Länge einer Kurve Wenden wir uns dem Problem der Bestimmung der Pfadlänge zu. Dabei wollen wir wieder – wie bei der Definition der Länge einer von einer Funktion erzeugten Kurve – Polygonzüge verwenden. Hierbei nutzen wir die euklidische Norm , mit deren Hilfe ja der Abstand zwischen zwei Punkten des IR n gemessen werden kann. So gilt für die Länge eines Polygonzuges P, Z im IR n , wenn : a, b IR n ein Pfad und Z : a t 0 x 1 t r b eine Zerlegung des Intervalls ist: r LP, Z t i t i 1 i 1 Offenbar gilt für eine Verfeinerung Z von Z die Ungleichung LP, Z LP, Z. Wir kommen somit zu folgender Definition 1 (Länge eines Pfades) Für einen Pfad : a, b IR n ist seine Länge definiert als L sup LP, Z Z : a t 0 t r b ist Zerlegung . Ist L , so heißt rektifizierbar. Auch wenn mit der obigen Definition angegeben worden ist, was wir unter der Pfadlänge verstehen wollen, so ist damit die Länge einer Kurve, die wir ja als Äquivalenzklasse zu betrachten haben, noch lange nicht geklärt. Sei also : a, b IR n eine Parameterdarstellung der Kurve k und : c, d a, b eine Parametertransformation – also stetig, streng monoton und bijektiv. Dann ist natürlich auch : c, d IR n eine Parameterdarstellung von k. Um nun der Kurve k eine Länge zuordnen zu können, darf die Länge von k natürlich nicht von der Parameterdarstellung abhängig sein. Daß dies auch nicht er Fall ist, zeigt die folgende Überlegung: Für jede Zerlegung Z : c s 0 s r d von c, d gibt es aufgrund der Eigenschaften von eine Zerlegung Z : a t 0 t r b von a, b mit s i t i für alle i 1,, r . Darüber hinaus ist aus Stetigkeitsgründen mit Z 0 auch Z 0 – also die Feinheit Z strebt mit der von Z gegen Null. Somit ist zunächst r r i 1 i 1 LP , Z s i s i 1 t i t i 1 LP, Z und damit nach Supremumsbildung über alle Zerlegungen L L . Dies rechtfertigt nun die folgende 1 Definition 2 (Länge einer Kurve) Ist k eine Kurve mit der Parameterdarstellung : a, b IR n , dann wird die Länge Lk der Kurve als Länge des Pfades definiert. Bemerkung 1 (Länge einer Kurve) Sei : a, b IR n ein stetig differenzierbarer Pfad aus k. Dann berechnet sich die Kurvenlänge nach folgender Formel: b Lk L t dt a Sei Z : a t 0 t r b eine Zerlegung des Intervalls a, b . Wir erbringen den Nachweis in zwei Schritten. „“ Nach dem Mittelwertsatz für Pfade erhalten wir für die Länge des Polygonzuges die Abschätzung r r i 1 i 1 LP, Z t i t i 1 i t i t i 1 . Nach Voraussetzung ist aber t t n t 2 k k 1 als stetige Funktion R-integrierbar und somit wird LP, Z nach oben durch eine Riemannsche Summe abgeschätzt. Demnach ist b L lim LP, Z t dt , Z 0 a womit wir die Relation „ “ gezeigt haben. „“ Nach dem Mittelwertsatz der Differentialrechnung einer Veränderlichen (MWS) gibt es für die differenzierbare Funktion n i t i1 , t i t i , t k i k t k 1 einen Punkt i t i1 , t i mit i , t i t i1 i , i t i t i1 . Somit haben wir also zur Zerlegung Z unter Verwendung der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung (CSU) die Abschätzung 2 i , t i t i 1 i , i t i t i 1 i , i t i t i 1 i i , i i t i t i 1 i 2 2 CSU i i i t i t i 1 i i i i t i t i 1 Erneute Verwendung der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung führt zu i i i i t i t i 1 i , t i t i 1 CSU i t i t i 1 und damit zur Ungleichung i t i t i 1 t i t i 1 i i t i t i 1 t i t i 1 Z t i t i 1 , wobei den Stetigkeitsmodul der Funktion darstellt. Summieren wir schließlich über i von 1 bis r, so erhalten wir r t i 1 i i r r i 1 i 1 t i 1 t i t i 1 Z t i t i 1 L, Z Z b a und somit nach einem Riemannschen Grenzwertprozeß b t dt L . a Damit ist die Behauptung der Bemerkung gezeigt. Anmerkung: Für eine stetig differenzierbare Funktion f : a, b IR ist : a, b IR 2 mit t t, f t ein stetig differenzierbarer Pfad und es gilt mit Bemerkung 1 b b a a 2 L t dt 1 f t dt Lf in Übereinstimmung mit den Ergebnissen vom Blatt Länge einer ebenen Kurve. 3 Beispiel 1 (Kreisumfang) Der Pfad mit : 0, 2 IR 2 t r cost r sin t ist eine Parameterdarstellung des Kreises mit Mittelpunkt O und Radius r. Es gilt für den Kreisumfang: L 2r . Wegen cos 2 t sin 2 t 1 folgt sofort mit Bemerkung 3 die Aussage des Beispiels. Anmerkung: Der Pfad : 0, 2 IR 2 mit t a cost b sin t durchläuft für die positiven reellen Zahlen a und b eine Ellipse mit O als Zentrum. Die Berechnung des Umfanges der Ellipse führt dann nach Bemerkung 3 zu dem sogenannten elliptischen Integral 2 a 1 0 b2 a 2 sin 2 t dt , 2 a für das keine Stammfunktion bekannt ist. Nach einer Idee von Euler kann jedoch dieses Integral als eine Reihe dargestellt werden. Beispiel 2 (Länge des Parabelbogens) Der Pfad : 0, a IR 2 (a > 0) mit t t 2 t ist eine Parameterdarstellung des Parabelbogens vom Ursprung O bis zum Punkt a 2 a . Für dessen Länge gilt: L 14 arcsin h 2a 2a 1 4a 2 Nach Bemerkung 1 gilt für die Pfadlänge a a 0 0 L t dt 4t 2 1 dt . Zur Berechnung des Integrals ersetzen wir zunächst 2 t durch x und danach x durch sinh u und erhalten 4t 2 1 dt 1 2 1 2 x 2 1 dx 1 2 sinh 2 u 1 cosh u du cosh 2 u cosh u du 1 2 cosh u du 2 Die Anwendung der partiellen Integration führt sodann zu cosh u du sinh u cosh u sinh u du sinh u cosh u cosh u 1du sinh u cosh u u cosh u du 2 2 2 2 und damit zu cosh u du sinh u cosh u u 2 1 2 sinh u 1 sinh 2 u u . 4 Machen wir nun die Substitution rückgängig mit u arcsin hx , so erhalten wir 4t 2 1 dt 1 4 arcsin h2t 2t 1 4t 2 C und erhalten nach Einsetzen der Integrationsgrenzen die Behauptung des Beispiels. Beispiel 3 (Länge der Kettenlinie) Der Pfad : 0, a IR 2 (a > 0) mit t t cosht ist eine Parameterdarstellung der Kettenlinie vom Scheitelpunkt 0 1 bis zum Punkt a cosha . Für deren Länge gilt: L sinh a . Wegen cosh 2 t sinh 2 t 1 folgt sofort mit Bemerkung 1 die Aussage des Beispiels. Beispiel 4 (Länge der Schleppkurve) Die analytische Darstellung der Schleppkurve für a 0 lautet x f x a ln 2 2 a a x a2 x2 . Dann ist der Pfad : u, a IR 2 (0 < u < a) mit t t f t eine Parameterdarstellung der Schleppkurve vom Anfangspunktpunkt a 0 bis zum Punkt u f u . Für deren Länge gilt: a L a ln u Für die erste Ableitung von f haben wir f x a2 x2 x Schleppkurve und damit t 1 a2 t2 a . t t2 Mit Bemerkung 1 gilt dann für die Länge der Schleppkurve a a a L dt a ln . t u u 5 u a Beispiel 5 (Länge der Schraubenlinie im IR 3 ) Der Pfad : 0, a IR 3 (a > 0) mit t r cost , r sin t , 2h t ist eine Parameterdarstellung der Schraubenlinie. Für deren Länge gilt: L r 2 2h a . 2 Nach Ableiten ergibt sich t r 2 cos 2 t r 2 sin 2 t 2h r 2 2h . Die Aussage folgt dann sofort mit Bemerkung 1. 2 Beispiel 6 2 (Länge der Archimedischen Spirale) Der Pfad : 0, a IR 2 (a > 0) mit t r t cost , r t sin t ist eine Parameterdarstellung der Archimedischen Spirale. Für deren Länge gilt: L 2r arcsin h a a 1 a 2 . Nach Differentiation des Pfades erhalten wir t r 1 t 2 . Unter Beispiel 2 haben wir bereits ein ähnliches Integral berechnet, so daß die Aussage über die Länge der Archimedischen Spirale sofort aus der Bemerkung 1 folgt. Im neben stehenden Beispiel ist eine Archimedische Spirale zu sehen. Beispiel 7 (Länge des vollen Zykloidenbogens, Rollkurve) Der Pfad : 0, 2 IR 2 (a > 0) mit t r t r sin t , r r cost ist eine Parameterdarstellung der gewöhnlichen Zykloide. Für deren volle Bogenlänge gilt: L 8 r . Fixiert man auf einer Kreislinie mit Radius r einen Punkt P, so nennt man die Spur, die P beim Abrollen des Kreises auf einer Geraden – ohne zu gleiten – zurücklegt, eine gewöhnliche (gespitzte) Zykloide. 0 r 6 2 r Nach Differentiation des Pfades erhalten wir t r 2 1 cost . Ferner liefert das Additionstheorem der Kosinusfunktion folgende Beziehung: cost cos 2 2t sin 2 2t 1 2 sin 2 2t 1 cost 2 sin 2t . Mit Bemerkung 1 gilt somit 2 t dt r 0 2 2 1 cost dt 4r cos 2t 0 8 r 2 0 7