I, 1–240 (2013) c 2013 Ingenieurmathematik Dr. Jürgen Bolik Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg y (t ) y0 0 T0 2T 0 3T 0 t Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2 Inhaltsverzeichnis 1 2 3 4 Komplexe Zahlen 1.1 Aufbau des Zahlensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Gaußsche Zahlenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Exponentialfunktion und Trigonometrische Funktionen . . . 1.4 Die Moivresche Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die Wurzelfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Der Fundamentalsatz der Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.1 Komplexe Darstellung harmonischer Schwingungen . . 1.7.2 Addition harmonischer Schwingungen gleicher Frequenz 1.7.3 Wechselstromwiderstände . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Übungaufgaben: Komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 4 9 15 19 22 24 29 29 31 35 43 Differentialrechnung von Funktionen einer reellen Veränderlichen 2.1 Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Konvergenz von Folgen . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Eine numerische Anwendung . . . . . . . . . 2.1.3 Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Differentialrechnung von Funktionen einer Variablen . 2.2.1 Der Differentialquotient . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Approximation durch affin-lineare Funktionen 2.3 Funktionenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Taylor-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Übungsaufgaben: Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 48 48 56 59 71 71 75 79 80 82 86 94 Differentialrechnung im Rn 3.1 Partielle Ableitungen . . . . . . . . . . . . . 3.2 Approximation durch affin-lineare Funktionen 3.3 Lineare Regression . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Lokale Extrema im Rn . . . . . . . . . . . . 3.5 Lokale Extrema im R2 . . . . . . . . . . . . 3.6 Übungsaufgaben: Differentialrechnung im R2 3.7 Übungsaufgaben: zur Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 104 107 112 116 119 123 126 . . . . 130 130 134 134 136 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Integralrechnung 4.1 Das Riemannsche Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Integration und Differentiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Der Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung 4.2.2 Integrationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8 5 6 Uneigentliche Integrale . . . . . . Kurven im Rn und deren Länge . . Volumen von Rotationskörpern . . Integralrechnung im Rn . . . . . . 4.6.1 Integration im R2 . . . . . 4.6.2 Integration im R3 . . . . . Fourier- und Laplace-Integrale . . Übungsaufgaben: Integralrechnung 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lineare Algebra 5.1 Lineare Gleichungssysteme und der Gauß-Algorithmus . . . . . . 5.1.1 Einführung des Gauß-Algorithmus . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Grundlagen des Gauß-Algorithmus . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Unlösbare und unterbestimmte lineare Gleichungssysteme 5.1.4 Allgemeine lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . 5.2 Matrizenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Inversion von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Eigenwertprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Übungsaufgaben: Lineare Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 149 152 155 157 162 164 167 . . . . . . . . . . 174 174 175 177 179 184 187 191 197 200 203 Gewöhnliche Differentialgleichungen 6.1 Beispiele gewöhnlicher Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Gewöhnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Lineare Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Differentialgleichungen mit getrennten Variablen . . . . . . . . . . . . y 6.2.3 Die Differentialgleichung y 0 = f ( ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . x 6.3 Gewöhnliche Differentialgleichungen n-ter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Gewöhnliche homogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Gewöhnliche inhomogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Übungsaufgaben: Gewöhnliche Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . 6.5 Übungsaufgaben: zur Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 209 210 210 213 214 215 216 223 234 236 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1 4 Komplexe Zahlen 1.1 Aufbau des Zahlensystems Die Menge N der natürlichen und die Menge Z der ganzen Zahlen Die Zahlen 1, 2, 3, ... werden als natürliche Zahlen bezeichnet. Wir schreiben für die Menge der natürlichen Zahlen N, wobei N = {1, 2, 3, 4, 5, 6, ....} . Um auch die Zahl 0 zu berücksichtigen, schreiben wir N0 = {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, ....} . Häufig wird auch folgende Notation verwendet: N = {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, ....} und N∗ = {1, 2, 3, 4, 5, 6, ....} . Die Menge der ganzen Zahlen ist Z = {0, ±1, ±2, ±3, ....} . Anmerkung: Verbunden mit den ganzen Zahlen ist auch ein wichtiges Beweisprinzip, das der vollständigen Induktion: Dabei wird eine Aussage A(n) für alle ganzen Zahlen n ≥ n0 ∈ Z bewiesen, indem gezeigt wird, dass • A(n0 ) wahr ist (Induktionsanfang) • und, falls A(n0 ) wahr ist, auch A(n) für alle n ≥ n0 wahr ist (Induktionsschritt). Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 5 Beispiel: Mit Hilfe der vollständigen Induktion lässt sich beweisen, dass n X k= k=1 n(n + 1) für alle n ∈ N 2 gilt. (i) Induktionsanfang n X k= k=1 1·2 =1 2 (ii) Induktionsschritt Es gelte n X k= k=1 n(n + 1) 2 (Induktionsvoraussetzung). Gezeigt werden soll, dass dann auch n+1 X k= k=1 (n + 1)(n + 2) 2 gilt. Beweis: n+1 X k=1 k= n X k=1 k +(n+1) = n(n + 1) n(n + 1) 2(n + 1) n+1 +(n+1) = + = ·(n+2) 2 2 2 2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 6 Der Körper Q der rationalen und der Körper R der reellen Zahlen Wir bezeichen Zahlen, die sich als Quotienten darstellen lassen, als rationale Zahlen. p q zweier Zahlen p ∈ Z und q ∈ Z, wobei q 6= 0, Wir schreiben für die Menge der rationalen Zahlen Q, wobei p Q = { | p, q ∈ Z, q 6= 0} . q Eine rationale Zahl besitzt entweder • eine endliche oder • eine reinperiodische oder • eine gemischtperiodische Dezimalbruchentwicklung. Die Menge der √ reellen Zahlen R ist umfassender als Q und enthält auch irrationale Zahlen, wie beispielsweise 2. Wir sprechen von einem Körper K, wenn auf der Menge K die Verknüpfungen Addition und Multiplikationen definiert und folgende Axiome und das Distributivgesetz erfüllt sind: Axiome der Addition • Assoziativgesetz (x + y) + z = x + (y + z) für alle x, y, z ∈ K . • Kommutativgesetz x + y = y + x für alle x, y ∈ K . • Existenz der Null Es gibt eine Zahl 0 ∈ K mit x + 0 = x für alle x ∈ K . • Existenz des Negativen Zu jedem x ∈ K existiert ein − x ∈ K mit x + (−x) = 0 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Axiome der Multiplikation • Assoziativgesetz (x · y) · z = x · (y · z) für alle x, y, z ∈ K . • Kommutativgesetz x · y = y · x für alle x, y ∈ K . • Existenz der Eins Es gibt eine Zahl 1 ∈ K, 1 6= 0, so dass x · 1 = x für alle x ∈ K . • Existenz des Inversen Zu jedem von 0 verschiedenen x ∈ K existiert ein x−1 ∈ K mit x · x−1 = 1 . Distributivgesetz x · (y + z) = x · y + x · z für alle x, y, z ∈ K . Beispielsweise sind Q und R Körper. Anordnungsaxiome in R • Für jedes x ∈ R gilt entweder x > 0 oder x = 0 oder x < 0. • Aus x > 0 und y > 0 folgt x + y > 0. • Aus x > 0 und y > 0 folgt xy > 0. Anmerkung: x ≥ y bedeutet x > y oder x = y. 7 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 8 Der Körper C der komplexen Zahlen Die Menge R × R der geordneten Paare reeller Zahlen bildet auch dann einen Körper, wenn wir die Addition mittels (x1 , y1 ) + (x2 , y2 ) := (x1 + x2 , y1 + y2 ) und die Multiplikation mittels (x1 , y1 ) · (x2 , y2 ) := (x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + y1 x2 ) definieren. Auch diese Multiplikation ist assoziativ und kommutativ. Der Körper (R2 , +, ·) wird als der Körper C der komplexen Zahlen bezeichnet. Nach unserer Multiplikationsregel erhalten wir (x, y) · (1, 0) = (x, y) . Daher ist (1, 0) das neutrale Element der Multiplikation. Das multiplikative inverse Element von z = (x, y) 6= (0, 0) erhalten wir aus der Gleichung (x, y) · (u, v) = (1, 0) . Die eindeutige Lösung dieser Gleichung ist x y −1 z = (u, v) = ,− . x2 + y 2 x2 + y 2 Wir können reelle Zahlen x dabei als (x, 0) schreiben. Setzen wir zusätzlich i := (0, 1) , so zeigt sich, dass (x, y) = (x, 0) + (0, y) = (x, 0) + (0, 1)(y, 0) = x + iy für x, y ∈ R . Außerdem erhalten wir i2 = (0, 1)(0, 1) = (−1, 0) = −1 . Anmerkung: In der Mathematik ist die Bezeichnung i für die imaginäre Einheit üblich, während in der Technik oft j verwendet wird. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.2 9 Die Gaußsche Zahlenebene Für den Körper der komplexen Zahlen können wir C = {x + iy | x, y ∈ R} schreiben. Veranschaulichen lassen sich die komplexen Zahlen in der Gaußschen Zahlenebene (komplexen Zahlenebene): imaginäre Achse z=x+iy y x reelle Achse Abbildung 1.1 Darstellung einer komplexen Zahl Die Addition zweier komplexer Zahlen entspricht der Vektoraddition in R2 : imaginäre Achse z 1+z 2 z2 z1 reelle Achse Abbildung 1.2 Addition zweier komplexer Zahlen Ist z = x + iy mit x, y ∈ R, so sind Real- und Imaginärteil der komplexen Zahl z definiert durch Re(z) := x, Im(z) := y . Zwei komplexe Zahlen z1 und z2 sind genau dann gleich, wenn Re(z1 ) = Re(z2 ) und Im(z1 ) = Im(z2 ) . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 10 Beispiele zur Lösung quadratischer Gleichungen • Die beiden Lösungen der quadratischen Gleichung x2 = −b2 lauten x1,2 = ±ib . • Die Gleichung x2 − 2x + 5 = 0 ist äquivalent zu (x − 1)2 = −22 . Daher erhalten wir als Lösung x1,2 = 1 ± 2i . Die konjugiert komplexe Zahl Die euklidische Norm k~xk ∈ R+ := {x ∈ R | x ≥ 0} eines Vektors x ~x = ∈ R2 y ist durch p x2 + y 2 definiert. Mit Hilfe der konjugiert komplexen Zahl z := x − iy . lässt sich der Wert x2 + y 2 auch als Produkt von z und z schreiben, da zz = (x + iy)(x − iy) = x2 + y 2 . In der Gaußschen Zahlenebene wird die Konjugation einer komplexen Zahl durch Spiegelung an der reellen Achse dargestellt: imaginäre Achse z=x+iy y x reelle Achse ̄z=x−iy Abbildung 1.3 Die konjugiert komplexe Zahl Ist Im(z) = 0, so gilt z = z. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 11 Rechenregeln für die Konjugation Seien z, z1 , z2 ∈ C. Dann gilt • z = z, • z1 + z2 = z1 + z2 , • z1 z2 = z1 z2 . Der Betrag einer komplexen Zahl Unter dem Betrag einer Zahl z ∈ C versteht man die Größe p √ |z| := zz = x2 + y 2 . Der Betrag einer komplexen Zahl ist daher mit dem euklidischen Abstand des Punktes z vom Nullpunkt in der Gaußschen Zahlenebene identisch. Für alle z ∈ C gilt |z| = |z|. Der Betrag einer komplexen Zahl • Sei z ∈ C. Es gilt stets |z| ≥ 0 und |z| = 0 genau dann, wenn z = 0. • Dreiecksungleichung: |z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 | für alle z1 , z2 ∈ C. • |z1 z2 | = |z1 ||z2 | für alle z1 , z2 ∈ C. Anmerkung: Es lässt sich auch zeigen, dass |z1 − z2 | ≥ | |z1 | − |z2 | | für alle z1 , z2 ∈ C gilt. Mit Hilfe des Betrages, können wir auch den euklidischen Abstand dist(z1 , z2 ) zweier Punkte z1 , z2 ∈ C der komplexen Zahlenebene definieren: dist(z1 , z2 ) = |z2 − z1 | . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 12 Sei z0 ∈ C ein fester Punkt in der komplexen Zahlenebene und r ∈ R∗+ := {x ∈ R | x > 0}. • Die Punktmenge {z ∈ C | |z − z0 | < r} ist die Kreisscheibe (ohne Rand) mit Radius r um den Punkt z0 . • Die Punktmenge {z ∈ C | |z − z0 | = r} ist die Kreislinie mit Radius r um den Punkt z0 . imaginäre Achse r . z0 y x reelle Achse Abbildung 1.4 Eine Kreislinie in der komplexen Ebene Die Polarkoordinaten (r, ϕ) ∈ R∗+ × R sind gegeben durch die kartesischen Koordinaten (x, y) ∈ R2 \{0} mittels (x, y) = (r cos ϕ, r sin ϕ) . Dabei gilt r= p x2 + y 2 . Die Größe ϕ gibt den Winkel zwischen der positiven x-Achse und dem Strahl von 0 durch (x, y) an. Betrachten wir statt der Ebene R2 die komplexe Ebene, so erhalten wir z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) , wobei auch der Ursprung z = 0 zugelassen ist. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 13 Anmerkung zu Winkelmaßen Für Winkel in Bogenmaß gilt: ϕ := b r Ist b = 2πr, so gilt ϕ = 2π. Somit gilt 360◦ = 2π rad und 1 rad = 180◦ . π Für z 6= 0 ist der Winkel ϕ durch die Angabe der kartesischen Koordinaten eindeutig bestimmt. Dieser Winkel wird als Argument von z bezeichnet. Wir schreiben ϕ = arg z . Um den Winkel ϕ eindeutig zu bestimmen, wird üblicherweise vorausgesetzt, dass 0 ≤ ϕ < 2π oder − π < ϕ ≤ π . Darstellung der Multiplikation in der komplexen Zahlenebene Sei z, w ∈ C∗ := {z ∈ C | z 6= 0} und arg z = ϕ, arg w = ψ. Dann erhalten wir, mit Hilfe der Additionstheoreme (Abschnitt 1.3) der trigonometrischen Funktionen, wz = |w| · |z|(cos ψ + i sin ψ)(cos ϕ + i sin ϕ) = |w| · |z|(cos(ψ + ϕ) + i sin(ψ + ϕ)) . Bei der Multiplikation zweier komplexer Zahlen werden • die Beträge multipliziert und • die Argumente addiert. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 14 Ist w ∈ C∗ fest, so ist die Abbildung f : C → C, z 7→ wz eine Drehstreckung und, im Falle von |w| = 1, eine Drehung. imaginäre Achse .w w⋅z . i .z φ+ψ ψ φ . 1 reelle Achse Abbildung 1.5 Multiplikation in C Das hinsichtlich der Multiplikation inverse Element von z 6= 0 ist z −1 = x2 1 1 1 (x − iy) = 2 z = (cos ϕ − i sin ϕ) . 2 +y |z| |z| Daher gilt für die Division von w ∈ C∗ durch z ∈ C∗ w |w| = (cos ψ + i sin ψ)(cos ϕ − i sin ϕ) z |z| = |w| (cos(ψ − ϕ) + i sin(ψ − ϕ)) . |z| Anmerkung: Dabei verwenden wir Symmetrieeigenschaften und Additionstheoreme (Abschnitt 1.3) der trigonometrischen Funktionen sin und cos, die in folgendem Abschnitt vorgestellt werden. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.3 15 Die Exponentialfunktion und Trigonometrische Funktionen Die Exponentialfunktion in R, und analog in C, wird mit Hilfe einer (absolut konvergenten) Reihe, der Exponentialreihe exp : R → R , x 7→ exp(x) = ∞ X xn n=0 n! definiert. Damit lässt sich zeigen, dass exp(x + y) = exp(x) exp(y) für x, y ∈ R und mit Hilfe dieser Funktionalgleichung wiederum, dass exp(x) > 0 für x ∈ R , exp(−x) = (exp(x))−1 für x ∈ R und exp(n) = en für n ∈ Z . Die Exponentialfunktion in C ist gegeben durch exp : C → C , z 7→ exp(z) = ∞ X zn n=0 n! . Die Exponentialfunktion exp ist in C stetig. Ferner gilt • die Funktionalgleichung exp(z1 + z2 ) = exp(z1 ) exp(z2 ) für alle z1 , z2 ∈ C , • die Eigenschaft exp(z) 6= 0 für alle z ∈ C • und exp(z) = exp(z) für alle z ∈ C. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 16 Die Definition der Exponentialfunktion zur Basis a lässt sich, wenn wir uns auf reelle Werte von a beschränken, sehr einfach verallgemeinern. Ist der Definitionsbereich der Funktion R, so ist ax folgendermaßen erklärt:. Definition: Sei a ∈ R∗+ . Dann ist die Exponentialfunktion zur Basis a definiert durch ax : R → R , x 7→ ax := exp(x ln a) . Entsprechend ist die Funktion az für a ∈ R∗+ auf dem Definitionsbereich C erklärt: Definition: Sei a ∈ R∗+ . Dann ist die Exponentialfunktion zur Basis a definiert durch az : C → C , z 7→ az := exp(z ln a) . Anmerkung: Auf die Verallgemeinerung von az für a ∈ C∗ wird hier verzichtet. Für alle x ∈ R gilt |eix | = 1 , da |eix |2 = eix eix = eix eix = eix e−ix = e0 = 1 . Wir können daher eix als Punkt des Einheitskreises in der komplexen Ebene darstellen: imaginäre Achse . z=e ix reelle Achse Abbildung 1.6 Die Zahl eix als Punkt am Einheitskreis Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 17 Mit Hilfe der Definition cos x := Re(eix ) und sin x := Im(eix ) folgt unmittelbar die Eulersche Formel eix = cos x + i sin x . Die Variable x lässt sich sich als (orientierte) Bogenlänge verstehen. Betrachten wir neben eix auch e−ix , so können wir auch folgende Gleichungen herleiten: 1 1 cos x = (eix + e−ix ) und sin x = (eix − e−ix ) . 2 2i imaginäre Achse . z 1 =e ix sin x cos x reelle Achse . z 2 =e−ix Abbildung 1.7 Die Winkelfunktionen cos und sin Nach der Definition der trigonometrischen Funktion cos und sin und der Definition der Exponentialfunktion zeigt sich, dass cos(−x) = cos x , sin(−x) = −sin(x) und cos2 x + sin2 x = 1 . Mit Hilfe der Eulerschen Formel und der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion erhalten wir eine einfache Herleitung folgender Additionstheoreme : cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y für alle x ∈ R , sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y für alle x ∈ R . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Begründung: Gemäß der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion gilt ei(x+y) = eix eiy , und umgeformt, mittels der Eulerschen Formel, cos(x + y) + i sin(x + y) = (cos x + i sin x)(cos y + i sin y) = (cos x cos y − sin x sin y) + i(sin x cos y + cos x sin y) . 18 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.4 19 Die Moivresche Formel Jede Zahl z ∈ C∗ lässt sich eindeutig schreiben als z = |z|eiϕ = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) mit ϕ ∈ [0, 2π) . Selbstverständlich können wir auch andere halboffene reelle Intervalle der Länge 2π wählen. Schreiben wir zwei komplexe Zahlen w und z folgendermaßen in Polarkoordinaten: w = |w|eiψ und z = |z|eiϕ , so lässt sich deren Produkt sehr einfach ausdrücken als wz = |w||z|ei(ψ+ϕ) . Demnach und nach der Funktionalgleichung gilt (eiϕ )n = einϕ für alle n ∈ Z . So erhalten wir die Moivresche Formel (cos ϕ + i sin ϕ)n = cos(nϕ) + i sin(nϕ) für alle n ∈ Z . Damit lässt sich z n folgendermaßen schreiben: z n = |z|n einϕ = |z|n (cos(nϕ) + i sin(nϕ)) . Die Formel von Abraham de Moivre gestattet eine einfache Herleitung der Darstellung von cos(nϕ) und sin(nϕ), mit n ≥ 1, als Polynom in cos ϕ und sin ϕ, indem Real- und Imaginärteil getrennt betrachtet werden. Beispielsweise erhalten wir cos(3ϕ) = cos3 ϕ − 3 cos ϕ sin2 ϕ und sin(3ϕ) = 3 cos2 ϕ sin ϕ − sin3 ϕ . Der Term (cos ϕ + i sin ϕ)n mit n ∈ N lässt sich auch allgemein mit Hilfe des Binomischen Lehrsatzes umformen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Der Binomische Lehrsatz und Binomialkoeffizienten Für n ∈ N definieren wir n! (n Fakultät) folgendermaßen: n! := n Y i = 1 · 2 · ... · (n − 1) · n . i=1 Zusätzlich sei 0! := 1 . Für n, k ∈ N0 , wobei n ≥ k, ist der Binomialkoeffizient nk (gesprochen n über k) folgendermaßen definiert: n n! n · (n − 1) · ... · (n − k + 1) := = . k k!(n − k)! 1 · 2 · ... · k Ist n < k, so setzen wir nk := 0. Beispiel: Die Anzahl 6-elementiger Teilmengen einer Menge von 49 Elementen beträgt 49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44 49 = 13 983 816 . = 1·2·3·4·5·6 6 Binomischer Lehrsatz: Sei x, y ∈ R und n ∈ N0 . Dann gilt n (x + y) = n X n k=0 k xn−k y k . Demnach gilt beispielsweise (x + y)0 = 1 , (x + y)1 = x + y , (x + y)2 = x2 + 2xy + y 2 , (x + y)3 = x3 + 3x2 y + 3xy 2 + y 3 und (x + y)4 = x4 + 4x3 y + 6x2 y 2 + 4xy 3 + y 4 . 20 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 21 Die jeweiligen Koeffizienten lassen sich in dem sog. Pascalschen Dreieck anordnen: 1 1 1 1 1 1 3 4 5 1 2 1 3 6 10 1 4 10 . 1 5 1 . . . . . Wie aus der Gleichung n n−1 n−1 = + k k−1 k hervorgeht, ist jede Zahl im Inneren des Dreiecks die Summe der beiden unmittelbar über ihr stehenden Zahlen. Nach dem Binomischen Lehrsatz erhalten wir n X n k n (cos ϕ + i sin ϕ) = i cosn−k ϕ · sink ϕ für alle n ∈ N . k k=0 Mit der Formel von Moivre folgt, durch Vergleich der Realteile: n n cos(nϕ) = cos ϕ − cosn−2 ϕ · sin2 ϕ 2 n n n−4 4 + cos ϕ · sin ϕ − cosn−6 ϕ · sin6 ϕ + ... . 4 6 Entsprechend folgt, durch Vergleich der Imaginärteile: n n−1 sin(nϕ) = n cos ϕ · sin ϕ − cosn−3 ϕ · sin3 ϕ 3 n n + cosn−5 ϕ · sin5 ϕ − cosn−7 ϕ · sin7 ϕ + ... . 5 7 Beispiel Nach dieser Regel erhalten wir wieder cos(3ϕ) = cos3 ϕ − 3 cos ϕ sin2 ϕ und sin(3ϕ) = 3 cos2 ϕ sin ϕ − sin3 ϕ . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.5 22 Die Wurzelfunktion n-te Einheitswurzeln: Sei n ∈ N mit n ≥ 2. Dann hat die Gleichung zn = 1 genau n Lösungen in C. Diese sind ζnk = ei 2kπ n mit k = 0, 1, ..., n − 1 . imaginäre Achse 2π ζ 1 =e 5 ζ 2 =e 4π i 5 i . . .1 ζ 3 =e 6π i 5 reelle Achse . . 8π ζ 4 =e 5 i Abbildung 1.8 Die fünften Eineitswurzeln Sei z ∈ C, a ∈ C∗ und n ∈ N mit n ≥ 2. Unter diesen Voraussetzungen suchen wir Lösungen der Gleichung zn = a . Ist a = 1 und ζn = exp(i 2π ), n so sind die n-ten Wurzeln von a die Zahlen 1, ζn , ..., ζnn−1 . Ist a = |a|eiϕ , so lassen sich die n-ten Wurzeln von z folgendermaßen schreiben: p i n |a| exp( (ϕ + 2kπ)) mit k ∈ Z . n Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 23 Sei z ∈ C, p, q ∈ R und die Diskriminante D = ( p2 )2 − q < 0. Dann sind die Lösungen der quadratische Gleichung z 2 + pz + q = 0 gegeben durch p p z1,2 = − ± |D|i . 2 Das quadratische Polynom p(z) = z 2 + pz + q hat daher keine Nullstellen in R, jedoch zwei Nullstellen in C. In C lässt sich das Polynom p(z) als Produkt von Linearfaktoren darstellen: p(z) = (z − z1 ) · (z − z2 ) . Anmerkung: Ist p = 0, so können wir die Nullstellen des Polynoms unmittelbar, mit obiger Formel für die Wurzelberechnung, angeben. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.6 24 Der Fundamentalsatz der Algebra Die Gleichung z n − a = 0 , mit z ∈ C, a ∈ C∗ , lässt sich auch als Aufgabe, die Nullstellen des Polynoms p(z) = z n − a zu finden, verstehen. Um quadratische Polynome in Linearfaktoren zu zerlegen, gibt es einfache Verfahren. Nun stellt sich die Frage, ob sich Polynome auch allgemein in Linearfaktoren zerlegen lassen, wenn der Zahlenkörper R oder aber C vorausgesetzt wird. Allgemein sind Polynome in C folgendermaßen definiert: Definition: Sei am ∈ C, m = 0, 1, ..., n, und an 6= 0. Dann ist p : C → C, z 7→ p(z) = a0 + a1 z + ... + an−1 z n−1 + an z n ein Polynom vom Grade n. Wir schreiben • p(z) ∈ C[z], wenn die Koeffizienten des Polynoms p komplexe Zahlen und • p(z) ∈ R[z], wenn die Koeffizienten des Polynoms p reelle Zahlen sind. Ein Polynom p(z) ∈ C[z] heißt komplexes Polynom und ein Polynom p(z) ∈ R[z] reelles Polynom. Sei pm (z) ∈ C[z] ein Polynom des Grades m ∈ N und z, z1 ∈ C mit z 6= z1 . Dann ist der Rest der Division von pn (z) durch (z − z1 ) gleich pn (z1 ), d.h.: pn (z) = (z − z1 )pn−1 (z) + pn (z1 ) . Ist pn (z) ohne Rest durch (z − z1 )k , jedoch nicht durch (z − z1 )k+1 teilbar, so ist z1 eine k-fache Nullstelle des Polynoms pn (z). Fundamentalsatz der Algebra: Jedes nicht-konstante komplexe Polynom hat mindestens eine Nullstelle in C. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 25 Faktorisierungssatz: Das Polynom p : C → C, z 7→ p(z) = a0 + a1 z + ... + an−1 z n−1 + an z n , mit am ∈ C, m = 0, 1, ..., n und an 6= 0 , lässt sich eindeutig (bis auf die Reihenfolge der Faktoren) als Produkt p(z) = an (z − z1 )m1 · (z − z2 )m2 · ... · (z − zr )mr schreiben. Dabei sind z1 , ..., zr ∈ C paarweise verschiedene Nullstellen, deren jeweilige Vielfachheit m1 , m2 , ..., mr ∈ N und m1 + m2 + ... + mr = n. Das Polynom p(z) ∈ C[z] zerfällt also vollständig in Linearfaktoren. Für Polynome p(z) ∈ R[z] gilt p(z) = p(z). Daher ist mit jeder Nullstelle zi auch zi eine Nullstelle. Ferner ist (z − zi )(z − zi ) ein reelles quadratisches Polynom. Daraus folgt, dass sich jedes Polynom p(z) ∈ R[z] vom Grade n ≥ 1, eindeutig als Produkt reeller Linearfaktoren und reeller quadratischer Polynome darstellen lässt. Das Horner-Schema Ein Polynom der Form p(z) = n X ak z n−k = a0 z n + a1 z n−1 + ... + an k=0 lässt sich auch folgendermaßen schreiben p(z) = ((...((a0 z + a1 )z + a2 )z + ...)z + an−1 )z + an . Mittels y0 := a0 und yi := yi−1 z + ai für i = 1, ..., n Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 26 steht uns ein iteratives Verfahren, mit yn = p(z), zur Berechnung von Polynomwerten zu Verfügung, das weniger Rechenschritte benötigt als die Berechnung nach der ursprünglichen Polynomdarstellung. Legen wir folgende Schreibweise des Polynoms zugrunde p(z) = an z n + an−1 z n−1 + ... + a1 z 1 + a0 , so setzen wir cn := an und ci−1 := ai−1 + bi−1 für i = n, n − 1, ..., 1 , wobei bi−1 := ci · z für i = n, n − 1, ..., 1 . Weiterhin gilt c0 = p(z) . Dieses iterative Verfahren zur Bestimmung von p(z) für einen festen Wert z = z0 lässt sich auch in Form einer Tabelle darstellen: an 0 = bn cn = an an−1 bn−1 cn−1 an−2 bn−2 cn−2 ... a0 ... b0 ... c0 = p(z0 ) Ein Polynom pn (z) lässt sich folgendermaßen schreiben: pn (z) = (z − z0 )pn−1 (z) + pn (z0 ) . Die Werte pn (z0 ) und die Koeffizienten des Polynoms pn−1 stehen in der dritten Zeile des Horner-Schemas zur Berechnung von p(z0 ). Beispiel: Berechnung von p(−2) für p(x) = x4 − 2x3 − 67x2 + 8x + 252 . Horner-Schema 1 0 1 −2 −67 8 −2 8 118 −4 −59 126 252 −252 0 = p(−2) Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 27 Außerdem erhalten wir p(x) = x4 − 2x3 − 67x2 + 8x + 252 = (x + 2) · (x3 − 4x2 − 59x + 126) . Erweitertes Horner-Schema Sei x, x0 ∈ R mit x 6= x0 . Der Grenzwert des Differenzenquotienten pn (x) − pn (x0 ) = pn−1 (x) x − x0 für x → x0 existiert. Daher ist pn im Punkt x0 differenzierbar und es gilt p0n (x0 ) := lim x→x0 pn (x) − pn (x0 ) = pn−1 (x0 ) . x − x0 Berechnung von p(−2) und p0 (−2) für p(x) = x4 − 2x3 − 67x2 + 8x + 252 . Wir erhalten p(x) − p(−2) = x3 − 4x2 − 59x + 126 . x+2 Erweitertes Horner-Schema 1 0 1 0 1 −2 −67 −2 8 −4 −59 −2 12 −6 −47 8 252 118 −252 126 0 94 220 Daher gilt p(−2) = 0 und p0 (−2) = 220 . Polynomdivision mit Hilfe des Horner-Schemas Sind die Nullstellen bekannt, so lassen sich die Koeffizenten der auftretenden Polynome dem Horner-Schema entnehmen. Beispiel: Das Polynom p(x) = x4 − 2x3 − 67x2 + 8x + 252 hat Nullstellen in x1 = −2, x2 = 9, x3 = −7 und x4 = 2 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 28 Wir erhalten x1 = −2 x2 = 9 x3 = −7 x4 = 2 1 0 1 0 1 0 1 0 1 −2 −67 8 252 −2 8 118 −252 −4 −59 126 0 9 45 −126 5 −14 0 −7 14 −2 0 2 0 Demnach gilt p(x) = x4 − 2x3 − 67x2 + 8x + 252 = (x + 2) · (x3 − 4x2 − 59x − 126) = (x + 2) · (x − 9) · (x2 + 5x − 14) = (x + 2) · (x − 9) · (x + 7) · (x − 2) . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.7 1.7.1 Anwendungen Komplexe Darstellung harmonischer Schwingungen Harmonische Schwingungen genügen der Differentialgleichung x00 (t) + ω 2 x(t) = 0 . Die allgemeine Lösung unserer Bewegungsgleichung hat folgende Form: x(t) = c1 · sin(ωt) + c2 · cos(ωt) . Andere Darstellungen der allgemeinen Lösung lauten x(t) = A · sin(ωt + α0 ) und x(t) = A · cos(ωt + ϕ0 ) . In der Ortsfunktion x(t) = A · cos(ωt + ϕ0 ) bezeichnet • A die Amplitude, d.h. die maximale Auslenkung aus der Ruhelage, und • ϕ0 den Nullphasenwinkel. Die Ortsfunktion lässt sich als Realteil von z(t) = Aei(ωt+ϕ0 ) =: z0 eiωt darstellen. Die Amplitude z0 = Aeiϕ0 ist hierbei komplex. 29 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 30 Es ist auch eine praktische Darstellung von cos und sin mit Hilfe des Einheitskreises möglich: g ( x )=cos( x) f ( x )=sin ( x) r=1 f ( x )=sin ( x) x g ( x )=cos( x) x Abbildung 1.9 Die Funktionen sin und cos und der Einheitskreis Entsprechend können wir eiωt+ϕ0 als Punkt des Einheitskreises in der komplexen Ebene darstellen: Im(z) . z (t )=ei( ω t +φ ) 1 0 sin (ω t 1+φ0 ) cos(ω t 1 +φ 0 ) Re(z) Abbildung 1.10 Die Funktion ei(ωt+ϕ0 ) und der Einheitskreis Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.7.2 31 Addition harmonischer Schwingungen gleicher Frequenz Gegeben seien zwei harmonische Schwingungen gleicher Richtung und gleicher Frequenz: y1 (t) = A1 sin(ωt + α1 ) und y2 (t) = A2 sin(ωt + α2 ) . Die Resultierende beider Schwingungen ist gegeben durch y(t) = y1 (t) + y2 (t) = (A1 cos α1 + A2 cos α2 ) sin(ωt) + (A1 sin α1 + A2 sin α2 ) cos(ωt) . Wir suchen zwei Konstanten A und α, so dass A1 cos α1 + A2 cos α2 = A cos α und A1 sin α1 + A2 sin α2 = A sin α . Diese sind gegeben durch q A = A21 + A22 + 2A1 A2 cos(α2 − α1 ) und tan α = A1 sin α1 + A2 sin α2 . A1 cos α1 + A2 cos α2 Damit können wir y(t) auch folgendermaßen schreiben: y(t) = A cos α sin(ωt) + A sin α cos(ωt) = A sin(ωt + α) . Andererseits lassen sich die beiden Gleichungen zur Bestimmung von A und α auch zu einer Gleichung in C zusammenfassen: A1 (cos α1 + i sin α1 ) + A2 (cos α2 + i sin α2 ) = A(cos α + i sin α) Mit Hilfe der Eulerschen Formel eiα = cos α + i sin α erhalten wir A1 eiα1 + A2 eiα2 = Aeiα =: z0 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 32 Setzen wir z0,1 = A1 eiα1 und z0,2 = A2 eiα2 , so nimmt die vorangegangene Gleichung die einfache Form z0,1 + z0,2 = z0 an. Die Addition zweier komplexer Zahlen lässt sich auch in einem Zeigerdiagramm veranschaulichen: Im(z) z 1+z 2 y 1+ y 2 z2 x2 z1 y1 y2 x1 + x 2 x1 Re(z) Abbildung 1.11 Zeigerdiagramm und Addition komplexer Zahlen Die Addition sinusförmiger Schwingungen verschiedener Amplitude und Phase, aber gleicher Frequenz lässt sich mit Hilfe von Zeigerdarstellungen sehr einfach durchführen: h (t )= f (t )+g (t ) f (t )= A1 sin (ω t +φ0 ) ωt g (t )= A2 cos(ω t +φ0) Abbildung 1.12 Addition sinusförmiger Schwingungen, Teil I Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 33 Wie das folgende Diagramm zeigt, ist die Amplitude der resultierenden Schwingung nicht notwendigerweise größer als die der einzelnen Schwingungen. g (t )= A2 sin (ωt +α 2 ) h (t )= f (t )+g (t ) f (φ)= A1 sin (ω t +α1 ) ωt Abbildung 1.13 Addition sinusförmiger Schwingungen, Teil II Die Funktion z(t) = Aei(ωt+α) = z0 eiωt genügt der Differentialgleichung z 00 (t) + ω 2 z(t) = 0 . Sowohl deren Real- als auch deren Imaginärteil repräsentieren harmonische Schwingungen. Beispielsweise gilt y(t) = Im(z(t)) = Im(z0 eiωt ) = A · Im(eiα eiωt ) = A · Im(ei(ωt+α) ) = A(sin(α) cos(ωt) + cos(α) sin(ωt)) = A sin(ωt + α) . Beispiel: Die Funktion y(t) = sin(ωt) + cos(ωt) lässt sich mit Hilfe des Additionstheorems sin(α + β) = sin α cos β + cos α sin β Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 34 umformen zu y(t) = A sin(ωt + ϕ0 ) , wobei ϕ0 = π 4 und A = √ 2 sind. Andererseits können wir A und ϕ0 auch mittels z(t) ∈ C bestimmen. Hierzu betrachten wir die Funktionen π z1 (t) = eiωt , z2 (t) = ei 2 · eiωt und deren Summe z(t) = z1 (t) + z2 (t) = z0 eiωt . Die komplexe Amplitude z0 lässt sich folgendermaßen darstellen: √ π π z0 = 1 + ei 2 = 1 + i = 2 · ei 4 . Hieraus folgt A= √ 2, ϕ = π 4 und y(t) = sin(ωt) + cos(ωt) = √ π 2 · sin(ωt + ) . 4 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.7.3 Wechselstromwiderstände Gehen wir davon aus, dass eine Spannung U (t) = U0 sin(ωt) an einem Ohmschen Widerstand anliegt, so beträgt die Stromstärke I(t) = U (t) U0 = sin(ωt) R R und die Leistung U02 P (t) = U (t)I(t) = sin2 (ωt) . R Der zeitliche Mittelwert P der Leistung beträgt 1 P = T ZT P (t) dt = 1 U02 . 2 R 0 Würde diese Leistung mittels Gleichspannung erreicht, so müsste eine Spannung U0 Uef f = √ 2 anliegen. 35 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 36 Wird der elektrische Widerstand nur durch einen Ohmschen Verbraucher verursacht, so sind Stromstärke I und die Leistung P reell. In diesem Falle ist P eine reine Wirkleistung. I U I= P R U R U Abbildung 1.14 Stromstärke I, Spannung U und Leistung P für einen Ohmschen Widerstand t Abbildung 1.15 zeitlicher Verlauf der Stromstärke I(t), Spannung U (t) und Leistung P (t) für einen Ohmschen Widerstand Ersetzen wir den Ohmschen Widerstand durch eine Spule, so stellt sich der Strom durch die Spule so ein, dass dI(t) = U (t) dt gilt. Da wir I(t) als Zeiger in der komplexen Ebene auffassen, schreiben wir L I(t) = I0 ei(ωt+ϕ0 ) mit I0 ∈ R . Für die Ableitung von I(t) gilt daher dI(t) = iωI(t) . dt Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 37 Wir erhalten I(t) = U (t) . iωL Bei einer Spule ist P eine reine induktive Blindleistung. I U U L P I= U iωL Abbildung 1.16 Stromstärke I, Spannung U und Leistung P für eine Spule t Abbildung 1.17 zeitlicher Verlauf der Stromstärke I(t), Spannung U (t) und Leistung P (t) für eine Spule Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 38 Für einen Kondensator gilt Q(t) C U (t) = und somit I(t) = dU (t) dQ(t) =C = iωCU (t) . dt dt Bei einem Kondensator ist P eine reine kapazitive Blindleistung. I =i ω CU P I U C U Abbildung 1.18 Stromstärke I, Spannung U und Leistung P für einen Kondensator t Abbildung 1.19 zeitlicher Verlauf der Stromstärke I(t), Spannung U (t) und Leistung P (t) für einen Kondensator Mit Z ∈ C bezeichnen wir den elektrischen Widerstand, gegeben durch Z := U I und mit Y ∈ C den Leitwert, gegeben durch den Kehrwert von Z. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 39 Zusammengefasst gilt • für den Ohmschen Widerstand Z = R, • für die Spule Z = iωL • und für den Kondensator Z= 1 . iωC Durch Linearkombination dieser Widerstandswerte entstehen allgemeinere komplexe Widerstandswerte. Als komplexe Zahlen lassen sie sich folgendermaßen darstellen: Z = Re(Z) + i Im(Z) . Die Zahl Z ∈ C wird auch als Impedanz bezeichnet. Der Anteil Re(Z) gibt die Komponente der Spannung an, die mit dem Strom phasengleich ist. Dieser heißt Wirkwiderstand. Der Anteil Im(Z) heißt Blindwiderstand. Bezeichnen Ief f und Uef f die Effektivwerte der Stromstärke bzw. Spannung und ϕ die Phasenverschiebung zwischen Stromstärke und Spannung, so beträgt die (zeitlich gemittelte) Wirkleistung Pw = Uef f Ief f cos ϕ und die (zeitlich gemittelte) Blindleistung Pb = Uef f Ief f sin ϕ . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 40 Sind ein Ohmscher Widerstand und eine Spule in Reihe geschaltet, so addieren sich deren Widerstände. Die Amplitude der Gesamtspannung beträgt p U0 = I0 R2 + (ωL)2 . Der Strom weist gegenüber der Spannung eine Phasenverschiebung ϕ mit tan ϕ = − ωL R auf. U L=i ω L I I U U R L I U R=R I Abbildung 1.20 Zeigerdiagramm für eine Reihenschaltung von Ohmschen Widerstand und Spule Sind ein Ohmscher Widerstand und ein Kondensator parallel geschaltet, so addieren sich deren Leitwerte. Die Amplitude des Gesamtstroms beträgt r 1 I0 = U0 + (ωC)2 . R2 Der Strom weist gegenüber der Spannung eine Phasenverschiebung ϕ mit tan ϕ = ωCR auf. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 41 I IC I U C IR R U Abbildung 1.21 Zeigerdiagramm für eine Parallelschaltung von Ohmschen Widerstand und Kondensator Um den Einfluss eines Schaltelements auf die Schaltung zu untersuchen, bietet sich die graphische Methode der Ortskurven an. Hat eine Schaltung den komplexen Widerstand Z = Z0 eiδ , so erhalten wir deren Leitwert Y = Y0 e−iδ durch Inversion von |Z| und anschließende Spiegelung an der reellen Achse. 0A0 0T Da die Dreiecke 0T A0 und 0AT ähnlich sind, gilt = . 0T 0A 1 . Mit 0T = 1, folgt hieraus, dass 0A0 = 0A imaginäre Achse T A A' 0 A' ' reelle Achse Abbildung 1.22 Inversion einer komplexen Zahl Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 42 Geraden und Kreislinien sind genau jene Punktmengen, die sich durch eine Gleichung der Form αz z̄ + cz + c̄z̄ + δ = 0 , mit α, δ ∈ R, c ∈ C und cc̄ > αδ, beschreiben lassen. 1 Setzen wir hier w = , so erhalten wir, nach Multiplikation mit ww̄, z δww̄ + cw̄ + c̄w + α = 0 . Hier betrachten wir einige Ortskurven zu einfachen Reihen- und Parallelschaltungen: R L R L Z Y Z Y Abbildung 1.23 Ortskurven für die Serien- und Parallelschaltung eines Ohmschen Widerstandes und einer Spule R C R C Z Y Y Z Abbildung 1.24 Ortskurven für die Serien- und Parallelschaltung eines Ohmschen Widerstandes und eines Kondensators Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.8 43 Übungaufgaben: Komplexe Zahlen Aufgabe 1 Bestimmen Sie Real- und Imaginärteil der folgenden komplexen Zahlen: √ √ a) z = (3 + 2i) + (5 − 7i), b) z = (3 − i)(5 − 7i), c) z = ( 3 + i)(−3 + 3 i), √ √ d) z = ( 2 − 2i)2 , e) z = −4, f) z = 7 + 2i, g) z = (3 + 2i)(5 − 7i), j) z = h) z = 5 − 10i , 3 + 4i i) z = −2 − 5i , 8 − 6i 1 . 3 + 4i Aufgabe 2 Stellen Sie folgende komplexe Zahlen z in der Form x + iy, mit x, y ∈ R, dar und skizzieren sie diese jeweils: a) 1 , 5 − 4i b) 1−i , 1+i c) 1 . (1 − i)2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 44 Aufgabe 3 Berechnen Sie die Polarkoordinaten der folgenden komplexen Zahlen und stellen Sie diese komplexen Zahlen in der Gaußschen Zahlenebene dar: a) 4 − i, d) 3i, b) −3 − 2i, c) −5 + 4i, √ √ e) − 3, f) −1 − 8 i, g) −3 + 4i, h) i(3 + i), 1 , 3 + 4i 1−i m) , 1+i j) k) 1 , 1+i 3−i , −i 1+i l) , 1−i i) n) (1 + i)4 . Aufgabe 4 Stellen Sie die komplexen Zahlen z mit folgenden Eigenschaften in der Form z = x + iy, mit x, y ∈ R, dar: a) |z| = 2, arg(z) = π, √ π b) |z| = 2, arg(z) = , 4 c) |z| = 4, arg(z) = 2π . 3 Aufgabe 5 Skizzieren Sie folgende Punktmengen: a) {z ∈ C | 0 < Re(z) < 2}, b) {z ∈ C | Im(z) = Re(z)}, c) {z ∈ C | |z| < 2}, d) {z ∈ C | arg(z) = π3 }, e) {z ∈ C | π3 < arg(z) < π}, f) {z ∈ C | π3 < arg(z) < π, |z| = 1}, g) {z ∈ C\{0} | z = 1}, z̄ h) {z ∈ C | z · z̄ ≥ 4}. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 45 Aufgabe 6 Berechnen Sie folgende Potenzen: a) i2007 , 1 d) ( √ (1 − i))25 , 5 2 1√ 1 √ 1000 2+ 2 i) , 2 2 1 √ 1000 1√ 2− 2 i) , e) ( 2 2 b) ( c) (−1 + f) (−1 − √ √ 3 i)12 , 3 i)12 . Aufgabe 7 Bestimmen Sie alle Lösungen von √ z 4 = 8 2(1 + i) in C und skizzieren Sie diese in der Gaußschen Zahlenebene. Aufgabe 8 Bestimmen Sie Realteil und Imaginärteil der folgenden komplexen Zahlen z und skizzieren Sie z in der Gaußschen Zahlenebene: √ √ √ b) 4 1 + i, c) 5 −32, a) i, q p √ √ √ 4 d) 3 + 27 i, e) 5 16(1 + 3 i), f) 8 1, q p √ √ 4 −3 + 27 i, h) 5 16(−1 − 3 i). g) Aufgabe 9 Bestimmen Sie das Polynom fünften Grades mit reellen Koeffizienten, p(z) = a5 z 5 + a4 z 4 + a3 z 3 + a2 z 2 + a1 z + a0 , welches eine doppelte Nullstellen bei z = −2, einfache Nullstellen bei z = 2 und z = 3 + 2i besitzt und der Bedingung p(3) = 3 genügt. Aufgabe 10 Berechnen Sie die Werte des Polynoms q(x) = −x3 + 5x2 + 8x − 12 an den Stellen x = −1 und x = 1 mit Hilfe des Horner-Schemas und schreiben Sie das Polynom als Produkt von Linearfaktoren. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 46 Aufgabe 11 Stellen Sie die Summe folgender harmonischer Schwingungen ui (t) in der Form u(t) = A sin(ωt + ϕ) dar. a) Gegeben sei u1 (t) = sin(πt) , u2 = 2 sin(πt + 5π ). 6 b) Gegeben sei u1 (t) = sin t , u2 (t) = − cos t . Aufgabe 12 Gegeben sind die Schwingungen u1 (t) = 3 cos(2t) , u2 (t) = √ √ π 11 3 sin(2t + ) , u3 (t) = 3 sin(2t + π) . 6 6 Berechnen Sie die Überlagerung u(t) = u1 (t) + u2 (t) + u3 (t) mit Hilfe komplexer Rechnung und geben Sie Ihr Ergebnis in der folgenden Form an: u(t) = A sin(ωt + ϕ) , wobei A > 0, ω und ϕ explizit anzugeben sind. Aufgabe 13 Sei f : C\{0} → C, z 7→ z −1 . Bestimmen Sie die Bilder f (M ) der folgenden Punktmengen: a) M = {z = (1 + i)t t ∈ R}, b) M = {z = i − (1 + i)t t ∈ R}, c) M = {z ∈ C | |z − (1 + 2i)| = 1}. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Aufgabe 14 Sei f : C\{0} → C, z 7→ z −1 und L sei eine Kreislinie in C mit Mittelpunkt c ∈ C und Radius R > 0. Zeigen Sie: a) Ist c = 0, so ist f (L) die Kreislinie um 0 mit Radius R−1 . b) Ist c 6= 0 und R 6= |c|, so ist f (L) die Kreislinie um |c|2 c̄ R . mit Radius 2 2 −R ||c| − R2 | c) Ist c 6= 0 und R = |c|, so ist f (L\{0}) eine Gerade durch (2c)−1 . Aufgabe 15 Bestimmen Sie folgende Punktmengen und skizzieren Sie diese: a) {z ∈ C | |z − i| = |z + i|}, b) {z ∈ C | 2|z + i|}. 47 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2 48 Differentialrechnung von Funktionen einer reellen Veränderlichen 2.1 Folgen und Reihen Unter einer Folge reeller Zahlen versteht man eine Abbildung n 7→ an , wobei n ∈ N0 = {0, 1, 2, 3, ...} oder n ∈ N = {1, 2, 3, ...} und an ∈ R. Die Zahlenfolge ist daher eine Abbildung von N0 → R. Man schreibt dafür (an )n∈N0 oder (a0 , a1 , a2 , ...). 1 1 Beispiel: Die Abbildung n 7→ √ definiert eine Folge ( √ )n∈N . n n Beispiele (1) an = (−1)n , n ∈ N0 : (1, −1, 1, −1, 1, −1, ...) (2) arithmetische Folge: an = a1 + (n − 1) · d, n ∈ N, d ∈ R (3) geometrische Folge: an = a1 q n−1 , n ∈ N, q ∈ R\{0, 1} (4) an = n , n+1 n ∈ N0 : (0, 12 , 23 , 34 , 45 , ...) (5) Sei a0 = 1, a1 = 1 und an = an−1 + an−2 für n ≥ 2. Diese Folge (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, ...) heißt Folge der ”Fibonacci-Zahlen”. 2.1.1 Konvergenz von Folgen Definition: Sei (an )n∈N0 eine Folge reeller Zahlen. Die Folge heißt konvergent gegen a ∈ R, falls zu jedem > 0 ein N = N () ∈ N0 existiert, so dass |an − a| < für alle n ≥ N . Schreibweise: lim an = a n→∞ Die reelle Zahl a heißt Grenzwert oder Limes der Zahlenfolge (an )n∈N0 . Satz (Eindeutigkeit des Limes): Die Folge (an )n∈N0 besitzt höchstens einen Grenzwert. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 49 Beweis: Angenommen (an )n∈N0 konvergiere gegen a und ã, wobei a 6= ã. Wir setzen := |a − ã| . 2 Da lim an = a gilt, existiert ein N ∈ N, so dass n→∞ |an − a| < für alle n ≥ N . Da lim an = ã gilt, existiert ein Ñ ∈ N, so dass n→∞ |an − ã| < für alle n ≥ Ñ . Für n > max(N, Ñ ) erhalten wir nun |a − ã| = |(a − an ) + (an − ã)| ≤ |an − a| + |an − ã| < 2 = |a − ã| . Da das ein Widerspruch ist, muss die Annahme falsch sein. Beispiele für konvergente Folgen Die Folge ( n12 )n∈N konvergiert: 1,2 an 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 1 2 3 4 5 6 7 n Abbildung 2.1 Die Folge (n−2 )n∈N Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 50 1 Die Folge ((−1)n )n∈N konvergiert: n 0,6 an 0,4 0,2 0 -0,2 -0,4 -0,6 -0,8 -1 -1,2 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 n 11 Abbildung 2.2 Die Folge ((−1)n n−1 )n∈N 1 Die Folge ( √ )n∈N konvergiert: n an 2 1,8 1,6 1,4 1,2 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 1 2 3 4 5 6 7 n 8 √ Abbildung 2.3 Die Folge (( n)−1 )n∈N Beispiele zum Grenzwert (1) Sei an = n1 , n ∈ N. Die Folge lautet also 1 1 1 (an )n∈N = (1, , , , ...) . 2 3 4 Es gilt 1 = 0, n→∞ n lim Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg da zu > 0 ein N () ∈ N existiert, so dass |an − a| = | 1 1 − 0| = < für alle n ≥ N () . n n Hierzu muss lediglich N () > 1 gewählt werden. (2) Sei an = 1 − n1 , n ∈ N. Die Folge 1 2 3 (an )n∈N = (0, , , , ...) . 2 3 4 konvergiert gegen 1, da |an − a| = |1 − 1 1 − 1| = n n und wir wie in (1) argumentieren können. (3) Sei an = 1 + (−1)n , n n ∈ N. Die Folge 3 2 3 (an )n∈N = (0, , , , ...) . 2 3 4 konvergiert gegen 1, da |an − a| = |1 + (−1)n 1 − 1| = n n und wir wieder wie in (1) verfahren können. (4) Sei an = √1 , n n ∈ N. Die Folge 1 1 1 (an )n∈N = (1, √ , √ , √ , ...) . 2 3 4 konvergiert gegen 0, da zu > 0 ein N () ∈ N existiert, so dass 1 1 |an − a| = | √ − 0| = √ < für alle n ≥ N () . n n Hierzu muss lediglich N () > 1 gewählt werden. 2 51 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 52 Wenn die reelle Zahlenfolge gegen keine reelle Zahl konvergiert, dann wird sie divergent genannt. Beispiele für divergente Folgen Die Folge (n)n∈N divergiert, wie die nächste Abbildung zeigt: 8 an 7 6 5 4 3 2 1 1 2 3 4 5 6 7 n 8 Abbildung 2.4 Die Folge (n)n∈N Die Folge (n2 )n∈N divergiert: 120 an 100 80 60 40 20 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 n Abbildung 2.5 Die Folge (n2 )n∈N Definition: Eine Folge (an )n∈N0 reeller Zahlen heißt bestimmt divergent gegen +∞ (bzw. −∞), wenn es zu jedem K ∈ R ein N ∈ N0 gibt, so dass an > K (bzw. an < K) für alle n ≥ N . Schreibweise: lim an = ∞ n→∞ Statt bestimmt divergent sagt man auch uneigentlich konvergent. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 53 Die Folge ((−1)n )n∈N divergiert: 1,5 an 1 0,5 0 -0,5 -1 -1,5 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 n 14 Abbildung 2.6 Die Folge ((−1)n )n∈N Eine Zahl a heißt Häufungspunkt einer Folge (an )n∈N0 , wenn es eine Teilfolge von (an ) gibt, die gegen a konvergiert. Beispielsweise besitzt die Folge ((−1)n )n∈N0 die Häufungspunkte +1 und -1. Definition: Sei (an )n∈N0 eine Folge und n1 < n2 < n3 < .... eine aufsteigende Folge natürlicher Zahlen. Dann heißt die Folge (ank )k∈N0 = (an1 , an2 , an3 , ....) Teilfolge der Folge (an )n∈N0 . Summe, Differenz, Produkt und Quotient konvergenter Folgen Seien (an )n∈N0 und (bn )n∈N0 konvergente Folgen mit lim an =: a und lim bn =: b , n→∞ n→∞ so konvergiert auch die Folge (cn )n∈N0 mit cn := an · bn und es gilt lim cn = lim an · lim bn = a · b . n→∞ n→∞ n→∞ Entsprechende Regeln gelten für die Addition und Subtraktion. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 54 Seien (an )n∈N0 und (bn )n∈N0 konvergente Folgen mit lim an =: a und lim bn =: b 6= 0 , n→∞ n→∞ so existiert ein N ∈ N0 , so dass bn 6= 0 für alle n ≥ N . Sei cn := an für alle n ≥ N . bn Dann konvergiert die Folge (cn )n≥N und lim an lim cn = n→∞ n→∞ lim bn = n→∞ a . b Beispiele • Für die Folge (an )n∈N mit 4 + n7 − n32 4n2 + 7n − 3 = an = 7n2 + 2 7 + n22 verwenden wir 1 = 0 für alle k ∈ N . n→∞ nk lim Da (an )n∈N Summe, Differenz und Quotient (mit Nenner 6= 0) konvergenter Folgen ist, konvergiert (an )n∈N . Der Grenzwert ist lim an = n→∞ 4 . 7 • Gegeben sei eine Folge (an )n≥2 mit n Y (1 − k=2 1 ) für n ≥ 2 . k2 Es gilt a2 = 3 4 und für n ≥ 3: an = an−1 (1 − 1 (n + 1)(n − 1) ) = an−1 . 2 n n2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 55 Demnach gilt an n−1 2 32 1 n = an−1 = ... = a2 = = für alle n ≥ 3 . n+1 n 3 43 2 Somit erhalten wir an = 1n+1 1 1 = (1 + ) für alle n ≥ 3 . 2 n 2 n Die Folge (an )n≥2 ist demnach konvergent und es gilt lim an = n→∞ 1 . 2 Beschränkte Folgen Bekanntlich ist jede konvergente Folge beschränkt, d.h. es existiert eine obere und untere Schranke. Zwar gilt die Umkehrung der Aussage nicht, doch finden wir folgende Aussagen: • Jede beschränkte monotone Folge (an )n∈N0 reeller Zahlen konvergiert. – Ist (an )n∈N0 monoton wachsend und nach oben beschränkt, so konvergiert die Folge. – Ist (an )n∈N0 monoton fallend und nach unten beschränkt, so konvergiert die Folge. • Satz von Bolzano-Weierstraß: Jede beschränkte Folge (an )n∈N0 reeller Zahlen besitzt eine konvergente Teilfolge. Beispiel zur Konvergenz einer monotonen beschränkten Folge Die Folge ((1 + 9 64 1 n ) )n∈N = (2, , , ...) n 4 27 ist monoton wachsend und nach oben beschränkt. Demnach konvergiert die Folge. Ihr Grenzwert ist die Eulersche Zahl e = 2, 71828... . Der Begriff der Cauchy-Folge Eine Folge (an )n∈N0 heißt Cauchy-Folge, falls zu jedem > 0 ein N = N () ∈ N0 existiert, so dass |an − am | < für alle n, m ≥ N . Folglich ist jede konvergente Folge auch eine Cauchy-Folge. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 56 Umgekehrt konvergiert, nach dem Vollständigkeitsaxiom, in R jede Cauchy-Folge. Beispiel zur Konvergenz einer Cauchy-Folge Für eine Folge (an )n∈N gelte für n > 2 |an+1 − an | ≤ q|an − an−1 | mit 0 < q < 1 . Es lässt sich zeigen, dass |an+1 − an | ≤ q n−1 |a2 − a1 | , und mit Hilfe der Dreiecksungleichung, dass |an+r − an | ≤ |an+r − an+r−1 | + .... + |an+2 − an+1 | + |an+1 − an | , mit r ∈ N . Daher gilt |an+r − an | ≤ (q n+r−2 + ... + q n + q n−1 ) |a2 − a1 | und somit |an+r − an | ≤ q n−1 |a2 − a1 | . 1−q Nun kann zu jedem > 0 ein N ∈ N so gewählt werden, dass q n−1 |a2 − a1 | < für alle n ≥ N . 1−q Demnach ist (an )n∈N eine Cauchy-Folge in R und damit eine konvergente Folge. 2.1.2 Eine numerische Anwendung Um die Quadratwurzel positiver reeller Zahlen numerisch zu berechnen, stellen wir hier ein Verfahren vor, dass besonders schnell gegen die Lösung der Gleichung a2 = b konvergiert. Dabei seien b und a positive reelle Zahlen. Mittels an+1 = b 1 (an + ) mit n ∈ N 2 an ist eine Folge (an )n∈N rekursiv definiert. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Es lässt sich zeigen, dass die Folge (an )n∈N gegen die Quadratwurzel von b konvergiert und √ b ≤ b ≤ an für alle n ≥ 2 an gilt. Beweis Es gilt an > 0 für alle n ∈ N. Ferner erhalten wir für alle n ≥ 2: a2n − b = b 2 1 b 2 1 (an−1 + ) − b = (an−1 − ) ≥ 0. 4 an−1 4 an−1 Daher gilt an − an+1 = an − 1 b 1 (a2 − b) ≥ 0 . (an + ) = 2 an 2an n −1 Aus a−2 folgt für cn := n ≤ b b an die Ungleichung c2n ≤ b für alle n ≥ 2 . Weiterhin erhalten wir cn ≤ cn+1 für alle n ≥ 2 . Zusätzlich gilt cn ≤ an für alle n ≥ 2 , da andernfalls c2n > a2n wäre. Bisher wissen wir, dass (an )n≥2 eine monoton fallende und beschränkte Folge mit c 2 ≤ an ≤ a2 ist. Demnach konvergiert die Folge, und für den Grenzwert der Folge gilt a ≥ c2 ≥ 0 . Außerdem erhalten wir 1 b 1 b (an + ) = (a + ) n→∞ 2 an 2 a a = lim an+1 = lim n→∞ und daher a2 = b . 57 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 58 Beispiel Der Wert von √ 3 zum Startwert a1 = 1 n an 1 2 3 4 5 1, 0 2, 0 1, 75 1, 732 142 857 1, 732 050 810 b an 3, 0 1, 5 1, 714 285 714 1, 731 958 763 1, 732 050 805 Es gilt außerdem √ b ≤ b ≤ an für alle n ≥ 2 . an √ Zum Vergleich: 3 ≈ 1, 732 050 808. Wie sich gezeigt hat, gilt √ b ≤ b ≤ an für alle n ≥ 2 an für die Folge (an )n∈N mit an+1 = 1 b (an + ) mit n ∈ N 2 an Überdies konvergieren die beiden Folgen ( b )n∈N und (an )n∈N . an 3,5 b an 3 2,5 2 1,5 an 1 0,5 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4 4,5 5 n 5,5 Abbildung 2.7 Zur Konvergenz von ( abn )n∈N und (an )n∈N Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.1.3 59 Reihen Sei (an )n∈N0 eine Folge reeller Zahlen. Die Folge der Partialsummen sn := n X ak , mit n ∈ N0 , k=0 heißt (unendliche) Reihe und wird mit ∞ P ak bezeichnet. k=0 Konvergiert die Folge (sn )n∈N0 , so wird ihr Grenzwert ebenfalls mit ∞ P ak bezeichnet. k=0 Beispiele für Summenformeln (1) Für alle Zahlen n ∈ N gilt die Summenformel n X k=1 k= n(n + 1) 2 (2) Für eine arithmetische Folge (an )n∈N erhalten wir die Summenformel n X k=1 ak = n (a1 + an ) 2 (3) Für die geometrische Folge (an )n∈N erhalten wir die Summenformel n X k=1 ak = a1 · 1 − qn 1−q Diese Beispiele geben Summenformeln für n P an wieder. Dabei sind (an )n∈N arithmetische k=1 bzw. geometrischen Folgen. Die Folge der Partialsummen sn := n X ak , 1 ≤ n ≤ N , k=1 mit festem N ∈ N0 , lässt sich auch als endliche Reihe bezeichnen. (1) Ist (an )n∈N eine arithmetische Folge, so heißt (sn )1≤n≤N (endliche) arithmetische Reihe. (2) Ist (an )n∈N eine geometrische Folge, so heißt (sn )1≤n≤N (endliche) geometrische Reihe. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 60 Heben wir die Beschränkung auf, dass, bei arithmetischer und geometrischer Reihe, n ein fester endlicher Wert ist, so können wir auch unendliche arithmetische und geometrische Reihen untersuchen. Während die arithmetische Reihe für n → ∞ divergiert, gibt es bei der geometrischen Reihe auch konvergente Folgen von Partialsummen, d.h. eine konvergente unendliche geometrische Reihe. Sei |q| < 1. Dann gilt ∞ X ak = a1 k=1 1 1−q Um die Konvergenz von Reihen allgemeiner behandeln zu können, befassen wir und im nächsten Abschnitt mit einigen Konvergenzkriterien. Konvergenzkriterien für Reihen Allgemeines Cauchysches Konvergenzkriterium Sei (an )n∈N0 eine Folge reeller Zahlen. Dann konvergiert die Reihe ∞ X an n=0 genau dann, wenn sie einen Cauchy-Folge ist, d.h., wenn gilt: Zu jedem > 0 existiert ein N ∈ N0 , so dass n X ak < für alle n ≥ m ≥ N . k=m Eine notwendige, aber nicht hinreichende, Bedingung für die Konvergenz einer Reihe ∞ X an n=0 ist, dass lim an = 0 . n→∞ Beweis: Da eine konvergente Folge auch Cauchy-Folgen ist, existiert ein N ∈ N0 , so dass n X ak < für alle n ≥ m ≥ N . k=m Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 61 Hieraus folgt insbesondere, dass |an | < für alle n ≥ N . Besteht eine Reihe ∞ P an nur aus nicht-negativen Reihengliedern an , so ist die Reihe genau n=0 dann konvergent, wenn sie beschränkt ist. Dieses Ergebnis lässt sich leicht zeigen, da die Folge der Partialsummen monoton wachsend ist. ∞ P Eine Reihe an heißt absolut konvergent, wenn n=0 ∞ X |an | n=0 konvergiert. Konvergiert eine Reihe absolut, so konvergiert sie auch im gewöhnlichen Sinne. Umgekehrt ist eine konvergente Reihe jedoch nicht notwendigerweise absolut konvergent, wie sich beispielsweise bei der alternierenden harmonischen Reihe zeigt. Anders als für endliche Summen ist es nicht selbstverständlich, dass eine konvergente Reihe nach Umordnung noch konvergent ist und der Grenzwert durch die Umordnung nicht verändert wird. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass die Reihe absolut konvergiert. Definition: Sei ∞ X an eine Reihe. Ist τ : N → N eine bijektive Abbildung, so heißt die Reihe n=0 ∞ X aτ (n) n=0 eine Umordnung der gegebenen Reihe. Ist ∞ X an eine absolut konvergente Reihe mit dem Grenzwert g, so konvergiert jede Umordnung n=0 der Reihe ebenfalls gegen g. Auch für den folgenden Satz genügt die bloße Konvergenz der Reihen nicht. Vielmehr wird absolute Konvergenz gefordert. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 62 Das Cauchy-Produkt von Reihen Seien ∞ X an und n=0 ∞ X bn absolut konvergente Reihen. Wir setzen n=0 cn := n X an−k bk für n ∈ N . k=0 Dann ist die Reihe ∞ X cn absolut konvergent und es gilt n=0 ∞ X cn = n=0 ∞ X ! an n=0 ∞ X ! bn . n=0 Quotientenkriterium (A) Sei ∞ P an eine Reihe mit an 6= 0 für alle n ≥ N . n=0 • Existiert eine Zahl θ ∈ R mit 0 < θ < 1, so dass an+1 an ≤ θ , für alle n ≥ N , gilt, dann konvergiert die Reihe Daher konvergiert auch ∞ P ∞ P n=0 an . n=0 • Gilt hingegen an+1 an ≥ 1 , für alle n ≥ N , so divergiert die Reihe. an absolut. Das bedeutet, dass ∞ P n=0 |an | konvergiert. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg (B) Es sei ∞ P 63 an eine Reihe mit an > 0. Ferner existiere der Grenzwert n=0 an+1 . n→∞ an q := lim • Ist q < 1, so konvergiert die Reihe ∞ P an . n=0 • Ist q > 1, so divergiert die Reihe ∞ P an . n=0 • Für q = 1 ist eine entsprechende Aussage nicht möglich. Anmerkung: Die Aussage zur Divergenz lässt sich einfach zeigen, da die Folgeglieder einer konvergenten Reihe gegen Null konvergieren. Beispiele • Die Reihe ∞ X n 2n n=1 konvergiert, da n+1 n 2n+1 an+1 = lim (n + 1) · 2 = lim q = lim n→∞ an n→∞ 2nn n→∞ n · 2n+1 n+1 1 = < 1. n→∞ n · 2 2 • Die harmonische Reihe ∞ X 1 = lim n=1 n divergiert, wie wir noch zeigen werden. Zwar gilt an+1 n = < 1 , für alle n ≥ 1 , an n+1 aber es gibt kein θ < 1 mit an+1 an ≤ θ , für alle n ≥ N . Das Quotientenkriterium ist für Reihen der Form ∞ X 1 , mitk ∈ N , nk n=1 nicht anwendbar. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 64 Majorantenkriterium Sei ∞ X cn eine konvergente Reihe mit n=0 cn ≥ 0 , für alle n ∈ N0 und (an )n∈N eine Folge mit |an | ≤ cn für alle n ∈ N0 . Dann konvergiert die Reihe Beweis: Da die Reihe ∞ X ∞ P |an | und daher n=0 ∞ P an . n=0 cn konvergiert, ist diese Folge der Partialsummen auch eine Cauchy- n=0 Folge. Daher existiert zu jedem > 0 ein N ∈ N0 , so dass n X ck < für alle n ≥ m ≥ N . k=m Demnach gilt n X |ak | ≤ k=m n X ck < für alle n ≥ m ≥ N . k=m Mit dem allgemeinen Cauchyschen Konvergenzkriterium ist die Behauptung bewiesen. Anmerkungen • Die Reihe ∞ P cn heißt Majorante von n=0 • Bildet stattdessen ∞ P an . n=0 ∞ P cn eine divergente Reihe mit n=0 cn ≥ 0 für alle n ∈ N0 und an ≥ cn für alle n ∈ N0 , ∞ P dann divergiert die Reihe an . n=0 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 65 Beispiele • Zwar konvergieren die Reihenglieder der harmonischen Reihe ∞ X 1 n n=1 gegen Null, jedoch divergiert die harmonische Reihe. Anmerkung: Das Quotientenkriterium kann hier nicht angewendet werden. Beweis: Um die Folge der Partialsummen m X 1 )m∈N ( n n=1 nach unten abzuschätzen, betrachten wir die Partialsummen ! k+1 p+1 2X k 2X 1 1 X 1 s2k+1 = =1+ + n 2 p=1 n=2p +1 n n=1 =1+ 1 + 2 1 1 + 3 4 + 1 1 1 1 + + + 5 6 7 8 + ... + k+1 2X n=2k +1 1 n Die Summe jeder dieser Terme in Klammern ist größer oder gleich 12 . Somit folgt s2k+1 ≥ 1 + k . 2 Das bedeutet aber, dass die Folge der Partialsummen unbeschränkt ist. • Die Reihe ∞ X 1 √ n n=1 divergiert, da 1 1 √ ≥ , für alle n ≥ 1 , n n gilt und die harmonische Reihe divergiert. ∞ 1 P , mit k ∈ N : k ≥ 2, konvergiert. k n=1 n m P m 1 Begründung: = und Anwendung des Majorantenkriteriums. m+1 n=1 n(n + 1) • Die Reihe Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 66 • Die Reihe ∞ X 1 nn n=1 konvergiert, da m m n X X 1 1 , für alle m ≥ 2 , ≤1+ n n 2 n=1 n=2 gilt, die geometrische Reihe mit |q| < 1 konvergiert und daher eine Majorante existiert. Grenzwertkriterium Seien an > 0 und bn > 0, für n ∈ N0 . Existiert der Grenzwert lim n→∞ an = q, bn wobei 0 < q < ∞, so sind die Reihen ∞ X an und ∞ X bn n=0 n=0 entweder beide konvergent oder beide divergent. Beispiele • Die Reihe ∞ X n=1 lim an n→∞ 1 n n divergiert, da n2 + 2 n n2 +2 1 n→∞ n = lim n2 1 = lim =1 n→∞ n2 + 2 n→∞ 1 + 22 n = lim gilt und die harmonische Reihe divergiert. • Die Reihe ∞ X n=1 an lim n→∞ 12 n n konvergiert, da, mit | cos n| ≤ 1, + cos n n3 = n n3 +cos n lim 1 n→∞ n2 gilt und die Reihe n3 1 = lim 3 = lim =1 n→∞ n + cos n n→∞ 1 + cos3n n ∞ X 1 konvergiert. 2 n n=1 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 67 Wurzelkriterium (A) Sei ∞ P an eine Reihe mit an ≥ 0. n=0 • Existiert eine Zahl θ ∈ R mit 0 < θ < 1 und ein N ∈ N0 , so dass √ n an ≤ θ < 1 für alle n ≥ N gilt, dann konvergiert die Reihe ∞ P an . n=0 • Gilt hingegen √ n an ≥ 1 für alle n ≥ N , so divergiert die Reihe ∞ P an . n=0 Anmerkungen • Die Aussage zur Divergenz lässt sich einfach zeigen, da die Folgeglieder einer konvergenten Reihe gegen Null konvergieren. • Sind die Folgeglieder der Reihe nicht alle positiv, so lässt sich stattdessen die Konvergenz ∞ P von |an | behandeln. n=0 (B) Sei ∞ P an eine Reihe mit an ≥ 0. Hat die Folge n=0 √ ( n an )n∈N0 einen Grenzwert g, so ist die Reihe ∞ P n=0 • für g < 1 konvergent • für g > 1 divergent. an Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Anmerkungen • Für g = 1 ist eine entsprechende Schlußfolgerung nicht möglich. • Beispielsweise gilt √ lim n n = 1 , n→∞ lim n→∞ √ n a = 1 , für a > 0 . Beispiel Die Reihe ∞ X (5n)n+1 n2n n=1 konvergiert, da g = lim √ n r an = lim n n→∞ n→∞ √ (5n)n+1 5n √ n n = lim ( · 5 · n) 2n 2 n→∞ n n √ √ 5 n · lim 5 · lim n n = 0 · 1 · 1 = 0 < 1 . n→∞ n→∞ n n→∞ = lim Leibnizsches Konvergenzkriterium für alternierende Reihen Sei (an )n∈N0 eine monoton fallende Folge mit an ≥ 0 und lim an = 0. ∞ P Dann konvergiert die Reihe (−1)n an . n=0 Beweis: Für die Partialsumme sk := k X an n=0 gilt s2k+2 − s2k = −a2k+1 + a2k+2 ≤ 0 und daher s0 ≥ s2 ≥ s4 ≥ ... ≥ s2k ≥ s2k+2 ≥ ... . Entsprechend gilt s2k+3 − s2k+1 = a2k+2 − a2k+3 ≥ 0 68 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 69 und daher s1 ≤ s3 ≤ s5 ≤ ... ≤ s2k+1 ≤ s2k+3 ≤ ... . Überdies gilt s2k+1 − s2k = −a2k+1 ≤ 0 und somit s2k+1 ≤ s2k für alle k ∈ N0 . Die Folge (s2k )k∈N0 ist monoton fallend und, wegen s2k ≥ s1 für alle k ∈ N0 , nach unten beschränkt. Daher konvergiert die Folge und der Grenzwert S := lim s2k k→∞ existiert. Die Folge (s2k+1 )k∈N0 ist monoton wachsend und, wegen s2k+1 ≤ s0 für alle k ∈ N0 , nach oben beschränkt. Daher konvergiert die Folge und der Grenzwert S̃ := lim s2k+1 k→∞ existiert. Die beiden Grenzwerte S und S̃ sind identisch, da S − S̃ = lim (s2k − s2k+1 ) = lim a2k+1 = 0 . k→∞ k→∞ Demnach gibt es für alle > 0 Zahlen N1 , N2 ∈ N0 , so dass |s2k − S| < für alle k ≥ N1 und |s2k+1 − S| < für alle k ≥ N2 . Setzen wir N := max(2N1 , 2N2 + 1), so gilt |sn − S| < für alle n ≥ N . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 70 Beispiele • Die harmonische Reihe • Die Reihe ∞ 1 P divergiert. n=1 n ∞ 1 P , mit k ∈ N : k ≥ 2, konvergiert. k n=1 n ∞ P • Die alternierende harmonische Reihe (−1)n n=1 1 konvergiert. n Begründung: nach Leibniz-Kriterium. • Die unendliche geometrische Reihe ∞ P xn , für |x| < 1, konvergiert. n=0 1 − xm+1 für x ∈ R : x 6= 1 Begründung: Es gilt xn = 1−x n=0 ∞ P 1 für |x| < 1 . und daher xn = 1−x n=0 m P ∞ 1 P |x|n , mit |x| < 1 konvergiert. n=1 n n+1 |x| ≤ θ < 1. Begründung: Quotientenkriterium, da n • Die Reihe Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.2 2.2.1 71 Differentialrechnung von Funktionen einer Variablen Der Differentialquotient Definition: Sei D ⊂ R und f : D −→ R eine Funktion. Es existiere eine Folge (ξn ) ⊂ D\{x} mit lim ξn = x. n→∞ f heißt in einem Punkt x ∈ D differenzierbar, falls der Grenzwert f 0 (x) := lim ξ→x ξ∈D\{x} f (ξ) − f (x) ξ−x in R existiert. Dieser Grenzwert f 0 (x) heißt Differentialquotient oder Ableitung von f im Punkte x. Anmerkung: Der Definition liegt der Begriff des Grenzwertes bei Funktionen zu Grunde. Der Grenzwert von g(ξ) := f (ξ) − f (x) ξ−x existiert nicht, wenn die Folge g(ξn ) divergiert, d. h., wenn ihr Wert von der Wahl der Folge (ξn )n ∈ N abhängt oder bestimmt divergiert. Der Differenzenquotient f (ξ) − f (x) ξ−x ist die Steigung der Sekante durch die Punkte (x, f (x)) und (ξ, f (ξ)) des Graphen der Funktion f . Existiert der Grenzwert des Differenzenquotienten für ξ → x, so geht bei diesem Grenzübergang die Sekante in die Tangente an den Graphen von f im Punkt (x, f (x)) über. Statt f 0 (x) ist auch die Schreibweise df (x) üblich. dx Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 72 f ( ξ) f ( ξ)− f ( x ) f (x) x ξ−x ξ Abbildung 2.8 Die Steigung der Sekante Beispiele zur Berechnung der Ableitung • Sei f : R → R, f (x) = x2 . Dann gilt f (x + h) − f (x) (x + h)2 − x2 = lim h→0 h→0 h h f 0 (x) = lim 2xh + h2 = lim (2x + h) = 2x . h→0 h→0 h = lim • Sei R∗ := R\{0} und f : R∗ → R, f (x) = 1 . Dann gilt x 1 1 1 f (x + h) − f (x) = lim ( − ) h→0 h x + h h→0 h x f 0 (x) = lim x − (x + h) −1 1 = lim =− 2. h→0 h(x + h)x h→0 (x + h)x x = lim • Sei f : R → R, f (x) = exp x. Dann gilt exp(x + h) − exp(x) exp(h) − 1 = exp(x) lim . h→0 h→0 h h f 0 (x) = lim Da ex − 1 = 1, x→0 x x6=0 lim erhalten wir f 0 (x) = exp(x) . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 73 • Sei f : R → R, f (x) = sin x. Dann gilt 2 cos(x + h2 ) sin h2 sin(x + h) − sin(x) f (x) = lim = lim h→0 h→0 h h ! sin h h = lim cos(x + ) · lim h 2 . h→0 h→0 2 2 0 Da die Funktion cos stetig ist, erhalten wir h lim cos(x + ) = cos x . h→0 2 Weiterhin gilt sin x = 1. x→0 x x6=0 lim Das ergibt schließlich f 0 (x) = cos x . Die Betragsfunktion abs : R → R , x 7→ |x| ist stetig, jedoch nicht differenzierbar. y f ( x )=∣x∣ x Abbildung 2.9 Die Betragsfunktion Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 74 Beweis: Die Folge (hn )n∈N mit hn := (−1)n 1 mit n ∈ N n konvergiert gegen Null. Für qn := abs(0 + hn ) − abs(0) hn gilt qn = 1 n −0 n 1 = (−1) . n (−1) n Da lim qn nicht existiert, ist die Funktion abs im Nullpunkt nicht differenzierbar. n→∞ Wie bei der rechtsseitigen und linksseitigen Stetigkeit, lassen sich auch entsprechende Differentialquotienten einführen. Definition: Sei D ⊂ R und f : D −→ R eine Funktion. Dann heißt f im Punkt x von rechts differenzierbar, falls der Grenzwert f+0 (x) := lim ξ&x f (ξ) − f (x) ξ−x existiert. Die Funktion f heißt im Punkt x von links differenzierbar, falls der Grenzwert f−0 (x) := lim ξ%x f (ξ) − f (x) ξ−x existiert. Beispiel: Die Funktion abs ist im Nullpunkt zwar nicht differenzierbar, jedoch sowohl von rechts als auch von links differenzierbar, wobei abs0+ (0) = +1 und abs0− (0) = −1 . Während aus der Stetigkeit einer Funktion nicht deren Differenzierbarkeit folgt, impliziert jedoch umgekehrt die Differenzierbarkeit einer Funktion deren Stetigkeit. Satz: Ist die Funktion f : D −→ R in x ∈ D differenzierbar, so ist sie in x auch stetig. Eine Funktion f : D −→ R heißt in x ∈ D stetig differenzierbar, wenn sie in x differenzierbar und der Differentialquotient f 0 in x stetig ist. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.2.2 Ableitungsregeln Produktregel Seien f, g : D −→ R in x ∈ D differenzierbare Funktionen. Dann ist auch die Funktion f · g : D −→ R in x ∈ D differenzierbar, und es gilt (f · g)0 (x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g 0 (x) . Quotientenregel Ist g(ξ) 6= 0 für alle ξ ∈ D, so ist auch die Funktion f : D −→ R g in x ∈ D differenzierbar und es gilt f 0 (x)g(x) − f (x)g 0 (x) f . ( )0 (x) = g g(x)2 Beispiel Für die Funktion tan : R\{ π + kπ|k ∈ Z} → R , x 7→ tan x 2 erhalten wir tan0 (x) = cos2 x + sin2 x 1 sin0 (x) cos(x) − sin(x) cos0 (x) = = . 2 2 cos x cos x cos2 x 75 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 76 Ableitung der Umkehrfunktion Sei D ⊂ R ein abgeschlossenes Intervall. Ferner sei f :D→R eine stetige und streng monotone Funktion und ϕ = f −1 : D∗ → R , mit D∗ = f (D) , deren Umkehrfunktion. Ist f im Punkt x ∈ D differenzierbar mit f 0 (x) 6= 0, so ist ϕ im Punkt y := f (x) differenzierbar und es gilt ϕ0 (y) = 1 f 0 (x) = 1 f 0 (ϕ(y)) . Beispiel Die Funktion ln : R∗+ → R ist die Umkehrfunktion von exp : R → R. Daher gilt ln0 (x) = 1 exp0 (ln x) = 1 1 = . exp(ln x) x Kettenregel Seien f : D −→ R und g : E −→ R Funktionen mit f (D) ⊂ E. Die Funktion f sei im Punkt x ∈ D und g im Punkt f (x) ∈ E differenzierbar. Dann ist die zusammengesetzte Funktion g ◦ f : D −→ R im Punkt x ∈ D differenzierbar, und es gilt (g ◦ f )0 (x) = g 0 (f (x))f 0 (x) . Beispiel Sei a ∈ R und f : R∗+ → R, x 7→ xa . Mit xa = exp(a ln x) und der Anwendung der Kettenregel erhalten wir dxa d a = exp0 (a ln x) (a ln x) = exp(a ln x) = a xa−1 . dx dx x Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 77 Ableitungen höherer Ordnung Sei f : D → R in D ∩ (x − , x + ) und f 0 : D → R in x ∈ D differenzierbar. Demnach existiert der Grenzwert (f 0 )0 (x). Die Ableitung (f 0 )0 (x) wird als zweite Ableitung von f in x bezeichnet. Gebräuchlich ist die Schreibweise 2 d2 f (x) d d df (x) 00 0 0 = = f (x) . f (x) := (f ) (x) = 2 dx dx dx dx Allgemein lassen sich so k-te Ableitungen einführen. Definition: Eine Funktion f : D → R heißt k-mal differenzierbar im Punkt x ∈ D, falls ein > 0 existiert, so dass f in D ∩ (x − , x + ) (k − 1)-mal differenzierbar und die (k − 1)-te Ableitung von f in x differenzierbar ist. Gebräuchlich ist die Schreibweise f (k) (x) := (f d ) (x) = dx (k−1) 0 dk−1 f (x) dk−1 x Ableitungen einiger Funktionen Die Ableitung der konstanten Funktion f : R → R , x 7→ f (x) = c ist f 0 (x) = 0 . Die Ableitung der Potenzfunktion f : R∗+ → R , x 7→ f (x) = xa , mit a ∈ R , ist f 0 (x) = a xa−1 . Trigonometrische Funktionen Die Ableitung der sin-Funktion f : R → R , x 7→ f (x) = sin x ist f 0 (x) = cos x . dk f (x) = = dxk d dx k f (x) . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Die Ableitung der cos-Funktion f : R → R , x 7→ f (x) = cos x ist f 0 (x) = − sin x . Die Ableitung der tan-Funktion f : R\{ π + kπ|k ∈ Z} → R , x 7→ f (x) = tan x 2 ist f 0 (x) = 1 . cos2 x Die Ableitung der cot-Funktion f : R\{kπ|k ∈ Z} → R , x 7→ f (x) = cot x ist f 0 (x) = − 1 . sin2 x Exponentialfunktionen Die Ableitung der exp-Funktion f : R → R , x 7→ f (x) = ex ist f 0 (x) = ex . Sei a ∈ R∗+ . Die Ableitung der Exponentialfunktion zur Basis a f : R → R , x 7→ f (x) = ax ist f 0 (x) = ax · (ln a) . 78 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.2.3 79 Approximation durch affin-lineare Funktionen Die Differenzierbarkeit einer Funktionen kann auch durch die Approximierbarkeit mittels affinlineare Funktionen ausgedrückt werden. Sei D ⊂ R und a ∈ D ein Punkt, der Grenzwert mindestens einer Punktfolge (xn )n∈N ⊂ D\{a} ist. Eine Funktion f : D → R ist genau dann im Punkt a differenzierbar, wenn eine Konstante c ∈ R existiert, so dass f (x) = f (a) + c(x − a) + ϕ(x) für x ∈ D , wobei ϕ eine Funktion ϕ : D → R mit der Eigenschaft ϕ(x) =0 x−a x∈D\{a} lim x→a ist. In diesem Fall gilt c = f 0 (x). Der Graph unserer affin-linearen Funktion L(x) = f (a) + c(x − a) ist die Tangente an den Graphen von f im Punkt (a, f (a)). Beispiel Approximation der Funktion f : R → R , x 7→ f (x) = sin x in Umgebung des Punktes a = 0. Wir erhalten x 0,1 0,2 sin x 0,09983 0,19867 0,3 0,4 0,29552 0,38942 Approximation einiger Funktionen in der Umgebung von a = 0 Es gilt (1 + x)α ≈ 1 + α x , mit α ∈ R, ex ≈ 1 + x, sin x ≈ x, ln(1 + x) ≈ x. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.3 80 Funktionenfolgen Gegeben seien eine Menge K und Funktionen fn : K → C, mit n ∈ N0 . K kann beispielsweise R oder C oder ein Intervall in R sein. Dann können wir (fn (x))n∈N0 punktweise als Zahlenfolgen auffassen. Die Folge (fn (x))n∈N0 heißt Funktionenfolge. Punktweise und gleichmäßige Konvergenz von Funktionenfolgen Die Folge (fn (x))n∈N0 konvergiert punktweise gegen einen Funktion f : K → C, falls für alle x ∈ K und für alle > 0 ein N = N (x, ) exsitiert, so dass |fn (x) − f (x)| < für alle n ≥ N . Bei gleichmäßiger Konvergenz einer Funktionenfolge muss die für die punktweise Konvergenz geforderte Eigenschaft hinsichtlich N = N () gelten, d.h. N darf nicht von x abhängen. Die Folge (fn (x))n∈N0 konvergiert gleichmäßig gegen einen Funktion f : K → C, falls für alle > 0 ein N = N () exsitiert, so dass |fn (x) − f (x)| < für alle x ∈ K und alle n ≥ N . Konvergiert eine Funktionenfolge gleichmäßig, so konvergiert sie auch punktweise. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 81 Beispiel zur punktweisen Konvergenz von Funktionenfolgen Sei n ∈ N0 und fn : [0, 1] → R , x 7→ fn (x) = xn . Obwohl die Funktionen fn stetig sind, ist f (x) = lim fn (x) n→∞ unstetig, wobei 0 für f (x) = 1 für 0≤x<1 x = 1. y x2 x 4 x 12 x 100 lim n → ∞ f n ( x) x Abbildung 2.10 Punktweise Konvergenz von Funktionenfolgen Allerdings bietet die gleichmäßige Konvergenz ein Kriterium, das die Stetigkeit des Limes f (x) gewährleistet. Sei fn : K → C, n ∈ N0 und (fn )n∈N0 eine Folge stetiger Funktionen, die gleichmäßig gegen die Funktion f : K → C konvergiere. Dann ist auch f stetig. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.4 82 Potenzreihen Sei (cn )n∈N0 eine Folge komplexer Zahlen, z0 ∈ C und fn : C → C. Besitzen die Folgeglieder fn der Funktionenfolge (fn (z))n die Form fn (z) = cn (z − z0 )n für n ∈ N0 , so bezeichnen wir die zugehörige Reihe ∞ X fn (z) n=0 als Potenzreihe. Definition: Ist ∞ X cn (z − z0 )n n=0 eine Potenzreihe, so heißt r := sup{|z − z0 | | ∞ X cn (z − z0 )n konvergiert } n=0 Konvergenzradius der Potenzreihe. Anmerkung: Es gilt r ∈ R+ ∪ {∞}. Beispiel Sei n ∈ N0 und fn : (−1, 1) → R , x 7→ xn . Dann konvergiert die geometrische Reihe ∞ X n=0 ∞ X n=0 fn (x) = ∞ X n=0 xn = 1 . 1−x fn (x) und Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 83 Sei ρ ∈ R und B(z0 , ρ) := {z ∈ C | |z − z0 | ≤ ρ} . Falls die Potenzreihe ∞ X cn (z − z0 )n n=0 für ein z1 ∈ C mit z1 6= z0 konvergiert, so konvergieren diese Potenzreihe und die Potenzreihe ∞ X ncn (z − z0 )n−1 n=1 absolut und gleichmäßig auf B(z0 , ρ) mit 0 < ρ < |z1 − z0 |. Entweder konvergiert die Potenzreihe absolut auf ganz C oder es gibt eine reelle Zahl r ∈ [0, ∞), so dass die Potenzreihe • auf {z ∈ C | |z − z0 | < r} absolut konvergiert und • auf {z ∈ C | |z − z0 | > r} divergiert. Anmerkung: Entsprechende Aussagen gelten für Potenzreihen in R. Berechnung des Konvergenzradius Gegeben sei eine Reihe ∞ X an xn , mit x ∈ R . n=0 Existiert lim n→∞ p n |an | = g , so gilt für den Konvergenzradius 1 r= . g Existiert an+1 = q, lim n→∞ an so gilt für den Konvergenzradius 1 r= . q Anmerkung: Die Aussagen lassen sich mit Hilfe des Wurzel- bzw. Quotientenkriteriums beweisen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 84 Beispiele • Die Exponential-Reihe ∞ X xn n=0 n! ist für jedes x ∈ R absolut konvergent, da mit fn (x) := xn , für alle n ≥ 2|x|: n! fn+1 (x) |x| 1 fn (x) = n + 1 ≤ 2 . Nach dem Quotientenkriterium ist demnach die Behauptung bewiesen. Für den Konvergenzradius erhalten wir daher r = ∞. Anmerkung: Es gilt fn+1 (x) = 0. lim n→∞ fn (x) Wir können den Konvergenzradius aber auch, wie oben, mittels der Folgen (an )n∈N0 bestimmen: So erhalten wir, mit an := 1 , n! an+1 = lim 1 = 0 , lim n→∞ an n→∞ n + 1 woraus r = ∞ folgt. • Für den Konvergenzradius der Reihe ∞ X nxn n=0 erhalten wir r = 1, da für fn (x) := nxn p √ lim n |fn (x)| = lim ( n n |x|) = |x| n→∞ n→∞ ist. Das Ergebnis für den Konvergenzradius lässt sich aber auch mittels (an )n∈N0 mit an := n zeigen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 85 Im folgenden Satz formulieren wir, dass sich konvergente reelle Potenzreihen gliedweise differenzieren lassen. Sei an , x, x0 ∈ R und f (x) = ∞ X an (x − x0 )n n=0 eine Potenzreihe mit dem Konvergenzradius r > 0. Dann gilt für alle x ∈ (x0 − r, x0 + r) 0 f (x) = ∞ X n=1 nan (x − x0 )n−1 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.5 86 Taylor-Reihen Wie wir gesehen haben, kann der Funktionswert einer differenzierbaren Funktion f in der Umgebung einer Stelle a durch f (a) + (x − a)f 0 (a) näherungsweise bestimmt werden. Da die Berücksichtigung höherer Ableitungen zu einer verbesserten Approximation von ganzrationalen Funktionen führen kann, stellt sich allgemein die Frage, wann sich Funktionen, zumindest lokal, durch Polynome approximieren lassen. Eine ganzrationale Funktion f (x) = n X ak x k , k=0 lässt sich auch folgendermaßen schreiben f (x) = n X f (k) (0) k! k=0 xk . Ersetzen wir hierbei den Punkt 0 durch den Punkt a, so erhalten wir entsprechend f (x) = n X f (k) (a) k! k=0 (x − a)k . Taylorsche Formel: Sei I ⊂ R ein Intervall und a, x ∈ I. Ferner sei f : I → R eine (n + 1)-mal stetig differenzierbare Funktion. Dann gilt f (x) = f (a) + = n X f (k) (a) k=0 k! f 0 (a) f 00 (a) f (n) (a) (x − a) + (x − a)2 + ... + (x − a)n + Rn+1 (x) 1! 2! n! (x − a)k + Rn+1 (x) , wobei 1 Rn+1 (x) = n! Zx a (x − t)n f (n+1) (t) dt . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 87 Die Lagrangesche Form dieses Restgliedes Rn+1 (x) lautet: Es existiert ein ξ ∈ [a, x] bzw. ξ ∈ [x, a], so dass Rn+1 (x) = f (n+1) (ξ) (x − a)n+1 . (n + 1)! Mit Hilfe der Taylor-Entwicklung lässt sich folgender Satz beweisen: Sei I ⊂ R ein Intervall und x ∈ I. Ferner sei f : I → R eine n-mal stetig differenzierbare Funktion. Dann gilt f (x) = n X f (k) (a) k! k=0 (x − a)k + η(x)(x − a)n , wobei η : I → R eine Funktion mit der Eigenschaft lim η(x) = 0 x→a ist. Definition • Sei f : I → R eine n-mal differenzierbare Funktion und a ∈ I. Dann heißt n X f (k) (a) k=0 k! (x − a)k Taylor-Polynom n-ter Ordnung von f mit Entwicklungspunkt a. • Sei f : I → R eine beliebig oft differenzierbare Funktion und a ∈ I. Dann heißt ∞ X f (k) (a) k=0 k! (x − a)k Taylor-Reihe von f mit Entwicklungspunkt a. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 88 Anmerkungen • Der Konvergenzradius einer Taylor-Reihe ist nicht notwendigerweise positiv. • Auch wenn die Taylor-Reihe von f konvergiert, konvergiert sie nicht notwendigerweise gegen f . • Für x ∈ I konvergiert die Taylor-Reihe von f (x) genau dann gegen f (x), wenn Rn+1 (x) gegen 0 konvergiert. • Das Restglied Rn+1 lässt sich auch folgendermaßen darstellen: – Schlömilchsche Form von Rn+1 : Sei p ∈ N mit 1 ≤ p ≤ n + 1. Es existiert ein ξ ∈ [a, x] bzw. ξ ∈ [x, a], so dass f n+1 (ξ) (x − ξ)n+1−p (x − a)p . Rn+1 (x) = p · n! – Cauchysche Form von Rn+1 (entspricht der vorangegangenen Darstellung im Falle p = 1): Es existiert ein ξ ∈ [a, x] bzw. ξ ∈ [x, a], so dass Rn+1 (x) = f n+1 (ξ) (x − ξ)n (x − a) . n! Beispiele (1) Wir entwickeln die Funktion f : (−1, 1) → R , f (x) = √ 1 + x, für den Entwicklungspunkt a = 0, in erster Ordnung. Es gilt 1 1 f (0) = 1 , f (0) = √ = . 2 1 + x x=0 2 0 Demnach erhalten wir √ x f (x) = 1 + x = 1 + + η(x)x mit lim η(x) = 0 x→0 2 (2) Die Exponentialreihe Die Exponentialfunktion exp : R → R Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 89 ist definiert als Exponentialreihe, so dass exp(x) := ∞ X xn n! n=0 . Demnach ist die Exponentialreihe die Taylor-Reihe von exp mit Entwicklungspunkt a = 0. Abschätzung des Restglieds Es gilt exp(x) = N X xn n=0 n! + RN +1 (x) , wobei |RN +1 (x)| ≤ 2 N |x|N +1 für |x| ≤ 1 + . (N + 1)! 2 Beweis Das Restglied RN +1 (x) = ∞ X xn n! n=N +1 lässt sich folgendermaßen abschätzen: n ∞ X x = |RN +1 (x)| ≤ n! n=N +1 |x|N +1 |x|2 |x| 1+ + + ... (N + 1)! N + 2 (N + 2)(N + 3) ! |x|k ... + + ... (N + 2) · .... · (N + k + 1)) = |x|N +1 ≤ (N + 1)! |x| 1+ + N +2 |x| N +2 2 + ... + |x| N +2 k ! + ... . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Da wir o.B.d.A. |x| ≤ 1 + N 2 |x|N +1 |RN +1 (x)| ≤ (N + 1)! 90 setzen können, gilt 1 1 1 1 + + + ... + k + ... . 2 4 2 Die geometrische Reihe ∞ n X 1 n=0 2 konvergiert gegen 2. Daher erhalten wir |RN +1 (x)| ≤ 2 |x|N +1 . (N + 1)! Zur Konvergenz der Taylor-Reihe für exp(x) ex y T 15 ( x) T 10 ( x) T 5 ( x) T 3 ( x) x T 1 ( x) Abbildung 2.11 Approximation von exp durch Taylor-Polynome Tn der Ordnung n = 1, 3, 5, 10, 15 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 91 y ex T 10 ( x) T 2 ( x) T 4 ( x) x Abbildung 2.12 Approximation von exp durch Taylor-Polynome Tn der Ordnung n = 2, 4, 10 (3) Die Taylor-Reihen von Sinus und Cosinus Die Funktionen sin und cos sind gegeben durch ∞ X x2k+1 (−1)k sin x = (2k + 1)! k=0 und cos x = ∞ X k=0 (−1)k x2k . (2k)! Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 92 Zur Konvergenz der Taylor-Reihe für sin(x) y T 7(x) T 3 ( x) T 1 ( x) T 5 ( x) T 11 ( x) sin x T 31 ( x ) x Abbildung 2.13 Approximation von sin durch einige Taylor-Polynome Tn (4) Die Logarithmusreihe Sei −1 < x ≤ +1. Dann gilt ln(1 + x) = ∞ X (−1)n−1 n=1 xn . n (5) Die Arcus-Tangens-Reihe Sei |x| ≤ 1. Dann gilt ∞ X x2n+1 arctan x = (−1)n . 2n + 1 n=0 (6) Die Binomische Reihe Sei α ∈ R und |x| < 1. Dann gilt α (1 + x) = ∞ X α n=0 n xn , Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg wobei Y n α α−k+1 = . n k k=1 93 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.6 94 Übungsaufgaben: Folgen und Reihen Aufgabe 1 Untersuchen Sie die Folgen (xn )n∈N auf Konvergenz und bestimmen Sie gegebenenfalls den jeweiligen Grenzwert: 5n2 + 3n − 4 , n3 + 1 1 c) xn = n((1 + )2 − 1) , n a) xn = e) xn = (−1)n+1 n2 , (−1)n+1 + n2 1 + (−1)n , 2 n3 + 3 n5 + 3n2 d) xn = − 3 , n+1 n + n2 + 1 n Y 1 f) xn = (1 − 2 ) , mit n ≥ 2. k k=2 b) xn = Aufgabe 2 Bestimmen Sie mit Hilfe der Grenzwertregeln die folgenden Grenzwerte 3 5 + 3n − 5n2 4n + 2 3 )( + ) , b) lim ( ), n→∞ n→∞ 5n − 1 2 n+1 2n2 − 2 r 1 1 e) lim (1 + )2n . d) lim n( 1 + − 1) , n→∞ n→∞ n 3n a) lim ( √ c) lim n( n2 + 1 − n) , n→∞ Hinweis zu e): Es gilt lim (1 + n→∞ 1 n ) = e. n Aufgabe 3 Sei q ∈ R mit |q| < 1. Ferner sei r ∈ R. Bestimmen Sie den Grenzwert der Folge (nr q n )n∈N . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Aufgabe 4 Sei a > 0. Berechnen Sie folgende Grenzwerte √ √ b) lim n a . a) lim n n , n→∞ n→∞ Aufgabe 5 Zeigen Sie, dass die Folge (xn )n∈N mit xn = 1 1 1 + + ... + n n+1 2n 1 gegen einen Grenzwert im Intervall [ , 1] konvergiert. 2 Aufgabe 6 Geben Sie Beispiele für Nullfolgen (an )n∈N und (bn )n∈N an, so dass an = c, wobei c ∈ R, n→∞ bn an b) ( )n∈N beschränkt, aber nicht konvergent ist. bn a) lim Aufgabe 7 Sei d > 1. Bestimmen Sie den Grenzwert der rekursiv definierten Folge 1 a0 = 0 , an+1 = (an + 1) für n ≥ 0 . d Aufgaben 8 Es sei (an )n≥0 die Folge der Fibonacci-Zahlen. Es gilt daher a0 = 1 , a1 = 1 und an = an−1 + an−2 für n ≥ 2 . Zeigen Sie durch vollständige Induktion, dass an ≥ n für alle n ≥ 0 . 95 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 96 Aufgabe 9 Berechnen Sie folgende Summen ∞ X 1 a) (− )n−1 , 8 n=1 ∞ X 2 b) 4(− )n−1 , 5 n=1 ∞ X 3 c) ( )n−1 . 10 n=1 Aufgabe 10 Sei a > 0, b > 1 und k ∈ N. Stellen Sie fest, ob die folgenden Reihen ∞ X xn n=1 konvergieren, falls a) xn = (−1)n n , 2n + 1 1 , n · 2n nk g) xn = n , b 1 j) xn = n , 10 + 1 d) xn = m) xn = (−1)n+1 e) h) k) 1 , n2 n+4 10n−1 , , c) x = n n3 (n − 1)! 2n − 1 1 xn = , f) x = , n 2n 2n−1 √ √ n n xn = (−1) , i) xn = (−1)n (1 − n a) , n+1 2n 1 xn = (−1)n+1 , l) xn = (−1)n−1 , n 2n − 1 n(2 + sin n) xn = √ . n4 + 1 b) xn = n) Aufgabe 11 Welche der folgenden Aussagen ist richtig, welche falsch? a) Wenn (an )n∈N eine monoton fallende Nullfolge ist, dann ist die Reihe ∞ X an konvergent. n=1 b) Wenn (an )n∈N keine Nullfolge ist, dann ist die Reihe ∞ X an divergent. n=1 n P c) Wenn die Folge der Partialsummen ( ak )n∈N beschränkt ist, dann ist sie auch k=1 konvergent. d) Wenn die Folge der Partialsummen ( n P ak )n∈N unbeschränkt ist, dann ist sie auch k=1 divergent. ∞ X an+1 e) Wenn lim | | = 1 ist, dann ist die Reihe an konvergent. n→∞ an n=1 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg f) Wenn die Reihe ∞ X 97 ∞ X an absolut konvergiert, dann konvergiert auch (−1)n an absolut. n=1 n=1 Aufgabe 12 Bestimmen Sie den Konvergenzbereich und Konvergenzradius der Potenzreihen n a) fn (x) = nx , xn , 2n e) fn (x) = (−1)n−1 x2(n−1) . c) fn (x) = nx b) fn (x) = (−1) d) fn (x) = fn (x) mit n=1 n n ∞ X , n xn , n+1 Untersuchen Sie hierzu auch das Konvergenzverhalten in den Randpunkten des Konvergenzbereichs. Aufgabe 13 Bestimmen Sie die Taylor-Reihe für a) die Funktion x f : R → R, x 7→ exp( ) , 2 mit Entwicklungspunkt x0 = 2, b) f : R → R, x 7→ x3 − 6x + 3 , mit Entwicklungspunkt x0 = 2, c) die Funktion f : R → R, x 7→ cosh x , mit Entwicklungspunkt x0 = 0, d) die Funktion f : R → R, x 7→ ln x , mit Entwicklungspunkt x0 = 2. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 98 Aufgabe 14 Bestimmen Sie das Taylor-Polynom neunter Ordnung für f : R → R, x 7→ √ 1 , 1 − x3 zum Entwicklungspunkt x0 = 0 und vergleichen Sie den damit erhaltenen Näherungswert für f (x = 0, 2) mit dem exakten Wert. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3 99 Differentialrechnung im Rn Funktionen mehrere Variablen treten in der Physik und Chemie sehr häufig auf. Beispielsweise lassen sich • die Zustandsgleichung idealer Gase pV = nRT • und das Ohmsche Gesetz R= U I als Funktionen mehrerer Variablen, wie p(n, V, T ) oder U (R, I), betrachten. Dabei wird der Definitionsbereich oft stärker als mathematisch notwendig eingeschränkt, da durch Naturgesetze zusätzliche Restriktionen gegeben sein können. So lässt sich für den Druck p = p(V, T ) eines idealen Gases als Definitionsbereich beispielsweise Dp = {(V, T ) ∈ R2 | T ≥ 0, V > 0} wählen, wenn wir n als konstant voraussetzen. Der Definitionsbereich Dp lässt sich dann folgendermaßen veranschaulichen T Dp V Abbildung 3.1 Dp für ein ideales Gas bei n = const. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 100 Der Definitionsbereich einer Funktion mit n reellen Variablen ist eine Punktmenge im Rn . Bei zwei Variablen kann das in einfachen Fällen beispielsweise ein Rechteck {(x, y) ∈ R2 | a ≤ x ≤ b, c ≤ y ≤ d} sein y d Df c a b x Abbildung 3.2 Rechteck als Punktmenge des R2 oder eine Kreisfläche {(x, y) ∈ R2 | (x − x0 )2 + (y − y0 )2 ≤ r2 } . y ( x , y) y0 Df x0 x Abbildung 3.3 Kreisfläche als Punktmenge des R2 Ebenen Geometrisch lassen sich Gleichungen wie x + y + z = b mit (x, y, z) ∈ R3 , zu festem b ∈ R, als Ebenen im R3 beschreiben. Eine Teilmenge A ⊂ R3 ist genau dann eine Ebene, wenn es zu b ∈ R Zahlen a1 , a2 , a3 ∈ R mit (a1 , a2 , a3 ) 6= (0, 0, 0) gibt, so dass A = {(x1 , x2 , x3 ) ∈ R3 | a1 x1 + a2 x2 + a3 x3 = b} gilt. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 101 Da nicht alle Koeffizienten der Ebenengleichung verschwinden, existiert auch eine Darstellung der Form z = z(x, y) . Jedoch müssen Funktionen f (x, y) nicht linear von den Variablen x und y abhängen. Allgemeiner betrachten wir Abbildungen f von Teilmengen D ⊂ Rn nach R, d.h. f : D → R , (x1 , ..., xn ) 7→ f (x1 , ..., xn ) . Der Graph von f ist die Menge Γf := {(x, y) ∈ D × R | y = f (x)} . Demnach ist Γf ⊂ Rn+1 . Die folgende Abbildung zeigt den Graphen der Funktion f : D → R , (x, y) 7→ z = f (x, y) = x2 + y 2 für D = [−10, 10] × [−10, 10]. Abbildung 3.4 Graph von f (x, y) = x2 + y 2 (Rotationsparaboloid) Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 102 Die folgende Abbildung zeigt den Graphen der Funktion f : D → R , (x, y) 7→ z = f (x, y) = x3 − y 3 für D = [−3, 3] × [−3, 3]. Abbildung 3.5 Graph von f (x, y) = x3 − y 3 Eine Funktion f : U → R mit U ⊂ Rn , n ≥ 2, lässt sich auch durch die Schar Nf (c), c ∈ R, ihrer Niveaumengen Nf (c) := {x ∈ U | f (x) = c} ⊂ Rn beschreiben. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 103 Im Fall n = 2 werden die Niveaumengen auch Höhenlinien genannt. 1.0 0.8 0.6 0.4 0.2 0.0 - 0.2 - 0.4 - 0.6 - 0.8 - 1.0 - 1.0 - 0.8 - 0.6 - 0.4 - 0.2 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Abbildung 3.6 Höhenlinien von f (x, y) = x2 + y 2 3 2 1 0 -1 -2 -3 -3 -2 -1 0 1 2 3 Abbildung 3.7 Höhenlinien von f (x, y) = x3 − y 3 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3.1 104 Partielle Ableitungen Definition: Sei U ⊂ Rn eine offene Menge und f :U →R eine Funktion. Ferner sei ei ∈ Rn der i-te Einheitsvektor ei = (0, ...., 1, ...., 0) , wobei nur an der i-ten Stelle eine 1, sonst aber nur 0-Einträge auftreten. Die Funktion f heißt im Punkt x ∈ U partiell differenzierbar bezüglich der i-ten Koordinatenrichtung, falls der Limes ∂f (x) f (x + hei ) − f (x) := lim h→0 ∂xi h existiert, wobei h ∈ R∗ mit x + hei ∈ U ist. ∂f (x) schreiben wir auch ∂xi f (x). ∂xi Nehmen wir an, dass für x = (x1 , ...., xn ) ∈ U nur eine Koordinate variabel ist, die anderen n − 1 Koordinaten aber fest, so erhalten wir Funktionen Statt ξ 7→ fi (ξ) := f (x1 , ...., xi−1 , ξ, xi+1 , ..., xn ) . Die partielle Ableitung der i-ten Koordinatenrichtung lässt sich dann als gewöhnliche Ableitung von fi (ξ) formulieren. Demnach gilt ∂f (x) = fi0 (xi ) ∂xi und wir können unsere Ergebnisse und Definitionen der Differentialrechnung einer reellen Variablen nutzen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 105 Beispiele • Für die partielle Ableitung von f (x, y) = x + 2xy nach x erhalten wir ∂f (x, y) = 1 + 2y ∂x und für die partielle Ableitung nach y ∂f (x, y) = 2x . ∂y • Für die partielle Ableitung von 1 f (x, y) = x2 + exy 2 nach x erhalten wir ∂f (x, y) = x + y exy ∂x und für die partielle Ableitung nach y ∂f (x, y) = x exy . ∂y Höhere Ableitungen Sei U ⊂ Rn offen und f :U →R eine partiell differenzierbare Funktion. Sind alle partiellen Ableitungen ∂f : U → R, 1 ≤ i ≤ n, ∂xi partiell differenzierbar, so heißt f zweimal partiell differenzierbar. Entsprechend wird der Begriff k-mal partiell differenzierbar erklärt. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 106 Eine übliche Schreibweise für die Ableitungen zweiter Ordnung von f ist ∂ 2f ∂xj ∂xi und, falls i = j, ∂ 2f . ∂x2i Beispiel Für die Funktion f (x, y) = cos x · sin y erhalten wir für die Ableitungen erster Ordnung ∂f (x, y) ∂f (x, y) = − sin x · sin y , = cos x · cos y ∂x ∂y und für die Ableitungen zweiter Ordung ∂ 2 f (x, y) ∂ 2 f (x, y) = − cos x · sin y , = − sin x · cos y ∂x2 ∂y∂x und ∂ 2 f (x, y) ∂ 2 f (x, y) = − sin x · cos y , = − cos x · sin y . ∂x∂y ∂y 2 Eine Funktion f : U → R heißt k-mal stetig partiell differenzierbar, wenn sie k-mal partiell differenzierbar ist und alle partiellen Ableitungen der Ordnung ≤ k stetig sind. Satz: Sei U ⊂ Rn offen und f : U → R zweimal stetig partiell differenzierbar. Dann gilt für alle a ∈ U ∂ 2f ∂ 2f (a) = (a) für 1 ≤ i, j ≤ n . ∂xi ∂xj ∂xj ∂xi Anmerkung: Die Eigenschaft ∂ 2f ∂ 2f = ∂x∂y ∂y∂x können wir auch für das vorangegangene Beispiel nutzen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3.2 107 Approximation durch affin-lineare Funktionen Sei U ⊂ Rn offen und f : U → Rm eine Abbildung, die im Punkt x0 ∈ U differenzierbar sei. Dann lässt sich f durch affin-lineare Funktionen f (x) = f (x0 ) + A · (x − x0 ) approximieren, wobei für die Matrix A = (aij ) mit 1 ≤ i ≤ m und 1 ≤ j ≤ n gilt aij = ∂fi (x0 ) . ∂xj Diese Matrix wird als das Differential oder die Jacobi- oder Funktional-Matrix von f im Punkte x0 bezeichnet Anmerkung: Die Variable x und der Punkt x0 sind Elemente des Rn . Ist m = 1 und n = 2, so ist A der Vektor ( ∂f ∂f , )(x0 ) , ∂x1 ∂x2 wobei x0 = (x0,1 , x0,2 ). Selbstverständlich können wir hier für x1 auch x und für x2 auch y schreiben. Für m = 1 und n = 2 erhalten wir für unsere Näherung f (x, y) = f (x0 , y0 ) + ∂f (x0 , y0 ) ∂f (x0 , y0 ) (x − x0 ) + (y − y0 ) . ∂x ∂y Im Falle n = 1 haben wir die Funktion durch die Geradengleichung der Tangente approximiert. Hier gehen wir entsprechend vor. Statt der Geradengleichung erhalten wir eine Ebenengleichung. Wir nennen eine Teilmenge A ⊂ Rn Ebene, wenn es v, w1 , w2 ∈ Rn gibt, wobei w1 und w2 linear unabhängig sind und A = {u ∈ Rn | u = v + λ1 w1 + λ2 w2 mit λ1 , λ2 ∈ R} gilt. Kürzer schreiben wir hierfür A = v + Rw1 + Rw2 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 108 Tangentialebene Sei U ⊂ R2 und f : U → R eine in (x0 , y0 ) stetig partiell differenzierbare Funktion. Wir betrachten die Tangentialebene an den Graphen von f im Punkte P mit den Koordinaten (x0 , y0 , f (x0 , y0 )). Die beiden linear unabhängigen Vektoren (1, 0, ∂x f (x0 , y0 )) und (0, 1, ∂y f (x0 , y0 )) sind Elemente dieser Tangentialebene. Daher erhalten wir als Parameterdarstellung dieser Ebene (x, y, z) = (x0 , y0 , f (x0 , y0 )) + λ(1, 0, ∂x f (x0 , y0 )) + µ(0, 1, ∂y f (x0 , y0 )) , wobei λ, µ ∈ R. Ist A ⊂ Rn eine Ebene, so wird ein s ∈ Rn als orthogonal zu A, oder als Normalenvektor von A, bezeichnet, wenn für alle v1 , v2 ∈ A gilt hs, v1 − v2 i = 0 . Ist A = v + Rw1 + Rw2 , so ist s orthogonal zu A genau dann, wenn s ⊥ w1 und s ⊥ w2 ist. Der Vektor ~n := w ~1 × w ~ 2 = (−∂x f (x0 , y0 ), −∂y f (x0 , y0 ), 1) ist orthogonal zu unserer Tangentialebene. Da h~n, ((x, y, z) − (x0 , y0 , f (x0 , y0 )))i = 0 gilt, erhalten wir nx (x − x0 ) + ny (y − y0 ) + nz (z − z0 ) = 0 , wobei z0 := f (x0 , y0 ), und als weitere Darstellung der Tangentialebene in (x0 , y0 , f (x0 , y0 )) z − f (x0 , y0 ) = ∂f (x0 , y0 ) ∂f (x0 , y0 ) (x − x0 ) + (y − y0 ) . ∂x ∂y Anmerkung: Letztere Darstellung ergibt sich auch unmittelbar aus obiger Parameterdarstellung. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 109 Beispiel Mit Hilfe unserer Approximation sollen Funktionswerte von √ z = f (x, y) = x · y 2 in der Umgebung des Punktes P (1, 2) berechnet werden. Es gilt f (1, 2) = 4 und √ y2 z − 4 = ( √ )(1,2) 4x + ( x · 2y)(1,2) 4y = 2 4x + 4 4y , 2 x mit 4x := x − x0 und 4y := y − y0 . Für 4x = −0, 05 und 4y = 0, 06 erhalten wir nach dieser Approximation f (0, 95 , 2, 06) = 4 − 2 · 0, 05 + 4 · 0, 06 = 4, 140 . Setzen wir x = 0, 95 und y = 2, 06 stattdessen direkt in f (x, y) ein, so erhalten wir f (0, 95 , 2, 06) = 4, 136. Fehlerrechnung Um zu bestimmen, wie sich Fehler von Messungen in einer Meßgröße niederschlagen, betrachten wir die jeweilige funktionale Abhängigkeit und bestimmen neben dem resultierenden Mittelwert auch die resultierende Abweichung der Meßgröße im Rahmen einer linearen Approximation. Dabei nehmen wir an, dass die Messgröße f : U → R, x 7→ f (x) , mit U ⊂ Rn , von x = (x1 , ..., xn ) abhängt. Werte der Variablen xi werden durch eine Messung bestimmt. Dabei treten Messfehler auf, so dass wir statt xi die Große xi ± 4xi betrachten. Die Mittelwerte der Größen xi legen einen Wert für die Messgröße f (x) fest. Wie sich dabei die Fehler 4xi , im Falle 4xi xi , fortplanzen, zeigen wir im folgenden Abschnitt. Für f : U → R mit U ⊂ Rn können wir, bei kleinen Fehlern 4xi , die Näherung n X ∂f (x0 )4xi 4z = ∂x i i=1 verwenden. Als maximalen absoluten Fehler |4z| definieren wir dann n X ∂f |4xi | . |4z|m := (x ) 0 ∂xi i=1 Damit steht uns ein einfaches Fehlerfortpflanzungsgesetz zur Verfügung. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 110 Beispiele • Nach der Zustandsgleichung für ideale Gase, pV = nRT , lässt sich beispielsweise der Druck p des idealen Gases als Funktion p = p(n, V, T ) schreiben. Nach unserer Näherung erhalten wir für 4p 4p = ∂p ∂p ∂p 4V + 4T + 4n . ∂V ∂T ∂n Mit ∂p nRT ∂p nR ∂p RT =− 2 , = und = ∂V V ∂T V ∂n V und p0 = p(n0 , V0 , T0 ) ergibt sich für den maximalen relativen Fehler |4p|m = p0 n0 RT0 V0 −1 n0 RT0 n0 R RT0 |4V | + |4T | + |4n| . V02 V0 V0 Demnach gilt |4V | |4T | |4n| |4p|m = + + . p0 V0 T0 n0 Für |4V | |4T | |4n| = = = 2% V0 T0 n0 erhalten wir somit |4p|m = 6% . p0 • Für den Ohmschen Widerstand gilt R= U . I Hier erfolgt die Messung des Widerstandes R anhand einer Messung der Spannung U und der Stromstärke I. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 111 Um den maximalen relativen Fehler von R = R(U, I) abzuschätzen, nutzen wir die Beziehung |4R|m 4U 4I = + . R0 U0 I0 Somit erhalten wir für I = (10 ± 0, 3) A und U = (220 ± 2) V R0 = U0 |4R|m = 22, 0 Ω und ≈ 4% . I0 R0 Beispiele für Fehlerabschätzungen Funktionen z = f (x, y) Maximaler absoluter bzw. relativer Fehler z = x + y, z = x − y |4z|m = |4x| + |4y| x z = c xy, z = c y |4z|m 4x 4y + = |z0 | x0 y 0 z = c xα y β mit α, β ∈ R∗ |4z|m 4x 4y + β = α |z0 | x0 y 0 Dabei setzen wir z0 := f (x0 , y0 ). Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3.3 112 Lineare Regression Lassen sich die Daten der Ausprägungen zweier Merkmale X und Y näherungsweise in Form eines linearen Zusammenhangs darstellen, so verhilft die lineare Regressionsrechnung zu einer genaueren Analyse der funktionalen Abhängigkeit beider Merkmalsausprägungen. Dabei liegen die Daten in Form von Wertepaaren (x1 , y1 ), ...., (xn , yn ), mit xi , yi ∈ R, vor. Es wird davon ausgegangen, dass yi = α + βxi + ci für i = 1, ..., n gilt. Hier sind α, β, ci ∈ R, wobei die Größen ci zufällige Fehler darstellen. Die Methode der kleinsten Quadrate Die Parameter α und β sollen so bestimmt werden, dass durch die Regressionsgerade ŷ = a + bx eine möglichst gute Schätzung ŷ für die Ausprägung y des Merkmals Y bietet. Ein geeignetes Maß für die Güte dieser Schätzung stellt die Summe der Abweichungsquadrate 2 S = n X (yi − ŷi )2 i=1 dar, wobei ŷi := a + bxi sei. Nun sollen die Schätzgrößen a und b für α und β so bestimmt werden, dass S 2 minimal wird. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 113 y 6 ( xi , yi) 5 ̂y =a +b x 4 3 ( x i , ŷ i ) 2 1 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 x Abbildung 3.8 Methode der kleinsten Quadrate Die Parameter a und b ergeben sich dann als Lösungen des Normalengleichungssystems n X ∂S 2 = −2 (yi − a − bxi ) = 0 ∂a i=1 und n X ∂S 2 = −2 xi (yi − a − bxi ) = 0 . ∂b i=1 Nach der ersten der beiden Gleichungen ist der Schätzwert für α a = ȳ − bx̄ , wobei n n 1X 1X x̄ = xi und ȳ = yi n i=1 n i=1 die Mittelwerte der Größen xi bzw. yi sind. Die zweite Gleichung impliziert n n 1X 2 1X xi yi − ȳx̄ + bx̄2 − b x = 0. n i=1 n i=1 i Nach dieser Gleichung und mit Hilfe der Identitäten n X i=1 (xi − x̄)(yi − ȳ) = n X i=1 xi yi − nx̄ȳ Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 114 und n X (xi − x̄)2 = i=1 n X x2i − x̄2 n i=1 erhalten wir schließlich n P b= (xi − x̄)(yi − ȳ) i=1 n P , (xi − x̄)2 i=1 den Schätzwert für β. Beispiel Gesucht ist die Regressionsgerade für folgende Daten (xi , yi ): (−4, −3), (−2, 1), (−1, 0), (0, 1), (4, 5) . Die Schätzwerte a und b lassen sich mittels 5 X xi = −4 − 2 − 1 + 0 + 4 = −3 , i=1 5 X 5 X yi = −3 + 1 + 0 + 1 + 5 = 4 , i=1 x2i = 42 + 22 + 1 + 0 + 42 = 37 i=1 und 5 X xi yi = (−4) · (−3) + (−2) · 1 + (−1) · 0 + 0 · 1 + 4 · 5 = 30 i=1 bestimmen. Demnach gilt 30 · 5 + 12 + b(9 − 5 · 37) = 0 und 5a = 4 + 3b . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 115 Die Parameter der Regressionsgerade y = a + bx sind daher a ≈ 1, 35 , b ≈ 0, 92 . y 6 5 4 3 2 1 0 -5 -4 -3 -2 -1 -1 0 1 2 3 4 5 x -2 -3 -4 Abbildung 3.9 Datenpunkte und die zugehörige Regressionsgerade Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3.4 116 Lokale Extrema im Rn Sei f : U → R und U ⊂ Rn eine offene Menge. Ein Punkt x ∈ U heißt lokales Extremum, oder genauer lokales Maximum oder lokales Minimum von f , falls es eine Umgebung V ⊂ U gibt, so dass, • im Falle eines lokalen Maximums, f (x) ≥ f (y) für alle y ∈ V , • und im Falle eines lokalen Minimums, f (x) ≤ f (y) für alle y ∈ V , gilt. Sofern zusätzlich f (x) = f (y) nur für x = y gilt, so wird das jeweilige lokale Extremum als isoliert bezeichnet. Definition: Sei A = (aij ) eine reelle Matrix mit 1 ≤ i, j ≤ n und aij = aji . Dann heißt A • positiv definit, falls hξ, Aξi > 0 für alle ξ ∈ Rn \{0} , • positiv semidefinit, falls hξ, Aξi ≥ 0 für alle ξ ∈ Rn , • negativ definit, bzw. negativ semidefinit, falls die Matrix −A positiv definit, bzw. positiv semidefinit ist, • und indefinit, falls es Vektoren ξ, η ∈ Rn gibt, so dass hξ, Aξi > 0 und hη, Aηi < 0 gilt. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 117 Definition: Sei f : U → Rm und U ⊂ Rn eine offene Menge. Ferner sei f eine stetig partiell differenzierbare Funktion. Unter dem Differential, der Jacobi- oder Funktional-Matrix von f im Punkte x ∈ U wird der Term (Df )(x) := Jf (x) := ∂fi (x) ∂xl 1≤i≤m 1≤l≤n verstanden. Anmerkung: Für m = 1 ist das ist ein Element aus Rn (Vektor). Der Ausdruck ∂f ∂f ∂f grad f (x) := (x) = (x), ..., (x) ∂xl ∂x ∂x 1 n 1≤l≤n heißt Gradient. Der Vektor grad f (x) gibt die Richtung des stärksten Anstiegs von f an und steht senkrecht auf den Höhenlinien. Für Funktionen f : U → R mit U ⊂ R2 lässt sich der Gradient sehr einfach veranschaulichen: y grad f ( x , y ) P ( x , y) f ( x , y)=c 2 f ( x , y)=c 1 x Abbildung 3.10 Gradient grad f (x, y) Definition: Sei f : U → R und U ⊂ Rn eine offene Menge. Ferner sei f eine zweimal stetig partiell differenzierbare Funktion. Als Hesse-Matrix von f im Punkte x ∈ U wird der folgende Term bezeichnet: 2 ∂ f (Hf )(x) := (x) . ∂xl ∂xm 1≤l≤n 1≤m≤n Anmerkung: Die Hesse-Matrix ist ein Element aus Rn × Rn . Satz: Sei f : U → R und U ⊂ Rn eine offene Menge. Ferner sei f eine zweimal stetig partiell differenzierbare Funktion und x ∈ U ein Punkt mit grad f (x) = 0 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 118 • Ist die Matrix (Hf )(x) positiv definit, so hat f in x ein isoliertes lokales Minimum. • Ist (Hf )(x) negativ definit, so hat f in x ein isoliertes lokales Maximum. • Ist die Matrix (Hf )(x) indefinit, so hat f in x kein lokales Extremum. Anmerkung: Einen Punkt, in dem der Gradient verschwindet, bezeichnen wir als kritischen Punkt. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3.5 Lokale Extrema im R2 Der Vektor grad f (x) besteht hier aus zwei Komponenten. Statt grad f (x) = 0 können wir ∂f (x1 , x2 ) ∂f (x1 , x2 ) = 0 und =0 ∂x1 ∂x2 schreiben. Für die Formulierung der Hesse-Matrix Hf (x) sind einige Abkürzungen sinnvoll: a11 := ∂ 2f ∂ 2f (x) , a := (x) , 12 ∂x21 ∂x1 ∂x2 a21 := ∂ 2f ∂ 2f (x) , a22 := (x) . ∂x2 ∂x1 ∂x22 Mit dieser Schreibweise erhalten wir a11 a12 Hf (x) = . a21 a22 Wenn f eine zweimal stetig partiell differenzierbare Funktion ist, gilt außerdem a21 = a12 . Ferner ist Hf (x) in x ∈ U • positiv definit, wenn det(Hf (x)) > 0 und a11 > 0 • negativ definit, wenn det(Hf (x)) > 0 und a11 < 0 • indefinit, wenn det(Hf (x)) < 0 ist. Im folgenden Abschnitt schreiben wir der Einfachheit halber D statt det(Hf (x)). Anmerkung Ist die Hessesche Matrix in einer Nullstelle des Gradienten von f lediglich semidefinit, wie beispielsweise im Falle von f (x, y) = x2 + y 4 oder f (x, y) = x2 + y 3 , so lassen sich unsere Kriterien nicht anwenden. Für beide Funktionen gilt grad f (0, 0) = (0, 0) 119 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 120 und Hf (0, 0) = 20 00 . Daher ist die Hessesche Matrix im Nullpunkt positiv semidefinit. Während jedoch die Funktion f (x, y) = x2 +y 4 im Nullpunkt ein isoliertes lokales Minimum besitzt, hat f (x, y) = x2 + y 3 dort kein lokales Extremum. Für f : R2 → R mit (x, y) 7→ z = f (x, y) = x2 − y 2 verschwindet der Gradient lediglich bei (x, y) = (0, 0). In dem kritischen Punkt (0, 0) ist D < 0. Daher besitzt f im Punkt (0, 0) kein lokales Extremum. Der Graph von f ist eine sog. Sattelfläche. Abbildung 3.11 Graph von f (x, y) = x2 − y 2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Beispiele • Sei f : R2 → R mit (x, y) 7→ z = f (x, y) = x2 − 2x + 1 + y 2 = (x − 1)2 + y 2 . Für die partiellen Ableitungen erster und zweiter Ordnung erhalten wir ∂x f (x, y) = 2x − 2 , ∂y f (x, y) = 2y und ∂x2 f (x, y) = 2, ∂y ∂x f (x, y) = 0, ∂y2 f (x, y) = 2 . Die Bedingung ∂x f (x, y) = ∂y f (x, y) = 0 für einen kritischen Punkt impliziert, dass 2x − 2 = 0 und 2y = 0 . Daher ist P (1, 0) der einzige kritische Punkt. Da außerdem für P D > 0 und a11 = ∂x2 f (x, y) = 2 > 0 gilt, besitzt f in P ein lokales Minimum. Abbildung 3.12 Graph von f (x, y) = (x − 1)2 + y 2 • Sei f : R2 → R mit f (x, y) = x3 − 3xy + y 3 . Für die partiellen Ableitungen erster und zweiter Ordnung erhalten wir ∂x f (x, y) = 3x2 − 3y , ∂y f (x, y) = −3x + 3y 2 121 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 122 und ∂x2 f (x, y) = 6x, ∂y ∂x f (x, y) = −3, ∂y2 f (x, y) = 6y . Die Bedingung ∂x f (x, y) = ∂y f (x, y) = 0 für einen kritischen Punkt impliziert, dass y = x2 und x = y 2 . Betrachten wir x = x4 , so erhalten wir, wegen x(1 − x3 ) = 0, die Nullstellen x = 0 und x = 1 und damit die kritischen Punkte P (0, 0) und Q(1, 1). Da im Punkt P D = −9 < 0 gilt, hat die Funktion f in P kein lokales Extremum. Im Punkt Q gilt D = 27 > 0 und a11 = ∂x2 f (x, y) = 6 > 0 , so dass dort ein lokales Minimum vorliegt. Abbildung 3.13 Graph von f (x, y) = x3 − 3xy + y 3 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3.6 123 Übungsaufgaben: Differentialrechnung im R2 Aufgabe 1 Bestimmen Sie den maximalen Definitionsbereich D ⊂ R2 der Funktionen f : D → R , (x, y) 7→ f (x, y) mit √ p a) f (x, y) = y − 2x , p d) f (x, y) = x2 + y 2 − 1 , p b) f (x, y) = (x2 − 1)(9 − y 2 ) , p e) f (x, y) = 2x − 2y . c) f (x, y) = x+y , x−y und skizzieren Sie jeweils die Punktmenge D. Aufgabe 2 Beschreiben Sie die Höhenlinien folgender Funktionen f : R → R , (x, y) 7→ f (x, y) jeweils als Kurven, die sich als Kegelschnitte definieren lassen. Es sei a) f (x, y) = x2 + y 2 + 1 , b) f (x, y) = x2 − y 2 , c) f (x, y) = xy , d) f (x, y) = x2 − 2x + 1 + 2y 2 . Aufgabe 3 Berechnen Sie die partiellen Ableitungen erster Ordnung folgender Funktionen f : D → R , (x, y) 7→ f (x, y) mit a) f (x, y) = x2 + xy − y 2 + 2x , d) f (x, y) = x2 + y 2 , x+y b) f (x, y) = (3x − 4y)4 , e) f (x, y) = exp(xy) . c) f (x, y) = arctan x , y Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 124 Aufgabe 4 Bestimmen Sie die Parameter- und Koordinatendarstellung der Tangentialebene folgender Funktionen f : R → R , (x, y) 7→ f (x, y) im Punkt P (x, y, f (x, y)). Es sei a) f (x, y) = x2 + xy − y 2 + 2x , P (1, 1, f (1, 1)), b) f (x, y) = (x2 + y 2 ) exp(−x) , P (0, 1, f (0, 1)), c) f (x, y) = sin(x + y) , P (π, −π, f (π, −π)) d) f (x, y) = sin x · cos y , P (π, 0, f (π, 0)). Aufgabe 5 Die Vermessung eines Dreiecks ergab für die Grundseite c und die beiden anliegenden Winkel folgende Werte c = (10 ± 0, 1) m , α = π π ± 0, 005 und β = ± 0, 002 . 4 4 Berechnen Sie den maximalen absoluten und relativen Fehler für die Dreiecksfläche A mittels A= c2 sin α sin β . 2 sin(α + β) Aufgabe 6 Bestimmen Sie die Regressionsgerade für folgende Daten (ti , si ): 1 3 6 3 7 23 ( , 1), ( , ), (2, ), ( , ). 2 2 5 2 2 10 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Aufgabe 7 Bestimmen Sie alle lokalen Extrema der Funktionen f : D → R , (x, y) 7→ f (x, y) mit a) f (x, y) = 2(x + 1)2 + (y + 1)2 , b) f (x, y) = 3xy 2 + 4x3 − 3y 2 − 12x2 + 1 , c) f (x, y) = (x2 + y 2 ) exp(−x) , d) f (x, y) = 2x3 − 3xy + 3y 3 + 1 , e) f (x, y) = 1 1 1 xy + − . 27 x y Aufgabe 8 Gesucht wird das Maximum der Funktion f = f (x, y) = (x + a)2 x + (y + b)2 wobei a, b reelle Konstanten sind. 125 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3.7 126 Übungsaufgaben: zur Wiederholung Aufgabe 1 Berechnen Sie die folgenden Potenzen: a) (1 − i)5 , c) (1 + √ b) (1 + i)8 , 3 i)4 , 1 d) ( √ (1 + i))25 . 5 2 Aufgabe 2 Bestimmen Sie alle Lösungen der folgenden Gleichungen in C und skizzieren Sie diese in der Gaußsche Zahlenebene: √ a) z 4 = −1 , b) z 3 = −1 − 3 i , c) z 4 + 2z 2 = −4 , d) z 5 = 32i . Aufgabe 3 Skizzieren Sie die Menge {z ∈ C | − 1 ≤ Imz ≤ 1 , |z| = 3 und π ≤ arg z ≤ 2π} in der Gaußschen Zahlenebene. Aufgabe 4 Bestimmen Sie folgende Punktmenge und skizzieren Sie diese: {z ∈ C | |z − 3| = 2} . |z + 3| Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 127 Aufgabe 5 Gegeben sei u1 (t) = 2 sin t , u2 (t) = sin(t + 2π 4π ) , u3 (t) = sin(t + ). 3 3 a) Stellen Sie die komplexen Amplituden der Summen u1 (t) + u2 (t) und u1 (t) + u2 (t) + u3 (t) im Zeigerdiagramm dar. b) Stellen Sie diese Summen in der Form A sin(t + ϕ) , mit A ∈ R, dar. Aufgabe 6 Sei f : C\{0} → C, z 7→ z −1 . Bestimmen Sie die Bilder f (M ) der folgenden Punktmengen: a) M = {z = (1 − i)t t ∈ R}, b) M = {z = i + (1 + i)t t ∈ R}, c) M = {z ∈ C | |z + 1 + 2i| = 1}. Aufgabe 7 Stellen Sie fest, ob die folgenden Reihen ∞ X xn konvergieren, falls n=1 1 a) xn = √ , n d) xn = (−1)n−1 b) xn = 1 , n2 n+1 , n3 e) xn = (−1)n−1 c) xn = 1 . 3n − 1 n2 + 1 , n3 + 1 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 128 Aufgabe 8 Bestimmen Sie den Konvergenzbereich und Konvergenzradius der Potenzreihe ∞ X (−1)n+1 n=1 xn . n2 Untersuchen Sie hierzu auch das Konvergenzverhalten in den Randpunkten des Konvergenzbereichs. Aufgabe 9 Bestimmen Sie die Taylor-Reihe für die Funktion f : R → R, x 7→ cos(2x) , mit Entwicklungspunkt x0 = π . 2 Aufgabe 10 Das Taylor-Polynom dritter Ordnung einer Funktion f zum Entwicklungspunkt x0 = −1 sei T3 (x) = 3 + 4(x + 1) − (x + 1)3 . Bestimmen Sie f (−1), f 0 (−1), f 00 (−1) und f 000 (−1) . Aufgabe 11 Geben Sie die Tangentialebene der Funktion f : R → R , (x, y) 7→ exp(x2 y) 1 1 im Punkt P (2, , f (2, )) in der Parameter- und der Koordinatendarstellung an. 2 2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 129 Aufgabe 12 Eine Ebene E ⊂ R2 ist durch die Gleichung z(x, y) = x + 2y − 5 2 gegeben. a) Wie müssen die Parameter α, β, γ ∈ R von f (x, y) = αx2 + βy 2 + γ gewählt werden, damit E die Tangentialebene des Graphen von f im Punkte P (1, 3, f (1, 3)) ist? b) Bestimmen Sie die Höhenlinien und skizzieren Sie diese für f , mit den Parametern α, β, γ 9 aus Aufgabenteil a), zum Niveau . 2 Aufgabe 13 Die Vermessung eines Dreiecks ergab für die Seiten x und y die Werte x = (150 ± 0, 2) m , y = (200 ± 0, 2) m und für den eingeschlossenen Winkel α = 60◦ ± 1◦ . Berechnen Sie den maximalen absoluten und relativen Fehler für die Dreiecksfläche A mittels 1 A = xy sin α . 2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 4 4.1 130 Integralrechnung Das Riemannsche Integral Das Riemannsche Integral geeigneter Funktionen und Intervalle wird im Rahmen eines Grenzwertprozesses für Treppenfunktionen eingeführt. Treppenfunktionen Sei a, b ∈ R mit a < b. Eine Funktion ϕ : [a, b] → R heißt Treppenfunktion, falls es eine Unterteilung a = x0 < x1 < ... < xn−1 < xn = b des Intervalls [a, b] und Konstanten ck ∈ R gibt, so dass ϕ(x) = ck für alle x ∈ (xk−1 , xk ) mit 1 ≤ k ≤ n . Die Funktionswerte ϕ(tk ) sind beliebig. y a x1 x2 x3 x4 x5 b x Abbildung 4.1 Treppenfunktion und Unterteilung des Intervalls Das Integral für Treppenfunktionen Sei ϕ eine Treppenfunktion, die hinsichtlich der Unterteilung a = x0 < x1 < ... < xn = b so definiert ist, dass ϕ(x ,x ) = ck für k = 1, ..., n . k−1 k Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 131 Dann wird Zb n X ϕ(x) dx := ck (xk − xk−1 ) k=1 a definiert. Die Menge aller Treppenfunktionen ϕ : [a, b] → R bezeichnen wir mit T [a, b]. Definition: Sei f : [a, b] → R eine beschränkte Funktion. Dann wird das Oberintegral als b Zb ∗ Z f (x) dx := inf ϕ(x) dx | ϕ ∈ T [a, b], ϕ ≥ f a a und das Unterintegral als Zb f (x) dx := sup a b Z ∗ ϕ(x) dx | ϕ ∈ T [a, b], ϕ ≤ f a bezeichnet. Dabei heißt eine reelle Zahl • Supremum sup, falls sie die kleinste obere und • Infimum inf, falls sie die größte untere Schranke ist. f y φ≥ f φ≤ f x Abbildung 4.2 Treppenfunktionen und Integration Definition: Eine beschränkte Funktion f : [a, b] → R heißt Riemann-integrierbar, wenn Zb Zb ∗ f (x) dx f (x) dx = a a ∗ gilt. Dann wird Zb Zb f (x) dx := a gesetzt. ∗ f (x) dx a Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 132 Beispiele • Treppenfunktionen ϕ ∈ T [a, b] sind Riemann-integrierbar. • Die Funktion f : [0, 1] → R mit 1 für x ∈ Q f (x) = 0 für x ∈ R\Q ist nicht Riemann-integrierbar, da Z1 Z1 ∗ f (x) dx = 1 und 0 f (x) dx = 0 . 0 ∗ Im folgenden Abschnitt schreiben wir statt Riemann-integrierbar lediglich integrierbar. Satz: Jede stetige Funktion f : [a, b] → R ist integrierbar. Das lässt sich mit Hilfe der Approximierbarkeit stetiger Funktionen und der Ober- und Unterintegrale durch Treppenfunktionen ϕ, ψ ∈ T [a, b], mit ϕ ≤ f ≤ ψ, und die jeweiligen Oberund Untersummen zeigen. Mit dieser Eigenschaft lässt sich auch der folgende Satz beweisen. Satz: Jede monotone Funktion f : [a, b] → R ist integrierbar. Linearität und Monotonie des Integrals Satz: Seien f, g : [a, b] → R integrierbar und λ ∈ R. Dann sind auch die Funktionen f + g und λf integrierbar und es gilt: Zb Zb (f + g)(x) dx = (i) f (x) dx + a a Zb g(x) dx, a Zb (λf )(x) dx = λ (ii) Zb a (iii) Ist f ≤ g, so gilt f (x) dx, a Rb a f (x) dx ≤ Rb a g(x) dx. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 133 Intervallgrenzen Satz: Sei a < b < c und f : [a, c] → R. Die Funktion f genau dann integrierbar, wenn f |[a,b] und f |[b,c] integrierbar sind. Dann gilt Zc Zb f (x) dx = a Zc f (x) dx + a f (x) dx . b Definition • Für identische obere und untere Intervallgrenze a wird Za f (x) dx := 0 a gesetzt. Zb • Die Integration f (x)dx kann für b < a mittels a Zb Za f (x)dx := − a behandelt werden. f (x) dx b Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 4.2 134 Integration und Differentiation Betrachten wir statt des Integrals Zb f (t) dt a einer integrierbaren Funktion f : [a, b] → R, das entsprechende Integral mit einer variablen Integrationsgrenze x ∈ (a, b], so erhalten wir die Funktion Zx F (x) := f (t) dt . a 4.2.1 Der Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung Eine differenzierbare Funktion F :I→R heißt Stammfunktion einer Funktion f : I → R, falls f die Ableitung der Funktion F , d.h. F0 = f ist. Beispiel Die Funktion F (x) = 1 xn+1 , n ∈ N , n+1 ist Stammfunktion von f (x) = xn . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 135 Sei F : I → R Stammfunktion von f : I → R Eine weitere Funktion G : I → R ist genau dann Stamfunktion von f , wenn F (x) − G(x) = c für x ∈ I , mit einer Konstanten c ∈ R, gilt. Beweis (i) Sei F − G = c mit einer Konstanten c ∈ R. Dann gilt G0 = (F − c)0 = F 0 = f . (ii) Sei G Stammfunktion von f . Demnach gilt G0 = f = F 0 und daher (F − G)0 = 0. Nach dem Mittelwertsatz der Differentialrechnung ist F − G = c mit einer Konstanten c ∈ R. Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung Sei f : I → R eine stetig Funktion und F eine Stammfunktion von f . Dann gilt Zb f (x) dx = F (b) − F (a) mit a, b ∈ I . a Beweis Definieren wir Zx f (t) dt mit x ∈ I , F0 (x) := a so ist F0 : I → R eine Stammfunktion von f mit Zb F0 (a) = 0 und F0 (b) = f (t) dt . a Eine beliebige Stammfunktion F von f kann sich von F0 nur durch eine additive Konstante c ∈ R unterscheiden. Daher gilt Zb F (b) − F (a) = F0 (b) − F0 (a) = F0 (b) = f (t) dt . a Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 136 Beispiel Eine einfache Integration ist bereits erforderlich, soll die entlang eines Weges verrichtete Arbeit berechnet werden, wenn die Kraft in Wegrichtung nicht konstant ist. Das ist beispielsweise in der Elektrostatik der Fall, wenn wir die Arbeit W berechnen, die bei beliebigen Verschiebungen einer Ladung q im Coulomb-Feld F einer Ladung Q verrichtet wird. Soll sich deren Ort vom Abstand r1 auf den Abstand r2 vergrößern, so erhalten wir Zr2 W12 = − qQ F (r) dr = − 4π0 1 qQ 1 1 qQ 1 r2 · = ( − ). dr = 2 r 4π0 r r1 4π0 r2 r1 r1 r1 4.2.2 Zr2 Integrationsmethoden Substitutionsregel Sei f : I → R eine stetige Funktion und ϕ : [a, b] → R eine stetig differenzierbare Funktion mit ϕ([a, b]) ⊂ I. Dann gilt Zb Zϕ(b) f (ϕ(t))ϕ0 (t) dt = f (x) dx . a ϕ(a) Beweis Sei F : I → R eine Stammfunktion von f . Dann gilt nach der Kettenregel (F ◦ ϕ)0 (t) = F 0 (ϕ(t))ϕ0 (t) = f (ϕ(t))ϕ0 (t) . Nach dem Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechung erhalten wir daher Zb Zϕ(b) b f (ϕ(t))ϕ (t) dt = (F ◦ ϕ(t)) = F (ϕ(b)) − F (ϕ(a)) = f (x) dx . 0 a a Beispiele zur Substitutionsregel • Wir erhalten Z 1 2 1 dt = ln |2 + 3t| + C , wobei t 6= − , 2 + 3t 3 3 mit Hilfe der Substitution ϕ(t) := 2 + 3t, ϕ(a) Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 137 • und Z 2 2 2 t et dt = et + C mittels ϕ(t) := t2 . Einige Substitutionen Z • Für Integrale der Form Z f (ax + b) dx, mit a 6= 0, erhalten wir 1 f (ax + b) dx = a Z • Für Integrale der Form Z f (u) du . f (x) · f 0 (x) dx erhalten wir Z 1 f (x) · f 0 (x) dx = (f (x))2 + C . 2 Z 1 1 Beispiel: sin x · cos x dx = sin2 x + C1 = − cos2 x + C2 2 2 Z 0 f (x) • Für Integrale der Form dx erhalten wir f (x) Z 0 f (x) dx = ln |f (x)| + C . f (x) Z Beispiel: tan x dx = − ln | cos x| + C, wobei − π2 < x < π2 . • Ist f eine rationale Funktion, so werden Integrale der Form Z √ f (x, 1 − x2 ) dx oft mittels x =: cos u umgeformt. Dabei erhalten wir Z Z √ 2 f (x, 1 − x ) dx = f (cos u, | sin u|) sin u du . • Ist f eine rationale Funktion, so werden Integrale der Form Z √ f (x, x2 − 1) dx oft mittels x =: cosh u Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 138 umgeformt. Dabei erhalten wir Z Z √ 2 f (x, x − 1) dx = f (cosh u, | sinh u|) sinh u du . Hier wurde die Winkelfunktion cos des vorangegangenen Beispiels durch eine hyperbolische Funktion, nämlich den Cosinus hyperbolicus cosh, ersetzt. Analog zu den Beziehungen für Sinus sin sin x = 1 ix (e − e−ix ) 2i und Cosinus cos 1 cos x = (eix + e−ix ) 2 werden die Funktionen Sinus hyperbolicus sinh : R → R durch 1 sinh x := (ex − e−x ) 2 und Cosinus hyperbolicus cosh : R → R durch 1 cosh x := (ex + e−x ) 2 definiert. y cosh x sinh x x Abbildung 4.3 Die Hyperbelfunktionen cosh und sinh Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Für alle x, y ∈ R gilt cosh(x + y) = cosh x cosh y + sinh x sinh y , sinh(x + y) = sinh x cosh y + cosh x sinh y und cosh2 x − sinh2 x = 1 . Die Funktion tanh : R → R ist durch tanh x := sinh x cosh x definiert. Die Umkehrfunktionen von sinh, cosh und tanh heißen arsinh, arcosh bzw. artanh. 139 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 140 Partielle Integration Seien f, g : [a, b] → R zwei stetig differenzierbare Funktionen. Dann gilt Zb b Z b f (x)g 0 (x) dx = f (x)g(x) − g(x)f 0 (x) dx . a a a Beweis Nach der Produktregel erhalten wir für die Ableitung von F := f g (f · g)0 (x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g 0 (x) und mit dem Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung Zb Zb 0 f (x)g(x) dx + b b f (x)g 0 (x) dx = F (x) = f (x)g(x) . a a a a Beispiele zur partiellen Integration Z • Für x eax dx gilt Z 1 1 x e dx = eax · x − a a ax Z 1 ax e (ax − 1) + C , a2 eax dx = Z • für ln x dx, mit x > 0, gilt Z Z ln x dx = x · ln x − Z • und für Z x· 1 dx = x · ln x − x + C x x x arctan( ) dx gilt a x 1 x x arctan( ) dx = x2 arctan( ) − a 2 a Z a 2 1 dx , x · 2 2 a + x2 was sich mittels x2 x 2 + a2 − a2 a2 = = 1 − a2 + x 2 a2 + x 2 a2 + x2 umformen lässt zu Z x 1 x a x arctan( ) dx = (x2 + a2 ) arctan( ) − x + C . a 2 a 2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 141 Partialbruchzerlegung Seien m, n ∈ N, p(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + ... + an xn und q(x) = b0 + b1 x + b2 x2 + ... + bn xm Polynome mit reellen Koeffizienten. Ferner sei D := {x ∈ R | q(x) 6= 0}. Dann heißt die Funktion r : D → R, x 7→ r(x) = p(x) q(x) rationale Funktion. Lässt sich r nur mit Nennerpolynomen des Grades m > 0 darstellen, so werden die Funktionen r auch als gebrochenrationale Funktionen bezeichnet. Polynomdivision: Seien p und q Polynome und r eine rationale Funktion. Dann gibt es ein Polynom p0 und ein Polynom pr , dessen Grad kleiner als der Grad von q ist, so dass r(x) = pr (x) p(x) = p0 (x) + . q(x) q(x) pr (x) wird auch als echt gebrochen bezeichnet. q(x) Das sind rationale Funktionen, deren Zählerpolynom einen kleineren Grad hat als deren Nennerpolynom. Die rationale Funktion pr (x) echt gebrochen und bm = 1. q(x) Nach dem Faktorisierungssatz (siehe Kapitel 1.6) lässt sich das Polynom q(x) als Produkt von Faktoren der Form (x − a)k und (x2 + px + q)l , mit p2 − 4q < 0, darstellen. Sei • Zu jedem Faktor der Form (x − a)k gehören die Brüche A1 A2 Ak + + ... + . (x − a) (x − a)2 (x − a)k • Zu jedem Faktor der Form (x2 + px + q)l gehören die Brüche B1 x + C1 B2 x + C2 Bl x + Cl + 2 + ... + 2 . 2 2 (x + px + q) (x + px + q) (x + px + q)l Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 142 Beispiele Z • Um 1 dx zu berechnen, können wir folgende Partialbruchzerlegung verwenden: 1 − x2 B A 1 + . = 1 − x2 1−x 1+x Mittels Koeffizientenvergleich folgt A=B= 1 . 2 Demnach gilt Z Z Z 1 1 1 1 1 dx − dx = (ln |x + 1| − ln |x − 1|) + C dx = 1 − x2 2 x+1 x−1 2 1 x + 1 = ln +C. 2 x − 1 Z 1 • Um dx zu berechnen, können wir folgende Partialbruchzerlegung verwenden: 3 x − x2 x3 1 A B C 1 = 2 = + 2+ . 2 −x x (x − 1) x x x−1 Mittels Koeffizientenvergleich folgt A = −1, B = −1, C = 1 . Demnach gilt Z Z Z Z 1 1 1 1 dx = − dx − dx + dx 3 2 2 x −x x x x−1 x − 1 1 1 + +C. = − ln |x| + + ln |x − 1| + C = ln x x x Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 143 Beispiele zur Flächenberechnung • Gesucht ist die Fläche, die der Funktionsgraph von f : [a, b] → R , x 7→ f (x) = c , mit c ∈ R∗+ , mit der Abszisse und den Geraden x = a und x = b einschließt. y f ( x )=c c b a x Abbildung 4.4 Flächeninhalt eines Rechtecks Wir erhalten Zb c dx = c · (b − a) . a • Gesucht ist die Fläche, die der Funktionsgraph von f : [0, a] → R , x 7→ f (x) = m x , mit m ∈ R∗+ , mit der Abszisse und der Geraden x = a einschließt. y f ( x )=m x 0 a x Abbildung 4.5 Flächeninhalt eines Dreiecks Wir erhalten a Za x2 h a2 1 m x dx = m = · = ah , 2 0 a 2 2 0 mit h := f (a). Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 144 • Der Flächeninhalt eines Kreises {(x, y) ∈ R2 | x2 + y 2 = r2 } lässt sich mit Hilfe des Integrals Zb √ r2 − x2 dx , mit − r < a < b < r , a und dieses mittels Zb √ 1 − x2 dx , mit − 1 < a < b < 1 , a bestimmen. Hier berechnen wir die Fläche eines Halbkreises mit Hilfe des Funktionsgraphen von √ f : (−1, 1) → R , x 7→ y = f (x) = 1 − x2 . y f ( x )= √ 1− x 2 x Abbildung 4.6 Flächeninhalt eines Halbkreises Nach der Substitution x = sin t und den Definitionen u := arcsin a und v := arcsin b folgt Zb √ Zv p Zv 1 − x2 dx = 1 − sin2 t · cos t dt = cos2 t dt . a u u Da 1 cos2 t = (cos(2t) + 1) 2 gilt, können wir Zb √ a 1 1 − x2 dx = 2 Zv u v 1 v 1 (cos(2t) + 1) dt = sin(2t) + t 4 2 u u Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg schreiben. Mit p sin(2t) = 2 sin t · cos t = 2 sin t · 1 − sin2 t erhalten wir Zb √ 1− x2 b 1 √ 2 dx = (x 1 − x + arcsin x) . 2 a a Da der Term stetig von den Integrationsgrenzen abhängt, folgt hieraus, dass Z1 √ 1 − x2 dx = π 2 −1 der Flächeninhalt eines Halbkreises mit Radius 1 ist. 145 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 4.3 146 Uneigentliche Integrale Hier betrachten wir die Fälle, dass • das Intervall uneigentlich ist, • der Integrationsbereich eine Singularität der zu integrierenden Funktion enthält. Definition: Sei f : [a, ∞) → R eine Funktion, die über jedem Intervall [a, b], mit a < b < ∞, Riemann-integrierbar ist. Falls der Grenzwert Zb lim f (x) dx b→∞ a existiert, heißt das Integral R∞ f (x) dx konvergent und es wird a Z∞ Zb f (x) dx := lim f (x) dx b→∞ a a gesetzt. Anmerkung: Entsprechend wird verfahren, wenn statt des uneigentlichen Intervalls [a, ∞) die uneigentlichen Intervalle (−∞, b] oder (−∞, ∞) auftreten. Beispiel Das Integral Z∞ 1 dx , mit s ∈ R und s > 1 , xs 1 konvergiert, da Zb 1 1 1 1 b dx = · s−1 = s x 1−s x s−1 1 1 und daher Z∞ 1 1 1 dx = . s x s−1 1 1 − s−1 b Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 147 Definition: Sei f : (a, b] → R eine Funktion, die über jedem Teilintervall [a + , b] ⊂ (a, b] Riemann-integrierbar ist. Falls der Grenzwert Zb lim &0 a+ f (x) dx existiert, heißt das Integral Rb f (x) dx konvergent und es wird a Zb Zb f (x) dx := lim &0 a+ a f (x) dx gesetzt. Beispiel Das Integral Z1 1 dx , mit s ∈ R und s < 1 , xs 0 konvergiert, da Z1 1 1 1 1 1 dx = · (1 − 1−s ) = s s−1 x 1−s x 1−s und daher Z1 0 1 1 dx = . xs 1−s Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 148 Integral-Vergleichskriterium für Reihen Satz: Ist f : [1, ∞) → R+ eine monoton fallende Funktion, so konvergiert die Reihe ∞ X Z∞ f (n) genau dann, wenn n=1 f (x) dx 1 existiert. Beispiel Die Reihe ∞ X 1 , mit s ∈ R , s n n=1 konvergiert für s > 1 und divergiert für s ≤ 1, wie sich leicht mit Hilfe von Z∞ 1 dx xs 1 zeigen lässt. Anmerkung: Die Funktion ∞ X 1 ζ(z) := , mit z ∈ C und Re(z) > 1 , nz n=1 heißt Riemannsche Zetafunktion. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 4.4 149 Kurven im Rn und deren Länge Definition: Eine Kurve im Rn ist eine stetige Abbildung f : I → Rn , wobei I ⊂ R ein eigentliches oder uneigentliches Intervall ist. Beispiel Sei r, c ∈ R mit r > 0 und c 6= 0. Die Kurve f : R → R3 , t 7→ (r cos t, r sin t, ct) ist eine Schraubenlinie. Z X Y Abbildung 4.7 Schraubenlinie Länge einer Kurve Ist x = (x1 , ..., xn ) ∈ Rn . Dann nennen wir q kxk = x21 + ... + x2n die euklidische Norm von x. Sei f : [a, b] → Rn eine Kurve. Das Intervall [a, b] wird folgendermaßen unterteilt: a = t0 < t1 < ... < tk = b . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 150 Verbinden wir die Punkte f (ti−1 ) mit f (ti ) für i = 1, ..., k durch Geradenstücke, so erhalten wir einen Polygonzug. f (b) f (t k −1 ) f (t 2) f (a ) f (t 1 ) Abbildung 4.8 Polygonzug Die Länge des Polygonzugs ist gleich k X kf (ti ) − f (ti−1 )k . i=1 Für eine stetig differenzierbare Kurve f : [a, b] → Rn existiert eine Folge beliebig feiner Unterteilungen, so dass die zugehörige Länge des Polygonzugs gegen die Länge L der Kurve konvergiert. Für die Länge gilt Zb L= kf 0 (t)k dt . a Ist I ⊂ R ein Intervall und ϕ : I → R eine stetige Funktion. Dann kann der Graph dieser Funktion, Γϕ = {(x, y) ∈ I × R | y = ϕ(x)} , als Kurve f im R2 aufgefasst werden mit f : I → R2 , t 7→ (t, ϕ(t)) . In diesem Fall erhalten wir für die euklidische Norm p kf 0 (t)k = 1 + (ϕ0 (t))2 , da sich die Länge des Polygonzug dann zu s k X (ϕ(ti ) − ϕ(ti−1 ))2 + (ti − ti−1 )2 i=1 umformulieren lässt. Anmerkung: Statt t können wir hier selbstverständlich auch x schreiben. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 151 Beispiel Um die Länge eines Kreises mit Radius r zu bestimmen, betrachten wir den Funktionsgraphen von √ ϕ : (−r, r) → R , x 7→ r2 − x2 . Es gilt x ϕ0 (x) = − √ . r 2 − x2 Demnach beträgt die Länge des Halbkreises Zr L=r −r 1 √ dx = r 2 r − x2 Z1 √ −1 Anmerkung: Wenn der Integrand statt hier arcsin durch arsinh ersetzen. 1 1 dx = r arcsin x = rπ 2 −1 1−x √ 1 − x2 den Term √ 1 + x2 enthielte, dann müssten wir Wir können einen Kreisbogen auch mit Hilfe von Polarkoordinaten ausdrücken. Seien r, ϕ ∈ R∗+ und r fest. Durch f : [0, ϕ] → R2 , t 7→ f (t) = r · (cos t, sin t) wird ein Kreisbogen beschrieben. Es gilt f 0 (t) = r · (− sin t, cos t) und daher kf 0 (t)k = r p sin2 t + cos2 t = r . Somit erhalten wir für die Bogenlänge Zϕ 0 Zϕ kf (t)k dt = r L= 0 dt = rϕ . 0 Der Umfang eines Kreises ist 2πr. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 4.5 152 Volumen von Rotationskörpern Sei f : [a, b] → R+ stetig. Dann bezeichnen wir die Menge K := {(x, y, z) ∈ [a, b] × R2 | y 2 + z 2 ≤ f (x)2 } als Rotationskörper. x z y Abbildung 4.9 Rotationskörper (kugelförmig) x z y Abbildung 4.10 Rotationskörper (torusförmig) Das Volumen eines Rotationskörpers lässt sich mit Hilfe der Formel Zb V =π a berechnen. f (x)2 dx Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 153 Diese Formel ist das Ergebnis einer Approximation des Volumens mittels Kreiszsylindern mit den Volumina Vk = πf (xk )2 4x . y f x f xk a xk b x Δx Abbildung 4.11 Volumen eines Rotationskörpers Beispiele 3 • Hinsichtlich f : [0, ] → R+ , x 7→ x2 soll das Volumen des Rotationskörpers 2 3 K := {(x, y, z) ∈ [0, ] × R2 | y 2 + z 2 ≤ f (x)2 } 2 bestimmt werden. y f ( x )=x 2 x Abbildung 4.12 Der Graph von f (x) = x2 Für das Volumen des Rotationskörpers erhalten wir 3 Z2 V =π 0 x5 32 π f (x) dx = π = · 5 0 5 2 5 3 . 2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 154 • Um das Volumen eine Kugel mit Radius r zu bestimmen, betrachten wir wieder den Funktionsgraphen von √ ϕ : (−r, r) → R , x 7→ r2 − x2 . y f ( x )= √ 1− x 2 x Abbildung 4.13 Halbkreis Für das Volumen der Kugel erhalten wir Zr V =π −r (r2 − x2 ) dx = π (r2 x − 4π 3 1 3 r x ) = r . 3 3 −r Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 155 Integralrechnung im Rn 4.6 Mehrfache Integrale auf achsenparallelen Quadern Q ⊂ Rn lassen sich als Verallgemeinerung der Integrale für f : [a, b] → R definieren. Sei Q = I1 × I2 × ... × In , wobei Ik := [ak , bk ] ⊂ R, und f : Q → R , x 7→ f (x) eine stetige Funktion. Anmerkung: Statt x ∈ Rn können wir auch (x1 , ..., xn ) mit xi ∈ R schreiben. Ist (x2 , ..., xn ) ∈ I2 × ... × In fest, so kann die Funktion f hinsichtlich x1 über das Intervall I1 integriert werden. Setzen wir Zb1 F1 (x2 , ...., xn ) := f (x1 , x2 , ..., xn ) dx1 , a1 so ist F1 : I2 × ... × In → R stetig, wie sich zeigen lässt. Ist nun (x3 , ..., xn ) ∈ I3 × ... × In fest, so kann die Funktion F1 hinsichtlich x2 über das Intervall I2 integriert werden. Setzen wir Zb2 Zb2 Zb1 F2 (x3 , ...., xn ) := F1 (x2 , ..., xn ) dx2 = f (x1 , x2 , ..., xn ) dx1 dx2 , a2 a2 a1 so ist F2 : I3 × ... × In → R stetig. Nach n-maliger Wiederholung dieses Verfahrens ergibt sich b b Z Zbn Z2 Z1 f (x1 , ..., xn ) dx1 ....dxn = ... f (x1 , x2 , ...., xn ) dx1 dx2 ...dxn . Q an a2 a1 Z Z f (x1 , ..., xn ) dx1 ....dxn schreiben wir auch kürzer Statt Q Q f (x)dn x. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 156 Linearität und Monotonie des Integrals Seien f, g : Q → R integrierbar und λ ∈ R. Dann sind auch die Funktionen f + g und λf integrierbar und es gilt: Z Z n (f (x) + g(x))d x = (i) Q Z (ii) Z n f (x) d x + Q λ · f (x)dn x = λ · Z g(x) dn x, Q f (x)dn x, Q Q Z n Z f (x)d x ≤ (iii) Ist f ≤ g, so gilt Q g(x) dn x . Q Integration über Teilmengen Definition: Sei M ⊂ Rn eine Teilmenge. Eine Funktion f : M → R ∪ {±∞} heißt integrierbar über M , falls die Funktion f˜ : Rn → R ∪ {±∞} , f˜(x) = f (x) 0 für für x∈M x ∈ Rn \M über Rn integrierbar ist. Dabei werden uneigentliche Integrale analog zu dem Vorgehen im R1 definiert. Ist f über M integrierbar, so wird Z Z f (x) dx := f˜(x) dx . M Rn gesetzt. Integrierbare Mengen Definitionen: Sei M ⊂ Rn . Die charakteristische Funktion von M ist definiert durch 1 für x ∈ M χM (x) = 0 für x ∈ Rn \M . Eine Teilmenge M ⊂ Rn heißt integrierbar, falls χM integrierbar ist. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 157 Sind M1 , M2 ⊂ Rn zwei integrierbare Teilmengen mit M1 ∩ M2 = ∅, so gilt Z Z Z n n f (x) d x = f (x) d x + f (x) dn x . M1 ∪M2 M2 M1 Anmerkung: Diese Eigenschaft ist beispielsweise auch gültig, wenn M1 ∩ M2 = A mit A ⊂ Rn−1 . Definition: Eine Teilmenge M ⊂ Rn heißt integrierbar, falls ihre charakteristische Funktion χM integrierbar ist. In diesem Fall ist das Volumen von M definiert als Z Z n d x := χM (x) dn x . V ol(M ) := Rn M 4.6.1 Integration im R2 Integration über rechteckige Bereiche Der Integrationsbereich ist hierbei ein Rechteck M := {(x, y) ∈ R2 | x0 ≤ x ≤ x1 , y0 ≤ y ≤ y1 } . y y1 M y0 x0 x1 x Abbildung 4.14 Rechteck als Integrationsbereich Ist f : M → R integrierbar, so gilt ZZ Zx1 Zy1 Zy1 Zx1 f (x, y) dx dy = f (x, y) dy dx = f (x, y) dx dy . M x0 y0 y0 x0 Demnach kann die Integrationsreihenfolge vertauscht werden. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 158 Integration über allgemeinere Bereiche im R2 Der Integrationsbereich M ⊂ R2 kann auch allgemeiner gewählt werden, wie folgendes Beispiel zeigt: Abbildung 4.15 Ein Integrationsbereich Ist der Integrationsbereich die Menge M := {(x, y) ∈ R2 | x0 ≤ x ≤ x1 , y0 (x) ≤ y ≤ y1 (x)} = {(x, y) ∈ R2 | x0 (y) ≤ x ≤ x1 (y), y0 ≤ y ≤ y1 } , so erhalten wir für eine integrierbare Funktion f : M → R xZ1 (y) Z Zx1 yZ1 (x) Zy1 f (x, y) dx dy = f (x, y) dy dx = f (x, y) dx dy M x0 y0 (x) y0 x0 (y) Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 159 Beispiele • Sei f : M → R, (x, y) 7→ f (x, y) = x sin(πy) und M := {(x, y) ∈ R2 | 0 ≤ x ≤ 2, 0 ≤ y ≤ 1}. Dann gilt Z2 ZZ x sin(πy) dx dy = 1 Z x sin(πy) dy dx . 0 0 M Außerdem erhalten wir Z1 1 2x x x sin(πy) dy = − cos(πy) = π π 0 0 und Z2 2x x2 2 4 dx = = . π π 0 π 0 Kehren wir die Integrationsreihenfolge um, so ergibt sich Z Z1 Z2 x sin(πy) dx dy = x sin(πy) dx dy . 0 M 0 Ferner gilt Z2 x2 2 x sin(πy) dx = sin(πy) = 2 sin(πy) 2 0 0 und Z1 0 1 2 4 2 sin(πy) dy = − cos(πy) = . π π 0 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 160 • Sei f : M → R, (x, y) 7→ f (x, y) = xy 2 und M das von den Geraden x = 0, y = 0 und y = − 12 x + 1 berandete Gebiet im ersten Quadranten. Es gilt ZZ xy 2 dx dy = Z2 − 12 x+1 Z 0 M xy 2 dy dx . 0 Außerdem erhalten wir − 21 x+1 y 3 − 12 x+1 x 1 3 3 2 3 = xy dy = x − x + x − x+1 3 0 3 8 4 2 Z 2 0 und Z2 1 1 4 1 3 1 2 2 1 1 4 1 3 1 2 1 5 x + x − x + x = . − x + x − x + x dx = − 24 4 2 3 24 · 5 4·4 2·3 3·2 15 0 0 Bei umgekehrter Integrationsreihenfolge berechnen wir ZZ Z1 2−2y Z xy 2 dx dy = xy 2 dx dy . 0 M 0 Es gilt 2−2y Z x2 2−2y = 2y 2 1 − 2y + y 2 xy dx = y 2 0 2 2 0 und Z1 2 3 y − 2y + y 2 0 4 dy = 2 1 3 1 4 1 5 1 1 y − y + y = . 3 2 5 15 0 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 161 Transformation auf Polarkoordinaten Wir erhalten die (ebenen) Polarkoordinaten (r, ϕ) ∈ R∗+ ×R durch die kartesischen Koordinaten (x, y) ∈ R2 \{0} mittels (x, y) = (r cos ϕ, r sin ϕ) . Ist M in folgender Form M := {(r, ϕ) ∈ R∗+ × [0, 2π) | r1 (ϕ) ≤ r ≤ r2 (ϕ), ϕ1 ≤ ϕ ≤ ϕ2 } gegeben, so können wir die Integration über kartesische Koordinaten vermeiden, indem wir folgende Identität ZZ Zϕ2 rZ2 (ϕ) f (r, ϕ) r dr dϕ f (x, y) dx dy = ϕ1 M r1 (ϕ) nutzen. Beispiel Sei M ein Viertelkreis mit Radius r = 2 und f : M → R , (x, y) 7→ f (x, y) = xy . Dann erhalten wir π Z2 ZZ xy dx dy = Z2 0 M r2 sin ϕ cos ϕ r dr dϕ . 0 Ferner gilt Z2 Z2 2 r sin ϕ cos ϕ r dr = sin ϕ cos ϕ 0 r4 2 r dr = sin ϕ cos ϕ 4 0 3 0 = 4 sin ϕ cos ϕ = 2 sin(2ϕ) und π Z2 2 π 2 sin(2ϕ) dϕ = − cos(2ϕ) = 2 . 0 0 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 162 Integration im R3 4.6.2 Transformation auf Zylinderkoordinaten Ist das Problem axialsymmetrisch, so kann es vorteilhaft sein, Zylinderkoordinaten zu benutzen. Dabei werden in jeder Ebene senkrecht zur z-Achse (ebene) Polarkoordinaten, r und ϕ verwendet. Als dritte Koordinate wird zusätzlich die kartesische Koordinate z übernommen. Ist M in folgender Form M := {(r, ϕ, z) ∈ R∗+ × [0, 2π) × R | r1 (z) ≤ r ≤ r2 (z), ϕ1 ≤ ϕ ≤ ϕ2 , z1 ≤ z ≤ z2 } gegeben, so können wir für die Integration die Identität ZZZ Zz2 Zϕ2 rZ2 (z) f (x, y, z) dx dy dz = f (r, ϕ, z) r dr dϕ dz z1 M ϕ1 r1 (z) nutzen. Beispiel Zur Berechnung des Volumens eines Kegels betrachten wir M := {(r, ϕ, z) ∈ R∗+ × [0, 2π) × R | 0 ≤ r ≤ r2 (z), 0 ≤ ϕ ≤ 2π, 0 ≤ z ≤ H} . H r(z) z z y x Abbildung 4.16 Kegel Dabei gilt r(z) H −z = , 0≤z ≤H. R H R Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 163 Das Volumen des Kegels lässt sich nun mit Hilfe des Integrals ZZZ r dr dϕ dz V = M berechnen. Es gilt Zr(z) r2 HR (H−z) 1 R 2 r dr = = ( ) (H − z)2 . 2 0 2 H 0 Wir erhalten demnach 1 R V = 2π ( )2 2 H ZH R (H − z) dz = −π( )2 H 2 0 und schließlich V = π( R 2 z̃ 3 H 1 ) · = πR2 H . H 3 0 3 Z0 H z̃ 2 dz̃ . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 4.7 164 Fourier- und Laplace-Integrale Das Fourier-Integral Ist f : R → C integrierbar, so ist auch die Funktion x 7→ f (x)e−ixξ für jedes ξ ∈ R integrierbar und das Integral 1 F (ξ) := √ 2π Z∞ f (x)e−ixξ dx −∞ existiert. Die Funktion F = Ff : R → C heißt Fourier-Transformierte von f . Die Fourier-Transformation ist eine lineare Abbildung, d.h. F(λf + µg) = λFf + µFg für λ, µ ∈ C . Das Laplace-Integral Sei f : R+ → C und das Integral Z∞ f (t)e−st dt 0 existiere. Unter dem Konvergenzbereich Kf ⊂ C verstehen wir hier, die Menge aller Werte s, für die dieses Integral konvergiert. Durch Z∞ F : Kf → C, s 7→ F (s) := e−st f (t) dt 0 ist die Laplace-Transformierte F = Lf erklärt. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 165 In der Elektrotechnik ist die Schreibweise f (t) ◦−−• F (s) und F (s) •−−◦f (t) gebräuchlich. Die Laplace-Transformation ist eine lineare Abbildung, d.h. L(λf + µg) = λLf + µLg für λ, µ ∈ R . Die inverse Laplace-Transformation wird mit L−1 bezeichnet. Beispiele • Für f (t) = 1 und s > 0 gilt Z∞ ZT 1 −st T −st −st L(1) (s) = e · 1 dt = lim e dt = lim (− e ) T →∞ T →∞ s 0 0 0 1 e−sT 1 = lim ( − )= . T →∞ s s s • Für f (t) = eγt , mit γ ∈ R, und s > γ gilt 1 L(eγt ) (s) = . s−γ • Für die Heaviside-Funktion H, gegeben durch 0 für t < 0 H(t) := 1 für t ≥ 0 , und s > 0 gilt Z∞ e−γs L(H(t − γ)) (s) = e−st dt = für festes γ ≥ 0 . s γ Ähnlichkeitssatz: Ist f ◦−−• F und γ > 0, so gilt 1 s L(f (γt)) (s) = F , γ γ s L−1 (F ( )) (t) = γf (γt) . γ Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Dämpfungssatz: Ist f ◦−−• F , so gilt L(eγt f (t)) (s) = F (s − γ) , L−1 (F (s − γ)) (t) = eγt f (t) . Verschiebungssatz: Ist f ◦−−• F und γ > 0, so gilt L(f (t − γ)H(t − γ)) (s) = e−γs F (s) , −1 L (e −γs F (s)) (t) = f (t − γ)H(t − γ) . Faltung von Funktionen Sind f, g : R → C integrierbare Funktionen, so ist die Funktion (x, y) 7→ f (x)g(y − x) über R2 integrierbar. Dann erklären wir die Faltung f ∗ g der Funktionen f und g durch Z (f ∗ g)(y) := f (x)g(y − x) dx . R oder, im Zusammenhang mit der Laplace-Transformation, durch Zt (f ∗ g)(t) := f (τ )g(t − τ ) dτ . 0 Seien f, g : R → C integrierbare Funktionen, so gilt • für die Fourier-Transformation F √ F(f ∗ g) = 2π F(f )F(g) , • für die Laplace-Transformation L L(f ∗ g) = F G , wobei f ◦−−• F und g ◦−−• G. 166 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 4.8 Übungsaufgaben: Integralrechnung Aufgabe 1 Berechnen Sie folgende Integrale mittels partieller Integration: Z Z Z √ x ln x dx , c) sin x cos x dx , a) x cos x dx , b) Z Z 2 d) sin x dx , e) (ln x)2 dx . Aufgabe 2 Berechnen Sie folgende Integrale mittels Substitution: √ Z Z Z 6x sin( x) 2 3 √ √ a) x sin(x ) dx , b) dx , c) dx , x 3x2 + 2 Z Z e2x cos(ln x) dx , e) dx . d) x ex + 1 Aufgabe 3 Berechnen Sie folgende Integrale mittels Partialbruchzerlegung: Z Z x+2 x+1 a) dx , b) dx , 2 2 x − 2x x − 2x + 1 Z Z x3 2x3 − 3x2 + x − 1 c) dx , d) dx . x2 − 1 x4 + x 2 167 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 168 Aufgabe 4 Berechnen Sie folgende Integrale: Z Z Z √ 2 a) 2x + 3 dx , b) (3x + 4) dx , c) cos(3x + 1) dx , Z Z Z 2 3 2 2x−4 d) x sin(2x) dx , e) (x + x − 1)e dx , f) esin x cos x dx , Z x g) √ 2 Z 1 − x2 dx , h) Z0 arctan x dx , 1 + x2 i) (e2x − 1) dx , −1 Z2 j) (x − 1)3 dx , x Z∞ k) Z 1 dx , 1 + x2 l) xn dx, mit n < −1 , 0 1 √ Z m) Z∞ p) Z0 Z 3x − 3 dx , sin(4x + 1) dx , n) o) (e3x − 1) dx , −1 e−x sin x dx . 0 Aufgabe 5 Gegeben ist der Punkt P (x, y) auf dem Einheitskreis x2 + y 2 = 1 . y 1 P sin t −1 0 cos t 1 x −1 Bezeichnet t den Winkel in Bogenmaß gegen die positive x-Achse, so gilt x = cos t , y = sin t , 0 ≤ t < 2π . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 169 Zeigen Sie, dass sie schraffierte Sektorfläche t beträgt. 2 Aufgabe 6 Gegeben ist der Punkt P (x, y) auf der Hyperbel x2 − y 2 = 1 . y P cosh t sinh t x Zeigen Sie: Setzt man x = cosh t , y = sinh t , 0 ≤ t < ∞ , t so beträgt die schraffierte Sektorfläche ebenfalls . 2 Aufgabe 7 Durch die Graphen der folgenden Funktionen werden Kurven beschrieben. Berechnen Sie die jeweilige Kurvenlänge. a) [0, 1] → R , x 7→ y(x) = x2 √ √ b) [ 3, 8] → R , x 7→ y(x) = ln x 3 c) [0, 4] → R , x 7→ y(x) = x 2 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 170 Aufgabe 8 Berechnen Sie die Fläche, welche jeweils von den folgenden Kurven eingeschlossen wird. Fertigen Sie zunächst eine Skizze an: a) k1 : y = x2 − 4 , k2 : y = −x2 + 4 b) k1 : y = −x3 + x , k2 : y = x4 − 1 √ c) k1 : y = x + 1 , k2 : y = cos x , k3 : y = 0 (im II. Quadranten). Aufgabe 9 a) Der Graph der Funktion f (x) = sin x , 0 ≤ x ≤ π rotiere um die x-Achse. Berechnen Sie das Volumen des Rotationskörpers. b) Der Graph der Funktion f (x) = cos x , 0 ≤ x ≤ π 2 rotiere um die x-Achse. Berechnen Sie das Volumen des Rotationskörpers. c) Die Graphen der Funktionen f (x) = 2x2 und g(x) = 2x schließen ein endliches Flächenstück ein, welches um die x-Ache rotiert. Berechnen Sie das Rotationsvolumen. d) Die Graphen der Funktionen f (x) = x2 und g(x) = 2 − x und x = 1 und x = 2 beranden ein endliches Flächenstück, das um die x-Achse rotiert. Berechnen Sie das Volumen des Rotationskörpers. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 171 Aufgabe 10 Nach Schließen des Schalters zur Zeit t = 0 fließe, für t ≥ 0, der Ladestrom t I(t) = I0 · e− RC . R U C a) Berechnen Sie den zeitlichen Verlauf der Kondensatorladung Q(t), wenn Q(t = 0) = 0 gelte. b) Welcher Energieverlust tritt am Ohmschen Widerstand auf? Aufgabe 11 Eine Masse m1 wird gemäß F (r) = G m1 m2 r2 angezogen. Dabei ist m2 = 5, 98 · 1024 kg die Erdmasse und G = 6, 670 · 10−11 Gravitationskonstante. N m2 kg 2 die a) Berechnen Sie die mechanische Arbeit W , die benötigt wird um m = 1 kg von der Erdoberfläche r0 = 6370 km aus dem Schwerefeld der Erde zu bringen. b) Wie hoch ist die Fluchtgeschwindigkeit? Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Aufgabe 12 Stellen Sie mit Hilfe des Integralkriteriums fest, ob die folgenden Reihen konvergieren: a) ∞ X ln k k=2 b) ∞ X k2 √ k=1 c) ∞ X 1 1 + ek k · e−k 2 . k=1 Aufgabe 13 Bestimmen Sie die Laplace-Transformierte folgender Funktionen: a) Sei 1 für 0 < t < 1 0 sonst . t für 0 für f (t) := b) Sei f (t) := t>0 t < 0. Aufgabe 14 Berechnen Sie die folgenden Doppelintegrale: a) ZZ ex+y dA B über das Rechteck B = {(x, y) ∈ R2 | 0 ≤ x ≤ 1, 0 ≤ y ≤ 2}, b) ZZ xy dA B über das Dreieck B = {(x, y) ∈ R2 | 0 ≤ x ≤ 1, 0 ≤ y ≤ x}. 172 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 173 c) In der Ebene ist durch die Eigenschaften x ≤ 1, y ≤ 1, x + y ≥ 1 ein Bereich Z Z B gegeben. Skizzieren Sie den Bereich B und berechnen Sie dessen FlächendA. inhalt B Aufgabe 15 Die Schwerpunktskoordinaten einer Fläche sind gegeben durch ZZ ZZ 1 1 xS = x dA , ys = y dA . A A B B Bestimmen Sie die Schwerpunktskoordinaten für a) das Quadrat B = {(x, y) ∈ R2 | 0 ≤ x ≤ 2, 0 ≤ y ≤ 2} b) die Fläche B, die von den Geraden y = x + 2 und der Parabel y = −x2 + 4 begrenzt wird. Skizzieren Sie zunächst das Gebiet B. c) die Kardioide r(ϕ) = 1 + cos ϕ , 0 ≤ ϕ < 2π . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 5 174 Lineare Algebra In diesem Abschnitt befassen wir uns vorwiegend mit der Lösung linearer Gleichungssysteme. 5.1 Lineare Gleichungssysteme und der Gauß-Algorithmus Der Gauß-Algorithmus bietet ein Verfahren zur Umwandlung eines linearen Gleichungssystems Ax = b in eine Form A 0 x = b0 , wobei die unterhalb der Hauptdiagonalen der Matrix A0 stehenden Elemente gleich Null sind. Beispiel für ein lineares Gleichungssystem Um die Stromstärke in den Verzweigungspunkten eines Netzwerks zu bestimmen, betrachten wir Kirchhoffs Knoten- und Maschenregel. I3 R3 I1 I2 R1 R2 I5 R5 U1 I4 R4 U2 R6 I6 Abbildung 5.1 Die Kirchhoffschen Regeln Mit Hilfe des Maschenregel erhalten wir U1 − U2 = I1 R1 − I2 R2 , U2 = I2 R2 + I3 R3 + I5 R5 + I6 R6 , 0 = −I5 R5 + I4 R4 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 175 und mittels der Knotenregel −I1 − I2 + I3 = 0 , I4 + I5 − I3 = 0 , −I5 − I4 + I6 = 0 . Nehmen wir an, dass Ui , i = 1, 2, und Ri , i = 1, 2, ..., 6, gegeben sind, so bilden diese Gleichungen insgesamt ein lineares Gleichungssystem für die Variablen Ii ,i = 1, 2, ..., 6. Um derartige Gleichungssysteme zu lösen, behandeln wir im nächsten Abschnitt den GaußAlgorithmus. 5.1.1 Einführung des Gauß-Algorithmus Bei linearen Gleichungssystemen sind mehrere lineare Gleichungen gegeben, die gleichzeitig erfüllt sein sollen. Beispiel zur Anwendung des Gauß-Algorithmus 2x − 2y = 0 (I) 2x + 2y − 2 = −4z (II) −y − x − z = −1 (III) Die zweite Gleichung sollte umgeformt werden zu 2x + 2y + 4z = 2 . Wenn wir nun die dritte Gleichung mit 2 multiplizieren, so folgt 2x − 2y =0 (I) 2x + 2y + 4z = 2 (II) −2x − 2y − 2z = −2 (III) . Mit (II)-(I) und (III)+(I) erhalten wir 2x − 2y = 0 (I) 4y + 4z = 2 (II) −4y − 2z = −2 (III) . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 176 In Matrix-Schreibweise formulieren wir das folgendermaßen: 2 −2 0 x 0 0 4 4 y = 2 . 0 −4 −2 z −2 Mit (II)+(III) ergibt sich eine Dreiecksform der Matrix: 2 −2 0 x 0 0 4 4y = 2 . 0 0 2 z 0 Aus Gleichung (III) erhalten wir z = 0. Damit folgt aus Gleichung (II) 4y + 4 · 0 = 2 und somit y= 1 . 2 Schließlich erhalten wir nach Gleichung (I) 2x − 2 · 1 =0 2 und damit x= 1 . 2 Die Lösung des Gleichungssystems lautet also x = 21 , y = 12 und z = 0. Man hätte auch versuchen können, das Gleichungssystem von einer Dreiecksform in Diagonalform umzuwandeln. Wir formen folgendes Gleichungssystem weiter um: 2 −2 0 x 0 0 4 4y = 2 . 0 0 2 z 0 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 177 Beispielsweise lässt sich Gleichung (II) durch 2 teilen und dann Gleichung (III) davon abziehen. Das ergibt 2 −2 0 x 0 0 2 0y = 1 . 0 0 2 z 0 Wenn wir nun Gleichung (II) zu Gleichung (I) addieren, erhalten wir 200 x 1 0 2 0y = 1 . 002 z 0 Dann teilen wir alle Gleichungen durch 2. Das ergibt 1 2 100 x 0 1 0y = 12 . 001 z 0 5.1.2 Grundlagen des Gauß-Algorithmus Folgende Äquivalenzumformungen sind im Gauß-Algorithmus erlaubt: • Vertauschen zweier Zeilen, • Multiplikation einer Zeile mit λ ∈ K : λ 6= 0, • Addition oder Subtraktion eines beliebigen Vielfachen einer Zeile zu einer anderen Zeile. Diese Umformungen heißen elementare Zeilenumformungen. Mit K bezeichnen wir hier die Körper R und C. Der Gauß-Algorithmus dient dazu, die Koeffizientenmatrix so umzuwandeln, dass sie die Form einer oberen Dreiecksmatrix besitzt. Der Gauß-Jordan-Algorithmus ist eine Variante des Gauß-Algorithmus. Durch dessen Anwendung soll die Koeffizientenmatrix die Form einer Diagonalmatrix annehmen. Beispiel zur Umwandlung in eine Diagonalmatrix Gesucht ist die Lösung des Gleichungssystems 8 4 2 1 x1 5 −1 1 −1 1 x2 2 4 2 1 1 x3 = 3 . 7 3 1 0 x4 7 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Geschrieben als erweiterte Koeffizientenmatrix lautet es 8 4 2 1 5 1 −1 1 −1 −2 4 2 1 1 3 . 7 3 1 0 7 Nach Vertauschung der ersten beiden Zeilen ergibt sich 1 −1 1 −1 −2 8 4 2 1 5 4 2 1 1 3 . 7 3 1 0 7 Die erste Zeile nutzen wir nun zu folgender Umformung der Zeilen 2 bis 4: 1 −1 1 −1 −2 0 12 −6 9 21 0 6 −3 5 11 . 0 10 −6 7 21 Ersetzen wir Zeile 2 durch ein Sechstel dieser Zeile, so erhalten wir 1 −1 1 −1 −2 0 2 −1 32 72 0 6 −3 5 11 . 0 10 −6 7 21 Mit Hilfe der zweiten Zeile ergibt sich 1 −1 1 −1 −2 0 2 −1 23 72 0 0 0 1 1 . 2 2 1 7 0 0 −1 − 2 2 und somit 1 0 0 0 −1 1 −1 −2 1 − 12 0 1 0 0 3 4 1 2 7 4 . − 72 1 1 Demnach lautet die Lösung x1 = 2, x2 = −1, x3 = −4, x4 = 1 . 178 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 5.1.3 179 Unlösbare und unterbestimmte lineare Gleichungssysteme Unlösbare lineare Gleichungssysteme Wir betrachten das lineare Gleichungssystem 2x + y = 3 (I) 4x + 2y = 12 (II) . Diese Gleichungen lassen sich folgendermaßen umformen: y = −2x + 3 1 y = (−4x + 12) = −2x + 6 . 2 y y=−2x+3 y=−2x+6 x Abbildung 5.2 Parallele Geraden Wenn wir (II) durch (II)-2(I) ersetzen, so erhalten wir 2x + y = 3 0 = 6. Unterbestimmte lineare Gleichungssysteme Sei beispielsweise für zwei Variablen nur eine Gleichung gegeben: x − y = 3. Alle Punkte, die auf der Geraden liegen, bilden die Lösungsmenge dieser Gleichung. Es gibt also unendlich viele Lösungen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 180 Es kann aber auch unendlich viele Lösungen geben, wenn man genauso viele Gleichungen wie Variablen hat, wie das folgende Beispiel zeigt: x−y =3 (I) −3x + 3y = −9 (II) . Die zweite Gleichung ist ein Vielfaches der ersten. Beide Gleichungen beschreiben die gleiche Gerade. Ersetzen wir (II) durch (II)+3(I), so erhalten wir x−y =3 0 = 0. Die Lösungsmenge ist L = {(x, y) ∈ R2 | x = 3 + y mit y ∈ R} . Lineare Gleichungssysteme mit weniger nicht-trivialen Gleichungen als Variablen heißen unterbestimmte Gleichungssysteme. Beispiel Gesucht ist die Lösungsmenge des Gleichungssystems 2x + 4y + 6z = 8 5x + 6y + 7z = 8 9x + 10y + 11z = 12 . In Matrixschreibweise heißt das 8 2 4 6 x 5 6 7 y = 8 . 12 9 10 11 z Wir verwenden nun den Gauß-Algorithmus. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Mit 12 (I), (II)- 52 (I) und (III)- 92 (I) erhalten wir 1 2 3 x 4 0 −4 −8 y = −12 . 0 −8 −16 z −24 Nun betrachten wir - 14 (II) und - 18 (III). Damit ist 123 x 4 0 1 2y = 3 . 012 z 3 Mit (III)-(II) folgt 123 x 4 0 1 2y = 3 . 000 z 0 Betrachten wir nun Gleichung (II) und (I). So erhalten wir: y = 3 − 2z und x + 2 · (3 − 2z) + 3z = 4 . Daher ist die Lösungsmenge L = {(x, y, z) ∈ R3 | x = −2 + z und y = 3 − 2z mit z ∈ R} . 181 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 182 Gleichungssysteme mit reellen Parametern Es sei folgendes Gleichungssystem gegeben: 11 2 x 1 4 2 12 y = 10 . 14 a z b Mit (II)-4(I) und (III)-(I) erhalten wir 1 1 2 x 1 0 −2 4 y = 6 . 0 3 (a − 2) z b−1 Nun ersetzen wir (II) durch - 21 (II): 11 2 x 1 0 1 −2 y = −3 . 0 3 (a − 2) z b−1 Ersetzen wir (III) durch (III)-3(II), so folgt 11 2 x 1 0 1 −2 y = −3 . 0 0 (a + 4) z b+8 Was lässt sich nun zur Lösbarkeit des Gleichungssystems sagen? (1) Für a 6= −4 gibt es eine eindeutige Lösung. (2) Für a = −4 und b = −8 ist das Gleichungssystem (einfach) unterbestimmt. Es gibt unendlich viele Lösungen. (3) Für a = −4 und b 6= −8 ist das Gleichungssystem unlösbar. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 183 Für Fall (1) gilt z= b+8 a+4 y = −3 + 2z = −3 + 2 b+8 a+4 x = 1 − y − 2z = 1 + 3 − 2z − 2z = 4 − 4z = 4 − 4 b+8 . a+4 Für Fall (2) gilt 11 2 x 1 0 1 −2 y = −3 00 0 z 0 und daher y = −3 + 2z und x = 4 − 4z . Die Lösungsmenge ist daher L = {(x, y, z) ∈ R3 | x = 4 − 4z und y = −3 + 2z mit z ∈ R} . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 5.1.4 184 Allgemeine lineare Gleichungssysteme Ein lineares Gleichungssystem läßt sich folgendermaßen darstellen: Ax = b , wobei die Koeffizientenmatrix A durch a11 a12 a13 ... a1n a21 a22 a23 ... a2n . . . . . A= . . . . . . . . . . am1 am2 am3 ... amn gegeben ist und aij ∈ K sei. Wir schreiben für die Menge solcher Matrizen M (m × n, K). Der Vektor x ist definiert durch x1 x2 . x= . . xn und der Vektor b durch b1 b2 . b= . . . bm Sind alle bi = 0, so heißt das Gleichungssystem homogen, ansonsten inhomogen. Die Elemente aii heißen Hauptdiagonalelemente. Anmerkung: Ein homogenes Gleichungssystem ist immer lösbar, nämlich durch die Nulllösung. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 185 Lösungskriterien Die erweiterte Koeffizientenmatrix (A|b) ist definiert durch a11 a12 a13 a21 a22 a23 . . . (A|b) = . . . . . . am1 am2 am3 ... ... . . . ... a1n a2n . . . amn b1 b2 . . . . bm Rang einer Matrix Der Rang rg A einer Matrix A ∈ M (m × n, K) ist gleich • der Maximalzahl linear unabhängiger Spalten und • der Maximalzahl linear unabhängiger Zeilen. Neben den oben genannten elementaren Zeilenumformungen, existieren analog erklärte elementare Spaltenumformungen. Zusammenfassend werden diese als elementare Umformungen bezeichnet. Der Rang einer Matrix wird durch elementare Umformungen nicht verändert. Beispiel zur Bestimmung des Ranges einer Matrix Um den Rang einer Matrix zu bestimmen, dürfen wir elementare Zeilen- und Spaltenumformungen verwenden. Es gilt 1 −2 −3 0 1 −2 −3 0 1 −2 −3 0 rg 2 3 8 7 = rg 0 7 14 7 = rg 0 1 2 1 −1 1 1 −1 0 −1 −2 −1 0 −1 −2 −1 1 −2 −3 0 1010 = rg 0 1 2 1 = rg 0 1 0 1 = 2 . 0 0 0 0 0000 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 186 Lösungskriterien Sei A ∈ M (m × n, K) und Ax = b . Demnach ist n ∈ N die Anzahl der Variablen xi . Ist • rg A = rg (A|b) = n, dann ist das lineare Gleichungssystem eindeutig lösbar, • rg A = rg (A|b) < n, dann ist das lineare Gleichungssystem lösbar und unterbestimmt, • rg A 6= rg (A|b), dann ist das lineare Gleichungssystem unlösbar. Beispiel Gegeben sei 111 2 0 A := 1 1 1 und b1 := 2 , b2 := 3 . 111 2 0 Gesucht sind die jeweiligen Lösungsmengen von Ax = b1 und Ax = b2 . Während im ersten Fall alle x1 , x2 , x3 ∈ R : x1 + x2 + x3 = 2 das Gleichungssystem lösen, existiert im zweiten Fall keine Lösung. Um die obigen Lösungskriterien anzwenden, bestimmen wir nun rg A und rg (A|b1 ) sowie rg (A|b2 ). Es gilt 111 111 rg A = rg 1 1 1 = rg 0 0 0 = 1 . 111 000 Für den jeweiligen Rang der beiden erweiterten Koeffizientenmatrizen erhalten wir 1112 1112 rg (A|b1 ) = rg 1 1 1 2 = rg 0 0 0 0 = 1 1112 0000 und 1110 111 rg (A|b2 ) = rg 1 1 1 3 = rg 0 0 0 1110 000 0 3 = 2. 0 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 5.2 187 Matrizenrechnung Wir betrachten Matrizen mit Koeffizienten aij ∈ K, wobei unter K der Körper R oder C verstanden wird. Statt a11 a12 a13 a21 a22 a23 . . . A= . . . . . . am1 am2 am3 ... ... . . . ... a1n a2n . . . amn können wir auch A = (aij ) i=1,...,m j=1,...,n oder A = (aij ) ∈ M (m × n, K) schreiben. Addition und Multiplikation von Matrizen Die Addition und Skalarmultiplikation einer Matrix werden elementweise durchgeführt. Definition: Seien (aij ), (bij ) ∈ M (m × n, K) und λ ∈ K. Dann wird (aij ) + (bij ) := (aij + bij ) ∈ M (m × n, K) und λ(aij ) := (λaij ) ∈ M (m × n, K) gesetzt. Definition: Seien A = (aik ) ∈ M (r × m, K) und B = (bkj ) ∈ M (m × n, K). Dann wird das Produkt C := AB ∈ M (r × n, K) mit C = (cij ) i=1,...,r , j=1,...,n durch cij := m X k=1 definiert. aik bkj Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 188 Der Koeffizient cij wird demnach bestimmt, indem • die Einträge der i-ten Zeile von A mit den Einträgen der j-ten Spalte von B für die jeweils festen Werte von k multipliziert • und diese dann für k = 1 bis k = m summiert werden. So gilt beispielsweise für c12 m X c12 = a1k bk2 = a11 b12 + a12 b22 + a13 b32 + ... + a1m bm2 . k=1 Beispiel zur Matrizenmultiplikation 12 34 87 1·8+2·6 · = 65 3·8+4·6 1·7+2·5 3·7+4·5 = 20 17 48 41 Anmerkung: Um das Produkt AB zu bilden, muss, wie oben vorausgesetzt, die Anzahl der Spalten von A mit der Anzahl der Zeilen von B übereinstimmen. Auch wenn, AB definiert ist, muss daher BA nicht notwendigerweise existieren. Die Matrizenmultiplikation • ist assoziativ, d.h. es gilt (AB)C = A(BC) , • ist, hinsichtlich der Addition, distributiv, d.h. A(B + C) = AB + AC und (A + B)C = AC + BC . Die Matrizenmultiplikation • ist nicht kommutativ, d.h. es existieren Matrizen A, B, so dass AB 6= BA , • nicht nullteilerfrei, d.h. es existieren Matrizen A 6= 0, B 6= 0, so dass AB = 0 . Beispiel Für A := 01 01 , B := 11 00 gilt AB = 0 und BA 6= AB . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 189 Beispiele zur Matrizenmultiplikation • Die relative Anzahl der Kunden dreier Unternehmen A, B und C wird über zwei Jahre beobachtet, wobei auch die ”Wanderungsbewegung” der Kunden zwischen den Unternehmen untersucht wird. Jeder Kunde lässt sich in dem Zeitraum eindeutig einem der drei Unternehmen zuordnen. Zu Beginn des ersten Jahres werden – 55% der Kunden als Kunden des Unternehmens A, – 35% als Kunden des Unternehmens B und – 10% als Kunden des Unternehmens C bezeichnet. Bei zusätzlich gegebenem Wechselverhalten, ist nach der relativen Anzahl der Kunden der drei Unternehmen zum Ende des zweiten Jahres gefragt. Am Ende des ersten Jahr zeigt sich folgendes Wechselverhalten: von A B C nach A B C 0,8 0,1 0,3 0,1 0,7 0,2 0,1 0,2 0,5 und am Ende des zweiten Jahres: von A B C nach A B C 0,6 0,2 0,1 0,1 0,6 0,1 0,3 0,2 0,8 Der jeweilige Anteil am Ende des ersten Jahres lässt sich beispielsweise mittels 0, 8 0, 1 0, 3 0, 55 0, 1 0, 7 0, 2 · 0, 35 0, 1 0, 2 0, 5 0, 10 berechnen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 190 So ergibt sich beispielsweise für Unternehmen A zum Ende des ersten Jahres ein Anteil von 0, 8 · 0, 55 + 0, 1 · 0, 35 + 0, 3 · 0, 10 = 0, 505 . Zum Ende des zweiten Jahres betragen die Anteile 0, 6 0, 2 0, 1 0, 8 0, 1 0, 3 0, 55 0, 3845 0, 1 0, 6 0, 1 · 0, 1 0, 7 0, 2 · 0, 35 = 0, 2600 . 0, 3 0, 2 0, 8 0, 1 0, 2 0, 5 0, 10 0, 3555 Dabei ist das Produkt assoziativ, so dass das Produkt der beiden Matrizen angewandt auf den ”Anteilsvektor” zum gleichen Ergebnis führt, wie die jahresweise Berechnung der Anteile. • Verkettung von Vierpolen I (1) 1 I (1) 2 (1) U1 A (1) (1) U2 U (2) 1 Abbildung 5.3 Verkettung zweier Vierpole Wir erhalten (i) U2 (i) I2 ! = A(i) (i) U2 (i) I2 ! , mit i = 1, 2 und den Verkettungsmatrizen ! (i) (i) A A 11 12 A(i) = . (i) (i) A21 A22 (2) (1) (2) (1) Da hier U1 = U2 und I1 = I2 gilt, folgt ! ! (2) (1) U2 U1 =A , (2) (1) I2 I1 wobei A := A(2) A(1) . I (2) 2 (2) I1 A (2) U (2) 2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 5.3 Determinanten Eine Matrix A ∈ M (n × n, K), lässt sich schreiben als a11 a12 a13 ... a1n a21 a22 a23 ... a2n . . . . . . A= . . . . . . . . . . an1 an2 an3 ... ann Bezeichnen wir die einzelnen Zeilen durch die Vektoren ai := (ai1 , ai2 , ai3 , ..., ain ) , so können wir A folgendermaßen umformulieren: a1 a2 . A= . . . an Die Abbildung det : M (n × n, K) → K heißt Determinante, falls sie folgende Eigenschaften besitzt: • Die Abbildung det ist linear in jeder Zeile, d.h. für A ∈ M (n × n, K) – und ai = a0i + a00i , mit i = 1, ..., n, gilt . . . . . . . . . 0 00 det ai = det ai + det ai . . . . . . . . . – und ai = λa0i , mit λ ∈ K, gilt . . . . . . 0 det ai = λ · det ai . . . . . . . 191 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 192 • Die Abbildung det ist alternierend, d.h. wird A durch Vertauschen zweier Zeilen in A0 verwandelt, so gilt det A0 = − det A . • Ist E ∈ M (n × n, K) die Einheitsmatrix 1 0 0 ... 0 0 1 0 ... 0 . . . . . E= . . . . ., . . . . . 0 0 0 ... 1 so gilt det E = 1 . Statt a11 a21 . det . . an1 a12 a22 . . . an2 schreiben wir auch a11 a12 ... a21 a22 ... . . . . . . . . . an1 an2 ... ... ... . . . ... a1n a2n . . . ann a1n a2n . . . . ann Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 193 Sei A ∈ M (n × n, K) → K. • Für n = 1 und A = (a) gilt det(a) = a . • Für n = 2 gilt a11 a12 a21 a22 = a11 a22 − a12 a21 . • Für n = 3 gilt a11 a12 a13 a21 a22 a23 a31 a32 a33 = a11 a22 a33 − a11 a23 a32 − a12 a21 a33 + a12 a23 a31 + a13 a21 a32 − a13 a22 a31 . Regel von Sarrus Sei A ∈ M (3 × 3, K) → K. Nach der Regel von Sarrus erhalten wir die oben genannte Formel mittels der Anordnung a11 a12 a22 a31 h a23 a32 h a33 a12 a21 h a11 h a21 a13 a22 a31 a32 und der Konvention, die Produkte längs der drei Diagonalen von links oben nach rechts unten mit positivem Vorzeichen und die Produkte von links unten nach rechts oben mit negativem Vorzeichen zu versehen. Beispiel 1 3 2 4 2 1 = 1 · 2 · 2 + 3 · 1 · 3 + 2 · 4 · 1 − (3 · 2 · 2 + 1 · 1 · 1 + 2 · 4 · 3) = −16 . 3 1 2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 194 Laplacescher Entwicklungssatz Entwicklung der Determinante nach der i-ten Zeile: Ist n ≥ 2 und A ∈ M (n × n, K), so gilt det A = n X (−1)i+j aij det Aij für alle i = 1, ..., n . j=1 Dabei bezeichnet Aij die Matrix, die aus A entsteht, wenn die i-te Zeile und die j-te Spalte weggelassen werden. Entwicklung der Determinante nach der j-ten Spalte: Ist n ≥ 2 und A ∈ M (n × n, K), so gilt n X det A = (−1)i+j aij det Aij für alle j = 1, ..., n . i=1 Beispiel Mit dem Laplaceschen Entwicklungssatz lässt sich 0 1 2 012 det 3 2 1 = 3 2 1 1 1 0 110 folgendermaßen berechnen: 0 1 2 2 1 3 2 1 = 0 · − 1 · 3 1 0 1 1 1 0 3 1 + 2 · 1 0 = 0 · (−1) − 1 · (−1) + 2 · 1 = 3 . 2 1 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 195 Sei a1 a2 . A= . ∈ M (n × n; K) . . an Die Determinante det : M (n × n, K) → K hat folgende Eigenschaften: • Für jedes λ ∈ K gilt det(λ · A) = λn · det A . • Gibt es eine Zeile i mit ai = (0, ..., 0), so gilt det A = 0 . • Entsteht A0 durch Vertauschung zweier Zeilen aus A, so gilt det A0 = − det A . • Ist λ ∈ K und entsteht A0 durch Addition von λaj = (λaj1 , ..., λajn ) zu ai mit i 6= j, so gilt det A0 = det A . • Es gilt det A = 0 genau dann, wenn die Zeilenvektoren a1 , ..., an linear abhängig sind. • Ist A eine obere Dreiecksmatrix, d.h. a11 a12 ... a1n 0 a22 ... a2n . . . . , A= . . . . . . . . 0 0 ... ann so gilt det A = a11 · ... · ann . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 196 Ist A ∈ M (n × n, K), so ist das das lineare Gleichungssystem Ax = b genau dann eindeutig lösbar, wenn det A 6= 0 . Cramersche Regel Sei A ∈ M (n × n, K) mit det A 6= 0, b ∈ Kn und x ∈ Kn die eindeutig bestimmte Lösung des linearen Gleichungssystems A · x = b. Unter a1 , ..., an verstehen wir die Spaltenvektoren von A. Dann gilt xi = det(a1 , ..., ai−1 , b, ai+1 , ..., an ) . det A Beispiel Gesucht ist die Lösung des linearen Gleichungssystems Ax = b mit 110 1 A = 0 1 1 und b = 1 . 321 0 Wir erhalten det A = 2 und, nach der Cramerschen Regel, 1 1 0 1 1 0 1 1 x1 = 1 1 1 = −1 , x2 = 0 1 1 = 2 2 2 0 2 1 3 0 1 und 1 1 1 1 x3 = 0 1 1 = −1 . 2 3 2 0 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 5.4 Inversion von Matrizen Sind A, B, E ∈ M (n × n, K), wobei 1 . 0 , . E= 0 . 1 so ist B genau dann die zu A inverse Matrix A−1 , wenn AB = BA = E gilt. Gilt für A, B, C ∈ M (n × n, K) AB = C , so gilt auch A0 B = C 0 , wenn (A, C) durch elementare Zeilenumformungen in (A0 , C 0 ) umgewandelt wird. Wird dabei (A, E) in (E, C 0 ) verwandelt, so ist C 0 = A−1 . Beispiel Für A ∈ M (4 × 4, R), mit 1 0 1 1 1 1 2 1 A= 0 −1 0 1 1 0 0 2 betrachten wir 1 0 1 1 1 2 0 −1 0 1 0 0 1 1 1 2 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 und formen (A, E) folgendermaßen um: 197 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 198 • 1. Schritt 1 0 1 0 1 1 0 −1 0 0 0 −1 1 0 0 1 0 −1 1 0 1 0 0 1 1 −1 0 0 0 0 0 1 • 2. Schritt 1 0 0 0 0 1 1 1 0 1 0 −1 1 0 0 1 0 −1 1 0 1 −1 1 1 1 −1 0 0 0 0 0 1 • 3. Schritt 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 2 −1 −1 0 0 −1 0 0 −1 0 1 1 −1 1 1 0 0 2 −2 1 1 1 • 4. Schritt 1 0 0 0 2 −1 −1 0 1 0 0 −1 0 0 1 0 0 1 2 1 2 1 2 0 0 0 1 −1 − 12 1 2 1 2 0 1 2 − 12 1 2 Demnach ist die Matrix A invertierbar und es gilt 2 −1 −1 0 −1 21 − 12 12 A−1 = 1 1 1 . 0 2 2 −2 −1 21 12 12 Für A ∈ M (n × n, K) mit n ≤ 3 kann auch folgendes Verfahren zur Matrizeninversion noch relativ bequem genutzt werden. Ist A ∈ M (n × n, K) und det A 6= 0, so gilt A−1 = (det A)−1 (bij ) mit bij = (−1)i+j det Aji . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Beispiele • Für n = 3 gilt det A11 − det A21 det A31 (bij ) = − det A12 det A22 − det A32 . det A13 − det A23 det A33 • Für n = 2 gilt a22 −a12 (bij ) = . −a21 a11 199 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 5.5 200 Eigenwertprobleme Ein Element λ ∈ K heißt Eigenwert einer Matrix A ∈ M (n × n, K), wenn es ein x ∈ Kn , x 6= 0, mit Ax = λx gibt. Dann heißt x Eigenvektor von A zum Eigenwert λ. Beispiel Gegeben sei die Matrix 01 A= . 10 Dann ist 1 x1 = 1 ein Eigenvektor zum Eigenwert λ1 = 1 und 1 x2 = −1 ein Eigenvektor zum Eigenwert λ2 = −1. Das charakteristische Polynom Das lineare Gleichungssystem A − λE = 0 hat genau dann nichttriviale lösungen, wenn rg (A − λE) < n ist. Das ist wiederum genau dann der Fall, wenn det(A − λE) = 0 ist. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 201 Für das charakteristische Polynom pA (λ) := det(A − λE) gilt pA (λ) = a0 + a1 λ + ... + an λn , mit λ ∈ K, ai ∈ K und an 6= 0. Beispiel Das charakteristische Polynom der Matrix 12 A= 01 lautet pA (λ) = det 1−λ 2 0 1−λ = (1 − λ)2 . Demnach sind die Eigenwerte λ1,2 = 1 . Die zugehörigen Eigenvektoren x sind Lösungen von 12 · x = 1 · x. 01 Somit erhalten wir 1 x=µ mit µ ∈ R\{0} . 0 Anmerkung: Es muss keine reellen Eigenwerte geben, wie beispielsweise die Bestimmung des charakteristischen Polynoms von 0 −1 A= 1 0 zeigt. Hier erhalten wir p(λ) = det(A − λE) = det −λ −1 1 −λ = λ2 + 1 > 0 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 202 Beispiel Das charakteristische Polynom der Matrix 0 1 −1 A= 1 0 1 −1 1 0 lautet −λ 1 −1 p(λ) = det(A − λE) = det 1 −λ 1 . −1 1 −λ Der Wert der Determinante wird nicht verändert, wenn wir zu einem Zeilenvektor das Vielfache eines anderen Zeilenvektors addieren. Daher gilt −λ 1 −1 −λ + 1 1 − λ 0 −λ + 1 1 − λ 0 −λ 1 = det 0 −λ + 1 1 − λ det 1 −λ 1 = det 1 −1 1 −λ −1 1 −λ −1 1 −λ = (−λ + 1) ((−λ + 1)(−λ) − (1 − λ)) − (1 − λ)2 = −(1 − λ)2 · (λ + 2) . Die Eigenwerte sind demnach λ1,2 = 1 , λ3 = −2 und die zugehörigen Eigenvektoren 1 0 x1,2 = µ 1 + ν 1 mit µ, ν ∈ R : x1,2 6= 0 0 1 und 1 x3 = µ −1 mit µ ∈ R\{0} . 1 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 5.6 203 Übungsaufgaben: Lineare Algebra Aufgabe 1 Lösen Sie folgende lineare Gleichungssysteme mit Hilfe des Gauß-Algorithmus: a) x1 −2x2 +x3 = −1 x2 −x3 = 0 3x1 +x2 = 5 b) 2x1 +5x2 +3x3 = 17 x1 −2x2 −x3 = −1 3x1 +2x3 = 8 c) x1 2x1 x1 x1 +2x2 +x2 +2x2 +x2 +x3 +x3 +2x3 +x3 +x4 = +2x4 = +x4 = +x4 = 0 0 0 0 d) x1 +x3 −x4 2x1 +x2 +x3 +x4 x1 +2x2 +3x3 +8x4 3x1 −3x2 +x3 −18x4 +4x5 = −x5 = +x5 = +9x5 = 2 5 1 8 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Aufgabe 2 Bestimmen Sie das Polynom, dessen Graph folgende Punkte enthält: a) P0 (0, 0), P1 (1, 6), P2 (2, 0) mit y = ax2 + bx + c , b) P0 (−1, 2), P1 (0, 1), P2 (1, −2), P3 (2, 5) mit y = ax3 + bx2 + cx + d . Aufgabe 3 Gegeben sind die Matrizen 0 −1 0 A= 1 0 1 cos ϕ 0 sin ϕ 1 0 B= 0 − sin ϕ 0 cos ϕ 1 C = 2 1 D = 1 −1 1 a) Welche der Matrizen-Produkte AA, AB, AD, BD, DB, DD sind definiert? Berechnen Sie diese. b) Welche weiteren Produkte dieser Matrizen existieren? c) Bestimmen Sie den Rang der Matrizen A, B, C und D. Aufgabe 4 Berechnen Sie folgende Determinanten: a) 5 0 det 0 5 3 4 2 2 10 2 0 10 3 4 3 2 204 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 205 b) 0 0 −1 0 10 2 10 10 1 x 1 0 0 0 1 x 5 0 det 5 5 3 4 5 2 c) x 1 det 0 0 0 1 x 1 d) 1 a b+c det 1 b c + a 1 c a+b Aufgabe 5 Sei α ∈ R. Bestimmen Sie die Lösungen der folgenden Gleichungssysteme mit Hilfe des GaußVerfahrens: a) 0 4 5 6 x 4 − 45 −1 y = α5 z 25 1 4 5 4 b) x1 x1 x1 3x1 +x2 −x2 +x2 +x2 +x3 −x3 −x3 +x3 +x4 −x4 −x4 −x4 = α = α−4 = α+1 = 0 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 206 Aufgabe 6 Die folgenden Matrizen sind regulär, d.h. invertierbar. Berechnen Sie die zugehörige inverse Matrix mittels elementarer Zeilenumformungen. a) 31 4 A = 1 2 0 0 1 −2 b) 4 5 −1 B = 2 0 1 31 0 c) 342 C = 1 5 3 010 d) 3 −3 6 D = 2 0 3 1 1 2 e) Lösen Sie die Matrixgleichung 66 3 −3 6 2 0 3 · X = 0 2 00 1 1 2 6 3 6 Aufgabe 7 Bestimmen Sie für folgende Matrizen die reellen Eigenwerte und die zugehörigen Eigenvektoren: a) 111 A = 1 1 1 111 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 207 b) 010 A = 1 0 1 010 c) 0 1 A= 0 1 1 0 1 0 0 1 0 1 1 0 1 0 Aufgabe 8 Berechnen Sie I1 , I2 , I3 und I, mit Hilfe von Maschen- und Knotenregel, für folgende Schaltung R I3 R3 I2 R2 I1 R1 I I U Dabei sei U = 10 V , R = 60 Ω, R1 = R3 = 100 Ω und R2 = 200 Ω . Aufgabe 9 Bestimmen Sie die Eigenwerte und die zugehörigen Eigenvektoren der Matrix −1 2 2 A= 2 2 2 . −3 −6 −6 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Aufgabe 10 Bestimmen Sie die Eigenwerte und die zugehörigen Eigenvektoren der Matrix 0 2 B= −1 −1 2 0 −1 −1 1 1 3 −1 1 1 . −1 3 208 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 6 Gewöhnliche Differentialgleichungen Gleichungen zwischen einer gesuchten Funktion und einigen ihrer Ableitungen heißen Differentialgleichungen. 6.1 Beispiele gewöhnlicher Differentialgleichungen • Der Harmonische Oszillator mit Reibungsterm und äußerer Kraft Dx(t) + kx0 (t) + mx00 (t) = Fa (t) • Der RLC-Serienschwingkreis mit äußerer Spannung 1 Q(t) + RQ0 (t) + LQ00 (t) = Ua (t) C • Diffusionsgleichung c0 (t) = k(ca − c(t)) • Das mathematische Pendel d2 ϕ(t) g + sin ϕ(t) = 0 dt2 l • Die logistische Differentialgleichung P 0 (t) = γP (t) − τ P 2 (t) • Kinetik bimolekularer chemischer Reaktionen (A + B → C) c0 (t) = k(ca − c(t))(cb − c(t)) . 209 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 6.2 210 Gewöhnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung Definition: Sei G ⊂ R2 und f : G → R, (x, y) 7→ f (x, y) eine stetige Funktion. Dann wird y 0 = f (x, y) als eine Differentialgleichung erster Ordnung bezeichnet. 6.2.1 Lineare Differentialgleichungen Sei I ⊂ R und seien a, b : I → R stetige Funktionen. Dann heißt y 0 = a(x)y + b(x) lineare Differentialgleichung erster Ordnung. Ist b = 0, so wird diese Differentialgleichung als homogen, ansonsten als inhomogen bezeichnet. Sei I ⊂ R, x0 ∈ I und c ∈ R. Dann gibt es genau eine Lösung ϕ : I → R der Differentialgleichung y 0 = a(x)y , die der Bedingung ϕ(x0 ) = c genügt. Für diese Lösung gilt Zx ϕ(x) = c exp( a(t) dt) . x0 Beispiel Sei k ∈ R. Für die Lösung ϕ : R → R der Differentialgleichung y 0 = ky mit der Anfangsbedingung ϕ(x0 ) = c gilt ϕ(x) = cek(x−x0 ) . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 211 Anmerkung: Beispielsweise kann die Konzentration y(t) eines Stoffes A, die, infolge einer chemischen Reaktion A → B, abnimmt und der Differentialgleichung y 0 (t) = −κy(t) und der Anfangsbedingung y(t0 ) = y0 genügt, auf diese Art bestimmt werden. Die Methode der Variation der Konstanten Die Methode der Variation der Konstanten lässt sich zwar auch auf gewöhnliche lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung anwenden, jedoch beschränken wir uns hier auf Differentialgleichungen erster Ordnung. Sei I ⊂ R ein Intervall und seien a, b : I → R stetige Funktionen. Dann gibt es zu beliebigem x0 ∈ I und c ∈ R genau eine Lösung ψ:I→R der Differentialgleichung y 0 = a(x)y + b(x) mit der Anfangsbedingung ψ(x0 ) = c. Ist ϕ : I → R eine Lösung der homogenen Differentialgleichung ϕ0 (x) = a(x)ϕ(x) mit ϕ(x0 ) 6= 0, so lässt sich eine beliebige Lösung ψ : I → R der inhomogenen Gleichung schreiben als ψ(x) = ϕ(x)u(x) mit einer stetig differenzierbaren Funktion u : I → R. Für die Ableitung ψ 0 erhalten wir ψ 0 = ϕ0 u + ϕu0 = a ϕu + ϕu0 . Da ψ eine Lösung der inhomogenen Gleichung ist, gilt außerdem ψ 0 = a ψ + b = a ϕu + b . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Daraus folgt, dass ϕu0 = b und somit Zx u(x) − u(x0 ) = ϕ(t)−1 b(t) dt x0 ist. Diese Lösung unseres Anfangswertproblems lautet daher Zx ψ(x) = ϕ(x)(c + ϕ(t)−1 b(t) dt) , x0 wobei Zx ϕ(x) = exp( a(t) dt) . x0 Beispiel Gegeben sei das Anfangswertproblem y 0 = 2xy + x3 mit y(0) = −1 . Die gesuchte Lösung der homogenen Gleichung y 0 = 2xy lautet Zx ϕ(x) = exp 2 2t dt = ex . 0 Daher gilt für die Lösung ψ der inhomogenen Gleichung, unter der Anfangsbedingung ψ(0) = −1, Zx 2 2 ψ(x) = ex −1 + t3 e−t dt . 0 Nach Substitution und partieller Integration erhalten wir schließlich 1 1 2 1 2 1 x2 −x2 ψ(x) = e −1 + − (x + 1)e = − ex − (x2 + 1) . 2 2 2 2 212 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 6.2.2 213 Differentialgleichungen mit getrennten Variablen Seien I, J ⊂ R offene (eigentliche oder uneigentliche) Intervalle und f : I → R und g : J → R zwei stetige Funktionen, wobei g(y) 6= 0 für alle y ∈ J gelte. Dann ist das Anfangswertproblem y 0 = f (x)g(y) in I × J mit y(x0 ) = y0 in einer hinreichend kleinen Umgebung von x0 eindeutig lösbar. Die Lösung erhalten wir, indem wir die Gleichung Zy dt = g(t) y0 Zx f (t) dt x0 nach y auflösen. Beispiel Das Anfangswertproblem y 0 y + x = 0 , y(1) = 1 lässt sich mit Hilfe der Integration Z Z y dy = − x dx + C lösen. So ergibt sich y2 x2 =C− . 2 2 Die Anfangsbedingung y(1) = 1 impliziert, dass C = 1 ist. Schließlich erhalten wir √ y(x) = 2 − x2 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 6.2.3 214 y Die Differentialgleichung y 0 = f ( ) x Sei I ⊂ R und sei f : I → R eine stetige Funktion. Die Differentialgleichung y y 0 = f ( ) , mit x ∈ R∗ , y ∈ R , x lässt sich, mittels der Substitution z := z0 = y , in die Differentialgleichung x 1 (f (z) − z) x umwandeln. Diese Differentialgleichung gehört zu dem bereits behandelten Typ von Differentialgleichungen mit getrennten Variablen. Beispiel Die Differentialgleichung y0 = 1 + y y 2 + , x 6= 0 , x x geht, mittels z := z0 = y , über in x 1 (1 + z 2 ) . x Demnach erhalten wir Z Z 1 1 dz = dx + C 2 1+z x und schließlich y = y(x) nach Umformung von arctan z = ln |x| + C . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 6.3 215 Gewöhnliche Differentialgleichungen n-ter Ordnung Definition: Sei G ⊂ R × Rn und f : G → R, (x, y) 7→ f (x, y) eine stetige Funktion. Dann wird y (n) = f (x, y, y 0 , ..., y (n−1) ) als eine Differentialgleichung n-ter Ordnung bezeichnet. Sei I ⊂ R und seien b, ak : I → R, mit 0 ≤ k ≤ n − 1, stetige Funktionen. Dann heißt y (n) + an−1 (x)y (n−1) + ... + a1 (x)y 0 + a0 (x)y = b(x) lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung. Ist b = 0, so wird diese Differentialgleichung als homogen, ansonsten als inhomogen bezeichnet. Wir nennen • LH den Vektorraum aller Lösungen der homogenen und • LI die Menge aller Lösungen der zugehörigen inhomogenen Differentialgleichung. Dann gilt für ein beliebiges ψ0 ∈ LI LI = ψ0 + LH . Demnach setzt sich die allgemeine Lösung y einer inhomogenen linearen Differentialgleichung • aus der allgemeinen Lösung yh der zugehörigen homogenen Gleichung und • einer partikulären (speziellen) Lösung yp der inhomogenen Gleichung zusammen. Dabei gilt y = yp + yh . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 6.3.1 216 Gewöhnliche homogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten Sei D := d und P (D) = a0 + a1 D + .... + an Dn . dx Dann lässt sich eine homogene lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten folgendermaßen schreiben: P (D)y = 0 . Es gilt P (D)eλx = P (λ)eλx für alle λ ∈ C , wobei P (λ) ein Polynom ist. Es wird als das charakteristisches Polynom der Differentialgleichung bezeichnet. Nullstellen von P (λ) a) Das charakteristische Polynom P (λ) habe n paarweise verschiedene Nullstellen λ1 , ..., λn ∈ C. Dann bilden die Funktionen ϕl : R → C ϕl (x) := eλl x , l = 1, ..., n ein Fundamentalsystem von Lösungen (= Basis des Lösungsvektorraumes) der Differentialgleichung P (D)y = 0. b) Das charakteristische Polynom P (λ) habe r paarweise verschiedene Nullstellen λl ∈ C, 1 ≤ l ≤ r, mit den Vielfachheiten kl . Dann bilden die Funktionen ϕlm : R → C ϕlm (x) := xm eλl x , 1 ≤ l ≤ r, 0 ≤ m ≤ kl − 1 ein Fundamentalsystem von Lösungen der Differentialgleichung P (D)y = 0. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Die allgemeine Lösung ϕ der Differentialgleichung ist die Linearkombination n X ci ϕi , mit ci ∈ C , i=1 des Lösungsfundamentalsystems {ϕi }. Beispiele • Das charakteristische Polynom der Differentialgleichung y 00 + 4y 0 + 3y = 0 lautet P (λ) = λ2 + 4λ + 3 . Die Nullstellen von P (λ) sind λ1 = −1 , λ2 = −3 . Als allgemeine Lösung ϕ erhalten wir demnach ϕ(x) = c1 e−x + c2 e−3x . • Das charakteristische Polynom der Differentialgleichung y 000 − y 00 − 2y 0 = 0 lautet P (λ) = λ3 − λ2 − 2λ . Die Nullstellen von P (λ) sind λ1 = 0 , λ2 = −1 , λ3 = 2 . Als allgemeine Lösung ϕ erhalten wir demnach ϕ(x) = c1 + c2 e−x + c3 e2x . • Das charakteristische Polynom der Differentialgleichung y 000 − 2y 00 + y 0 = 0 lautet P (λ) = λ3 − 2λ2 + λ = λ(λ − 1)2 . Die Nullstellen von P (λ) sind λ1 = 0 , λ2 = 1 (doppelt) . Als allgemeine Lösung ϕ erhalten wir demnach ϕ(x) = c1 + c2 ex + c3 xex . 217 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 218 Anwendungen Der Einschaltvorgang bei einer Reihenschaltung von Ohmschen Widerstand und Spule Wird der Schalter geschlossen, so genügt die Stromstärke I in dem abgebildeten Schaltkreis der Differentialgleichung U0 − LI 0 (t) = RI . R L Abbildung 6.1 Einschaltvorgang Die Lösung dieser Differentialgleichung lautet I= t U0 L (1 − e− τ ) , wobei τ := . R R I (t ) I= I= U0 R U0 t L I= L R t U0 − ⋅(1−e τ ) R t Abbildung 6.2 Die Stromstärke I(t) nach dem Einschalten Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 219 Freie gedämpfte mechanische Schwingungen Die Auslenkung x(t) genüge der Differentialgleichung Dx(t) + kx0 (t) + mx00 (t) = 0 , wobei · Trägheitskraft: mx00 (t) · Reibungskraft: −kx0 (t) · Rückstellkraft: −Dx(t). Der RLC-Serienschwingkreis ohne äußere Spannungsquelle Hier genügt die Ladung Q(t) der Differentialgleichung 1 Q(t) + RQ0 (t) + LQ00 (t) = 0 , C wobei · Kapazität: C · Ohmscher Widerstand: R · Induktivität: L . Lösung einer homogenen linearen Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten Wir betrachten nun die allgemeine Lösung der Gleichung y 00 (t) + 2µ y 0 (t) + ω02 y(t) = 0 , wobei ω0 ∈ R und µ ∈ R∗+ , und Lösungen unter bestimmten Anfangsbedingungen. Schwingungen unter der Bedingung 0 < µ < ω0 Mit dem Ansatz y(t) = eλt und den Ableitungen y 0 (t) = λeλt und y 00 (t) = λ2 eλt erhalten wir λ2 + 2µλ + ω02 = 0 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 220 Die Nullstellen dieser Gleichung sind die komplexen Zahlen q λ1,2 = −µ ± µ2 − ω02 = −µ ± iω , wobei ω := p ω02 − µ2 . Die allgemeine Lösung unserer Differentialgleichung y(t) = c1 eλ1 t + c2 eλ2 t = c1 e(−µ+iω)t + c2 e(−µ−iω)t lässt sich umformen zu y(t) = e−µt (c1 eiωt + c2 e−iωt ) . Mit Hilfe der Eulerschen Formel e±iωt = cos(ωt) ± i sin(ωt) erhalten wir y(t) = e−µt (d1 cos(ωt) + d2 sin(ωt)) . f (t ) −μt e cos(ω t) e−μt t −e−μ t Abbildung 6.3 Gedämpfte Schwingung Mit den Anfangsbedingungen y(t = 0) = y0 und y 0 (t = 0) = 0 folgt y0 = y(t = 0) = e−µ·0 (d1 cos(ω · 0) + d2 sin(ω · 0)) Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 221 und 0 = y 0 (t = 0) = −µe−µ·0 (d1 cos(ω · 0) + d2 sin(ωt · 0) + e−µ·0 (−d1 ω sin(ω · 0) + d2 ω cos(ω · 0)) . Die erste dieser beiden Gleichungen impliziert d1 = y 0 und die zweite µ d2 = · y 0 . ω Insgesamt erhalten wir damit y(t) = y0 e−µt (cos(ωt) + µ sin(ωt)) . ω Der aperiodische Grenzfall (für µ = ω0 ) Die Nullstellen von λ2 + 2µλ + ω02 = 0 sind λ1,2 = −µ . Die allgemeine Lösung ist y(t) = e−µt (c1 + c2 t) . Unter der Anfangsbedingung y(t = 0) = y0 und y 0 (t = 0) = 0 erhalten wir die eindeutig bestimmte Lösung y(t) = y0 e−µt (1 + µt) , wobei µ = ω0 . Der aperiodische Fall (Kriechfall) (für µ > ω0 ) Die Nullstellen von λ2 + 2µλ + ω02 = 0 sind λ1,2 q = −µ ± µ2 − ω02 < 0 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 222 Die allgemeine Lösung ist y(t) = c1 e−µ1 t + c2 e−µ2 t wobei µi := −λi > 0 . Unter der Anfangsbedingung y(t = 0) = y0 und y 0 (t = 0) = 0 erhalten wir die eindeutig bestimmte Lösung: y(t) = y0 (µ2 e−µ1 t − µ1 e−µ2 t ) . µ2 − µ1 Lösungen yµ (t) des Anfangswertproblems Im vorangegangenen Abschnitt bestimmten wir die Lösungen y(t) = yµ (t) der Differentialgleichung y 00 (t) + 2µ y 0 (t) + ω02 y(t) = 0 unter den Anfangsbedingungen y(t = 0) = y0 und y 0 (t = 0) = 0 . Die folgende Abbildung zeigt den Einfluss der Dämpfung auf diese Lösungen y(t) = yµ (t): y (t ) y0 μ ω 0 =2,5 2,0 1,5 1,3 μ ω 0 =1 0 μ ω 0 =0,9 0,8 0,7 2π T 0 := ω 2T 0 0 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 Abbildung 6.4 Der Einfluss der Dämpfung µ 3T 0 t Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 6.3.2 223 Gewöhnliche inhomogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten Zu den Methoden, eine partikuläre Lösung einer inhomogenen gewöhnlichen Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten zu finden, gehören • die Variation der Konstanten und • die Laplace-Transformation. Es gibt auch eine Reihe von Ansatzfunktionen, die sich nutzen lassen. Ansatzfunktionen für eine partikuläre Lösung der inhomogenen Gleichung Es sei P (D) = Dn + an−1 Dn−1 + ... + a1 D + a0 mit Konstanten ak ∈ R. Ferner sei I ⊂ R und b:I→R sei eine stetige Funktion. Dann lassen sich mittels folgender Ansatzfunktionen partikuläre Lösung der Differentialgleichung P (D)y = b bestimmen. Seien bi , Ai ∈ R und α, β ∈ R. • Ist b ein Polynom mit b(x) = b0 + b1 x + ... + bm xm und P (λ = 0) 6= 0, so ist yp (x) = A0 + A1 x + ... + Am xm ein Lösungsansatz. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 224 • Ist b(x) = (b0 + b1 x + ... + bm xm )eαx und P (λ = α) 6= 0, so ist yp (x) = (A0 + A1 x + ...Am xm )eαx ein Lösungsansatz. • Ist g(x) = cos(βx) oder sin(βx), b(x) = (b0 + b1 x + ... + bm xm )g(x) und P (λ = iβ) 6= 0, so ist yp (x) = (A0 + A1 x + ...Am xm ) cos(βx) + (B0 + B1 x + ...Bm xm ) sin(βx) ein Lösungsansatz. Beispiel Um die Lösung der inhomogenen Differentialgleichung y 000 − y = 1 + x3 zu lösen, bestimmen wir die allgemeine Lösung yh der homogenen Gleichung y 000 − y = 0 und die partikuläre Lösung yp der inhomogenen Gleichung mit dem oben beschriebenen Ansatz yp (x) = A0 + A1 x + A2 x2 + A3 x3 . Für die Lösung yh der homogenen Gleichung bestimmen wir die Nullstellen des charakteristischen Polynoms P (λ) = λ3 − 1 = (λ − 1)(λ2 + λ + 1) . Da für die Nullstellen λ1 = 1 , λ2,3 √ 1 3 =− ±i 2 2 gilt, folgt √ − x2 yh (x) = c1 ex + e ! √ 3 3 c2 cos( x) + c3 sin( x) . 2 2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 225 Setzen wir yp in die inhomogene Differentialgleichung ein, so erhalten wir 3 · 2 · A3 − (A0 + A1 x + A2 x2 + A3 x3 ) = 1 + x3 und demnach A3 = −1 , A2 = 0 , A1 = 0 , A0 = −7 . Daher gilt yp (x) = −7 − x3 . Die allgemeine Lösung y der inhomogenen Gleichung lautet daher √ y(x) = −7 − x3 + c1 ex + e − x2 ! √ 3 3 c2 cos( x) + c3 sin( x) . 2 2 Anwendungen Erzwungene gedämpfte mechanische Schwingungen Hier betrachten wir ein System, das sinusförmig schwingen kann, beispielsweise ein quasielastisches Pendel, dessen Schwingungen durch die Stokes-Reibung gedämpft werden. Die Auslenkung x(t) genüge der Differentialgleichung Dx(t) + kx0 (t) + mx00 (t) = Fa (t) . Es wirke eine periodische äußere Kraft Fa (t), wobei Fa (t) = F0 cos(ωt) . Die Kraft Fa (t) ist daher harmonisch veränderlich mit der konstanten Kreisfrequenz ω und der konstanten Anregungsamplitude F0 . Zusätzlich gehen wir hier davon aus, dass r D k < 0< 2m m gilt. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 226 Der RLC-Serienschwingkreis mit äußerer Spannung Hier genügt die Ladung Q(t) der Differentialgleichung 1 Q(t) + RQ0 (t) + LQ00 (t) = Ua (t) . C L C R U Abbildung 6.5 RLC-Serienschwingkreis Es liege eine äußere Spannung Ua (t) an, wobei Ua (t) = U0 cos(ωt) . Die Kreisfrequenz ω und Amplitude U0 sind konstant. Analog zu unserem mechanischen Modell beschränken wir uns hier auf die periodischen Lösungen Q(t) der Differentialgleichung. Wir betrachten nun die Gleichung y 00 (t) + 2µ y 0 (t) + ω02 y(t) = ya (t) , wobei ya (t) = ya,0 cos(ωt) mit den Konstanten ya,0 , ω ∈ R∗+ . Zusätzlich gelte 0 < µ < ω0 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 227 Für die beiden beschriebenen Beispiele, • eine quasi-elastische mechanische Schwingung und • die Ladungsoszillation eines Serienschwingkreises, setzen wir r · ω0 := D bzw. ω0 := m r 1 LC R k bzw. µ := 2m 2L p · ωµ := ω02 − µ2 · µ := In unserem Fall ist die inhomogene Gleichung y 00 (t) + 2µ y 0 (t) + ω02 y(t) = ya (t) und die zugehörige homogene Gleichung y 00 (t) + 2µ y 0 (t) + ω02 y(t) = 0 . Um eine partikuläre Lösung unserer inhomogenen Gleichung zu finden, können wir die Differentialgleichung zu einer Differentialgleichung für komplexe Funktionen verallgemeinern und den Realteil dieser Lösung bestimmen. Wir betrachten die Differentialgleichung z 00 (t) + 2µ z 0 (t) + ω02 z(t) = y0,a eiωt , wobei µ, ω0 und y0,a wie bisher definiert sind. Mit dem Ansatz z(t) = z0 eiωt erhalten wir z0 = ω02 y0,a − ω 2 + 2iµω und damit eine partikuläre Lösung yp (t). Die komplexe Amplitude z0 lässt sich auch als z0 = Aeiϕ , mit A ∈ R, schreiben. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 228 Der Ansatz z(t) = Aei(ωt+ϕ) , impliziert A(−ω 2 + 2iµω + ω02 ) = y0,a e−iϕ . Daraus folgt für die Amplitude der erzwungenen Schwingung A= p y0,a (ω02 − ω 2 )2 + 4µ2 ω 2 . Mit der Amplitude A und der Phasenverschiebung ϕ ist auch die reelle partikuläre Lösung unserer ursprünglichen Gleichung y(t) = A cos(ωt + ϕ) bestimmt. Nun betrachten wir die Amplitude A als Funktion von ω und berechnen deren Maximum. Dabei erweist sich die folgende Definition als nützlich: q ωR := ω02 − 2µ2 Die Funktion f (ω) := (ω02 − ω 2 )2 + 4µ2 ω 2 ist · für µ ≥ ω0 √ : 2 streng monoton und unbeschränkt wachsend, ω0 : streng monoton fallend in (0, ωR ) und streng monoton und unbeschränkt · für µ < √ 2 wachsend in (ωR , ∞). Betrachten wir nun für den zweiten Fall die Amplitude A= p y0,a (ω02 − ω 2 )2 + 4µ2 ω 2 , so zeigt sich, dass deren Maximalwert bei ω = ωR angenommen wird und y0,a y0,a Amax = A(ωR ) = p 2 = 2µωµ 2µ ω0 − µ2 beträgt. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 229 Die Frequenz ωR heisst daher Resonanzfrequenz. Amplitude A(ω) und Phasenverschiebung ϕ(ω) der partikulären Lösung y(t) = A cos(ωt + ϕ) zeigen einen von der der relativen Dämpfung µ abhängigen Verlauf. ω0 Die Amplitude A(ω) ist in folgender Abbildung für verschiedene Werte der relativen Dämpfung dargestellt: 2 ω0 A x0, a 10 4 10 3 10 2 μ −4 ω 0 =10 10−2 0,1 0,2 10 0,4 0,6 1 →1 0 0,5 1,0 ω ω0 Abbildung 6.6 Amplitude einer erzwungenen Schwingung Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 230 Folgende Abbildung zeigt die Phasenverschiebung ϕ(ω) = tan−1 (−2µ ω02 ω ) − ω2 für verschiedene Werte der relativen Dämpfung: μ −4 ω 0 =10 10−2 0,1 0,2 0,4 0,6 1 2 ω ω0 φ −π 2 →1 −π Abbildung 6.7 Phasenverschiebung einer erzwungenen Schwingung Ist µ = 0, so erhalten wir die Gleichung für den harmonischen Oszillator mit der Inhomogenität ya (t) y 00 (t) + ω02 y(t) = ya (t) , wobei ya (t) = ya,0 cos(ωt) . Ist ω 6= ω0 , so ist y0,a cos(ωt) − ω2 ω02 eine partikuläre Lösung der inhomogenen Gleichung. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 231 Ist ω = ω0 , so ist y0,a t sin(ωt) 2ω0 eine partikuläre Lösung der inhomogenen Gleichung. Dieser Fall wird als Resonanz bezeichnet, da die Anregungsfrequenz gleich der Eigenfrequenz ist. Die Amplitude wächst hierbei unbeschränkt. Die Methode der Laplace-Transformation In Kapitel 5 wurde die Laplace-Transformierte F einer geeigneten Funktion f durch Z∞ F = Lf : Kf → R, s 7→ F (s) := e−st f (t) dt 0 erklärt. Differentiationssatz: Es gilt k X L(f (k) )(t) (s) = sk L(f (t)) (s) − sk−l f l−1 (0) . l=1 Das Anfangswertproblem für lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten Hierbei suchen wir beispielsweise eine Lösung ϕ : I → R der Differentialgleichung y 00 + a1 y 0 + a0 y = b(t) , mit einer stetigen Funktion b : I → R, die den Anfangsbedingungen y(0) = c1 und y 0 (0) = c2 genügt. Ist ϕ eine Lösung der Differentialgleichung, so gilt Lϕ00 + a1 Lϕ0 + a0 Lϕ = Lb . Mit der Definition Y := Lϕ und B := Lb , den Anfangswerten und dem Differentiationssatz erhalten wir die algebraische Gleichung s2 Y − sc1 − c2 + a1 (sY − c1 ) + a0 Y = B Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 232 und daher Y (s) = (s + a1 )c1 + c2 + B(s) . s 2 + a1 s + a0 Beispiel Um das Anfangswertproblem y 00 + 4y 0 = cos(2t) , y(0) = 0, y 0 (0) = 1 zu lösen, wenden wir die Laplace-Transformation an uns setzen die Anfangswerte ein. Damit erhalten wir 2 (s Y − 1) + 4sY = L(cos(2t)) (s)0 : B(s) . Mittels B(s) = s2 s +4 folgt Y (s) = (s + 4) · 0 + 1 + B 1 1 = + . s2 + 4s (s + 4)(s2 + 4) s(s + 4) Die Partialbruchzerlegung a1 a2 + a3 s 1 = + 2 2 (s + 4)(s + 4) s+4 s +4 impliziert a1 = 1 1 1 , a2 = − , a3 = − 20 5 20 und daher Y (s) = 1 1 1 s 1 1 1 · − · 2 + · 2 + . 20 s + 4 20 s + 4 5 s + 4 s(s + 4) Die inverse Transformation L−1 ergibt schließlich y(t) = 1 −4t 1 1 1 1 e − cos(2t) + · sin(2t) + (1 − e−4t ) 20 20 5 2 4 =− 1 1 1 1 cos(2t) + sin(2t) + − e−4t . 20 10 4 5 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 233 Anmerkung Eine Lösung des Anfangswertproblems y 00 (t) + 2µy 0 (t) + ω02 y(t) = b(t) , mit y(0) = c1 , y 0 (0) = c2 , im Falle 0 ≤ µ < ω0 , lässt sich auch mittels y(t) = e−µt (c1 cos(ωµ t) + µc1 + c2 B(s) sin(ωµ t)) + L−1 ( 2 ), ωµ s + 2µs + ω02 wobei q ωµ := ω02 − µ2 , berechnen. Zusätzlich lässt sich die Beziehung B(s) 1 L−1 ( 2 )= 2 s + 2µs + ω0 ωµ verwenden. Zt 0 b(τ )e−µ(t−τ ) sin(ωµ (t − τ )) dτ Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 6.4 Übungsaufgaben: Gewöhnliche Differentialgleichungen Aufgabe 1 Lösen Sie folgende Anfangswertprobleme durch Trennung der Variablen: π a) y 0 + cos x · y = 0 , y( ) = 2π 2 1 b) x(x + 1) y 0 = y , y(1) = 2 c) y 2 y 0 + x2 = 1 , y(2) = 1. Aufgabe 2 Lösen Sie folgende Anfangswertprobleme durch Variation der Konstanten: a) xy 0 − y = x2 · cos x , y(π) = 2π b) y 0 + tan x · y = 5 sin(2x) , y(3π) = 2 c) xy 0 + y = ln x , y(1) = 1 d) y 0 + tan x · y = sin x · cos x , y(0) = 1. Aufgabe 3 Bestimmen Sie die allgemeine Lösung der folgenden Differentialgleichungen 2. Ordnung: a) y 00 + y = 0 b) y 00 + 2y 0 + y = 0 c) y 00 + y 0 − 2y = 0 d) y 00 − 2y 0 + 2y = 2 e) y 00 + 2y 0 − 3y = 3x2 − 4x f) y 00 + 2y 0 + y = −2 sin(2x). 234 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 235 Aufgabe 4 Lösen Sie die Anfangswertprobleme: a) y 00 − 2y 0 + 2y = 2 , y(0) = 2, y 0 (0) = 1 b) y 00 + 2y 0 + y = −2 sin(2x) , y(0) = 1, y 0 (0) = 1 c) y 00 + y = 2 sin x , y(0) = 1, y 0 (0) = 1 (Resonanzfall !). Aufgabe 5 Lösen Sie die Anfangswertprobleme aus der vorangegangenen Aufgabe mittels Laplace-Transformation: a) y 00 − 2y 0 + 2y = 2 , y(0) = 2, y 0 (0) = 1 b) y 00 + 2y 0 + y = −2 sin(2x) , y(0) = 1, y 0 (0) = 1 c) y 00 + y = 2 sin x , y(0) = 1, y 0 (0) = 1 (Resonanzfall !). Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 6.5 236 Übungsaufgaben: zur Wiederholung Aufgabe 1 Berechnen Sie mit Hilfe der Partialbruchzerlegung das Integral Z 3 x + x2 + x dx . x2 − 1 Aufgabe 2 Berechnen Sie die Länge der Neilschen Parabel 3 y = x2 zwischen x = 0 und x = 4. Aufgabe 3 Die Graphen der Funktionen y(x) = sin x und y(x) = 2 x π beranden für 0≤x≤ π 2 ein endliches Flächenstück, welches um die x-Achse rotiert. Berechnen Sie das Volumen V des Rotationskörpers. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Aufgabe 4 Wir betrachten das von einer reellen Zahl α abhängige lineare Gleichungssystem x1 x1 x1 3x1 +x2 −x2 +x2 +x2 +x3 −x3 −x3 +x3 +x4 −x4 −x4 +α2 x4 = −1 = −3α = 0 = α2 Bestimmen Sie alle Zahlen α ∈ R, für die dieses lineare Gleichungssystem a) keine Lösung besitzt, b) unendlich viele Lösungen besitzt und geben Sie alle Lösungen an. Aufgabe 5 Berechnen Sie die inverse Matrix von 4 5 −1 A = 2 0 1 31 0 Aufgabe 6 Bestimmen Sie die reellen Eigenwerte und die zugehörigen Eigenvektoren der Matrix 1 1 0 A = −1 1 −1 . 0 1 1 Aufgabe 7 Bestimmen Sie die lokalen Extrema der Funktion R2 → R , (x, y) 7→ f (x, y) = −2x3 + 3xy − 3y 3 + 10 . 237 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Aufgabe 8 In der Ebene ist durch die Eigenschaften x ≤ 1, y ≤ 1, x + y ≥ 1 ein Bereich B gegeben. Skizzieren Sie den Bereich B und berechnen Sie ZZ x dA. B Aufgabe 9 Lösen Sie folgendes Anfangswertproblem durch Trennung der Variablen: y 2 y 0 − x2 = 1 , y(2) = 1 . Aufgabe 10 Lösen Sie folgendes Anfangswertproblem: y 00 + y = 2 sin x , y(0) = 0, y 0 (0) = 0 . 238 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Symbolverzeichnis N = {1, 2, 3, ....} Menge der natürlichen Zahlen N0 = {0, 1, 2, 3, ....} Z = {0, ±1, ±2, ....} Menge der ganzen Zahlen p Q = { | p, q ∈ Z, q 6= 0} Körper der rationalen Zahlen q R Körper der reellen Zahlen R+ := {x ∈ R | x ≥ 0} R∗ := {x ∈ R | x 6= 0} R∗+ := {x ∈ R | x > 0} C Körper der komplexen Zahlen 239 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 240 Quellen und Literatur [1] I. N. Bronstein, K. A. Semendjajew, Taschenbuch der Mathematik, B. G. Teubner, Nauka [2] A. Budó, Theoretische Mechanik, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften [3] P. Dörsam, Oberstufenmathematik leicht gemacht, Band 2: Lineare Algebra, Analytische Geometrie, PD-Verlag [4] G. Fischer, Lineare Algebra, Vieweg [5] W. Fischer, I. Lieb, Funktionentheorie, Vieweg [6] O. Forster, Analysis 1, 2, 3, Vieweg [7] C. Gerthsen, H. O. Kneser, H. Vogel, Physik, Springer-Verlag [8] J. Hartung, Statistik, Oldenbourg [9] H. Heuser, Gewöhnliche Differentialgleichungen, B. G. Teubner [10] J. Hugel, Elektrotechnik, Grundlagen und Anwendungen, B. G. Teubner [11] K. Jänich, Lineare Algebra, Springer-Verlag [12] F. Reinhardt, H. Soeder, dtv-Atlas zur Mathematik, Deutscher Taschenbuch Verlag [13] R. Remmert, Funktionentheorie 1, Springer-Verlag [14] K. Simonyi, Theoretische Elektrotechnik, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften [15] W. Walter, Gewöhnliche Differentialgleichungen, Springer-Verlag