Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Aristoteles in Valladolid Eine Untersuchung des Einflusses von Aristoteles auf Las Casas und Sepúlveda Bachelorarbeit in Alter Geschichte eingereicht bei Prof. Dr. Thomas Späth am Historischen Institut an der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern am 01. Juli 2011 Thomas Leibundgut Blauensteinerstrasse 4 4053 Basel 076 536 87 23 [email protected] 08-117-376 BA Major in Geschichte Seite 1 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut INHALT Einleitung ........................................................................................................... 03 Sklaverei in der Antike ...................................................................................... 05 Sklaverei bei Aristoteles ...................................................................................... 10 ...................................................................................... 10 Leben und Werk SklavInnen von Natur ........................................................................... 11 Die Rezeption Aristoteles ........................................................................... 16 Die spanische Sklaverei in Lateinamerika Die Disputation von Valladolid ...................................................... 18 ........................................................................... 24 BefürworterInnen der Sklaverei: Sepúlveda ...................................................... 27 ...................................................................................... 27 Die gerechten Gründe des Krieges in Lateinamerika ................................ 29 Sepúlveda und Aristoteles ................................................................ 31 GegnerInnen der Sklaverei: Las Casas ................................................................ 36 Leben und Werk Leben und Werk ...................................................................................... 36 BarbarInnen und Indígenas ................................................................ 37 Las Casas und Aristoteles ................................................................ 41 Fazit ..................................................................................................................... 44 Bibliographie ................................................................................................ 47 ........................................................................................................... 52 Anhang Seite 2 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut EINLEITUNG Kurz nach der Wiederentdeckung Amerikas durch Kolumbus 1492 begann nicht nur die Suche nach Gold, sondern auch die landwirtschaftliche Ausbeutung des Bodens in Plantagen. Schon die ersten Conquistadores bemerkten den ihrer Meinung nach glücklichen Zufall, dass sie hier nicht nur Landstriche mit einem reichen Boden, sondern auch gerade noch Millionen von Menschen gefunden hatten, um diesen zu bearbeiten. Da die indigene Bevölkerung aber meist noch in subsistenz-basierenden Wirtschaften lebte, hatten sie wenig bis kein Verständnis für das ausbeuterische und gewinnmaximierende Handeln der EuropäerInnen. Es entsprach nicht ihrer Lebensweise, dem Boden das Möglichste abzupressen, und entsprechend weigerten sie sich. Darauf begannen die Conquistadores, sie zur Arbeit zu zwingen. In der europäischen Zentrale blieb diese Entwicklung nicht unbemerkt. Da einerseits von Seiten der spanischen Krone ein enormes Interesse an der Rentabilität der Expeditionen nach Lateinamerika bestand, gleichzeitig die Vereinbarkeit von Zwangsarbeit und Sklaverei mit der christlichen Moral und dem Christentum an sich problematisch war, berief der spanische König Karl V. 1550 die Disputation von Valladolid ein, um zu klären, wie mit der indigenen Bevölkerung umgegangen werden sollte. Für die Beibehaltung des Status Quo argumentierte der Humanist, Hofhistoriker und berühmte Aristoteles-Übersetzer Juan Gines de Sepúlveda. Er argumentierte mit der aristotelischen Naturrechtslehre dafür, dass die Indígenas BarbarInnen und als solche SklavInnen von Natur seien, ihre Versklavung sei also gerecht und angezeigt. Sein Gegner in dieser Disputation war der Dominikanermönch, Bischof von Chiapas und langjährige Lateinamerika-Kenner Bartolomé de Las Casas. Er hatte schon zuvor in mehreren Schriften auf die Ausbeutung und Ermordung von Millionen von Indígenas und die Zerstörung Lateinamerikas aufmerksam gemacht, und argumentierte ebenfalls unter Zuhilfenahme von Aristoteles, jedoch im Unterschied zu Sepúlveda gegen die Versklavung der Indígenas, da diese eben keine SklavInnen von Natur aus seien. Grundlegend für die Argumentation sowohl von Sepúlveda und Las Casas ist also der antike griechische Philosoph Aristoteles (384 - 322 v. Chr.), der sich in einem Teil seines umfassenden Werkes auch zur Frage der Sklaverei und insbesondere zur Sklaverei von Seite 3 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Natur geäussert hatte. Die Frage stellt sich nun, wie zwei Personen aus dem selben kulturellen, geographischen und sozialen Raum unter Zuhilfenahme derselben antiken Texten zu so konträren Meinungen gelangen konnten. Genau diese Frage soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Dazu dienen folgende Leitfragen: Welche Bilder der Antike wurden rezipiert? Wie wurde Aristoteles von Las Casas und Sepúlveda interpretiert? Weswegen kamen Las Casas und Sepúlveda zu solch konträren Resultaten? Um diese Fragen möglichst umfassend und präzise beantworten zu können, soll zuerst ein Abriss über die antike Sklaverei gegeben werden, auf deren Basis dann die Sklaverei bei Aristoteles untersucht werden soll. Nach einem kurzen Überblick über die Conquista und die spanische Sklaverei in Lateinamerika soll dargelegt werden, wie und weshalb es zur Disputation von Valladolid kam, und welches die Argumente der BefürworterInnen, vertreten durch Sepúlveda, und der GegnerInnen, vertreten durch Las Casas, der Sklaverei waren. Am Ende werden die Ergebnisse in einem Fazit festgehalten und nochmals den Leitfragen gegenüber gestellt. Zur Beantwortung der Leitfragen wurden die jeweiligen Schriften der beiden spanischen Autoren sowie die antiken Quellen von Aristoteles analysiert und eine umfassende Auswahl an Sekundärliteratur mit einbezogen. Da insbesondere Las Casas und Aristoteles eine Unmenge an Quellen hinterlassen haben, ist es im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, auf alle Aspekte ihrer Argumentation einzugehen. Berücksichtigt wurden nur diejenigen Texte und Textpassagen, die sich wirklich zentral mit der Frage der natürlichen Sklaverei und ihre Anwendung auf Lateinamerika befassen. Durch den kritischen Vergleich und die Gegenüberstellungen von unterschiedlichen Interpretationen und Erklärungsansätzen soll versucht werden, die Fragen so präzise und wissenschaftlich fundiert wie möglich zu beantworten. Diese Arbeit befasst sich explizit nur mit der griechischen Antike und lässt die römischen Praktiken und Theorien zur Sklaverei ausser acht, genau wie nur die Philosophie des Aristoteles und ihre Stellung bei Sepúlveda und Las Casas hier detaillierter wiedergegeben wird, nicht aber diejenige der vielen anderen antiken, mittelalterlichen und modernen AutorInnen oder Teile der Positionen von Sepúlveda und Las Casas, die nicht zumindest indirekt mit Aristoteles in Verbindung gesetzt werden können. Seite 4 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut SKLAVEREI IN DER ANTIKE Nachweisen lässt sich die Sklaverei in der griechischen Antike schon im 12. Jahrhundert v. Chr., vermutlich gab es sie schon zur Zeit der mykenischen Palastkulturen. In dieser existierten eine Vielzahl von Abstufungen zwischen dem einzig und vollständig freien Herrscher und den total abhängigen SklavInnen, abhängig von der Nähe zum Palast bzw. zum Herrscher.1 Letztere waren oft Kriegsgefangene und dadurch meist weiblich, hatten aber vergleichbar viele Rechte und Möglichkeiten, da es noch keine starre Unterscheidung zwischen Freien und SklavInnen gab.2 In den homerischen Epen werden SklavInnen als Selbstverständlichkeit und StatistInnen behandelt. In der Illias ist die Sklaverei eindeutig weiblich, aber selten: Hausgeburt von SklavInnen kommt nicht vor, ihre Quelle ist die Versklavung durch Krieg. In der Odyssee ist das Geschlechterverhältnis ausgewogener und SklavInnen weit verbreitet. Die Herkunft ist umstritten, insbesondere die Frage, ob es Hausgeburt gab oder nicht. 3 Die Arbeit ist geteilt, auch geschlechtsbezogen: Männer arbeiten ausserhalb, Frauen innerhalb des Hauses. Der ihnen zugeschriebene Wert und die ihnen zugeschriebene Vernunft sind bedeutend geringer als die von Freien, sie gelten nur als halbe Menschen. Weder ist die Freilassung bekannt noch wird sie von den SklavInnen angestrebt, im Gegenteil, ihr grösster Wunsch ist der nach einer eigenen Familie und einem eigenen Haus. 4 Die Anzahl ist aber in den Epen viel geringer als in der mykenischen Zeit, "mit dem Untergang der Paläste ist auch ihr Bewirtschaftungspotential verschwunden."5 Seit archaischer Zeit, verstärkt ab dem 6. Jh., verkauften sich viele zuvor wohlhabende Bauern in die Sklaverei, da sie verarmten oder sich verschuldeten, was zu sozialen Spannungen sowie oligarchischen und tyrannischen Tendenzen führte. Da SklavInnen keinen Boden besitzen konnten, fiel so immer mehr des an sich unveräusserlichen Boden an Grossgrundbesitzende, was zu allgemeiner Unzufriedenheit und den solonischen 1 2 3 4 5 Finley, Moses, Die Sklaverei in der Antike. Geschichte und Probleme, Frankfurt a.M. 1985, S. 37. Flaig, Egon, Weltgeschichte der Sklaverei. München 2009, S. 47, Brockmeyer, Norbert, Sklaverei, Darmstadt 1987, S. 77-84, Brockmeyer, Antike Sklaverei S. 93f.; Herrmann-Otto, Elisabeth, Sklaverei und Freilassung griechisch-römischen Welt, Hildesheim / New York / Zürich 2009, S. 57. Flaig, Weltgeschichte der Sklaverei, S. 37f., Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung, S. Delacampagne, Christian, Die Geschichte der Sklaverei, Düsseldorf 2004, S. 48f, Brockmeyer, Sklaverei S. 95f., Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung, S. 60. Seite 5 von 54 Antike in der 53-59, Antike Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Reformen führte. Diese beinhalteten eine Umverteilung des Bodens und eine Abschaffung sowie ein Verbot von Schuldknechtschaft für attische Bürger.6 Die Versklavung von Ihresgleichen wurde nun stark kritisiert bis verboten und sie wurden durch versklavte BarbarInnen ersetzt,7 was durch Kleistenes noch verstärkt wurde, da die Demokratie das Fundament für die immer grösser werdende SklavInnenarbeit legte. Auch ausserhalb Athens lässt sich diese Tendenz feststellen: im 6. und 5. Jh. entstand die griechische SklavInnenhalterordnung, da Sklavereiarbeit zum wichtigsten, wenn auch nicht einzigen Produktionsmittel wurde. Dies auch, weil Arbeit von den Bürgern verachtete wurde.8 Erst dadurch wurde die Sklaverei ein wichtiges Thema in der Literatur und der politischen Diskussion, jedoch wurde die Institution nie grundsätzlich in Frage gestellt. Sie galt als normal, sowohl im Alltag als auch in philosophischen oder literarischen Werken, wobei sich erstere meist auf die richtige Behandlung von SklavInnen beschränkten.9 Die meisten Bürger Athens hatten zwei bis drei SklavInnen, die sie v.a. im Haushalt und auf dem Feld einsetzen. Ein kleine Minderheit hatte mehr, und eine ebenfalls kleine Minderheit hatte keine SklavInnen. Auch auf dem Land war Arbeit meist SklavInnenarbeit, v.a. auf grösseren Betrieben.10 Durch ihre Allgegenwart stellte sie jedoch auch eine Bedrohung dar: In Athen machten die SklavInnen ca. ein Viertel der Bevölkerung oder ca. 30'000 Personen aus, auch wenn die genauen Zahlen stark umstritten sind. Jedoch blieben kollektive Aufstände eine Seltenheit, auch wenn sie wie das Beispiel der messenischen HelotInnen zeigt, durchaus Chancen auf Erfolg hatten. Alltägliche Widerstandsformen waren aber normal.11 Grundsätzlich war die Sklaverei in Griechenland meist weiblich und SklavInnen überwiegend im Dienstleistungssektor tätig,12 es lässt sich aber schon früh eine geschlechtsspeziefische Arbeitsteilung feststellen. Eingesetzt wurden sie in allen Lebensbereichen, vom Haushalt bis zu Bergwerken, von öffentlicher Sicherheit bis zum 6 DuBois, Page, Slavery. Antiquity and its Legacy, London 2010, S. 80, Davis, David Brion, Inhuman Bondage. The Rise and Fall of Slavery in the New World, Oxford 2006, S. 41, Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung, S. 76, Delacampagne, Geschichte der Sklaverei, S. 50f, Brockmeyer, Antike Sklaverei S. 98-105. 7 Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung, S. 71-85, Flaig, Weltgeschichte der Sklaverei, S. 40. 8 Delacampagne, Geschichte der Sklaverei, S. 51. 9 Walvin, James, A short History of Slavery, London 2007, S. 10. 10 Delacampagne, Geschichte der Sklaverei, S. 56f. 11 DuBois, Slavery, S. 91. 12 Scheidel, Walter, The comparative economics of slavery in the Greco-Roman world, in: Dal Lago, Enrico / Katsari, Constantina (Hrsg.), Slave Systems. Ancient and Modern, Cambridge 2008, S. 105-126, hier: S. 106. Seite 6 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Handel, von Gewerbe bis zur Prostitution. Damit bildeten sie aber auch keine eigene soziale Klasse.13 Nach Abschaffung der Schuldknechtschaft und der Verpönung der Versklavung von GriechInnen stammten die meisten SklavInnen aus peripheren Gebieten, kamen als Ergebnis von Kriegsgefangenschaft, Piraterie oder eigentlichen Menschenraubzügen und SklavInnenhandel nach Griechenland und waren so an Haut- und Haarfarbe klar als solche zu erkennen. Zudem trugen sie meist auch Kleidung von minderer Qualität, wenn auch gewisse antike Autoren beklagten, man könne in Athen einen Freien und einen Sklaven kaum mehr unterscheiden: Am Vorabend des Peloponnesischen Krieges gingen SklavInnen in Athen selbständig einer Arbeit nach, erhielten einen Lohn, wovon sie Abgaben an den Herrn zahlen mussten, und konnten so reich werden und sich freikaufen. Zudem hatten sie Redefreiheit, um ihren Herrn bei Geschäften vertreten zu können. 14 Jedoch drohte ihnen ständig der Verkauf oder der Tod, unabhängig davon, wie gut es ihnen gerade ging.15 SklavInnen wurden als verstandslose Wesen begriffen, ähnlich kleinen Kindern oder Tieren, die Führung bedürfen. Rechtlich gesehen war einE SklavIn ein beseeltes Werkzeug, ein Besitztum. Sie hatten weder Rechte an sich noch eine eigene Rechtspersönlichkeit: Sie konnte nicht kaufen oder besitzen, keinen Vertrag eingehen und keine Familie im juristischen Sinne haben.16 Vor Gericht galten ihre Zeugenaussagen nur unter Folter,17 sie konnten nur als Rechtsperson auftreten, wenn es um Verrat, Sakrileg oder Amtsmissbrauch ging, oder es in der Funktion als Kaufmann erforderlich war. Nur hier hatte ihr Zeugnis den gleichen Wert wie das eines Freien.18 Ihr Preis schwankte zwischen 50 und 1000 Drachmen, je nach Ausbildung und geplantem Einsatzort. Da Freie sich nicht in Abhängigkeit begeben wollten, wechselten sie oft ihren Arbeitsort, was für Tätigkeiten, die eine Ausbildung erforderte, nur SklavInnen übrig liess. 19 13 Delacampagne, Geschichte der Sklaverei, S. 56. 14 Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung, S. 71f., Maezawa, Nobuyuki, Slave Societies in the GrecoRoman Antiquity, in: Doi, Masaoki / Yuge, Toru (Hrsg.), Forms of Control and Subordination in Antiquity, Leiden 1988, S. 16-18, hier: S. 17f. 15 Davis, Inhuman Bondage, S. 37. 16 Delacampagne, Geschichte der Sklaverei, S. 52f. 17 DuBois, Slavery, S. 87 18 Delacampagne, Geschichte der Sklaverei, S. 54. 19 Flaig, Weltgeschichte der Sklaverei, S. 42. Seite 7 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Als basale Institution vergrösserte sich die Anzahl der SklavInnen sich auch durch Geburten, da Kinder einer Sklavin automatisch auch SklavInnen waren, durch die Versklavung von ausgesetzten Kindern oder durch Kindesverkauf. Normalerweise war eine Versklavung aber gewaltsam,20 genau wie die spätere Beziehung eine gewaltsame war. So wurden SklavInnen immer physisch bestraft.21 In Sparta bildete sich eine spezielle Form der Sklaverei heraus, die Helotie. Diese HelotInnen gehörten nicht einer bestimmten Person, sondern der spartanischen Polis, auch wenn sie klare Bezugs- und Herrschaftspersonen hatten. Sie arbeiteten in Familienverbänden in der Landwirtschaft, konnten sich frei reproduzieren und übertrafen die nur wenige tausend Männer umfassende spartiatische Oberschicht um ein Vielfaches. Sie waren grundlegend für die Entstehung und die Entwicklung der einzigartigen spartanischen Kultur, da sie erst durch ihre Existenz die Befreiung der Männer von sämtlichen Pflichten erlaubte, und es ihnen so ermöglichte, sich ganz dem Kriegshandwerk zu widmen. Gleichzeitig zwang die Helotie die Spartiaten durch die stetige Bedrohung auch zu einem solchen Lebenswandel und einer solchen Gesellschaftsstruktur.22 Sklaverei war grundlegend für die griechische Lebensweise, indem sie dazu diente, dass die Bürger ihr Leben so leben konnten, wie sie es taten: Dadurch, dass die täglichen Arbeiten und die Deckung der Grundbedürfnisse von den SklavInnen übernommen wurden, hatten die Bürger Zeit, sich der Politik, der Kriegsführung und der Rechtssprechung zu widmen. Somit war die Sklaverei auch die Basis für die entstehende Demokratie. Sie war das Schlüsselprinzip der sozialen Organisation.23 Cuffel kommt zum Schluss, dass die tiefe Stellung der SklavInnen daraus resultiere, dass die GriechInnen es nicht mochten, irgendetwas tun zu müssen. Das ideale Leben war komplett frei von untergeordneten Pflichten. Freiheit bedeutete, tun zu können, was man wollte. So ist es nur natürlich, dass diejenigen Tätigkeiten, die für ein Leben notwendig waren, als eine Form des Zwangs angesehen wurden. Die tiefe Meinung gegenüber 20 Walvin, A Short History of Slavery, S. 7. 21 Delacampagne, Geschichte der Sklaverei, S. 55. 22 DuBois, Slavery, S. 82, Herrman-Ott, Sklaverei und Freilassung, S. 61-71, Flaig, Weltgeschichte der Sklaverei, S. 38f., 23 Walvin, A Short History of Slavery, S. 7ff. Seite 8 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut SklavInnen resultierte aus der Arbeit, die sie tätigten.24 Für die Entstehung der Sklaverei gibt es mehrere Theorien. Eine geht davon aus, dass in der Antike ein ausgetrockneter Arbeitsmarkt vorherrschte, und mit Sklaverei konnten "turnover-costs" vermieden werden, auch weil so Gender-Normen weniger mit den Arbetsibedürfnissen interferierten.25 Es brauchte also für ihre Entstehung zwei fundamentale Bedingungen: Eine "shortage of labour" und Zugang zu SklavInnen. Sekundär kam eine Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen, die von SklavInnen geliefert wurden, sowie höhere Löhne für Freie und Kapitalakkumulation dazu. Auch wenn dieses Erklärungmodell auf das antike Griechenland nicht vollständig zutrifft, so waren doch alle Elemente vorhanden.26 Daneben begünstigte das Polis-Ideal die Entstehung und Verbreitung der Sklaverei: Durch die Absorption der Bürger in Politik, Gerichtswesen und Militär mussten neue Arbeitskräfte gefunden werden. Entweder wurden wie in Sparta NachbarInnen unterworfen, oder SklavInnen aus der Peripherie importiert.27 24 Cuffel, Victoria, The Classical Greek Concept of Slavery, in: Journal of the HIstoriy of Ideas, Vol. 27, No. 3, Philadelphia 1966, S. 323-342, hier: 337f. 25 Scheidel, Economics of slavery, S. 111f. 26 Scheidel, Economics of slavery, S. 115f. 27 Scheidel, Economics of slavery, S. 117f. Seite 9 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut SKLAVEREI BEI ARISTOTELES Als bedeutender antiker Philosoph hat sich Aristoteles unter anderem auch zur Sklaverei geäussert. Warum er dies tat, zu welchem Zweck, der in Aristoteles teleologischen Schriften von grosser Wichtigkeit ist, ist umstritten, genau so wie der eigentliche Inhalt bzw. die Bedeutung seiner Texte. Zentral für das Thema der vorliegenden Arbeit ist die 'Politik'. Auch vor Aristoteles gab es bereits antike Autoren, die sich zur Sklaverei äusserten. So fand es sein Lehrmeister Platon richtig, dass Griechen ihre natürlichen Feinde, die BarbarInnen, versklaven können. Viel wurde auch geschrieben über die richtige Behandlung von SklavInnen, nicht nur, um Revolten abzuwenden, sondern auch um die Seele des Herrn zu schützen. Es war allgemeiner Konsens, dass auch in einer idealen Polis Sklaverei existieren würde.28 Sklaverei war meist nur Thema von Staatstheorien, Moralphilosophie und Rechtstheorie. Alle uns bekannten Werke wurden aus einer Herrenperspektive geschrieben und ihre Legitimation wurde zumindest bis zur Zeit Aristoteles nicht in Frage gestellt,29 erst ab der Wende vom 5. zum 4. Jahrhundert wurde kontrovers diskutiert, ob Sklaverei von Natur aus existiere, oder ob es eine naturrechtliche Gleichheit aller Menschen gäbe.30 Leben und Werk Über das Leben Aristoteles wissen wir nur wenig. Er wurde 384 v. Chr. in Stageira als Sohn des Hofarztes Makedoniens geboren, lebte aber einen Grossteil seines Lebens als Metöke in Athen, wo er ab 367 bei Platon studierte, Athen aber 347 aus politischen Gründen verlassen musste. Nach dieser ersten Athenischen Phase reiste er während gut zwanzig Jahren in ganz Griechenland umher. Währenddessen heiratete er und unterrichtete Alexander, den Sohn von Philipp II. Ab 334 leitete er, wieder in Athen, eine Akademie, wurde jedoch 322 erneut vertrieben und starb kurz darauf. Viele von seinen Schriften sind verloren gegangen, jedoch ist sein Werk auch so bis auf die Medizin noch umfassend. Jedoch gibt es keine kontinuierliche Auslegungstradition, 28 DuBois, Slavery, S. 55-58. 29 Walvin, A Short HIstory of Slavery, S. 7. 30 Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung, S. 16f. Seite 10 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut sondern eine grosse zeitliche und kulturelle Lücke.31 SklavInnen von Natur In der 'Politik' geht Aristoteles ganz zu Beginn auf die Sklaverei ein. Gemäss Schlaifer tut er dies, da die Institution der Sklaverei angegriffen worden sei, und Aristoteles sie verteidigen wolle.32 Gemäss der Quelle hat Aristoteles aber mindestens noch einen anderen Grund: Er will zeigen, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Herrschaft eines Staatsmannes, Fürst, Hausverwalter und Herrn, und zwar in der Art, nicht nur graduell. Dies steht im Unterschied zu zwei antiken Meinungen, gemäss derer ein Herrenverhältnis die Kunst des Hausverwalters, Staatsmannes oder Fürsten sei, bzw. dass jedes Herrenverhältnis ohnehin widernatürlich und damit die Sklaverei ungerecht da konventionell und gewaltsam sei.33 Dazu geht er auf die Entstehung der Polis ein. Die ersten Gemeinschaften entstehen aus Haus, Weib und Ochse, mehrere von ihnen bilden ein Dorf. Da Menschen von Natur aus staatenbildende Wesen sind, kommt es zur Entstehung der Polis: "Die aus mehreren Dörfern bestehende vollkommene Gemeinschaft [ist] der Staat".34 Jeder Staat existiert wie die ersten Gemeinschaften von Natur aus, er ist das Ziel. "Das vollständige Haus setzt sich aus Sklaven und Freien zusammen", seine drei kleinsten und ursprünglichen Teile sind Herr und Sklave, Gatte und Gattin, Vater und Kinder. Die erste Beziehung ist diejenige, die im Rahmen dieser Arbeit interessiert. Grundsätzlich hat jedes Lebewesen eine Seele und einen Leib, wobei erstere letzteren von Natur aus regiert, und zwar in einem despotischen Herrenverhältnis, nicht in einem Staatsmannverhältnis. Dies, da "was mit dem Verstand vorauszuschauen vermag, [...] von Natur aus das Regierende und Herrschende, was aber mit seinem Körper das Vorgesehene auszuführen vermag, [...] das von Natur Regierte und Dienende" ist. 35 Deswegen haben beide denselben Nutzen, es ist für den "Körper naturgemäss und zuträglich [...], von der Seele beherrscht zu werden".36 "Diejenigen, die so weit 31 Höffe, Otfried, Aristoteles, München 32006, S. 13-30; http://plato.stanford.edu/entries/aristotle/ (15. Juni 2011). 32 Schlaifer, Robert, Greek Theories of Slavery from Homer to Aristotle, in: Harvard Studies in Classical Philology, Vol. 47, Cambridge 1936, S. 165-204, hier: S. 165. 33 Aristoteles, Politik. übers. u. hrsg. v. Olof Gigon, München 81998, 1253b. 34 Aristoteles, Politik, 1252b. 35 Aristoteles, Politik, 1252a. 36 Aristoteles, Politik, 1254b. Seite 11 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut voneinander verschieden sind wie die Seele vom Körper und der Mensch vom Tier (dies gilt bei allen denjenigen, deren Aufgabe die Verwendung ihres Körpers ist und bei denen dies das Beste ist, was sie leisten können), diese sind Sklaven von Natur" 37 welche zu ihren Gunsten regiert werden. "Von Natur ist also jener ein Sklave [...] der so weit an der Vernunft Teil hat, dass er sie annimmt, aber nicht selbstständig besitzt". 38 "Es ist also klar, dass es von Natur Freie und Sklaven gibt und dass das Dienen für diese zuträglich und gerecht ist".39 Hier konstruiert also Aristoteles die SklavInnen von Natur. SklavInnen im allgemeinen sind beseelte Werkzeuge oder Besitz, und stehen stellvertretend für andere Werkzeuge, wobei hier keine saubere Abgrenzung zwischen SklavInnen und DienerInnen aufgrund der Quelle gemacht werden kann.40 Besitz ist Teil des Besitzers, er gehört ihm: "Der Sklave ist ein Teil des Herrn, gewissermassen ein beseelter, aber getrennter Teil des Leibes".41 Es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen Freien und SklavInnen, da einE SklavIn ein Besitz des Herrn ist, und somit "ist der Herr bloss Herr des Sklaven, gehört ihm aber nicht; der Sklave dagegen ist nicht nur Sklave des Herrn, sondern gehört ihm ganz".42 Hier bringt Aristoteles auch eine andere Definition der natürlichen Sklaverei: "Der Mensch, der seiner Natur nach nicht sich selbst, sondern einem anderen Menschen gehört, ist von Natur ein Sklave",43 wobei 'gehören' hier soviel bedeutet wie 'ein Besitzstück sein' oder 'dem Handelnden als Werkzeug dienen'. Nachdem Aristoteles nun also die Sklaverei von Natur aus definiert hat, stellt sich die Frage, wie denn einE solche SklavIn von Natur erkannt werden könnte. Denn sie ist nicht einfach gleich der tatsächlichen Sklaverei nach dem nomos, welche es erlaubte, die BewohnerInnen einer unterlegenen Stadt zu versklaven, und obwohl die Natur die Tendenz hat, die Körper von Freien und SklavInnen unterschiedlich zu gestalten, je nach den ihnen zustehenden Aufgaben wie Arbeit bzw. das politische Leben, kommt oft das Gegenteil vor. Entsprechend muss der Unterschied in der Seele gesucht werden, jedoch ist es hier nicht mehr so einfach wie es aufgrund physischer Merkmale wäre. Dies auch 37 38 39 40 41 42 43 Aristoteles, Politik, 1254b. Aristoteles, Politik, 1254b. Aristoteles, Politik, 1255a. Aristoteles, Politik, 1253b. Aristoteles, Politik, 1255b. Aristoteles, Politik, 1254a. Aristoteles, Politik, 1254a. Seite 12 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut deswegen, weil "der Mensch aber [...] das einzige Lebewesen [ist] das Sprache besitzt",44 und SklavInnen diese ja offensichtlicherweise besitzen. Ein einfaches Kriterium, wie nun Freie und SklavInnen von Natur unterschieden werden könnten, bietet Aristoteles nicht. Er hält jedoch fest, dass die BarbarInnen das von Natur Herrschende nicht haben und ihre Gemeinschaft aus SklavInnen bestehe: Sie haben einen sklavischeren Charakter als GriechInnen, da sie eine despotische Herrschaft ertragen, ohne aufzubegehren. Diesen haben sie aus klimatischen Gründen: Genau wie die Völker der kalten Regionen, also aus Europa, zwar tapfer seien, jedoch nur geringe Kunstfertigkeit und Intelligenz haben, und so ohne Staaten leben, so seien die Völker Asiens genau umgekehrt und lebten deswegen als Untertanen und Knechte. Da Griechenland dazwischen ist, vereint das griechische Volk das Beste beider auf sich: es ist energisch und intelligent. "So ist es frei, hat die beste Staatsverfassung und die Fähigkeit, über alle zu herrschen, wenn es einen einzigen Staat bilden würde".45 Darum sagen gemäss Aristoteles die Dichter, dass es gerecht sei, dass GriechInnen über BarbarInnen herrschten, "da nämlich von Natur der Barbar und der Sklave dasselbe sei".46 Weiter unterscheidet Aristoteles in seinem idealen Staat stark zwischen dem planenden und aufführenden Teil der BewohnerInnen. Zudem schliesst er aus verschiedenen Gründen mehrere Gesellschaftsgruppen vom Vollbürgerrecht aus: Nicht-GriechInnen aus den oben erwähnten klimatischen Bedingungen, mehrere tiefere soziale Schichten sowie SklavInnen, da sie "ihrer Natur nach zum Gehorchen und ausführen da sind".47 Mehrere AutorInnen haben verschiedene Interpretationen dieser Abschnitte geliefert. Höffe entschuldigt Aristoteles Konstruktion der natürliche Sklaverei damit, dass die Beziehung ja für beide Seiten vorteilhaft sei, und vergleicht SklavInnen von Natur mit unmündigen oder behinderten Personen im modernen Sinne. Auch hält er fest, dass Aristoteles keine Eloge auf die Sklaverei liefere, sondern im Einsatz von SklavInnen nichts erhebendes erkenne. Zudem sei es zuviel verlangt, von einem Philosophen der Antike eine Ablehnung der Sklaverei zu verlangen.48 44 45 46 47 Aristoteles, Politik, 1253a. Aristoteles, Politik, 1327b. Aristoteles, Politik, 1252a. Flashar, Helmut, Aristoteles, in: Flashar, Hellmut, Die Philosophie der Antike Band 3: Ältere Akademie. Aristoteles. Peripatos (Grundriss der Geschichte der Philosophie), Basel 22004, S. 167-492, hier: S. 311f. 48 Höffe, Aristoteles, S. 256f. Seite 13 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Gemäss Song war es Aristoteles Absicht, einen idealen Staat zu skizzieren, weswegen er nicht an der Frage der Sklaverei, die er zudem gegen sophistische Angriffe verteidigen wollte, herumkam. Insbesondere dieser Punkt wird von Cambiano stark betont. 49 Gemäss Aristoteles Theorie gibt in der Welt Herrschaft und Unterordnung, welche sich bei den Menschen durch Herren und SklavInnen zeugt, zwischen welchen ein grundlegender Unterschied bestehe: Sie sind wie Seele und Körper, und somit seien SklavInnen von Natur aus für die Arbeit geschaffen und dem Herrn, von dem sie ein Teil sind, untergeordnet. Da sie jedoch genau wie Körper und Seele gleiche Interessen haben, ist ihre Zusammenarbeit für beide von Vorteil. Jedoch konstruiere Aristoteles hier vor allem ein theoretisches Modell, in dem vieles unklar bis widersprüchlich bzw. zirkulär sei.50 Einen anderen Ansatz verfolgt Monoson: Aristoteles will zeigen, dass es verschiedene Herrschaftsformen gibt, die sich in ihrer Art unterschieden, und die natürliche Sklaverei diene ihm dabei nur als ein Beispiel. Weil Aristoteles jedoch die herrschende Lebensart legitimieren und einen idealen Staat konstruieren will, welche beide auf Sklaverei basieren, ist er gezwungen, auch sie zu legitimieren. Denn obwohl SklavInnen grundsätzlich über Sprache und Vernunft verfügten, so fehle es ihnen doch an praktischer Vernunft und der Fähigkeit, zu planen, was die Herr-SklavIn-Beziehung vorteilhaft und gerecht mache, da beide davon profitieren. In einem Idealen Staat müsste denn auch jede Person an dem Platz sein, der ihr die Natur vorgibt. Auch wenn es im Einzelfall schwierig sei, zu erkennen, wer nun Herr oder SklavIn von Natur aus sei, so sei es klar, dass BarbarInnen von Natur aus sklavisch seien, und durch die verschiedenen klimatischen Bedingungen bilden sich auch verschiedene SklavInnen-Typen heraus. Die GriechInnen, v.a. die aus Athen, sind Herren von Natur aus, da sie vor Solon immer wieder gegen die Tatsache, dass die Armen die SklavInnen der Reichen waren, rebellierten. Aristoteles legitimiere also die Versklavung der umliegenden BarbarInnen, um die griechische Lebensart zu schützen. 51 Schlaifer hielt schon 1936 fest, dass Aristoteles es schaffe, innerhalb eines Satzes 49 Cambiano, Guiseppe, Aristotle and the Anonymous Opponents of Slavery, in: Finley, Moses (Hrsg.), Classical Slavery, London et al 1987, S. 22-41, hier: S. 22-36. 50 Song, Mun-Hyun, A Study on Aristotle's Theory of Slavery, in: Doi, Masaoki / Yuge, Toru (Hrsg.), Forms of Control and Subordination in Antiquity, Leiden 1988, S. 360-363. 51 Monoson, Sara, Navigating Race, Class, Polis and Empire. The Place of Empirical Analysis in Aristotle's Account of Natural Slavery, in: Alston, Richard / Hall, Edith / Proffitt, Laura (Hrsg.). Reading ancient Slavery, London 2011, S. 133-151, hier: S: 135-144. Seite 14 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut inkonsistent zu sein, und dass die Unterschiede, welche er zwischen (natürlichen) SklavInnen und (natürlichen) Freien bemerke viel eher ein Effekt der Sklaverei oder Evidenz für ein tiefes Niveau der Kultur seien als Zeichen für eine natürliche Eignung zur Sklaverei oder Uneignung zu höherer Kultur. Seine gesamten Äusserungen zur Sklaverei seien nur ein Ausdruck des pan-hellenischen Nationalismus und dem seit dem Sieg in den Perserkriegen weit verbreiteten Überlegenheitsgefühl der GriechInnen.52 Ambler hingegen versucht zu zeigen, dass Aristoteles mit seiner Konzeption der natürlichen Sklaverei Standards gesetzt hat, die die Natürlichkeit der tatsächlichen Sklaverei viel eher verneinen als begründeten. Zum einen spricht er stets von 'das von Natur regieren-de', also im Neutrum, was zeige, dass er hier nicht über Beziehungen zwischen Menschen spreche, sondern viel eher von der Beziehung zwischen der Seele und dem Körper. Diese natürliche despotische Herrschaft entspreche aber keiner Beziehung zwischen Menschen. Auch legt er die Aussage, dass es gerecht sei, dass GriechInnen über BarbarInnen herrschen, den Dichtern in den Mund, und äussert sie nicht selbst. Weiter zweifelt er viele antike Legitimationen und Verteidigungen der Sklaverei an. Mit seiner natürlichen Sklaverei etabliere er viel mehr Standards, an denen die tatsächliche Sklaverei gemessen werden müsse, und auch wenn er die tatsächliche Sklaverei nicht angreift, so bezweifle Aristoteles doch, dass Menschen in zwei ungleiche Subspezies, d.h. Herren und SklavInnen, geteilt werden könnten. Ambler geht aber noch weiter, und behauptet, dass selbst die Natur nicht dazu fähig sei, die Bedingungen der natürlichen Sklaverei herzustellen.53 Ambler kommt wie Bluhm zum Schluss, dass natürliche Sklaverei eigentlich ein Widerspruch in sich sei.54 Dobbs wiederum betont stark die teleologische Natur von Aristoteles Werk, und behauptet, dass natürliche SklavInnen nicht als solche geboren werden, sondern zu ihnen werden: "The percasive and unrelenting influence of a dysfunctional culture can inculcate a slavishness so ingrained by habit as to become a second nature". 55 Im aristotelischen Verständnis von Natur beinhalte diese auch Umwelteinflüsse und kulturelle Produkte. Jede 52 Schlaifer, Greek Theories, S. 165-204. 53 Ambler, Wayne, Aristotle on Nature and Politics. The Case of Slavery, in: Political Theory, Vol. 15, No. 3, London 1987, S. 390-410. 54 Dobbs, Darrell, Natural Right and the Problem of Aristotle's Defense of Slavery, in: The Jurnal of Poltics, Vo. 56, No. 1, Cambridge et al. 1994, S. 69-94, hier: S. 71. 55 Dobbs, Natural Right, S. 73. Seite 15 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut teleologische Vorstellung der Natur beinhalte die Möglichkeit des Versagens, und einE SklavIn von Natur ist ein Beispiel für genau ein solches Versagen, und die despotische Herrschaft sei gemäss Aristoteles das natürlichste Abhilfemittel dafür.56 Garnsey kommt zum Schluss, dass der von Natur aus konservative Aristoteles nicht dazu bereit war, einzugestehen, dass Sklaverei nur eine aus Gewalt resultierende Konvention war, sondern dass er sich nicht vorstellen konnte, dass in seiner idealen Polis die 'besten' Menschen ihr ganzes Potential an Tugend ausschöpfen könnten, ohne über SklavInnen zu verfügen. Da seine Polis gemäss den Gesetzen der Natur aufgebaut war, musste also auch Sklaverei von Natur aus exisiteren. In den BarbarInnen fand er eine Gruppe von Personen, "who would do nicely as natural slaves". Dieser Beschluss war fundamental, da sonst seine Konzeption der SklavInnen von Natur rein theoretisch gewesen wäre. Auch wollte er damit von den tausenden von unnatürlichen SklavInnen ablenken.57 Die Rezeption Aristoteles Aristoteles wurde von seinen ZeitgenossInnen und den unmittelbaren Nachkommen vor allem für seine Logik und Ethik geschätzt, geriet aber bald in den Hintergrund. 58 Erst in der späten römischen Republik wird Aristoteles wieder populär, insbesondere während der Kaiserzeit. Um ca. 200 n. Chr. entwickelt die Aristoteles-Kommentierung ihren Höhepunkt, er war eine Autorität und Teil der Schulbildung, auch dank dem von Marc Aurel eingerichteten Aristoteles-Lehrstuhl in Athen.59 Die Auseinandersetzung beschränkte sich aber meist auf eine Interpretation, und schon hier, und verstärkt noch im Frühchristentum kam es zu einer dogmatischen und orthodoxen Rezeption. Nach dieser Phase kam es zu Harmonisierungsversuchen mit Platon durch die Neuplatoniker, bis ihre Schule 529 geschlossen wurde. Ab dem 7. Jh. bis ins 14. Jh. findet auch im Oströmischen Reich eine Auseinandersetzung mit Aristoteles statt, die breiter und einflussreicher ist, wenn er hier auch oft im Schatten Platons steht.60 Noch stärker stand er in der arabischen Welt im Mittelpunkt des Denkens. Hier hatte er seinen Höhepunkt 830 in Bagdad, wo er unglaublich viel breiter rezipiert wurde als im Christentum, wo nur eine kleine Auswahl 56 57 58 59 60 Dobbs, Natural Right, S. 69-94, insbesondere S. 92. Garnsey, Peter, Ideas of slavery from Aristotle to Augustine, Cambridge 1996, S. 107-127, Zitat: S. 126. Höffe, Aristoteles, S. 274f. Flashar, Aristoteles, S. 388f. Höffe, Aristoteles, S. 277-280. Seite 16 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut seiner Werke bekannt war. Die Aristotelesrezeption fand ihr Ende 1055 mit der Eroberung Bagdads durch die Türken. In der westlichen Expansion Arabiens ab dem 9. Jh. und v.a. ab 1230 finden sich bedeutende Grundlagen für den katholischen Aristotelismus, v.a. in Sizilien und Córdoba, insbesondere für die Scholasitk.61 Zeitgleich wird er auch im jüdischen Raum stark rezipiert, wo aristotelische Gedanken mit neuplatonischen Elementen und der Schöpfungsidee kombiniert wurden, was insbesondere Thomas von Aquin später stark beeinflusst hatte.62 Bis zu diesem Zeitpunkt beschränkten sich die Klosterschulen auf die Logica vetus, bestehend aus den 'Kategorien', 'De Interpretatione' und der 'Isagoge'. Erst im 11., verstärkt im 12. Jh. und mit einem Höhepunkt im 13. Jh. wurde wieder mehr von Aristoteles Werk in Europa bekannt. Zu diesem Zeitpunkt taucht auch die im arabischen Raum gänzlich von Platons 'Politeia' verdrängte 'Politik' wieder auf, welche bald grundlegend für "die Auseinandersetzung mit der politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten"63 wurde. Jedoch erliess die Kriche zwischen 1150 und 1250 mehrere Verbote und exkommunizierte Gelehrte, erst durch Thomas von Aquin konnte eine Versöhnung erreicht werden. Ab hier lassen sich drei Richtungen unterscheiden: die thomasistische interpretatio chistiana, die eine Verschmelzung des aristotelischen Denken mit dem Christentum praktizierte, den auf Averroes basierenden Aristotelismus, der die Gleichwertigkeit Aristoteles und der kirchlichen Lehre betonte, und deswegen von der Kirche stark angegriffen wurde, und die platonisch-augustinische Richtung, die Aristoteles dem Christentum strikte unterordnete und ihn nur partiell nutzte.64 Mitte des 13. Jh. war er die intellektuell Autorität des Abendlandes, und insbesondere Thomas von Aquin berief sich stark auf ihn. Er lehnt auch Aristoteles Thesen zur Sklaverei nicht ab. 65 Ab dem 14. Jh. fand jedoch erneut eine Verkrustung statt, die erst von der Renaissance und dem Humanismus kritisiert wurde, da dort Personen wie Juan Gines de Sepúlveda Zugriff auf die griechischen Originaltexte hatten. Aristoteles blieb jedoch bis ins 17. Jh. eine 61 62 63 64 65 Flashar, Aristoteles, S 390. Höffe, Aristoteles, S. 281. Flashar, Aristoteles, S. 391. Flashar, Aristoteles, S. 392. Höffe, Aristoteles, S. 284-286. Seite 17 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Autorität.66 Die 'Politik' blieb in Griechenland ohne Wirkung, erst im 2. Jh. fand eine sporadische Auseinandersetzung statt, welche ab dem 11. Jh. zunimmt und ungebrochen bleibt. Sie galt lange als gültige Begründung wissenschaftlicher Politik, und die von Aristoteles geprägten und kreierten Begriffe wurden von der Polis auf den Staat übertragen. Erst mit der französischen Revolution fand ein Bruch statt.67 Die Idee der Sklaverei von Natur existierte jedoch durch das gesamte christliche Mittelalter, wobei hier die natürlichen SklavInnen oft als Ungläubige oder als Personen, die das Christentum zurückgewiesen hatten, identifiziert wurden.68 66 Flashar, Aristoteles, S. 392. 67 Flashar, Aristoteles, S. 396f. 68 Yaeger, Timothy, Encomienda or Slavery? The Spanish Crown's Choice of Labour Organization in Sixteenth-Century Spanish America, in: The Journal of Economic History, Vol. 55, No. 4, Cambridge et al. 1995, S. 842-859, hier: S. 856. Seite 18 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut DIE SPANISCHE SKLAVEREI IN LATEINAMERIKA 1492 wurde die Reconquista mit der Rückeroberung von Granada abgeschlossen. Ihre Ideen der Machterweiterung und Christianisierung fanden in der Conquista ihre Fortsetzung. Die Reconquista hatte hatte eine grosse Anzahl von Hidalgos, Angehörige des Niederadels, zurückgelassen, welche, da in Europa nichts mehr zu erobern war und sie so ihre Perspektiven verloren und den wirtschaftlichen Ruin befürchten mussten, ihre triste Lage durch Erfolge in Lateinamerika verbessern wollten.69 Gemäss dem Vertrag von Tordesillas waren diese Länder jedoch Eigentum der katholischen Könige Spaniens, die Conquistadores benötigten also eine königliche Legitimation, welche sie auch erhielten, da die spanische Kolonialpolitik von spirituellen und materiellen Motiven geleitet wurde. Dass die Christianisierung nicht nur Ablenkung von wahren materiellen Motiven war, zeigt sich daran, dass es Colóns erster Auftrag war, die Indígenas zu konvertieren. Jedoch lassen sich auch materielle Motive nicht leugnen, war die Spanische Krone doch zutiefst expansionistisch: "Their desire to extend the Catholic religion and to increase their posessions led to nomerous and costly wars" welche mit den Reichtümern der 'Neuen Welt' bezahlt werden konnten. Jedoch gab es wiederholt Belege für die Bereitschaft der Krone, auf Erträge zugunsten der Konvertierung der Indígenas zu verzichten.70 Trotz königlicher Legitimität mussten aber die Conquistadores alles privat organisieren und finanzieren, womit sie auf rasche und grosse Gewinne angewiesen waren, sobald sie Lateinamerika erreicht hatten.71 Aus diesem Grund bauten sie auf den Lateinamerika vorgelagerten Inseln eine Wirtschaft auf, bei der der Profit über alles gestellt wurde, und die einen grossen Bedarf an Arbeitskräften hatte, welcher zuerst mit den Indígenas der Inseln und später versklavten FestlandbewohnerInnen gedeckt wurde. Diese erste Wirtschaft basierte auf SklavInnenarbeit und ging erst mit dem Bevölkerungsrückgang zurück. Bis 1550 wurden ca. 500'000 Indígenas aus Mittelamerika versklavt und 69 Edelmayer, Friedrich, Die spanische Monarchie und Amerika im 16. Jahrhundert, In: Edelmayer, Friedrich / Hausberger, Bernd / Potthast, Barbara (Hrsg.), Lateinamerika 1492-1850/70, Wien 2006, S. 39-61, hier: S. 40-43. 70 Carney, James Jr., Early Spanish Imperialism, in: The Hispanic American Historical Review, Vol. 19, No. 2, Durham 1939, S. 138-146, Zitat: S. 140. 71 Edelmayer, Amerika im 16. Jahrhundert, S. 44. Seite 19 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut verschleppt.72 Diesen zwangen die Conquistadores einen unerträglichen Arbeitsrhythmus auf, ohne sich um ihre Gesundheit oder ihr Überleben zu kümmern. Viele davon wurden nicht älter als 25 Jahre.73 Sklaverei gab es in Lateinamerika aber nicht erst ab der Ankunft der EuropäerInnen. Vor 1492 war sie aber eher temporär, und die Kinder einer Sklavin waren nicht automatisch auch SklavInnen, aber auch diese Formen der Sklaverei waren nicht weniger gewaltsam und unterdrückend. Die EuropäerInnen brachten jedoch neue Formen und Grössenordnungen der Sklaverei mit sich.74 Auch war die Eroberung Lateinamerikas keine rein europäische Angelegenheit: Sowohl Cortés als auch Pizarro unterwarfen Land und Menschen mithilfe von Indígenas: Entweder konnten sie die Heterogenität und Zerstrittenheit von Grossreichen für sich ausnutzen, oder sich in Grenzregionen mit einzelnen Dörfern und Städten verbünden, die zusammen mit den Conquistadores gegen ihre Feinde kämpften.75 Die ersten Expeditionen von den Inseln auf das Festland waren SklavInnenjagden. Diese Indígenas, und später auch die des Festlandes, arbeiteten in der Landwirtschaft, um Nahrung für die Conquistadores zu produzieren, oder wuschen Gold, während sie vorher oft JägerInnen und SammlerInnen waren,76 oder aber nur gerade so viel produzierten, wie sie benötigten, was sie in keinster Weise auf die Anforderungen der Conquistadores vorbereitete.77 Viele von ihnen gingen durch diese Arbeit zugrunde. Jedoch ist dies kein Vergleich mit den Millionen, die aus anderen Gründen starben: Es wird davon ausgegangen, dass in Lateinamerika vor 1492 ca. 50-80 Millionen Menschen lebten. Um 1550 lebten schätzungsweise noch 10-25% von ihnen, also ungefähr 5-10 Millionen Menschen.78 Der grösste Teil von ihnen starb durch Krankheiten, die vor 1492 in Lateinamerika unbekannt waren, meist schon bevor sie effektiven Kontakt mit den 72 Bolland, Nigel, Colonialization and Slalvery in Central America, in: Slavery and Abolition, Vol. 15, No. 2, London 1994, S. 6-30, hier: S. 11. 73 Todorov, Tzvetan, Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt a. M. 2005, S. 162. 74 Bolland, Central America, S. 11f. 75 Blackburn, Robin, The Making of New World Slavery. From the Baroque to the Modern, 1492-1800, London 1999, S. 129f.; Bolland, Central America, S. 12. 76 Blackburn, New World Slavery, S. 133. 77 Delacampagne, Geschichte der Sklaverei, S. 153. 78 Gabbert, Wolfgang, Koloniale und Post-Koloniale Gewalt. Die indigene Bevölkerung Lateinamerikas, 1492-1870, In: Edelmayer, Friedrich / Hausberger, Bernd / Potthast, Barbara (Hrsg.), Lateinamerika 1492-1850/70, Wien 2006, S. 79-95, S. 80; Bolland, Central America, S. 22f.; Edelmayer, Amerika im 16. Jahrhundert, S. 48f. Seite 20 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Conquistadores hatten. Ein nicht zu verachtender Teil starb auch durch die Kriege, die nach dem Eintreffen der EuropäerInnen geführt wurden. Dadurch verschwanden ganze Gesellschaften und Kulturen. Diejenigen, die dies überlebten, wurden von den Conquistadores versklavt und teilweise verschleppt, teilweise vor Ort zur Arbeit gezwungen. Insbesondere nach der Eroberung der Reiche der AztekInnen und Inkas wurden mehr und mehr Arbeitskräfte benötigt.79 Schon 1503 wurde das Encomienda-System eingeführt. Sämtliche Indígenas wurden in diesem System einem Spanier, dem Encomendero, unterstellt, der für ihre Christianisierung und ihren Schutz verantwortlich war, sich als Gegenleistung Tribute erheben konnten, oder, wo Gold- und Silberminen fehlten und Indígenas daher die einzige ausbeutbare Ressource darstellten, sich ihrer Arbeitskraft bedienen konnte. Die Indígenas wurden aufgrund des Amortisationszwangs und der Gier der Conquistadores grausam ausgebeutet, wodurch Tausende in Minen, auf Plantagen oder beim Perlentauchen starben.80 Zudem mussten sie sich auch selbst ausbeuten, um die Abgaben begleichen zu können, welche Encomenderos erhoben, die sich ihre Arbeitskraft nicht direkt zunutze machen wollten oder konnten. Dadurch, und durch den Bevölkerungsrückgang durch verschleppte SklavInnen, sank die Geburtenrate. An einigen Orten war dies von den Indígenas sogar bezweckt, um den Conquistadores nicht noch mehr SklavInnen und ausbeutbare Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Jedoch selbst wenn sie sich hätten fortpflanzen wollen, so wären sie doch gemäss Las Casas zu erschöpft dazu gewesen, oder aber die Mütter hätten ihre Kinder aufgrund der Unterernährung nicht stillen können. Durch hohe Abgaben, Dienste und Schwerstarbeit verarmten und starben ganze Landstriche.81 Von der Spanischen Krone wurde dieses System aber gegenüber der Sklaverei bevorzugt, auch wenn es weniger produktiv war. Die Besitzrechte über Indígenas wurden damit aber in drei Wegen beschränkt: Erstens besassen die Encomenderos die Indígenas nicht, zweitens konnten Encomiendas nicht vererbt werden und drittens konnten die Indígenas nicht entfernt und an einem anderen Ort wieder angesiedelt werden. Die spanischen Krone verlor durch diese Gesetze jedoch viel: Dadurch, dass Encomiendas nicht vererbt 79 Bolland, Central America, S. 12f. 80 Edelmayer, Amerika im 16. Jahrhundert, S. 49; Yaeger, Encomienda or Slavery, S. 843. 81 Todorov, Die Eroberung Amerikas, S. 162-167. Seite 21 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut werden konnten, hatten die Encomenderos kein Interesse, längerfristig zu denken, und beuteten die Indígenas gnadenlos und bis zur Zerstörung aus. Zweitens zwangen die Handels- und Relokationsrestriktionen die Encomenderos, ihre indigenen Arbeitskräfte am 'Fundort' einzusetzen anstatt an ertragreichen Orten wie den peruanischen oder mexikanischen Silberminen. Und drittens war es aus dem selben Grund nicht möglich, auf die Arbeitsbedürfnisse verschiedener geographischer Orte Rücksicht zu nehmen. Neben ideologischen und theologischen Motiven waren auch Sicherheitsüberlegungen für diese Politik verantwortlich. Erbschaftsrestriktionen stärkten die Herrschaft der Krone auf drei Weisen: Die Encomendero-Familie konnte keinen Reichtum über Zeit anhäufen, zweitens konnten Encomiendas leicht konfisziert werden, wenn ein Encomendero unbequem wurde, und drittens hatte die Krone durch die Drohung, genau dies zu tun, eine sehr starke Position. Mit Handelsrestriktionen konnte die Krone Steuern für sich beanspruchen, welche die Krone aufgrund chronischer Illiquidität und mehrmaligen Staatsbankrotten dringend nötig hatte.82 Mit Relokationsrestriktionen schliesslich konnten sie die Indígenas vor Gesundheitsschäden durch dramatische Veränderungen der Umwelt, der sie ausgesetzt waren, schützen.83 Ab 1512 verlangten die Leyes de Burgos eine gute Behandlung der Indígenas und dazu einmal mehr ihre Christianisierung. Neu konnten sie zwar für neun Monate pro Jahr zur Arbeit herangezogen werden, mussten jedoch gut behandelt werden und konnten die restlichen drei Monate selbständig arbeiten, sei es auf eigenem Land oder gegen einen Lohn.84 Ein Jahr später wurde das Requerimiento eingeführt, das nun von allen Conquistadores mitgeführt werden musste. Dies, da für die Eroberung Mittelamerkas eine Entscheidung über die Kriterien für einen gerechten Krieges her mussten. Das Requerimiento als theologisch-juristische Schrift, welche allen Indígenas vorgelesen werden musste, bevor irgend eine andere Interaktion mit ihnen stattfand, fordert sie alle dazu auf, sich der Herrschaft der spanischen Krone zu unterwerfen und das Christentum anzunehmen. Wenn sie sich nicht fügten, so drohte ihnen Krieg und Versklavung. Das Requerimiento ist jedoch keineswegs auf Partnerschaft oder Handel ausgerichtet, sondern 82 Gomez, Fernando, The Legal Reformation of Indian Subjectivities: Quiroga's "Información en Derecho" (1535), in: Revista de Historia de América, No. 122, México D.F. 1997, S. 25-107, S. 66. 83 Yaeger, Encomienda or Slavery, S. 843-857 (Ganzer Abschnitt). 84 Bolland, Central America, S. 13. Seite 22 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut auf eine vollständige und bedingungslose Unterwerfung. Inhaltlich zieht es einen Bogen von der Schöpfung, gemäss derer alle Menschen von Adam und Eva abstammten, welche sich auf der ganzen Erde verteilten. Gott beauftragte Petrus, über alle Menschen als ihr Oberhaupt zu herrschen, egal wo sie lebten und welche Gesetze und Religionen sie hätten. Er solle von Rom über die ganze Welt herrschen. Diese Macht und den Herrschaftsauftrag wurde an alle Nachfolger weitergegeben, und ein solcher erklärte Lateinamerika zum Besitz der katholischen Könige von Spanien. Wenn die Indígenas nun seine Herrschaft annähmen, so würden sie gleich behandelt und hätten die gleichen Verpflichtungen wie andere Untertanen und VasallInnen. Sie seien frei und ohne Dienstpflicht, sie müssten nicht einmal sofort ChristInnen werden. Wenn nicht, so würden sie bekriegt und versklavt, wofür nur sie die Verantwortung zu tragen hätten. Dieses Requerimiento nahmen aber weder die Conquistadores, welche die Sprachbarriere zu ihren Gunsten ausnutzten und so ganze Städte versklavten, noch seine Schöpfer wirklich ernst.85 Die Indígenas wurden also weiterhin versklavt und zur Arbeit gezwungen. Sie wurden brutal ausgebeutet und starben oft schon nach zwei Jahren, was unter anderem Las Casas dazu bewegte, ihren Ersatz mit afrikanischen SklavInnen zu propagieren. Diese hätten mehr natürliche Abwehrkräfte und durch die längere Verwendung einen legalen Status gehabt, der ihnen mehr Rechte zugestand. 86 Zudem wurden schon seit Beginn der Eroberung Lateinamerikas afrikanische SklavInnen und Freigelassene nach Lateinamerika gebracht, wo sie z.T. auch gegen die Indígenas kämpften. Später arbeiteten sie neben ihnen auf Plantagen und in den Minen. 87 Nach der Eroberung weiter Teile Mittelamerikas durch Cortés wurde rasch auch ein Verwaltungssystem mit Appelationsgerichtshöfen, den Audiencias, eingerichtet. Diese wären theoretisch extrem unabhängig gewesen, und hätten so die Möglichkeit gehabt, die Indígenas effektiv zu schützen, was z.T. auch geschah.88 Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten und der geringen Zahlungsmoral der Krone waren sie aber oft 85 Engl, Lieselotte / Engl, Theo, Das „Requerimiento“. Vom „gerechten Krieg“ gegen die Indios, In: Beck, Rainer (Hrsg.), 1492. Ein Lesebuch, München 1992, S. 207-212; Todorov, Die Erboberung Amerikas, S. 177ff. 86 Blackburn, New World Slavery, S. 135f. 87 Phillips, William, Slavery from Roman Times to the early transatlantic Trade, Manchester 1985, S. 215f. 88 Sherman, William, Indian Slavery and the Cerrato Reforms, in: The Hispanic American Historical Review, Vol. 51, No. 1, Durham 1971, S. 25-50. Seite 23 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut korrupt.89 Da viele Personen, unter ihnen Las Casas, das grosse Sterben anklagten und die Autoritäten einen weiteren Aufstand fürchteten, wurden 1542 die Leyes Nuevas erlassen, die eine Versklavung der Indígenas abschafften, es sei denn, sie seien durch das Requerimiento versklavt worden,90 und die Neuausgabe von Encomiendas verboten. Insbesondere in peripheren Regionen wurden diese Gesetze aber missachtet.91 Das Encomienda-System wurde 1544 durch das Repartimiento ersetzt, wo nicht mehr ein privater sondern ein Staatsangestellter an der Spitze stand, und nur noch 5-20% der Indígenas zur Arbeit herbeigezogen werden durften. Zudem gab es auch einige Schutzbestimmungen gegenüber den Indígenas. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft, welche eine Verdrängung der traditionellen Nahrungsmittel zur Folge hatte, verhungerten aber erneut Tausende, welche dann deswegen als Arbeitskräfte, welche es sowieso immer mehr brauchte, fehlten, und zunehmend mit afrikanischen SklavInnen ersetzte wurden.92 1550 befanden sich aber nur gerade ca. 15'000 afrikanische SklavInnen offiziell in Lateinamerika,93 und Indígenas wurden auch nach 1550 allen Gesetzen zum Trotz noch unter grausamen Umständen als SklavInnen gehalten,94 welche jedoch "never answered the Europeans' labour needs".95 89 90 91 92 93 94 95 Edelmayer, Amerika im 16. Jahrhundert, S. 46; Sherman, The Cerrato Reforms, S. 30. Gabbert, Koloniale und Post-Koloniale Gewalt, S. 83. Blackburn, New World Slavery, S. 134; Sherman, The Cerrato Reforms, S. 27. Edelmayer, Amerika im 16. Jahrhundert, S. 50. Blackburn, New World Slavery, S. 134f. Sherman, The Cerrato Reforms, S. 27-48. Walvin, A Short History of Slavery, S. 41. Seite 24 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut DIE DISPUTATION VON VALLADOLID Sämtliche zu dem Zeitpunkt bekannten und noch zu entdeckenden Gebiete in Lateinamerika wurden am 4. Mai 1493 vom Papst Alexander mit der Bulle Inter Cetera den katholischen Königen Spaniens und Portugals geschenkt. Diese Schenkung war die Rechtfertigung der Eroberung. Eine andere lieferte die Krone nicht, und sie wurde so auch in der europäischen Öffentlichkeit akzeptiert.96 Ab 1511 begannen Kleriker, die Praktiken in Lateinamerika und insbesondere die Sklaverei zu kritisieren und fundamentale Fragen zu stellen. Genau so früh wurden auch schon verschiedene weitere Legitimationsversuche erarbeitet. Diese waren alle ähnlich, fokussierten jedoch auf unterschiedliche Punkte: Bei einigen stand die Bekehrung im Mittelpunkt, bei anderen der Kampf gegen den Teufel oder eine Kompensationsidee für die an die Türken verlorenen Gebiete im Osten Europas und bei wieder anderen stand die Bestrafung der Indígenas im Mittelpunkt. 97 Eine Bestrafung deshalb, weil Papst Gregor der Grosse (590-604) erklärt hatte, das Christentum sei in der ganzen Welt verkündet worden, die Indígenas im 16. Jh. hatten also nicht nur den wahren Glauben verloren, sondern auch wieder ihre alte heidnische Lebensweise angenommen. Ein prominenter Vertreter dieser These war Gonzalo Fernández de Ovieda y Valdés, auf den sich Sepúlveda sehr stark berief.98 Auch nicht-religiöse Legitimationen wurden vorgeschlagen. Erstens sei die Conquista ein ethisch gerechtfertigter Paternalismus: da die Indígenas erst ab der Bulle 'Sublimis Deus' den Status von Menschen hatten, sie jedoch weiterhin als kindlich oder unvollständig angesehen wurden, müssten sie paternalistisch behandelt werden, da sie nicht in der Lage seien, sich selbst zu regieren. Zweitens sei es durch die Conquista möglich geworden, die Tyrannei in Lateinamerika abzuschaffen: Schon im 16. Jh. gab es Vorstellungen von einem rechtmässigen Interventionsrecht, das hier Spanien dazu 96 Castañeda Delgado, Paulino, Die ethische Rechtfertigung der Eroberung Amerikas, in: Kohut, Karl et al. (Hrsg.), Der eroberte Kontinent. Historische Realität, Rechtfertigung und literarische Darstellung der Kolonisation Amerikas, Frankfurt am Main 1991, S. 71-85, hier: S. 71f. 97 Garzón Valdés, Ernesto, Die Debatte über die ethische Rechtfertigung der Conquista, in: Kohut, Karl et al. (Hrsg.), Der eroberte Kontinent. Historische Realität, Rechtfertigung und literarische Darstellung der Kolonisation Amerikas, Frankfurt am Main 1991, S. 55-70, S. 57f. 98 Hanke, Lewis, All Mankind is One. A Study of the Disputation between Bartolomé de Las Casas and Juan Ginés de Sepulveda in 1550 on the Intellectual and Religious Capacity of the American Indians, Chicago 1974, S 41. Seite 25 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut berechtigte, den unterdrückten Indígenas in Lateinamerika beizustehen.99 Diese Unterdrückung habe in Lateinamerika durch Tyrannei und ungerechten Gesetzen bestanden, wo z.B. die TlaxcaltekInnen durch die AztekInnen unterdrückt wurden. 100 Drittens habe die Conquista die Zivilisation nach Lateinamerika gebracht und viertens sei dadurch der Handel gefördert worden. Die theologische Rechtfertigung mit der Schenkung des Papstes, welche auch nach der Junta von Burgos noch immer als grundlegend anerkannt wurde, hatte jedoch ebenfalls bedeutende Gegenstimmen: Thomas von Aquin behauptete, auch Ungläubige hätten ein natürliches Menschenrecht auf Besitz und weltliche Macht. Der Papst könne diese zwar durch einen Richtspruch aufheben, aber nur, wenn religiöse Belange wie z.B. Gefahr für KonvertitInnen bestand, reine Ungläubigkeit reiche nicht. Diese Theorie impliziert aber, dass die Indígenas rechtsfähig seien, d.h. rechtmässig Besitz und Fürsten und Herren hätten, was aber im 16. Jh. von vielen aristotelisch geprägten Sklavereitheorien und theologisch-abwertenden Theorien bestritten wurde.101 1537 publizierte Paul III. die Bulle 'Sublimis Deus', da er vorher von mehreren Spaniern auf die offene Frage der Christianisierungsfähigkeit aufmerksam gemacht wurde. Die Dispute fanden damit aber kein Ende. Insbesondere die Etablierung und teilweise Rücknahme der Leyes Nuevas 1542 und 1545 sorgten für grosse Diskussionen, und während der Zeit begann sich auch Sepúlveda für dieses Thema zu interessieren: Auf Anraten eines Mitgliedes des Consejo de Indias verfasste er ein Traktat, in dem er dafür argumentierte, die Encomienda und der Krieg gegen die Indígenas seien gerecht. Für dieses beantragte er 1549 eine Druckerlaubnis, welche er aber nie bekam.102 Sepúlveda gab aber nicht auf und versuchte, weitere Stellen von seinem Anliegen zu überzeugen, während Las Casas zur gleichen Zeit den Consejo de Indias davon überzeugte, dem König zu raten, keine weiteren Expeditionen ohne eine ausdrückliche königliche Erlaubnis zu gestatten und dass ein Treffen von Juristen und Theologen einberufen werden sollte, um zu diskutieren, "how conquest may be conducted justly and 99 100 101 102 Garzón Valdés, Rechtfertigung, S. 60-62. Castañeda Delgado, Rechtfertigung, S. 80f. Castañeda Delgado, Rechtfertigung, S. 75-78. Hanke, All Mankind is One, S. 17-34. Seite 26 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut with security of conscience".103 Dies und "[t]he continuing excess of the Conquistadores persuaded the Emperor Charles himself to request that the validity of the Conquest, and the proper rights of the indigenous people, be submitet to a 'great debate' at Valladolid in 1550 between the partisans of the conflicting schools of thought". 104 Am 16. April 1550 befahl Karl V., dass alle Eroberungen in Lateinamerika ausgesetzt würden, bis diese Debatte eine gerechte Methode für die weitere Conquista hervorgebracht hätte. Las Casas und Sepúlveda stimmten diesem Vorgehen zu, und so kam es im August 1550 zu der Disputation von Valladolid, welche ca. einen Monat dauerte. Die zentrale Frage war: "Is it lawful for the King of Spain to wage war on the Indians, before preaching the faith to them, in order to subject them to his rule, so that afterward they may be more easily instructed in the faith?"105 103 Hanke, All Mankind is One, S. 62-66, Zitat: S. 66. 104 Blackburn, New World Slavery, S. 151. 105 Hanke, All Mankind is One, S. 67. Seite 27 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut BEFÜRWORTERINNEN DER SKLAVEREI: SEPÚLVEDA Aufgrund der Tatsache, dass Sepúlveda in der Disputation von Valladolid der Gegner Las Casas war, welcher den modernen Überzeugungen der Gleichwertigkeit aller Menschen eher entsprach, wird Sepúlveda oft als reiner Interessenvertreter der Encomenderos gesehen, dessen Lehre nichts anderes sei als eine Verherrlichung imperialistischer Ideen um die universelle, d.h. weltweite Autorität des Kaisers zu untermauern. 106 Diese Tendenz wurde noch verstärkt durch die Tatsache, dass sehr lange seine Texte nicht in editierter Form zugänglich waren, womit über ihn sehr viele Klischees und Simplifizierungen existieren.107 Dies wird ihm aber nicht gerecht. Die folgenden Kapitel widmen sich der Frage, was für eine Person Sepúlveda war, und welche Position er den Indígenas gegenüber einnahm unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Philosophie Aristoteles. Leben und Werk Juan Gines de Sepúlveda wurde um die Jahreswende 1489/90 entweder in Pozoblanco in der Nähe von Córdoba oder in Córdoba selbst geboren. Sowohl hierüber als auch über seine Eltern besteht in der Forschung kein Konsens. Als gesichert gilt, dass er aus einer eher bescheidenen und nichtadeligen Familie stammte, in Córdoba eine höhere Schulbildung erhielt und ca. seit 1510 in Alcalá Philosophie und in Sigüenza Theologie studierte. Unterstützt von Kardinal Jiménez de Cisneros erhielt er 1515 ein Stipendium für ein Studium der Philosophie und Theologie in Bologna, wo er auch seine Latein- und Griechischkenntnisse vervollkommnete. Nach seinem Doktorat erhielt er von Giulio Medici, dem späteren Papst Clemens VII. den Auftrag, Aristoteles Werk ins Lateinische zu übersetzen. Hier nahm auch Sepúlvedas Verehrung für Aristoteles seinen Anfang, die ihn sein ganzes Leben begleiten sollte. In seinen Übersetzungen war er ganz Humanist, wollte er sei doch so originalgetreu wie möglich übersetzen, und hielt nicht sehr viel von den spätmittelalterlichen Übersetzungen. Seit 1520 verfasste er mehrere Schriften und 106 Pérez Luño, Antonio-Enrique, Die klassische spanische Naturrechtslehre in 5 Jahrhunderten, Berlin 1994, S. 211. 107 Pietschmann, Horst, Aristotelischer Humanismus und Inhumanität? Sepúlveda und die amerikanischen Ureinwohner, in: Reinhard, Wolfgang (Hrsg.), Humanismus und Neue Welt, Weinheim 1987, S. 143-166, S. 144ff. Seite 28 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Traktaten, in welchen er sich als grosser Verteidiger der hergebrachten Ordnungzeigte, er interessierte sich aber auch für weitere Themen. Ab 1536 war er Hofchronist von Kaiser Karl V. und Erzieher des Kronprinzen Philipp. Ab 1540 lebte er immer zurückgezogener, stand jedoch bis zu seinem Tod 1573 im Dienste der Krone.108 Neben seinen Aristoteles-Übersetzungen, die die besten bis dahin bekannten waren, insbesondere die 'Politik', welche er 1548 publizierte und zwar zu seinen Lebzeiten nicht erwähnt wurden, dafür aber dann bis ins 19. Jh. kommentiert und "highly valued as a good example of a sensitive and intelligent attempt to tread a middle path between the word-forword technique of the Middle Ages and the over-refined Ciceronian Latin of certain humanis translators of Aristotle" bezeichnet wurde,109 stand vor allem die Frage der Rechtfertigung von Krieg im Zentrum seines Werks: Schon 1535 erschien sein 'Demócrates Primus', in dem er einigen Studierenden der Universität Bologna, die mit Verweis auf die christlich-neutestamentarische Moral die pazifistische Auffassung vertraten, dass es keinen gerechten Krieg gäbe, in Dialogform antwortete. In diesem Dialog diskutieren Leopoldo, "ein deutscher Zivilist mit lutherischen Neigungen" der wie die oben genannten Studierenden aufgrund des neutestamentarischen Gewaltverbotes die Möglichkeit eines gerechten Krieges bezweifelt, der spanische Veteran Alfonso und der Grieche Demócrates, wobei letzterer Sepúlveda verkörpert. Dieser kommt zum Schluss, dass ein Krieg dann gerecht sei, wenn er den Frieden zum Ziel hat, und vorher alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, denn nur im Frieden kann ein Mensch das aristotelische Ideal eines politischen und sozialen Wesens verwirklichen. Dabei beruft er sich auf die Bibel, Kirchenväter und antike Autoren, allen voran Aristoteles, spart aber die mittelalterlichen Autoritäten aus. Ob ein Krieg gut sei oder nicht, können aber ihm zufolge nur tugendhafte und weise Männer beurteilen.110 Diese grundlegende Bejahung der Möglichkeit eines gerechten Krieges wendet er im 'Demócrates Segundo / Alter' auf die 108 Pérez Luño, Naturrechtslehre, S. 213ff; Pietschmann, Aristotelischer Humanismus, S. 152ff; Coroleu, Alejandro, The Fortuna of Juan Ginés de Sepúlveda's Translations of Aristotle and of Alexander of Aphrodisias, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Vol. 59, London 1996, S. 325-332, hier: S. 325f; Schäfer, Christian, Die These der natürlichen Sklaverei in antiker Philosophie und spanischer Conquista, in: Baumbach, Manuel (Hrsg.), Tradita et inventa. Beiträge zur Rezeption der Antike, Heidelberg 2000, S. 111-130, hier: S. 114f. 109 Coroleu, Translations, S. 325-331, Zitat: S. 331; Green, Otis, A Note on Spanish Humanism: Sepúlveda and His Translation of Aristotle's Politics, in: Hispanic Review, Vol. 8, No. 4, Philadelphia 1940, S. 339342, hier: S. 339f. 110 Pietschmann, Aristotelischer Humanismus, S. 155ff, Zitat: S. 155. Seite 29 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut indigene Bevölkerung Lateinamerikas an, dessen Hauptargumente in der Apoligía noch einmal zusammengefasst werden. Die gerechten Gründe des Krieges in Lateinamerika Im 'Demócrates Segundo', der 1545 fertig gestellt, jedoch erst 1892 veröffentlicht wurde, diskutieren Leopoldo und Demócrates die vom ersteren aufgeworfene Frage, ob der Krieg in Lateinamerika gerecht sein könne, wenn die Bibel doch klar zum Frieden aufrufe. 111 Auch hier bejaht Demócrates diese Frage wieder, denn der Krieg sei ein Mittel zum Frieden, und als solcher ist er gemäss Naturrecht, das in Übereinstimmung mit göttlichem Recht steht, gerechtfertigt um eine gewaltsame Verletzung gewaltsam abzuweisen. 112 Ein gerechter Krieg muss aber erklärt werden, und er kann nur gerecht sein, wenn er aus einem gerechten Grund von einer legitimen Autorität erklärt wird. 113 Die Herrschaft dieser Autorität über Freie ist aber genau wie bei Aristoteles anders als über Unfreie, die Herrschaft König-UntertanInnen ist anders als die Herr-SklavInnen. Alle verschiedenen Herrschaftsformen, sei es die oben erwähnten oder Mann-Frau, Vater-Kinder, MenschenTiere, Sanftmut-Wildheit, Mässigung-Masslosigkeit, Form-Materie, Seele-Körper, VernunftBegierde, Gut-Böse etc. lassen sich aber auf ein zentrales Prinzip zurückführen: die Herrschaft des Besseren über das Schlechtere. Dieses Prinzip lässt sich auch auf die Menschen anwenden: Es gibt bessere, also zivilisierte und christianisierte Nationen und schlechtere, also barbarische und heidnische Nationen. Da das Bessere aber natürlicherweise immer über das Schlechtere herrschen muss, gibt es natürliche Herren und natürliche SklavInnen, wobei erstere über letztere herrschen. Diese Herrschaft gereicht beiden zum Vorteil, da die natürlichen SklavInnen so aus der Barbarei in die Zivilisation und vom Heidentum ins Christentum geführt werden können.114 Nach diesen eher generellen Betrachtungen, die Demócrates-Sepúlveda immer wieder mit Aristoteles begründet, geht er schliesslich auf das eigentliche Thema ein: Ob der Krieg gegen die Indígenas und die Herrschaft Spaniens über Lateinamerika gerecht sei. Dazu macht er erst einige allgemeine Betrachtungen über Spanien: Es ist von allen zivilisierten und christlichen Ländern das Beste, was sich auch daran zeigt, dass die spanischen 111 Sepúlveda, Juan Ginés de, Demócrates Segundo, in: Cabrera, Emilio (Hrsg.), Obras completas, Vol. 3, Ayuntamiento 1997, S. 29-134, hier: S. 40ff. 112 Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 43ff. 113 Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 49f. 114 Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 54f. Seite 30 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Legionen überall am tapfersten und tugendhaftesten gekämpft hätten, und sie die besten ChristInnen seien. Sie erfüllen also wie keine andere Nation die Bedingungen für natürliche Herren.115 Die Indígenas hingegen sind schlecht und inperfekt: Sie ertragen ihre tyrannische Herrschaft, und sind barbarisch bzw. primitiv, da die meisten von ihnen weder Schrift noch Institutionen kennen. Jedoch auch diejenigen, die welche kennen wie z.B. die AztekInnen als fortschrittlichstes Volk in Lateinamerika hätten nur gerade barbarische und sklavische Institutionen, welche nur zeigen dass sie keine Tiere sind, nicht aber mehr. Sie alle haben zudem kein Christentum, und negieren Gott, haben barbarische Sitten wie Kannibalismus und Menschenopfer und kennen keine schriftlichen Gesetze. 116 In ihnen findet Demócrates-Sepúlveda seine SklavInnen von Natur. Es ist also natürlicherweise gerecht, dass die Spanier über die Indígenas herrschen. Die Indígenas müssen von Natur aus anderen gehorchen, während die Spanier von Natur aus Herren sind. Wenn die Indígenas diese Herrschaft ablehnen, und es kein anderes Mittel gibt, so müssen die Spanier sie mit Waffengewalt beherrschen. Der Krieg ist also in Übereinstimmung mit den wichtigsten Philosophen, d.h. Aristoteles als bedeutendster Philosoph von allen,117 gerecht, da die Indígenas aufgrund ihrer inhumanen und barbarischen Gebräuchen SklavInnen von Natur aus sind. 118 Neben diesem Grund nennt er noch drei weitere: Erstens können sie zwar nicht zum Glauben gezwungen werden, da dieser etwas Freiwilliges ist, aber sie können davon abgehalten werden, noch mehr barbarische Verstösse gegen das Naturrecht zu begehen wie z.B. Menschenopfer, Kannibalismus oder Götzenkult, was den gerechten Krieg gegen sie legitimiert.119 Zweitens gibt es gemäss Demócrates-Sepúlveda die Verpflichtung, die Menschen zu schützen, die von diesen barbarischen Indígenas durch die Möglichkeit des Menschenopfers bedroht werden.120 Drittens ist es die Pflicht aller Christen, den anderen das Evangelium und die Erlösung zu bringen. Es ist gerecht, die zu bekämpfen, die dies 115 116 117 118 119 Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 64f. Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 65ff. Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 48. Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 53f. Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 84ff; Sepúlveda, Juan Ginés de, Apología, in: Cabrera, Emilio (Hrsg.), Obras completas, Vol. 3, Ayuntamiento 1997, S. 137-222, hier: S. 212f. 120 Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 88ff. Seite 31 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut verhindern wollen, und zudem ist es einfacher, die Mission durchzuführen, wenn das Land schon erobert ist.121 Der Krieg gegen die Indígenas ist also aus vielerlei Gründen gerecht. Auch wenn Demócrates-Sepúlveda gar nicht abstreitet, dass es im Krieg zu schlimmen Dingen kommt, so ändert dies einerseits nichts an der Gerechtigkeit des Krieges und andererseits werden diese durch all die positiven Folgen des Krieges mehr als wieder wett gemacht: Die Indígenas erhalten z.B. für das Gold und Silber, das sie verlieren, jedoch nie wirklich zu schätzen wussten, Eisen, das für sie von viel grösserem Nutzen ist. Zudem haben die Spanier viele Tiere und Pflanzen nach Lateinamerika eingeführt, und als wichtigstes haben sie ihnen die Zivilisation und das Christentum gebracht.122 Genau so rechtmässig ist es, dass die Indígenas versklavt werden. Da die Spanier einen gerechten Krieg gegen die Indígenas führen, ist es ihr Naturrecht, die überlebenden Besiegten zu versklaven,123 da diese Widerstand geleistet hatten.124 Über sie sollen hervorragende, ja perfekte Menschen regieren, und bei einigen Völkern ist es notwendig, dass dies auf despotische Weise geschieht: Einige sind aufgrund ihrer klimatischen Herkunft von Natur aus SklavInnen und andere haben solch barbarische Bräuche, dass es mit anderen Formen der Herrschaft gar nicht möglich ist. Beides treffe auf die Indígenas zu, da sie nicht wie die Spanier frei sondern zur Sklaverei geboren sind.125 Nichtsdestotrotz soll die Herrschaft über sie stets von ihrem Ziel motiviert sein. Dieses ist, die Indígenas über Zeit zur Zivilisation und zum Christentum zu führen, und sobald sie zivilisiert seien und den wahren Glauben angenommen hätten, können sie mehr Freiheiten haben und weniger despotisch-paternalistisch beherrscht werden. Dieser Punkt ist Demócrates-Sepúlveda enorm wichtig.126 Sepúlveda und Aristoteles Dieser starke Rückgriff auf die Antike bei Sepúlveda fand zu einem Zeitpunkt statt, als die Wiederentdeckung Amerikas das gesamte politische, geistige und kulturelle Leben 121 122 123 124 125 126 Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 88; Sepúlveda, Apología, S. 203ff. Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 97f. Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 108ff. Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 129. Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 130f. Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 131f. Seite 32 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth beeinflusste und Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut jahrhundertealte Gewissheiten wie den Geschichtshorizont, Lebensentwürfe und Menschenbegriff in Frage stellte.127 Die europäischen Kulturen waren jedoch von der griechisch-römischen Antike geprägt und definierten sich durch den Rückgriff auf sie, weswegen die EuropäerInnen oft antike Darstellungen und Ideen zur Verarbeitung und Einordnung des 'Fremden' benutzten.128 Der Gegensatz Grieche/Römer - Barbar wurde im 13. Jh. während den Kreuzzügen deckungsgleich mit dem Gegensatz Christ - Heide,129 was die Beschreibung der Indígenas als BarabrInnen durch Sepúlveda stark vereinfachte. Jedoch war Sepúlveda bei weitem nicht der erste, der die Indígenas als BarbarInnen und SklavInnen von Natur beschrieb. Schon 1510 argumentierte John Mayor, dass die Indígenas wie Tiere lebten und deswegen SklavInnen von Natur seien. Dies wurde von Spanien übernommen, da es eine einfache naturrechtliche Legitimation der Conquista und der spanischen Herrschaft in Lateinamerika bot, da sie nun nicht mehr auf unsichere päpstliche Rechtstitel sondern auf der Natur der Beherrschten basierte. Auf Grundlage der Autorität Aristoteles wurden nun bei ihnen Erkennungsmerkmale gesucht, und mangels physischen wurde im Fehlen der politisch-institutionellen Charakteristika und den barbarischen Sitten auch solche gefunden. 130 Im 'Demócrates Segundo' finden sich zahlreiche direkte und indirekte Zitate von Aristoteles. Aber auch anhand der Art und Weise, wie er im Text behandelt wird, lässt sich die grosse Bewunderung für ihn feststellen, die Sepúlveda hegt. So bezeichnet er ihn als den grössten Philosophen, und verwendet mehrere Seiten darauf zu zeigen, dass er als Argumentationsgrundlage mindestens so gut geeignet sei wie die Bibel. Schon die antiken Philosophen hätten nämlich an einen Gott geglaubt, und wenn sie von mehreren Göttern sprachen, so seien dies Metaphern gewesen.131 Auch unterscheiden sich gemäss Sepúlveda Aristoteles "politische und moralische Lehren [...] kaum oder gar nicht von der christlichen Philosophie".132 In seiner Argumentation folgt er ihm teilweise wortwörtlich, 127 Pérez Luño, Naturrechtslehre, S. 216. 128 Nippel, Wilfried, Griechen, Barbaren und »Wilde«. Alte Geschichte und Sozialanthropologie, Frankfurt a.M. 1990, S. 31. 129 Nippel, Griechen, Barbaren und »Wilde«, S. 38f. 130 Nippel, Griechen, Barbaren und »Wilde«, S. 40f. 131 Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 75ff. 132 Sepúlveda, Juan Ginés de, Del reino y los deberes del rey, in: Angél Losada (Hrsg.), Tratados políticos de Juan Ginés de Sepúlveda, Madrid 1963, S. 32, zit. nach: Pérez Luño, Naturrechtslehre, S. 220. Seite 33 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut teilweise sinngemäss, jedoch ist er wie Aristoteles der Meinung, dass das Vollkommene über das Unvollkommene herrschen soll: die Indígenas sind homunculi, da sie kaum Anzeichen von Menschlichkeit hätten sondern nur "barbarische Institutionen und Sitten".133 Gemäss Schäfer stellt der Rückgriff auf Aristoteles den bedeutendsten der drei Hautpargumentationssträge bei Sepúlveda dar. Daneben argumentiert er noch mit der Bibel, die im Alten Testament den Versklavungskrieg des Volk Gottes gegen die Heiden gut heisst, und den Kirchenvätern, wo z.B. Augustinus postulierte, dass die christliche Lehre in Übereinstimmung mit der militärischen Bestrafung der Ungläubigen und dem religiösen Expanisionskrieg gegen die HeidInnen steht. Aristoteles ist jedoch der fundamentalste, da er eine naturrechtliche Absicherung der Unterwerfung und Versklavung von natürlicherweise unterlegenen Menschen bietet. So ist denn auch bei beiden das fundamentalste Naturrecht die Herrschaft des Besseren über das Minderwertige.134 Gemäss Todorov ist dies die Grundlage für die gesamte Position von Sepúlveda:"Nicht die Gleichheit, sondern die Hierarchie [ist] der natürliche Zustand der Gesellschaft". 135 Als Aristoteleskenner und -übersetzer baue er seine Argumentation auf diesem auf, und er schliesst sich dem gemäss Sepúlveda bedeutendstem Philosophen an, wenn er erklärt, dass eine zivilisierte Nation Krieg gegen unzivilisierte Völker unternehmen darf, da diese in Barbarei leben. Dass alle Hierarchien auf dem Prinzip der Herrschaft des besseren über das Schlechtere basiert, ist für Sepúlveda eine analytische Proposition, und da die Spanier den Indígenas in allem überlegen seien, sei der Eroberungskrieg gerechtfertigt. Für Todorov ist klar, dass "bei der hierarchischen Konzeption Sepúlvedas eindeutig Aristoteles Pate gestanden hatte".136 Jedoch ist es nicht ganz einfach herauszufinden, wie stark Sepúlveda nun tatsächlich der Aristotelischen Argumentation gefolgt ist. Zum einen wurde weiter oben festgehalten, dass die dem Demócrats Segundo zugrunde liegenden Textstellen unklar sind, und unterschiedlichste Lesarten zulassen,137 andererseits gibt es in der Forschung auch eine grundsätzliche Diskussion darüber, wie Sepúlveda zu verstehen sei. Der Streit basiert hauptsächlich darauf, ob er mit dem Begriff 'servus' Sklave oder Diener meinte. 133 134 135 136 137 Pérez Luño, Naturrechtslehre, S. 220f. Schäfer, Natürliche Sklaverei, S. 116-118. Todorov, Die Eroberung Amerikas, S. 184. Todorov, Die Eroberung Amerikas, S. 184ff, Zitat: S. 194. Pérez Luño, Naturrechtslehre, S. 223. Seite 34 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Pietschmann z.B. vertritt die These, Sepúlveda habe nie von natürlicher Sklaverei gesprochen, sondern immer nur von DienerInnen von Natur. Er sei zwar von der Überlegenheit der europäischen Kultur überzeugt gewesen, sei aber "kein Verfechter von Inhumanität, Kolonialismus und Ausbeutung, [...] sicherlich [aber] Vertreter einer Imperiumsidee, die die amerikanischen Indianer einbezog", über die paternalistisch geherrscht werden soll. 138 Quirk führt diesen Gedanken weiter und gelangt zu der Überzeugung, dass Sepúlveda keineswegs für die Versklavung der Indígenas argumentierte. Im Gegenteil sei Sepúlveda missinterpretiert und falsch übersetzt worden, da er mit 'natura servus' keineswegs 'SklavIn von Natur' gemeint habe. Er habe als Nicht-Historiker nämlich kein vertieftes Wissen über die griechische Sklaverei gehabt, dagegen war er "obviously familiar with servile institutions in Spain".139 Der Schlüssel, um ihn zu verstehen liege also nicht in einer Aristoteles-Exegese, sondern in einer tieferen Betrachtung des 16.Jh.-Konzept von Leibeigenschaft und Dienertum, und wenn Sepúlveda von der rohen Natur der Indígenas gesprochen habe, so dachte er an mittelalterliche Spanische Leibeigene oder DienerInnen. Diese These wird gestützt von der Tatsache, dass Las Casas, der oft auch auf Spanisch schrieb, stets von "siervos a natura, [...] not esclavos" geschrieben habe. 140 Hanke widerspricht dieser Idee jedoch massiv. Er erinnert daran, dass Sepúlveda die Koryphäe für Aristoteles in Spanien war, und sich extrem gut mit seinen Schriften, seiner Philosophie und seinen Konzepten auskannte. Deshalb wäre es anzunehmen, dass er, wenn er in diesem Punkt von der aristotelischen Theorie abgewichen wäre, es sehr viel klarar und expliziter gemacht hätte. Jedoch betont Sepúlveda mehrmals, dass die Indígenas so minderwertig seien, dass sie als natürliche SklavInnen gemäss Aristoteles Philosophie bezeichnet werden können. Auch betont Hanke, dass im 16. Jh. das Wort 'servus' auf Spanisch sowohl mit siervo als auch mit esclavo übersetzt werden könnte, die beiden Wörter als Äquivalente galten und austauschbar waren. Er betont, dass Seupúlveda die Indígenas klar als SklavInnen von Natur im aristotelischen Sinne 138 Pietschmann, Aristotelischer Humanismus, S. 165f, Zitat: S. 166. 139 Quirk, Robert, Some Notes on a Controversial Controversy: Juan Gines de Supulveda and Natural Servitude, in: The Hispanic American Historical Review, Vol. 34, No. 3, Durham 1954, S. 357-364, hier: S. 358. 140 Quirk, Natural Servitude, S. 358ff, Zitat: S. 361. Seite 35 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut betrachtete, und die Spanier deswegen rechtmässig Krieg gegen sie führen konnten. 141 Auch gemäss Pérez Luño ist Sepúlveda sehr nahe an Aristoteles, auch da er seine Lehre " in ihrere unrsprünglichen Reinheit wider zum Leben erwecken" wollte.142 Die Versklavung der Indígenas ist gemäss Schäfer nur ein De-iure-Ausdruck ihrer Defacto-Situation, da eine Person nicht SklavIn wird, sondern aufgrund ihrer rationalen und seelischen Defiziten schon ist. Sie waren schon vor der Conquista SklavInnen, da sie es von Natur aus waren. Diese Defizite haben die Indígenas gemäss Sepúlveda, da sie vernunftlose Körper sind, welche von der vernünftigen Seele beherrscht werden müssen.143 Sepúlveda bemerkt explizit, dass der Körper der Sklave der über ihn herrschenden Seele ist. Zudem ist es auch eine der Stellen, wo er Aristoteles am ausführlichsten zitiert.144 Delgado bringt es auf den Punkt: "Aristoteles ist für ihn [Sepúlveda] nicht nur der Philosoph schlechthin, sondern das grösste Naturwunder, in dem alles, was das Menschengeschlecht kraft der natürlichen Vernunft erreichen kann, schon enthalten ist. [...] Seine Lehre hat nicht nur den Rang des – vollkommenen – Naturrechts, sondern sie ist auch mit dem göttlichen Gesetz gleichzustellen. so dass der Schluss naheliegt, im Zweifelsfalle sei Aristoteles für Sepúlveda sogar der wahre Massstab der Bibelinterpretation."145 141 Hanke, Lewis., Aristotle and the American Indians. A Study in Race Prejudice in the Modern World, Bloomington 1975, S. 58ff. 142 Pérez Luño, Naturrechtslehre, S. 226. 143 Schäfer, Natürliche Sklaverei, S. 120ff. 144 Sepúlveda, Demócrates Segundo, S. 54f. 145 Delgado, Mariano, Die Indios als Sklaven von Natur? Zur Aristoteles-Rezeption in der AmerikaKontroverse im Schatten der spanischen Expansion, in: Speer, Andreas / Frank, Günther (Hrsg.), Der Aristotelismus in der Frühen Neuzeit nach dem Fall von Konstantinopel. Kontinuität oder Wiederaneignung?, Wiesbaden 2007, S. 353-382, hier: S. 369. Seite 36 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut GEGNERINNEN DER SKLAVEREI - LAS CASAS Wie Sepúlveda wird auch Las Casas vor allem in seiner Rolle während der Disputation von Valladolid, als Verteidiger der Indígenas, wahrgenommen. Sein Leben und Werk ist jedoch weit umfassender als dies und auch genauso wenig eindeutig, wie das von Sepúlveda. So war er während mehren Jahren ein grosser Befürworter der Versklavung von AfrikanerInnen, die an der Stelle der Indígenas in Lateinamerika arbeiten sollten.146 Auch wenn er schon vor Valladolid von dieser Überzeugung abgekommen ist, so steht diese Tatsache doch in grossem Kontrast mit der Wahrnehmung seiner Person als Vorreiter der Menschenrechte.147 Dass Las Casas so unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden kann, liegt nicht zuletzt auch daran, dass sein Werk eine unglaubliche Grösse hat, und er Zeit seines Lebens Traktate, Berichte und Polemiken veröffentlicht hat. Im Rahmen dieser Arbeit ist nicht Platz für eine angemessene Würdigung seines Gesamtwerkes, weshalb sich dieser Abschnitt nur mit den für die Fragestellung relevanten Schriften und Passagen beschäftigen wird. Leben und Werk Las Casas wurde 1484 in Sevilla als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nachdem er kurz Rechtswissenschaften und Theologie in Salamanca studiert hatte, nahm er 1502 an der Eroberung von Hispaniola teil, wo er Gold suchte und Encomendero war. 1507 wurde er nach Fortsetzung seiner Studien in Rom zum Priester geweiht und kehrte nach Lateinamerika zurück, wo er als Feldgeistlicher an der Eroberung Kubas teilnahm, und eine neue Encomienda führte, auf der Plantagen- und Goldschürfwirtschaft betrieben wurde. Nachdem er 1514 den Tod von einer halben Million Indígenas durch Krieg oder Schwerstarbeit erlebt hatte, wandte er sich entschieden gegen die Praktiken der Conquista und propagierte eine genossenschaftliche Gemeinschaftswirtschaft und die Freiheit der Indígenas als Untertanen der Krone. 1523 trat er dem Dominikanerorden bei und zog sich für zehn Jahre in ein Kloster auf Santo Domingo zurück, wo er verschiedene Schriften 146 Blackburn, New World Slavery, S. 35. 147 Gschwend, Lukas / Good, Christoph, Die spanische Conquista und die Idee der Menschenrechte im Werk des Bartolomé de Las Casas (1484-1566), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung, Bd. 126, Wien / Köln / Weimar 2009, S. 217-256, hier: S. 236-254. Seite 37 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut studierte und selbst auch mit Schreiben begann. Ab 1527 schrieb er während 25 Jahren an seiner 'Historia de las Indias' und setzte sich stark für eine friedliche Missionierung ein, die schliesslich Paul III. zu seiner Bulle 'Sublimis Deus' bewegen sollte. Er war in beratender Funktion an der Ausarbeitung der Leyes Nuevas tätig, die stark in seinem Sinne erlassen wurden. 1543 wurde er auf Vorschlag von Karl V. zum Bischof von Chiapas ernannt, wo er sich für die Einhaltung der Leyes Nuevas einsetzte. In einer hochreligiösen Zeit verweigerte er Encomenderos und SklavInnenhaltern auch auf dem Sterbebett die Absolution, konnte damit aber auch nicht verhindern, dass die wesentlichen Punkte der Leyes Nuevas 1545 zurückgenommen wurden. Aufgrund des grossen Widerstandes gegen ihn wurde er 1547 vom Kaiser nach Spanien zurückgerufen, wo er sich auf die Disputation von Valladolid vorbereitete, welche er seiner Meinung nach gewann. 1566 starb er in Madrid.148 BarbarInnen und Indígenas Für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit sind vor allem drei Werke von Las Casas von Bedeutung: die 'Apología', die 'Apologética Historia Sumaria' und die 'Disputation' (Aquí se contiene una disputa). Im folgenden wird versucht, aus diesen drei Werken eine schlüssige und in sich kohärente Zusammenfassung seiner Position zu der Frage, ob die Indígenas SklavInnen von Natur im aristotelischen Sinne seien, zu geben. Nicht berücksichtigt werden dabei die zahlreichen Kapitel dieser drei Werke, die sich nicht explizit mit dieser Frage beschäftigen. Sämtliche seine Schriften zu dieser Frage sind als Antwort auf Sepúlvedas These zu verstehen, was er zu Beginn der 'Apología' auch klar so deklariert. Er ist der Auffassung, dass Sepúlveda Aristoteles nicht richtig verstanden habe, da letzterer nämlich nicht einfach generell über BarbarInnen schreibe, sondern dass es gemäss Aristoteles drei Arten von ihnen gäbe: Erstens gibt es BarbarInnen im weiten Sinne, was alle grausamen, unmenschlichen und gnadenlosen Menschen meint, die gegen die menschliche Vernunft handeln. Dies tun sie aus Wut oder natürlicher Beschaffenheit, so dass sie "hard, severe, 148 Gschwend / Good, Menschenrechte, S. 220ff.; Janik, Dieter / Lustig, Wolf (Hrsg.), Die spanische Eroberung Amerikas. Akteure, Autoren, Texte. Eine kommentierte Anthologie von Originalzeugnissen, Frankfurt a.M. 1989, S. 77ff.; Rech, Bruno, Bartolomé de las Casas und die Antike, in: Reinhard, Wolfgang (Hrsg.), Humanismus und Neue Welt, Weinheim 1987, S. 167-197, hier: S. 169f.; Las Casas, Bartolomé de, In Defense of the Indians, DeKalb 1992, S. 9. Seite 38 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut quarrelsome, unbearable, cruel" und wie wilde Tiere seien, während sie alle "decency, meekness and human moderation" beiseite legen.149 Aristoteles sagt zu dieser ersten Art, dass dies Einzelfälle seien, zu denen jeder noch so gute Mensch, also auch GriechInnen, werden könne, was auch von vielen Kirchenvätern unterstützt wird. Zu dieser ersten Gruppe gehören alle diejenigen, die aus Wut, Hass oder einem anderen starken Gefühl irgendetwas gewaltsam verteidigen und dabei die Vernunft und Tugend komplett vergessen.150 So können hier auch ChristInnen eingeordnet werden, wie z.B. die Conquistadores, die Indígenas misshandelt hatten. 151 In der 'Disputation' definiert er diese erste Art ein wenig anders. Zu ihr gehören "jene Leute, die in ihren Auffassungen oder Gewohnheiten eine gewisse Fremdartigkeit an den Tag legten, denen es aber nicht an politischer Ordnung oder Klarheit für ihr Regiment fehlte".152 Die zweite Art sind die, die keine Schriftsprache haben, die zu der gesprochenen gehört, und sich so nicht ausdrücken können. Sie sind unkultiviert und "ignorant of letters and learnung". Diese Ansicht vertreten auch Aquin und viele andere Kirchenväter. BarbarInnen dieser Art sind es aber nicht im absoluten sondern in einem beschränkten Sinne durch Umstände. Diese können immer noch weise, mutig und klug sein und ein sesshaftes Leben führen, so wie die Griechen die Römer BarbarInnen nannten. Entsprechend meint Aristoteles auch nicht diese, wenn er von der natürlichen Sklaverei schreibt, da sich natürliche SklavInnen nicht selbst regieren können. Im Gegenteil, BarbarInnen zweiter Art können sogar Königreiche mit rechtmässigen Herrschern haben, welche zwar fast tyrannisch herrschen, aber vom Volk geliebt werden. 153 Über diese schreibt Aristoteles im dritten Buch der 'Politik', wo er anerkannte, dass auch sie "wahre Reiche und natürliche Könige und Herren samt Regierung" haben.154 Auch wenn sie sonst vieles nicht beherrschen, weil ihnen vieles wie z.B. die Schrift fehlt, so haben sie doch die Fähigkeit, sich selbst zu regieren. Ihre Regierung ist legitim und natürlich, auch wenn sie tyrannische 149 Las Casas, Defense, S. 28f. 150 Las Casas, Defense, S. 29; Las Casas, Bartolomé de, Kurze apologetische Geschichte, in: Mariano Delgado (Hrsg.), Werkauswahl, Bd. 2, Paderborn et al. 1995, S. 325-512, hier: S. 496ff. 151 Las Casas, Defense, S. 53. 152 Las Casas, Bartolomé de, Die Disputation von Valladolid, in: Mariano Delgado (Hrsg.), Werkauswahl, Bd. 1, Paderborn et al. 1995, S. 337-436, hier: S. 371. 153 Las Casas, Defense, S. 30ff, Zitat: S. 30; Las Casas, Apologética, S. 498. 154 Las Casas, Disputation, S. 371. Seite 39 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Züge hat. Diese Völker gebrauchen also die Vernunft und die Bevölkerung erfährt Frieden und Gerechtigkeit. Sie sind deswegen in Übereinstimmung mit Aristoteles keine SklavInnen von Natur, sondern leben "in accord with justice and nature, have kingdoms, royal dignities, jurisdiction, and good laws, and there is among them lawful governement".155 Die dritte Art sind BarbarInnen im eigentlichen Sinne des Wortes. Dies, da sie aufgrund ihres schlechten und boshaften Charakters grausam, wild, dumm und bar jeder Vernunft sind. Sie können nicht von Gesetzen regiert werden, kennen keine Freundschaft und haben weder Staaten oder politisch organisierten Gemeinschaften. Sie sind ohne Herrscher, Gesetze und Institutionen, heiraten nicht, betrieben keinen Handel und schliessen auch keine Verträge ab, sondern leben wie wilde Tiere. Es sind "diejenigen, die dank ihren verderbten Sitten und ihrem ungebildeten Geist sowie durch brutale Neigung wilden Tieren gleich sind und auf dem Land leben, ohne Städte und Häuser, ohne zivilisierte Lebensweise und Gesetze, ohne Riten oder Verträge".156 Diese Art wird von Aristoteles SklavInnen von Natur genannt, da sie keine natürliche Regierung und keine politischen Institutionen haben. 157 Hier sollten wir die aristotelische Lehre anwenden, und diese BarbarInnen sollten von natürlichen Herren beherrscht werden, um sie so zu zivilisierten und rationalen Menschen zu erziehen, während sie im Gegenzug für ihre Herrn arbeiten, womit beide profitieren. Jedoch müssen auch diese sanft überzeugt und liebend zur Zivilisation geführt werden, nicht gejagt und gezwungen, wie Aristoteles dies vorschlage: "Good-bye Aristotle! From Christ the eternal truth, we have the command 'You must love your neighbour as yourself'", eine Ausbeutung ist also verboten. 158 Solche BarbarInnen sind aber in Übereinstimmung mit Aquin sehr selten, genau wie Helden oder Halbgöttinnen oder Menschen, die mit einem Auge oder den Sohlen auf den Füssen geboren werden. Es sei aus natürlichen und göttlichen Gründen nicht möglich, dass es ein ganzes Volk oder eine ganze Region gibt, das so ist, da dies der rationalen Natur und der Schöpfung zuwiderlaufe.159 Dies, da Gott allmächtig, allwissend und allgütig ist. Neben den drei oben genannten Arten der Barbarei gibt es aber gemäss Las Casas auch 155 156 157 158 159 Las Casas, Defense, S. 42. Las Casas, Disputation, S. 371; Las Casas, Apologética, S. 499ff. Las Casas, Defense, S. 32f. Las Casas, Defense, S. 38ff, Zitat: S. 40. Las Casas, Defense, S. 33ff. Seite 40 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut noch eine vierte, die sich bei Aristoteles nicht finden lässt. Diese Art umfasst all diejenigen, die nicht an Gott glauben, die keine ChristInnen sind. Nur das Christentum führt aus der Barbarei, egal wie zivilisiert ein Volk auch ist. Die TürkInnen und AraberInnen sind also genau so BarbarInnen wie es die GriechInnen und RömerInnen waren, unabhängig wie hoch entwickelt ihr Regierungssystem ist oder war. 160 Nach dieser Kategorisierung der BarbarInnen schliesst Las Casas, dass die Indígenas zwar BarbarInnen seien, aber solche der zweiten Art, und ihnen fehle nur das Christentum, welches sie bereitwillig als vernunftbegabte Wesen annehmen wollen. 161 Trotz gewisser minderwertigen Gewohnheiten seien sie keine BarbarInnen der dritten Art, da sie eine hinreichend zivilisierte Lebensweise besitzen:162 Sie beherrschen mechanische Künste, teilweise besser als zivilisierte Länder, kennen Kunst und lernen Grammatik und Logik sehr schnell. Ebenso schnell geben sie ihre barbarischen Bräuche wie das Menschenopfer auf, sobald sie von dem Christentum erfahren haben.163 Er gibt sich grosse Mühe, zu zeigen, dass "alle Völkerschaften dieses unseres Westindien staatskundig und gut regiert waren" und die Indígenas auf vernünftige Weise lebten. Zudem seien sie mit den drei Arten der Klugheit begabt und erfüllen die sechs Bedingungen, die Aristoteles für den funktionierenden Staat aufstellt:164 sie verfügen sowohl über monastische, ökonomische, als auch politische Klugheit 165, und das zwar sowohl bei der Priesterschaft, bei den Richtern, den BäuerInnen, den HandwerkerInnen, den Kriegern und den Wohlhabenden,166 was er in der 'Apologética' während 220 Kapiteln zeigt. Ihr Staatswesen kam vielen anderen bedeutenden und staatskundigen Völkern wie z.B. Rom oder Griechenland gleich und übertraf noch mehr, wie z.B. England, Frankreich und Teile von Spanien. Auch in ihren Sitten seien die Indígenas unzähligen weiteren Völkern überlegen.167 Die Indígenas sind also nicht barbarischer als die SpanierInnen, wenn vom fehlenden Christentum abgesehen wird. Sie gehören weder zu der ersten Art, weil diese akzidentiell 160 161 162 163 164 165 166 167 Las Casas, Defense, S. 53; Las Casas, Apologética, S. 502ff. Las Casas, Defense, S. 42ff. Las Casas, Disputation, S. 371f. Las Casas, Defense, S. 44f. Las Casas, Apologética, S. 489. Las Casas, Apologética, S. 353-367. Las Casas, Apologética, S. 380-489. Las Casas, Apologética, S. 490. Seite 41 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut und nicht naturgegeben ist, da nicht ein ganzes Volk in solche Fehler verfallen könne, aber auch nicht zur dritten Art, "weil sie ihre Königreiche und Könige, ihre Staatsordnungen, ihre gut regierten und wohlgeordneten Gemeinwesen, ihre Heimatorte, Besitzungen und Haushalte haben; sie leben mit Gesetzen, besonderen Rechten und Verordnungen; sie üben eigene Gerichtsbarkeit aus, und damit schaden sie niemandem".168 Wenn Aristoteles also über SklavInnen von Natur schreibt, dann meint er damit nur die dritte Art von BarbarInnen, denn nur über diese schreibt er gemäss Las Casas im ersten Buch der 'Politik'. Sepúlveda kann also die aristotelische Theorie der Sklaverei von Natur nicht benutzen, um seine Position zu untermauern, da er nicht versteht, dass Aristoteles genau wie die Kirchenväter Unterscheidungen zwischen verschiedenen Barbarei-Arten macht.169 Auch ist die Beschreibung der Indígenas durch Sepúlveda falsch. Dieser erzähle, da er selbst nie in Lateinamerika war, gestützt auf Oviedo nur Lügen über sie, da Oviedo ein "räuberischer Tyrann und Hauptfeind der Indios gewesen ist, wie er selbst [...] eingesteht". Er könne also nicht, wie von Sepúlveda behauptet, als gewichtige und führende Quelle aufgeführt werden, um zu zeigen, dass die Indígenas minderwertig seien.170 Im Gegenteil: "The Indians are our brothers and Christ has given his life for them" und sie sind weder dumm noch barbarisch sondern sehr bereit, den Glauben zu empfangen.171 Las Casas und Aristoteles Las Casas ist Teil einer weit ins Mittelalter zurückreichenden Tradition und hatte insbesondere zu Thomas von Aquin grosse Bezüge. 172 So hatte er denn auch verschiedene Berührungspunkte mit Aristoteles, der im 16. Jh. noch immer eine Autorität war, an der niemand vorbei kam.173 Wie dieser war Las Casas auch der Auffassung, dass das Klima die Menschen bzw. Völker, ihren Geist und ihre Sitten beeinflusst. 174 Die Theorie, dass es von Natur aus Herren und SklavInnen gäbe, war für Las Casas 168 169 170 171 172 173 174 Las Casas, Apologética, S. 509ff, Zitat; S. 511. Las Casas, Defense, S. 53. Las Casas, Disputation, S. 406f. Las Casas, Defense, S. 362. Pérez Luño, Naturrechtslehre, S. 164ff, 180ff. Delgado, Sklaven von Natur?, S. 371f. Pérez Luño, Naturrechtslehre, S. 174f. Seite 42 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut grundsätzlich denkbar, wenn auch noch nicht nachgewiesen.175 Auch stellt er mit ausdrücklichem Bezug auf Aristoteles und seine 'Politik' fest, dass der Mensch von Natur ein soziales Wesen sei.176 Für die These, dass Las Casas ein Aristoteliker sei, spricht, dass er in der 'Apologética' hunderte von Kapiteln dafür aufwendet, um zu beweisen, dass die Indígenas die von Aristoteles formulierten Kriterien des funktionierenden Staates erfüllen.177 Auch konnte er durch seine vierte, rein theologische Art der Barbarei eine Kategorie schaffen, in die die Indígenas zusammen mit dem antiken Rom und Griechenland einzuordnen sind, was einen Kulturvergleich erst wirklich erlaubt, auch was die Menschenopfer angeht, die auch in der europäischen Antike praktiziert wurden. 178 Auch sah Las Casas in Lateinamerika die Erfüllung der Versprechen der Antike und stellte so eine weitere Verbindung her. Selbst wenn er an Lateinamerika oder den Indígenas etwas kritisierte, so verband er dies mit der Antike.179 Des weiteren war Aristoteles eine Grundlage des gelehrten Unterrichts, den Las Casas kennen musste. Seine Argumentation zu Gunsten der Indígenas ist im Gegensatz zu Sepúlveda und den Vertretern der natürlichen Sklaverei auch wesentlich breiter, brauchte er doch nicht nur die 'Politik', sondern auch noch weitere Werke Aristoteles. Dabei betont er mehrmals Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Aristoteles, was gemäss Rech darauf schliessen lässt, dass Aristoteles für ihn normative Bedeutung erlangt hatte: "Ohne Aristoteles ist auch die christliche Ethik nicht denkbar".180 Die Antike und ihre Autoren waren für Las Casas eine geistige Macht, "ohne die seine Gedanken nicht verständlich wären".181 O'Gorman war gar der Meinung, dass "all of Las Casas' thought [...] fundamentally Aristotelian" sei.182 Hanke weist dies aber scharf zurück: Es treffe zwar zu, dass Las 175 Delgado, Sklaven von Natur?, S. 374; Phelan, John, The Apologetic History of Fray Bartolome de las Casas, in: The Hispanic American Historical Review, Vol. 49, No. 1, Durham 1969, S. 94-99, hier: S. 98. 176 Pérez Luño, Naturrechtslehre, S. 192f. 177 Phelan, Las Casas, S. 96. 178 Nippel, Griechen, Barbaren und »Wilde«, S. 49. 179 Rech, Las Casas, S. 193f. 180 Rech, Las Casas, S. 170-177, Zitat; S. 177. 181 Rech, Las Casas, S. 193. 182 O'Gorman, Eduardo, Sobre la naturaleza besital del indio americano, in: Filosofía y Letras, No. 2, Mexico 1941, S. 305-315, hier: S. 312, zit nach: Hanke, Lewis, Bartolome de Las Casas. An Essay in Hagiography and Historiography, in: The Hispanic American Historical Review, Vol. 33, No. 1, Durham Seite 43 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Casas 1550/1 die These Aristoteles bezüglich der Sklaverei von Natur zu akzeptieren scheint, und es in seinem Werk auch viele Referenzen auf ihn gibt. Jedoch verteidigt oder erweitert er diese Theorie nie, sondern begrenzt sie enorm, da natürliche SklavInnen, wie oben gezeigt, gemäss Las Casas als Fehler der Natur zu bezeichnen seien. Auch ist es argumentativ besser und stärker, zu zeigen, dass Aristoteles Konzept nicht auf Lateinamerika und die Indígenas anwendbar ist, anstatt Aristoteles frontal anzugreifen. 183 Auch wenn dies grundsätzlich zutrifft, und es bis heute in der Philosophie als elegante und überlegene Art zu argumentieren gilt, den Gegner quasi auf eigenem Terrain zu schlagen, so stellt Hanke doch in diesem Aufsatz Las Casas auf ein sehr hohes Podest, und weist alles zurück, was nicht in sein Las Casas-Bild passt.184 Gegen die These, Las Casas sei Aristoteliker, spricht auch, dass er, im Unterschied zu Sepúlveda, der seine Argumentation sehr stark auf Aristoteles aufbaut, diese These ebenfalls mit einem Rückgriff auf Aristoteles zu widerlegen versucht, daneben aber auch noch sehr viele andere Autoritäten zitiert, allen voran Thomas von Aquin, auf welchen er immer wieder explizite und implizite Verweise macht.185 Daneben bringt er eine Fülle von Argumenten gegen Sepúlvedas Standpunkt vor, die keinerlei Zusammenhang mit Aristoteles haben. So ist es denn auch nur einer von zwölf Einwänden gegen Sepúlveda, die er in der 'Disputation' macht.186 Auch in der Disputation von Valladolid ist Aristoteles nur ein Punkt unter anderen, über den sich Las Casas nicht sehr breit auslässt.187 Im Unterschied zu Aristoteles war Las Casas absolut der Ansicht, dass es keine fundamentalen Unterschiede zwischen SpanierInnen und Indígenas gibt: "So gibt es denn ein einziges Menschengeschlecht, und alle Menschen sind, was ihre Schöpfung und die natürlichen Bedingungen betrifft, einander ähnlich".188 Daraus ergibt sich in Einklang mit dem aristotelisch-thomistischen Denken der Grundsatz, dass jeder Mensch frei über sich, 1953, S. 136-151, hier: S. 144. 183 Hanke, Las Casas, S. 145f. 184 Hanke, Las Casas, S. 149ff. 185 Eggensperger, Thomas, Der Einfluss des Thomas von Aquin auf das politische Denken des Bartolomé de Las Casas im Traktat „De imperatoria vel regia potestate“. Eine theologisch-politische Theorie zwischen Mittelalter und Neuzeit (Philosophie Bd. 42), Münster 2001, S. 155-160. 186 Las Casas, Disputation, S. 350-372, S. 390-436. 187 Hanke, All Mankind is One, S. 87-107. 188 Las Casas, Apologética, S. 377. Seite 44 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut seine Person und seine Güter bestimmen kann.189 Gschwend und Good versuchen diesen Konflikt aufzulösen: Las Casas relativiere die von Thomas von Aquin rezipierte aristotelische These, wonach es geborene Untertanen oder SklavInnen und geborene Herren gäbe, welche erstere zum Menschsein hinführen müssen. Er "erkannte jedoch bald, dass eine wissenschaftliche Fundierung im System der Scholastik nur dann im politischen Diskurs auf Akzeptanz stossen konnte, wenn die eigene Lehre und Argumentation mit der aristotelischen Philosophie synthetisiert wurden, beruhte doch die spanische Spätscholasitk wie die gesamte christliche Naturrechtslehre seit dem 13. Jh. weitgehend auf dem Aristotelismus".190 189 Gschwend / Good, Menschenrechte, S. 243. 190 Gschwend / Good, Menschenrechte, S. 240f. Seite 45 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut FAZIT Wie festgestellt wurde, gibt es nicht einfach die antike Sklaverei. Von der mykenischen Palastkultur über die frühdorischen Abhängigkeitsverhältnisse bis hin zu Athen, das von vielen ForscherInnen als Sklavereigesellschaft angesehen wird, gibt es über die Jahrhunderte unzählige Formen und Abstufungen von Unfreiheit und Sklaverei, und mit der Gegenüberstellung von athenischer Sklaverei und der spartanischen Praxis des Helotismus existieren sogar zeitgleich so verschiedene Sklavereiformen, dass gewisse antike Autoren, die sonst kein grosses Problem mit der Sklaverei hatten, zum Schluss kommen konnten, dass die HelotInnen das bedauernswerteste Schicksal unter allen Menschen tragen mussten.191 Ebenfalls lässt sich auf einer theoretischen Ebene kein einheitliches Sklavereibild feststellen. Auch wenn es nichts als vernünftig ist, dass verschiedene AutorInnen verschiedene Meinungen haben, so erstaunt es doch sehr, festzustellen, wie inkohärent und widersprüchlich auch ein einziger Autor, hier Aristoteles, über die Sklaverei schreiben kann. Nichtsdestotrotz war seine Theorie der SklavInnen von Natur eine wegweisende und jahrhundertelang auch grundlegende Idee in der europäischen Geistesgeschichte. Die Idee, dass gewisse Personen oder gar Gruppen von Personen minderwertig aufgrund ihrer Natur seien, lässt sich von Aristoteles über Thomas von Aquin bis hin zu John Mayor und Sepúlveda feststellen. Letzterer, bekannt als Aristoteles-Übersetzer und -Verehrer, kam zum Schluss, dass die Indígenas aufgrund ihrer fehlenden politischen Strukturen, ihrer barbarischen Lebensart, dem Fehlen von schriftlichen Gesetzen und Schrift allgemein, ihren Riten und Sitten wie Kannibalismus, Menschenopfer und Götzenkult sowie ihren zahlreichen Verstössen gegen natürliches und göttliches Recht SklavInnen von Natur seien, und als solche von den SpanierInnen, die er als die beste Nation überhaupt charakterisierte, beherrscht werden müssten. Diese Position blieb jedoch nicht unwidersprochen. Mehrere Personen, insbesondere aus dem Umfeld der Kirche, protestierten scharf gegen diese Einstellung und die daraus resultierenden Konsequenzen sowie die tatsächliche Situation in Lateinamerika, wo Millionen von Indígenas ausgebeutet wurden, Schwerstarbeit leisten mussten und direkt 191 Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung, S. 62. Seite 46 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut oder indirekt wegen der Conquista starben. Sie erreichten mehrere Gesetze in Spanien, die jedoch alle die Situation nicht grundlegend ändern konnten, trotz expliziten Verboten von Sklaverei, Ausbeutung und unangekündigten Angriffen. Im Gegenteil: Auf Druck der Conquistadores und Encomenderos wurden sogar mehrere zentrale Gesetze wieder zurückgenommen, und die Situation der Indígenas bleibt bis heute menschenverachtend und diskriminierend. Eine Person, die sich sowohl auf einer theoretischen als auch auf einer praktischen Ebene sehr stark für die Indígenas einsetzte, war Las Casas. Er, der ein Grossteil seines Lebens in Lateinamerika verbracht hatte, und so das Potential des Landes und der Menschen, aber auch die furchtbaren Verbrechen, die ihnen angetan wurden, aus erster Hand kannte, verfasste neben seinem Einsatz als Bischof und Lobbyist mehrere Schriften zu dem Thema. Darin widerspricht er den Sepúlvedas seiner Zeit, die behaupteten, die Indígenas seien so barbarisch, dass sie SklavInnen von Natur aus seien, in dem er seine eigenen Erfahrungen und Wahrnehmung der Indígenas verbreitet, und auf hohem theoretischen Niveau gegen die These, die Indígenas seien SklavInnen von Natur, argumentiert. Dabei benutzt er wie auch sein grösster Gegner Aristoteles, stützt sich jedoch auch auf unzählige weitere Autoren und Quellen. Wie dargestellt ist sich die Forschung in keiner Bewertung der drei zentralen Autoren einig. Aristoteles wird als ethnozentrischer Verteidiger seiner Lebensart diffamiert und als eigentlicher Gegner der Sklaverei verteidigt, Sepúlveda als bezahlter Interessenvertreter der Encomenderos und Befürworter der Sklaverei verdammt und als Humanist gelobt, der für eine menschliche und positiv-paternalistische Beziehung zu den Indígenas eintrat, und Las Casas wird als Befürworter der Versklavung von AfrikanerInnen verabscheut und als brillanter Verteidiger der Indígenas bejubelt. Beide hatten eine sehr verschiedene Wahrnehmung der Antike. Während Las Casas stark in der scholastischen Tradition der Antikerezeption stand, und sowohl die Antike als auch Aristoteles christlich umdeutete, wollte Sepúlveda in seinen Aristoteles-Übersetzungen möglichst nahe und in unverfälschter Art und Weise an das Original gelangen, auch wenn er sich zu der Behauptung verstieg, schon Aristoteles sei eigentlich Christ gewesen. Bezüglich der Interpretation Aristoteles könnte der Unterschied zwischen ihnen nicht grösser sein. Während Sepúlveda versuchte, die zahlreichen Widersprüche und Seite 47 von 54 Universität Bern Historisches Institut Prof. Dr. Thomas Späth Bachelorarbeit Aristoteles in Valladolid Thomas Leibundgut Unklarheiten bei Aristoteles und seinem Konzept der Sklaverei von Natur in Einklang zu bringen, um daraus ein brauchbares Mittel zu erhalten, um zu beurteilen, ob die Indígenas SklavInnen von Natur aus seien, und dies bejahen kann, geht Las Casas einen entgegengesetzten Weg: Er interpretiert diese Widersprüche und Unklarheiten bei Aristoteles als verschiedene Formen der Barbarei und Sklaverei, und kann so nicht völlig abwegig aufzeigen, dass die Indígenas auch gemäss Aristoteles keine SklavInnen von Natur aus, sondern im Gegenteil den SpanierInnen in vielem überlegen und sehr bereit seien, das Christentum anzunehmen. Bei der Art und Weise, wie sie zu ihren Resultaten gelangen, sind sie sich aber ziemlich ähnlich. Beide gehen von ihrem Ziel her vor, und benutzen Aristoteles danach, um für ihre Position ein Autoritätsargument zu finden. Bei Sepúlveda ist diese teleologische Herangehensweise extrem stark, er ähnelt hier weitgehend seinem antiken Vorbild, und betont auch bei der Diskussion über die Behandlung der Indígenas immer wieder das Ziel dieser Herrschaft, dem alles unterzuordnen sei: ihre Erziehung zu zivilisierten ChristInnen. Auch wenn Las Casas nicht ganz so stark teleologisch argumentiert, sondern in den Indígenas viele Werte und Tugenden an sich entdecken kann, so dient ihm Aristoteles viel mehr als bei Sepúlevda als Mittel zum Zweck, um zu zeigen, dass die Indígenas nur ohne die von Sepúlveda propagierte Versklavung wirklich zum Christentum finden können. Aufgrund der umfassenden Literatur zu allen drei Autoren konnte im Rahmen dieser Arbeit leider nicht auf alle Aspekte eingegangen werden, und auch die Darstellung und Analyse musste an mehreren Orten unvollständig bleiben. Weitere spannende Forschungsthemen wären die angesprochenen Interpretationsunterschiede bei Aristoteles SklavInnen von Natur, die Frage, ob Sepúlveda wirklich für Sklaverei von Natur oder nicht doch eher für Leibeigenschaft bzw. Dienertum von Natur argumentierte oder die wahre Stellung von Aristoteles bei Las Casas. Auch ein Vergleich der teleologischen Geisteshaltungen der drei Autoren könnte viele spannende und neue Erkenntnisse hervorbringen, genau wie Untersuchung der Einflüsse der römischen Philosophie, Gesetze und Gedanken zu diesem Thema auf Sepúlveda oder Las Casas. 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Ich erkläre ausserdem, dass ich weder die ganze Arbeit noch Teile davon ohne Absprache mit der Betreuerin/dem Betreuer in einer anderen Lehrveranstaltung in mündlicher oder schriftlicher Form zur Erlangung eines Leistungsnachweises eingereicht habe. Mir ist bekannt, dass ich andernfalls ein Plagiat beziehungsweise einen Betrug begangen habe und dies mit der Note 1 bestraft wird. Ich weiss, dass zusätzlich weitere Sanktionen gemäss den „Richtlinien der Universitätsleitung betreffend das Vorgehen bei Plagiaten“ vom 28. August 2007 und gemäss Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe o des Gesetzes vom 5. September 1996 über die Universität ergriffen werden können. Dazu gehört im Falle von BA-Arbeiten insbesondere der Entzug des aufgrund dieser Arbeiten verliehenen Titels. Basel, am 01. Juli 2011 .......................................................... Thomas Leibundgut 192 http://www.hist.unibe.ch/content/studium/ahndung_von_plagiaten/index_ger.html (14. Juni 2011) Seite 54 von 54