsverluste, deren Eignung wesentlich von der jeweils betroffenen
Sachgruppe und den für sie bestehenden Regulierungsmechanismen
mitbestimmt wird, muß in erster Linie der Praxis überlassen bleiben.
Rechtliche Grenzen sind hierfür nur insoweit gezogen, als die
Schadensbemessung die Aufgaben des Schadensersatzes, insbesondere
seine durch § 253 BGB vorgeschriebene Ausrichtung an objektiven
Bewertungsmaßstäben nicht verfehlen und eine gleichmäßige
Schadensregulierung nicht unmöglich machen darf.
45
Prinzipiell ungeeignet ist eine Bemessung des Schadensersatzes daran,
was den Eigentümer die Überbrückung der Ausfallzeit durch die
Anmietung einer Ersatzsache gekostet haben würde, weil es nicht um das
Reparationsinteresse, sondern um das Kompensationsinteresse geht.
Dieses bemißt sich nicht danach, was der Eigentümer an Kosten erspart,
weil er seinen Bedarf mit seiner Sache befriedigen kann, sondern danach,
was die Einsatzfähigkeit der Sache für den Eigengebrauch dem Verkehr
Geld wert ist. Auch kann der Eigentümer nicht verlangen, so entschädigt
zu werden, wie wenn er den Gebrauch der Sache dem Schädiger gegen
Entgelt überlassen hätte. Eine derartige Schadensbemessung kann zwar
in Sonderbereichen durch einen spezifischen Interessenkonflikt
gerechtfertigt sein, sie entspricht aber nicht allgemeinen
schadensrechtlichen Grundsätzen. Zu entschädigen ist der
Gebrauchsverlust für eine eigenwirtschaftliche Verwendungsplanung, nicht
der entgangene Gewinn aus einer entgeltlichen Gebrauchsüberlassung an
einen Dritten, die der Eigentümer gar nicht beabsichtigt hat.
46
249
Indes können der Schadensbemessung Wertmaßstäbe des Verkehrs für
eine entgeltliche Gebrauchsüberlassung zugrundegelegt werden, sofern
diese von den spezifisch die erwerbswirtschaftliche Nutzung betreffenden
Wertfaktoren zuverlässig bereinigt werden können. Auch die anteiligen
Vorhaltekosten für den entzogenen Gebrauch (angemessene Verzinsung
des für die Beschaffung der Sache eingesetzten Kapitals, weiterlaufende
Aufwendungen für die Einsatzfähigkeit der Sache, Alterungsminderwert für
die gebrauchsunabhängige Entwertung der Sache in der Zeit ihres
Ausfalls) können eine geeignete Grundlage für die Schadensbemessung
sein. Entgegen der Auffassung des vorlegenden Senats erscheint es in
diesem Zusammenhang auch nicht unzulässig, durch einen maßvollen
Aufschlag auf die vom Markt regelmäßig als Untergrenze für den
Gebrauchswert angesehenen Gemeinkosten dem Umstand Rechnung zu
tragen, daß die Ausstrahlungen des Ausfalls derartiger Wirtschaftsgüter
auf das mit ihnen verflochtene Gesamtvermögen in ihren Vereinzelungen
sich einer genauen Feststellung entziehen.
47
Die aufgezeigten Bewertungsmöglichkeiten schließen aber andere
geeignete Bewertungsmethoden nicht aus.
2.
Immaterieller Schaden
Funktionen: Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion (letztere str.)
3.
Normativer Schaden
4.
Positives und negatives Interesse
5.
III.
a)
Positives Interesse = Erfüllungsschaden
b)
Negatives Interesse = Vertrauensschaden
Mittelbare und unmittelbare Schäden?
Der Geschädigte und der Ersatzberechtigte
-
1.
Unmittelbar Geschädigte
2.
Drittgeschädigte
§ 844 Abse. 1 und 2 BGB
250
-
§ 845 BGB
-
Schockschäden (s.o. bei § 823 Abs. 1 BGB)
-
Drittschadensliquidation bei „Schadensverlagerung“
Fallgruppen:
- sog. obligatorische Gefahrentlastung beim Versendungskauf (§ 447 BGB),
beachte aber §§ 421 Abs. 1 S. 2, 425 Abs. 1 HGB
- sog. mittelbare Stellvertretung (Kommission, jemand schließt im eigenen
Namen für fremde Rechnung einen Vertrag z. B. über ein gefälschtes
Kunstobjekt)
- sog. Obhut für fremde Sachen (a.M.: Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten
Dritter)
§ 10. Inhalt und Umfang des Ersatzanspruchs
I.
II.
Formen des Schadensersatzes
1.
Naturalrestitution
2.
Geldersatz
Schadensberechnung
1.
Objektivierte Berechnung
2.
Entgangener Gewinn
Siehe § 252 BGB; Beweismaß: bloße Wahrscheinlichkeit!
3.
Konkrete Schadensberechnung
Keine abstrakte Schadensberechnung, Ausnahme: § 288 Abse. 1 und 2 BGB
beim Zahlungsverzug.
4.
Vorteilsausgleichung
Verbesserungen fallen schadensmindernd ins Gewicht (Verbot der
Bereicherung des Geschädigten) . Keine Anrechnung, wenn kein
Zusammenhang mit dem Schadensfall besteht oder der Zweck des Vorteils
dem Schadensersatz nicht entgegensteht (z. B. Sammlung für den
Geschädigten; die Zahlung der Krankenversicherung – hier wird zum Teil auch
vom normativen Schaden gesprochen -, freiwillige Leistungen des
Arbeitgebers nach einem Unfall, der vorzeitige Erhalt einer
Lebensversicherung). .
III.
Schadensgruppen
251
1.
Personenschaden
a)
Tod
b)
Verletzung
aa)
Heilungskosten
bb)
Mehrbedarf
cc)
dd)
Erwerbsschaden
ee)
Abhängigenschaden
§ 845 BGB
ee)
Anstößiger Erwerb
BGHZ 67, 119 (Achtung: nach dem sog. ProstG sind Verträge mit Dirnen mittlerweile
in Deutschland wirksam!)
Tatbestand:
1
Die Klägerin wurde am 2. April 1973 bei einem Verkehrsunfall verletzt. Diesen
hat die Erstbeklagte, die bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert ist, als
Kraftfahrerin verschuldet.
2
Durch den Unfall wurde die Arbeitsfähigkeit der Klägerin zeitweise
aufgehoben bzw. gemindert. Die Klägerin lebt jedoch von Prostitution; sie
bietet sich von einem Standplatz an der Straße aus Kraftfahrern zum
Geschlechtsverkehr in deren Fahrzeugen an. Dabei wird sie nach ihrer
Darstellung an einem "Arbeitstag" (Abend und Nacht) von durchschnittlich 10
bis 15 Freiern entlohnt, und zwar in der Regel mit 20 DM, bei
"Sonderleistungen" mit 30 DM.
3
Die Klägerin behauptet, daß sich die Beeinträchtigung ihrer Arbeitsfähigkeit
während eines Zeitraums von 30 Tagen auf ihre Tätigkeit als Prostituierte
ausgewirkt habe, und begehrt von den Beklagten Ersatz des ihr deshalb
entgangenen Dirnenlohns. Wegen weiterer Ansprüche (Schmerzensgeld und
Ausfall von Haushaltstätigkeit) ist sie von den Beklagten abgefunden.
4
Das Landgericht hat der Klage mit gewissen Abzügen stattgegeben. Die
Berufung der Beklagten war erfolglos. Die -- vom Berufungsgericht
zugelassene -- Revision erstrebt weiterhin die volle Abweisung der Klage.
252
Entscheidungsgründe:
I.
5
1. Das Berufungsgericht stellt fest, daß die Klägerin durch ihre Verletzung
insgesamt an 22 Tagen am "Autostrich" gehindert war, und schätzt mit dem
Landgericht, daß ihr dadurch nach Abzug von 10 DM Unkosten je Tag 270
DM, insgesamt also 5.940 DM entgangen sind.
6
2. In Übereinstimmung mit dem Urteil des OLG Düsseldorf in NJW 1970, 1852
hat das Berufungsgericht keine Bedenken, auch den Entgang eines
Dirnenlohnes als rechtlich ersatzfähigen Schaden anzusehen. Es räumt zwar
ein, daß der auf entgeltliche Gewährung des Geschlechtsverkehrs gerichtete
Dirnenvertrag nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, glaubt aber, daß die
Sittenwidrigkeit der durch das Schadensereignis vereitelten Erwerbsgeschäfte
der Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns nicht entgegenstehen könne
(im Ergebnis ebenso LG Offenburg VersR 1973, 69; zustimmend Wussow,
Unfallhaftpflichtrecht 12. Aufl. TZ. 1004; zögernd unter Bezugnahme auf OLG
Düsseldorf aaO Palandt/Heinrichs BGB 35. Aufl. Anm. 2 zu § 252).
7
Dazu erwägt das Berufungsgericht:
8
Vom Staat wurde die Dirnentätigkeit nicht nur geduldet, sondern auch ihr
Ertrag der Einkommenssteuer unterworfen; auch genieße die Dirne
hinsichtlich des von ihr erworbenen Lohnes Eigentumsschutz (BGHSt 6, 379).
Die Einrichtung von Bordellen werde teilweise von Gemeinden gefördert, und
Miet- und Pachtverträge über Bordelle und Dirnenwohnungen würden, wenn
auch mit Einschränkungen, als rechtswirksam anerkannt. Angesichts dessen
erscheine es nicht mehr gerechtfertigt, den Entgang von Dirnenlohn nicht "als
Schaden im Sinne von § 249 BGB anzusehen".
II.
9
Dem angefochtenen Urteil kann nicht gefolgt werden.
10
Allerdings lassen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts
keinen Rechtsirrtum erkennen und werden auch von der Revision nicht
angegriffen. Deshalb ist davon auszugehen, daß der Klägerin ein
Erwerbsschaden in Höhe des vom Berufungsgericht zugesprochenen Betrags
entstanden ist. Es kann sich daher nur darum handeln, ob die Klägerin
253
deshalb daran gehindert ist, in Höhe des ihr entgangenen Erwerbs
Schadensersatz zu fordern, weil sie diesen nur durch ein Verhalten hätte
erzielen können, das gegen das Gesetz oder gegen die guten Sitten verstieß.
11
Zwar hat der Anspruch, der darauf gestützt ist, daß ein erwarteter Erwerb
wegen eines zum Schadensersatz verpflichtenden Tatbestandes unterblieben
sei (§§ 252, 842 BGB), nicht zur Voraussetzung, daß dieser Erwerb das
Entgelt für eine volkswirtschaftlich positiv zu bewertende Leistung darstellt. Er
ist auch dann ersatzfähig, wenn er ohne die zum Ersatz verpflichtende
Handlung durch ein wertneutrales oder gar aus gesellschaftlicher Sicht
unnützes Verhalten des Geschädigten ausgelöst worden wäre. Seine Grenze
findet dieser Grundsatz aber dort, wo der Geschädigte an einer
Erwerbshandlung gehindert worden ist, die nach allgemein gültigen
Maßstäben hätte mißbilligt werden müssen. Das dürfte ausnahmslos dort
gelten, wo der Erwerb nur durch Verletzung eines gesetzlichen Verbotes
möglich war (Senatsurteil vom 7. Mai 1974 -- VI ZR 7/73 -- VersR 1974, 968,
969/970; Urt. vom 5. Oktober 1970 -- III ZR 8/68 -- DB 1970, 2440
m.w.Nachw.). Die gleichen Gesichtspunkte gelten aber auch dann, wenn das
an sich rechtswidrig verhinderte erwerbsbegründende Verhalten zwar nicht
gegen ein gesetzliches Verbot, wohl aber gegen das Anstandsgefühl aller
billig und gerecht Denkenden, also gegen die guten Sitten verstoßen hätte (so
schon Senatsurteil vom 14. Juli 1954 -- VI ZR 260/53 -- VersR 1954, 498
allg.Mng.).
12
1. Aus diesen Grundsätzen ergeben sich gegen die Klagforderung Bedenken,
denen das Berufungsgericht keine Rechnung trägt.
13
a) Zwar verneint das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend, daß
Gesetzwidrigkeit des zum Erwerb führenden Tuns der Ersatzfähigkeit
entgegensteht. Die Prostitution ist weder als solche noch in der Form, in der
sie von der Klägerin betrieben wird, Gegenstand eines ausdrücklichen
Verbots. Allerdings hat die Klägerin versäumt, sich als Prostituierte polizeilich
registrieren zu lassen (obwohl sie sich den vorgeschriebenen
Gesundheitskontrollen unterzogen hat). Dieser Verstoß gegen als solches
zweckvolles Ordnungsrecht kann ihr jedoch von den Beklagten nicht mit Erfolg
entgegengehalten werden.
14
b) Durchgreifende Bedenken gegen die Berechtigung des Ersatzanspruches
müssen sich jedoch daraus ergeben, daß eine Prostituierte durch ihre
Betätigung (zumindest im Regelfall) gegen die guten Sitten verstößt.
15
254
Dies ist im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 138 BGB seit jeher
anerkannt. Freilich kann dies für die hier zu beurteilende Frage nur mittelbare
Bedeutung haben. Denn die Ersatzfähigkeit eines Erwerbsschadens setzt
nicht unbedingt voraus, daß der Geschädigte auf den Erwerb einen
Rechtsanspruch gehabt hatte, vielmehr genügt eine tatsächliche
Erwerbsaussicht (Senatsurteil vom 22. Februar 1973 -- VI ZR 15/72 -- VersR
1973, 423, 424). Davon, daß diese hier bestand, muß nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts ausgegangen werden. Indessen kann
die Frage der Sittenwidrigkeit in dem hier entscheidenden Zusammenhang
wenigstens im Ansatz nicht anders beurteilt werden als für die Anwendung
des § 138 BGB. Dies verkennt das Berufungsgericht, das -- ebenso wie OLG
Düsseldorf aaO -- selbst davon ausgeht, daß der Dirnenvertrag nach § 138
BGB nichtig ist. Dabei wird der insgesamt mißbilligten Transaktion jede
Rechtswirkung versagt. Es geht nicht etwa nur darum, daß gerade der von der
Dirne übernommenen Verpflichtung zur geschlechtlichen Hingabe schon aus
übergeordneten Rechtsgrundsätzen jede Rechtsverbindlichkeit versagt
werden müßte; auch etwa ihre nach der Hingabe erhobene Forderung auf das
Entgelt muß an § 138 BGB scheitern.
16
2. Die Revisionsbeantwortung der Klägerin stellt allerdings diese sittliche
Beurteilung der Dirnenbetätigung teilweise zur Nachprüfung. Sie verweist
insbesondere auf eine Änderung der Moralvorstellungen und auch auf die
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, die den Erwerb einer Prostituierten
der Einkommenssteuer unterwirft (BFH 80, 73 = NJW 1965, 79; vgl. auch BFH
97, 378 ff = BStBl. 1970, II 185). Darin kann ihr nicht gefolgt werden.
17
a) Zunächst kann daraus, daß durch das Strafrechtsreformgesetz vom 23.
November 1973 (BGBl I S. 1725) der Bereich der -- als solcher schon zuvor
nicht verboten gewesenen -- Prostitution noch weiter entpönalisiert worden ist,
nichts hergeleitet werden. Das Zivilrecht knüpft Rechtsfolgen ausdrücklich
nicht nur an den Unwert eines Verhaltens, der sich aus seiner Verbotenheit,
gar seiner Strafbarkeit ergibt, sondern auch an den Unwert, der sich aus der
Unvereinbarkeit mit den in der Rechtsgemeinschaft anerkannten guten Sitten
ergibt (vgl. etwa § 817 Abs. 1 BGB); die Vorschrift des § 138 BGB wäre neben
§ 134 BGB überflüssig, wenn Sittenwidrigkeit nicht nur regelmäßig, sondern
stets auch mit Rechtswidrigkeit einher ging. Anders könnte es freilich sein,
wenn die Lockerung der strafrechtlichen Vorschriften auf der Überzeugung
des Gesetzgebers beruhte, daß das bisherige sittlich-soziale Unwerturteil über
die Prostitution nicht mehr gerechtfertigt sei. Die Materialien ergeben aber
durchweg, daß man die Prostitution zwar durchaus als ein nach Möglichkeit zu
verhütendes Übel betrachtete (vgl. etwa Entw. zum 4. StrRG
Bundesratsdrucks. VI/1552 S. 25), aber in gesetzlichen Verboten und
Strafdrohungen in der Regel kein wirksames Mittel sieht. (Für internationale
Parallelen dieses Aspekts vgl. D. van Eck, Revue de science criminelle et droit
pénal comparé 1963, 43, 45). Diese Zurückhaltung des Gesetzgebers
besonders im Sexualbereich, der sich seiner Natur nach obrigkeitlichen
Eingriffen weithin entzieht, spricht also nicht gegen den sittlichen und sozialen
255
Unwert der Prostitution. Auch sonst verzichtet der Gesetzgeber in diesem
Bereich auf Verbote meist wegen deren geringer Effektivität und nicht, weil
sozialschädliche Wirkungen nicht mehr zu befürchten wären (Entw. aaO S.
19).
18
Gerade der Umstand, daß der Gesetzgeber überwiegende kriminalpolitische
Gründe dafür gesehen hat, die strafrechtliche Abwehr von Mißständen im
Bereich der geschlechtlichen Sittlichkeit noch weiter zu lockern, gibt Anlaß, im
gegebenen Zusammenhang bei Anwendung des Zivilrechts den Tatbeständen
die nur einer anerkannten sittlich-sozialen Verurteilung unterliegen, erhöhte
Aufmerksamkeit zu schenken.
19
b) Ebensowenig kann daraus, daß die öffentliche Hand mitunter durch
Einrichtung von Frauenhäusern usw. selbst die Organisation der
Gewerbsunzucht eingreift, schon deren rechtliche oder sittliche Billigung
entnommen werden. Solche Maßnahmen, die nicht erst der gegenwärtigen
Zeit eigen sind, dienen anerkanntermaßen nur der Kanalisierung eines
Mißstandes, der zwar für den Regelfall nicht als notwendig, wohl aber als
praktisch unausrottbar anerkannt werden muß (BGH Urteil vom 17. April 1970
-- I ZR 124/68 -- NJW 1970, 1179 f; vgl. auch BGHZ 63, 365, 366).
20
Schließlich besagt auch die vom Bundesfinanzhof bejahte Besteuerung des
Dirnenlohns als Einkommen aus einer "Leistung" (§ 22 EStG) nichts für die
sittliche Anerkennung der Prostitution. Diese Besteuerung (der praktisch nur
geringe Bedeutung zukommt -- vgl. Steuermann NJW 1966, 819; auch die
Klägerin hat zu der Frage, ob sie Steuern entrichte, die Auskunft verweigert)
ist nicht widersprüchlich. Es wäre im Gegenteil nicht einzusehen, weshalb ein
sittlich mißbilligter, aber rechtlich aus Zweckmäßigkeitsgründen geduldeter
Erwerb gegenüber dem Entgelt für sozial wertvolle oder doch neutrale
Leistungen steuerlich privilegiert werden sollte.
21
c) Dabei, daß die Prostitution in der öffentlichen Meinung und im Rechtssinne
als sittenwidrig angesehen wird, ist es im Kern auch heute trotz der
veränderten Einstellung weiter Bevölkerungskreise zu sexualen Fragen
(BGHZ 63, 365) geblieben. Rechtlich zeigt sich die Auflockerung nur darin,
daß Verträge, die mit Bezug auf die Prostitution abgeschlossen sind,
jedenfalls dann nicht mehr gemäß § 138 BGB als nichtig betrachtet werden,
wenn sie in sich selbst sittlich wertneutral sind, wie etwa die Lieferung oder
Bereitstellung sachlicher Mittel gegen ein Entgelt, das nicht durch seine
Überhöhung eine Partizipierung an dem spezifischen Unzuchtserwerb
erkennen läßt. In der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik ist im übrigen
das sittlich/soziale Unwerturteil über prostituierte Personen und ihre
Betätigung, wenn auch mit teilweise veränderter Motivation, erhalten
256
geblieben. Daß diese Ablehnung häufig nicht frei ist von Hypokrisie und
inkonsequenter Diskriminierung der prostituierten Person gegenüber
denjenigen, die ihre entwürdigende Leistung entgegennehmen, vermag die
Tatsache und ihre grundsätzliche Berechtigung ebensowenig in Frage zu
stellen, wie der Umstand, daß diese Ablehnung oft in menschlich verfehlter
Form Ausdruck findet.
22
Auch im politisch-administrativen Bereich besteht über den negativen
Charakter der Prostitution weithin Einigkeit. Man spricht allgemein vom
"Abgleiten" einer Frau in die Prostitution. Bemühungen einer Prostituierten,
sich aus ihrem Milieu zu lösen, werden als selbstverständlich
förderungswürdig vorausgesetzt (Entwurf aaO S. 26).
23
Dieses Unwerturteil über die Prostitution ist nicht ein auf Emotionen
begründetes "Vorurteil", sondern in der gesellschaftlichen und
verfassungsrechtlichen Wertordnung fundiert. Die früher vorwiegende
Vorstellung, nichteheliche Geschlechtsvereinigung sei schlechthin
unmoralisch, hat in ihrer Berechtigung, übrigens auch in ihrer Verbreitung
gewiß an Gewicht verloren. Dagegen hat der Vorwurf, daß die
gewerbsähnliche geschlechtliche Hingabe gegen Bezahlung in
entwürdigender Weise Intimbereiche zur Ware macht, die gerade aus
moderner psychologischer Sicht mit dem Kern der Persönlichkeit aufs engste
verknüpft sind, eher noch an Bedeutung gewonnen. Neben diesem
persönlichkeitsschädlichen Charakter spielt für das soziale Unwerturteil über
die Prostitution gemeinhin auch die Ausbeutung der Triebhaftigkeit,
Abenteuersucht, jugendlichen Unerfahrenheit, auch der Trunkenheit der Freier
eine Rolle, zumal sie zu der bekannten Anhangskriminalität führen kann. Zwar
mag bei der von der Klägerin geübten Form der Prostitution der letztere
Gesichtspunkt weithin zurücktreten, jedoch wird die Entwürdigung vor allem
der eigenen Person gerade hier besonders deutlich. Daß auch dies allein die
sittliche Verurteilung rechtfertigt, ergibt sich aus der Unverzichtbarkeit der
personalen Würde, die der Gesellschaft auch ohne Rücksicht auf den Willen
ihres Trägers angelegen sein muß.
24
3. Die Ersatzforderung der Klägerin ist also auf ihre Behauptung gestützt, sie
würde ohne die Verletzung auch weiterhin einer Betätigung obgelegen haben,
die gegen das anerkannte Sittenbewußtsein (Sittlichkeitsempfinden) verstößt
und der die Rechtsordnung deshalb die Anerkennung als Rechtsgeschäft
versagt (§ 138 BGB). Das Berufungsgericht verkennt, daß dies bei der
rechtlichen Beurteilung der Klagforderung nicht außer Acht gelassen werden
kann. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.
III.
25
257
Indessen muß der sittliche Unwert der der Klägerin unmöglich gewordenen
Erwerbstätigkeit im vorliegenden Falle nach Auffassung des Senats nicht zur
Abweisung der Klage im vollen Umfange führen.
26
1. Soweit allerdings ein Geschädigter -- anders als hier -- Ersatz für die
entgangenen Früchte eines gesetzlich verbotenen Tuns verlangt, wird sich die
Verneinung eines solchen Anspruchs in vollem Umfange schon aus dem
Zusammenhang der Rechtsordnung ergeben. Diese würde in sich
widersprüchlich, wenn sie die Hand reichte zur Durchsetzung von
Ansprüchen, mit denen der Ertrag eines von ihr verbotenen Tuns substituiert
wird. Die Gewichte liegen aber dann etwas anders, wenn, wie hier, der
Gewinn aus einer sittlich mißbilligten, aber trotz versagter rechtlicher
Anerkennung geduldeten Betätigung als Folge einer unerlaubten Handlung
vereitelt worden ist. Dann geht es um den berechtigten Einwand des
Schädigers, es könne ihm billigerweise (§ 242 BGB) nicht zugemutet werden,
einen durch sittenwidriges Tun geprägten Erwerb zu substituieren, und das
Bedenken dagegen, für eine solche Forderung die staatlichen Gerichte
einzuspannen. In diesem Bereich, wo es vor allem darum geht, die
Rechtswahrnehmung in ihre immanenten sozialethischen Schranken
zurückzuverweisen (vgl. Soergel/Mormann, BGB 10. Aufl. Vorbem. 11, 12 vor
§ 226; Palandt/Heinrichs, BGB 35. Aufl. Anm. 1 a aa) zu § 242 BGB),
erscheint es möglich und geboten, die Tragweite des Einwandes gegen die
Ersatzforderung in billiger Berücksichtigung der beiderseitigen Belange
abzugrenzen. Dabei können Erwägungen platzgreifen, die in weiterem Sinne
denen verwandt sind, die die neuere Rechtsprechung veranlaßt haben,
angesichts der Unverbotenheit der Prostitution nur noch solche
Randgeschäfte im Sinne des § 138 BGB vom Rechtsschutz auszunehmen,
welche durch deren anstößigen Charakter geprägt sind (vgl. das oben zu
BGHZ 63, 365 Ausgeführte).
27
a) Hier gilt es zu beachten, daß die Beklagte immerhin rechtswidrig in die
körperliche Integrität der Klägerin eingegriffen hat, unter deren wenngleich
mißbräuchlichem Einsatz diese bisher ihren Lebensunterhalt bestritten hatte.
Damit hätte unter Umständen (die die Klägerin nicht für sich in Anspruch
nimmt) auch die Lage eintreten können, daß die öffentliche Hand im Wege der
Sozialhilfe für die Klägerin hätte einspringen müssen, während die schuldige
Beklagte aus insoweit nicht überzeugenden Billigkeitsgründen ganz
freigekommen wäre. Daß diese Lage nicht selten zu gewärtigen wäre, ergibt
u.a. die Erfahrungstatsache, daß Prostituierte auch bei hohem bis sehr hohem
Einkommen häufig ohne nennenswerte Rücklagen sind (vgl. Röhr,
Prostitution, eine empirische Untersuchung 1972 S. 129).
28
b) Ein solches Ergebnis schösse indessen über die gebotene sozialethische
Korrektur so weit hinaus, daß es in anderer Richtung anstößig wäre. Dem
Schädiger erwüchse dann aus der Anrüchigkeit des Dirnen "gewerbes", vor
258
deren Auswirkungen er geschützt werden soll, über diesen Schutz hinaus eine
unverdiente Begünstigung, u.U. auf Kosten der Allgemeinheit. Das gilt es zu
verhüten. Er darf zwar, wie bemerkt, grundsätzlich nicht mit Ersatzansprüchen
belastet werden, die die Verhinderung anstößigen Erwerbs ausgleichen sollen
und insbesondere auch der Höhe nach durch diese Erwerbsart geprägt sind.
Soweit es aber nur darum geht, einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß der an
seiner Gesundheit Geschädigte -- was der Schädiger zu vertreten hat -deshalb nicht mehr in der Lage ist, einen seinen notwendigen
Existenzaufwand deckenden Erwerb zu erzielen, wird der Schädiger nicht
eigentlich durch den Umstand berührt, daß der Geschädigte diesen Erwerb
durch eine Tätigkeit erzielte, die mit einem sittlichen Unwerturteil belastet ist.
29
Denn es geht hier nicht darum, der Prostituierten den Ertrag einer auch
abgesehen vom Schadensfall nur hypothetischen bürgerlichen
Erwerbstätigkeit zu ersetzen. Ermittelt werden soll vielmehr derjenige
Teilbetrag des tatsächlich ausgefallenen Dirnenlohnes, den zu ersetzen dem
Schädiger bei der gebotenen Interessenabwägung zugemutet werden kann
und den die Gerichte der Geschädigten zuzusprechen vermögen, ohne sich
damit zum mittelbaren Werkzeug der Gewerbsunzucht zu machen. Die
Ersatzleistung für einen Erwerb, der dem Geschädigten nur möglich gewesen
wäre, liefe auf eine unserem Recht fremde abstrakte Entschädigung für
beeinträchtigte Arbeitskraft hinaus (BGHZ 54, 45). Es kann deshalb auch nicht
darauf ankommen, zu welchem Erwerb in einem bürgerlichen Beruf die
Prostituierte nach ihrer speziellen Vorbildung (auch höhere und
Hochschulbildung schützen nur wenig vor dem Abgleiten in die Prostitution -vgl. Röhr aaO S. 107 ff) formell qualifiziert gewesen wäre.
30
2. Nach allem hält es der Senat für angemessen, den Schadensersatz für
entgangenen Dirnenlohn, der damit teilweise (entgegen der wohl bisher
herrschend gewesenen Auffassung) für möglich gehalten wird, nach oben zu
begrenzen durch die Höhe eines existenzdeckenden Einkommens, das auch
in einfachen Verhältnissen von jedem gesunden Menschen erfahrungsgemäß
zu erreichen ist.
31
Andererseits erscheint es nicht sinnvoll, etwa ähnlich wie im Unterhaltsrecht,
darauf abzustellen, ob die Prostituierte für ihren Unterhalt, gegebenenfalls
auch für den von ihr gegenüber Unterhaltsberechtigten, auf die entgangenen
Einnahmen angewiesen war, also der Fürsorge zur Last zu fallen dreht, oder
ob sie insbesondere auf Rücklagen zurückgreifen kann. Das ergibt sich schon
daraus, daß die Grenze bei der Zumutbarkeit für den Schädiger und die
Rechtspflege zu ziehen ist. Pönale Erwägungen in Richtung auf die
Prostituierte haben grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, sie wären mit der
rechtlichen Unverbotenheit ihres Tuns nicht vereinbar. Auch würde dabei
übersehen, daß sich die dem Rechtsgedanken des § 242 BGB
zuzuordnenden Schranken des Ersatzanspruchs aus der Sozialwidrigkeit der
259
Dirnenbetätigung als solcher herleiten. Andernfalls wäre jeweils eine
zusätzliche Prüfung des personalen sittlichen Verschuldens erforderlich, was
bei der im einzelnen zwar umstrittenen, sicher aber beträchtlichen Zahl der
weniger intellektuell als psychopathologisch randständigen Angehörigen
dieser Gruppe (vgl. dazu etwa Mergen in Sexualität und Verbrechen 1963,
161, 162/3; teilweise ablehnend Röhr aaO S. 107 ff) besondere
Schwierigkeiten bereiten müßte.
32
3. Nach allem dürfte die Klage immerhin zu einem Teilbetrag begründet sein,
dessen Bemessung unter Beachtung der dargelegten Grundsätze dem
Tatrichter überlassen bleibt.
2.
IV.
Sachschaden
Sonderprobleme
1.
Familienplanungsschaden:Unterhalt für Kinder und Bedarf von
Kindern als Schaden
a) Grundsatzfragen und Rechtsentwicklung
Der Schaden besteht in der Verschlechterung der Vermögenslage. Diese kann sich
auch durch das Entstehen von Ansprüchen Dritter, vor allem auf Unterhalt und durch
Bedarfsvermehrung, ergeben. Ein solcher Schaden ist auch der Familienplanungsschaden: Entgegen der Erwartung und der eingeleiteten medizinischen Behandlung
kommt es zur Zeugung eines Menschen oder zur Geburt eines erheblich behinderten
Menschen. Typische Vorfälle sind: Der Apotheker liest versehentlich das Rezept
falsch (Enzynorm statt Eugynon), der Arzt durchtrennt bei der Sterilisation das Mutterband anstelle der Tuben, die Abtreibung gelingt nicht, bei der Sterilisation des
Mannes wird versehentlich der Samenstrang nicht vollständig unterbunden.
In dem zweiten Abtreibungsurteil hat der Zweite Senat des BVerfG folgenden Leitsatz aufgestellt (BVerfG NJW 1993, 1751, 1778):
Nr. 14: Eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als
Schadensquelle kommt von Verfassungs wegen (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht in
Betracht. Deshalb verbietet es sich, die Unterhaltspflicht für ein Kind als
Schaden zu begreifen.
In der Begründung des Urteils liest man, dass die Rechtsprechung der Zivilgerichte
zur Haftung für ärztliche Behandlungsfehler oder fehlgeschlagene Schwangerschaftsabbrüche im Blick auf das neue Urteil der Überprüfung bedürfen. Unberührt
bleibe nur eine Schadensersatzpflicht des Arztes gegenüber dem Kind wegen Schädigungen, die diesem bei einem nicht kunstgerecht durchgeführten, mißlungenen
Schwangerschaftsabbruch zugeführt worden sind. Leitsatz 14 des BVerfG ist von
einer Minderheit der Richter und auch sonst im Schrifttum als obiter dictum angesehen worden. Es ging um eine Normenkontrollklage des Landes Bayern gegen den
Bund, Schadensersatzprobleme waren gar nicht angesprochen. Deshalb hat auch
der BGH in einer sehr seltenen abweichenden Entscheidung dem BVerfG die Gefolg-
260
schaft versagt. Für einen Fall der wrongful conception hat er dennoch Unterhalt
zugesprochen. Das Gericht verweist darauf, dass das Dasein des Kindes und der
Unterhalt völlig verschieden seien (weswegen das Schlagwort vom „Kind als
Schaden“ unpassend erscheint). Auch würde die vom BVerfG gewünschte Sanktionierung des medizinischen Behandlungsverhältnisses gegen Fehler dadurch
unterlaufen, dass für die Folgen eines besonders einschneidenden Fehlers kein
Ersatz gewährt wird. Der an sich für Verfassungsbeschwerden gegen
Arzthaftungsentscheidungen zuständige Erste Senat des BVerfG ist dem BGH
beigetreten. Die Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Arzthaftung bei
fehlgeschlagener Sterilisation und fehlerhafter genetischer Beratung vor Zeugung
eines Kindes verstößt danach nicht gegen Art. 1 Abs. 1 GG. Vielmehr sei die
Unterhaltsverpflichtung, nicht aber das Dasein des Kindes als Schaden einzuordnen.
Auch der Erste Senat des BVerfG hielt die Äußerungen des Zweiten Senats im
zweiten Abtreibungsurteil zum Unterhalt als Schaden mit der ganz überwiegenden
Meinung des Schrifttums für ein rechtlich irrelevantes obiter dictum.
Zudem ist infolge der zweiten Abtreibungsentscheidung des BVerfG aus dem Jahr
1993 das Abtreibungsrecht in den §§ 218 ff StGB neu geregelt worden. Im Anschluss
an die genannte Entscheidung des BVerfG ist nun zwischen (1) rechtmäßigen
Schwangerschaftsabbrüchen, (2) rechtswidrigen, aber straffreien
Schwangerschaftsabbrüchen und schließlich (3) rechtswidrigen und strafbaren
Schwangerschaftsabbrüchen zu unterscheiden. Erstaunlicherweise sollen Verträge,
die auf eine rechtswidrige, aber nicht strafbare Abtreibung gerichtet sind, trotz §§ 134
138 wirksam sein. Der Arzt ist mithin von Rechts wegen vertraglich zu einer
Abtreibung (nach einem entsprechenden Vertragsschluss, wozu selbstverständlich
kein Arzt gezwungen werden kann) verpflichtet, gegen die offenbar Notwehr o. ä.
ausgeübt werden könnte – eine Konsequenz, die die Brüchigkeit der
Gesamtkonzeption schonungslos aufdeckt und – will man nicht den Tabubruch eines
Widerspruchs der Rechtsordnung in sich tolerieren – wohl nur durch eine Auflösung
in dem Sinne möglich ist, das die Rechtswidrigkeit des (nicht strafbaren) Abbruchs
eine nur rhetorische, jedenfalls nicht die Notwehr o. ä. auslösende ist.
Haftungsrechtliche Sanktionen für vertragswidriges Verhalten solcher wirksamen
Verträge, die auf ein angeblich rechtswidriges Ergebnis hinsteuern, wären
demgegenüber nach der Schwangerschaftsentscheidung des BVerfG aus dem Jahre
1993 nicht denkbar, soweit es um den Ersatz eines Unterhaltschadens geht (wohl
aber bei plichtwidrig-schuldhafter Verletzung der Gebärenden). Es erweckt
Bedenken, so weitgehend Sanktionen für pflicht- und vertragswidriges Verhalten
(eines Arztes) trotz wirksamen Vertrages auszuschließen. Unter dem Aspekt der
ökonomischen Analyse des Rechts ist freilich zuzugeben, dass eine zu scharf
drohende Haftungssanktion dem Arzt einen Anreiz zu übervorsichtiger
Defensivmedizin "in dubio contra infantem" geben könnte. Es ist anerkannt, dass
auch der Nasciturus des Schutzes der Rechtsordnung bedarf.
Der BGH hat die Neufassung der Tatbestände des Abtreibungsstrafrechts jedenfalls
zum Anlaß genommen, seine Rechtsprechung dahin zu präzisieren, eine Haftung
des Arztes für einen pflichtwidrig unterlassenen Hinweis auf die Möglichkeit einer
Abtreibung setze voraus, dass der Abbruch rechtmäßig im Sinne der §§ 218 ff StGB
gewesen wäre (BGH NJW 2002, 2636, 2637; näher Müller, NJW 2003, 697, 701).
Praktisch lässt sich das Bild damit in dem Sinne strukturieren, dass zwischen Fällen
einer unterbliebenen Abtreibung einerseits und Pflichtverletzungen vor der Zeugung
zu differenzieren ist. Insbesondere die frühere sog. soziale Indikation löst daher
heute kaum noch eine Haftung aus. Es bleiben vor allem die kriminologischen
261
Indikationen (§ 218 a Abs 3 StGB) sowie die allgemeinen medizinischen Indikationen
gemäß §§ 218 a Abs 2 StGB (unter Einbeziehung der früher ausdrücklich erwähnten
embryopathischen Indikation). Das auf einem ärztlichen Behandlungsfehler
beruhende Unterbleiben eines nach den Grundsätzen der medizinischen Indikation
gemäß § 218a II StGB rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs kann also eine
Schadensersatzpflicht des Arztes in Bezug auf den Unterhaltsaufwand für ein Kind
auslösen, das mit schweren Behinderungen zur Welt kommt. Um einer
Diskriminierung Behinderter zu begegnen, insbesondere um Fernwirkungen in
Richtung auf einen verminderten Lebensschutz der Leibesfrucht bei drohender
Behinderung des Kindes auszulösen, werden an entsprechende Feststellungen auch
aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge Anforderungen gestellt. Auch nach der
Rechtsprechung des BGH erfordert die Prüfung der Voraussetzungen einer
medizinischen Indikation die Prognose, ob ex ante von einer Gefährdung der Mutter
im Sinne des § 218 a II StGB auszugehen war und diese Gefahr nicht auf andere, für
die Mutter zumutbare Weise hätte abgewendet werden können. Bei dieser Prognose
ist darauf abzustellen, ob von einer Gefahr für das Leben oder von der Gefahr einer
schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen
Gesundheitszustands der Mutter auszugehen war. Hervorgehoben hat der BGH
indes, dass an die die Prognose betreffenden Darlegungen keine überzogenen
Anforderungen gestellt werden dürfen. In diesem Zusammenhang ist ferner zu
prognostizieren, ob sich die Mutter für den Abbruch entschieden hätte. In diesem
Rahmen können die Art und der Grad der zu erwartenden Behinderung indiziell, wie
der BGH formuliert hat, „durchaus eine Rolle spielen“ (BGH NJW 2006, 1660.).
Ungeachtet zutreffender Einzelergebnisse stößt diese Judikatur nicht nur wegen der
insofern doch im Einzelfall möglichen Vertragsverletzung ohne haftungsrechtliche
Folgen (trotz eingetretenen Schadens) auf Bedenken. Sondern sie hat auch dazu
geführt, dass die Zivilgerichtsbarkeit (und letztlich der für Arzthaftung zuständige VI.
Senat des BGH) als Vorfrage die §§ 218 ff StGB im Einzelnen zu prüfen hat, wozu
unterinstanzlich regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens
erforderlich ist, wenn es um die medizinische Indikation geht. Die Prüfung der §§ 218
ff StGB geschieht naturgemäß unter haftungsrechtlichem Blickwinkel, und man kann
eine gewisse Sorge vor dem BVerfG hierbei nicht ausschließen. Die denaturierte
Hauptbedeutung der §§ 218 ff StGB liegt in der Rechtspraxis nach alldem nun darin,
wesentliche und notwendige Rahmenbedingungen zur Festlegung zivilrechtlicher
Haftungsgrenzen zu liefern, während diese voluminös geregelten Straftatbestände in
der strafprozessualen Praxis kaum eine Rolle spielen. Man kann daher nun mit Fug
und Recht die Frage aufwerfen, ob das Interesse des 2. Senats des BVerfG am
zivilen Haftungsrecht vielleicht doch einen tieferen Sinn hatte. Ungeachtet dessen
erweckt es Bedenken, wenn Straftatbestände im Hinblick auf das Anliegen einer
Zurückdrängung der Haftung ausgelegt werden.
Im übrigen lassen sich folgende Fälle unterscheiden.
b) Unterhaltsbelastung durch die Geburt gesunder Kinder
Die deutsche Judikatur hat eine Haftung für Sterilisationsfehler selbst dann bejaht,
wenn ein gesundes Kind geboren worden ist. Ebenso wurde im Falle der
missglückten Verhütung durch ein Mittel namens Implanon nach der Geburt eines
gesunden Kindes Schadensersatz zuerkannt (BGH NJW 2007, 989). Interessant an
der Entscheidung ist, dass in den Schutzbereich eines auf
Schwangerschaftsverhütung gerichteten Vertrages zwischen Arzt und Patient nicht
nur ein ehelicher, sondern auch der jeweilige nichteheliche Partner einbezogen ist,
262
der vom Fehlschlagen der Verhütung betroffen wird. Diese Haltung entspricht den
heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen.
Ungeachtet dessen hat es eines langen Gewöhnungsprozesses bedurft, um den
durch den Arzt fahrlässig herbeigeführten Unterhaltsschaden, den das nicht geplante
Kind den Eltern verursacht, als Schaden im Rechtssinne anzuerkennen. So wurde
die zunächst ungewohnte Forderung der betroffenen Eltern gegen den Arzt oder
Apotheker auf Ersatz des Unterhaltes für ihr eigenes Kind als ein schlechter Witz
angesehen. Ferner zog man aus der Tatsache, dass die vom Arzt grundsätzlich
geschuldete Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) nur in der Tötung des Kindes
bestehen könnte, die Schlußfolgerung, den Eltern stünde kein Anspruch auf
Geldersatz zu. Schließlich wurde in der unterlassenen Abtreibung des Kindes und im
Ausschlagen einer Adoption ein Mitverschulden der Eltern bzw. eine
schadensmindernde Tatsache gesehen. Der BGH hat den Familienplanungsschaden
grundsätzlich anerkannt, gewährt aber nur einen eingeschränkten Anspruch:
Schuldhafte Fehler des Arztes in der Familienplanung, insbesondere solche, die eine
Berufshaftung auslösen, verpflichten ihn zum Ersatz des Unterhaltsschadens,
vorausgesetzt, die Schwangere hätte in der Tat abgetrieben (und hätte abtreiben
dürfen). Allerdings können die Eltern das Kind nicht voll auf Kosten des
Schadensersatzpflichtigen aufziehen. Sie bekommen nur den Regelunterhalt, und
zwar selbst dann, wenn sie dem Kind nach ihren Lebensumständen einen höheren
Unterhalt gewähren müssen. Diese Einschränkung wird von haftungs- und
schadensrechtlichen Zwecken freilich kaum getragen. Wird ein Kind später doch
noch zum „Wunschkind“, soll (ab dann) die Haftung entfallen, was im Prozess ggf.
eigentümlichen Sachvortrag der klagenden Eltern herausfordert. Um diese
Konsequenz abzumildern (und wohl auch in Modifikation oder Fortschreibung seiner
Haltung) hat der BGH indes in neuerer Zeit hervorgehoben, dass ein Anspruch auch
dann besteht, wenn sich die Mutter durchaus noch vorstellen kann, später (im
Zweifel von einem anderen Partner) ein Kind bekommen zu wollen. Der Anspruch
auf Übernahme des Kindesunterhalts hängt bei einem nicht gewollten Kind aufgrund
fehlgeschlagener Verhütung infolge ärztlichen Verschuldens also nicht davon ab,
dass die Familienplanung schon in diesem Sinne abgeschlossen war. Alles andere
wäre nicht nur unpraktikabel, sondern würde auch falschen Vortrag im Prozess
geradezu provozieren. Ohnedies lassen sich Änderungen in der Familienplanung
kaum ausschließen oder vorhersagen. Das ist auch sonst im Familienrecht
anerkannt.
Der Kindesunterhalt als Schaden ist im Vertragsrecht deswegen verständlich, weil
die Eltern und der Arzt bei Vereinbarung der Sterilisation offensichtlich einen
besonderen Schadensbegriff zugrundegelegt haben, von dem der Arzt im
Haftungsfalle nicht abweichen darf. Dieser besondere Schadensbegriff umfaßt die
Erzeugung und Geburt weiterer Nachkommen als vermögensmäßigen Nachteil.
Auch wenn die Sterilisation vorgenommen wurde, um Gesundheitsschäden der
Mutter vorzubeugen, liegt der Unterhaltsschaden infolge eines Fehlers bei diesem
Eingriff noch im Schutzbereich der Norm. Die Eltern verlassen sich nämlich auf die
Wirksamkeit der Sterilisation und erweitern auf diese Weise deren Schutzbereich.
OLG Karlsruhe NJW 2006, 1006 (nicht rechtskräftig): Die Geburt eines Kindes
nach behandlungsfehlerhafter Verhütung löst die Haftung aus, auch wenn sich
die Frau vielleicht später, jedenfalls aber nicht aktuell ein Kind (evtl. mit anderem
Partner) wünscht. Richtig ist, dass ggfs. auch der gegenwärtige Partner einer
ungefestigten Partnerschaft in den Schutzbereich des auf
Schwangerschaftsverhütung gerichteten Behandlungsvertrags zwischen Arzt
und Partnerin einbezogen ist.
263
Das gesunde Kind hat (unstreitig) gegen den Arzt keinen eigenen Anspruch auf
Übernahme der Kosten seiner Existenz.
c) Unterhaltsbelastung durch die Geburt geschädigter Kinder
Der Mehrbedarf eines genetisch oder vorgeburtlich geschädigten Kindes stellt uns
vor ein weiteres neues Problem an der Grenze von Recht und Medizin. Infolge eines
Fehlers des Arztes oder Genetikers wird den Eltern keine Mitteilung von der (möglichen) Behinderung des Ungeborenen gemacht. Bei rechtzeitiger Unterrichtung hätte
die Mutter vielleicht eine Unterbrechung der Schwangerschaft veranlaßt. Als Beispiel
mögen die unterlassene Fruchtwasseruntersuchung auf ein Down-Syndrom oder
andere erhebliche Erkrankungen sowie das Übersehen einer Rötelninfektion der
Mutter dienen. Haftungsgrund ist hier das Unterlassen einer angezeigten und dem
medizinischen Standard zur Zeit der Behandlung entsprechenden Diagnosemaßnahme. Wem gegenüber besteht nun die Pflicht zur Diagnose? Jedenfalls sind
die Schwangere und eventuell ihr Mann als Vertragsparteien bzw. Träger des
geschützten Rechtsguts berechtigt. Die Übernahme der medizinischen Betreuung
einer werdenden Mutter umfaßt auch die Pflicht, eine mögliche (Schwerst-)Behinderung des Nasciturus zu entdecken und mitzuteilen. Das bei der Patientin tangierte
Rechtsgut ist ihr Persönlichkeitsrecht, aufgrund dessen sie einen vorgeschädigten
Fötus abtreiben darf, § 218a Abs. 2 Ziff. 1 StGB. Wäre ein Schwangerschaftsabbruch
hingegen rechtswidrig, braucht der Arzt darauf auch nicht hinzuweisen bzw. der
Schaden liegt nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang.
Daneben sollte jedoch auch das geschädigte Kind einen Anspruch gegen den fahrlässigen Arzt auf Ausgleich seines Mehrbedarfs haben. Obwohl der Nasciturus nicht
Vertragspartei ist, hat ihn doch die Mutter deutlich in den Schutzbereich des
Behandlungsvertrags einbezogen. Darüber hinaus besteht aber eine allgemeine
deliktische Rechtspflicht des beruflich Tätigen gegenüber dem Ungeborenen, dessen
Eltern die Entscheidung zu ermöglichen, dass er nicht ein behindertes Leben führt.
Als Schutzgut kommt das potentielle Persönlichkeitsrecht des Nasciturus in Betracht.
Die Entscheidung der Mutter für den Schwangerschaftsabbruch mag sein Leben
beenden, bewahrt ihn jedoch vor Behinderungen, die jedenfalls finanziell belastend
sind. Diese Haftung entspricht auch der Idee der Berufshaftung, nämlich Einstehen
für Nichterreichen des Standards des Berufskreises durch Übernahme der typischen
Folgen.
2.
Frustrationsschaden
3.
Schadensberechnung nach der Lizenzanalogie
Zur Vertiefung: BGHZ 20, 345 (Problem: § 252 BGB – aber der z. B.
unberechtigt Abgebildete hätte nicht zugestimmt)
4.
Abwehrschaden
BGHZ 75, 230:
Tatbestand:
1
Am 28. Mai 1974 wurde die Beklagte in der SB-Lebensmittelabteilung einer
Filiale der Klägerin von dem Verkäufer G. beobachtet, als sie Lebensmittel in
264
ihre Handtasche und nicht in den Einkaufswagen legte. An der Kasse bezahlte
sie nur die im Einkaufswagen liegenden Waren. Nach Verlassen des
Geschäfts wurde sie von G. gestellt. Die von ihr entwendeten Lebensmittel
hatten einen Ladenpreis von insgesamt 12,72 DM.
2
Die Klägerin erstattete gegen die Beklagte Strafanzeige, jedoch ist das
Strafverfahren wegen Ablaufs der Verjährungsfrist eingestellt worden.
3
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Erstattung einer "Fangprämie" von
550 DM, die sie ihren Angestellten vor der Tat für jeden von ihnen ertappten
Ladendieb versprochen und an G. ausgezahlt hat. Ferner begehrt sie für die
Schadensbearbeitung weitere 550 DM, nämlich Erstattung der Personalkosten
von 545 DM und der allgemeinen Bürounkosten für Papier, Porto und Telefon
von 5,-- DM.
4
Das Landgericht hat die Klage ganz abgewiesen (siehe dazu Kramer NJW
1976, 1610 bei Fn 40a). Auf die Berufung der Klägerin hat das
Oberlandesgericht ihr einen Teil der "Fangprämie" in Höhe von 50 DM
zugesprochen, im übrigen aber die Berufung zurückgewiesen.
5
Hiergegen haben beide Parteien (zugelassene) Revision eingelegt. Die
Klägerin verfolgt die volle Verurteilung der Beklagten weiter, während diese
die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrt.
Entscheidungsgründe
I.
6
Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Beklagte für allen
Schaden aufkommen muß, den sie der Klägerin durch den Ladendiebstahl
zugefügt hat. Ob der Ersatzanspruch nicht nur aus Delikt (§ 823 Abs 1 und 2
BGB), sondern auch aus vertraglichen Beziehungen begründet ist, wie das
Berufungsgericht meint (ablehnend zB Stoll, Verhandlungen des 51. DJT
Band II N 9f), kann auf sich beruhen. Der Umfang der Ersatzpflicht, um den es
im Streitfall geht, hängt hiervon nicht ab. Auch ein vertraglicher
Schadensersatzanspruch hätte an die Verletzung der vermögenswerten
Interessen der Klägerin anzuknüpfen, die deliktisch mit ihrem Eigentum an
den gestohlenen Lebensmitteln geschützt sind; der Ausgleich des Schadens
nach Vertrag wie nach Delikt ist in den §§ 249ff BGB näher festgelegt.
265
7
Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin als
"Bearbeitungskosten" geltend gemachte Personalkosten für die
Schadensregulierung (545 DM) sowie Kosten für Papier, Porto und Telefon (5
DM) nicht ersetzt verlangen. Solche Aufwendungen seien dem eigenen
Pflichtenkreis des Geschädigten zuzurechnen und keine vom Schädiger
auszugleichende Belastung. Die vor der Tat versprochene und mit
Entdeckung des Diebstahls fällig gewordene Fangprämie sei dagegen ein
erstattungsfähiger Folgeschaden. Jedoch könne die Klägerin von der
Beklagten nur Erstattung von 50 DM fordern. Die Zusage einer höheren
Prämie für die Ergreifung eines Ladendiebs in der Lebensmittelabteilung eines
Warenhauses, für die normalerweise mit Ladendiebstählen in der
Größenordnung zwischen 5 und 50 DM gerechnet werden müsse, sei so
fernliegend, daß es insoweit schon am adäquaten Zusammenhang der
Aufwendung mit dem Diebstahl fehle. Zudem müsse sich die Klägerin die
Belastung mit solchen unangemessen hohen Kosten selbst zuschreiben, da
sie insoweit die ihr nach § 254 Abs 2 BGB obliegende
Schadensminderungspflicht verletzt habe.
II.
8
Im Ergebnis bleiben beide Revisionen mit ihren Angriffen gegen diese
Ausführungen ohne Erfolg.
9
1. Bearbeitungskosten:
10
a) Erfolglos wendet sich die Revision der Klägerin gegen die Abweisung ihrer
Forderung auf Ersatz von Personalkosten für die Schadensregulierung.
11
Der erkennende Senat hat schon früher ausgesprochen, daß der Geschädigte
den Zeitaufwand durch außergerichtliche Tätigkeit zur Wahrung seiner
Entschädigungsansprüche regelmäßig nicht ersetzt verlangen kann, mag er
die Bearbeitung des Schadensfalls persönlich vorgenommen, oder, wie die
Klägerin, Angestellten übertragen haben (BGHZ 66, 112, 114ff sowie die dort
angegebenen Rechtsprechungsnachweise). Danach grenzt das Recht aus
Gründen der Interessenbewertung, aber auch der Praktikabilität, diesen
Aufwand von anderen erstattungsfähigen Kosten der Rechtsverfolgung ab und
weist solche Mühewaltung einem Zuständigkeitsbereich und
Verantwortungsbereich des Geschädigten zu, der außerhalb des
Schutzzwecks der Haftung des Schädigers liegt. Auf dieser wertenden
Abgrenzung beruht es, daß § 91 ZPO solchen Aufwand nicht in den Katalog
erstattungsfähiger Rechtsverfolgungskosten aufgenommen hat. Diese
266
Regelung ist jedoch nicht auf die prozessuale Kostenerstattung beschränkt,
sondern Ausdruck eines auch für das Schadensrecht geltenden Prinzips
(BGHZ aaO).
12
aa) Für Ersatzansprüche aus Ladendiebstählen gilt nichts Abweichendes.
Grundsätzlich kann der betroffene Geschäftsinhaber die Kosten für die
Mehrarbeit, die die Ermittlung und Abwicklung des Schadens verursacht,
weder auf der Berechnungsgrundlage von Einzelnachweisen noch als
geschätzte Pauschale von dem Ladendieb erstattet verlangen (im Ergebnis
ebenso: Staudinger/Schäfer BGB 10./11. Aufl § 823 Rdz 502ff; Deutsch in
seinem Gutachten und Stoll in seinem Referat zum 51. DJT Band I E 55ff, 70
bzw Band II N 18ff; Larenz, Schuldrecht I 11. Aufl § 24 II c; Palandt/Heinrichs
BGB 38. Aufl Anm 2b ee vor § 249; § 249 Anm 3b; Wollschläger NJW 1976,
12, 14ff; aA: Canaris NJW 1974, 521, 522; Creutzig NJW 1973, 1593, 1594;
BB 1971, 1307, 1308; Klimke NJW 1974, 81, 85ff). Hieran würde sich selbst
dann nichts ändern, wenn die Klägerin - was im Streitfall aber nicht geschehen
ist - wegen der Vielzahl der in ihrem Unternehmensbereich vorkommenden
Diebstähle eine eigene Abteilung ausschließlich für diese Aufgaben
eingerichtet hätte. Bereits in BGHZ 66, 112, 116ff hat der Senat
hervorgehoben, daß der Geschädigte für die Frage der Erstattungsfähigkeit
von Schadensbearbeitungskosten keine Sonderstellung beanspruchen kann,
wenn die Größe seines Verwaltungsbereichs und die dadurch bedingte
Erhöhung des Schadenspotentials solche organisatorischen Maßnahmen
zweckmäßig und geboten erscheinen lassen (so schon BGH Urteil vom 28.
Februar 1969 - II ZR 154/67 = NJW 1969, 1109). Zwar mag hier der Entschluß
zu solcher Einrichtung stärkeren Bezug zum einzelnen Schadensfall haben als
in dem der Entscheidung BGHZ 66, 112 zugrundeliegenden Sachverhalt; dort
stand für solche Organisation der Regulierung von Beschädigungen an
Autobahnanlagen als Folge von Verkehrsunfällen die Ausdehnung des
Unternehmens im Vordergrund. Die Schadenshäufung durch Ladendiebstähle
in Großkaufhäusern und Selbstbedienungsketten erklärt sich aus für sie
typischen Anbietermethoden und Verkaufsmethoden, dh aus Umständen, die
auch in jedem Einzelfall zum Tragen kommen und ihn besonders prägen.
Insoweit könnte davon gesprochen werden, daß solche Maßnahmen schon in
jedem einzelnen Diebstahl angelegt sind oder herausgefordert werden.
Jedoch rechtfertigt weder dies noch der Umstand, daß der Warendieb
vorsätzlich die durch jene Methode geschaffenen Gelegenheiten für sich
ausnutzt, den Pflichtenkreis des durch solche Diebstähle Geschädigten im
Verhältnis zum einzelnen Schädiger enger zu ziehen als für denjenigen
Warenanbieter, der sich weniger diebstahlsanfälliger Verkaufsmethoden
bedient. Nicht zuletzt würde die Berücksichtigung solcher Umstände in
Widerspruch damit geraten, daß das Haftungsrecht - von normierten
Ausnahmen abgesehen - auch dort, wo es um Massendelikte geht, allein ein
Einstehen für die eigene Tat kennt (so zu Recht Stoll aaO N 15). Anders wäre
allenfalls zu erwägen, wenn dem Geschädigten nicht nur aus der dem
Einzelschädiger nicht zurechenbaren Gesamtheit der Ladendiebstähle,
sondern schon aus dem einzelnen Diebstahl außergewöhnliche Belastungen
bei der Rechtsverfolgung erwachsen würden, die das, was der Verkehr als
übliche persönliche Bemühung bei der Rechtswahrung ansieht, übersteigen.
267
Das kann aber bei der zivilrechtlichen Verfolgung von Ladendiebstählen nicht
bejaht werden. Sie erfordert in aller Regel nur einen geringeren
Arbeitsaufwand, der erst in der Masse der Schadensfälle für den
Geschäftsinhaber zu Buche schlägt.
13
bb) Die Revision der Klägerin kann sich für ihren gegenteiligen Standpunkt
auch nicht auf Erwägungen stützen, die den Bundesgerichtshof veranlaßt
haben, für die Bemessung der Schadenspauschale bei Verletzung
musikalischer Aufführungsrechte als Berechnungsfaktor den besonderen
Verwaltungsaufwand der GEMA mitzuberücksichtigen (BGHZ 17, 383; 59,
286, 293). Dort ging es um die Frage, inwieweit dem Schädiger
ausnahmsweise Überwachungskosten zur Verhinderung von
Rechtsverletzungen aufzuerlegen sind, nicht aber um die Belastung mit der
Mühewaltung bei der Schadenregulierung. Zudem steht jene
Schadensberechnung ganz im Rahmen eines Schadensausgleichs, der von
der Rechtsprechung im Blick auf die besondere Interessenanlage bei der
Auswertung von Immaterialgüterrechten abweichend von allgemeinen
Schadensersatzgrundsätzen eigenständig entwickelt worden ist. Als solche
läßt sie sich auf den Ladendiebstahl nicht übertragen.
14
Ebensowenig kann die Revision die Rechtsprechung für sich in Anspruch
nehmen, die dem Geschädigten, wenn er den Schaden behebt, in Grenzen
Ersatz von Kosten der Verwaltungsmehrarbeit zubilligt (BGHZ 54, 82, 88; 65,
384, 390; Senatsurteil vom 3. Februar 1961 - VI ZR 178/59 = NJW 1961, 729;
BGH Urteile vom 28. Februar 1969 = aaO und vom 31. Mai 1976 - II ZR
133/74 = NJW 1977, 35). Insoweit handelt es sich um Aufwendungen der
eigentlichen Schadensbeseitigung oder Schadensverhütung, die das
Schadensrecht als Aufgabe des Schädigers auch dort ansieht, wo es den
Geschädigten befugt oder gar ihm auferlegt (§ 254 Abs 2 BGB), die
Beseitigung des Schadens selbst in die Hand zu nehmen (BGHZ 32, 280,
285). Daß dieser von der Befugnis Gebrauch macht, darf den Schädiger nicht
entlasten. Hiervon bleibt aber, wie der Senat schon in BGHZ 66, 112, 114ff
hervorgehoben hat, die Zuordnung der Mühewaltung bei der Rechtswahrung
zum eigenen Aufgabenkreis des Geschädigten unberührt. Dieser
Verwaltungsaufwand ist deshalb vom Geschädigten auch dann allein zu
tragen, wenn er sich von Gemeinkosten eindeutig abgrenzen läßt.
15
Aus demselben Grund kann die Revision der Klägerin für sich nichts aus den
Grundsätzen herleiten, nach denen Aufwendungen zu erstatten sind, die der
Geschädigte vor Eintritt des schädigenden Ereignisses vorsorglich macht, um
im Schadensfall drohende Verluste aufzufangen oder doch gering zu halten
(BGHZ 32, 280, 284; 70, 199 mwNachw).
16
268
b) Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht der Klägerin auch die
Erstattung ihrer Auslagen für Porto, Telefon und Papier nicht zuerkannt.
17
Zwar ist für sie, wie sich aus § 91 ZPO entnehmen läßt (vgl
Stein/Jonas/Leipold ZPO 20. Aufl § 91 Rdz 56 mit Nachw), die
Zurechnungsgrenze auch für die materiellrechtliche Schadloshaltung anders
gezogen als für Zeitversäumnisse; im Gegensatz zu diesen kommen
Auslagen für Porto und Telefon auch für eine Erstattung auf materiellrechtlicher Grundlage als Folgeschäden der Rechtsverletzung in Betracht (vgl
Stoll aaO N 20ff). Jedoch hat die Klägerin auch diesen Ersatzanspruch nicht.
18
aa) Soweit ihr Auslagen für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen die
Beklagte entstanden sind, stehen sie außerhalb des Schutzzwecks der
Schadenstragungsnorm; der Eigentumsschutz, den das Haftungsrecht ihr hier
sichert, erstreckt sich nicht auf die Verwirklichung des Strafanspruchs, mag
die Klägerin hieran auch ein Interesse haben, um sich auf diesem Weg vor
künftigen Rechtsverletzungen der Beklagten zu schützen (OLG Düsseldorf
NJW 1976, 1459; im Ergebnis ebenso Stoll aaO N 21 mit Nachw; Hagmann
JZ 1978, 133; Palandt/Heinrichs aaO Vorbem 5c ee vor § 249; aA Canaris
NJW 1974, 521, 522). Insoweit wird dem Ersatzanspruch durch die Aufgabe
der Haftungsnorm, den Einbruch in die Schutzsphäre des Betroffenen mit den
Mitteln des Zivilrechts auszugleichen, Grenzen gesetzt (vgl BGHZ 27, 137,
141).
19
bb) Soweit die Klägerin Auslagen zur Verfolgung ihrer zivilrechtlichen
Ansprüche gemacht hat, beziehen sie sich ersichtlich nur auf diejenigen
Ansprüche (Personalkosten, Fangprämien), die Gegenstand der Klage sind.
Insoweit fehlt ihr das Rechtsschutzbedürfnis für die selbständige
Geltendmachung der Kosten, die sie, soweit ein Erstattungsanspruch
überhaupt besteht, demnächst im Kostenfestsetzungsverfahren erstattet
verlangen kann (vgl Stein/Jonas/Leipold aaO Rdz 20 vor § 91 mit Nachw).
20
2. Fangprämie:
21
a) Ohne Erfolg wendet sich die Revision der Beklagten gegen die Auffassung
des Berufungsgerichts, daß die von der Klägerin für die Entdeckung des
Diebstahls und die Ergreifung der Beklagten zugesagte Prämie dem Grunde
nach von dem Schadensersatzanspruch umfaßt wird (im Ergebnis ebenso:
Deutsch aaO E 55, 70 und so schon im Haftungsrecht I § 26 II 8 S 449; Stoll
aaO N 16ff; Staudinger/Schäfer aaO Rdz 504; Lange, Schadensersatz 1979 S
201; Larenz aaO § 29 II f; Medicus, Bürgerliches Recht 8. Aufl Rdz 864;
269
Canaris aaO; Creutzig aaO; Braun/Spieß MDR 1978, 356; Klimke aaO; Müller
NJW 1973, 359; aA Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2 5. Aufl § 32 III 2. 2;
Palandt/Heinrichs aaO § 249 Anm 3b und Palandt/Thomas aaO § 823 Anm
12a; Wälde NJW 1972, 2294; Wollschläger NJW 1976, 12, 15ff; Musielak
NJW 1977, 562; JuS 1977, 534; Kramer ZRP 1974, 62; NJW 1976, 1607,
1610).
22
Zu den als Folgeschäden erstattungsfähigen Kosten der Rechtsverfolgung
gehören, freilich in den Grenzen des wirtschaftlich Angemessenen, auch
Belohnungen, die der Bestohlene nach geschehener Tat aussetzt, um die
gestohlenen Gegenstände wieder zu erlangen (vgl Senatsurteil vom 24.
Oktober 1967 - VI ZR 60/66 = VersR 1967, 1168; BAG DB 1970, 500 = AP Nr
10 zu § 249 BGB mit zust Anm Herschel; vgl ferner schon RG Warn Rspr
1914, Nr 159; Ermittlung des Verfassers einer anonymen, den Betroffenen
beleidigenden Zeitungsanzeige; zur Erstattungsfähigkeit solcher Belohnungen
nach § 91 ZPO vgl die Nachweise bei Braun/Spieß aaO S 356ff). Eine andere
Beurteilung ist im Streitfall nicht deshalb angezeigt, weil die Belohnung hier
vorsorglich vor Begehung des Diebstahls versprochen worden ist. Für den
Zusammenhang der hierdurch der Klägerin entstehenden Belastung mit dem
Diebstahl spielt der Zeitpunkt ihrer Aussetzung keine entscheidende Rolle, da
die Belohnung in beiden Fällen erst nach geschehenem Diebstahl zu zahlen
ist und gezahlt wird. In beiden Fällen erwächst dem Geschädigten die
Belastung, weil der Schädiger in das geschützte Recht eingegriffen hat.
23
Freilich ist nicht zu verkennen, daß der Zeitpunkt der Prämienzusage für
Charakter und Zielrichtung der "Fangprämie" von Bedeutung sein kann.
Während die nach geschehenem Diebstahl ausgesetzte Belohnung allein der
Wiedererlangung der gestohlenen Gegenstände dient und der Geschädigte
darauf hofft, daß sie verdient wird, verfolgt die vor der Tat für die Ergreifung
eines Ladendiebes ausgesetzte Fangprämie auch präventive Zwecke: Wer sie
verspricht, erhofft sich von ihr erhöhte Wachsamkeit und Einsatzbereitschaft
seines Personals, die als solche vom potentiellen Täter wahrgenommen wird
und so diebstahlsverhindernd wirkt; insoweit geht es ihm also auch um
Abschreckung. So gesehen ergänzt sie die Vorsorge-Maßnahme, die der
Geschäftsinhaber trifft, um seine Waren vor Ladendieben zu schützen.
24
Ein Teil der Rechtsprechung und des Schrifttums lehnt deshalb die
Erstattungsfähigkeit der Fangprämie ab, weil der Geschädigte auch sonst
Aufwendungen, die er zum Schutz seines Eigentums mache, dem Schädiger
nicht in Rechnung stellen könne (vgl OLG Koblenz NJW 1976, 63ff; OLG
Braunschweig NJW 1976, 60; AG Essen NJW 1976, 55; AG Mettmann NJW
1976, 56; Wollschläger aaO; Musielak aaO; Wälde aaO; Kramer aaO;
Palandt/Heinrichs und Palandt/Thomas aaO; Esser/Schmidt aaO). Dem kann
sich der Senat jedoch nicht anschließen.
270
25
aa) Allerdings ist dieser Ansicht im Ausgangspunkt darin zuzustimmen, daß
die Kosten für Maßnahmen des Geschädigten, mit denen er sein Eigentum
vor Diebstahl schützt, grundsätzlich von ihm selbst getragen werden müssen
und nicht auf den Dieb abgewälzt werden können (vgl BGHZ 59, 286, 288
mNachw; Rother, Haftungsbegrenzung im Schadensrecht 1965, 160; Larenz
aaO § 29 II f; Stoll aaO N 14ff; Deutsch aaO; Thiele, Festschrift für
Felgenträger 1969, 393, 407ff). Das gilt jedenfalls für Maßnahmen, die nicht
die Verhinderung oder Abwehr eines bevorstehenden konkreten Eingriffs im
Auge haben, sondern das Eigentum allgemein gegen Diebe sicher machen
sollen (Spiegel, Fernsehmonitore u dergl). Solche Vorkehrungen sind in der
Regel im Verhältnis zum Schädiger schon deshalb der Sphäre des
Geschädigten zuzurechnen, weil ihnen der Bezug zur konkreten
Rechtsverletzung fehlt, so daß sich der auf die einzelne Rechtsverletzung
entfallende Anteil der aufgewandten Kosten nicht zureichend ermitteln läßt.
Denn sie wenden sich nicht nur gegen den, der sich über sie hinwegsetzt,
sondern auch und gerade an den potentiellen Dieb, der sich von seinem
Tatentschluß durch sie abbringen läßt. Eine gerechte Kostenüberwälzung
müßte deshalb auch diesen Umstand berücksichtigen, der sich indes näherer
Feststellung entzieht.
26
bb) Jedoch weist die Fangprämie ungeachtet ihres Standorts im allgemeinen
Vorsorgesystem und Kontrollsystem und dessen Präventivzwecks insoweit
einen konkreten Bezug zum einzelnen Ladendiebstahl auf, als sie im
Grundsatz erst durch diesen und erst deshalb erwächst, weil die konkrete
Bedrohung des Eigentums durch den Ladendieb Anlaß zu dem Eingreifen
gegeben hat, das durch die Prämie honoriert werden soll. Soweit die Prämie
auf solche Maßnahmen zur Verhütung des konkreten Schadensfalls zielt,
bestehen die erwähnten Hinderungsgründe für die Zurechnung von
Schutzvorkehrungen zum konkreten Einzeldelikt im Grundsatz nicht.
Ebensowenig steht der Schutzzweck der Haftungsnorm solcher Zurechnung
entgegen; er umfaßt auch Aufwendungen, die der Eigentümer macht, um sein
Eigentum vor einem konkret drohenden Schaden zu schützen, sofern sie vom
Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen aus
hierfür zweckmäßig und geeignet erscheinen.
27
Dieser schadensrechtlich zu beachtenden Eignung steht auch nicht der
Einwand entgegen, daß das Verkaufspersonal, an das sich im Streitfall die
Zusage der Fangprämie gerichtet hat, schon arbeitsvertraglich zum Schutz
der Ware gegen Diebstahl verpflichtet sei. Es kann offen bleiben, ob ein
Verkäufer dazu verpflichtet ist, einen von ihm beobachteten Warendieb zu
verfolgen und gegebenenfalls festzuhalten (vgl Staudinger/Schäfer aaO Rdz
484; Braun/Spieß aaO 356ff). Jedenfalls zeigen empirische Untersuchungen,
daß solche Prämienzusagen zur Erhöhung der Aufmerksamkeit des
Verkaufspersonals und ihrer Bereitschaft, gegen den beobachteten Dieb
einzuschreiten, nützlich und notwendig sind.
271
28
b) Dem Anliegen, den ertappten Dieb durch Zurechnung der Prämie nicht über
die Aufwendungen zur Abwehr des durch seine Tat heraufbeschworenen
Schadens hinaus auch mit Aufwand zu belasten, der anderen Zwecken dient,
kann deshalb nicht durch Verneinung sondern nur durch Begrenzung der
Ersatzpflicht Rechnung getragen werden. Die grundsätzliche
Erstattungsfähigkeit der Fangprämie darf nicht dazu führen, den
Schadensumfang über das durch den konkreten Eingriff in das Eigentum
festgelegte Ausgleichsinteresse des Geschädigten hinaus zu erhöhen, um
den Ladendieb von künftigen Diebereien abzuschrecken oder andere hiervon
abzuhalten, oder um gar auf diesem Wege doch Ersatz für die Mühewaltung
bei der Bearbeitung des Schadensfalls zu erhalten. Ein über den
Schadensausgleich hinausgehender Zuschlag zur Erhöhung der
Abschreckungswirkung wird durch den zivilrechtlichen Schadensersatz nicht,
auch nicht bei vorsätzlicher Schädigung, gedeckt. Ebenso ist, wie ausgeführt,
bei der Bemessung des erstattungsfähigen Aufwands dem Grundsatz
Rechnung zu tragen, daß der ertappte Warendieb nicht für die Erscheinung
des Warendiebstahls als eines Massendelikts, sondern nur für den eigenen
Tatbeitrag einzustehen hat.
29
aa) Bei der so gebotenen Ausgrenzung der Erstattungsfähigkeit der
Fangprämie ist zu berücksichtigen, daß das im konkreten Einzelfall betroffene
Bewahrungsinteresse und Ausgleichsinteresse grundsätzlich die Zusage der
Fangprämie auch schon zu einem Zeitpunkt rechtfertigt, in dem über den Wert
der im konkreten Fall entwendeten Ware nichts bekannt ist. Gleichwohl muß
das den Geschäftsinhaber nicht immer veranlassen, von der Aussetzung einer
pauschalierten Prämie abzusehen und statt dessen eine am Warenwert
orientierte, in einem Prozentsatz zur Diebesbeute ausgedrückte Prämie zu
wählen, wie das bei der Auslobung einer Belohnung zur Wiederbeschaffung
bereits gestohlener Gegenstände oft geschieht. In vielen Geschäftsbereichen,
so auch hier, würde wegen des meist geringen Werts der entwendeten Ware
bei solcher prozentualen Bemessung der Anreiz zu höherer Aufmerksamkeit
allgemein verloren gehen und damit das Aussetzen einer Prämie insgesamt
zwecklos werden. Oft hat der Geschäftsinhaber ein schutzwürdiges Interesse
an einer durch solche Belohnung besonders geförderten Einsatzbereitschaft
seines Personals auch dann, wenn dieses zunächst nur die Entwendung
geringwertiger Waren beobachtet, denn solche Beobachtung kann zur
Aufdeckung eines umfangreichen Diebstahls oder gar dazu führen, daß
entwendete Waren aus früheren Diebstählen wiedererlangt werden können.
Deshalb muß es ihm gestattet sein, eine vom Wert der Diebesbeute nicht
abhängige Pauschale auszusetzen.
30
bb) Indessen darf auch in solch pauschalierter Belohnung der Bezug zu den
Interessen an der im konkreten Fall betroffenen Ware nicht verloren gehen.
Hierauf muß auch die Anreizfunktion der Prämie gerichtet bleiben. Denn nur
wenn und soweit die soeben dargestellten Sachzwänge eine vom Wert der
272
Diebesbeute im Einzelfall losgelöste Pauschale verlangen, wird sie durch den
Haftungszweck gedeckt. Aus diesen rechtlichen Erwägungen hält der Senat
eine Pauschale bis 50 DM für vertretbar. Höhere Pauschalen sind nicht
unbedingt erforderlich, um der Prämie die Anreizfunktion zu erhalten; dann
aber läßt der Zweck der Haftung es nicht zu, den Dieb ohne Rücksicht auf den
Wert der entwendeten Ware mit solcher Prämie pauschal zu belasten.
31
Das schließt indes nicht aus, bei höherwertigen Waren den Dieb mit einer
über 50 DM hinausgehenden Prämie zu belasten, wenn diese für solche Fälle
etwa nach einem Prozentsatz zur konkreten Diebesbeute zugesagt worden
ist. Auch mag eine Pauschale von mehr als 50 DM dort angemessen
erscheinen, wo angesichts der Art des Warenangebots (Uhren, Juwelen) in
jedem Einzelfall ein Schaden von mindestens 50 DM und in den meisten
Fällen von erheblich mehr als 50 DM zu erwarten ist. Daß der Bestohlene
andererseits auch eine Pauschale von 50 DM nur ersetzt verlangen kann,
wenn er nachweist, daß er sie in dieser Höhe vor dem Diebstahl zugesagt
hatte, ist selbstverständlich.
32
Jedoch kann auch eine derart nach oben begrenzte Pauschale nicht erstattet
verlangt werden in Fällen, in denen wegen des sehr geringfügigen Werts der
entwendeten Ware die Zusage einer pauschalierten Fangprämie außer
Verhältnis zu dem im konkreten Fall bestehenden Haftungszweck erscheint.
Die durch die Aufgabe des Haftungsrechts gezogene Grenze wäre
überschritten, wenn eine am Durchschnittsfall orientierte Prämienpauschale
auch bei Entwendung von Waren von ganz unbedeutendem Wert, zB bei der
Entwendung geringwertiger Süßigkeiten durch Jugendliche, dem Schädiger in
Rechnung gestellt werden würde. In solchen Fällen kann auch der Zwang,
schon vor Begehung der Tat eine Prämie zu versprechen, keine Beachtung
verdienen. Vielmehr verlangt ihre Orientierung am Haftungszweck von dem
Geschäftsinhaber hier, die Zusage von vornherein unter einen
entsprechenden Vorbehalt zu stellen, will er nicht in solchen Bagatellfällen mit
der Fangprämie belastet bleiben.
33
c) Im Streitfall kann jedoch von einer derartigen Fallgestaltung keine Rede
sein. Vielmehr hält sich der von dem Berufungsgericht zuerkannte Betrag in
den vorstehend aufgezeigten Grenzen.
34
Ebenso ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, daß sich auch die
Klägerin mit ihrer Revision erfolglos gegen die Versagung ihrer 50 DM
übersteigenden Ersatzforderung wehrt. Insoweit kann offen bleiben, ob das
Berufungsgericht seine im Ergebnis zutreffende Entscheidung auf das Fehlen
eines adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Diebstahl und einer
dermaßen übersetzten Belohnung (550 DM) oder etwa auf § 254 Abs 2 BGB
273
stützen kann. Jedenfalls ist eine höhere Belastung der Beklagten nicht mit
dem allgemeinen Grundsatz des Schadensrechts vereinbar, daß der
Geschädigte Aufwendungen zur Verhinderung des Schadens nur insoweit
ersetzt verlangen kann, als sie ein verständiger, wirtschaftlich denkender
Mensch in seiner Lage zur Verfolgung dieses Ziels für zweckmäßig und
vertretbar halten durfte (vgl BGHZ 66, 192 mwNachw).
5.
Schmerzensgeld
a)
Ausgleichsfunktion
b)
Genugtuungsfunktion
§ 11. Ausschluss und Herabsetzung der Haftung
I.
Mitverschulden
1.
Rechtsnatur
Sog. Obliegenheitsverletzung (Verletzung eigener Interessen)
2.
Arten
Anspruchsgrund und Anspruchshöhe
3.
Aufbau
Spiegelbildlicher Aufbau
4.
Mitwirkende Betriebsgefahr
Hauptfall: Kfz – 20-25% mitwirkende Betriebsgefahr (arg.:
Gefährdungshaftung)
5.
Abwägungskriterien
Achtung: im Allgemeinen verdrängt Vorsatz selbst grobe Fahrlässigkeit
vollständig.
6.
Rechtsfolge
7.
§§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB
Achtung: Abs. 2 S. 2 ist als Abs. 3 zu lesen. Nach h. M. muss eine
Sonderverbindung (insbesondere ein Vertrag) bestehen
(Rechtsgrundverweisung auf § 278 BGB, str.)
8.
Spezialregelungen
274
Insbesondere StVG beachten (s. o.)
II.
Freizeichnung
1. Allgemeines. Die Haftung kann durch Vereinbarung im voraus weithin
ausgeschlossen werden. Diese Möglichkeit besteht jedoch nicht unbeschränkt. Sie
ist vielmehr von vornherein begrenzt durch §§ 276 Abs 3 und 138; auch § 134 und
§ 242 können uU entgegenstehen. Soweit es sich um einen Haftungsausschluß im
Rahmen allg Geschäftsbedingungen handelt, sind des weiteren die für diese
geltenden Regeln zu beachten. Eine in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Person
bedarf zu einem Vertrag, durch den die Haftung des anderen Teils ausgeschlossen
oder gemindert werden soll, der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters; das gilt
auch für eine Gefälligkeitsfahrt. An der Vereinbarung eines Teilausschlusses der
Haftung in der Weise, dass die Haftungsfreistellung auf den Schaden beschränkt
wird, für den kein Versicherungsschutz besteht, ist ein Kraftfahrer weder durch den
Haftpflichtversicherungsvertrag noch durch die Grundsätze von Treu und Glauben
gehindert.
III. Das sog Handeln auf eigene Gefahr
1. Allgemeines. Hat sich jemand einer Gefahr, die zu seiner Schädigung geführt
hat, selber bewußt ausgesetzt, so erhebt sich die Frage, ob er gleichwohl noch
Schadensersatz von einem anderen verlangen kann, in dessen Person an sich die
Voraussetzungen für eine Haftung gegeben sind. In der Rechtsprechung begegnete
man diesem Problem – abgesehen vom Gesichtspunkt des stillschweigenden
vertraglichen Haftungsausschlusses – zunächst mit § 254. Schon bald maß man
dem Handeln auf eigene Gefahr aber eine selbständige haftungsausschließende
Bedeutung besonders für bestimmte Fälle der Gefährdungshaftung bei. In BGHZ 34,
355 = JZ 1961, 603 mit Anm Flume hat der BGH diese Ansicht jedoch mit Recht
aufgegeben. Die Annahme, dass derjenige, der sich bewußt einer Gefahr aussetzt –
man denke etwa an den Fahrgast, der sich in Kenntnis der Lage von einem
angetrunkenen Kraftwagenfahrer mitnehmen läßt – damit bereits in die als möglich
vorausgesehenen
Verletzungen
einwillige,
läuft
von
vornherein
auf
eine
wirklichkeitsfremde Fiktion hinaus. Denn typischerweise wird in Fällen dieser Art trotz
Kenntnis der Gefahren doch im Vertrauen darauf gehandelt, dass es nicht zu einem
275
Schadensfall kommen werde. Die Vorstellung von der Einwilligung in mögliche
Verletzungen ist daher schon im Ansatz unzutreffend. Für die Regelfälle der
Haftpflichtpraxis vertritt der BGH nunmehr mit Recht die Auffassung, dass die
Selbstgefährdung des Verletzten unter dem Gesichtspunkt des mitwirkenden
Verschuldens iSd § 254 zu sehen sei.
2. Besondere Probleme verbleiben in Bereichen wie denen der Verletzung beim
Sport. In BGHZ 34, 355, 363 hat der BGH für gefährliche Sportarten die Möglichkeit
einer echten rechtfertigenden Einwilligung in Erwägung gezogen. Eine solche kommt
jedoch höchstens insoweit in Betracht, als es sich um unmittelbare Einwirkungen auf
den Gegner handelt, die – wie etwa beim Boxen – als solche von vornherein zu der
betroffenen Sportart gehören (auch in diesen Fällen gilt indessen das über die
Zulassung durch die Rechtsordnung Gesagte). Im übrigen wird der Teilnehmer trotz
Kenntnis der Gefahren im allgemeinen darauf vertrauen, dass er unverletzt bleibt.
Die Annahme, er habe in eine etwaige Verletzung eingewilligt, liefe daher regelmäßig
auch hier auf eine bloße Fiktion hinaus. In den Tod kann man ohnehin nicht
einwilligen (arg StGB § 216), und auch in Körperverletzungen, die gegen die guten
Sitten verstoßen, ist eine wirksame Einwilligung nicht möglich (StGB § 228). Im
Hinblick
auf
die
Verletzung
eines
Mitspielers
beim
Fußball
sowie
beim
Autowettrennen hat die Problematik eines Rückgriffs auf die rechtfertigende
Einwilligung auch der BGH anerkannt. Den für die rechtliche Behandlung
entscheidenden Gesichtspunkt sieht er in derartigen Fällen nunmehr darin, dass der
Spieler Verletzungen, die auch bei regelgerechtem Spiel nicht zu vermeiden sind, in
Kauf nehme und sich daher in einen unzulässigen Widerspruch zu seinem
vorhergehenden Verhalten setze, wenn er wegen einer solchen Verletzung einen
Schadensersatzanspruch erhebe. In der Tat ist in diesem Bereich auf seiten des
Betroffenen regelmäßig insofern ein Willenselement im Spiel, als er sich mit seiner
Teilnahme
am
Sport
willentlich
auf
ein
sportgemäßes
Verhalten
einläßt.
Entscheidend für die Beurteilung ist jedoch nicht in erster Linie dieses subjektive
Element, sondern vielmehr der objektive Umstand, dass die Rechtsordnung die
regelgerechte Ausübung solcher Sportarten wie Fußball, Eishockey, Boxen u dgl
trotz der mit ihnen verbundenen Verletzungsgefahren zuläßt. Ebenso wie dies für
andere von Rechts wegen anerkannte gefährliche Verhaltensweisen gilt, hat man es
daher auch bei der regelgerechten Ausübung einer solchen Sportart grundsätzlich
selbst dann mit einer rechtmäßigen Betätigung zu tun, wenn es durch sie zur
276
Verletzung eines anderen Beteiligten kommt. Für die Grenzen der danach im
Vordergrund stehenden objektiven Zulassung durch die Rechtsordnung bieten die
anerkannten Regeln der jeweiligen Sportart einen wichtigen Anhalt. Dagegen kommt
es typischerweise nicht primär auf die subjektiven Vorstellungen und Äußerungen
der Beteiligten an.
§ 12. Haftung und Schadensverlagerung
Näher Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 20. Aufl., § 61.
I.
Leistungsfähigkeit des Schädigers
II.
Endgültige Schadensverteilung
Oft Legalzessionen!
§ 13. Unterlassung und Beseitigung
Siehe § 1004 BGB (ggf. analog, sog. quasinegatorischer Anspruch).
I.
Unterlassung
II.
Beseitigung
III.
Sonderproblem: Ehrenschutz
1.
Voller Widerruf
2.
Eingeschränkter Widerruf
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