„Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik – ein amerikanischer Sicht“

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„Deutsch-amerikanische Beziehungen – eine atlantische Sicht“
Andrew B. Denison
www.transatlantic-networks.de
Deutschland ist einer der wenigen wirklich wichtigen Partner Amerikas in dieser Welt von
fast 200 Staaten. Nicht unbedingt gleichberechtigt—was auch immer das bedeuten mag—,
aber Deutschland genießt doch eine sehr enge Beziehung mit der Super- und Hypermacht auf
der anderen Seite des Atlantiks. Eine bedeutsame gemeinsame Geschichte mit Amerika macht
Deutschland zu einem Partner wie kein anderer.
Deutschland als Phoenix aus der Asche, aus den ausgebombten Gebäuden wuchs die
Bundesrepublik hervor, zur drittgrößten Wirtschaftsmacht der Welt. Die Verbindung zu
Amerika wuchs mit: Berliner Luftbrücke, Mauerbau, Kennedy als Berliner, Ostpolitik als
Überwindung, Doppelbeschluss, Mauerfall am 9.November, Balkanfrieden, Osterweiterung,
dann der 11. September und die uneingeschränkte Solidarität, Hunderttausende trauerten mit
vor dem Brandenburger Tor. Auch die großen Zweifel an der Irak-Politik, an Guantanamo
und vielem mehr zeigten Amerikas Präsenz im politischen Diskurs der Bundesrepublik. An
der Breite der Kritik wird die Dichte der Beziehung deutlich. Demokratie in Afghanistan,
auch im Nahen Osten. Sicherheit, Freiheit, Wohlstand in atlantischer Gemeinschaft,
zunehmend in anderen Teilen einer verbundenen und verwundbaren Welt—das ist die
gemeinsame Geschichte, das ist die gemeinsame Zukunft. Das ist der Phoenix aus der Asche.
Deutschlands Beitrag
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Deutschland spielt eine Schlüsselrolle im atlantischen Bündnis, in der Gemeinschaft der
atlantischen Gemüter. Partnerschaft in der Führung, oder: Führung in der Partnerschaft,
Deutschland ist mitten drin im Verbund der friedlichen, freien, wohlhabenden Staaten dieser
Erde. Deutschland als Mittelmacht, Deutschland als Mittler, Deutschland als Mittlermacht.
Heute sitzt Deutschland, durch Taten und Solidarität, als sechstes permanentes Mitglied im
UNO-Sicherheitsrat—wenigstens wenn es um die Bombe und Iran geht. Als internationaler
Router und Server wirkt Deutschland auf Gegenden weit weg von seinen Grenzen ein. Die
Möglichkeiten sind offen und einladend. To route and to serve.
Deutschland ist nicht wichtig wie im letzten Jahrhundert, als der Kalte Krieg Deutschland und
Europa teilte. Deutschlands Bedeutung heute ist eine andere—nicht Frontstaat, sondern
Partnerstaat, in einer Welt, in der die Fronten zunehmend verschmelzen. Deutschland ohne
Bedeutung, ohne Einfluss—so ist es jedenfalls nicht. Dies mag manchen unangenehm sein,
die die Schweiz als nachzuahmendes Modell sehen. Gejammer hin oder her: Deutschland ist
wichtig für Amerika, sehr wichtig. Wichtiger noch, aus Sicht dieses Deutsch-Amerikaners:
Amerika ist wichtig für Deutschland, existentiell wichtig.
Deutschland zeigt seine Bedeutung auf vielfältige Weise—genießt ein diversifiziertes
Portfolio des Einflusses. Wirtschaftlich steht Deutschland als drittgrößter Markt der Welt mit
einem Bruttosozialprodukt 2005 von $2,8 Billionen da. Die USA liegt vorn, mit $12,7, dann
Japan mit $5,0, und als viertes kommt Großbritannien mit $2,3—dann Frankreich, China,
Italien, Kanada und Spanien, die auch zu den Billionen–Dollar-Wirtschaften dieser Welt
zählen. Alle Staaten der Welt zusammen erwirtschafteten 2005 fast 43 Billionen Dollar (nach
Wechselkurs).
Wirtschaftsrangliste 2005
Ital., 3% Deutschland, 5%
Japan, 9%
USA, 22%
GB, 4%
Frankr., 4%
China, 3%
Andere, 50%
Quelle: CIA World Factbook, www.cia.gov
Allerdings wird die Lücke zwischen Nummer Eins und Nummer Drei immer größer. 1994
war das Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland 78 Prozent desjenigen der Vereinigten Staaten;
2004 war es nur noch 72 Prozent. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass in diesen zehn
Jahren die Bevölkerungszahl der USA von 262 auf 294 Millionen (um 12,2 Prozent) wuchs;
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die deutsche Bevölkerung wuchs in der Zeit um gerade 1,2 Prozent, von 81 auf 82,5
Millionen.
Reales Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt
Converted to U.S. Dollars using PPPs
(2002 U.S. Dollars)
20
04
20
02
20
00
Deutschland
USA
19
98
19
96
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
(Quelle: US Bureau of Labor Statistics, www.bls.gov)
Der atlantische Marktplatz im Vergleich
Quelle: Joseph Quinlan and Daniel Hamilton, Hrsg., Deep Integration: How Transatlantic
Markets are Leading Globalization, (Washington 2005).
Die transatlantischen Märkte sind Motor der Globalisierung, so Daniel Hamilton und Joseph
Quinlan vom Center for Transatlantic Relations in Washington. Der deutsch-amerikanische
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Marktplatz liegt mitten in dieser „tiefen Integration.“ Das Messen der Beziehung fängt mit
Handel, also Import und Export, an. Der Warenverkehr zwischen Amerika und Deutschland
ist groß, auch zwischen Europa und Amerika. 2004 exportierte Deutschland nach Amerika im
Wert von $78,5 Milliarden und importierte aus Amerika in Wert von $46,4 Milliarden. Darauf
kann man als Exportmeister stolz sein, obwohl schließlich mehr Containerschiffe (sprich
Handel) den Pazifik als den Atlantik kreuzen.
Der Handel ist aber nur die Spitze des Eisbergs im deutsch-amerikanischen wie im
transatlantischen Markt. Export und Import ruhen nämlich auf einem gigantischen Geflecht
von Investition und Gewinn, vom gegenseitigen Besitz. Hier liegt die „Tiefe“ der Integration,
so Quinlan und Hamilton. 2002 war Handel zwischen Europa und Amerika etwas mehr als
eine Halbe Billion Dollar wert; die transatlantischen Märkte insgesamt machten 2002 einen
Umsatz von 3,3 Billionen Dollar, also das Sechsfache. (Der Pazifisch/Asiatischen Raum ca. 2
Billionen.) Das gleiche Engagement gilt für ganz Europa, wo die Einnahmen aus
amerikanischem Besitz in Europa die Exporteinnahmen um das Fünffache übertreffen ($1,5
Billionen bzw. $274 Milliarden). Sechzig Prozent dessen, was Amerikaner im Ausland 2002
besaßen, war in Europa ($4,1 von $6,9 Billionen), davon fast 10 Prozent in Deutschland. 2004
haben deutsche Investitionen in den USA $8,5 Milliarden Gewinn erzielen können: Umsatz
und Gewinn amerikanischer Investoren in Deutschland sind auch entsprechend hoch.
Amerikaner verdienen mehr in Europa als sonst wo in der Welt.
Top Kinofilme USA 2005 nach Einnahmen
USA
Filme
1.
2.
3.
Star Wars: Episode III - Revenge of the
Sith
Harry Potter and the Goblet of Fire
4.
The Chronicles of Narnia: The Lion, the
Witch and the Wardrobe
War of the Worlds
5.
King Kong
Top Kinofilme Deutschland 2005 nach Einnahmen
Deutschl
and
1.
Filme
2.
Star Wars: Episode III - Revenge of the
Sith
Harry Potter and the Goblet of Fire
3.
War of the Worlds – Krieg der Welten
4.
Charlie und die Schokoladenfabrik
5.
Batman Begins
Quelle: http://www.insidekino.com/USAJahr/USA2005.htm
Gesellschaftlich und kulturell übt Deutschland Einfluss auf Amerika aus wie nur wenige
Länder. Bei der US-Volkszählung 2000 haben 42,8 Millionen sich als Amerikaner deutscher
Herkunft identifiziert. Mit 15 Prozent der Bevölkerung ist die deutsche Herkunft auf Platz
Eins. Im Jahr 2000 wohnten in Amerika 706000 Menschen, die in Deutschland geboren
wurden, von denen wiederum 461000 US-Bürger sind. Nach dem Statistischen Bundesamt
gab es 12,3 Millionen Flugpassagiere zwischen Deutschland und Amerika im Jahr 2005, ein
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Anstieg von 5,2 Prozent gegenüber 2004. Deutschland in Amerika ist Siegfried und Roy und
viel mehr.
Und umgekehrt: Das Amerikanische ist integraler Bestandteil deutscher Lebenswelten. Im
Jahr 2004 wohnten 96600 amerikanische Bürger in Deutschland; dazu kamen ca. 73000 US
Soldaten und 95000 Angehörige. Die Gesellschaften und Gemeinschaften beider Länder, sie
wachsen nicht auseinander, sondern ineinander, so den Eindruck der über eine Million EMails pro Tag zwischen Deutschland und Amerika. Die Top-Filme in Deutschland sind die
Top-Filme in USA. Hier haben wir Vorbild und Feindbild als zwei Seiten derselben Medaille.
Deutschland und Amerika tragen zum gesellschaftlichen und kulturellen Reichtum des
anderen bei—auch wenn manchen das unangenehm ist. Natürlich ist dies zugleich ein
transatlantisches Phänomen. Ein Beispiel: Nach Telegeography.com wuchs der
transatlantische Internetverkehr 2004 um 42 Prozent—und 2003 war er gar nicht so gering.
Atlantische Informationsströme
Quelle: www.telegeography.com
Auch im Bereich der Sicherheit ist Deutschlands Beitrag nicht unwesentlich. Selbst
Amerikaner wissen: die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Errungenschaften zu sichern,
ist eine zunehmend gemeinsame und globale Angelegenheit. Die Sicherheitspolitiken der
Länder der atlantischen Gemeinschaft verschmelzen zu einem politisch-militärischen
Konsortium ohnegleichen—vernetzt wie noch nie.
Der Kalte Krieg wirkt nach, aber er ist weitgehend vorbei. Die Grenze des freien Westens
geht nicht mehr quer durch Deutschland. Die instabile europäische Peripherie, sie lebt
fort; nur weiter weg—und länger, viel länger. Und durchaus europäisch. Das europäische
Grenzland bleibt geopolitisch hoch brisant. Auch für die Vereinigten Staaten von Amerika.
Durch Engagement für Frieden in dieser kleinen, globalisierten Welt gewinnt Deutschland an
Einfluss. Deutschland ist dabei—fast immer. Deutschlands Zusammenarbeit profitiert von
jahrzehntelangem Umgang mit dem Quellcode des westlichen Bündnisses, mit der NATO.
GIs können gut mit der Bundeswehr umgehen—und umgekehrt, auf dem Balkan, in
Afghanistan und anderswo. Am Erfolg in Afghanistan hat Amerika, hat Deutschland, hat
Europa ein vitales Interesse. Dieser Einsatz ist von größter Bedeutung. 15,000 europäische
Soldaten werden bald im Lande sein—1400 Deutsche sorgen für Sicherheit und Aufbau in
Kabul, Kunduz und Feyzabad. Es geht voran. Die OSZE ist auch ein Platz der geübten
Zusammenarbeit, und ihre Ausweitung auf den Nahen Osten ist in beiderseitigem Interesse.
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Deutschland gibt große Summen Geld aus für sein Militär und seine Diplomatie sowie für
seine „öffentlichen Leistungen an Entwicklungsländer“, viel im Vergleich mit den meisten
Ländern dieses Planeten. Addiert man die deutsche Haushalte für Entwicklung, Auswärtiges
und Verteidigung zusammen, kommt man 2005 auf fast €32 Milliarden oder €390 für jeden
Einwohner Deutschlands, oder ca. €291 für militärische und €99 für nichtmilitärische
Weltangelegenheiten. Die Vereinigten Staaten sehen hier etwas anders aus. Addiert man die
Haushalte von Department of Defense ($423, 1 Milliarden), die Iraq and Afghanistan
Supplemental ($82 Mrd.), International Affairs ($29 Mrd.) und Treasury ($1,5 Mrd.), so
kommt man auf $536 Milliarden, oder ca. €1509 für jeden Einwohner Amerikas, bzw., €1401
für militärische und €108 für nichtmilitärische Weltangelegenheiten.
Öffentlichen Leistungen an Entwicklungsländer 2004
Quelle: OECD
Öffentliche Ausgaben (€) Pro-Kopf für Weltangelegenheiten 2005
1.600 €
1.400 €
1.200 €
1.000 €
800 €
1401
600 €
400 €
200 €
217
108
99
D
eu
t
U
sc
hl
an
d
SA
0€
nichtmilitärisch
militärisch
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Quelle: deutsche und amerikanische Haushaltspläne 20051
Deutschlands Märkte sind offen für Produkte der armen, hochgefährdeten Gegenden der
Erde. Deutsche Kaufkraft und Investitionsgelder tun viel für die unterentwickelten,
überbevölkerten Teile unserer Welt, so auch ein Länder-Vergleich des Center for Global
Development. Deutschland ist offen für Einwanderung, die durch Rückzahlung (remittances)
einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung leisten. Deutsche Solar-Technologie bringt sauberes
Licht und Feuer in die verarmten Gegenden der Welt. Die Amerikaner freuen sich über
Deutschlands offene Märkte, über seine offenen Grenzen, über sein technologisches
Potenzial. Gemeinsam können Washington und Berlin weltweit auch für offenere
Agrarmärkte viel mehr tun. Die Ernte der Armen, wir im reichen Westen sollten sie kaufen.
Beitrag zur Entwicklung Index 2004
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Ausgaben BMZ, Verteidigungsministerium und Auswärtiges Amt laut
Finanzplan 2005 in €:




23,90 Mrd. Verteidigungsministerium
3,86 Mrd. BMZ
2,21 Mrd. Auswärtiges Amt
2.0 nicht-BMZ ODA
32,0 Mrd. Gesamt
32,0 Mrd. : = / 82. Millionen Einwohner €390 pro Kopf
23,9 Vert =
€291
8,1 Zivil =
€99
Ausgaben State Department und Department of Defense der USA im FY 2005 in US-$:




$423,1 Milliarden Department of Defense
$82,0 M. Iraq and Afghanistan Supplemental
$29,6 M. International Affairs
$1,5 M. Treasury für World Bank, etc.
536 Milliarden US-$ : 296.000.000 US-Einwohner = 1.811 US-$ pro Kopf
Verteidigung 423 + 75 Supplemental = 498 M. /296 Million = $1682 pro Kopf =
Reconstruction 7 + IA 32 = 39 M./296 = $ 132 =
€1509 ($/€ 1.20)
€ 1401
€108
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Quelle: Center for Global Development, www.cgdev.org
Meinungsverschiedenheiten
Die Amerikaner sehen Deutschlands Bedeutung, sie erkennen die Verbindungen. Die
Amerikaner wissen wohl auch: Die Deutschen sind nicht immer gleicher Meinung mit ihrer
Supermacht. Amerika als Feindbild und Vorbild. Amerika als Gigant, Amerika als Provokant,
Amerika als Widerspruch. Amerika als Hoffnung und Amerika als Enttäuschung. Amerika
allgegenwärtig. Ein Blick in Transatlantic Trends, eine Meinungsanalyse der German
Marshal Fund, zeigt schon die gemischte Gefühle über amerikanische Politik in der
europäischen Öffentlichkeit.
Unbeliebt: Der Supermacht und Sein Präsident
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http://www.transatlantictrends.org/doc/TTKeyFindings2005de.pdf
Die Amerikaner wissen von der deutschen Geschichte—es ist auch ihre eigene. Deutschland
als „Friedensmacht“—Amerikaner kennen die Gründe. Im amerikanischen Herzland heißt es:
Die Deutschen sind heute friedlich, pazifistisch, militant pazifistisch. Vielleicht haben
Amerikaner sogar zuviel Verständnis für diese friedliche Berufung—zu viel Verständnis für
ein Weltbild der „Ohne mich!“-Antwort auf Gewalt.
Amerikaner wissen: Noch existiert die Mauer in den deutschen Köpfen. Die Teilung ist noch
nicht überwunden. Der Osten Deutschlands bleibt für manche Amerikaner ein Exot, arm und
vielleicht zwischen zwei Welten verloren. Eine Kanzlerin aus dem Osten ist etwas
Besonderes—ein bedeutsames Symbol der überwundenen Teilung, zugleich Erinnerung an
die bestehenden Unterschiede.
Amerikaner lesen in ihren Zeitungen von Deutschland als dem „kranken Mann Europas.“
Sozialsystem bankrott; nicht zu bezahlen, nicht nachhaltig. Das demographische
Damoklesschwert hängt über den Deutschen—Zukunftsangst. Das Modell Deutschland rast
vor eine Wand—wenn jemand nicht schnell nach dem Steuer greift.
Die überforderten Amerikaner genießen hier weniger Schadenfreude, eher große Sorge.
Amerika will ein starkes Deutschland, nicht ein schwaches Deutschland. Amerika will ein
starkes Europa, nicht ein schwaches. Amerika will Partnerschaft und Führung von
Deutschland. Amerika hat Angst: Ein mangelnder Sinn für Nachhaltigkeit lähmt Deutschland
innenpolitisch; ein mangelnder Sinn für Sicherheit lähmt Deutschland
außenpolitisch. Amerika hat Hoffnung: Ein reiches Deutschland mit hohen Wachstumsraten,
somit ein Deutschland, das sich in der Welt entsprechend engagiert. Es gibt viele Amerikaner,
die etwas von Deutschland wollen, etwas von Deutschland erwarten. Es gibt aber auch
Amerikaner, die Deutschland gern niedermachen.
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Die Amerikaner hegen und pflegen ihre politischen Karikaturen, auch die über Deutschland.
Solche übertriebenen Bilder der Kritiker zeigen, zum Beispiel, ein deutsches Volk, geeint in
dem Grundsatz: Keine amerikanischen Abenteuer! Keine amerikanischen Verhältnisse! Weg
mit den Heuschrecken! Der Amerikaner als Dorfschreck und Brunnenvergifter. Der Deutsche,
er sei geplagt und bedrückt: Eingeborene Besserwisserei; Zeigefinger gehoben, verloren in
seinen Elfenbeintürmen, in seinen Dekonstruktionen, in seiner ungebundenen
Gesinnungsethik. Ein Volk, das zu wissen scheint, was es wohl nicht will. Ein Volk, das aber
nicht weiß, was es doch will. Ein Volk voller Angst, ein Volk ohne Zukunftsvision. So
geschnitten sind manche Bilder der angespitzten Stifte Amerikas.
Das Bild ist aber differenzierter. Die vielen amerikanischen Stimmen zur neuen deutschen
Kanzlerin zeigen doch ein gewisses Augenmaß. Die Kanzlerin erweckt Neugier, Hoffnung
und Respekt unter den amerikanischen Kommentatoren.
Neugier besteht über Angela Merkels Herkunft und ihre Rolle als Frau in der deutschen
Politik. Hoffnung haben Amerikaner, dass Merkel die Vorteile der Beziehung mit Amerika in
den Vordergrund rückt, dass sie die EU-Reform wieder in Schwung bringt und vor allem,
dass es ihr gelingt, die marode deutsche Wirtschaft anzukurbeln. Respekt vor ihrem
Werdegang, auch hinter dem Eisernen Vorhang, und eindeutig ihren ersten Auftritte auf der
Weltbühne, hegen manche Amerikaner auch.
Von „reanimieren“, „wiederbeleben“ und „neuem Kapitel“ war die Rede in amerikanischen
Leitartikeln beim Antrittsbesuch der Kanzlerin; ihr Auftritt in der deutschen Botschaft in
Washington ein Herz erwärmendes Ereignis für alle. Bush würde vielleicht sagen: „Bleib eine
Weile und repariere Deine Wirtschaft!“, meinte John Vinocur, langjähriger Europakenner des
International Herald Tribune.
Weniger hoffnungsvolle Stimmen gab es aber auch. Von der konservativen Heritage
Foundation kam in einer gründlichen Auseinandersetzung mit Berlins künftiger Politik, die
Warnung vor „übertriebener Erwartung.“ In ihrem Rundbrief schrieben Nile Gardiner und
John Hulsman, es gäbe keine „fundamentale Transformation“, die Kanzlerin sei „keine Magie
Thatcher“.
Die meisten Abfassungen waren aber gleicher Meinung mit Jim Hoagland, nüchterner
Realpolitiker und Leitartikler bei der Washington Post. Er macht sich große Hoffnung über
„Merkels Mittlerrolle“, über ihre Fähigkeit, Deutschlands Außenpolitik neu zu balancieren,
und zwar aus einem atlantischen Blickwinkel. Deutschland als Mittler und eine Kanzlerin, die
russisch spricht; Merkel als moderater Mittler der Mitte—mit Methode. Hoagland erwartet
Neues und Besseres aus Deutschland.
Zeichen einer neuen Zeit? Ja, meinen hoffnungsvolle Amerikaner. Bei der Münchner
Sicherheitskonferenz 2006 haben die amerikanischen Gäste gute Eindrücke gewonnen von
einer Frau, die sich agil und kraftvoll auf dem außenpolitischen Parkett bewegt. Die
Teilnehmer zeigten auch eine große Zufriedenheit, ein Aufatmen, das aber durch anhaltende
Gewalt im Nahen Osten doch noch beschwert bleibt. Die Einheit der Großen Koalition ist
zudem für Viele eine offene Frage.
Einfluss und Einsatz
Deutschland genießt weiterhin mehr Einfluss in Washington als seine wirtschaftliche oder
militärische Stärke allein erklären kann. Die gemeinsamen Erfolge, die Gewohnheiten der
Zusammenarbeit, sie wirken nach. Selbst der Konflikt über Irak konnte diese wertvolle
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Erbschaft nicht zerstören. Es gibt weiterhin einen Platz im amerikanischen Herzen für
Deutschland. Deutschland hat viele Freunde, gute Freunde in Amerika; Freunde, die es auch
nicht immer leicht gehabt haben in den letzten Jahren. Jetzt gibt es Hoffnung auf einen neuen
Frühling. Daraus könnten Deutsche mehr machen. Hier ist politischer Gewinn in Washington
zu erzielen. Durch Gesellschaft und Wirtschaft stehen zahlreiche Felder der Zusammenarbeit
offen. Gemeinsam können Deutsche und Amerikaner hier Wert schöpfen, auch in Solidarität
mit dem Rest der Menschheit. Frieden, Freiheit, Wohlstand—in Zusammenarbeit mit
Amerika ist was zu holen für Deutschland—und für die Welt.
Angela Merkel sieht die Dichte der Beziehungen, sie spricht von „enger Partnerschaft und
Freundschaft“. Zutreffend, dieses Etikett, denn kaum zwei andere Länder sind so eng
verflochten—politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, militärisch—kaum ein anderer Staat
ist in so vielem so nah an den Vereinigten Staaten wie Deutschland. Wie sich die Sicht der
Dinge ändert! Bei George W. Bushs Besuch in Mainz, Februar 2004, war die Wortwahl eine
andere. Von einer „gleichberechtigten Partnerschaft und Freundschaft“ war aus dem
Kanzleramt zu hören. Jetzt, in Berlin, die Einkehr der Einsicht: Gleichberechtigung ist nicht
zu proklamieren, sondern zu erarbeiten—mit einem Sinn für die wahre Natur der
Beziehungen und mit dem Mut, neue Gipfel der Zusammenarbeit zu erklimmen.
Weg von der Gleichberechtigungsmasche, hin zur Anerkennung der gemeinsamen Erfolge—
und wichtiger noch, zur Erzielung neuer Erfolge. Mit Einsatz und Optimismus bleibt die
außenpolitische Zusammenarbeit der Deutschen und der Amerikaner weiterhin eng, allerdings
auf dem sich rasant verändernden Spielfeld der Globalisierung. In diesem Geflecht kommen
immer neue Themen auf die Tagesordnung. Gleichzeitig beschäftigen sich Berlin und
Washington mit fortwährenden Herausforderungen: Demokratie erweitern, Märkte öffnen,
Fortschritt und Freiheit unterstützen, Sicherheit gewinnen—dies in einer Welt voller
hartnäckiger, oft noch sehr blutiger Konflikte. Schon lange leben beide Länder im Zeitalter
der Massenvernichtung, wo unsere Großstädte und Millionen unserer Bevölkerung existentiell
gefährdet sind. Zu tun gibt’s genug!
Themen der Zusammenarbeit
Die Themen der Gegenwart bieten die Möglichkeit zur Zusammenarbeit, bergen in sich aber
auch immer die Gefahr entgegengesetzter Einstellungen. Jede risikoreiche Herausforderung
setzt viel auf’s Spiel. Einvernehmen zwischen den Hauptstädten ist kein Selbstgänger. Die
melodramatische Medialisierung der wiederkehrenden Unterschiede macht die Konflikte
unter Partnern hartnäckiger. Störend sei dieser „Narzissmus der kleinen Unterschiede“, so der
britische Historiker Timothy Garton Ash.
Führung ist gefragt, um die Verhältnismäßigkeit wiederzugewinnen—und zwar von der
ganzen politischen Klasse. Es gibt eine große Bandbreite von Themen. Risiken reduzieren,
Möglichkeiten realisieren, Deutschland und Amerika können zusammen vieles bewegen.
Im Bereich von Handel und Investition teilen Deutschland und USA gemeinsame Ziele. In der
gegenwärtigen Doha-Runde der Welthandelsorganisation setzen sie beide auf eine Reduktion
der Agrarzölle und eine Öffnung der Dienstleistung. Die Welt von Handel und Investition ist
zunehmend von der Angst vor Epidemie, ob Rinderwahnsinn oder Vogelgrippe, betroffen.
Welthandelsorganisation und Weltgesundheitsorganisation (WTO und WHO) hängen von
einander ab; sie hängen auch von deutsch-amerikanischer Zusammenarbeit ab. Deutschland
und Amerika wollen beide mehr Wirtschaftswachstum, sowohl im eigenen Land wie im
anderen. Dies voranzubringen heißt auch, die vielen noch geschlossenen Märkte rund um den
Atlantik zu öffnen, sei es Agrar, Dienstleistung oder Luftverkehr.
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Die weite, breite europäische Peripherie lädt ein zum Ausbau einer ganzen Reihe von
Initiativen zur Förderung von Frieden, Freiheit und Wachstum—ob in Europas Osten, im
Nahen Osten oder in Afrika. Mit NATO, EU und OSZE ist vieles erreicht worden seit dem
Ende des Kalten Krieges, aber noch nicht alles ist getan. Diese Ansätze weiter zu entwickeln
und geographisch breiter anzulegen ist ein wichtiger Bestandteil der atlantischen Agenda.
Im Nahen Osten sind die Gefahren jetzt am größten. In Amerika und Deutschland dominiert
aber die Meinung, diese Pathologien der Gewalt und Intoleranz sind nur mit, und nicht gegen
den Islam zu beseitigen. Das bindet. Amerika und Deutschland sind auch der Meinung, eine
Trennung zwischen Staat und Kirche ist Bestandteil der begrenzten, dem Volk verpflichteten
Staatsmacht. Vom Wahlzettel, nicht von Gott, muss die Staatsmacht her. Die Sorge und die
Hoffnung über die europäischen Muslime eint Amerika und Europa. Das State Department
fördert Muslim Outreach-Programme in Europa. Die Integration der neuen Europäer, eine
europäisch-amerikanische Aufgabe—der Nahe Osten auf der anderen Seite des Mittelmeers,
aber auch auf der anderen Seite des Wohnblocks. Eine besondere Verantwortung Israel
gegenüber und die Verpflichtung einer friedlichen Lösung des Konflikts zwischen Israel und
den Palästinensern eint Amerika und Deutschland. Die wachsende Herausforderung Irans
sieht Deutschland im Verbund mit den USA und anderen in einer entschiedenen Rolle. Ob die
Lösung des Problems einer iranischen Bombe in Regimewechsel oder Regimewandel liegt,
wird für viel Diskussion zwischen Amerikanern und Europäern sorgen.
Eine gemeinsame Steuerung der Weltenergiemärkte liegt im Interesse Deutschlands und
Amerikas. Beide Seiten machen sich große Sorgen um Preis, Verlässlichkeit und
Klimakatastrophe—Kyoto hin oder her. Die Energiemärkte der Zukunft werden wichtiger und
umstrittener. Einvernehmen zwischen Berlin und Washington kann nur hilfreich sein.
Das Wirtschaftswachstum in China und Indien macht nicht nur die Energiemärkte
komplizierter, es wirft auch jede Menge Fragen über die globale Arbeitsteilung auf, über die
Gestaltung des globalen Fließbands. Unsere Wirtschaften, unsere Gesellschaften müssen sich
anpassen. China und Indien als Teil der Lösung der globalen Sicherheitsprobleme zu
gewinnen, statt dass diese Giganten zu Sicherheitsproblemen werden, dies eint Washington
und Berlin heute wie morgen. Auch Russland als Teil der Lösung zu gewinnen bleibt geteilte
Aufgabe.
Die unterentwickelten, überbevölkerten Teile der Welt sind gemeinsame Sorge. Klimawandel
ist ein Umweltproblem; sauberes Wasser in den Aberdutzenden Millionstädten der Armen ein
vielleicht noch bedrückenderes soziales Problem. Solidarität und Selbstinteresse sprechen für
ein größeres Engagement. NATO und EU könnten als Systemintegratoren dienen, beim
Aufbau eines globalen „Peace Corps“ or „Development Corps“ or „Environmental Corps“—
auf jeden Fall ein „Über den eigenen Tellerrand“ -Korps.
Schluss
Für Deutschland bleibt es schwer, eine nachhaltige Innenpolitik zu erringen. Wie auch immer
Deutschlands Wirtschaftswandel sich gestaltet, er wird tief eingebettet in einer dichten
Verflechtung der Zusammenarbeit über den Atlantik sein, und zunehmend mit dem Rest der
Welt. Ob ineinander wachsend oder aufeinander prallend, historisch einmalig ist der deutschamerikanische Verbund. Eine gemeinsame Binnenpolitik entwickelt sich auf vielen Ebenen.
Eine Atlantica entsteht.
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Für Deutschland bleibt es schwer, ausreichende Aufmerksamkeit und Geld für globale
Sicherheit bereitzustellen. Die militärische Komponente bleibt bei vielen verpönt. Die große
Alternative der zivilen nichtmilitärischen Macht bleibt weitgehend unterfinanziert. Die
kaputten Regierungen dieser Welt mitzureparieren, die Notwendigkeit, diese Aufgabe zu
meistern, bleibt zentrale Herausforderung für Deutschland und Amerika. In der Dimension
dieser Herausforderung liegt auch die Notwendigkeit der Zusammenarbeit. Verfallen große
Landstreifen dieses Planeten, stehen Amerika und Europa unter höchster Gefahr. Wie im
Mittelalter hinter modernen Festungsmauern zu leben, abgeschottet von den Flächenbränden
der Erde—dies wäre traurig, unwürdig und Furcht erregend.
Mars und Venus, EU und NATO, Europa und Amerika, Deutschland und die USA. Nicht
identische Interessen, aber gemeinsame; nicht identische Kapazitäten, aber komplementäre.
Synergie und Symbiose als Bindungselement. Es gibt viel zu tun, um die Welt ein bisschen
friedlicher, freier und wohlhabender zu machen. Die offene Weltordnung nachhaltig zu
sichern, ohne sie zu zerstören, darum geht es. Deutschland, Europa und Amerika—nicht eine
pax americana, sondern eine pax atlantica, für eine pax humana.
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