Bismarck als Ministerpräsident auf Abruf Als er in Berlin eintraf, war die Heereskrise in einen Verfassungskonflikt übergegangen. Im März 1862 wurde das Abgeordnetenhaus aufgelöst und ein neues Ministerium durch den König eingerichtet. Die Liberalen erhielten darin eine Stimmenmehrheit und die Konservativen nur wenige Mandate. Der König spielte so gar in der Zwischenzeit mit dem Gedanken abzudanken. Das war Bismarcks Gelegenheit. Er führte mit Wilhelm I. im September eine Unterredung als Verteidiger der Krone: Ich fühle wie ein kurbrandenburgischer Vasall, der seinen Lehnsherr in Gefahr sieht. Der König war von dem Gespräch beeindruckt: „Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen, und ich abdiziere nicht.“ Bismarck wurde zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt, was in der Öffentlichkeit auf Ablehnung stieß. Seine ersten Schritte in dieser neuen Richtung waren sehr vorsichtig, für die Konservativen schon zu vorsichtig. Den Liberalen trat Bismarck mit einer Mischung aus Drohung und Lockung entgegen. Bismarck vertrat die Meinung, dass die Regierung und die Liberalen nur bei einer kleindeutschennationalen Politik überein kommen könnten: Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht. [...] Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen -, sondern durch Eisen und Blut. Dies wirkte provozierend und bestätigten Bismarck den Ruf als skrupellosen Gewaltpolitiker. Er musste nun seine anstößigen Äußerungen gegenüber den Liberalen bei Wilhelm I. erklären. Nach der Zusicherung des königlichen Vertrauens diesbezüglich, konnte er nun die liberale Opposition weiterhin konfrontieren. Mitte Oktober 1862 wurde das Abgeordnetenhaus vertagt. Bismarck musste ohne gesetzlich vorgeschriebenen Haushalt regieren. Grund hierfür war das verfassungswidrige Vorgehen Bismarcks mit der „Lückentheorie“. Dem vorausgegangen war die Heereskrise, die mit einer Heeresreform anfing. Das Parlament wollte dieser Heeresreform nicht zustimmen. In der preußischen Verfassung war festgelegt: nur bei Übereinstimmung von König und beiden Kammern, konnte ein Gesetz zustande kommen. Für den Fall einer Kontroverse enthielt die Verfassung keinen ausdrücklichen Hinweis; dies machte sich Bismarck zunutzen. Er stellte eine Verfassungslücke fest und behauptete: in so einer Situation falle immer dem König die letzte Entscheidung zu. Die Folge war, dass das Abgeordnetenhaus bei der Heeresreform außen vor gelassen wurde. Es kam zu einem Proteststurm. Bismarcks Sturz war nur noch eine Frage der Zeit. Im Februar 1863 meinte der Schriftsteller Theodor Bernhardi: „Alle Welt sieht Bismarcks Regierung als beendet an und ist überzeugt, dass er sich nicht länger halten kann.“ Bismarck überstand die Krise im Frühjahr 1863 jedoch wie ein Wunder. Hierbei half er nach und bediente sich dabei repressiver Maßnahmen vor allem gegen Beamte: Er übte auf sie Druck aus, sich von politischen Bestrebungen zu distanzieren und drohte mit Disziplinarverfahren, Entlassungen, Benachteiligungen bei Beförderungen. Auf Bismarcks Anraten verordnete Wilhelm I. die Pressefreiheit als faktisch beendet. Der Kronprinz Friedrich missbilligte dies. Bismarck war es egal, da er eh die Unterstützung vom König hatte. Bismarck hatte so gar den Gedanken einer Abschaffung des Wahlrechts und der Verfassung. Mit dies allem wollte er vor allem Zeit gewinnen,um die Liberalen zu zermürben. Er hielt immer wieder provozierende Reden: Er sei gezwungen, ungewöhnlich kindische und aufgeregte Politiker anzuhören: Diese Schwätzer können Preußen wirklich nicht regieren. Außenpolitisch blieben ihm im ersten Jahr entscheidende Erfolge versagt. Er wollte die Solidarität mit Russland enger knüpfen und unterdrückte gemeinsam mit Russland den polnischen Aufstand. Damit machte er sich zum Handlanger des Zarenregimes. Napoleon III. legte Protest gegen die Intervention Bismarcks ein. Bismarck blieb nur der diplomatische Rückzug. Diese Schlappe nutzte die Wiener Regierung aus: Wilhelm I. erhielt vom österreichischen Kaiser Franz Jospeh I. eine Einladung zum Fürstentag in Frankfurt. Bismarck gelang es, dass Wilhelm I. die Einladung ablehnte. Im August / September 1863 legte Bismarck die Gegenvorschläge vor: Er forderte ein Vetorecht bei einer Kriegserklärung vom Deutschen Bund für Österreich und Preußen und eine hervorgehende Nationalvertretung. Er ließ hier durchblicken, dass eine Zusammenarbeit mit den Liberalen möglich sei. Dies erschien zynisch nach der Kujonierung von liberalen Beamten und Zeitungen. Im Herbst 1863 annektierte Dänemark Schleswig und Holstein, welche nur durch eine Personalunion verbunden waren. Preußen forderte die Wiederherstellung der Personalunion und Bismarck nahm Österreich dabei mit ins Schlepptau der preußischen Politik. Preußen stellte Dänemark im Januar 1864 ein Ultimatum. Dänemark lehnte ab. Das hatte den Einmarsch am 01.02.1864 von österreichischen und preußischen Truppen zur Folge. Österreich und Preußen siegten am 18. April. Zwei Tage später trat die internationale Konferenz in London zusammen. Bismarck tat alles die Verhandlungen zu komplizieren. Eine Lösung war in weiter Ferne. Man ging am 25.Juni ohne Ergebnis auseinander. Wenige Tage später wurde der Krieg wieder aufgenommen. Ende Oktober wurde ein Friedensvertrag geschlossen und die Rechte von Dänemark an Schleswig und Holstein mussten an Österreich und Preußen abgetreten werden. Bismarck hatte sein erstes Etappenziel erreicht: die Abtrennung Schleswig-Holsteins von Dänemark. Seine zweite Etappe sollte die Annexion an Preußen werden. Im August 1865 einigte man sich, dass Österreich Holstein bekam und Preußen Schleswig. Bismarck schrieb im internen Schriftverkehr: Die entscheidende Auseinandersetzung mit Österreich sei nur vertagt. Er hatte das Ziel, einen günstigen Zeitpunkt für die bevorstehende Konfrontation zu finden. Untrennbar für ihn damit verbunden war die deutsche Nationalfrage. Ende Februar 1866 stellte er die Weichen für einen Krieg. Er hielt eine Rede im Abgeordnetenhaus, dass die inneren Zustände einen Krieg nach außen nicht nötig machen, wohl aber noch hinzutreten, um ihn günstig erscheinen zu lassen. Dem gingen Gefechte mit den Liberalen voraus. Er war der Meinung, das ein Krieg eine Entscheidung über die Vorherrschaft Deutschlands und eine Lösung des Verfassungskonflikts bringen würde. In den folgenden Monaten versuchte er Österreich mit allen Mitteln diplomatisch zu isolieren und gleichzeitig zu provozieren. Er konnte sich dabei auf Russlands Neutralität verlassen. Mit Raffinesse verschaffte er sich die Neutralität Napoleons III. durch eine Aussichtstellung von Kompensationen. Bismarck schloss einen Geheimvertrag mit Italien, indem Italien erklärt, in einem Krieg Preußen beseite zu stehen und sollte als Belohnung Venetien erhalten. Bismarck legte durch einen Gesandten einen Antrag auf die Einberufung eines deutschen Parlaments vor, welches allgemein und direkt gewählt werden sollte. Österreich wurde damit gereizt und musste sich wieder die Existenzfrage stellen. Die Konservativen und das gesamte Land waren entschieden gegen einen Krieg. Dieser Zustand lähmte das Wirtschaftsleben: die Kurse an der Börse fielen ins Bodenlose (Mai 1866). Am 7. Mai 1866 gab ein 22-jähriger, württembergischer Student in Berlin (Unter den Linden) mehrere Schüsse auf Bismarck ab. Bismarck blieb dabei unverletzt. In der Öffentlichkeit hatte man Verständnis für den Attentäter. Anfang Juni 1866 spitzte sich die Situation mit Österreich zu. Die Wiener Regierung übertrug die Entscheidung über die Zukunft Schleswig-Holsteins auf den Bundestag, ohne vorherige Konsultation Preußens. Das war entgegen der Abmachung und hatte den Einmarsch preußischer Truppen in Holstein zur Folge. Daraufhin wurde das Bundesheer gegen Preußen mobilisiert. Ein preußischer Bundestagsgesandte erklärte den Bundesvertrag für erloschen. Ein Ultimatum Preußens wurde abgelehnt. Die Folge war, dass preußische Truppen gegen Hannover, Sachsen und Kurhessen vorrückten. Damit war der Krieg eröffnet und Bismarck hatte alles auf eine Karte gesetzt. Preußen griff auch Österreich an und am 3. Juli 1866 siegten die preußischen Truppen bei Königgrätz. Bismarck war sehr erfreut darüber: Aber besiegt habe ich Alle! Alle! Er wollte wegen seiner diplomatischen Weitsicht Österreich keine harten Bedingungen auferlegen. Im Prager Frieden vom 23. August musste Österreich keine Gebiete abtreten, jedoch der Auflösung des Deutschen Bundes zustimmen, zudem in eine Reorganisation Deutschlands nördlich der Mainlinie unter preußischer Führung und in die Annexion an Preußen von SchleswigHolsteins, Hannover, Kurhessen, Nassau und der Stadt Frankfurt einwilligen. Bismarck war von einer Selbstbeschränkung weit entfernt und wollte eine Verbindung der östlichen und westlichen Landesteile herstellen. Er legte nun auch den Konflikt mit der Opposition im Abgeordnetenhaus bei. Die Stimmung neigte sich daraufhin zugunsten des verhassten Konfliktministers. Der Wandel spiegelte sich in den Neuwahlen wieder: die Konservativen bekamen einen deutlichen Zuwachs. Der militärische Erfolg ließ die Liberalen in ihrem Urteil über Bismarck schwankend werden. Anfang August 1866 bat Wilhelm I. das Parlament um Indemnität (nachträgliche Billigung ihrer Ausgaben). Die Liberalen verharrten nun nicht weiter in ihrer sturen Opposition und sahen Fortschritte in der nationalen Frage. Am 03.09.1866 wurde die Indemnitätsvorlage mit einer Mehrheit bewilligt. Der Verfassungskonflikt war beendet. In den folgenden Monaten schlossen sich die Gemäßigten zur Nationalliberalen Partei zusammen und setzten auf eine Zusammenarbeit mit Bismarck. Von den Konservativen spaltete sich eine Gruppe gemäßigter Realpolitiker ab und gründeten die Freikonservative Partei (unterstützten bedingungslos Bismarcks Politik). Die Veränderung von 1866 wurde als deutsche Revolution in Kriegsform von oben empfunden. 1867 kam die Verfassung des nun eingerichteten norddeutschen Bundes. Es war ein Werk Bismarcks, welches er auf Rügen im Oktober / November zu Papier brachte. (Bismarck hielt sich eigentlich zur Regenerierung seiner Kräfte auf Rügen auf.) Es ging ihm dabei um eine elastische Anpassung der Formen und Institutionen an neue politische Kräfte und Gegebenheiten. Er wollte die preußische Hegemonie möglichst wirkungsvoll und dauerhaft festschreiben. An der Spitze des Staatenbundes stand das Bundespräsidium und der Träger war die preußische Krone. Es wurde mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet: der Oberbefehl über das Bundesheer, die Entscheidung über Krieg und Frieden, das Recht den Bundeskanzler zu ernennen und zu entlassen. Der Bundesrat bestand aus insgesamt 43 Delegierten, davon 17 preußische Delegierte. Preußen konnte mit einem Veto die für eine Verfassungsänderung nötige 2/3 Mehrheit verhindern. Bismarck ernannte sich selbst zum Bundeskanzler. Die Verfassung war auf den preußischen Hegemonialanspruch und seinen eigenen, ganz persönlichen Machtehrgeiz zugeschnitten. Der Reichstag (vertrat das Volk) wurde allgemein, direkt und geheim gewählt (war ein Zugeständnis an die Liberalen). Dem Parlament wurde die Kontrolle des Militäretats entzogen und es gab keine verantwortlichen Bundesministerien. Damit konnte weder der Reichstag noch Regierungsmitglieder den Kanzler zu Fall bringen. In den Wahlen vom 12.02.1867 waren die Nationalliberalen die stärkste Partei, gefolgt von den Konservativen und Freikonservativen, die Fortschrittspartei waren die Verlierer. Bismarck hatte nun einen kleindeutschen Staat und preußischer Führung geschaffen.