Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 1 PSYCHODIAGNOSTIK Version 1.2, Februar 2001 Literatur: GUTHKE, J., BÖTTCHER, H. R. & SPRUNG, L. (Hrsg.) (1991). Psychodiagnostik Band 1 und Band 2. Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften (im Folgenden zitiert als GBS1 bzw. GBS2) JÄGER, R. S. & PETERMANN, F. (Hrsg.) (1992). Psychologische Diagnostik. Weinheim: Psychologische Verlags Union FISSENI, H. J. (1990). Lehrbuch der psychologischen Diagnostik. Göttingen: Hogrefe. AMELANG, M. & ZIELINSKI, W. (1994). Psychologische Diagnostik und Intervention. Berlin: Springer KUBINGER, K. D. (1996). Einführung in die Psychologische Diagnostik. Weinheim: Psychologische Verlags Union WOTTAWA, H. & HOSSIEP, R. (1997). Anwendungsfelder psychologischer Diagnostik. Göttingen: Hogrefe Allgemeine Psychodiagnostik Allgemeine Psychodiagnostik Diagnostische Verfahren (ab Januar in Seminargruppen eintragen, 4 Testprotokolle abgeben) Explorationskurs in Kleingruppen Beratung, Begutachtung, Intervention Fallseminar zu erwachsenendiagnostischen Fragestellungen* 3 Gutachten (Schein) Klausur Übung Seminar (Schein) Vorlesung Wegweiser durch die Psychodiagnostik-Ausbildung Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 2 Testkonstruktion und Testevaluation Fachdiagnostik Schulpsychologische Diagnostik und Beratung* Interessen- und berufliche Eignungsdiagnostik* Klinisch-psychologische Diagnostik* Computergestützte Diagnostik** * ** wahlobligatorisch fakultativ Gliederung: I. Einleitung und Grundfragen ......................................... 3 0. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. II. Kritik der vorwissenschaftlichen Menschenbeurteilung und «Urteilsfehler» Was ist Psychodiagnostik? Einiges zur Geschichte der Psychodiagnostik Die Verflechtung der PD mit den anderen Grundlagen- und Anwendungsdisziplinen der Psychologie Datenquellen, Datenarten und Datengewinnungsmethoden Exploration, Verhaltensbeobachtung und Ausdrucksanalyse Der psychologische Test Der psychodiagnostische Prozess und das diagnostische Urteil Einführung in die Leistungsdiagnostik ........................... 36 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Aufgaben und Möglichkeiten der Leistungsdiagnostik Leistungsdiagnostische Tests im Überblick und Vergleich Intelligenztests Kritik des herkömmlichen Intelligenztests und neue Ansätze Das Lerntestkonzept und seine Varianten Spezifische Fähigkeits- und Eignungstests Allgemeine Leistungstests Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 8. 9. 3 Curriculumbezogene Tests («Schultests») Entwicklungstests III. Einführung in die «Persönlichkeitsdiagnostik» ............... 79 1. 2. 3. 4. 5. 6. IV. Gegenstand und Geschichte der Persönlichkeitsdiagnostik Erfassungsebenen der Persönlichkeit Übersicht über die Hauptmethoden Die «subjektiven Tests» Gestaltungs- und Deutungsverfahren «Objektive Tests» Der diagnostische Prozess, Spezialprobleme und Tendenzen ................................................................. 99 1. 2. 3. 4. 5. 6. Diagnostik und Intervention Präskriptive Modelle Deskriptive Modelle Tendenzen der Psychodiagnostik (Grobüberblick) Computergestützte Diagnostik Neuropsychologische Diagnostik Prüfungsschwerpunkte ........................................................ 126 Informationen zu diesem Dokument ..................................... 128 I. 0. Einleitung und Grundfragen Kritik der vorwissenschaftlichen «Urteilsfehler» Menschenbeurteilung und Wie gut ist unsere natürliche Menschenkenntnis? – Einflussfaktoren: Selbsterkenntnis – SCHILLER: «Willst Du Dich selber erkennen, so sieh, wie die anderen es treiben, willst Du die anderen verstehen, blick in Dein eigenes Herz.» Alter Künstlerische Befähigung Häufigkeit des Kontaktes mit anderen Menschen Geschlecht Vorurteilsfreiheit Psychische Gesundheit Ausprägungsgrad der zu beurteilenden Eigenschaft beim Beurteiler selbst (vgl. Kontrasteffekt) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 4 Intellektuelle und emotionale Differenziertheit Resümee: PD sollte Selbstreflexion anregen; Verhältnis Diagnostiker Diagnostikand ist nicht Verhältnis Subjekt Objekt, sondern Subjekt1 Subjekt2 Irren ist menschlich keine illusionären Erwartungen: 100%-ige Diagnosen sind unmöglich wegen der großen Komplexität des Gegenstandes kann man nur Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen (vgl. Chaostheorie) Bsp.: Schulpsychologe soll über Gymnasiumsbesuch eines Schülers entscheiden IQ des Kindes ist sehr hoch Entscheidung für Gymnasium während der ersten Gymnasialjahre keine Probleme, doch dann plötzliche Krise Schüler fliegt von Schule Eltern beschweren sich: Schuleignungsdiagnose war falsch! aber: Krise hatte andere Ursachen als mangelnde intellektuelle Begabung; die Diagnose war richtig, nur die nicht berücksichtigten Einflüsse zu komplex Fehlerquellen «Menschenbeurteilung» (treten nicht nur im Alltagsleben auf, sind auch Gefahren für ausgebildete Diagnostiker): Halo- oder Hof-Effekt «zentrale» Eigenschaft überstrahlt andere, z. B. intelligent «charakterlich gut» vgl. implizite Persönlichkeitstheorien Tendenz zur Mitte Bsp.: Extremwertscheue in Fragebögen – nur die mittlere Kategorie wird angekreuzt Fragebogen unbrauchbar Milde-Effekt negative Extremwerte werden gemieden Bsp.: Lehrer verteilt keine Fünfen bei derartigen Fehldiagnosen: Gefahr für den Diagnostikanden und andere Beteiligte Bsp.: Verkehrspsychologe muss Fahrtüchtigkeit eines Busfahrers einschätzen; «fahruntüchtig» verliert Busfahrer seine berufliche Existenz Psychologe hat Mitleid schätzt «fahrtüchtig» ein Busfahrer verursacht später schweren Unfall viele Unbeteiligte verletzt bei Einschätzung Sequenz-Effekt Einfluss gerade zuvor beurteilter Diagnostikanden auf das gegenwärtige Urteil Guthkes Lieblingsbeispiel: eine Leipziger Veterinärmedizinerprüfung (soll wirklich passiert sein) Prüfer hat total unfähigen Prüfling, schickt ihn verärgert mit einer Fünf nach Hause unmittelbar danach: anderer Prüfling, der noch dümmer ist Prüfer winkt den nach Hause gehenden ersten Prüfling durch das Fenster zurück mit den Worten: «Müller, kommen Sie nochmal hoch. Sie bekommen eine Vier – hier ist jemand noch dümmer als Sie!» Kontrast-Effekt wie Sequenz-Effekt, aber das Urteil verschiebt sich, weil vorherige Diagnostikanden gegenteilige Eigenschaften aufwiesen Bsp.: ein und derselbe schlechte Prüfling wird noch schlechter bewertet, wenn vor ihm eine Reihe sehr guter Prüflinge absolvierte Projektions-Effekt Begriff aus Psychoanalyse: eigene schlechte Eigenschaften werden auf andere projiziert Bsp.: Geiziger sieht sich nur von Geizigen umgeben besonders bei projektiven Tests Bsp.: Psychologen werten Zeichnungen mit aggressiven Elementen aus zuvor: Psychologen auf Aggressivität untersucht Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 5 Ergebnis: Aggressivste deuteten am aggressivsten Vorurteils-Effekt Bezugssystem- bzw. Anker-Effekt vgl. HELSON: adaptation level beim Urteil gehen im Laufe des Lebens bei Vorerfahrung mit dem Gegenstand erworbene Ankerreize mit ein Bsp.: Kind soll von 2 Psychologen auf Intelligenz und Begabung eingeschätzt werden Psychologe A: arbeitet in Heim für geistig Behinderte; Psychologe B bei der Hochbegabtenauswahl Urteile: Kind Intelligenz B A man sollte normierte Tests verwenden Übertragungseffekt auch aus Psychoanalyse: Pt. überträgt Gefühle gegenüber anderen Personen (z. B. Vaterangst) auf Therapeuten tritt nicht nur in Therapie auf man findet z. B. jemanden auf Anhieb sympathisch oder unsympathisch, ohne zu merken, dass er einen an jemand anders erinnert beim Diagnoseprozess sich immer ersten Eindruck bewusst machen, sonst hat dieser Einfluss auf gesamte Diagnose Bsp. aus Guthkes Praxisleben: Guthke wird Junge vorgestellt, der lange guter und unauffälliger Schüler war, aber bei Klassenübernahme durch neue Lehrerin plötzlich extrem auffällig wird Verhalten bleibt trotz vieler Tests und Gespräche ungeklärt Hintergrundgeschichte: Heimkind, schwerer Missbrauch seitens der Mutter Guthke bestellt sich Mutter es «fiel mir wie Schuppen von den Augen»: totale Ähnlichkeit mit Lehrerin Unangemessene Kausalattribuierungen vgl. Attributionstheorien (z. B. Kelley, Heider etc.) Beurteilung anderer Menschen: Gefahr des «fundamentalen Attributionsfehlers» (ROSS) groß (Personenattributionen) Eigenbeurteilung: zumeist (v. a. bei Misserfolg): situative Attributionen {GBS2 S. 12-18; SADER, M. (1980). Psychologie der Persönlichkeit. München: Juventa, S. 99-118} vgl. auch ROSENTHAL-Effekt und Experiment von ROSENHAN 1. Was ist Psychodiagnostik? a) Gegenstand Verhältnis Subjekt1 Subjekt2 Nachteile: gesamte psychologische Diagnostik ist Gefahr großer Irrtümer ausgesetzt (im Gegensatz z. B. zur Diagnose eines Autos beim TÜV) Patient kann Ergebnisse bewusst verfälschen v. a. wichtigstes therapeutischdiagnostisches Verfahren, Gespräch, hochgradig subjektiv Vorteile: Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 6 Auto beim TÜV kann nicht reden, aber Mensch als relfexives Wesen kann Selbstauskunft geben große Hilfe für Diagnostiker vgl. KELLYs Konzept der persönlichen Konstrukte Definitionen der Psychodiagnostik: Von einer Allgemeinen Diagnostik – und im psychologiebezogenen Sinne von einer Allgemeinen Psychodiagnostik – wird dann gesprochen, wenn der im Wechselwirkungsverhältnis von Diagnostiker (Psychologe, Lehrer, Techniker), Differentieller Methodik (Test, Fragebogen, Stethoskop, Polygraph, Amperemeter) und Diagnostikand (Patient, Bewerber, Schüler) ablaufende, diagnosezielbestimmte und randbedingungsabhängige diagnostische Urteilsprozess den Untersuchungs-, Darstellungsund Applikationsgegenstand bildet (vgl. GBS). Psychologische Diagnostik ist eine wissenschaftliche Disziplin. Ihre Funktion besteht darin, eine Methodologie zu entwickeln und anzuwenden. Die Methodologie wird aufgefasst als das Insgesamt von Regeln, Anleitungen, Algorithmen etc. zur Bereitstellung von Instrumenten. Sie dient sowohl der Gewinnung psychologisch relevanter Charakteristika von Merkmalsträgern als auch der Integration gegebener Daten zu einem Urteil. Außerdem wird sie eingesetzt zur Vorbereitung und Evaluation von Entscheidungen. Als Merkmalsträger gelten Einzelpersonen und Personengruppen, Institutionen, Situationen, Gegenstände etc.. Die Methodologie kommt in der praktischen Tätigkeit beim Diagnostizieren und Prognostizieren zum Tragen (nach JÄGER ist Guthke aber zu weit gefasst...). Psychodiagnostik ist die Lehre über die Theorie, Methodologie, Methodik und Anwendung psychologischer Verfahren zur Erfassung der psychischen Eigenschaften, Zustände und Beziehungen von Individuen, Dyaden und Gruppen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit, Entwicklung und Bedingtheit. Gegenstand der Psychodiagnostik ist die Bedingungsstruktur des individuellen bzw. gruppenspezifischen Person-Umwelt-Systems (Guthke wichtig!). interindividuelle Varianzen sind nicht ausreichend als Gegenstand der PD: «Was nützt es, wenn man ein Auto zur Werkstatt bringt und der Prüfer nur sagt: ‚Ihr Auto hat einen Verkehrstüchtigkeitskoeffizienten von .85‘, ohne die Angabe von Details...» heute: PD nicht nur Personen-, sondern auch Umweltdiagnostik (Defekte werden nicht beim verhaltensauffälligen Kind allein gesucht) b) Begriff der Diagnose kommt aus Medizin: Zuordnung eines Patienten zu einer Krankheit (zu nosologischer Einheit) «nosologisch orientierte Diagnostik», z. B. ICD 10, DSM IV aber: vorwiegend Symptomkatalog, deskriptiv nicht gesamte Diagnostik lässt sich so beschreiben (z. B. Berufseignung, Schultyp etc.) Versuch, Menschen als einmaliges Individuum zu begreifen (kein Schubladendenken) Eine Diagnose in der Psychologie ist eine normativ wertbezogene und entweder individuumoder gruppenbezogene Aussage eines Diagnostikers über einen Diagnostikanden (oder eine Gruppe von Diagnostikanden) als Ergebnis eines diagnostischen Urteilsprozesses. (nach Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 7 Guthke) 21. 10. 1999 c) Methodentheoretische Taxonomie von Diagnoseformen Normbezug Zielbezug Erklärungsebenenbezug Zeitbezug Dimensionsbezug Ipsativnormative Diagnose Selektive Diagnose Deskriptive Diagnose Aktuelle Diagnose Monodimensionale Diagnose Gruppennormative Diagnose Klassifikative Diagnose Konditionale Diagnose Prognostische Diagnose Multidimensionale Diagnose Populationsnormative Diagnose Placierende Diagnose Kausale Diagnose Retrognostische (retrodiktive) Diagnose Erklärungen: Normbezug Ipsativnormative Diagnose Maßstab ist das Individuum selbst oder seine Veränderung Bsp.: Q-Sort-Technik STEPHENSON (1953): Vpn erhalten Stapel von Gruppennormative Diagnose Maßstab sind Mittelwert und Standardabweichung der Gruppe Bsp.: TMS («Medizinertest») x und s an jedem Jahrgang festgestellt, dann n% Beste ausgewählt «cut-off-Wert»: Mindestwert, der erfüllt sein muss (z. B. bei Bewerbungen zur Ausbildung zum Piloten: wird der Wert unterschritten, ist eine Aufnahme unmöglich, selbst, wenn es kaum Bewerber gibt) heißt auch kriteriumsortientierte Diagnose v. a. in USA sehr weit verbreitet, z. B. SAT (School Aptitude Test): Schulleistungs- + Intelligenztest; muss bei jeder Uni-Bewerbung absolviert werden (bei guten Unis: höherer cut-off-Wert) Maßstab ist repräsentative Eich-Stichprobe aus Gesamtbevölkerung (also nicht nur betimmte Gruppe) Mittelwert und Standardabweichung an dieser Stichprobe festgestellt fast alle Persönlichkeits- oder Intelligenztests sind solche Verfahren Populationsnormative Diagnose i. d. R. 100 Karten mit Aussagen über Eigenschaften (z. B. «ist ängstlich»); Karten müssen in Kategorien eingeordnet werden von «sehr charakteristisch für mich» bis «nicht charakteristisch für mich»; NV kann verlangt werden (z. B. 8 Stapel: 2-4-8-11-16-18-16-11-8-4-2 Karten je Stapel); auf diese Weise Real- und Idealselbst gemessen und korreliert nach Therapie sollte Korrelation gestiegen sein Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 8 Zielbezug Selektive Diagnose Klassifikative Diagnose Placierende Diagnose bestimmte Auswahlstrategie (z. B. «geeignet für Studium oder nicht?») Zuordnung zu bestimmten Treatments (hier: jede Maßnahme, die auf Diagnose folgt, z. B. Einschulung in bestimmten Schultyp) typisch in Berufsberatung: Zuordnung zu Berufskategorien klinische Psychologie: Zuordnung zu Krankheitsbildern lt. Guthke problematischer Begriff, ist nur auf Insistieren seines Mitautors Sprung in sein Buch gekommen (also besser nicht lernen) wie klassifikativ, aber auf mehr als einem Diagnosebereich z. B. Lehrerberuf: Diagnostikand hat ausreichenden IQ, aber hat ungünstige Werte bei Persönlichkeitstests trotz Bestehens des Bereichs Intelligenz fällt die Diagnose negativ aus Erklärungsebenenbezug Deskriptive Diagnose Konditionale Diagnose Kausale Diagnose wird eher selten angewandt reine Beschreibung eines Zustandes, den man gegenwärtig vorfindet Bsp.: «Wie ist im Moment die Intelligenz des Probanden?» (= status praesent) Nachweis des Bedingungsgefüges für den status praesent Bsp.: «Welche Lebensbereiche verursachen Depression?» kaum in Psychologie anwendbar, eher in Medizin eine Ursache eine Wirkung meist allerdings viele Ursachen: U1 U2 Wirkung U3 evtl. im Einzelfall brauchbar, z. B. wenn Patient mit hohem Blutdruck nur bei Präsentation ganz bestimmter Bilder hohe Blutdrucksteigerung hat Bsp. für fälschliche Anwendung in Psychologie: Patient bekommt Asthma-Anfälle immer dann, wenn er Bild der Schwiegermutter in seinem Zimmer sieht; aber: in Bild war bestimmter chemischer Stoff, der Anfälle auslöste ( psychologische Fehldiagnose – Schwiegermutter war unschuldig – , aber medizinisch korrekte kausale Diagnose) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 9 Zeitbezug Aktuelle Diagnose Prognostische Diagnose Retrognostische (retrodiktive) Diagnose Feststellung, die sich auf gegenwärtigen Zustand bezieht Bsp.: «Wie ist der Zustand des Patienten jetzt nach der Operation?» Vorhersage Bsp.: Schullaufbahn- oder Therapiechancendiagnose Bezug auf Vergangenheit wichtig in Psychoanalyse Bsp.: «Welche(s) zurückliegende Ereignis(se) ist (/sind) verantwortlich für das plötzliche Schulversagen des Kindes?» Dimensionsbezug Monodimensionale Diagnose Multidimensionale Diagnose nur eine Dimension berücksichtigt mehrere Dimensionen berücksichtigt Bsp.: Schulversagen, weil schlechtes Elternhaus + hirnorganischer Defekt + traumatische Erlebnisse mit Mitschülern etc. wichtig für Prüfung: nicht das Schema auswendig lernen, sondern einzelne Diagnoseformen an Hand guter Beispiele erklären können! Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 10 d) Praktische Aufgaben der Diagnostik wirtschaftliche Rahmenbedingungen Technische Rahmenbedingungen Exploration Differenzielle Sozial- Interview Methoden Befragung Fragebogen Grundlagen Motivations- Psychologische Kognitions- Diagnostik Sprach- Testverfahren Entwicklungs- Verhaltensbeobachtung A & O Forensische Pädagogische Klinische Anwendungen kulturelle Rahmenbedingungen Soziale Rahmenbedingungen Abb.: Das diagnostische Dreieck (nach HOSSIEP & WOTTAWA, 1993, S. 132) muss man für Prüfung nur sehr grob wissen e) Anwendungsfelder der Psychodiagnostik in der Medizinischen Psychologie Traditionelle Aufgaben: 1. Psychiatrie 2. Neurologie Beginn der Diagnostik (Diagnostiker fast Testknecht des Psychiaters) Psychosen- und Neurosendiagnose z. B. bei Demenz: lt. WHO muss hier zusätzlich zum neurologischen ein psychologischer Befund vorliegen allgemein: wenig Korrelation zwischen neurologischmedizinischem und psychologischem Befund (Menschen mit schweren Läsionen können fast normal erscheinen, während andere mit leichten bereits schwer gestört sind) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 11 3. Kinderpsychiatrie Diagnose bei Lernund Erziehungsschwierigkeiten; / Erziehungsberatg. Schullaufbahnberatung 4. Psychotherapie Indikations-, Verlaufs- und Effizienzdiagnostik einer Therapie Indikationsdiagnostik: Ist Patient überhaupt für Therapie geeignet? Neue Aufgaben: Diagnose der 1. Persönlichkeitsstruktur und Umweltbelastung psychosomatisch erkrankter Menschen 2. psychischen Auswirkungen körperlicher Erkrankungen und Unfälle «psychosomatische Ursachenforschung» z. B. psychische Folgen, wenn Patient am Tropf hängt oder: Persönlichkeitsveränderungen durch dauerhaften Schmerz 3. Arzt-Schwestern-Patient-Beziehung Bsp.: Schwester sagt zum Patienten: «Was hat und des Krankenhausmilieus denn der Doktor da wieder für einen Mist gemacht?!» Vertrauensverhältnis gestört Untersuchung von Psychologen in verschiedenen Stationen eines Krankenhauses: «Stationsmilieu» hatte großen Einfluss auf Genesung der Patienten 4. präoperativen psychosozialen Suche nach Antwort auf die Frage: «Wie kann Situationen von postoperativen man Patienten unmittelbar zuvor am besten psychischen Folgen auf die Operation vorbereiten?» 5. Bewältigungsstile (Coping-Forschung) Wie werden Menschen mit ihren Krankheiten fertig? 6. gesundheitsrelevanter z. B. Einstellung zum Rauchen Verhaltensweisen Folie: Definition von Aufgaben der pädagogisch-psychologischen Diagnostik und Folie: Abb. 12.1: Bestimmungsschema ... (Kanter, 1980, S. 58) fehlen bisher, sollen im Januar nachgereicht werden... Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 12 21. 10. 1999 f) Arten der Diagnostik nach Amelang und Zielinski, 1993 (ergänzt durch den Verfasser) Arten der Diagnostik ABO- und Pädagogische institutionell individuell häufig häufig Selektionsdiagnostik Personenselektion Bedingungsselektion Klinische Modifikationsdiagnostik Verhaltensmodifikation Bedingungsmodifikation Begriffsklärungen: Personenselektion Konkurrenzauslese in der Bewerberauswahl Bedingungsselektion Verhaltensmodifikation Bedingungsmodifikation z. B. Aufnahmeprüfung an Hochbegabtenschulen = Eignungs- oder Placierungsdiagnostik, klassifikative Diagnostik Auswahl von Bedingungen, unter denen Personen mit bestimmten Eigenschaften erfolgreich sind z. B. Zuordnung von Tätigkeiten für Rehabilitanten, aber auch Berufsberatung im Arbeitsamt Welche spezifischen Verhaltensweisen einer Person (z. B. Ängstlichkeit) müssen geändert werden? Welche externen Bedinungen (z. B. Familie) müssen geändert werden, um ein bestimmtes Problemverhalten abzustellen? g) Wichtige Themen der Psychologischen Diagnostik Fahreignungsdiagnostik (TÜV) Rehabilitations- und Behindertendiagnostik Diagnostik in Psychiatrischen Kliniken Berufswahlunterstützende Diagnostik (Arbeitsamt) Auswahl von Führungskräften Auswahl von Mitarbeitern Auswahl von Azubis Flugeignungsuntersuchungen (z. B. Lufthansa, Bundeswehr) Diagnostik im pädagogischen Bereich (z. B. Sonderschulzuweisung) Hochschulzulassung (z. B. Medizinstudium) Zuweisung militärischer Funktionen (Wehreignung) Kriminalpsychologische / Forensische Psychologie (z. B. Glaubwürdigkeitsforschung) Erziehungsberatung Therapievorbereitung und –nachbereitung {WOTTAWA & HOSSIEP, 1997, S. 5} Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 2. 13 Einiges zur Geschichte der Psychodiagnostik a) Vorläufer vgl. Vorlesung Einführung in die Psychologie: Sphinx stellt Ödipus das Rätsel, welches Wesen morgens auf vier, mittags auf zwei, abends auf drei Beinen läuft (Lösung: der Mensch als Kleinkind krabbeln, als Erwachsener auf zwei Beinen, als Greis auf zwei Beinen und Krückstock) im alten China: Massentests, um geeignete Kandidaten für Mandarin-Ausbildung zu finden sequentielle Tests: zuerst breite Masse in allen Bezirken, dann Beste aus jedem Bezirk, dann Beste der Besten... Initiationsriten als Vorläufer von Tests Menschheit schon immer daran interessiert, Geeignete für Führungspositionen auszuwählen b) Geschichte der wissenschaftlichen Diagnostik «mental tests» Wurzel dafür im Labor von WUNDT (abgeleitet aus Experimenten der allgemeinen Psychologie) Francis GALTON: Buch «Anthropometric Laboratory» mental tests beim Menschen; Beschreibung von Versuchen (damals mussten wohlgemerkt die Vpn noch Geld bezahlen...) Grundlage: Idee des Sensualismus «Es kann nichts im Verstand sein, was nicht vorher in den Sinnen war.» je besser die Sinne und deren corticale Repräsentationen, desto höher Intelligenz aus jener Zeit Begriff «Schwachsinn» James MCKEEN CATTELL: Schüler von WUNDT (Wahrnehmungsschwellen) und GALTON (differenzialpsychologische Fragestellungen) testet High-School-Absolventen mit GALTONs mental tests, um Berufs- und Studienerfolg vorherzusagen erleidet fürchterlich Schiffbruch: Nullkorrelationen WUNDT übrigens in Streit mit MCKEEN CATTELL: lehnt Übertragung seiner Experimente auf derartige Fragestellungen kategorisch ab heute: Renaissance des Konzeptes durch mental speed «cognitive tests» [von mir gewählte klassifikatorische Bezeichnung. T. E.] bereits im 19. Jahrhundert: psychiatrische Untersuchungen zur PatientenIntelligenzdiagnostik Vertreter: ITARD, SEQUIN, RIEGER Beispiel: Formbretter mit ausgestanzten geometrischen Figuren (z. B. ) mussten in Löcher eingepasst werden (wird noch heute angewandt) BINET, SIMON: führen diese Gedanken weiter keine mental tests, sondern komplexe Fragestellungen zur Intelligenzmessung ( Konzept des IQ) EBBINGHAUS erhält in Breslau vom Schulamt den Auftrag herauszufinden, ob Nachmittagsunterricht schlechter wirkt als Vormittagsunterricht verwendet Lückentext; Lücken mussten semantisch sinnvoll ergänzt werden KRAEPELIN, OEHRN: «Arbeitsversuch» Untersuchung der Arbeitsfähigkeit von Patienten; auch: Wirkung von Tee und Kaffee auf Leistungsfähigkeit Blatt mit Zahlen präsentiert, mussten in zwanzig Blöcken zu je drei Minuten eine Stunde lang addiert werden Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 14 individuelle Kurvenverläufe sollen Rückschlüsse auf Charakter erlauben 4 3 5 1 6 2 3 ... 1 2 3 ... 20 weitere Ansätze C. G. JUNG + Max WERTHEIMER Assoziationsexperimente Wort wird vorgegeben, dazu so schnell wie möglich Assoziation finden erhoben: Latenz der Reaktion und Ungewöhnlichkeit der Assoziation (z. B. «Vater» präsentiert «Zensuren» genannt: ungewöhnlich weitere Analyse) WERTHEIMER: auch Anwendung in forensischer Psychologie (Glaubwürdigkeit von Zeugen) RORSCHACH (1921): Wahrnehmungsdiagnostische Experimente mit Tintenklecksen (angeregt übrigens von Leonardo DA VINCI) Ziel: Feststellung schizophrener Neigungen, später auch Gesamtpersönlichkeitstests (nach Meinung von RORSCHACH): Intelligenz, Angstneigung, Extra- und Introversion etc. in Europa kaum noch angewandt, in USA aber recht häufig c) Militärische Untersuchungen 1917 anlässlich des Eintritts der USA in den Ersten Weltkrieg: army-alpha-test, armybeta-test (vgl. Entwicklungspsychologie) daraus fast alle modernen Intelligenztests hervorgegangen WOODWORTH (1917): sollte für Elitekorps der army psychisch Stabilste durch Tests auswählen verwendet heute noch gängige Methode: verschiedene Items an Patienten und Normalpersonen erhoben Unterschiede in Patienten und Normalpersonen erhoben wenn diese besonders groß: Items in Fragebogen aufgenommen Walter MOEDE (1917): «Kraftfahrzeugprüfungsstand» für die deutsche Wehrmacht Geräte, an denen motorische Reaktionen getestet wurden d) Standardisierte vs. qualitative Verfahren: eine klassische Kontroverse Fallbeispiel aus der jüngeren Geschichte: 1981 Attentat auf Präsident Ronald REAGAN Attentäter HICKLEY: vier Tage zuvor beim Psychotherapeuten Frage vor Gericht: Einlieferung in Psychiatrie oder elektrischer Stuhl? qualitativ arbeitende (analytische) standardisiert arbeitende Psychiater Psychiater zumeist ältere zumeist jüngere diagnostizierten auf Grund von wandten DSM an Lebensgeschichte etc. Schizophrenie Urteil des Gerichts keine Schizophrenie Urteil der allgemeinen Öffentlichkeit Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 15 nach Gerichtsurteil große Diskussionen; Forschungsgelder für psychodynamisch orientierte Psychologen eingefroren in USA damals doppelt soviele Schizophreniefälle diagnostiziert wie in Europa (wegen qualitativer Diagnostik) heute: fast nur noch nosologische Diagnostik (DSM IV, ICD 10) anderer Beleg gegen qualitative Diagnostik: ROSENHAN-Experiment aber (Guthke): der Mensch muss auch als Individuum betrachtet werden auch qualitative Ansätze einbeziehen bereits historische Kontroverse: nomothetisches vs. idiographisches Vorgehen William STERN: man braucht beides; was mehr nötig ist, hängt von Fragestellung ab Geschichte der Anti-Test-Bewegung: 20-er Jahre: «irrationalistische Philosophie» («der Mensch muss über das Gefühl verstanden werden») Verstandesfeindlichkeit die meisten ultra-linken und ultra-rechten Gruppierungen lehnen Tests ab Kritische Psychologie (HOLZKAMP): streicht zunächst alles Experimentelle (HOLZKAMP revidiert dies allerdings später) Nazis: gegen Tests («analytisch jüdisch rationalistisches Denken») Beobachtungsseminare eingeführt (Vorläufer der Assessment-Centers) SU: bis 1936 viele Tests 1936: Pädologiebeschluss gar keine Tests mehr erlaubt anderes Extrem: EYSENCK «Wege und Abwege der Psychologie»: alles Nichtexperimentelle ist unwissenschaftlich (aber: genauso überzogene Einstellung) heute: Synthese z. B. Schuleignung quantitativ, klinische Diagnose oft qualitativ (Exploration) auch in Eignungsdiagnose heute auch vereinzelt qualitative Ansätze klassische Methodik der Eignungsdiagnose: «Psychotechnik» (streng quantitativ, 20er und 30-er Jahre) (Begriff taucht schon bei Stern auf, aber anders definiert) Psychotechnik in Wehrmachtsdiagnostik nicht ausreichend «Stress-Interview» (heute noch gebräuchlich): Bewerber unter großen Stress gesetzt 1942 Wehrmachtsdiagnostik aufgelöst (Neffe von Göring war als untauglich für Offizierslaufbahn befunden worden) dominant in 20-er und 30-er Jahren: Ausdruckspsychologie, auch Graphologie nach 2. Weltkrieg beides verbannt aus Ausbildung Dominanz der amerikanischen Psychologie heute: Renaissance, z. B. nonverbale Kommunikation {GBS1, S. 23ff., Jäger & Petermann, S. 1 bis 21} Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 16 10. November 1999 Vertretung wegen Erkrankung Guthkes durch Philipp Yorck Herzberg Thematischer Einschub: Psychodiagnostische Gesprächsführung Einteilung: Gespräch psychodiagnostisches Gespräch Anamnese Exploration Eigen-, Fremdanamnese etc. Beratungsgespräch Interview Stressinterview, Gruppeninterview, kognitives Interview etc. diagnostisches Gespräch essentiell für die Arbeit eines Psychologen diagnostisches Gespräch therapeutisches Gespräch; vielmehr: Gespräch vor der eigentlichen Intervention A) Anamnese geschichtlich gesehen alter Begriff: PLATON «Wiedererinnern der Seele» medizinisch: Datensammlung, die zur Diagnose führt beinhaltet: Prozess der Datenerhebung Daten selbst Krankheitsgeschichte im Ganzen Eigenanamnese = subjektive Anamnese; Fremdanamnese = objektive Anamnese in Literatur oft sehr unterschiedliche Definitionen Definition nach SCHMIDT und KEßLER (1976): Sammlung, Systematisierung und diagnostische Verarbeitung zum biographischen Hintergrund zu gegenwärtigen und früheren körperlichen Zuständen sowie Verhaltensweisen und Erlebnissen eines Individuums in seinem sozialen Umfeld zu den verursachenden, auslösenden, aufrechterhaltenden und beitragenden Bedingungen zu prognostischen Entscheidungen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 17 B) Exploration Definition nach UNDEUTSCH (1983) = die mit psychologischer Sachkunde vorgenommene, nicht-standardisierte mündliche Befragung eines einzelnen Menschen durch einen einzelnen Gesprächsführer mit dem Ziel, Aufschluss zu erhalten über das Individuum und seine Welt. unterteilt man die Anamnese in Datenerhebung, Systematisierung und Weiterverarbeitung bzw. Interpretation, so ist die Exploration der Prozess der Datenerhebung C) Interview Definition nach KEßLER (1995) = eine zielgerichtete mündliche Kommunikation zwischen einem oder mehreren Befragten, wobei eine Informationssammlung über das Verhalten und Erleben der zu befragenden PersonEn im Vordergrund steht. Einteilung nach Standardisierung: Reaktionen (Antworten) Reize (Fragen) standardisiert unstandardisiert standardisiert standardisiertes Gespräch halbstandardisiertes Gespräch unstandardisiert halbstandardisiertes Gespräch unstandardisiertes Gespräch a) standardisiertes Gespräch Fragen vorgegeben Antworten vorgegeben (meist ja/nein-Kategorien) Vorteil: Fehlerkontrolle Nachteil: subjektiver Lebensraum des Probanden vernachlässigt für Einzelfallanalyse ungeeignet oft Persönlichkeitsfragebögen bevorzugt vor standardisierten Gesprächen, aber jene nicht immer möglich (z. B. bei Kindern oder geistig Behinderten) Gespräch nötig Bsp. für standardisietes Interview: MDCL = Münchner Diagnostische Checkliste (HILLER et al. 1990) b) unstandardisiertes Gespräch Inhalt und Reihenfolge der Fragen und Antworten offen Vorteil: individuell auf Patienten eingehen Nachteile: keine Vergleichbarkeit zweier Gespräche eventuell Vergessen wichtiger Fragen entscheidend: Schulung des Interviewers Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 18 c) halbstandardisiertes Gespräch Mischung aus a) und b) Anwendung der Verfahren: die unterschiedlich standardisierten Verfahren schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich: i. d. R. soll Patient erst frei erzählen, sich später halb- bis vollständig standardisierten Gesprächen unterziehen stets Antworten des Patienten hinterfragen: «ja» und «nein» können je nach Verfassung des Patienten mehr oder weniger strikt zu verstehen sein bzw. auch völlig unzutreffend Anwendung von Leitfäden: Vorteile: für Psychologen aller Schulen anwendbar, da ausschließlich deskriptiv valide und reliabel Nachteile: erfahrene Psychologen sehen dies als Einschränkung («haben wir doch nicht nötig!») Interviewleitfäden haben lange Geschichte: z. B. im Mittelalter Leitfäden zur Befragung von Hexen Ziele und Funktionen der Exploration Primärziel: Diagnostische Funktion a) Orientierungsfunktion für Diagnostik b) Exploration als Mittel der Persönlichkeitsuntersuchung Ziel von psychologischer Schule bestimmt (z. B. in Psychoanalyse bereits Beginn des therapeutischen Prozesses, in Verhaltenstherapie dagegen anfangs total abgelehnt, später aber wichtige Beiträge) Sekundärziele: motivierende Funktion Möglichkeit der Kontaktherstellung, Schaffung einer angstfreien Atmosphäre therapeutische Funktion = kathartische Funktion (?): Patient wird zur Selbstreflexion angeregt, muss Erfahrung machen, dass er ernstgenommen wird nicht gleich Ratschläge: erst Zuhören Anwendung der Exploration in allen psychologischen Teilbereichen z. B. Klinische Psychologie, Fahreignungsprüfung, Zeugenbeurteilung, Beratung, ... Rahmenbedingungen: ungestört (kein klingelndes Telefon, keine unerwarteten Besucher) 45°-Winkel 1 bis 2 m Abstand maximal 60 bis 90 Minuten Dauer Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 19 Inhalt: umstritten, je nach Schule Mindestbestandteile: Personalien Anlass des Kommens (z. B. ob freiwillig oder geschickt) Art und Ausmaß der Beschwerden Häufigkeit und Form des Auftretens Entwicklung und Verlauf Beeinträchtigung bisherige Maßnahmen und Bewältigungsversuche weitere gegenwärtige Beschwerden, Gesundheitszustand Noxen: Rauchen, Alkohol, Drogen, Medikamente soziale Anamnese Familienstruktur Wohnverhältnisse Arbeitsplatz wirtschaftliche Verhältnisse allgemeine Entwicklung Geburt Kindheit und Jugend Ausbildung Selbstbild Werte und Normen Konfliktverhalten Selbstkontrolle und Problemlösefähigkeit Interesse und Fähigkeiten kritische Lebensereignisse Ressourcen (z. B. andere stützende Personen) Therapieerwartungen / Fragen an Therapeuten Eröffnung, Verlauf und Auswertung der Exploration Eröffnung: Begrüßung des Patienten und Vorstellung mit Beruf und Namen Zweck und Erwartung der Exploration schildern, damit Patient nicht enttäuscht ist, dass «nur ein Gespräch» geführt wird Verlauf: günstig: Mitschriften oder Tonband (aber: Patient muss einverstanden sein) «Eisbrecherfragen», z. B. «Wie war die Herfahrt» Patient in ein Gespräch bringen Ende der Exploration: nicht abrupt abbrechen, sondern mindestens 10 Minuten zuvor auf das nahende Ende verweisen (teilweise beginnt der Patient erst dann mit seinem eigentlichen Thema) zum Schluss Zusammenfassung geben und Stellung beziehen, über weiteres Vorgehen informieren Terminangebot machen Auwertung: (4 Möglichkeiten) a) Sofortprotokoll b) Gedächtnisprotokoll Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 20 c) Protokollierung durch Dritte (z. B. hinter Einwegscheibe), ist aber unüblich in klinischer Psychologie (eher: Verhör) d) Tonband und Video sinnvoll: nach Gespräch 3 bis 4 Minuten nachdenken und Wichtiges notieren Arten von Fragen in Exploration und ihre Verwendung Funktionale Fragen steuern größere Einheiten des Gesprächs a) Kontakt- oder Einleitungsfragen (= «Eisbrecherfragen») b) Übergangsfragen führen von einem Thema zum nächsten wichtig bei Vielrednern c) Kontrollfragen Unklarheiten ansprechen, vermeintliche Widersprüche klären tatsächliche Widersprüche sichtbar machen aber: stets feinfühlig (nich Macht gegenüber Patienten ausspielen) Formale Fragen einzelne Bereiche des Gesprächs legen fest, wie der Befragte antworten soll Möglichkeit der Einteilung: a) offene Fragen Antwortkategorie nicht vorgegeben günstig am Anfang des Gesprächs oder bei Einführung eines neuen Themas b) geschlossene Fragen Antwortkategorie festgelegt («ja» / «nein») typischer Verlauf des Gesprächs: offene Primärfrage Antwort Antwort ausreichend? nein offene Nachfrage ja Antwort ausreichend? nein ja Zusammenfassung geschlossene Nachfrage Themenwechsel Unterscheidung zwischen Informationsfragen und Selektionsfragen (aus zwei oder mehreren Antworten auswählen, z. B. «Fällt es Ihnen leichter, mit Männern oder mit Frauen zu sprechen?») weitere Unterteilung: a) direkte Fragen benennen unmittelbar Gegenstand, auf den sie zielen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 21 b) indirekte Fragen zielen verdeckt auf Gegenstand hin Bsp.: Statt «Was sind Ihre Hobbies?» «Was haben Sie am Wochenende denn so gemacht?» nur bei Sachverhalten, über die Patient nicht offen spricht, dass heißt, wenn Antworthemmung zu erwarten ist Nachteil: Generalisierung erschwert c) Sugestivfragen «Meinen Sie nicht auch, dass...?» verletzen Neutralität nur, wenn Patient sehr starke Abwehr bei bestimmtem Thema zeigt Einige Tips für die Exploration: Explortion Frage-Antwort-Spiel, sonst fühlt sich Patient wie beim Verhör gleiche Sprachebene wie Patient kurze, knappe Sätze; keine doppelte Verneinung an Erfahrungen des Patienten anknüpfen nicht nach «vernünftigen Gründen» fragen viele «Warum?»-Fragen bringen Patienten in Rechtfertigungsdruck Einzeltechniken der Gesprächsführung «Wer fragt, der führt.» verbale Bekräftigung (Echo), keine Bewertung Paraphrasieren (umformulierendes Wiederholen der Hauptaussagegehalte des Patienten) Verbalisieren: in Botschaft mitschwingendes Gefühl zum Ausdruck bringen nonverbale Sprache, z. B. sich Patienten zuwenden Aktives Zuhören erfodert richtige Einstellung richtiges Verhalten «Du bist im Augenblick der wichtigste Gesprächspartner für mich.» volle Aufmerksamkeit keine Ergänzungen intrapersonelles Verhalten vorsichtige Interpretation typische Fehler: Dirigieren, Debattieren, Dogmatisieren etc. paraphrasieren interpersonelles Verhalten verbalisieren Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 22 Proband wird zu oft unterbrochen Thema vorzeitig abgebrochen zu frühe Hypothesenprüfung (d. h. nur noch Fragen stellen, die Hypothese stützen) eigene Unsicherheit ausstrahlen Schwierige Situationen: langes Schweigen des Patienten Weinen des Patienten Reaktionen auf private Fragen des Patienten Gütekriterien der Exploration: Reliabilität der Auskünfte: globale zuverlässiger als Einzelaussagen Auskünfte über Gegenwart zuverlässiger als über Vergangenheit qualitative Angaben zuverlässiger als quantitative Validität: hängt von Schulung des Interviewers ab bei verschiedenen Vergleichsstudien teilweise gering, liegt aber daran, dass zwischen verschiedenen Interviewarten nicht genügend differenziert wird EYSENCK Exploration vollkommen unzuverlässig ALLPORT u. a. Exploration via regia der Psychologie Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 3. Die Verflechtung der PD mit den Anwendungsdisziplinen der Psychologie 23 anderen Grundlagen- und [ist durch Erkrankung Guthkes verlorengegangen, wird aber unter III.2 nachgeholt] 6. und 13. Januar 2000 4. Datenquellen, Datenarten und Datengewinnungsmethoden Kritik an Methoden der «natürlichen Menschenkenntnis» Was wir zur Verfügung haben: Verhalten des Menschen daraus, und nur daraus, kann auf Psychisches geschlossen werden dabei viele Fehlerquellen: Verhalten uneindeutig mit Psychischem verbunden (z. B. Fleiß eines Schülers kann unterschiedliche Ursachen haben, etwa Interesse am Fach oder für den Lehrer, aber auch aus Leistungsdruck) ebenso umgekehrt: ganz unterschiedliches Verhalten kann gleiche Ursache haben (z. B. ein Schüler reagiert aggressiv, ein anderer ängstlich beide sind intellektuell überfordert [nach EYSENCK sind dies die beiden Typen für Entstehung von Neurosen, also Extra- vs. Introversion]) Faustregel in Diagnostik: Ein Test ist kein Test! Versuche nie, auf Grund nur eines Verhaltensausschnittes Aussagen zu treffen. multimethodale, multimodale Diagnostik (z. B. auch physiologische Messungen) Datentaxonomie in der Psychodiagnostik Datenquellen: a) Die zu untersuchende Person oder Gruppe (Diagnostikand) b) Auskunfts- und Gewährspersonen (Eltern, Mitschüler etc.) c) Dokumente (Schulhefte, Hobby-Produkte, Tagebücher) d) Schriftliche Beurteilungen bzw. Berichte {vgl. GBS S. 36-49, JÄGER/PETERMANN, S. 345-350} Alternative Einteilung: a) Erlebensdaten (Selbstbericht) b) Verhaltensdaten (Beobachtung) c) physiologische Daten d) Fähigkeitsdaten {SEIDENSTÜCKER et al.} Datenarten: (a bis c nach CATTELL) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 24 a) Life-Daten (L) biografische Merkmale, die frei berichtet werden, vom Diagnostikanden selbst oder von Auskunftspersonen kann über Fragebögen geschehen («biografische Fragebögen») Bsp.: Frage an Pilotenanwärter, ob sie früher Flugzeuge gebastelt hätten (hat sich als sehr zuverlässig erwiesen) «Ich bin impulsiv.» L b) Questionaire-Daten (Q) Ergebnisse von schriftlichen Befragungen, z. B. über Interessen, Verhaltensweisen, Einstellungen (Persönlichkeits- und Interessentests etc.) hohe Werte in Impulsivitätsfragebogen Q c) Objektive Testdaten (T) Ergebnisse von Leistungs- und Intelligenztests, objektiven Persönlichkeitstests etc. viele Fehler in Konzentrationstest, Folgerung: Impulsivität T d) Nicht-reaktive Daten (NR) Ergänzung CATTELLs von WEBB und CAMPBELL Dokumente (s. o., Punkt c) entscheidendes Kriterium: müssen bereits vor der Diagnostik vorgelegen haben viele Flüchtigkeitsfehler in Klassenarbeit, Folgerung: Impulsivität NR Datengewinnungsmethoden: a) unter allgemein methodischem Aspekt Fremdbeobachtung / Selbstbeobachtung / Experiment (Test) Erhoben werden Urteile und Leistungen (aber nicht bei Deutungstests wie RORSCHACH: hier weder Urteile noch Leistungen) b) unter dem Aspekt des praktisch-diagnostischen Prozesses Erhebung der Vorgeschichte (Anamnese), v. a. L-Daten Diagnostisches Gespräch (Exploration) Untersuchung (Tests, Verhaltensbeobachtungen etc.) 5. Exploration, Verhaltensbeobachtung und Ausdrucksanalyse [Exploration: hat nach Guthkes Auffassung Herzberg vollständig abgedeckt (s. o.)] Verhaltensbeobachtung Definition: Verhaltensbeobachtung ist die auf das Verhalten einer oder mehrerer Menschen gerichtete, methodisch kontrollierte Wahrnehmung mit der Absicht, dadurch etwas über die Persönlichkeit der beobachteten Person bzw. über die sozialen Beziehungen innerhalb einer Personengruppe Charakteristisches zu erfahren. Formen: a) Selbst- vs. Fremdbeobachtung Probleme bei Selbstbeobachtung: Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 25 Beurteilungssubjekt = -objekt mit Beobachtung verändert man auch sein Verhalten (z. B. Tausendfüßler, der versucht zu beobachten, wie er mit seinen tausend Beinen laufen kann kann danach gar nicht mehr laufen) WUNDT: Selbstbeobachtung = via regia bestimmte Dinge kann man nur über Selbstbeobachtung herausfinden «subjektive Wahrheit» so, wie Pt. sich sieht, ist seine Wahrheit Probleme bei Fremdbeobachtung: Beobachtungsfehler (vgl. FAßNACHT, G.: Systematische Verhaltensbeobachtung, Ernst Reinhardt-Verlag München, 1995): Fehler, die auf das Objekt zurückzuführen sind (z. B. Vp-Effekt: Vpn. ändern durch Beobachtung ihr Verhalten) Fehler, die vom Untersucher stammen Stichprobenfehler b) Gelegenheits- vs. systematische Beobachtung Bsp. Gelgenheitsbeobachtung: Psychologe in Klinik sieht, dass Patient nach Therapie keinerlei Kontakte zu Mitptn. zeigt c) Dauer- vs. Kurzzeitbeobachtung Kurzzeitbeobachtungen können effektiver sein: lieber sechs mal zehn Minuten in verschiedenen Situationen beobachten als einmal eine Stunde in einer Sit. d) Teilnehmende vs. nicht teilnehmende Beobachtung teilnehmend: in natürlichem Lebensumfeld, z. B. Psychologe wohnt in beobachteter Familie mit in USA schon in 20-er Jahren: Psychologen in Street-Gangs eingeschleußt H. LEGEWIE in Berlin: zieht in Forschungsfreisemester in sozial niedriges Viertel veröffentlicht darüber Buch e) Begleitendes vs. selbständiges Verfahren in Protokollen unbedingt Verhalten des Pt. beim Test festhalten! z. B.: Übereinstimmung verbal – nonverbal? oder: Körpersprache in Ehe-Diagnostik Beispiele für direkte Beobachtungsverfahren: a) b) c) d) Sozialverhalten: Erfassung verbaler Interaktion in einer Gruppe nach BALES (s. u.) Lehrerverhalten: System nach FLANDERS Psychomotorisches Verhalten nach BARKEY: für hyperaktive Kinder Aufmerksamkeitsverhalten (HELMKE & RENKE)1: Kategoriensystem zur Beobachtung des Aufmerksamkeitsverhaltens von Kindern im Unterricht e) Psychische Auffälligkeiten: Direct Observation-Form der Child Behavior Checklist (BLIESNER & LÖSEL) wird Kategorien werden Beobachtern, Lehrern, Eltern und Kindern selbst vorgelegt, danach auf Übereinstimmungen und Unterschiede untersucht Untersuchung zur Übereinstimmung der Einschätzungen von Kindern und Eltern von KLIEME (1998): viele Gemeinsamkeiten, aber Unterschiede im Punkt «Psychische Probleme» werden von Kindern mehr eingeschätzt 1 HELMKE & RENKE: Münchner Aufmerksamkeitsinventar, Diagnostica 2, 1992, S. 120 – 142 Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 26 Beispiele für Rating- bzw. Schätzskalen: (werden nicht «on-line», sondern am Schreibtisch ausgefüllt) a) Kategoriensystem zum gesamten Schülerverhalten im Unterricht (KREPPER & WINTHER) b) Kinderbeobachtungsbogen nach ETTRICH c) Encephalopathie-Fragebogen nach MEYER-PROBST: Ziel Kinder mit minimalen Hirnschädigungen zu identifizieren; Rostocker Klinik unter MEYER-PROBST war der Meinung, 10% aller Kinder wären betroffen. Teilskalen des EF z. B.: Soziale Anpassung (11 Items): Unfug anstellen, Reizbarkeit, Trotz Emotionale Labilität (4 Items): Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Hypersensibilität Intelligenz (7 Items): ... Literatur zu Psychopathie-Fragebögen: PLIESENER & LÖSEL (Diagnostica 1993) generell zu Beobachtungsverfahren: MANNIS et al. (1987): Beobachtungsverfahren in der Leistungsdiagnostik. Verhaltensbeobachtung und Verhaltenstherapie: besondere Bedeutung der Verhaltensbeobachtung: in Verhaltenstherapie Verhaltensdiagnostik ist Grundlage derselben vgl. SCHULTE: Diagnostik in Verhaltenstherapie Verhaltenstherapeuten kritisieren herkömmliche Diagnostik SORK-Schema: Situation (z. B.: Wann tritt Erbrechen des Kindes auf? immer vor der Schule) Organismus (z. B. Disposition in der Familie) Reaktion (wie stark, wie schwach etc.) Konsequenzen (z. B.: Wie reagiert die Umgebung?) Die BALES-Analyse: z. B. bei Kindern: Kindergruppe bekommt Aufgabe, z. B. gemeinsam einen Turm zu bauen wird (heutzutage) per Video aufgezeichnet jedes Kind kann einzeln beobachtet werden Kategorien: A: Sozialemotionaler Bereich: positive Reaktionen B: Aufgabenbereich: Versuche der Beantwortung bzw. Lösung C: Aufgabenbereich: Fragen stellen D: Sozialemotionaler Bereich: negative Reaktionen ähnliches Verfahren: «Familienrorschach» nach WILLI Familie muss gemeinsam Rorschach-Bilder deuten, Verhalten der einzelnen Mitglieder wird beobachtet Verhaltensbeobachtung: Heute große Bedeutung in Assessment Centers. Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 27 Ausdrucksanalyse einige Literaturempfehlungen: LERSCH, P.: Gesicht und Seele. München, 1966 KIEZ, G.: Der Ausdrucksgehalt des menschlichen Ganges. Leipzig, 1956 ARNOLD, W.: Ausdrucksdiagnostische Verfahrensweisen. In: ARNOLD, W.: Diagnostisches Praktikum. Stuttgart, 1972. KIRCHHOFF, R. (Hrsg.): Ausdruckspsychologie. Handbuch der Psychologie. Band 5. Göttingen, 1972. EKMAN, P.: Gesichtsausdruck und Gefühl. Paderborn, 1988. FAST, J.: Körpersprache. Hamburg, 1972. DARWIN, C.: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen beim Menschen und bei den Thieren. Stuttgart, 1872. BÄNNINGER-HUBER, E. & SALISCH, M.: Die Untersuchung des mimischen Affektausdrucks in face to face Interaktion. Psychologische Rundschau, 2, 1994, 79 – 99 RUDERT, J.: Vom Ausdruck der Sprechstimme. In: Handbuch der Psychologie. 5. 1965 und 1972, 422 – 464. MOLCHO, S.: etliche Titel... Bedeutung des Ausdrucks: erster Eindruck von Menschen: Deutung seines Ausdrucks (Alltagsphänomen) natürliche Menschenkenntnis basiert vor allem auf Analyse der nonverbalen Kommunikation Formen des Ausdrucks: Mimik Gestik (insbesondere Hände) Pantomimik (Ausdruck des gesamten Körpers) Phonognomik (Stimme, Sprache) Physiognomik (habituelle Gesichtszüge) Graphologie Ausdrucksmerkmale situativer / aktueller Zustand (nonverbale Kommunikation) habituelle Merkmale (Deutung hier problematisch) am unkompliziertesten: Deutung des Ausdrucks von Kleinkindern Wie kommt es dazu, dass wir Ausdruck überhaupt verstehen können? nicht geklärt «Nachahmungstheorie» man nimmt Ausdruck des Anderen an und fühlt dasselbe (vgl. auch Facial-Feedback-Theory) vielleicht gibt es «begabte Ausdrucksdiagnostiker» «Augendiagnostik» Diagnose von Krankheiten durch Blick in die Augen des Patienten; bei geübten Ärtzten möglich umstrittene Theorie: braunäugige Menschen mehr extra-, blauäugige mehr introvertiert Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias LOMBROSO: «Verbrecherzeichen» in Physiognomie des Menschen zusammenstehende Augenbrauen, angewachsene Ohrläppchen) Ausdruckspsychologie in Verruf 28 (z. B. brachte Geschichte der Ausdruckspsychologie: Antike: Menschen haben den Charakter der Tiere, denen sie ähnlich sehen («Löwenkopf», «Adlerkopf») Anmutungsqualitäten; lassen sich auch bei heutigen Studenten nachweisen Experiment: Man legt Studenten 3 Köpfe vor: Adler, Kopf des röm. Diktators GALBA, Kopf eines «Verbrechers» von LOMBROSO ähnliches Polaritätsprofil bei Einschätzung 18. Jahrhundert: Blüte der Ausdruckspsychologie (z. B. LAVATER) LAVATER: «Physiognomische Übungen» GALL: Phrenologie 20-er und 30-er Jahre des 20. Jahrhunderts: Blüte in Deutschland Philipp LERSCH, J. RUDERT Einfluss auf Wehrmachtspsychologie, wenig Tests, viel Beobachtung heute: Assessment Centers 60-er Jahre: weg vom Ausdruck hin zum Test 70-er / 80-er Jahre: wieder verstärktes Interesse (Paul EKMAN) naturwissenschaftliche Herangehensweise Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 29 20. Januar 2000 zu Paul EKMAN: untersuchte Formen des Blickes: a) ruhiger und bestimmter Blick Konzentration, Bedürfnis nach Kontakt und Nähe b) ruhiger, unbestimmter Blick in die Leere Ziellosigkeit, Müdigkeit, Unentschlossenheit c) lebhafter Blick Betriebsamkeit, Lebendigkeit, Aktivität, Handlungsorientierung d) unruhiger Blick Unkonzentriertheit (als Krankheitsbild eretisch) e) «verhangenes Auge» Desinteresse, aber auch Herablassung (als Krankheitsbild torpide) Ausdruck – angeboren oder erlernt? Wut und Unterwürfigkeit bei Affen genauso wie bei Menschen gezeigt viele Abläufe interkulturell, aber vieles anderes auch erlernt Mentalitätsunterschiede auch zwischen Völkern kulturelle Überformung des Ausdrucks Kritik der Ausdruckspsychologie a) Es gibt unterschiedliche «Darstellungsqualitäten» bei Menschen nicht jeder kann Ausdruck gleich gut zeigen oder verstellen bzw. vorspielen Menschen mit hoher Selbstaufmerksamkeit (SNYDER) können sich gut im Ausdruck darstellen b) Möglichkeit der direkten Täuschung: Es gibt Methoden, Ausdruck vorzutäuschen (oft negative Emotionen kaschiert) ist nicht immer erkennbar (manchmal aber gut) unechtes Lachen: Asymmetrie des Gesichts etc. Anleitungen zu «impressment» c) Ausdruck ist sehr individuell generelle Aussagen in Büchern oft unbrauchbar d) Ausdruck ist immer kontext- bzw. situationsabhängig e) Ausdruck dient nicht nur dazu, intraorganismische Zustände zu zeigen, sondern auch zur Steuerung des Anderen HOLODYNSKI: Untersuchung bei Kindern «Interiorisierung» des Ausdrucks (wird nach Innen verlagert), d. h., je älter die Kinder, desto mehr dient Ausdruck der Steuerung Anderer f) «double bind»-Phänomen (Begriff aus Psychiatrie): Kind wird für gleiche Aktionen unterschiedlich behandelt Bsp.: Man sagt mit lächelndem Gesicht jemandem eine Gemeinheit. kann auch im Ausdruck selbst auftreten, z. B. unechtes Lächeln Exkurs: Graphologie in der Schrift: «gefrorener Ausdruck» Literatur: Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 30 PLOOG, H. (1998): Handschriften deuten. (populärwissenschaftlich) SEIPT, A. (1994): Schriftpsychologie GOETHE (1820): verteidigt Ansicht, Handschrift gebe Auskunft über Charakter Schriftpsychologie Graphologie Graphometrie Schriftpsychologie: Schrift eines Menschen soll Schreiber zugeordnet werden (Gericht, z. B. Testamentsanforderungen) Veränderungen der Schrift durch Alkohol etc. (HAASE-Test: Dosierung von Neuroleptika) in Verkehrspsychologie: Schrift unter Alkohol verglichen mit «Normalschrift» Graphometrie: will exakt messen, z. B. computergestützte Auswertung der Schrift Anwendung der Testtheorie auf die Graphologie Graphologie: Aussagen über Charakter und Intelligenz eines Menschen nicht experimentell, ganzheitlich, ohne Messung nicht bewiesen, aber auch nicht beweisbar Entwicklung: Begriff geprägt von MICHON in Frankreich in Deutschland Ludwig KLAGES (1872 – 1956) Begründer 1916: Handschrift und Charakter alle Einzelmerkmale sind doppeldeutig erst Schrift in Gesamtheit betrachten in Frankreich und Schweiz sehr populär, aber auch dort in Schulpsychologie verrufen in Schweiz v. a. C. G JUNG; Lehrbuch von PULVER in Deutschland: POPHAL: Hirnphysiologe, wollte physiologische Grundlagen der Schrift herausfinden (heute veraltet) R. HEIß (1903 – 74): Schrift ist Bewegung in Raum und Zeit Analysieren von Geschwindigkeit, Raumausnutzung, Formgestaltung (bewegungsbetont: Unbewusstes, Spontaneität), Schrift muss über Lebenslauf hinweg verglichen werden weitere Graphologen: S. RUDERT in Leipzig, SCHMIDT-LOSSOW, PFANNE schließlich von allen Instituten verbannt als unwissenschaftlich (in USA gab es nie Graphologie) Allgemeines: Schrift trägt erst individuelle Züge nach Pubertät; aber vielleicht auch Gehirnschädigungen bei Kindern diagnostizierbar Schrift als Intelligenzindikator? Graphologe SCHNEEVOIGT (1968): nur bei sehr heterogenen Stichproben (z. B. Hilfsschüler vs. Studenten) signifikante Unterschiede, aber nicht innerhalb von einer dieser Stichproben vielleicht Indikator: Wegfall von Schlussstrichen, Originalität (umstritten) Kritik an Graphologie: a) Deutungskunst, keine empirische Beweisführung b) keine Gütekriterien (im Gegensatz zu Graphometrie, wo die Reliabilität von Schriftmerkmalen höher als die von Tests ist (!)) c) kaum Validitätsuntersuchungen, bzw. nur solche mit schlechtem Ergebnis: Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 31 KRÜGER-ZIETZ-Phänomen: wenn man Gutachten nur schwammig genug formuliert, erkennt darin jeder sich selbst BARNUM-Effekt: Graphologen erstellen 12 Gutachten zu 12 Studenten, Studenten sollen ihres heraussuchen Ergebnis: Zufall (!) veraltete Persönlichkeitstheorien 27. Januar 2000 Was spricht für Graphologie? Schrift spricht uns unmittelbar an, hat Ausdruckscharakter, der auch Laien zugänglich ist Man hat Laien Schriften vorgelegt, deren Urteile mit denen von Graphologen verglichen hohe Korrelationen Klinische Psychologen und Graphologen sollten auf Grund von Schrift Berufserfolg vorhersagen Korrelation bei beiden ca. .20 (teilweise überzufällig gut) (Validität aber oft überschätzt: in Personalauswahl hat man «vorselektierte» Stichproben) hohe Ökonomie, hohe Verfügbarkeit des «Datenmaterials» historische Schriftanalyse oft einzige direkte Quellen bei Beurteilung nicht mehr lebender Persönlichkeiten Nichtverfälschbarkeit (Fragebögen kann man fälschen, Schriften nicht: Graphologen erkennen «verfälschte» Schrift) Psychologie sollte sich mehr mit Graphologie beschäftigen Methodische Mängel der Vergleiche zwischen «Psychometrie» (Tests) und Graphologie: unterschiedliches Konstruktverständnis (Introversion Introversion) Gegenüberstellung isolierter Schriftmerkmale ( Graphologie) mit komplexen Persönlichkeitsskalen (Rechtsneigung der Schrift als Indikator der Extraversion) mangelnder Einbezug der Graphologen mit ihrer mehr «ganzheitlichen» Sichtweise (graphologische Introversionsurteile basieren auf Zusammenspiel von 13 Schriftmerkmalen) Ungenügende Berücksichtigung der Verfälschungstendenzen in Fragebögen (siehe z. B. soziale Erwünschtheit) Beispiel: 1997 in Holland: mit Intro- und Extraversionstests 6 Extrempersonen selektiert, dann Schriftproben dieser Personen 10 Graphologen gegeben ( 60 Urteile) 58 richtige Urteile (!) zur Leipziger Studie (mit uns als Versuchspersonen): Hell-Dunkel-Versuch: Veränderung nur bei Extraversion Gewissenhaftigkeit: Korr. Graphologen und Tests bei .28, sonst Nullkorrelationen! ABER: objektive und subjektive Tests der Psychologie hatten auch Nullkorrelationen! Korrelationen mit sozialer Erwünschtheit (SE): hohe SE: Graphologenurteil schlecht niedrige SE: Graphologenurteil gut Graphologie zu Unrecht vernachlässigt, sollte aber nie isoliert angwandt werden (ein Test ist kein Test...). 6. Der psychologische Test Literatur: GBS S. 23 – 29, 107 – 113 Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 32 Leon KAMIN: Der IQ in Wissenschaft und Politik Verriss des Testens: S. GRUBITZSCH Gegenposition: INGENKAMP: Testkritik ohne Alternative, in JÄGER, INGENKAMP und STARK (1981), S. 146 – 171 Zur Geschichte des Testverfahrens: Fachinterne und gesellschaftliche Wurzeln Vorgeschichte: siehe Vorlesung Einführung in die Psycholgoie Beamtenauswahl im alten China Bibel: Männer, die Flusswasser wie Tiere schlürften, also ohne die Hände zu gebrauchen tranken, wurden von König für Feldzug ausgewählt Mittelalter: Minnegesang, Hexenproben Eigentliche Geschichte: Sir Francis GALTON (vgl. Vorlesung Differentielle Psychologie) James McKeen CATTELL BINET Intelligenz RORSCHACH Charakter MÜNSTERBERG, MOEDE (Kfz-Prüfstand) 1917 army-alpha-test (für Alphabeten), army-beta-test (für Analphabeten) 1917 WOODWORTH: erster Persönlichkeitsfragebogen wissenschaftliche Wurzeln: Entwicklung der Psychologie zu einer Naturwissenschaft WUNDT-Schüler: wandeln allgemeinpsychologisches Experiment zu «Prüfexperiment» (= Test) um GULLIKSEN, THURSTONE: Validität untersucht PEARSON: Maßkorrelation gesellschaftliche Wurzeln: Tests konnten erst mit Industrialisierung entstehen: von herrschender Klasse mit großem Interesse aufgenommen als Versuch einer «wahren» Einschätzung menschlicher Fähigkeiten (Interesse der Arbeitgeber) Eignungsdiagnostik hat immer dann Blüte, wenn hohe Arbeitslosigkeit Diagnostik aber auch wichtig für Arbeitnehmer, damit keine Über- oder Unterforderung am Arbeitsplatz Gefahr: Etikettierung des Menschen Soziale Psychiatrie (DÖRNER) Kritik von KAMIN (s. o.): Immigrationspolitik in USA auf Grund von Intelligenztests Gesellschaft für Eugenik: wollte Immigration steuern (nur «gute Gene») Tests army-alpha-test: «nordische Rassen» am besten Folgerung der Eugeniker: angeborene intellektuelle Überlegenheit 1. Februar 2000 YERKES: rassistische Ableitungen aus army-alpha- und beta-test schließlich JENSEN: Unterschiede Weiße-Schwarze 15 IQ-Punkte Forderung von eigenen Schulen für Schwarze Schwere Bedrohungen Vorlesungen mit Polizeischutz MURRAY & HERRNSTEIN: The Bell Curve These 1: Die Intelligenz verteilt sich normal These 2: Die Intelligenz korreliert mit sozialer Schicht. These 3: Die Intelligenz ist genetisch bedingt. Sozialprogramme bremsen. Bildungsprogramme bremsen. Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 33 Unterstützung für alleinstehende schwarze Mütter bremsen. Unterschichtsangehörige sterilisieren. Kritik: Mit Intelligenztests nur Intelligenz C gemessen, nicht A und B Wiederholung: A: allgemeines intellektuelles Potenzial (stark anlagedeterminiert) B: aktuelle Intelligenz als Produkt von Genotyp und Umwelt C: Testperformance echter Vergleich der genetischen Anlage wäre nur bei gleichen kulturellen Bedingungen möglich Begriffsklärung Test kam über Psychologie in die Alltagssprache 2 Arten: statistische Testverfahren psychologische Tests Begriffsprägung durch MCKEEN CATTELL: testimonium (lat.) = Beweis, Stichprobe, Zeugnis, Prüfung 2 Komponenten charakterisieren psychologischen Testbegriff: a) Provozieren einer Verhaltensstichprobe b) Registrierung und Auswertung des Registrierten beide Komponenten müssen standardisiert werden: genaue Bedingungen, wie man ein Verhalten auslöst, und genaue Bedingungen zur Registrierung und Auswertung Wiederholbarkeit, Vergleichbarkeit, Objektivität; außerdem: Normierung (= Vergleichsmaßstab, mit dem das Registrierte verglichen werden kann) Ist ein Test ein Experiment? SPRUNG: Nein quasiexperimentell GUTHKE: Doch erfüllt alle wichtigen Bedingungen für ein Experiment UV: Raum, Zeit, Aufgabe, Instruktion AV: Vpn. Vgr.: ein Testant Notwendigkeit der Standardisierung wichtiger als in Allgemeiner Psychologie Kgr.: Normstichprobe SPRUNG: Test sind keine Experimente, weil bereits Vorliegendes (z. B. Intelligenz) registriert wird, wobei Experimente das Beobachtete verändern Gegenmeinung: a) Lerntets verändern das Wissen b) es wird etwas Neues provoziert, nicht etwas Omnipräsentes (hier: sowieso schon Vorhandenes) Def. nach G. A. LIENERT: Ein Test ist ein wissenschaftliches Routineverfahren zur Untersuchung eines oder meherer empirisch abgrenzbarer Persönlichkeitsmerkmale mit dem Ziel einer möglichst quantitativen Aussage über den relativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung. Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 34 Def. nach GUTHKE: Ein psychologischer Test ist ein wissenschaftlich entwickeltes und überprüftes Routineverfahren, bei dem in standardisierten Situationen Verhalten – provoziert durch definierte Anforderungen – registriert bzw. Verhaltensmerkmale von Personen bzw. Personengruppen erfasst werden, die als Indikatoren für bestimmte Eigenschaften, Zustände oder Beziehungen dienen sollen. Tests ermöglichen Klassifikationen, die an einer Gruppe vergleichbarer Personen gewonnen wurden bzw. die durch Annäherung an ein Kriterium oder einen Idealwert bestimmt werden. Für und Wider von Testverfahren + hoher Grad an methodischer Gütesicherung / Ökonomie, Validität, Reliabilität zeitökonomischer als andere Verfahren (am besten: Multiple Choice, Computertests, Fragebögen) Erhalt von quantitativen Werten, mit denen man rechnen kann (Mittelwerte, Korrelationen, Faktoranalysen, Rasch-Skalierung, Ausprägungsgrade von Eigenschaften z. B. in Depressionsskalen) höhere intersubjektive Vergleichbarkeit durch einen Vergleichsrahmen – missbräuchliche, Systemfehler vertuschende Interpretation von Messergebnissen (z. B. JENSEN) Verbot von Testverfahren sowohl in Amerika (Californien) als auch UdSSR (STALIN) mangelnde theoretische Fundierung vieler Testverfahren (sind oft von Praktikern erstellt) Notwendigkeit, bei Fragebogenkonstruktion auf Grundlagenwissen zurückzugreifen Testverfahren sind statisch, messen nur Ist-Zustand Lerntests, Veränderungsmessung funktionalistisches statt ganzheitliches Denken (Mensch ist mehr als die Summe seiner Teile) Tests dürfen nicht von Laien durchgeführt werden, Gesamtpersönlichkeit als Hintergrund einbeziehen Kritik am «Vermessungswahn» vieler Testologen platte Addition von Testwerten unterschiedlicher Kategorien Testdiagnostik ist nicht mit der Würde des Menschen vereinbar (ethische Problematik) Forderungen an die Testkonstruktion und Testen bessere Einbeziehung der Grundlagendisziplinen in die Testkonstruktion stärkere methodische und gesellschaftskritische Reflexion über die Funktion der Tests in der Gesellschaft Testanwendung immer im Sinne des Betroffenen (ist oft schwer) Tests müssen den gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen entsprechen, unter denen sie angewandt werden Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 35 Tests ein diagnostisches Instrument unter vielen anderen (ca. ¼ der Tätigkeit der praktischen Psychologen) Tests müssen sachgemäß angewandt und ausgewertet werden (Tests benötigen als Anwender Skeptiker, nicht gläubige Laien!) 7. Der psychodiagnostische Prozess und das diagnostische Urteil [scheint er ausgelassen zu haben...] Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 36 Teil II 3. April 2000 II. 1. Einführung in die Leistungsdiagnostik Aufgaben und Möglichkeiten der Leistungsdiagnostik a) Aufgaben Eine optimale Leistungsdiagnostik würde Volkswirtschaft Milliarden sparen 2 Arten von Leistungsdiagnostik: Individual- vs. Gruppendiagnostik Individualdiagnostik Gruppendiagnostik bezogen auf das Individuum gesamte Gruppen dieses soll Tätigkeiten ausüben, welche es z. B. gesamte Schulklassen, ganze weder über- noch unterfordert Schulsysteme verschiedener Länder (auch negative Varianten der Leistungsfähigkeit: international) Sonderschulbedürftigkeit, LRS, Akalkulie etc. (Erwachsenenalter: Hirnorganische Störungen, Leistungsneurosen, Alzheimer, ...) positive Varianten: Gymnasialempfehlung / Hochschulreife / Studienauswahl, Hochbegabtenauswahl Tauglichkeitsund Berufseignungsuntersuchungen (Tauglichkeit: wenn man Beruf bereits ausübt – regelmäßig erforderlich z. B. bei Piloten; Eignung: Berufsberatung, Personalauslese im Betrieb, TÜV etc.) Lit.: WOTTAWA und HOSSIEP (1997): Anwendungsfelder psychologischer Diagnostik. Hogrefe. b) Möglichkeiten Verhaltensbeobachtung (z. B. Jugendliche, die in Arbeitssituationen beobachtet werden) HOLZ: Heidelberger Kompetenzinventar für geistig behinderte Jugendliche C. F. SCHMIDT (Dresden): Tätigkeitsanalyse (TAL) für geistig Behinderte HACKER, RICHTER und IWANOWA: Tätigkeitsbewertungssystem für geistige und körperliche Arbeit (für Gesunde) ADL-Listen («Activities of Daily Living»), z. B. Einkaufen gehen, Toilettengang etc. Dokumentenanalyse (z. B. Schulhefte bei Kindern, Hobbyprodukte, Basteleien etc.) Tests (s. u.) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 2. 37 Leistungsdiagnostische Tests im Überblick und Vergleich [handelt er in den anderen Punkten mit ab...] 3. Intelligenztests a) Tests zur Erfassung einer Allgemeinen Intelligenz Def. Intelligenzdaten (aus VL Differentielle Psychologie): Als Intelligenzdaten werden Informationen bezeichnet, die aus der Analyse der Lebens-, speziell aus der Bildungs- und Lerngeschichte eines Individuums, der aktuellen Schul-, Studien- und Berufsleistungen, aus der Beobachtung bei der Bewältigung von kognitiven Problemstellungen, aus der psychologieschen Exploration und aus Intelligenztests gewonnen werden und Hinweise auf die Höhe (das Niveau) sowie auf die qualitativen Besonderheiten (das Intelligenzprofil bzw. die Intelligenzstruktur) eines Individuums geben. Wiederholung aus VL Differentielle Psychologie: Intelligenzanlage = Intelligenz A bei der Geburt vorhandene, aber heute noch nicht exakt diagnostizierbare Erb- bzw. Anlagebesonderheiten (anatomisch-phsysiologische Besonderheiten; individuell verschieden) Intelligenzstatus = Intelligenz B zum Untersuchungszeitpunkt vorhandene Ausprägung der Intelligenz Prdukt von Anlage und Umwelt feststellbar durch Intelligenzstatustests; Ergebnis = Ausschnitt aus diesem Status = Intelligenz C Intelligenzpotenz = Intelligenz C wichtigster Bestandteil der intellektuellen Lernfähigkeit zum Untersuchungszeitpunkt noch feststellbare Fähigkeit zur Leistungssteigerung unter „leistunsgoptimierenden Untersuchungsbedingungen“ (Feedback, Denkhilfen, Training, Motivierung etc.) kurz: Fähigkeit, Leistung zu verbessern v. a. wichtig bei Kindern in schlechtem Milieu wichtig, weil Intelligenztests v. a. dazu benutzt werden, um zukünftige Leistungen vorauszusagen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 38 SPEARMAN: 2-Faktoren-Theorie der Intelligenz general factor („geistige Energie“) allgemeine Intelligenz (heute partiell vergleichbar mit mental speed) si: special factors, spezifische Faktoren für jeden Test si haben unterschiedlichen Anteil an g (z. B. Raven-Test: großer Anteil) g-factor Test3 Test1 Was spricht für den g-factor? gute Schüler überall gute Noten S bei geistiger Behinderung jede intellektuelle Fähigkeit gestört; sehr selten hohe mechanische Merkfähigkeit bzw. motorische Fähigkeiten ( Intelligenz) Vielseitigkeit von Genies (viele Universalgenies, z. . Leibnitz, Goethe) hohe allgemeine Intelligenz kurze Lernphase für neue Berufswege S1 Test2 S3 2 Was dagegen? Mehrfaktorentheorien (THURSTONE, 40er Jahre): es gibt keine allgemeine Intelligenz lediglich Intelligenzfaktoren, die unterschiedlichst ausgeprägt sein können: primary mental abilities es gibt typische sprachliche und mathematische Begabungen Die Hauptfaktoren der Intelligenz nach THURSTONE (1938): Sprachverständnis (verbal comprehension) (z. B. Lücken im Text sinnvoll ergänzen) Wortflüssigkeit (word fluency) (z. B. Wörter, die mit „re...“ anfangen) Numerischer Faktor (numerical) (4 Grundrechenarten) Intelligenzfaktor oder Fertigkeit? Schlussfolgerndes und regelfindendes Denken (reasoning) (Analogien, Zahlenreihen) Kernfaktor Auffassungsgeschwindigkeit (perceptual speed) (z. B. in Buchstabenfolge alle „n“ durchstreichen) Gedächtnis (memory) Raumvorstellung (Ende der Wiederholung) Lit.: Spektrum der Wissenschaft spezial: Intelligenz (3/99). Versuche, die allgemeine Intelligenz zu messen: g-factor-Tests vs. Messung der Sub-Intelligenzen, die dann gemittelt werden Messung des g-factor: John RAVEN: Progressive Matrices Test (Formen: SPM – Standard Progressive Matrices, CPM – Children Progressive Matrices, APM: Advanced ...) hoch g-factor-geladen, aber nicht culture fair, und messen nicht nur g-factor CATTELL: «Culture Fair Intelligence Test» (CFT) logische Folgen von Symbolen Schätzmethoden [?], z. B. Mann-Zeichen-Test nach ZILER 6 – 14 Jahre, Berechnung des MZQ (Mann-Zeichen-Quotient) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 39 Störfaktor: Zeichenunterricht, daher ab 7. Lebensjahr unzuverlässig Erwachsenenalter: Wortschatztests (z. B. SCHMIDT & METZLER 1992, oder klassisch: LEHRL) SCHMIDT & METZLER [oder?]: 42 Wörter; Ziel: Bildungsniveau und Allgemeine Intelligenz (z. B. prämorbide Intelligenz bei Hirngeschädigten, weil wenig anfällig für Hirnstörungen) Problem: misst eher verbale Bildung als Allgemeine Intelligenz normiert: 20. – 90. Lebensjahr Zahlenverbindungstest (ZVT) nach OSWALD und ROTH nicht von Bildung beeinflusst misst mental speed bei Hirnschäden langsamer LEHRL et al.: KAI (Kurztest Allgemeine Intelligenz) (Grundfrage: Wieviel Zeit braucht ein Mensch, um 1 bit zu verarbeiten?) 3 Untertests: schnelles Buchstabenlesen, Zahlenreihen merken und Buchstabenreihen merken Klassiker: BINET und SIMON: Intelligenz messbar machen, indem man Kindern Aufgaben gibt (keine schulischen), die z. B. logisches Denken messen Aufgaben, die von 75% der Kinder einer Altersstufe gelöst wurden, kamen in den Test hinein Ziel: Auswahl von Sonderschulkindern Bestimmung eines Intelligenzalters; wenn Kind mehr als 2 Jahre im Rückstand – BINET: «debil» Sonderschule Problem: wenn 4-jähriges Kind 2 Jahre im Rückstand, ist das gravierender, als wenn 14-jähriges Kind 2 Jahre im Rückstand W. STERN: Alter relativieren IQ = 100*Intelligenzalter (IA) / Lebensalter (LA) Bsp. 1: LA = 12 a = 144 Mon.; IA = 10 a = 120 Mon. IQ 83; nach WHO Debilität erst bei weniger als 70 Bsp. 2: LA = 7 a = 84 Mon.; IA = 5 a = 60 Mon. IQ 71, also viel näher an der Debilitätsgrenze, obwohl auch nur 2 a Unterschied zwischen IA und LA Bsp. für IA-Berechnung nach BINET-SIMON-KRAMER: LA = 10 a und 1 Mon. Aufgabe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 + + + + + + 12 Mon. Testjahr 10 11 + ½ + + ½ + + ½ + + + + 11 10 Mon. Mon. 12 – + – + – – 4 Mon. 13 8*12 Mon. + 12 + 11 + 10 + 4 = 133 Mon. = 11 a und 1 Mon. = IA. IQ = 100 * 11;1 / 10;1 110. 6. April 2000 bekannteste BINET-Tests: Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 40 BINET-TERMAN (Stanford-BINET): Unterschied zum klassischen BINET-Test: 2. – 20. Lebensjahr (nicht 3. – 12. wie klass. BINET) nicht nur verbal orientiert 4. Auflage 1980 (aber nicht deutsch) berücksichtigt Unterscheidung kristalline vs. fluide Intelligenz und Kurzzeitgedächtnis «Abweichungs-IQ» berechnet BINET-SIMON-KRAMER-Test (BSK): für jede Altersstufe entsprechende Aufgabenkärtchen (z. B. «Gib mir 3 Spielsteine.») Farbkärtchen etc. man beginnt 1 Testjahr vor dem Lebensalter Ende: wenn weniger als 1/3 der Aufgaben einer Altersstufe gelöst werden Guthke: Schulfähigkeit von Altersstufen VI + VII (16 Aufgaben) 12 gelöst Kind zweifelsfrei schulfähig Kritik: v. a. ältere Tests zu sehr verbal (aber nicht Stanford oder KRAMER) erlauben keine differenzierte Tätigkeitsanalyse (v. a. KRAMER, aber nicht 4. Auflage Stanford) Kinder von 0 bis 3 Jahren nicht untersuchbar problematisch: Untersuchung von Erwachsenen («Ein 40-jähriger Behinderter hat IA eines 8-Jährigen.» keine qualitativen Aussagen über Unterschiede der Intelligenz) Altersstufen-IQ v. a. bei älteren Kindern und Erwachsenen überholt (heute: Abweichungs-IQ); Altersstufen-IQ beruht auf Adoleszenz-Maximum-Hypothese Abweichungs-IQ: Abweichung vom Mittelwert der Altersgruppe HAWIE / HAWIK: entstanden Ende der 30-er Jahre, heute meistbenutzter Intelligenztest Autor: David Wechsler, Bellevue-Krankenhäuser 1939: Wechsler Adult Intelligence Scale (WAIS), inzwischen: WAIS III 1949: Wechsler Intelligence Scale for Children (WISC) in 50-er Jahren in Hamburg übersetzt – Verfahren bis heute kaum verändert Theorie des HAWIE: g-factor Allgemeine Intelligenz V Verbale Intelligenz SV1 SV2 SV3 SV4 P Handlungsintelligenz SV5 Verbalteil: AW (Allgemeines Wissen) (Allgemeinbildung) SP1 SP2 SP3 SP4 SP5 Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 41 AV (Allgemeines Verständnis, common sense) ZN (Zahlen nachsprechen) (Kurzzeitgedächtnis 3 – 9 Zahlen); müssen auch rückwärts nachgesprochen werden RD (rechnerisches Denken) (einfache Rechenaufgaben, oft Proportionalrechnung) GF (Gemeinsamkeiten finden) (z. B. Apfelsine, Banane Südfrüchte) WT (Wortschatztest), 42 Worte, Verständnis erfragt Handlungsintelligenz (HI): BO (Bilder ordnen) BE (Bilder ergänzen) Mosaik-Test (Muster nachlegen) Figuren legen Zahlensymboltest (Konzentrationstest): Zahlen müssen Symbolen zugeordnert werden S Zahlensymbole M Allgemeines Wissen M Allg. Verst. M Gemeins. M Rechn. find. Denken M Wortschatz H Bilder ordnen H Figuren legen geometrisch verbal HAWIK: Schlussfolgern numerisch M BE H Mosaikaufg. Anwenden S Labyrinth numerisch numerisch M Zahlen nachsprechen Lernen numerisch Abb.: Radex-Modell nach GUTTMAN & LEVY (1991) für den Wechsler Intelligenztest für Kinder. M: mündlich, S: schriftlich, H: Handlungstest; BE: Bilder ergänzen, Allg. Verst.: Allgemeines Verständnis. HAWIK misst verbal / geometrisch / numerisch als Faktoren, dabei auf 3 Ebenen: schlussfolgern, anwenden, lernen 10. April 2000 mit dem Hamburg-Wechsler-Intelligenztest wird ein Abweichungs-IQ berechnet Abweichungs-IQs: Mittelwert = 100 (normiert), Standardabweichung s varriiert je nach Test – HAWI: s = 15, Amthauer: s = 10. HAWI: berechnet wird sowohl Verbal- also auch Handlungs- und Gesamt-IQ Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 42 Abweichungs-IQ ist genaugenommen kein Quotient, sondern das Maß der individuellen Abweichung vom Mittelwert in Punkten, die sich an der jeweiligen Standardabweichung orientieren keine lineare Beziehung zwischen Lebensalter und Intelligenz (!) keine Annahme eines Intelligenzalters Konstanz der IQ-Variabilität: IQ bedeutet in jeder Altersstufe dasselbe, was die Rangfolge betrifft Gemeinsamkeiten und Unterschiede klassischer IQ und Abweichungs-IQ (vgl. Folie 23): Schritt 1 (bei beiden): Bestimmung der absoluten Leistung des Probanden in Rohpunkten Schritt 2: Bezug der Probandenleistung auf die Norm klassischer IQ: Ermittlung des Alters des durchschnittlichen Probanden mit gleicher Leistung Abweichungs-IQ: Ermittlung der relativen Stellung der Probandenleistung in der Leistungsverteilung seiner Bezugsgruppe Einwände gegen IQ: Annahme, dass IQ genetische Intelligenz widerspiegelt, ist zweifelhaft (spiegelt lediglich Intelligenzstatus, also Intelligenz B wider; vgl. Diskussion um «The Bell Curve», VL Diff. Psychologie) Ist es überhaupt möglich, Intelligenz eindimensional (mit einem Wert) zu messen? IQ wird teilweise wie Absolutskala behandelt (aber kein absoluter 0-Punkt, und 1502*75) IQs verschiedener Tests nicht direkt vergleichbar es müsste immer Verfahren angegeben werden probabilistische Testtheorie (Rasch-Modellierung): Homogenität angezweifelt (Gesamt-IQ ist unsinnig) Kubinger und Wurst: AID (Test, der dies berücksichtigt) Folgerung aus der Kritik: IQ nie Laien mitteilen! aber: WHO gibt Stufen geistiger Behinderung in IQ-Punkten an ebenso vor Gericht, in Krankenakten, in USA sogar in Personalakten IQ angegeben Einwände gegen Wechsler-Tests: Altersunangemessenheit der Aufgaben (6-Jähriger mit gleichen Aufgaben konfrontiert wie 14-Jähriger) aber: Entwicklung der Intelligenz gut nachvollziehbar AID: unterschiedliche Aufgaben für Altersstufen Problem der Abbruchkriterien (z. B. nach n nicht gelösten Aufgaben abgebrochen) aber: Schwierigkeitssteigerungen individuell unterschiedlich alte Wechsler-Tests: zu gute Resultate, weil an alten Stichproben normiert Revisionen, z. B. HAWIK-R2. Wechsler-«Profile» umstritten (z. B. Aussage in Wechsler-Handbüchern: «Alle Hirngeschädigten haben schlechtere Handlungsintelligenz.») Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 43 Bsp. für ein «Profil»: Punkte Differenzen können nur gedeutet werden, wenn sie größer als die Messfehler sind (sonst nicht statistisch signifikant) A B C D E F Untertests moderne Tests geben in den Handbüchern immer die Messfehler mit an! b) Intelligenz-Struktur-Tests 3 Gründe, warum man heute mehr die Struktur der Intelligenz betrachtet als den IQ: Problem der Berufsberatung, z. B. ob Kfz-Schlosser oder Deutschlehrer unterschiedliche Intelligenzfähigkeiten verlangt Gesamt-IQ nicht aussagefähig Hochbegabtendiagnostik Hochbegabte oft nur in bestimmten Bereichen (Mathematik, Sprache) hochbegabt Klinisch-neuropsychologische Diagnostik: Ausfälle oft auf sehr spezifischen Gebieten spezifische Tests Idee bereits in den 20-er Jahren, z. B. ROSSOLIMO (russ. Psychiater): prägte den Begriff des Intelligenz-Profils unterschiedliche Subtests messen unterschiedliche Fähigkeiten Beispiel: WP 13 10 Standardabweichung 7 : individueller Mittelwert A B C D E F Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 44 2. Idee: Faktorenanalyse (vgl. THURSTONE, s. o., bzw. GARDENER) Wiederholung GARDENER (aus VL Differentielle Psychologie): (Hoch-)Begabungen nach der Theorie der „multiplen Intelligenzen“ von GARDENER (1983) sprachliche Intelligenz logischräumlichmathematische bildhafte Intelligenz Intelligenz = klassische (akademische) Intelligenz körperlichkinästhetische Intelligenz personalesoziale Intelligenz musikalische Intelligenz zu GARDENER „Intelligenzen“ liegen relativ unabhängige kognitive Strukturen zugrunde nimmt keine „allgemeine Intelligenz“ an bisher nur „anekdotische Beweisführung“, nicht empirisch Modell umstritten (Ende der Wiederholung) Gefahr: Inflation des Begriffs der Intelligenz Verschiedene Faktoranalytische Verfahren: PMA (Primary Mental abilities) (THURSTONE) (s. o. – 7 Faktoren, 1 Test misst genau 1 Faktor ließ sich nicht realisieren) IST (Intelligenz-Struktur-Test) (in Deutschland) (Rodolf AMTHAUER); IST 70: 70-er Jahre, IST 2000: heute (dabei: gerichtlicher Streit über die Rechte an AMTHAUER zwischen ISA und IST-2000); IST allgemein: ab 14. Lebensjahr (heute: 13 – 60 Jahre) v. a. für höher Intelligente Vorläufer: army-alpha-test und army-beta-test gemessen: sprachliche, rechnerische, räumliche Intelligenz und Merkfähigkeit Beispiele: Wortauswahl, Analogien, Zahlenreihen, Rechenaufgaben neueste FA-Studien: AMTHAUER misst als Faktoren nur sprachliche vs. nichtsprachliche Intelligenz (letztere: Würfel, Zahlenfolgen, Figurenauswahl, Merkfähigkeit); Rechenaufgaben lassen sich keinem der beiden Faktoren zuordnen 17. April 2000 LPS (Leistungsprüfsystem) (HORN, USA) in 60-er Jahren in Deutschland weit verbreitet; 3 Bereiche: (a) Intelligenzaufgaben (b) Schulleistungsaufgaben (c) Konzentrationstest angewandt auf Schüler 2 Tochtertests: PSB (überholt, aber Revision in Vorbereitung) und LPS 50+ (WILLMES et al. 1993) Neuropsychologie, 50 – 90 Jahre, misst Rechtschreibung, Zahlenreihen, Wortschatz, Schließen von Gestalten etc. KFT (Kognitiver Fähigkeitstest) (HELLER et al.) Schulpsychologie neuere Form: KFT-R (2000) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 45 KFT 1-3: 1. bis 3. Klasse; KFT 4-13: bis 13. Klasse Bereiche: verbal, numerisch, quantitativ/figural (quantitativ: Mathe) ausgewertet nach T-Werten: x = 50, s = 10 individuelles Profil wird verglichen mit Durchschnittsprofil für Hauptschule, Realschule und Gymnasium WILDE-IT (veraltet) Öffentlicher Dienst, Polizei etc. (z. B. Auswahl für Polizeihochschule) an THURSTONE orientiert geeignet: 13 – 22 Jahre Guthke: geringe Validität BIS (Berliner Intelligenzstrukturtest, JÄGER et al.) Öffentlicher Dienst, Polizei etc. (z. B. Auswahl für Polizeihochschule) Wiederholung aus der VL Differentielle Psychologie: JÄGER: bimodales Intelligenzmodell 2 Modalitäten: Inhalt mit welchen Dingen setze ich mich auseinander? figural-bildhaft verbal numerisch Operationen was fange ich mit diesen Dingen an? Gedächtnis Kreativität Bearbeitungsgeschwindigkeit Verarbeitungskapazität (entspricht reasoning) Bsp. für Umsetzung: BIS (Berliner Intelligenz-Strukturtest, 1998) jede Operation wird in allen drei Inhalten erhoben ( 12 Zellen); Mittelwert = gfactor (Ende der Wiederholung) K : Verarbeitungskapazität (entspricht logischem Denken), E : Einfallsreichtum (entspricht Kreativität) ursprünglich: alle 12 Zellen sollten einzeln gemessen werden, aber inzwischen nur 7 Einzelfähigkeiten gemessen 4. Kritik des herkömmlichen Intelligenztests und neue Ansätze Einwände gegen Leistungstests Tests berücksichtigen nicht die Entwicklungsbedingungen (Lebensgeschichte, Vorerfahrung etc.) nicht auf Anlage (Intelligenz A) schließen (vgl. «The Bell Curve») Tests berücksichtigen nicht die Entwicklungspotenzen (Lernfähigkeit) nur Statusmessung (siehe aber als Alternative die Lerntests) Tests sind lebensfremd und künstlich: (a) Labor- bzw. Prüfungssituation Alltag (aber: dann dürfte man überhaupt keine Prüfungen durchführen) mehrere Testdurchläufe, Skepsis bei Ergebnissen in Drucksituationen (b) Testaufgaben sind nicht tätigkeitsbezogen (ökologisch valide) – z. B. RAVEN: Wo gibt es im Leben solche Aufgaben? aber: Oberflächenstruktur vs. Tiefenstruktur (letztere misst zugrundeliegende Mechanismen; z. B. schneiden Mathematiker beim RAVEN immer besser ab) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 46 Tests registrieren nur Resultate, aber keine Lösungsprozesse (z. B. können individuelle Lösungskonzepte zu anderen Lösungen führen als vorgesehen) Tests sind pragmatisch-praktizistisch konstruiert und nicht genügend theoretisch fundiert Tests vernachlässigen das kreative Denken (aber nicht so: BIS oder Kreativitätstests wie der von KRAMPEN) Tests sind selektions- und nicht therapieorientiert (Frage nach dem Warum schlechter Leistungen bleibt unbeantwortet) Neuorientierungen (Trends) der Intelligenzdiagnostik Allgemein- und entwicklungspsychologische «Aufklärung» vorhandener bzw. Neuentwicklung von Intelligenztestanforderungen auf dieser Basis kognitionspsychologisch-prozessorientierter Ansatz Überwindung der reinen Statusmessung durch Lerntests (dynamisches Testen, Erfassen der «competence» und «Plastizität») Lerntestkonzept Suche nach basalen psychophysiologischen Intelligenzkomponenten (Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, Kurzzeitgedächtnis) (Bsp.: Zahlenverbindungstests, aber auch HAIER (mit PET): Glucoseverbrauch bei höher Intelligenten geringer) Basalkomponenten Suche nach tätigkeits-, anforderungsbezogenen Verfahren, die ökologisch valide sind (komplexes Problemlösen = «operative» Intelligenz, Weisheit, soziale / emotionale Intelligenz, praktische Intelligenz, prospektives Vorgehen (nach SÜLLWOLD: prospektive Intelligenz = Voraussehen von Entwicklungen)) tätigkeitsorientiertes Vorgehen aber: Kritik: schlechter in Vorhersage als traditionelle Intelligenztests (dagegen: FUNKE: wenn man Aufgaben klar stellt hohe Korrelation mit klass. Intelligenztests) Beachtung der «Einbettung» des Subsystems «Intelligenz» und des intelligenten zielbestimmten Handelns in das Gesamtsystem «Persönlichkeit» (Verflechtung mit Metakognition, Motivation, sozialer Kompetenz, Emotion) systemischer Ansatz Adaptives antwortabhängiges individualisiertes Testen, bedingungsabhängiges Testen, computergestütztes Testen, neue testmesstheoretische Modelle (probabilistische Ansätze, item response theory) technologische Neuansätze adaptives Testen: Komplex 1: niedrige und hoch schwierige Aufgaben Komplex 2: je nachdem, welche Schwierigkeit gelöst wurde, leichter oder schwerer klass. adaptives Testen: nach jeder Aufgabe wird entschieden, welche Aufgabe als nächstes 20. April 2000 5. Das Lerntestkonzept und seine Varianten a) Kurze Einführung in das Konzept Intelligenztests seit jeher umstritten, auch in der Öffentlichkeit Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 47 Häufige Frage: Werden Menschen mit ungünstigem sozialem Niveau nicht benachteiligt? Intelligenz, Wissen und intellektuelle Lernfähigkeit Unterschiedliche Positionen: Wissen, Intelligenz und (intellektuelle) Lernfähigkeit sind hochgradig miteinander korreliert (identisch), da der Intelligentere auch der Lernfähigere ist und der Lernfähige sich mehr Wissen aneignet, wie auch Wissen das Lernen erleichtert. Gegenargumente / Probleme: Relative Intelligenzunabhängigkeit des Expertenwissens bzw. des Schul- und Berufswissens Bei «irregulären Lernbedingungen» (vgl. unterpriviligierte Kinder) lassen Wissens- und Intelligenzstatus keine zuverlässigen Schlüsse auf Intelligenzanlage (Intelligenz A) und Lernfähigkeit zu. Wissens-, Lern- und Intelligenzstatustests korrelieren nur mäßig miteinander (auch bei Berücksichtigung der Bereichsspezifik). Wissen ist (wesentlicher) Bestandteil der Intelligenz – besonders der mehr «bildungsbedingten» sog. kristallinen Intelligenz, die fluide Intelligenz ist dagegen weitgehend wissensunabhängig und mehr genetisch determiniert und alterskorreliert Gegenargumente / Probleme: Auch fluide Intelligenzleistungen lassen sich unter dem Wissensbegriff (heuristisches Wissen, prozedurales Wissen) subsumieren. Wissen und Lernen sind keine getrennt zu betrachtenden Module; wissensunabhängige Fähigkeiten kann es daher auch nicht geben. Die größere Erbdetermination, «Kulturabhängigkeit» und «Bildungsabhängigkeit» der fluiden Intelligenz lässt sich nicht nachweisen, lediglich deren Altersabbau. im Sprachteil des HAWIE höhere genetische Determination nachgewiesen als bei fluiden Bereichen Wissen sollte möglichst in Intelligenztests gänzlich ausgeschaltet werden, um die vorwiegend genetisch determinierte Intelligenz «rein» erfassen zu können – Basalkomponenten-Ansatz (Elementary Cognitive Tasks als «neue» Intelligenztests des mental speed-Ansatzes) Gegenargumente / Probleme: Intelligenz nicht umfassend und differenziert genug untersucht Es fehlen Validitätsuntersuchungen an «Außenkriterien» Kann man die «Hardware» (Basalkomponenten) von der «Software» (Wissen) des menschlichen Gehirns wirklich trennen? (Einheit von Struktur und Funktion, von Wissen und Lernen) Stichwort Neuronale Plastizität Gehirn nicht ausschließlich erblich determiniert Wissen (Vorwissen) ist der bisher in der Differentiellen Psychologie und Diagnostik vernachlässigte, aber wichtigste Prädiktor der Leistungsfähigkeit in Schule, Studium und Beruf (auch in komplexen Problemlöseaufgaben und in experimentellen Lernversuchen), man sollte daher Intelligenztests ergänzen bzw. ersetzen durch «Wissensdiagnostik». Das (Vor-)Wissen beeinflusst auch die aktuelle Fähigkeit zum Neulernen. Gegenargumente / Probleme: Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 48 Rolle des «trägen Wissens» und des «impliziten Wissens» erschweren Wissensdiagnostik. Qualitative, kognitionswissenschaftlich orientierte Wissensdiagnostik ist sehr zeitaufwändig und erst in Ansätzen (z. B. bei einfachen Arithmetik-Aufgaben) realisiert. Es wird lediglich der stark unterrichtsbedingte Wissensstatus, nicht aber die «Wissensaneignungsfähigkeit» erfasst. Guthkes eigene Position: (a) Die bisherige Intelligenzstatusdiagnostik wird zu einer «Intelligenzpotenzdiagnostik» erweitert, um zusätzlich zum Intelligenzstatus auch die Lernfähigkeit als Wissensaneignungsfähigkeit im Bereich des prozeduralen Wissens zu erfassen. (b) Wir vermuten, dass die Intelligenzpotenz mehr als der reine Intelligenzstatus die Intelligenzanlage widerspiegelt. (c) Die «globale Wissensaneignungsfähigkeit» wird an Intelligenztestitems gemessen bzw. domänspezifische Lernfähigkeiten an curriculum- bzw. berufsbezogenen Aufgaben (vgl. trainability concept). Gegenargumente / Probleme: Langzeit-Lerntests sind zu zeitaufwändig. Gestatten relativ bereichsspezifische Lerntests auch bereichsspezifische Prognosen und Interventionsempfehlungen? Für Kurzzeit-Lerntests fehlen bisher überzeugende Nachweise für höhere Validität gegenüber Statustests. Ergänzungen dazu Wiederholung aus der VL Differentielle Psychologie: Intelligenzbegriffe unter dem genetischen Aspekt: Intelligenzanlage = Intelligenz A bei der Geburt vorhandene, aber heute noch nicht exakt diagnostizierbare Erbbzw. Anlagebesonderheiten (anatomisch-phsysiologische Besonderheiten; individuell verschieden) Intelligenzstatus = Intelligenz B zum Untersuchungszeitpunkt vorhandene Ausprägung der Intelligenz Prdukt von Anlage und Umwelt feststellbar durch Intelligenzstatustests; Ergebnis = Ausschnitt aus diesem Status = Intelligenz C Intelligenzpotenz = Intelligenz C wichtigster Bestandteil der intellektuellen Lernfähigkeit zum Untersuchungszeitpunkt noch feststellbare Fähigkeit zur Leistungssteigerung unter „leistunsgoptimierenden Untersuchungsbedingungen“ (Feedback, Denkhilfen, Training, Motivierung etc.) kurz: Fähigkeit, Leistung zu verbessern v. a. wichtig bei Kindern in schlechtem Milieu wichtig, weil Intelligenztests v. a. dazu benutzt werden, um zukünftige Leistungen vorauszusagen (Ende der Wiederholung) Bestandteil der Intelligenz C: Intelligenz D, nämlich nach Guthke die im jeweiligen Test gemessene Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 49 Begriffe zum Lerntestkonzept: «dynamic assessment / dynamic testing» nicht nur Intelligenz, sondern gesamter diagnostischer Bereich, z. B. auch Charaktereigenschaften «interactive testing» Zusammenarbeit Vl und Vpn «learning potential assessment» (FEUERSTEIN, Israel) gleiches Ziel, aber eher Beobachtungsverfahren als Test Gemeinsamkeiten dieser Ansätze: keine Einpunktmessung Feedback, ob Antwort richtig oder falsch Denkhilfen Motivationshilfen eher Experiment als Test KRYSPIN-EXNER: Gegenteil Vpn werden unter Belastung (z. B. Zeitdruck) gesetzt und dann getestet vs. Test unter Normalbedingungen b) Geschichte der Lerntestidee THORNDIKE: intelligence = learning ability (20-er Jahre), hat aber selbst nur Status gemessen Wolfgang KÖHLER: untersuchte, wie Schimpansen verstehen, wenn man ihnen Hilfen gibt gesellschaftliche Wurzeln: Kritik an unfairer Intelligenzmessung bei Unterpriviligierten (soziales Milieu sollte berücksichtigt werden) Unterscheidung zwischen «mental retard» und «educable retard» (im Deutschen «debil» vs. «pseudodebil») bei Kindern beide Gruppen sind im Statustest oft gleich Wirtschaft: Lernfähigkeit als Schlüsselqualifikation stärker beachten (denn Wissen veraltet schnell) theoretische Wurzeln: WYGOTSKI (1896 – 1934): jüdisch bürgerliches Elternhaus unter großen Problemen studiert (Jura) arbeitet als Theaterwissenschaftler autodidaktischer Psychologe Auftritt bei Psychologiekongress begeisterte Aufnahme Professur in Psychologie (!) Schwierigkeiten wegen seiner Orientierung auf Tests Bücher erst nach Stalins Tod wieder erlaubt berühmte Schüler: LEONTJEW, LURIA Theorie in Entwicklungspsychologie: «Kulturhistorische Theorie» Begriffe: Aneignung (Begriff aus Literaturwissenschaft), Interaktion («Dialog», M. BUBER) These: Psychische Prozesse entstehen durch Aneignung der Kultur, in der ein Mensch aufwächst psychische Prozesse geprägt durch Interaktion Mutter-Kind, dann Lehrer/PeersKind etc. Entwicklungspsychologie untersucht «Zone der aktuellen Entwicklung», sollte aber «Zone der nächsten Entwicklung» (also zukünftige, im entstehen begriffene Entwicklung) untersuchen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 50 Gärtner darf nicht Garten nur nach nach reifen, sondern auch nach herangereiften (heranreifenden) Früchten beurteilen «experimentell-genetische Methode», bestehend aus 3 Teilen: Prätest (Niveau) Hilfestellung durch den Versuchsleiter Posttest Anwendung auf Kinder von Analphabeten W. gilt als Begründer des Konstruktivismus (aber nicht explizit) orientiert auch an MARX SINOTT [bin mir mit der Schreibweise nicht sicher, T. E.]: modifiability (Veränderbarkeit) untersuchen – diese könnte auch genetisch determiniert sein (!) später, darauf aufbauend: FEUERSTEIN Axiome nach ZUBIN Jedes Individuum (und jedes bei ihm gemessene Personenmerkmal) wird durch ein gegebenes Performanzniveau charakterisiert, für das der beobachtete Testwert in einer Einpunktmessung nur eine Zufallsstichprobe darstellt. Jedes Individuum ist außerdem auch durch einen gegebenen Grad an Variabilität um dieses Performanzniveau gekennzeichnet. Diese intraindividuelle Variabilität variiert ebenso stark von Person zu Person wie das Performanzniveau selbst. Veränderungen der internen und externen Stimulation führen zur Veränderung im Performanzniveau seiner Variation oder beidem. Ziel des Testens: Intraindividuelle Variabilität erfassen. c) Methodische Realisierung des Lerntestansatzes Lerntestvarianten Langzeitlerntests (Trainingstets): Versuchsanordnung: 1. Tag Prätest (Form A/B) 2. Tag 3. Tag Training mit Lehrprogramm 45' 4. Tag 5. Tag Training mit Lehrprogramm 45' 6. Tag 7. Tag Posttest (Form A/B) Pädagogisierungsphase in Praxis wenig verbreitet, da zeitaufwändig Beispiel: Lerntest «Schlussfolgerndes Denken» (LTS) von GUTHKE, JÄGER & SCHMIDT, 1983 Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 51 Kurzzeitlerntests: Versuchsanordnung: Prätest, Pädagogisierungsphase und Posttest in nur einer Sitzung Rückinformationen ri/fa (Typ I) Rückinformationen + Denkhilfen (Typ II) Applikation der Rückinformationen und Denkhilfen durch Computer oder Versuchsleiter Beispiele: Mengenfolgetest (MFT) von GUTHKE, 1984 Vorschullerntest (VLT) von ROETHER, 1983 RAVEN-Kurzzeitlerntest (RKL) von FROHRIEP, 1978 Adaptiver Computergestützter Intelligenz-Lerntest (ACIL) von GUTHKE (Hrsg.), 1995 Leipziger Lerntest «Begriffsanaloges Klassifizieren» von GUTHKE, WOLSCHKE, WILLMES und HUBER (1998, 2000) 27. April 2000 Diagnostische Programme Kognitionspsychologie + Lernkonzept + adaptives Testen Kennzeichen: Sicherung der Kontentvalidität durch Charakterisierung der objektiven Anforderungsstruktur des Items unter Bezugnahme auf grundlagenpsychologische Erkenntnisse Sequenzieller (möglichst hierarchischer) Aufbau des Itempools und adaptive Verzweigungen Einbau von systematischen Rückinformationen und Denkhilfen in den Testprozess Feststellung des Arbeitsverhaltens und des Lernverlaufs über den Testprozess Beispiele: Fremdsprachenlernfähigkeitstest DP «Syntaktischer Regel- und Lexikerwerb» Zielgruppe: Kinder (ab 4./5. Klasse) und Erwachsene (Studenten) Kinder lernen in kurzer Zeit eine fiktive Fremdsprache: ski ski gadu la ski gadu vep ... ? ... gadu ski la Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 52 (wird immer komplizierter) sehr gute Vorhersagen der Lernfähigkeit von Fremdsprachen! (Guthke hat das bei Arabern in Leipzig probiert, die kein Deutsch konnten...) DP Leipziger Lerntest «Begriffsanaloges Klassifizieren» (1998, 2000) Zielgruppe: Schüler am Ende der 1. Klasse (Vl sucht Kreise heraus und sortiert diese) ? (Pb. muss Prinzip erkannt haben und andersfarbige Kreise aussortieren) (wird immer schwieriger...) DP «Adaptive Computergestützte Intelligenz-Lerntestbatterie (ACIL) für Schlussfolgerndes Denken» (2000) Zielgruppe: Schüler ab der 5. Klasse, auch für Erwachsene bedingt geeignet (bei Reha) misst in JÄGERs Intelligenzmodell das logische Denken 3 Subtests Versuch, Schwierigkeit an Hand der Komplexität der Items zu erheben Target-Items: stehen am Beginn bzw. am Ende eines Komplexitätsbereichs müssen von allen Probanden gelöst werden: Items: 1 2 7 8 13 14 19 20 ... wenn Kind dieses Item nicht löst, lässt es der Computer auf Item 3 zurückspringen, sonst zu Items 13|14 vorspringen wenn auch Item 3 nicht gelöst Hilfe, dann Item 4 wenn 3 gelöst Item 6. Auswertungsparameter: Anzahl der Hilfen Gesamtzahl der bearbeiteten Aufgaben Schrittzahl = Summe aller Aufgaben und Hilfen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 53 Gesamtzeit bis für die einzelnen Testkomplexe alle Eingaben in ihrem Kontext Latenzzeiten für die einzelnen Lösungsversuche Untertest ADAFI, Beispiel für Verlaufstypen (VT) bei diesem: Anzahl der Hilfen [oder?] bleiben schlecht... werden nach Hilfen besser (interessant!) sind und bleiben gut... Komplexitätsbereich I II III d) Einige Hauptbefunde der Lerntestforschung Lerntestergebnisse liefern zusätzliche diagnostische Informationen (in Bezug auf Ergebnisse in Intelligenzstatustests). es gibt aber trotzdem Korrelationen zwischen Status- und Lerntests Das Posttestergebnis in Langzeitlerntests korreliert höher mit dem Außenkriterium als der Prätest. Außenkriterium: z. B. Lehrereinschätzung oder Schulnoten exemplarisch: Vergleich CPM (RAVEN) mit RKL (RAVEN-Kurzzeit-Lerntest): in Gesamtpopulation keine Unterschiede, aber in bestimmten Teilpopulationen korreliert RKL viel höher mit Lehrereinschätzung und Noten aber: geeignete Validierung? fraglich, denn sind z. B. Schulnoten zuverlässig? Guthke: «Vergleich mit Lehrereinschätzung ist wie, wenn man Fieberthermometer am Urteil der Mutter misst, ob Kind Fieber hat...» GUTHKE, BECKMANN und DOBAT (1991): Unterscheidung: rein empirische Kriteriumsvalidierung vs. Versuche der Konstruktvalidierung rein empirische Kriteriumsvalidierung: konkurrente und prognostische Validierung an fragwürdigen Außenkriterien, z. B. Schulnoten, Lehrerurteile etc. Versuche der Konstruktvalidierung (Möglichkeiten): Erhebung dynamischer Außenkriterien, z. B. Trends in Schulleistungstets über mehrere Messzeitpunkte hinweg Modellüberprüfung durch faktorielle Validierung (RITTNER 1999) Inbeziehungsetzen von Lern- und Statusergebnissen mit Testangst, Neurotizismus, häuslicher Förderung etc. experimentelle Validierung – Vorhersage zukünftiger Lernleistungen in kontrollierten Lernversuchen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 54 2 Dissertationen dazu: BECKMANN (1993), DOBAT (1999) beide: höhere Korrelation mit Lern- als mit Statustests BECKMANN (1993): Wissensaneignung in komplexen Situationen (Anlehnung an DÖRNER) Zusammenhangsstruktur des Systems MASCHINE: Regler 1 + Instrument A + + Regler 2 Regler 3 Instrument B – – Instrument C – (Diagramm wurde aber Kindern nicht gezeigt...) Ergebnisse: Nullkorrelation mit Statustests, hochsignifikant mit Lerntest DOBAT (1999): praxisnäher als BECKMANN: Gelingt es Lerntests, auch schulische Lernerfolge vorherzusagen? Prädiktoren: Lerntests, Statustests und Vorwissenstests Kriterium: Lernleistungen in den curriculumsbezogenen Aufgaben z. B. Computersimulation «Hunger in Nordafrika» u. ä. Variablen: Mathenote Deutschnote Richtig-Antworten in Kombinatorikprogramm Prätest und Postest «Hunger in Nordafrika» (beides Wissenstests) Ergebnisse: Statustest: Nullkorrelation, Lerntest: signifikante Korrelationen Zensuren: keine Signifikanz Statustest + Lerntest zusammen: 42% Varianzaufklärung nur Statustest: 0,14% nur Lerntest: 14,4% Vorwissen: 6,3% Lerntests haben eine höhere faktorielle Validität als deren Statustest-Pendants Lerntests sind weniger sensitiv bezüglich (Lern- bzw. sozialen) Umweltfaktoren GUTHKE, 70-er Jahre: Schulleistungstest Mathe: Durchschnitt zwischen Parallelklassen unterschiedlich Statustest: Durchschnittsunterschiede kleiner Lerntest: Durchschnittsunterschiede am kleinsten sehr Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 55 CARLSON & WIEDL (1980): Statustest Schwarz e Mexikan er Weiße Schwarz e Mexikan er X Weiße X Lerntest Lerntest fairer Lerntests differenzieren weniger stark zwischen Schulklassen derselben Jahrgangsstufe als tradierte Intelligenztests (s. o.) Lerntests korrelieren hoch mit Ergebnissen in experimentell kontrollierten Lernversuchen vgl. BECKMANN bzw. DONAT (s. o.) Lerntests haben größere Beziehungen zu Kreativitätstests und zum Erkenntnisstreben überraschend: kreative Schüler haben Vorteile Lerntests reduzieren nicht-intellektuelle Einflüsse auf die Testleistung (z. B. Neurotizismus) v. a. Langzeitlerntests (bei Kurzzeitlerntests könnten neurotische Probanden durch Falsch-Rückantwort verunsichert werden) 4. Mai 2000 e) Anwendungsbereiche des Lerntestkonzepts Anwendungsfelder / Fragestellungen der «Dynamischen Testdiagnostik» Lit.: GUTHKE & WIEDL (1996) Intelligenzdiagnostik im Kindes- und Jugendalter, insbesondere für «Unterpriviligierte», ethnische Minoritäten, Kinder mit besonderem Förderbedarf z. B. BUDOFF, FEUERSTEIN, GUTHKE, HAMERS, KALMYKOWA, LJUBOWSKI, CARLSON & WIEDL, HAYWOOD & TZURIEL, WINGENFELD, CAMPIONE & BROWN, LIDZ Idee: WYGOTSKI beobachtete, dass Kinder in einigen Sowjetrepubliken deutlich niedrigeren IQ hatten V. BUDOFF: Lerntest bei Slumkindern, Schwarzen (USA) FEUERSTEIN (Israel): äthiopische Juden (Einwanderer in Israel) hatten sehr schlechte IQ-Leistungen Lerntests Leistungen deutlich besser Abschätzung der «Reserven» bzw. Plastizität der «gesunden Altersintelligenz» durch lerntestartige Prozeduren z. B. P. BALTES & KLIEGL Altersdefizite z. T. durch Trainings kompensierbar – herausgefunden durch Lerntests Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 56 aber: nicht so bei Alzheimer Lerntests zur Früherkennung von Alzheimer (z. B. REISCHIES & LINDENBERGER 1996) Curriculumbezogene Lerntests – auch im Rahmen der sog. Förderdiagnostik – für Bildungswegentscheidungen und zu Interventionsoptimierungen Z. B. HAMERS, KORMANN, PROBST, RÜDIGER, SCHOLZ, GEBSER, WINKLER, MÜLLER v. a. in Niederlanden in Schulen eingesetzt Diagnostik des «Rehabilitationspotenzials» in der Neuropsychologie, vor allem bei «Hirnorganikern» und Schizophrenen z. B. CICERONE & TUPPER, ADLER & GUTHKE, KÜHL & BALTES, WIEDL, SCHÖTTKE relativ neuer Ansatz, aber schon von WOLFRAM zu DDR-Zeiten propagiert Lerngewinne: Hirnorganiker << Neurotiker Gesunde wichtig bei Rentenanforderungen wenn kein Potenzial: Reha sinnlos Klinisch orientierte Lerntests für Differentialdiagnostik im Erwachsenenbereich (z. B. neurotisches vs. hirnorganisch bedingtes Leistungsversagen) z. B. ROETHER, WOLFRAM, GÜNTHER Trainability-Tests und Lern-Assessment Centers für die Berufseignungsdiagnostik z. B. ROBERTSON, DOWNS, SARGES, OBERMANN, WOTTAWA «Experimentelle Psychodiagnostik» durch systematische Variation der Instruktions-, Aufgaben- bzw. allgemeinen Testbedingungen in Leistungstests z. B. BERG & SCHAARSCHMIDT, KORNMANN, LAUTH & WIEDL, KRYSPIN-EXNER, MÖBUS & WALLASCH Fragstellungen z. B.: Wie werden Testleistungen unter Lärm verändert? Sind manche Störungen nicht erst unter Belastung erkennbar? Messwiederholungen und Variation der Applikation von Fragebogentests, z. B. Standardinstruktion vs. Maximalinstruktion z. B. FISKE & BUTLER, EPSTEIN, PAULHUS & MARTIN, RIEMANN Instruktionen z. B.: «Wie verhalten Sie sich normalerweise im Straßenverkehr?» vs. «Wie könnten Sie sich in Extremsituationen verhalten?» (Maximalinstruktion) «Soziale Lerntests», z. B. für Untersuchung verhaltensgestörter Kinder und zur TherapieIndikation z. B. GÖTH, ZIMMERMANN «Probesitzungen» vor Therapie, in denen herausgefunden werden soll, ob eine Therapie sinnvoll wäre, z. B. experimentelle Spiele, danach wird Kindern beigebracht, dass es besser ist, kooperativ zu spielen; Zeit wird ermittelt, in der sie das lernen «Progressive Learning Interview» (LUBBERS, Australien) für eine «dynamische Einstellungsmessung», z. B. zum umweltbewussten Verhalten Definitionsversuch «Dynamische Testdiagnostik» «Dynamische Testdiagnostik» ist ein Sammelbegriff für testdiagnostische Ansätze – z. B. Testing the Limits, Learning Potential Assessment, Interactive, Dynamic Assessment, Lerntestkonzept, «reine» Testwiederholung bzw. unter systematischer Variation («experimentelle Psychodiagnostik»), Belastungsdiagnostik – , die über die gezielte Evozierung und Erfassung der intraindividuellen Variabilität im Testprozess entweder auf eine validere Erfassung des aktuellen Standes eines psychischen Merkmals und/oder von dessen Veränderbarkeit abzielen. Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 6. 57 Spezifische Fähigkeits- und Eignungstests Psychologischen Berufseignungsdiagnostik 2 Bereiche: Berufsberatung Neuropsychologische Diagnostik / betriebliche und Probleme Berufseignungsdiagnostik, der Geschichte: 20-er Jahre: Psychotechnik – v. a. Eignung für technische Berufe, z. B. Handruhe, Geschicklichkeit Arbeitsproben beobachtet (heute: «working samples»), d. h. eine gegebene Aufgabe musste unter Beobachtung ausgeführt werden (aber: keine Standardisierung) Neuropsychologie: Allgemeiner IQ uninteressant, aber spezifische wichtig, da so Ausfälle nachgewiesen werden können Lit.: BRONNBERG [habe ich vom Hören Enzyklopädie der Psychologie, 1983 mitgeschrieben – garantiere nicht für die Schreibweise, T. E.], Bereiche Tests zur Prüfung sensorischer Funktionen GALTON: mental tasks Hörschwelle, Farbtafeln Gesichtsfeldprüfung mit Perimeter mit psychologischem Training Erblindung verhinderbar (!) Tests für Neglect-Phänomene, z. B.: M. FELS, E. GEISSNER: NET (Verfahren zur Feststellung visueller NeglectPhänomene): Bilder werden gezeigt, Pt. muss alles beschreiben, was er sieht neglect-Ptn. lassen Details weg Liniendurchstreichtest Linien halbieren BENDER-Test: Figuren (einfache geometrische) abmalen; danach möglich: Posttest: Abmalen auf schraffiertem Papier (WALLASCH: «Hintergrundinterferenzverfahren») Ptn. mit Hirnschäden haben Probleme mit Figur-Grund-Trennung Tests zur Prüfung motorischer Funktionen Fein- oder Grobmotorik; Motorik spezieller Gliedmaßen etc. wichtig: Feststellung motorischer Entwicklung bei Kindern (klassisch: OSERETZKY; LINCOLN-Skala; Rostocker OSERETZKY-Skala), z. B. auf einem Bein stehen, auf Brettern balancieren etc. Motorik-Alter: wie Intelligenzalter berechnet; interessant: (IA – MA) groß bei Kindern mit frühkindlichen Hirnschäden Motorik betreffend 20-er Jahre: «Dynamometer»: Feder zusammendrücken, um Kraft zu messen (aber: gemessen Motivierbarkeit) (a) Präzision einfacher Bewegung (z. B. für Mikrochip-Herstellung) Frauen besser als Männer (sogar bei Schimpansen!) Tremometer: mit Metallstift muss ausgestanzte Linie nachgefahren werden, ohne die Wände zu berühren Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 58 (b) Trekking: auf Monitor Kontur gezeigt, muss z. B. mit Hebeln nachgefahren werden (z. B. Überprüfung von Kranführern) (c) Geschwindigkeit fortlaufender Bewegung (psychisches Tempo eines Menschen) «Tippe so schnell wie möglich!» (Tapping-Test) oder: so schnell wie möglich Punkte in Kästchen einzeichnen (d) Geschicklichkeit bei Ausführung von Arbeitsproben Drahtbiegeprobe von LIENERT (1967) handwerkliche Geschicklichkeit (e) Prüfung der Reaktionszeit heute am PC Prüfung des technischen Verständnisses bzw. der praktischen Intelligenz 2 Ansätze: praktische Aufgaben (Pbn. müssen etwas herstellen), z. B. Figurenlegetest nach LIENERT oder Marburger Formlegespiel gezeichnete technische Sachverhalte müssen beurteilt werden, z. B. Mechanisch-Technischer Verständnistest («Welche Zahnräder drehen sich in dieselbe Richtung?») oder Mannheimer Test zur Erfassung des physikalischtechnischen Verständnisses (CONRAD, BAUMANN & MOHR 1980) 8. Mai 2000 Gedächtnistests problematisch, da Gedächtnis nicht homogen, sondern aus verschiedenen Facetten bestehend (die kaum korrelieren) Facetten sind vor allem: Inhaltsperspektive: figural, numerisch, verbal oder: Zeitperspektive: Kurzzeitgedächtnis, mittelfristiges Gedächtnis, Langzeitgedächtnis oder: Abruf- bzw. Prüfmethode: Wiedererkennung, free recall oder: Technik des Einprägens Gedächtnistests stark abhängig von momentaner Konstitution geringere Reliabilität und Interkorrelation als Intelligenztests Tests: (a) Lern- und Gedächtnistest LGT (Form 3) (BÄUMLER) verbal, numerisch, figural Bsp.: Weg auf einem Stadtplan merken, Gegenstände wiedererkennen, Firmenzeichen merken; oder: türkische Vokabeln lernen, Telefonnummern etc. T-Werte (x = 50, s = 10) Gesamt-IQ bestimmbar, außerdem figurales und verbales Gedächtnis einzeln 16 – 35 Jahre, aber mindestens 10. Klasse Schulabschluss v. a. im Öffentlichen Dienst bei Auswahl und Eignung eingesetzt, aber auch in Kliniken (b) Berliner Amnesie Test BAT (METZLER & VOSHAGE) in Klinik, meist nach Alkoholismus Feststellung von Korsakoff (c) Verbaler Lerntest VLT, Nonverbaler Lerntest NVL (STURM & WILLMES 1999) Neuropsychologie, v. a. Langzeitgedächtnis v. a. unilaterale Schädigungen im Thalamus feststellbar Testkarten mit Kunstworten («eigsam», «Klaver»), dabei Kunstworte mit und ohne Assoziationsmöglichkeit zu deutschen Wörtern verbal 160 Items, 64 wiederholen sich im Abstand von 13 Karten Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 59 Aufgabe: Wörter wiedererkennen nonverbal: das Gleiche mit Figuren (chaotisch vs. wohlgeformt) 20 – 76 Jahre, bildungsabhängige Normwerte keine Geschlechtsdifferenzen (d) Wechsler Memory Scale WMSR (bisher nur englisch, 1987 revidiert) delayed recall (also zwischen lernen und abfragen andere Aufgabe) (e) Vierfeldertest (SÜLLWOLD) keine intellektuelle Anforderung, aber sehr schwierig Gedächtnis unter Störbedingungen Verhältnis : und Beispiele: + (1 : 0, 0 : 1) + : muss gemerkt werden (1 : 1, 1 : 1) (mit oben; wird zusammengerechnet) nach 7 solchen Blöcken getestet (muss also bis dahin behalten werden) working memory (f) Test für medizinische Studiengänge TMS (heute in der Schweiz), Untertest Figuren merken Messung des räumlichen Vorstellenkönnens gilt als unabhängig von allgemeiner Intelligenz; hohe genetische Disposition geschlechtsspezifische Besonderheiten in der Fähigkeit des räumlichen Vorstellenkönnens – Männer können es besser: Frauen Männer (aber: Untergruppe von Frauen genauso gut wie Männer) keine homogene Fähigkeit, sondern 3 Facetten: (a) Veranschaulichung (gedankliche Vorstellung von räumlichen Bewegungen; Verschiebung, Faltung von Objekten) Beispiele: «form boards» (WERDELIN 1961) Einzelformen zu Figuren zusammensetzen (mental) Untertest v. AMTHAUER Formlegetest (LIENERT) (b) räumliche Beziehungen (spatial relations) räumliche Konfiguration von Objekten und ihren Teilen Objekt muss aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden (3D) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 60 Beispiele: Würfel aus AMTHAUER GITTLER 3D (auch Würfel, aber schwerer; beruht auf probabilistischer Testtheorie) «Einsteckprobe» Mosaiktest aus HAWIE Schlauchfiguren aus TMS SHEPARD & METZLER (1971) versteckte Figuren finden (c) räumliche Orientierung richtige Einordnung der eigenen Person in räumlicher Situation Fähigkeit, sich real und mental im Raum zurechtzufinden Beispiel: DELANGE (1984): «Serial orientation» – «Church, Mill, Tower» (man fährt mental mit einem Schiff die Küste entlang) künstlerische Fähigkeiten (a) Musik SEASHORE [?] WING: Analyse von Tonhöhen, Akkorden, Einschätzung von Harmonien (b) schauspielerische Begabung schwierig zu operationalisieren (c) Grafik etc. 11. Mai 2000 Psychologische Berufseignungsdiagnostik Sektor nimmt in Psychologie dramatisch zu – WOTTAWA: ca. 30 000 DM Ersparnis pro Arbeitnehmer durch Eignungsdiagnostik Hauptzielstellung der psychologischen Berufseignungsdiagnostik: «Vergleich zwischen Personen und Tätigkeiten zur Optimierung der Zuordnung von Tätigkeiten und Personen im Interesse der Zufriedenheit und Gesundheit der Betroffenen und der Organisation (d. h. höherer Profit, aber auch Zufriedenheit der Belegschaft, die unter Ungeeigneten ebenso leidet).» Tätigkeit Person Anforderungen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse Befriedigungspotenzial Interessen, Bedürfnisse und Werthaltungen Veränderung Entwicklungspotenzial und erfolgsrelevante Merkmale allgemein Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 61 Hauptprobleme der psychologischen Berufseignungsdiagnostik: Sicherheit von Prognosen Problem von Konstanz und Variabilität von Personeneigenschaften: Kann man bei Berufsbeginn schon relativ zuverlässig aus den vorhandenen Personeneigenschaften auf deren weitere Entwicklung im Beruf schließen? Die Konstanz im höheren Alter ist größer als in jüngeren Jahren. Sie ist auch abhängig von Personenmerkmalen (z. B. Extraversion, Flexibilität, Intelligenz, Interessen und spezifischen Kenntnissen). Extraversion und Intelligenz relativ stabil, aber nicht Interessen und spezifische Kenntnisse. Anforderungsanalysen Exakte Anforderungsanalysen als Grundlage für Diagnoseinstrumente liegen oft nicht vor. Veränderungen in der Berufswelt bringen neue Probleme bei der Anforderungsanalyse der darauf aufbauenden Diagnostik mit sich. Bewährungskriterien Es gibt große Probleme bei der Auswahl der geeigneten Bewährungskriterien (Ausbildungserfolg vs. Berufserfolg, Leistung, Zufriedenheit im Beruf, Vorgesetztenurteil, Einkommen, Fluktuation). Verzerrungen und Verfälschungen In allen transparenten Diagnoseverfahren (Interview, Fragebogen, Interessentest usw.) besteht die Gefahr, dass Prüfungsangst, spezifische Vorerfahrungen und Testtraining mehr die Ergebnisse bestimmen als die eigentlich zu testenden «Entwicklungspotenziale». Gültigkeit Das bei Bewerbern und Diagnostikern am meisten geschätzte Interview hat die niedrigsten Gültigkeitskoeffizienten und ist hochgradig subjektiv in Durchführung und Auswertung. Haupterkenntnisse der psychologischen Berufseignungsdiagnostik: Die Wahl des Berufes und der Organisation (Betrieb) erfolgt nicht zufällig, sondern oft vom Persönlichkeitstyp her. Typen der Orientierung nach HOLLAND (1966): (a) Realistische Orientierung Personen dieses Typus sind «männlich», aktiv und aggressiv, sind an physischer Aktivität interessiert und motorisch befähigt, haben eher konventionelle Werthaltunge – sowohl im politischen wie im ökonomischen Bereich, tendieren bei der Berufswahl zu handwerklichen und technischen sowie zu land- und forstwirtschaftlichen Berufen. Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 62 (b) Intellektuelle Orientierung Personen dieses Typus sind aufgabenorientiert und in gewissem Sinne «asozial», trachten danach, Probleme intellektuell zu bewältigen, durch «Manipulation von Ideen, Worten und Symbolen», nicht dagegen durch physische oder soziale Aktivität, haben starkes Bedürfnis, Zusammenhänge zu verstehen, besitzen eher unkonventionelle Wertvorstellungen und Einstellungen, wählen eher naturwissenschaftliche und mathematische Berufe. (c) Soziale Orientierung Personen dieses Typus sind sozial orientiert und von sozialer Verantwortung erfüllt, haben ein starkes Bedürfnis nach Beachtung und sozialer Interaktion, verfügen über gute verbale und soziale Fähigkeiten, tendieren dazu, Probleme eher emotional und durch soziale Aktivität zu bewältigen als intellektuell, wählen pädagogische und sonderpädagogische Berufe oder sind Sozialarbeiter, klinischer Psychologe oder Berufsberater. (d) Konventionelle Orientierung Personen dieses Typus bevorzugen weitgehend strukturierte verbale und numerische Aktivitäten und Untergebenenrollen, sind konformistisch eingestellt und vermeiden unklare Situationen sowie Probleme, die soziale Aktivität oder ausgeprägte physische Fähigkeiten erfordern, identifizieren sich mit Machtpositionen und schätzen materiellen Besitz und Status, wählen Berufe wie Buchhalter, Rechnungsprüfer, Bankangestellter, EDVOperator und Statistiker. (e) Unternehmerische Orientierung Personen dieses Typus verstehen sich als starke, männliche Führungspersönlichkeiten, besitzen ausgeprägte verbale Fertigkeiten und fühlen sich wohl, wenn sie anderen etwas verkaufen können, vermeiden jedoch klar definierte verbale Situationen sowie Aufgaben, die einen längeren angestrengten intellektuellen Einsatz erfordern, wählen Berufe wie Hotelier, Unternehmer, Industrieberater, Immobilienhändler, Wahlkampfmanager, Versicherungsvertreter etc. (f) Künstlerische Orientierung Personen dieses Typus ähneln denjenigen des intellektuellen Typus hinsichtlich ihrer «asozialen» Ausrichtung, unterscheiden sich jedoch von diesen durch ihr Bedürfnis nach Selbst-Ausdruck mit Hilfe künstlerischer Medien, meiden hochgradig strukturierte Probleme und Aufgaben, die grobmotorische Fertigkeiten erfordern, haben eine geringe Ich-Stärke, sind eher feminin und leiden häufiger unter emotionalen Störungen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 63 wählen vor allem künstlerische oder mit dem Kultur- und Kunstleben befasste Berufe. dazu: BERGMANN, C. & EDER, F. (1992): Allgemeiner Interessen-Strukturtest (AIST), Beltz Lit.: H. SCHULER (1996): «Psychologische Personalauswahl» Typischerweise liegen prognostische Gültigkeitskoeffizienten für die Korrelation von Tests etc. mit Kriterien um .30 und lassen damit eine deutlich bessere Prognose gegenüber dem Zufall zu. cut-off-Wert: Wert in einer Verteilung, ab dem ein Proband einen kritischen Wert innerhalb eines Merkmals erreicht bei vielen Bewerbern: cut-off-Wert hoch angesetzt, bei wenigen Bewerben niedrig Tests nur bei vielen Bewerbern («Selektionsquote») sinnvoll. Basisrate: hier: Wieviel Geeignete gibt es für den Beruf in der Population überhaupt? Tests nur bei niedriger Basisrate sinnvoll (s. o.) Diplomarbeit zur Gültigkeit von Tests von ECKERT (Gießen), 1990 – Unternehmen: Deutsche Bahn fast überall Nullkorrelationen (!) HOSSIEP (1992), Deutsche Bank Tests deutlich besser (Azubis getestet, verglichen mit Berufserfolg) Der Ausbildungserfolg lässt sich meist besser vorhersagen als der (komplexer bedingte) Berufserfolg. Für die Prognose des Ausbildungserfolges sind die Zensuren und die Intelligenz- bzw. Leistungstests die besten Prädiktoren – am günstigsten ist allerdings deren Kombination (z. B. TMS-Ergebnisse zu Vorhersage des Studienerfolgs). USA: HUNTER, D: SCHMIDT-ATZERT: Metaanalysen Ausbildungserfolg am besten vorhergesagt durch Allgemeine Intelligenztests (!) (keine spezifischen Tests) Je komplexer und intelligenzintensiver die Berufsanforderungen und je heterogener die Bewerberpopulation, desto höher ist die Aussagekraft von Intelligenztests. Psychomotorik- und Persönlichkeitstests spielen nur eine geringe Rolle. Letztere sind allerdings von größerer Bedeutung, wenn weniger die Leistung als das Verhalten verhergesagt werden soll (z. B. bei Verkäufern, siehe auch neue Erfahrungen mit dem NOE-FFI). ATKINSON: Berufserfolg abhängig zu: 25% von Fähigkeiten, 50% von Motivation, 25% Abschaltung störender Motivation (z. B. Hobbies) Unterkonstrukte (z. B. Dominanz, Kontaktfreudigkeit, Selbstbewusstsein, internale Kontrollüberzeugung) sind bedeutsamer als globale Persönlichkeitseigenschaften (z. B. Big Five). Für diese Aussage sprechen auch neuere Erkenntnisse über die Rolle der sog. emotionalen Intelligenz. vgl. auch STERNBERGs Erfolgsintelligenz, VL Differentielle Psychologie Es lassen sich allgemein Auswahlverfahren mit höherer und geringerer prognostischer Validität unterscheiden. Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 64 SCHULER (1993): Wie beliebt sind Auswahlverfahren bei Bewerbern? Plätze: 1. Einstellungsgespräch 2. Arbeitsprobe 3. Schnupperlehre 4. Zeugnisnoten 5. Fähigkeitstests 6. Lebenslauf 7. Handschriftsanalyse 8. Losverfahren Bevorzugt wird 1. eigenständige Verhaltenskontrolle, 2. Orientierung auf die zukünftige (nicht die vorangegangene) Leistung, 3. Informationsgewinn über Details des Jobs. Demgegenüber: Validität von Auswahlverfahren: eher gering: Bewerbungsunterlagen, Schulnoten höher: Assessment Centers, kognitive Fähigkeitstests Hauptverfahren der psychologischen Berufseignungsdiagnostik Unterscheidung zwischen eigenschaftstheoretischer Erfassungsweise (z. B. räumliche Vorstellungsfähigkeit im Test) und simulationsorientierter Vorgehenswei, wo komplexe berifliche Anforderungen im Vordergrund stehen (z. B. Arbeitsprobe, Assessment Center, Interview). Auwertung der Berbungsunterlagen hier wird vom ersten Eindruck ausgegangen, formale Dinge stehen manchmal mehr im Vordergrund als Qualifikationsmerkmale Untersuchung in Australien: Fotos von Bewerbern mit Glatze und den gleichen Bewerbern ohne Glatze gezeigt Bewerber mit Glatze hatten schlechtere Karten Auswahlgespräche Personalfragebögen Biografische Fragebögen Testverfahren Assessment Center und Arbeitsproben inclusive Computergestützter Szenarien, z. B. Postkorbübung Ausdrucksdeutungen spielen zwar für den ersten Eindruck eine große Rolle (z. B. Einschätzung von Introversion, Gewissenhaftigkeit oder verbaler Intelligenz), werden aber wissenschaftlich kaum beachtet Kenntnisse Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 65 werden nur indirekt (über Zensuren, Fragen im Interview etc.) erhoben, aber nicht durch standardisierte Tests, obwohl Vorgesetzte ihre Einschätzung vor allem auf den Kenntnissen im Beruf aufbauen 15. Mai 2000 Berufseignungstestbatterien: DORSCH & GIESE, 20-er Jahre im Rahmen der Psychotechnik Frage: Mehr technisch oder mehr kaufmännisch befähigt? Berufseignungstestbatterie (BET), SCHMALE & SCHMIDTKE (1967) 8 schriftliche Tests und 4 Manipulationstests (Unterlegscheiben etc.) auch kaufmännische vs. technische Befähigung erhoben Allgemeiner Büro-Arbeitstest, LIENERT & SCHULER (1994) Routinetätigkeiten im Büro, Rechtschreibung, Rechnen Eignungstestserie 93 (Arbeitsamtinternes Verfahren) Intelligenz (Reasoning-Analogien, Figurenfolgen, Zahlenfolgen) auch Rechtschreibung und Rechnen heute auch computergestützt Firma: Intelligenz-System-Transfer Verfahren POKO (nicht veröffentlicht) fluide und kristalline Intelligenz Flexibilität Tenazität in Verfolgung von Zielen Leistungsmotivation Stressstabilität soziale Kompetenz Durchsetzungsfähigkeit Lernfähigkeit für neue Qualifizierungsinhalte Haupttrends der gegenwärtigen psychologischen Berufseignungsdiagnostik Anforderungsmerkmale Betonung der allgemeinen Anforderungsmerkmale «Vernetztheit des Denkens», «Flexibilität» und «Lernfähigkeit» zunehmende Rolle der «emotionalen Intelligenz» in Service-Berufen, sowie organisatorischer Fähigkeiten und «Vigilanz» (Daueraufmerksamkeitbei Überwachungstätigkeiten) in technischen Berufen Arbeitsproben im Rahmen von Assessment Centers immer größere Bedeutung verschiedene Verhaltensmerkmale wie «Teamfähigkeit», «Belastbarkeit» etc. geprüft i. d. R. mehrere Urteiler und Bewerber im AC (Verhältnis ca. 1 : 2) auch kognitive Arbeitsproben (z. B. rev. Büro-Arbeitstest nach LIENERT & SCHULER, 1994) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 66 auch computergestützte komplexe Problemstellungen (z. B. «Tailorshop», «Airport», «Postkorb») Ergänzung (aus dem Seminar Assessment Centers – hat Guthke so nicht gebracht): Die Postkorbübung: 1. Umlauf für die Geschäftsleitung zu aktuellen betriebswirtschaftlichen Zahlen mit Hinweis auf Verschlechterung 2. Mitarbeiter A lässt erkennen, dass zu Mitarbeiter B Kommunikationsprobleme bestehen 3. Zwei Investitionsalternativen werden vorgeschlagen; nach Berechnung ist eine davon kostengünstiger 4. Störung wichtiger Fertigungslinie tritt auf 5. Messebericht mit Hinweisen auf technische Entwicklungen, die in eigener Firma nicht berücksichtigt werden 6. Mitarbeiter C soll zum Stellvertreter ernannt werden, Andeutungen jedoch, dass er keine Akzeptanz hat 7. Schreiben von Mitarbeiter mit Bitte «gelegentlich darum kümmern», ist inhaltlich jedoch sehr wichtig In hohem Maße delegieren Sensibilität für zwischenmenschliche Konflikte Ausgeprägte Kostenorientierung Hohe Entscheidungsorientierung, mit Druck umsetzen können Wahrnehmungsfähigkeit für schwache wirtschaftliche Signale Bewerber wird vor einen Korb voller Post an einen Schreibtisch gesetzt und muss auf die einzelnen Aufträge reagieren, d. h. angeben, was er in welcher Reihenfolge wie erledigen würde zuvor werden Bewältigungsstrategien für die Aufgaben erhoben im Beispiel: fünf Bewältigungsstrategien (Tabellenkopf), für jede davon 3 Postkorbvorgänge (nach OBERMANN, 1992): Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 67 8. Es treten plötzlich teure Qualitätsprobleme auf, jetzt jedoch andere, eigentlich unwichtige Termine 9. Mitarbeiter versucht «Rückdelegation» 10. Vermehrte Kündigungen in einer bestimmten Abteilung, Hinweise auf Unzufriedenheit von Mitarbeitern 11. Sehr teure Investition mit unsicherem Nutzen wird von Mitarbeiter dringend empfohlen 12. Wird mit Bitte um Problemlösung angesprochen, ist eigentlich Verantwortungsbereich von Mitarbeiter 13. Mitarbeiter bittet um Entscheidung, die er auch selber treffen könnte 14. Vergleichskennzahlen von IHK zu Kostenentwicklung weisen auf eigene Schwächen hin 15. Schreiben von Mitarbeiter mit indirektem Hinweis, dass wichtiger Prototyp nicht termingerecht fertig wird (Ende der Ergänzung) Arbeitsproben und kognitive Leistungstests weisen zwar hohe Prognosekoeffizienten auf – im AC entscheiden aber vor allem Intelligenz, Leistungsmotivation, Dominanz und Selbstvertrauen über das Abschneiden Standardisierung der Interviews v. a. 2 Aspekte: Biografische Fragebögen Multimodales Interview nach SCHULER, 1992, 1996 SCHULER: standardisiertes Interview hat mindestens Qualität eines Tests (!) schlägt Maßnahmen zur methodischen Verbesserung des Interviews vor, z. B. Verwendung von Skalen wenn Interview wenig standardisiert, dann zusätzliche Beurteiler empfehlenswert Aufbau des Multimodalen Einstellungsinterviews (SCHULER, 1992) (a) Gesprächsbeginn kurze informelle Unterhaltung Bemühen um allgemeine und offene Atmosphäre Skizzierung des Verfahrensablaufs keine Beurteilung Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 68 (b) Selbstvorstellung des Bewerbers Bewerber sprechen einige Minuten über ihren persönlichen und beruflichen Hintergrund Beurteilung nach anforderungsbezogenen Dimensionen auf einer dreistufigen Skala (c) Berufsorientierung und Organisationswahl standardisierte Fragen zu Berufswahl, Berufsinteressen, Organisationswahl und Bewerbung Antwortbeurteilung auf dreistufigen beispielverankerten Skalen (d) Freies Gespräch offene Fragen in Anknüpfung an Selbstvorstellung und Bewerbungsunterlagen Summarische Eindrucksbeurteilung (e) Biografiebezogene Fragen biografische (oder «Erfahrungs-») Fragen werden aus Anforderungsanalysen abgeleitet oder anforderungsbezogen aus biografischen Fragebögen übernommen bezogen auf Vergangenheit, aber immer auf tatsächliches Verhalten immer konkret, alles muss nachprüfbar sein, faktisch (nicht interpretativ) Bsp.: «Wann haben Sie sich das letzte Mal gefreut, dass sie Ihren Einfluss geltend machen konnten?», «In welchem Fall haben Sie einen Kollegen bei der Lösung eines Problems unterstützt?» Antworten an Hand einer dreistufigen (einfache Fragen) bzw. fünfstufigen (komplexe Fragen) verhaltensverankerten Skala beurteilt (f) Realistische Tätigkeitsinformation ausgewogene Information seitens des Interviewers über Arbeitsplatz und Unternehmen Überleitung zu situativen Fragen (g) Situative Fragen auf critical incident-Basis konstruiert Antworten auf fünfstufigen Verhaltensskalen beurteilt (h) Gesprächsabschluss Fragen des Bewerbers Zusammenfassung weitere Vereinbarungen Lerntests stärkere Beachtung des Entwicklungs- und Lernpotenzials (Trainability-Concept, Lern-AC) Computergestützte Diagnostik Vorteile sowohl für das Test- als auch für das Arbeitsprobenparadigma Erhöhung der ökologischen Validität durch multimediale Darbietung Vorteile computergestützter Eignungsdiagnostik (a) volle Standardisierung der Durchführung und Auswertung sowie Kontrolle der Zeitvorgabe für Items und Verfahrensstile (b) Möglichkeit zur Registrierung von Zusatzdaten wie Latenzzeiten, Fehlerreaktionen und Korrekturen, allerdings z. T. mit Problemen bei der Validierung und Interpretation Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 69 (c) Rationalisierung bei Durchführung und Auswertung, schnellere Ergebnisverfügbarkeit, Einsparung seperater Dateneingaben für spätere Analysen (d) erhöhte Schutzmöglichkeiten gegen unzulässige Verbreitung des Verfahrens (Kopierschutz) (e) Akzeptanz computergestützter Verfahren bisher meist höher als die verbleichbarer Papier-Bleistift-Verfahren: Computererfahrung hat bei der Mehrzahl der Studien positiven Einfluss (f) reduziertes «impression management» der Bewerber mit allerdings teilweise widersprüchlichen Ergebnissen und noch unklarer Verursachung (einige Untersuchungen haben ergeben, dass man dem PC ehrlicher antwortet als einem Menschen – aber umstritten) Fragen zur «sozialen Validität» (Akzeptanz der Verfahren) denn: Betriebsrat entscheidet, ob ein Test angewandt werden darf Fragen nach: Infos: Ich wurde über meine künftigen Aufgaben informiert. Die Aufgabe half mir, meine beruflichen Pläne zu präzisieren. Partizipation / Kontrolle Transparenz: Die Aufgabenstellung war verständlich. Mir ist klar, welche Fähigkeiten untersucht wurden. Urteilskommunikation / Feedback: Ich wurde offen und klar informiert, wie ich abgeschnitten habe. Die Aufgabe hat mir geholfen, über meine berufliche Eignung klarzuwerden. KERSTING (1998): Akzeptanz von Intelligenztests in Bezug auf Anforderungsnähe niedriger als PC-Szenarien bei Managern; in Bezug auf Messqualität aber Intelligenztests höher (!) Akzeptanzurteil über Intelligenztests um so höher, je höher IQ des Befragten; nicht so bei Problemlöseszenarien 18. Mai 2000 7. Allgemeine Leistungstests (Ausdauer- / Konzentrationstests) Leistungsfähigkeit hängt nicht nur von Intelligenz ab, sondern in starkem Maße auch von Konzentration Schulversagen häufig durch Konzentrationsschwächen (z. B. hyperkinetisches Syndrom) Aufmerksamkeit hat viele Facetten (zeitlich und inhaltlich) kein homogenes Konstrukt Begriffe: geteilte Aufmerksamkeit, Inhibition, selektive Aufmerksamkeit, Vigilanz (Daueraufmerksamkeit); akustische, optische Aufmerksamkeit etc. Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 70 Erfassung nur durch Testbatterien (einzelne Tests messen nur Einzelaspekte) in Literatur manchmal Unterschied: Aufmerksamkeit = state, Konzentration = Fähigkeit (WESTHOFF) Guthke: Konzentration nie ohne Aufmerksamkeit Geschichte: Konzentrationstests genauso alt wie Intelligenztests Grundidee: ganz einfache Anforderungen, die keine intellektuellen Anforderungen stellen problematisch, weil kaum zu trennen Rechenaufgaben KRAEPELIN-Schüler (Name war nicht zu verstehen) entwickelt Test: Vp. muss eine Stunde lang Zahlen addieren; angewandt zunächst auf psychiatrische Patienten veröffentlicht durch PAULI: großes Blatt mit Ziffern; Proband muss alle 3 Minuten Strich machen Leistung kann so alle 3 Minuten getrennt ausgewertet werden, um Konzentrationsschwankungen festzustellen außerdem: Fehler erhoben ideal: viel schaffen und wenig Fehler Gesamtzeichen minus Fehler berechnet «Steighöhe» = beste – schlechteste Leistung PAULI: wollte Test auch auf Charakter anwenden z. B. bei Leichtathleten: Leistg. Leistg. Kurzstreckenläufer 1 ... 20 Striche (= 60 Minuten) Marathonläufer 1 ... 20 aber: heute überholt Test nur noch für Konzentration angewandt DÜKER & LIENERT: KLT (Konzentrations-Leistungs-Test) Bsp.: 8+9–2 Ergebnisse merken, dann größeres minus kleineres aufschreiben 5–4+3 aber: Korrelation mit Mathe-Note nicht nur Konzentration gemessen Durchstreichaufgaben BOURDON: a, r, s, i durchstreichen; Auslasser und «Fehlalarme» erhoben BRICKENKAMP: d2 (alle d mit 2 Strichen durchstreichen): Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias d p d d p d 71 p d d Gesamtzeichen GZ, Fehler F sowie GZ minus F erhoben Kritik: Man könnte von hinten anfangen scheinbar viele GZ neuer Test: MOOSBURGER & OELSCHLÄGEL (1996): FAIR Quadrate mit 2 Punkten müssen mit Zacken markiert werden: alle Zeichen müssen von links nach rechts bearbeitet werden Guthke: «Links-offen-Test» augenfreundlicher, weil größere Zeichen Beispiele: Lerntest: Prä- und Posttest; Hirngeschädigte haben beim Posttest keine Vorteile Sortieraufgaben ABELS (1961): KVT (Konzentrations-Verlaufs-Test) 60 Karten mit je 36 Zahlen, darunter die Zahl(en) 43 oder 63 oder 43 und 63 oder keine von beiden entsprechend in 4 Kategorien sortieren Fehler werden erhoben; auch Verlauf der Konzentration feststellbar, da Karten immer in fester Reihenfolge gegeben werden KOCH & PLEIßNER: KHV (?) keine Zahlen, sondern Bilder Prinzip wie KVT, aber weniger als 60 je Karte für Vorschulkinder OSWALD & ROTH: ZVT (Zahlen verbinden) Trail-Making-Test: 2 Versionen (A und B) Version A: Zahlen verbinden Version B: Kombination aus Zahlen- und Buchstabenverbinden (alternierend, in aufsteigender Ordnung): A 1 2 3 B C D 4 KAGAN (1966): MFF (Matching Familiar Figures) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 72 Teddybär- (oder andere) Bilder mit geringen Unterschieden Vergleich der Bilder gefordert streng genommen kein Konzentrationstest KURTH: TPK (Test zur Prüfung der Konzentrationsfähigkeit) 2. bis 6. Klasse Text abschreiben Tiergeschichte Tiere müssen angegeben werden Rechenaufgaben Kritik: zu sehr mit Schulleistungen verbunden Vorteil: schulnäher Kritik und Problematik von Konzentrationstests: Hauptdilemma: Wenn Test zu einfach Pbn. nicht motiviert Leistungen vielleicht schlechter als in Praxis aber: nicht anders messbar Tests nur für enge Anforderungsbereiche fragwürdig, z. B. d2 in der Schule (wozu?) Kondition und Disposition nicht berücksichtigt Prinzip der Mindestschätzung (Pb. kann nicht schlechter sein als seine Testleistung, sehr wohl aber besser) Maximalleistungen kaum feststellbar Leistungsschwächen können leicht ausgeschlossen werden (ein Gegenbeweis genügt), aber schwer bestätigt Entwicklungstrends bei den Allgemeinen Leistungstests a) Versuche zu einer besseren theoretischen Fundierung – allgemeinpsychologische und neuropsychologische Ansätze b) Taxonomie der Konzentrationsleistungen nach den Dimensionen (WESTHOFF & KLUCK [?]) Geübtheit (z. B. Pauli vs. KLT, große ind. Differenzen) Komplexität der Reizgrundlage (z. B. FAIR vs. d2, Zahlen vs. Buchstaben etc.) Geforderte Leistungen (z. B. d2 vs. KVT, wo auf 4 Merkmale geachtet werden muss; KLT vs. Pauli) c) wieder stärkere Beachtung des Fehlerwertes (WESTHOFF et al.) als Indikator für die «Eigenschaft» Neigung zu Konzentrationsschwankungen d) Prozessanalysen und Lerntestversionen (Differentieller Leistungstest nach KLEBER für die Schullaufbahn; KOLLO nach WINKLER & GUTHKE; Bonner Konzentrationstest BKT; Vigilanztest nach DVORAK) e) Computerunterstützte Verfahren (Wiener Determinationsgerät; FACT [Computerform des FAIR]; Neuropsychologische Aufmerksamkeitsbatterien nach FIMM) im Vigilanztest (siehe d) drei Typen gefunden: unauffällige jüngere Probanden (am besten) unauffällige ältere Probanden (am Anfang so schlecht wie Versager, am Ende aber so gut wie unauffällige jüngere Probanden Test nicht zu kurz machen, sonst verfälschtes Bild) Versager Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 8. 73 Curriculumbezogene Tests («Schultests») auf Lehrplan bezogen, meist Schule (aber auch Berufsschule) Ziel: Erkenntnisse der Intelligenzforschung auf Schule übertragen Curriculumsbezogene Tests – Schulleistungstests – Lehrzielorientierte Tests – Bereichsspezifische Fähigkeits- und Kenntnistests Curriculumsbezogene Tests sind standardisierte, nach den Regeln der Testkonstruktion entwickelte Verfahren zur Erfassung einer repräsentativen, kontentvaliden Aufgabenstichprobe aus einem Aufgabenuniversum, das durch ein Lehrziel definiert ist, bzw. zur Erfassung von spezifischen Lernvoraussetzungen für den Erwerb eines Lernziels. Hauptzielstellungen: «Verwissenschaftlichung» und höhere Objektivität bei der curriculumbezogenen Leistungskontrolle für regionale und überregionale Leistungsmessungen (Effizienzuntersuchungen des Allgemeinbildenden und Berufsbildungssystems) Hilfe für den Lehrer bei der Optimierung des Unterrichts, bei der Bewertung der Leistung und Rückkopplung Einzelfunktionen: Erfassung von Lernvoraussetzungen (readiness tests) Erfassung von Lernfortschritten im Curriculum zur besseren «Lernsteuerung» Kriterumsorientierte Tests nur normativen Evaluation Erfassung von speziellen Lernproblemen einzelner Schüler – fehleranalytische Verfahren, «Förderdiagnostik» Erfassung des Lernergebnisses am Ende des Curriculums – Lernkontrolltests – summative Evaluation «Objektivere» Bewertung von Schülern und Feststellung der Eignung für weiterführende Schulen Beispiele für Schulleistungstest: AST (Allgemeiner Schulleistungstest) 1991 Vergleich Neue vs. Alte Bundesländer neue Bundesländer tendenziell besser internationale Studie zu Schulsystemen Deutschland relativ schlecht Typen von Schultests Unterscheidungsaspekt Populations- () oder anforderungsbezogene () Normierung Information über die Bewältigung begrenzter Themengebiete () oder des gesamten Schulstoffes in einem Fach () Verfahrenstyp Schulleistungstests (Differenzierungstests) Lehrzielorientierter Kontrolltest Thema-Test Jahresschluss-, Übergangs- und Eingangstests Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias Nur globale Information über Lehrplanerfüllung (Kriteriumserfüllung) () oder auch fehleranalytische Auswertungsmöglichkeit () Nur Erfassen des momentanen Könnens () oder auch Erfassen der Möglichkeiten zur Leisungssteigerung («Zone der nächsten Entwicklung») und des Lernprozesses () 74 Kriteriumstest Sondierungstest Statustest Lerntest bzw. Lernprozesstest Schulleistungstests: i. d. R. binomialverteilt Lernzielorientierter Kontrolltest: Gauß-Verteilung 22. Mai 2000 Ausgewählte Schulleistungstests: Allgemeine Schulleistungstests für 2. Klassen Schulleistungsbatterie für Lernbehinderte Hauptschul-Abschlusstest für 9. Klassen Diagnostischer Rechtschreibtest für 1. Klassen etc. Neuentwicklungen bei Schulleistungstests BORCHERT, KNOPF-JERCHOW und DAHBASHI (1991): 200 Tests vorgestellt BIRKEL (1994): Weingartener Grundwortschatz Rechtschreibtestfür 3. und 4. Klassen (WRT3+) (reiner Rechtschreibtest): «Seid ihr bereit, können wir ...» («beginnen» wird diktiert) KLAUER (1994): Diagnose- und Förderblätter für Rechenfertigkeiten 2 – 4 MARX (1999): Knuspels Leseaufgaben für 1. bis 4. Schuljahr basiert auf moderner Leseforschung KAUTER et al. (2000): Mathe-Lesen-Schreiben (1. Klasse) MIETZEL & WILLENBERG (2000): Hamburger Schulleistungstest für 4. / 5. Klasse (HAST 4/5) Bsp.: Schulleistungstest Deutsch 4. Klasse: «Sechs Läufer waren am Start, und e___ war s___ still i___ Stadion.» Tendenzen in der Entwicklung von Curriculumbezogenen Verfahren zur Zeit starke Kritik an Massentestungen (wie in USA) a) Entwicklung stärker förderungsorientierter, fehleranalytischer, «komplexer» Verfahren, Kritik am multiple-choice-Format wieder komplexere Aufgaben Förderungsdiagnostik kognitionspsychologisch orientierte «Wissensdiagnostik» Performance based assessment (v. a. Problemlösungen verlangt) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 75 Ausgangspunkte: Kritik an den herkömmlichen multiple-choice-Verfahren und der isolierten Wissenserfassung Anwendung von Erkenntnissen der Kognitionspsychologie, Problemlösepsychologie und modernen Pädagogik Kennzeichen: open-end-Tests Orientierung auf komplexere Problemstellungen Erfassung von Lernstrategien größere Wahlfreiheit der Aufgabenbearbeitung b) Messtheoretische Weiterentwicklunge auf der Basis der probabilistischen Testtheorie und des Binomialmodells – kriteriumsorientierte Tests c) Entwicklung von curriculumsbezogenen Lerntests Arten von Studieneignungstests: Allgemeine Studierfähigkeitstests z. B. SAT (Scholastic Aptitude Test, USA), obligatorisch für Zulassung für Studium Mittelwerte seit 1967 stetig gesunken Spezifische Studierfähigkeitstests z. B. TMS (Test für medizinische Studiengänge, Schweiz) oder Law School Admission Test (USA) Wissenstests z. B. Japanischer Hochschultest oder: Achievement Tests (USA) Persönlichkeitstests (selten) z. B. Eingangsprüfung der Union of Newcastle (Australien) 9. Entwicklungstests (Mauri Fries) Entwicklungsdiagnostik 2 Begriffe: Entwicklungspsychologie und Diagnostik Wozu Entwicklungsdiagnostik? oft: Eltern kommen in Beratung, weil sie Zweifel an Entwicklung ihres Kindes haben Eltern haben es oft eilig und haben sehr subjektive Ansichten zur Entwicklung oder: Erzieher und Lehrer schicken Eltern in Beratung (z. B.: Kind läuft nicht oder interessiert sich nicht für Bilderbücher) Folge: Diagnostiker entwickeln Entwicklungstests MONTADA: Fragen zur Anwendungsorientierung von Entwicklungsdiagnostik: Was ist? Status Wie ist es geworden? Entstehung der Fähigkeit Was wird? Prognose Was sollte werden? Norm Kriterien Wie kann dies erreicht werden? Methoden Was ist geworden? Haben die Maßnahmen Erfolg gehabt? Entwicklungsdiagnostik nicht nur Statusmessung, sondern auch Veränderungsdiagnostik Was verändert sich? Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 76 Leistungen und Verhaltensweisen des Kindes, aber diese Leistungen sind auch Indikatoren für dahinterliegende Fähigkeiten (z. B. Arbeitsgedächtnis) man muss auch berücksichtigen, dass sich Umweltbedingungen ändern können Geschwindigkeit und Richtung der Entwicklung sind variabel (z. B. Phasen der Akzelleration, Stagnation, Regression) Entwicklungsdiagnostik profitiert stark von Entwicklungspsychologie Übersetzung entwicklungspsychologischer Kenntnisse in entwicklungsdiagnostische Verfahren (aber dennoch oft nur Statusmessung...) Qualität der Verfahren hängt ab von zu Grunde liegenden Entwicklungstheorien Festlegen von Altersnormen (z. B. zum Wortschatz eines Dreijährigen) Ziele: Früherkennung von Rückständen (unter der Annahme, man könne diese am Status ablesen) je früher diese Erkennung, desto besser Beruhigung der Eltern (die oft zu hohe Ansprüche stellen) «Gras, an dem man zieht, wächst auch nicht schneller.» (afrikanisches Sprichwort) Verhaltensauffälligkeiten hängen mit Besonderheiten des Kindes zusammen (z. B. Hyperaktivität durch sensorische Defizite) Verhaltensauffälligkeit = Indikator, nicht Rückstand selbst Resümee: Anwendung von Tests reicht nicht aus ausführliche Anamnese und Verhaltensbeobachtung Kind kommt nicht aus eigener Entscheidung Einlassen auf die Erwartungshaltung des Kindes, seine emotionale Befindlichkeit z. B.: Untersuchungen in Krippen bringen schlechtere Ergebnisse als Untersuchungen zu Hause Vorsicht bei Interpretationen von Fehlern vielleicht mangelnde Sicherheit in Untersuchungssituation entwicklungsspezifische Lösungen: typisch für bestimmte Altersphase – später: Hinweis auf Rückstände z. B.: Beherrschung von Passivsätzen Beispiele für Entwicklungstests Entwicklungsbereich Testverfahren Allgemeine Entwicklung HELLBRÜGGE et al. (1994): Münchner Funktionelle Entwicklungsdiagnostik (MFE) BRANDT (1983): Griffiths-Entwicklungsskalen (GES) Intelligenz bzw. TEWES (1985): Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder kognitive Entwicklung (HAWIK-R) WINKELMANN (1975): Testbatterie zur Erfassung kognitiver Operationen (TEKO) Motorik KIPHARD & SCHILLING (1974): Körper-Koordinationstest für Kinder (KTK) SCHILLING (1976): Checklist motorischer Verhaltensweisen (CMV) Wahrnehmung LOCKOWANDT (1991): Frostigs Entwicklungstest der visuellen Wahrnehmung (FEW) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias Sprachentwicklung Soziale Entwicklung Emotionale Entwicklung 77 SAUTER (1979): Prüfung optischer Differenzierungsleistungen (POD) GRIMM & SCHÖLER (1991): Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET) ANGERMAIER (1977): Psycholinguistischer Entwicklungstest (PET) HUSS (1979): Fragebogen zur Erfassung praktischer und sozialer Selbstständigkeit 4- bis 6-jähriger Kinder (FPSS) SEITZ & RAUSCHE (1992): Persönlichkeitsfragebogen für Kinder 9-14 Geschichte (a) Intelligenztests nach BINET (hinlänglich bekannt) Auswahl von «Schwachsinnigen» Intelligenz = Fähigkeit, gut zu urteilen, zu verstehen und zu denken (BINET) Intelligenz wächst mit Alter des Kindes stetig (BINET) Serie mit 30 Aufgaben mit zunehmenden Schwierigkeitsgrad z. B. mit Augen und Kopf brennendem Streichholz folgen Zuordnung zu Altersstufen Intelligenzalter (b) Motorik OSERETZKY (1925) Prinzip von BINET (Altersspezifik) (c) Kleinkindertest Arnold GESELL (amerikanischer Arzt und Philologe): Entwicklungstest für Säuglingsund Kleinkindsalter, aber nicht nur kognitive Entwicklung (wie BINET), sondern auch «geistig-seelische» Ch. BÜHLER, Hildegard HETZER: übernahmen BINET-Skalen, aber zusätzlich 24Stunden-Dauerbeobachtung (zusammen mit der Stadt Wien) Vorwurf der Methodiker: nur der Eindruck zählte, keine Testtheorie 6 Dimensionen: Sinnesrezeption (= Wahrnehmung) z. B. auf Geräusch lauschen Körperbeherrschung (= Motorik) z. B. frei stehen soziales Verhalten z. B. organisiertes Spiel mit dem Ball Lernen z. B. 3 Gegenstände verstecken; Kinder müssen sich erinnern, wo Materialbeherrschung z. B. Turm bauen geistige Produktion z. B. Gegenstand mit Stock heranholen Tests beginnen 2 Testreihen vor Lebensalter und enden 2 Reihen nach Lebensalter Anzahl der Tage entspricht Entwicklungsalter (Aufgaben sind Tagen zugeordnet) Wahl der Items auch heute noch nach ähnlichen Dimensionen Einwände: Bezug auf endogenistische Entwicklungstheorien (Stufenfolge geschlossener Aufbausysteme) Vernachlässigung von Umwelt und Erziehung fehlende Überprüfung der Dimensionen und der Schwierigkeit der Aufgaben aber: auch in Gegenwart strenge Forderungen der Methodiker nur ungenügend umgesetzt (am besten noch für Sprachentwicklung) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 78 immer noch zu wenig allgemeine Entwicklungstests für Vorschulalter (3 – 6 Jahre) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 79 Teil III 25. Mai 2000 III. Einführung in die «Persönlichkeitsdiagnostik» 1. Gegenstand und Geschichte der Persönlichkeitsdiagnostik viele Übergänge zu Leistungsdiagnostik: alle kognitiven Leistungen sind durch Motivation und Emotion beeinflusst Zielstellung: Erfassung von Persönlichkeits- bzw. Charaktereigenschaften (traits), aktuellen Stimmungen (Befindlichkeiten) (states), Einstellungen, Erlebnissen und Konflikten unter Berücksichtigung der Person-Umwelt-Bezüge Geschichte Wurzeln in Ausdrucksdiagnostik (Mimik, Gestik, Verhaltensbeobachtung, z. B. LAVATER, CARUS etc.) weitere wichtige Wurzel: Graphologie experimentell: KRAEPELIN (maß z. B. Schriftdruck seiner Patienten antriebsstark vs. schwach) RORSCHACH (1921): Kleckse, wollte damit gesamte Persönlichkeit erfassen WOODWORTH (1917): erster klinischer Persönlichkeitsfragebogen, für Elitetruppe der USArmy, parallel zu army-alpha-test MURRAY (1935): TAT Bilder gezeigt, Geschichte dazu erzählen C. G. JUNG: Assoziationsversuch (Wort vorgelesen, Pt. muss Assoziation nennen Zeit gemessen; umstritten) (ursprünglich von Max WERTHEIMER für Zeugendiagnostik entwickelt) 2. Erfassungsebenen der Persönlichkeit vgl. dazu I.3: Persönlichkeitsdiagnostik baut auf Grundlagendisziplinen auf: Differentielle Psychologie, Allgemeine Psychologie, Sozialpsychologie, Entwicklungspsychologie (a) Allgemeine Psychologie liefert Beschreibungsdimensionen menschlichen Verhaltens, z. B. über Gedächtnis, Aufmerksamkeit etc. experimentelle Paradigmen, z. B. Komplexes Problemlösen oder mental-speedAufgaben Diagnoseprozess = Problemlöseprozess präskriptive Diagnoseprozessmodelle (b) Sozialpsychologie Interaktionsprozesse: Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 80 Diagnostiker Patient Auftraggeber (c) Entwicklungspsychologie Entwicklungstests heute: Entwickelbarkeit aller Eigenschaften des Menschen stark betont (d) Differentielle und Persönlichkeitspsychologie in Persönlichkeitspsychologie zunächst Versuch, alles Verhalten des Menschen auf wenige Grundeigenschaften zurückzuführen trait-Ansatz; später im Kontrast dazu andere Ansätze Trait-Ansatz vertreten durch Faktoranalytiker, z. B. EYSENCK, CATTELL Grundlage: Sedimentationsansatz (Grundeigenschaften in Alltagssprache verankert) z. B. Big Five – entsprechen Alltagsdenken Standardmethode: Tests Situationsorientierter Ansatz (MISCHEL) es gibt keine alles determinierenden Eigenschaften: Mensch verhält sich in jeder Situation anders klassische Persönlichkeitsdiagnostik abgelehnt, dafür: «symptomorientierte Fragebögen» (z. B. «Wann genau tritt die Angst auf?») heute: nicht mehr so orthodox (man muss z. B. beim Phobiker auch allgemeine Ängstlichkeit (trait) erheben) Standardmethode: Verhaltensbeobachtung Typologischer Ansatz Typen bilden (z. B. KRETSCHMER) im ICD 10 z. B. Begriffe direkt von KRETSCHMER übernommen (!) Gefahr: Schubladendenken – Gesamtpersönlichkeit vernachlässigt Standardmethoden: Verhaltensbeobachtung und Experimente Biografisch-psychoanalytische Persönlichkeitstheorien Persönlichkeit ist individuell durch Lebensgeschichte geprägt stark explikativ 2 Ansätze: Analytischer Ansatz Lerntheoretischer Ansatz Prozessmodelle der Persönlichkeit teilweise auch ADLERs Minderwertigkeit eingearbeitet Standardmethode: Exploration andere Methoden: Traumanalyse, freie Assoziation wenige Tests, z. B. Gießener Persönlichkeitstest Handlungsregulatorischer Ansatz basiert auf Handlungstheorien der Persönlichkeit bisherige Psychologie zu sehr individuumsorientiert, zu weit weg vom Alltag Betonung der Bereichsspezifik der diagnostischen Messung Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 81 keine allgemeinen Persönlichkeitstests, sondern krankheitsspezifische Verfahren (z. B. Fragebögen für Dialysepatienten) möglichst komplexe Handlungen vorgeben, die dann analysiert werden (vgl. DÖRNER) auch: experimentelle Spiele in Sozialpsychologie zusätzlich hat aber die Diagnostik auch selbst Gundlageneigenschaft für andere Anwendungsfächer, z. B. Klinische Psychologie, Pädagogische Psychologie z. B. Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz durch psychische Symptome (Konzentrationsschwäche) eher feststellbar 3. Übersicht über die Hauptmethoden 1) Lebenslauf-, Tageslaufanalyse durch Exploration, Anamneseerhebung und Tagebuchauswertung besonders Tagebuchauswertungen heute wieder beliebt, v. a. bei Kindern (z. B. bei anorexia nervosa) 2) Verhaltensbeobachtung (Gelegenheits- und systematische Verhaltensbeobachtung, Rating-Skalen) 3) Analyse von Dokumenten (nichtdirektive Methoden) 4) Persönlichkeitsdiagnostische Verfahren (a) Projektive Verfahren (z. B. Zeichnungen, Sceno-Test, verbale Ergänzungsverfahren) (b) Aufsatzanalyse (z. B. Wie ich bin und wie ich sein möchte, Meine gute und meine schlechten Seiten, Wie stelle ich mir meine Zukunft vor...) (c) Persönlichkeits-, Einstellungs-, Problem- und Interessenfragebögen (d) «Objektive» und psychophysiologische Tests 8. Juni 2000 (nachträglich eingeschoben) 4. Die «subjektiven Tests» / Persönlichkeitsfragebögen = Fragebögen, mit denen man sich selbst oder andere beurteilt Bezeichnung «subjektiv» aber: in der Literatur auch als «objektive Tests» (im Gegensatz zu projektiven Tests) bezeichnet, da die Auswertung nicht subjektiv verzerrt werden kann (also irreführend) Selbstauskunft ist immer verzerrt, aber: gibt es denn «objektive Wahrheit»? – trotzdem: bewusst verfälschbar Lit.: GBS 2, MUMMENDEY, H. D.: «Fragebogenmethodik», Hogrefe 1995 Definition: Persönlichkeitsfragebögen sind eine Liste von Feststellungen, die nach den Regeln einer Testtheorie konstruiert sind und gemäß den vorgegebenen Antwortalternativen zu beantworten sind. Geschichte: 1917 WOODWORTH (s. o.) Vorläufer heutiger «Beschwerdelisten» St. HALL, F. GALTON: nutzten schon einfache Fragebögen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 82 in 20-er Jahren: Versuch, Extra- und Introversion zu messen (eindimensionale Tests), z. B. HEIDBRENNER (1926) z. B. Item: «Gewinnen Sie schnell Kontakt?» später: HANES-KJ (1969) (Hamburger Neurotizismus- und Extraversionsskala), für 11bis 16-Jährige; hat zusätzlich «Lügenskala» 40 Items Neurotizismus 16 Items Extraversion, mit 2 Unterskalen 12 Items Lügenskala («Redest du manchmal schlecht über andere Leute?») dann: mehrdimensionale Fragebögen, z. B. BERNREUTHER: «Personality Inventory» 4 unabhängige Dimensionen (neurotische Tendenz, Dominanz, Extraversion, Selbstständigkeit) 3 Arten der Konstruktion von Fragebögen: • external (aus der Praxis, z.B. MMPI) • rational-theoretisch (z.B. FPI) • faktoranalytisch (z.B. 16 PF) Item-Arten nach ANGLEITNER, JOHN & LÖHR (1986, S. 69), modifiziert: (a) Beschreibungen eigener Reaktionen (b) Trait-Zuschreibungen (c) Wünsche und Interessen (z. B. Berufsinteressen, wie im BIT von IRLE) (d) Biographische Fakten (e) Einstellungen und Überzeugungen (f) Reaktionen anderer gegenüber der Person (g) Bizarre Items (z. B. «Jemand will mich vergiften») oft gebraucht: Befindlichkeitsskalen, z. B. ausgelassen: Nein (0), Ja (1 2 3 4 5 6) werden in Pharmakologie und Klinischer Psychologie eingesetzt; hier nicht näher besprochen Persönlichkeitsfragebögen sind mehrheitlich dem trait-Konzept verpflichtet (Ausnahme: Stimmungsfragebögen) je mehr Items in der Schlüsselrichtung beantwortet werden, desto höher ist die Ausprägung dieses traits Problem: sehr verschiedene Items tragen zur Bewertung des gleichen Merkmals bei 2 Arten von Untersuchungsverfahren: Erfassen einzelner Persönlichkeitsmerkmale (Angst, Neurotizismus, etc) Aufspalten eines Merkmales in seine Facetten geht mehr in die Tiefe, als in die Breite Persönlichkeitsstrukturtests sind multidimensionale Fragebögen geben Überblick über die Gesamtpersönlichkeit gut für Screening erfassen Persönlichkeit durch intra- oder interpersonelle Vergleiche Verfahren zur Erfassung einzelner Persönlichkeitsmerkmale Problemfragebögen: ROTH, SÜLLWOLD, BERG: Problemfragebogen für Jugendliche (1967) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 83 entstanden auf Grundlage anonymer Aufsätze Jugendlicher über 300 (!) Items zu verschiedenen Themen, z. B. «In der Schule», «Gesundheit», «Verhältnis Jungen zu Mädchen» etc. geschlechtsspezifische Prozentränge (über 3000 Jugendliche als Stichprobe), aber: Normen aus den Sechzigern! WESTHOFF et al.: Problemfragebogen für 11- bis 14-Jährige (1981) hat Bedürfnishierarchie zur Grundlage (nach MASLOW); dabei 5 Bedürfnisse: nach Sicherheit Zugehörens- und Liebesbedürfnis nach Selbstverwirklichung nach Verstehen der Umwelt und der Lebenssituation erhoben u. a. in Bereichen Familie, Freunde / Mitschüler, ... Beispielitem: «Bist du der Meinung, du müsstest fleißiger sein?» (70%: Ja.) Diagnostik von Leistungsmotivation: Annahme, dass Erfolg in Beruf zu 50% von Motivation abhängt Bsp.: HERMANS et al. 1978: LMT (Schüler und Studienanfänger von 16. bis 20. Lebensjahr) Dimensionen: Ehrgeiz Persistenz-Aspekt (Ausdauer und Fleiß) Leistungsfördernde Prüfungsangst Leistungshemmende Prüfungsangst Ergebnisse: Prüfungsängstliche sind weniger gut vorbereitet gefährdet durch Soziale-Erwünschtheit-Äußerungen ergänzende Verfahren, z. B. TAT (favorisiert von HECKHAUSEN) ROLLETT & BARTRAM (19833) Anstrengungsvermeidungstest (für Kinder) misst Motivation, Anstrengungen aktiv zu vermeiden Normierung nach Klassenstufen und geschlechtsspezifisch Angstdiagnostik: THURNER: KAT (Kinder-Angst-Test), 18 Items WIECZERKOWSKI et al. (Jahr?): AFS (Angstfragebogen für Schüler) Manifeste Angst, Prüfungsangst, Schulunlust, soziale Erwünschtheit Normen für 9 bis 17 Jahre Kritik: Normen veraltet ROST & SCHERMER (1987, 1995, 1997): Angstprozessdiagnostik (a) Angstauslösung (b) Angstmanifestation (c) Angstverarbeitung (d) Angststabilisierung BECKER: IAF Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 84 Wiederholung aus der Vorlesung Differentielle Psychlogie: Klassifizierung und Differenzierung im Interaktions-Angst-Fragebogen von P. BECKER: Faktor dritter Ordnung Globale Angstneigung Faktoren zweiter Ordnung Faktoren erster Ordnung Angst vor physischen und psychischen Angriffen Angst vor physischer Verletzung Angst vor Erkrankungen oder ärztlichen Behandlungen Angst vor Bewährungssituationen Angst vor Abwertung und Unterlegenheit Angst vor Normüberschreitung Angst vor „Auftritten“ Angst vor Selbstbehauptung Faktor 3. Ordnung (entspricht g-factor) entsteht durch Korrelation (Ende der Wiederholung) Persönlichkeitsstrukturtests Multidimensionaler Fragebogen SEITZ & RAUSCHE: PFK 9-14 (Persönlichkeitsfragebogen für Kinder, 19923, in press4) 3 Bereiche: (a) Verhaltensstile z. B. Emotionale Erregbarkeit (b) Motive z. B. Bedürfnis nach Ich-Durchsetzung, Aggression und Opposition (c) Selbstbild Selbsterleben von allgemeiner (existenzieller) Angst Trierer Persönlichkeitsfragebogen (TPF) Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI) (Ergänzungen von Wulf Mirko, wörtlich übernommen:) Fähigkeitsmessung Instruktion Fragen „Gib Dein bestes!“ überwiegend eindeutig Antworten Art der Antwort Meßsituation richtig oder falsch im logisch eindeutigen Sinne Leistung Vp weiß, was erwartet wird Motivation hohe Motivation angestrebt vs. Persönlichkeitsmessung „Sei ehrlich“ relativ eindeutig bis völlig mehrdeutig (projektive Tests) kein richtig/falsch, statt dessen subjektive Stimmigkeit Urteil / Deutung (projektive T.) keine Klarheit über Erwartungen des Vl. kann deutlich variieren, je nach Untersuchungsbereich und Situation Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias Ziel Lösungsverhalten 85 Erhebung des Fähigkeitsmaximums Erhebung des typischen, durchschnittlichen Verhaltens Realisation (Lösen einer Aufgabe) Deskription (Selbstbeschreibung) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 86 Anwendung von PersönlichkeitsFragebögen • Diagnostik (möglichst objektiv) • Vergleiche • Beiträge zur psych. Sprachregelung • Identifikation von Interventionsbedarf und Interventionserfolg • Forschung Vorteile von PersönlichkeitsFragebögen • psychometrische Konstruktion (Kennwerte über Instrumente vorhanden, genügen verschiedenen Gütekriterien) • direkter Zugang zu Persönlichkeitsmerkmalen, die sich der direkten Beobachtung entziehen (z.B. Konstrukte wie der „locus of control“) • ökonomisch, z. B. durch den Einsatz in Gruppen oder wenn Verhaltensbeobachtung nicht möglich/zu aufwendig ist • hohe Augenscheinvalidität gute Akzeptanz • Normbezug: Vergleich der Werte der Vpn mit repräsentativer Normstichprobe • Quantifizierung von Persönlichkeitsmerkmalen erleichtert Vergleiche • Abbildung der Inter- und Intra-Merkmalsstruktur • Distanzierung vom persönlichen Eindruck • Angleichung der Sprachregelung zwischen Psychologen: verschiedene Untersucher verwenden für gleiche Verhaltensweisen gleiche Begriffe • Standardisierung von Durchführung und Auswertung + Normierung = höhere Objektivität Nachteile von PersönlichkeitsFragebögen • nur Aussagen über den vorgegebenen Inhaltsbereich möglich • Fragen von FB zu FB in ihrer Qualität sehr unterschiedlich • Mehrdeutigkeit der Items („Hof“, Überschneidungen) • es werden (außer bei projektiven Verfahren) nur bewußte Inhalte abgefragt • begrenzte Validität: verschiedene Fragebögen mit gleich benannten Skalen messen oft ganz verschiedene Merkmale. Fehlerquellen • Unterschiedliche Interpretation der Items • uneindeutige formal-syntaktisch Item-Merkmale (unterschiedliche Auffassungen der Quantitatoren (z.B. über oft, manchmal,...), durch den Kontext, etc. pp) • Gedächtnisfehler • mangelnde Sorgfalt, Unaufmerksamkeit • Defizite der Selbstbeobachtung und Selbsterkenntnis ( keine FB für Personen mit IQ<80, Kinder <10 Jahre, Schizophrene) • Tendenz zur konsistenten Selbstdarstellung • logische Fehler (implizite Persönlichkeitstheorien, Beobachtungsfehler) • Absichtliche Verfälschung (Lügen, Simulation, Dissimulation) • Tendenz zu sozial erwünschten Antworten • unterschiedliche semantische Strukturen von Testleitern und Probanden • Tendenz zur unkritischen Zustimmung • Tendenz zur unkritischen Ablehnung • Tendenz zu extremen Antworten (Schwarz-Weiß-Malerei) • Tendenz zu undifferenzierten Antworten • Tendenz zu indifferenten Antworten (= Tendenz zur Mitte) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias • 87 Positions- und seriale Effekte Gütekriterien • Objektivität wird gewährleistet durch die Invarianz der einmal gewählten Items und Antwortkategorien sowie der standardisierten Interaktion zwischen Proband und Vl. • PersönlichkeitsFragebögen sind keine objektiven Verfahrten, sondern nur hinsichtlich ihrer Durchführungs- und Auswertungskriterien objektiv. • im Vergleich mit Leistungstests haben FB´s wesentlich geringere Stabilitätskoeffizienten (.50-.70) • Persönlichkeitsfragebögen haben eine relativ geringe innere Konsistenz (.60<ru(?)<.80), aber facettenreiche Skalen sind als Prädiktoren von Persönlichkeitsmerkmalen oftmals interessanter, als homogene • Korrelationen mit quantitativ abgestuften Außenkriterien von nennenswerter prakt. Bedeutung liegen zwischen .20-.30. Nicht die Höhe des Koeffizienten gibt den Ausschlag, sondern der inkrementelle Entscheidungsnutzen bei konkreten Problemstellungen. • die differentielle Validität im Sinne der Terminologie der Klassifikationsliteratur ist gering • die Korrelation von Q-Daten mit L- und T-Daten, die auf einem gemeinsamen Konstruktionsanspruch basieren, ist im allgemeinen niedrig es gibt eine bessere Validität bei breiteren Faktoren (Faktoren 2. Ordnung) (Ende der Ergänzungen von Wulf Mirko) 5. Gestaltungs- und Deutungsverfahren = «Projektive Tests» Der Projektionsbegiff projicio (lat.) = hinauswerfen in Psychologie sehr unterschiedlich gebraucht Lit.: Ch. SCHAIPP, E. PLAUM (1995): «Projektive Techniken: unseriöse Tests oder wertvolle Methode?» Der klassische Projektionsbegiff: umstritten, Meinungen zu projektiven Tests: von Kaffesatzleserei bis zu unverzichtbar klassisch: Projektion bei FREUD (Abwehrmechanismus Angstvermeidung) verbotenes Motiv des eigenen Handelns (unerwünschte Eigenschaft) projiziert auf andere Personen z. B. Eifersucht = Wunsch nach Fremdgehen Inhalt und Mechanismus der Projektion unbewusst Patient sendet unbewusst verschleierte Botschaften genialer Deuter (Hermeneutiker) vorausgesetzt (gemäß DILTHEY: den Autor besser verstehen, als er sich selbst verstanden hat) aber: Wer weist Wahrheitsgehalt der Deutungen nach? Oberlandesgericht München (1978): im Familienrecht keine projektiven Verfahren gestattet Moderner Projektionsbegiff: Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 88 «weitere Projektion»: Hypothese der Wahrnehmung Input (wird je nach der Hypothese der Wahrnehmung unterschiedlich verarbeitet) Kompromiss aus Hypothese und Input Hypothesen werden durch Persönlichkeitseigenschaften, Einstellungen, states geprägt Ansatz in der Psychologie: Kompromiss aus Hypothese und Input gibt Aussage über Eigenschaften etc. des Menschen (Gegenrichtung der Wahrnehmungstheorie) Projektion dies muss nicht unbewusst passieren auch in Kunstwissenschaft angewandt: Situation eines Menschen wird reflektiert in seinem Werk (z. B. VAN GOGH) Nachteil dieses weiten Projektionsbegiffs: alles Verhalten ist Projektion 29. Mai 2000 Ergänzungen und Erweiterungen des klassischen Projektionsbegriffs: (a) attributive Projektion eigene Gefühle werden (teilweise bewusst) anderen Menschen zugeschrieben Untersuchung: aggressive Psychologen erkennen aus Patientenzeichnungen mehr Aggressionen als nichtaggressive Kritik an projektiven Verfahren (b) autistische Projektion (misperception) Wunschvorstellungen (z.B. Fata Morgana) Bsp.: Quäker-Experiment im 2. Weltkrieg wollten Quäker nicht zum Wehrdienst, sondern verpflichteten sich dafür, freiwillig an medizinischen Experimenten teilzunehmen eines der Experimente: extremer Hungerzustand je größer der Hunger war, desto mehr Essbares wurde wahrgenommen (auch, wenn es sich nicht um Essbares handelte) Projektion (c) rationalisierte Projektion eigenes Fehlverhalten wird unbewusst rationalisiert und durch andere Umstände und Fehlverhalten anderer erklärt z. B.: Negativ-Korrelation zwischen studentischen Fähigkeiten und Kritik am Bildungssystem MEILI: Unterscheidung: affektiv-inhaltliche Projektion (z. B. TAT) Darstellung von Konflikten / Problemen struktural-formale Projektion Darstellung stabiler Persönlichkeitsmerkmale nicht «Fleisch», sondern «Skelett» der Persönlichkeit Neigung des Menschen (z. B. Ängstlichkeit, Extraversion) Einordnung projektiver Daten: generell schwer einzuordnen CATTELLs Schema: Q (Questionnaire), L (Life), T (Test) Projektion lässt sich nicht einordnen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 89 Guthke: Unterkategorie zu T: «Deutungs- und Gestaltungstests» v. a. RORSCHACH fällt in diese Kategorie (wird in USA sehr häufig angewandt, in Deutschland aber kaum) Wann und wo werden welche projektive Verfahren angewandt? in psychologischen Praxen in Deutschland: ein Fünftel aller Testverfahren projektiv aber: generell Fragebögen viel häufiger Welche projektiven Verfahren werden in Deutschland häufig angwandt? Rangreihe: 1. Scenotest 2. Familie in Tieren 3. TAT 4. Children Apperception Test (CAT) 5. Family Relations Test 6. RORSCHACH aber: STECK (1997): RORSCHACH meistgenannt bei unbeliebten Verfahren ALLPORT und EYSENCK: lehnten projektive Verfahren völlig ab Definition: Projektive Verfahren sind eine Gruppe von psychodiagnostischen Techniken und Vorgehensweisen, die für sich in Anspruch nehmen, die Persönlichkeitsstruktur, die Motive, Konflikte und zum Teil auch unbewusste Wünsche und Bedürfnisse eines Individuums aufzudecken, indem sie das Individuum auffordern, sich mit Material oder Stimuli schöpferisch auseinanderzusetzen oder auf sie zu reagieren in einer freien, nicht festgelegten Weise und ohne irgendeinen Bezug auf ein vorgefasstes System von richtigen oder falschen Antworten. (frei nach SCHUMER & ZUBIN) Anmerkung: es gibt auch Objektivierungsversuche von projektiven Verfahren Versuche der psychometrischen Auswertung bei: Kommunikations-Einstellungs-Test Familien-System-Test (FAST) Picture Frustration Test essenziell: Art der Interpretation klassisch: «hermeneutische Technik» genialer Deuter vorausgesetzt, der alles herausfindet (in klassischer Psychoanalyse z. B. bei Traumdeutung) PLAUM: Wir brauchen im Unterschied dazu eine «quantitativ heuristische Strategie» (aus Soziologie übernommen, MAYRING 1996, KLEINING 1995), die nicht so subjektivistisch ist Der Autor wird in die Interpretation der Texte einbezogen (in der Psychologie der Klient). Man muss immer in Kommunikation mit dem Patienten stehen («kommunikative und kumulative Validierung») Gestaltungsprodukt ist immer vieldeutig z. B. beim Baumzeichentest: Pt. malt umgeknickten Baum es kann aber sein, dass am Tag zuvor Sturm war und er viele umgeknickte Bäume gesehen hat Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 90 Gegenüberstellung von projektiven und psychometrischen Verfahren Aspekte projektive Verfahren Struktur Standardisierung Entfaltungsspielraum für den Testanden Interpretationsspielraum für den Psychologen Rolle der Intuition und klinischen Erfahrung Normen Bandbreite Wiedergabegenauigkeit Versuchsleitereinfluss Auswertung Objektivität Reliabilität Validität psychometrische Verfahren weitgehend unstrukturiert gering groß strukturiert hoch gering groß gering groß gering im Allgemeinen nicht vorhanden groß gering groß qualitativ gering gering (???) ??? vorhanden gering groß gering quantitativ groß groß mäßig Erläuterung: Bandbreite: Begriff aus der Nachrichtentechnik Gegenteil zu Wiedergabegenauigkeit geringe Bandbreite bedeutet: Test misst nur einen ganz bestimmten Bereich, diesen aber dafür sehr genau (also mit hoher Wiedergabegenauigkeit) hohe Bandbreite: Test misst viele Bereiche, dafür aber Wiedergabegenauigkeit in den einzelnen Bereichen gering bei Hypothesenbildung: große Bandbreite wichtig bei Hypothesenüberprüfung: große Wiedergabegenauigkeit wichtig Typen von Deutungs- und Gestaltungstests Wortassoziation und verbale Ergänzungsverfahren (z. B. JUNG, THOMAS) verbale Vorgabe, z. B. Wort oder Geschichtenanfang Aufgabe: anderes Wort / Geschichte / Satz produzieren Beginn: Assoziationstests in der Allgemeinen Psychologie (z. B. WUNDT, später WERTHEIMER, s. o.) dann: C. G. JUNG (hinlänglich bekannt) bisher keine statistische Normierung Subjektivität Lit.: «Therapeutische Konzepte der Analytischen Psychologie» (Bd. 5: Assoziationsexperiment) Satzergänungstests: Beispiele [ich weiß leider nicht, aus welchem Test genau, T. E.]: 1. Wenn er / sie allein war ... Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 91 2. Er / Sie wünschte sich oft ... 5. Wenn die anderen Kinder ihn / sie nicht mitspielen lassen ... WILDE: «Wunschprobe» «Stell dir vor, du kommst nochmal auf die Welt, aber nicht als Mensch, sondern als Tier oder Gegenstand...» Karten mit Bildern präsentiert, Kinder sollen Rating abgeben, wie gern sie das Abgebildete sein möchten THOMAS: Erzählanfänge z. B.: «In der Pause spielt er nicht mit anderen Kindern.» Geschichte draus machen DÜSS-Fabeln (DÜSS: analytische Therapeutin) «Fabel» mit offenem erzählt, Kind soll fortsetzen W. ZIMMERMANN: K-E-Test (Kommunikations-Einstellungs-Test) (in GUTHKE & WITZLAK 1982) streng normierter projektiver Test [Guthke hat leider verschwiegen, wie er aussieht...] ROSENZWEIG (USA): Picture Frustration Test (PFT) Situation auf Bild gezeigt, geht mit Kindern und Erwachsenen Frage: Wie reagieren die Interaktionspartner? z. B.: Kind klaut Apfel und wird erwischt was sagt es zum Erwachsenen? extrapumitive Reaktion Vorwürfe, aggressive Reaktion intropumitive Reaktion Schuld auf sich selbst nehmen impumitive Reaktion gar keine Vorwürfe («ach, das macht doch überhaupt nichts...») Verfahren ist normiert Thematische Apperzeptionsverfahren (TAT, CAT) MURRAY, 30-er Jahre: Thematic Apperception Test (vgl. Seminar) Kritik: Bilder sind antiquiert REVERS & ALLESCH: «Thematischer Gestaltungstest» wie TAT, aber mit moderneren Bildern BELLAK: Children Apperception Test (CAT) wie TAT, aber Tiere als Akteure bei allen Thematischen Apperzeptionsverfahren: sog. «Identifizierungshypothese» Pt. selbst ist der «Held» der von ihm interpretierten Geschichte ist allerdings fraglich oft wird die Frage gestellt: «Mit welcher Person in der Geschichte können Sie sich am besten identifizieren?» Formdeuteverfahren (RORSCHACH) RORSCHACH: ursprünglich 10 Tafeln mit Klecksen, farbig oder farblos, aber immer symmetrisch erstmals von Leonardo DA VINCI verwandt RORSCHACH führte Begriff «Psychodiagnostik» ein, wollte mit seinem Test Gesamtpersönlichkeit erfassen zur Auswertung: Bestimmung eines «Erfassungstypus», z. B.: Geht Pt. von Detail aus und bringt dann Gesamtdeutung? Oder: deutet er die weißen Zwischenräume? etc. gut gesehene vs. schlecht gesehene Formen (F+ vs. F–) – ist aber höchst subjektiv! Bestimmung eines «Erlebnistypus»: Verhältnis zwischen Farbantworten und Bewegungsantworten Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 92 Farbantwort z. B.: «Das ist ausgelaufenes Blut.» - Bewegunsantwort (nicht auf Tiere bezogen, nur bei Deutungen mit Menschen) z. B. «2 Menschen laufen aufeinander zu.» Dominanz der Farbantwort Extraversion Dominanz der Bewegungsantwort Introversion (original RORSCHACH) Sukzession: wenn man mit Details beginnt und dann Gesamtdeutung bringt Inhalt: z. B. Anatomiedeutungen (Leber etc.), Tiere, Architektur, ... keine Menschendeutungen schlechte Kontaktneigung «Schocks», z. B. Farbschock, d. h., wenn zum ersten Mal Farbkarte auftaucht und Pt. sich z. B. mit «Oh!» äußert Neurotiker wenn viele Vulgärdeutungen (also Deutungen, die von sehr vielen Ptn. gegeben werden) Durchschnittsmensch, wenig kreativ Kritik: keine theoretische Fundierung, keine psychometrische Fundierung in hohem Grade versuchsleiterabhängig (z. B.: wenn Vl autoritär auftritt weniger Farbdeutungen und Zwischendeutungen; weniger autoritär Gegenteil, auch mehr Mensch-Deutungen) 1945 Kriegsverbrecher-Prozess, US-Psychologe GILBERT untersucht Kriegsverbrecher mit RORSCHACH später: Deutungen von Kriegsverbrechern zusammen mit Deutungen von Durchschnittsmenschen anderen Psychologen präsentiert, diese sollten Kriegsverbrecher heraussuchen klappte nicht (!) aber auch Gegenbefunde RORSCHACH kann ergänzend angewandt werden Weiterentwicklung: HOLTZMANN-Inkplot-Technik (man darf hier pro Bild nur eine Deutung geben) psychometrisch sauberer Lit.: J. WITTKOWSKI (1996): «Zum aktuellen Status von Formdeuteverfahren», Diagnostica 3, 191-219 ca. 80% der Klinischen Psychologen in den USA verwenden regelmäßig RORSCHACH angeblich ist dieser nützlich bei Schizophrenie, Posttraumatischen Belastungsstörungen, Ängstlichkeit; nicht hingegen bei Depression und Suizidalität H. A. HARTMANN & L. V. ROSENSTIEL: «Lehrbuch der Holtzmann-Inkplot-Technik» Spielerische Gestaltungsverfahren (Welttest, Sceno) Ch. BÜHLER (1941): Welt-Test Spielzeugteile, aus denen eine Welt gebaut werden soll heute kaum noch angewandt V. STAABS: Sceno-Test psychoanalytisch orientiert, muss aber nicht so ausgewertet werden verbiegbare Puppen sowie Bäume, Tiere, Autos, Fernseher u. v. a. m., sogar eine kleine Toilette Aufgaben: «Bau was draus.» - aber auch mgl.: Szene vorgeben, z. B. «Sonntags bei uns zu Hause» Lit.: Claudia ERMERT: «Szeno-Test-Handbuch», Huber 1997 HÖHN: untersuchte diesen Test entwicklungspsychologisch es liegen auch nicht-psychoanalytische Deutungsmöglichkeiten vor z. B.: wenn Kind keine Figuren, sondern nur Objekte nutzt Kontaktstörung Zeichnerische Gestaltungsverfahren (z. B. Familie in Tieren) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 93 Proband muss zu bestimmter Thematik etwas zeichnen z. B. WARTEGG-Test: Punkte und Striche vorgegeben, Aufgabe: Zeichnungen vervollständigen Auswertung: (a) graphologisch z. B. Strichstärke, Ausnutzung des Papiers, Farbwahl, Strichführung (b) inhaltlich z. B. Sach- vs. Menschenlösungen, oder direkt auf die Objekte bezogen etc. Farbwahl- und Formdeuteverfahren beruhen auf Farbpsychologie (Farbwahrnehmung, Erlebnisqualität (Anmutung) der Farben, Symbolwert der Farben (durch Konvention und Kultur festgelegte Funktionen)) Rot = Macht (schon im Alten Rom) Rot = Revolution (KP) Rot = Liebe (Rotlichtviertel) GOETHE: sinnlich-sittliche Wirkung der Farben, z. B.: wer Rot-Gelb bevorzugt ist sinnlich etc. später: psychiatrische Gruppen auf Farbpräferenzen untersucht Farbpräferenzen interindividuell unterschiedlich, aber relativ stabil auch: Psychophysiologische Reaktionen in unterschiedlich gefärbten Räumen verschieden (rot aktivierend, grün/blau beruhigend) Verbindung von Farberleben mit Begriffen untersucht, v. a. durch semantisches Differential z. B. Semantisches Differential von Rot und Liebe sehr ähnlich frustrierende Sättigungsexperimente in grün/blauen vs. roten und gelben Räumen bei Rot/Gelb deutlich mehr affektive Äußerungen bei affektiver Verarbeitung spielt Farbe vielleicht eine Rolle LÜSCHER: LÜSCHER-Farbtest 8 Karten unterschiedlicher Farbe, müssen nach Präferenz geordnet werden angeblich daraus Charakter ablesbar unseriös (Annahmen ohne theoretischen Hintergrund) seriöser: Farb-Pyramidentest nach R. HEIß & P. HALDER mit Farbplättchen müssen hässliche vs. schöne Pyramiden gelegt werden Psychoanalyse-Hintergrund: Mensch hat gute und schlechte Seite (Jekyll und Hyde), und Test kann beide Seiten enthüllen heute kaum noch angewandt (spekulativ) Ergänzung: SZONDI-Test SZONDI: ganzes Verhalten ist genetisch bestimmt Menschen werden Bilder gezeigt (Porträts von Psychopathen und Perversen) Vpn. müssen Sympathie oder Antipathie bekunden wenn Sympathie: Vp. ist wie Verbrecher wenn keine Sympathie: Vp. verdrängt diese Seiten an sich unseriös! Resümee: projektive Verfahren nicht psychometrisch abgesichert anwendbar zur Hypothesenbildung, da Fragebogenexploration an ihre Grenzen stößt Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 94 26. Juni 2000 6. «Objektive Tests» Lit.: HÄCKER, H. (1982): Enzyklopädie der Psychologie, Band Pädagogische Diagnostik, Objektive Tests, S. 132-185 Ansatz: ähnlich wie projektive Verfahren: Prinzip der Undurchschaubarkeit für den Probanden keine Augenscheinvalidität; Proband kann Test nicht verfälschen Unterschied zu projektiven Verfahren: hohe Auswertungsobjektivität, also hochgradig strukturiert in der Auswertung (wie bei Leistungstests) oft beim Probanden Eindruck erweckt, es handle sich um einen Leistungstest, obwohl die Persönlichkeit erfasst werden soll Def. nach SCHMIDT & SCHWENKMEZGER (1994, S. 28): Als objektive Tests zur Messung der Persönlichkeit werden Verfahren verstanden, die unmittelbar das Verhalten eines Individuums in einer Standardsituation erfassen, ohne dass dieses sich in der Regel selbst beurteilen muss. Wenn das trotzdem der Fall ist, sollen die Verfahren möglichst keine mit der Messintention übereinstimmende Augenscheinvalidität haben. Geschichte: KRAEPELIN und KRETSCHMER: versuchten, ihre Ptn. mit objektiven Tests zu untersuchen z. B. Schreibwaage, um Schriftdruck zu messen als Indikator für Affektivität, Durchsetzungsfähigkeit und Energie Rechenversuch von KRAEPELIN später PAULI-Test, sollte Willensqualität messen 20er Jahre: HARTSHORNE & MAY: Ehrlichkeitstest für Kinder (z. B. Matheaufgaben lösen Lehrbuch auf Tisch Lehrer verlässt Raum überprüfen, ob Kind nachschaut) Resultat: Ehrlichkeit ist keine homogene Eigenschaft, sondern höchst situativ abhängig «Konstitutionstypen»: Schizotyme Typen: Farbe Zyklotyme Typen: Form (weiterer Aufmerksamkeitsumfang) Klopftempo als psychisches Tempo gemessen (Charaktereigenschaften danach bestimmt) Gegenwärtiger Stand – heutige Zeit: in amerikanischen und englischen Schulen: Versuch, diese Ansätze weiterzuführen objektive faktoranalytische, psychometrische Testbatterien z. B. CATTELL und EYSENCK (aber eher in der Forschung als in der Praxis eingeführt) Wahrnehmung ursprünglich in Arbeitspsychologie a) Flimmerverschmelzungsfrequenz Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 95 intermittierende Lichtquelle (schnell aufeinanderfolgende Lichtreize) ab bestimmter Frequenz kein Flackern mehr wahrgenommen bei Neurotikern eher kein Flimmern mehr wahrgenommen vermutlich, da eher Ermüdung eintritt b) Nachbildeffekte z. B. auf rotes Quadrat schauen Quadrat verschwindet grünes Nachbild c) Farb-Form-Bevorzugung d) Stroop-Test Interferenzphänomen (bekannt aus anderen Veranstaltungen) neurotische und hirngeschädigte Personen haben dabei mehr Probleme [bei b und c kann ich leider keinen Bezug zum Thema herstellen, T. E.] Psychomotorikprüfung Spiegelzeichnung Koordinationsprüfung Hand- und Fingergeschicklichkeit Neurotiker: dabei mehr Probleme Lernexperimente Lidschlagreflexe etc: ängstliche Personen lernen schneller bedingte Reflexe Lidschlag schneller bei Windhauch Lernkurven von Extra- und Introvertierten: Ex In Extravertierte: lernen am Anfang schneller, vergessen aber auch schneller Introvertierte: lernen am Anfang langsam, behalten es länger tachistoskopisch dargebotene Wörter leistungsrelevante Wörter (z. B. Prüfung, Schule, Zensur) von leistungsmotivierten Personen schneller erkannt tabubesetzte Wörter von Sensibilisierern schneller erkannt als von Repressern Britisch-Angloamerikanische Arbeiten zu Testbatterien: CATTELL: Universalindizes U1 bis U36 hoch Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 96 16PF-Test versuchte, neben Fragebogenmethodik auch mit objektiven Tests Charaktereigenschaften zu messen Einführung von Kunstworten, um sie von Alltagsbegriffen abzugrenzen (hat sich aber nicht durchgesetzt) entwickelte Objective Analytic Test Battery (OATB) (in D erstmals 1975 erschienen, Übersetzung HACKER et al.) EYSENCK: Testbatterie (T-Daten für CATTELLs Faktoren) «nervliche Belastbarkeit vs. neurotische Tendenz» Beispiele: hohe Rigidität bei motorischen Aufgaben schlechte Leistung bei der Koordination am Zweihandprüfer Anfälligkeit für Suggestion des Rückwärtsfallens beim Aufrechtstehen mit verbundenen Augen Ungenauigkeit beim Addieren unter Zeitdruck schnellere Entscheidungen zu Grundsätzlichem als zu Details ungenaues Bild aus Strukturen präsentiert, Erkennen der Objekte gezählt und erhoben, wieviele bedrohliche Objekte erkannt Lit.: Schmidt, L. R. (1987): revidierte Fassung der «Objektiven Testbatterie» EYSENCK-Batterie: Neurosendiagnostik Dunkeladaptation: Neurotiker können sich schlechter in Dunkelheit adaptieren Neue computergestützte Verfahren: a) KUHL & KRASKA (1995): Selbstregulations- und Konzentrationstest für Kinder (SRKT-R), Hogrefe geht von Motivations- und Selbstregulationstheorie von KUHL aus, richtet sich gegen Fragebogendiagnostik (Kinder begreifen oft nicht, was sie ankreuzen) misst Ablenkungs- und Versuchungsresistenz bestimmte Tätigkeiten sollen ausgeführt werden, bei denen Ablenkungsreize präsentiert werden (Idee: Ablenkungen bei Schularbeiten zu Hause, z. B. durch Freunde draußen) b) KUBINGER & EBENHÖHE (1995): Arbeitshaltungen (für Erwachsene, Personalauswahl) für Bewerbungen: Anspruchsniveau Frustrationstoleranz Leistungsmotivation Impulsivität Reflexivität Anwendung: Berufs- und Bildungsberatung, Personalauslese speed test Untertests: Kodiertest [?] mit fingierten Leistungsrückmeldungen (Frustration bzw. Lob) Durchstreichtest Pbn. können solange weitermachen, wie sie wollen Flächenvergleich (zwei Flächen gezeigt – welche ist größer?) in Wirklichkeit Zeit gemessen (viel Zeit gebraucht = hohe Reflexivität) Nullkorrelationen zwischen Persönlichkeitsfragebögen und diesem Test (!) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 97 Andere Ansätze, die mit objektiven Tests verwandt sind: a) Georgische Schule der Psychologie USNADDZE [?] (Schüler von WUNDT): gründete Schule in Georgien; Buch: «Einstellungspsychologie» Sozialpsychologische Verhaltenstrainings Ziel: Diagnostik von formalen (nicht politischen) Einstellungen dynamisch oder rigide im Wechsel von Einstellungen? z. B. Täuschungsversuch: 2 Kugeln in die Hände gegeben, eine große und eine kleine Hände sind hinter dem Rücken 10 mal hintereinander: in rechte Hand große, in linke Hand kleine Kugel dann: in beide Hände gleichgroße Kugeln mögliche Antworten der Vpn: «gleich groß» (richtig) «rechts kleine Kugel, links große Kugel» (Kontrasttäuschung) «rechts große Kugel, links kleine Kugel» (Assimilationstäuschung) erhoben: wie lange braucht Vp, bis sie die richtige Antwort gibt? vgl: GEIßLER, Ulrike: Persönlichkeitspsychologische Grundlagen der Leistungsdiagnostik Ergebnis: Hysteriker brauchen lange, bis sie gleiche Größe feststellen ( gestörte Einstellungsbildung) aber: Gültigkeitsnachweis nicht erbracht b) Psychophysiologische Testmethodik Messung am Gehirn (MEG, EEG, PET etc.) am Auge (EOG, PG [Pupillogramm; wenn Pb. erregt: Pupillen weit]) an Skelettmuskulatur (EMG [Elektromyogramm; beim Biofeedback nach AT], TG [Tremorgramm]) am Herz-Kreislauf-System (EKG, PKG, IKG, PG) an der Haut (ED [Elektrodermogramm], Transpirogramm, Thermogramm) am Urogenitalen System (Phallogramm, Vagina) am Endokrinen System (Speichel, Urin, Blut) u. v. a. m. in Praxis objektive Tests kaum verbreitet Kritik: a) umständlicher und zeitaufwändiger als andere Erhebungen objektive Tests oft 3 bis 4 Stunden, Fragebögen im Schnitt weniger als 1 Stunde b) einzelne Aufgaben sind wenig theoretisch begründet; beruhen auf Vermutungen c) Reliabilität meist äußerst schlecht psychophysiologische Messungen abhängig von augenblicklicher Situation der Pbn. eher state- als trait-Messung FAHRENBERG: warnt davor, psychophysiologische Verfahren in Routine einzusetzen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 98 2 Verfahren, die Wert der objektiven Tests im Rahmen der multimodalen Forschung zeigen: a) SCHMIDT & SCHWENKMEZGER (1994) Vergleich von Fragebogentests (FPI) und objektiven Persönlichkeitstests hinsichtlich der Differenz zwischen folgenden Gruppen: Psychosomatiker, Neurotiker, Psychotiker, Alkoholiker, Kontrollgruppe Alkoholiker besser durch objektive Tests erkannt Neurotiker besser durch Fragebögen Fazit: Fragebogentests und objektive Tests haben ungefähr die gleiche Trennschärfe b) KASIELKE (1985) objektive Tests gut für Untersuchung von Psychosomatikern Magen-Darm-Kranke: in Fragebögen nicht auffällig, aber durch objektive Tests zu 90% erkannt genauso: 86% der Neurotiker, 71% der Kontrollgruppe Alexithymie bei Psychosomatikern (Unfähigkeit, über Probleme zu sprechen) tritt auch in Fragebögen auf, wird also durch diese nicht erkannt Entwicklung von Magen-Darm-Erkrankungen durch diese Personengruppe kann nur durch objektive Tests festgestellt werden Objektive Tests sind dort hilfreich, wo die Verfälschungstendenzen des Probanden so stark sind, daß andere Verfahren versagen, z. B. bei Alkoholikern und bei Alexithymie. Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 99 Teil IV IV. Der diagnostische Prozess, Spezialprobleme und Tendenzen 29. Juni 2000 1. Diagnostik und Intervention treatment = Oberbegriff für alles, was nach Diagnostik passiert (Schulwechsel, Therapie etc.) traditionelles Denken: Diagnose Behandlung (wenn Diagnose abgeschlossen) aber: während der Behandlung ergeben sich neue Ideen und Ansätze Rückkopplung, diagnostische Rückfragen Diagnose treatment Diagnose II Diagnose II zur Evaluation des treatments – Vergleich von Diagnose I und Diagnose II (Therapieerfolg oder nicht?) Funktionen einer interventionsorientierten Diagnostik Definition: Untersuchungsmethoden und Entscheidungen, die vor und im Verlauf der Intervention (Psychotherapie, Förderung, Training) zur selektiven bzw. adaptiven Indikation sowie zur Messung von interventionsbedingten Veränderungen zum Tragen kommen. a) Selektive prognostische, interventionsbezogene Diagnostik: Indikationdiagnostik Ist der Patient überhaupt geeignet für Psychotherapie? Welche Therapieart verspricht die größten Erfolgschancen? Gibt es Kontraindikationen? Mögliches Verfahren: Diagnostic Interview Schedule (DIS, WITTCHEN, vgl. auch CIDI) / Feststellung der therapiebezogenen Lernfähigkeit (vgl. GÖTH & GUTHKE, 1985) b) Erfassung des Interventionsablaufes und adaptive Steuerung des Interventionsprozesses: interventionsbegleitende Diagnostik Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 100 Mögliche Verfahren: Persönliche Fragebögen, Grid-Technik, Zielerreichungsskalen, sozialpsychologische Interviews (soziale Stützsysteme) und Messungen (z. B. sich verändernde Beziehungen in der Therapiegruppe), prozessorientierte Förderdiagnostik (kriteriumsorientierte Diagnostik), Anpassung der Therapieplanung durch «funktionale Verhaltensanalysen» (SCHULTE), Patiententagebücher und Protokolle (Kopfschmerzprotokolle, Enuresis-Kalender) Persönliche Fragebögen: SHAPIRO: mit Pt. zusammen wird persönlicher, auf den spezifischen Fall bezogener Fragebogen erstellt, dem sich der Pt. während der Intervention immer wieder unterzieht Zielerreichungsskalen: zu erreichende Ziele mit Pt. gemeinsam festlegen und skalieren sozialpsychologische Interviews: z. B.: Wie ist familiäre Unterstützung? c) Erfassung von Veränderungen im Prä-Posttest-Vergleich zur Evaluierung des Interventionseffekts: Effekt- oder Effizienzdiagnostik Mögliche Verfahren: prinzipiell alle psychometrischen Verfahren, hinzu kommen noch Symptomlisten, persönliche Fragebögen, Zielerreichungsskalen und spezielle Veränderungsfragebögen (z. B. Kieler Änderungssensitive Symptomliste, KASSL, ZIELKE, 1979) Wiederholung der Untersuchungen der Indikationsdiagnostik (mögliche Wiederholungseffekte beachten) Effizienzienzdiagnostik zu verschiedenen Zeitpunkten nach der Intervention, um zu sehen, ob der Effekt kurz- und/oder langfristig wirkt Der Diagnoseprozess Deskriptive Prozessmodelle Präskriptive Prozessmodelle Beschreibung des momentanen Vorgehens Versuche, die Praxis zu optimieren, indem in der Praxis «Rezepte» vorgegeben werden a) Zum Zusammenhang zwischen Diagnostik und Intervention JÄGER, R. S.: Der diagnostische Prozeß. Göttingen. Hogrefe. 1986 SCHULTE, D.: Diagnostik in der Verhaltenstherapie. München. Urban & Schwarzenberg. 1974 ZIELKE, M.: Diagnostik in der Psychotherapie. Stuttgart. Kohlhammer. 1982 BOMMERT, H. & HOCKEL, M.: Therapieorientierte Diagnostik. Stuttgart. Kohlhammer. 1981 SCHRÖDER, H. & GUTHKE, J. (Hrsg.): Fortschritte der klinischen Persönlichkeitspsychologie und klinischen Psychodiagnostik. Leipzig. Barth. 1988 WITTCHEN, H. U.: Therapiebezogene Diagnostik. In: JÄGER, R. S. & PETERMANN, F. (Hrsg.): Psychologische Diagnostik. Weinheim. Beltz. 1992. 232 – 245. GBS1 KORNMANN, R. et al. (Hrsg.): Förderdiagnostik. Heidelberg. Schwindele. 1983 b) Präskriptive Prozessmodelle, incl. Computerdiagnostik WESTMEYER, H.: Logik der Diagnostik. Stuttgart. Kohlhammer. 1972 GÖSSLBAUER, J. P.: Grundprinzipien der Entscheidungstheorie in der psychologischen Diagnostik. In: WEHNER, E. G. (Hrsg.): Psychodiagnostik in Theorie und Praxis. Bern. Huber. 1992 Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 101 GUTHKE, J. & CARUSO, M.: Computer in der Psychodiagnostik. Psychologie für Praxis. 7. 1989. 203 – 222 BOOTH, J.: Computerdiagnostik. In: JÄGER, R. S. & PETERMANN, F. (Hrsg.): Psychologische Diagnostik. Weinheim. Beltz. 1992. 186 – 199. c) Deskriptive Prozessmodelle GBS2 DURCHHOLZ, E.: Der psychodiagnostische Prozeß. In: WEHNER, E. G. (Hrsg.): Psychodiagnostik in Theorie und Praxis. Bern. Huber. 1992 Diagnostischer Prozess – Schritte nach DURCHHOLZ 1. Auftrag an den Diagnostiker Übersetzung der umgangssprachlichen Fragestellung Anforderung von Verhaltensberichten Kompetenzproblematik Fehlerwartungen an den Psychologen (Rezepte, Ratschläge) oft werden nur «Präsentiersymptome» vorgestellt 2. Untersuchungsplanung entscheidungsbezogene Diagnostik Vermutungsdiagnose am Anfang der Untersuchungsplanung optimale Reihenfolge der Verfahren nicht für jeden «Fall» angebbar warming up 3. Durchführung der Untersuchung Untersuchungseinflüsse sehr groß Geschlecht, Auftreten, Dialekt, Differenzen im Bildungsniveau, Rolle von Testangst und Opposition (fehlende Mitarbeit, Lügen, Übertreibung, Dissimulation) Beachtung von Reaktionsstilen keine «keimfreie» Laborsituation, sondern ökologische Validität anstreben (z. B. Zeitdruckproblem) 4. Diagnostische Urteilsbildung oft nicht formal logisch, sondern induktiv, informal, erfahrungsgeleitet und «intuitiv» Problem der Konvergenz und Divergenz von Befunden Probleme der Sprache (wir können nur das diagnostizieren, wofür wir eine sprachliche Beziehung haben je differenzierter die Sprache, umso mehr Diagnosemöglichkeiten) Tendenzen zur Vereinfachung bei mangelnder kognitiver Komplexität (des Psychologen) 5. Beantwortung der Fragestellung Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 102 Übersetzungsprobleme (z. B. Gericht, Schule) Selektionsprobleme (was wählt man aus, um es mitzuteilen?) Datenschutz 6. Juli 2000 Klinische vs. statistische Vorhersage in der Diagnostik Diskussion geht zurück auf P. MEEHL (1954) forderte im American Psychologist «a good cookbook» für den diagnostischen Praktiker Diagnostik sollte von einer Kunst zu einer Technologie werden Standardisierung, Statistik einsetzen gestützt auf Befunde aus medizinischer und psychologischer Diagnostik Bsp.: BARENDREGT [?]: am Anfang Diagnostik um so sicherer, je mehr Befunde man über einen Pt. erhält, dann: Umkehrung des Effekts (zu viele Infos = Verunsicherung) Entscheidungssicherheit Info bei CT wertet jedoch zur Überwindung menschlicher Verarbeitungskapazität der Computer aus Bsp: MMPI: angelernte Hilfskräfte, denen genaue Vorschriften gegeben werden, sind bei Testauswertung genauso gut wie Psychologen Deskriptive Modelle: Voraussetzung für die meist klinische Urteilsbildung Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 103 BRUNSWIKsches Linsenmodell als deskriptives Diagnosemodell (in Prüfung beliebt!) (stammt aus Allgemeiner Psychologie, Wahrnehmungspsychologie) Außenwelt Innenwelt funktionale Validität M1 M2 Distales Merkmal Manifestes Urteil M3 M4 Ökologische Validität Merkmalsverarbeitung Distale Merkmale: z. B. Schallwellen Mi: Proximale Merkmale; aus deren Kombination wird das Urteil gebildet Anwendung des Modelles auf die Diagnostik: Validität objektiver Zustand r(T)1 Der «wahre» Gesundheitszustand des Patienten subjektive Wertung psycholog. / medinzin. Untersuchung r(F)1 r(T)2 psycholog. / med. Krankengeschichte r(F)2 r(T)3 Laborergebnisse r(F)3 r(T)4 Testergebnisse r(F)4 Der «beurteilte» Gesundheitszustand (Kliniker) r(...)i: Korrelationen multiple Regressionsanalysen zur Lösung des Problems möglich Expertenbefragung: welche Daten besonders wichtig in Anamnese? (Gewichtungen erstellt) diese Ergebnisse jungen, unerfahrenen Praktikern vorgelegt auch gute Ergebnisse erzielt (da nach diesen Richtlinien gearbeitet) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 104 Probleme der Deskriptiven Diagnostik und Gründe für eine normative Herangehensweise (nach WESTMEYER, 1993) a) Mangelnde Kenntnis der Befundlage unzureichende Berücksichtigung einschlägiger, empirisch überprüfbarer und bestätigter Wissensgrundlagen Bezugnahme auf «subjektives Wissen», das entweder für den jeweiligen Einzelfall nicht relevant oder nicht zutreffend ist b) Unvollständige Analyse und Beschreibung der Probleme c) Unzureichende Entfaltung des Hypothesenraumes zu frühe Beschränkung auf einige wenige diagnostische Hypothesen Untersuchung von für die Ausgangslage irrelevanten Hypothesen d) Mangelnde Kenntnis der in Frage kommenden informationserhebenden Verfahren ungünstige Auswahl diagnostischer Verfahren problemunspezifische Anwendung von «Standardbatterien» Vernachlässigung (für die zu prüfenden Hypothesen) einschlägiger Verfahren Erhebung für die Ausgangsfrage irrelevanter diagnostischer Informationen e) Unzureichende Beachtung der Durchführungsbedingungen standardisierter diagnostischer Verfahren f) Mangelnde Weiterverarbeitung erhobener diagnostischer Informationen durch Verwendung veralteter Normwerte Verzicht auf eine zufallskritische Absicherung der Befunde und / oder auf Grund der Wissenssituation nicht gerechtfertigte Beschränkung auf rein klinische Formen der Informationsverarbeitung g) Inbeziehungsetzen von diagnostischen Hypothesen und für diese Hypothesen nicht einschlägigen Befunden unzutreffende oder relativ zur Wissenssituation unvollständige Diagnosen --- bis hierher: deskriptive Modelle ----- jetzt: --- 2. Präskriptive Modelle sollen Diagnoseprozess transparenter machen und «Kochbuch» bieten (s. o.) Vor. für die meist statistische Urteilsbildung Logisch-wissenschaftlicher Ansatz (WESTMEYER) in den 70-er Jahren viel diskutiert nie in Praxis umgesetzt auf Grund der strengen Formulierung in abgeschwächter Form jetzt angewendet (vgl. «Logik der Diagnostik», WESTMEYER, 1972) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 105 Ziel: computerisiertes Diagnostiksystem, das alle Schritte der Diagnose standardisiert Expertsysteme; 4 Bestandteile: a) Wissensbasis alle Informationen, die wissenschaftlich über ein bestimmtes Krankheitsbild vorliegen «rationaler Corpus» der Wissenschaft, der zur Erklärung bestimmter psychischer Störungen zur Verfügung steht b) Datenbasis vom Benutzer eingegebene Fragen und zugehörige Antworten c) Inferenz- oder Problemlösungskomponente Verknüpfungsregeln zwischen Fragestellung, Wissensbasis und Datenbasis d) Lernfähigkeitskomponente System entwickelt selbstständig Computersysteme) sein Wissensspektrum weiter (lernende innerhalb der Inferenz- oder Problemlösungskomponente (c): bestimmte abzuarbeitende Algorithmen (gemeint: Schrittfolgen, die zur Diagnose führen) Beispiel: streng normatives Modell des diagnostischen Prozesses nach WESTMEYER: Input: Fragestellung Diagn. Algorithmen Output: Diagnose Prognost. Algorithmen Output: Prognose Entscheidungsalgorithmen Output: Entscheidung Wissensgrundlagen: Kompetenzwissen Bedingungswissen (Welche Bedingungen für die Krankheit ursächlich?) Veränderungswissen (Welche Therapie bei welcher Erkrankung?) Vergleichswissen (Wie ist Verhalten des Pt. im Vergleich zu anderen? – Normwissen, Operationalisierung) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 106 z. B. Ausgangsfrage A Auswahlalgorithmus Prozessalgorithmus Prüfalgorithmus Auswahlalgorithmus Prüfalgorithmus Prozessalgorithmus Diagnose D Warum ist der Jugendliche so aggressiv? Computer stellt mgl. Hypothesen auf 1 Hypothese und deren Überpr. ausgewählt Tests, Fragen, die gestellt werden stimmt nicht? neue Hypothese und deren Überprüfung ... aber: in Praxis nicht eingesetzt, denn eine rationale Wissensbasis ist in der Psychologie nicht definiert Bsp.: Zwangsstörungen ätiologisch völlig anders aufgefasst von Verhaltenstherapie und Psychoanalyse WESTMEYER: Schema auf VT angewandt gemäßigtes Modell : Diagnostiker kann nicht komplett ersetzt werden duch Computer Eigenschaften des gemäßigt normativen Modells des diagnostischen Prozesses (aus einem Beitrag von HAGEBÖCK & WESTMEYER zum 25. Internationalen Kongress der Psychologie in Brüssel 1992) a) Bei der Explikation der Diagnose, Prognose und Entscheidung wird auf pragmatische Varianten des Erklärungs- und Prognosebegriffs Bezug genommen, die nicht zu intersubjektiv einheitlichen Begriffsbestimmungen führen. b) Der diagnostische Prozess ist nicht in allen Einzelheiten geregelt; sein Verlauf hängt wesentlich von den Entscheidungen ab, die der Diagnostiker auf der Grundlage der ihm angebotenen Optionen trifft. c) Der Diagnostiker bleibt eine zentrale Instanz im Rahmen des diagnostischen Prozesses; er hat das letzte Wort und ist auf Grund der von ihm jeweils getroffenen Entscheidungen auch mitverantwortlich für die Resultate des Prozesses. d) Seine Entscheidungsfreiheit bewegt sich aber in Grenzen der auf Grund der Wissenssituation zulässigen Optionen und wird insoweit durch die verfügbaren Wissensgrundlagen eingeschränkt. Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 107 e) Auf die jeweilige diagnostische Fragestellung bezogen werden dem Diagnostiker in den einzelnen Phasen des diagnostischen Prozesses die jeweils relevanten Wissensgrundlagen theoretischer, empirischer und / oder methodischer Natur zugänglich gemacht. erstmals im Rahmen der Schulpsychologie Modell angewandt: Computersystem DIASYS erstellt (s. u.) statistisches Auswertsystem für Einzelfallanalyse: PSYMEDIA (HUBER) Testsysteme (also Programmpakete, in die Tests integriert werden können, z.B. HogrefeTestsystem) sind noch lange keine Expertensysteme! aber z. B. DSM IV oder DIASYS 1 sind echte Expertensysteme DIASYS: Diagnostische Fragestellung (Ps) Korrespondierende Hypothesen (Comp) Einzelfallspezifische Problemanalyse (Ps) Einzelfallspezif. Untersuchungshypothesen Planung der Informationserhebung (Comp) Ausgewählte Erhebungsverfahren Einzelfallspezifische Infoerhebung Diagnostische Information Infoverarbeitung und Hypothesenprüfung akzeptierte Hypothesen Diagnostische Entscheidung Standardisierung psychiatrischer klinisch-psychologischer Diagnostik (z. B. durch Standardinterviews) sog. HINCKLEY-Fall (Attentäter auf REAGAN): Klärung der Schizophrenie Ergebnis je nach Schule anders Kritik an psychiatrischer Diagnostik als unwissenschaftlich in USA doppelt soviele Schizophrene wie in Europa diagnostiziert – Ursachen: unterschiedliche Richtwerte, Trennschärfen, ... Forderung: auf Basis der Symptombeschreibungen der Ptn. eine standardisierte Diagnose durchführen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 108 APA: schaute sich beim Positivisumus der Wiener Schule um (CARNAP) Konzentration auf beschreibbares Verhalten und Protokollsätze im Vordergrund der Patientenbefragung stehen die Verhaltenssymptome DSM entwickelt auf Basis des ICD heute standardisierte Interviews Ziele: Reliabilität und Urteilsübereinstimmung Diagnosesysteme als Grundlage, weitere Spezifizierung durch Entscheidungsbäume viele Systeme laufen computergestützt (Pt. wird nach bestimmtem Symptom befragt, danach in Computer eingegeben) CIDI (Composite international diagnostic interview): international gültiges diagnostisches Interview in USA entwickelt, in München unter WITTCHEN und Mitarbeitern für deutsche Verhältnisse normiert gibt es auch als Computerprogramm Schulungskurs zum Erlernen nötig Kritik der präskriptiven Modelle (positiv und negativ): positiv negativ Vereinheitlichung der Diagnosepro- Zurück im Sinne des klassischen zeduren (Erhöhung der Objektivität und medizinischen Krankheitsmodells Reliabilität) (biologisch orientierte Psychologie, die höhere Ökonomie Umweltbedingungen zu wenig beachtet) Computerisierbarkeit komplizierte dynamische Zusammen Verringerung der Gefahr, dass man hänge (Wechselspiel zwischen Person und Wesentliches bei der Befunderhebung Umwelt) kaum erfasst (biologischer vergisst Reduktionismus, diagnostische Eti größere internationale Verständigungskettierung; Gefahr einer Schematisierung und fehlernder Individualisierung); fähigkeit Austausch von ForschungsGefahr: Expertenwissen bestimmt, was ergebnissen welche Krankheit ist (aber Experten können ihre Meinung ändern) sehr atheoretisch und deskriptiv (ätiologische, ätiopathologische Zusammenhänge nicht bedacht, z. B. expressive Emotionen, Vulnerabilitätskonzept) Fazit der Kritik: Einmaligkeit der Persönlichkeit besser beachten! Entscheidungstheoretischer statistischer Ansatz (aus Wirtschaftsmathematik entwickelt) kommt aus Wirtschaft / Personalauswahl Lit.: GÖSSLBAUER (1992) geht zurück auf Entscheidungstheorie nach CRONBACH & GLESER Grundfragen: Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 109 Bringt es in vorliegenden Fall überhaupt etwas, Diagnostik zu betreiben? Lohnt sich der Aufwand der Durchführung von Tests? Was hat der Auftraggeber finanziell veranschlagt? Wie komme ich zu einer optimalen Entscheidung? statistisch realisiert: BAYES-Statistik; Grundbegriffe: Apriori-Wahrscheinlichkeit von Störungen (Häufigkeit des Vorkommens von Störungen) Nutzen und Konsequenzen einer bestimmten Entscheidung für den Auftraggeber Wahrscheinlichkeit von Behandlungserfolgen bei bestimmten Therapien (in Abhängigkeit von Symptom und Persönlichkeitseigenschaften) bestimmte Formeln dazu Nutzen berechenbar mit welcher Wahrscheinlichkeit ist Pt. krank? / ist Klient als Pilot geeignet? etc. Kritik: ziemlich kompliziert (mathematisch statistisch) Grundwahrscheinlichkeiten schwer exakt einzuschätzen selten auftretende Ereignisse (z. B. seltene Krankheiten) lassen sich durch Formelanwendungen schlecht erkennen Kosten-Nutzen-Berechnungen kaum realisierbar (z. B. Förderschuleinschätzung Kosten unendlich im Falle einer Fehlentscheidung) (oder: wie operationalisiert man den Nutzen von Psychotherapie?) 3. Deskriptive Modelle unter IV.1. bereits behandelt... 26. und 29. Juni 2000 (vorgezogen) 4. Tendenzen der Psychodiagnostik (Grobüberblick) Prüfung: nicht nur Charakter- und Persönlichkeitsdiagnostik, sondern auch Intelligenzdiagnostik nennen (vgl. VL Differentielle Psychologie, «Tendenzen der Intellektuellen- und Leistungsdiagnostik» [?]) Anmerkung: Der Stoff der Vorlesung stützt sich auf die Folien 70 bis 72. Von diesen Folien gibt es eine alte Version mit dem Titel «Trends der Persönlichkeits- und Charakterdiagnostik», die in der Vorlesung aufgelegt wurde, und inzwischen eine erweiterte neue Version unter dem Titel «Trends der Psychodiagnostik», die über die alte Fassung hinausgeht, aber nicht alle Details dieser übernimmt. Ich habe mich entschlossen, hier die neue Fassung wiederzugeben – wem dies zu unsicher ist, der sollte sich zusätzlich die alte Fassung zulegen. T. E. Trends der Psychodiagnostik 1.) Suche nach globalen Persönlichkeitsfaktoren als faktoranalytischen Untersuchung und Persönlichkeitstests Bsp.: «Big Five» nach COSTA und MCCRAE Bsp.: Berliner Intelligenz-Strukturtest (BIS) Quintessenz aus vielen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 110 Bsp.: NEO-FFI, NEO-PI-R 2.) Suche nach alltagsnäheren und bereichsspezifischeren Verfahren, z. B. in der Aggressivitäts- und Angstdiagnostik. Forderung nach «ökologisch valideren» Verfahren. Entscheidung für einzusetzenden Verfahrenstyp (allgemein oder mehr bereichsspezifisch) erfolgt entsprechend Alltagsbezug bzw. Lebenskenntnis bei den Probanden (vgl. auch KRAMPEN-Modell). Bsp.: EAS nach PETERMANN, IAF nach BECKER 3.) Stärkere Betonung der «biographischen Diagnostik». Bsp.: Biographische Fragebögen in der Eignungsdiagnostik Bsp.: BIV von JÄGER in der klinisch orientierten Diagnostik 4.) Zunehmende Bedeutung der Exploration und Entwicklung in Richtung standardisierter bzw. halbstandardisierter Interviews. Bsp.: Multimodales Interview in der Berufseignungsdiagnostik nach SCHULER Bsp.: Erfassung kritischer Lebensereignisse durch den LEBI nach RICHTER & GUTHKE Bsp.: Angst-Prozessdiagnostik nach ROST Bsp.: Standardisierte klinische Interviews nach ICD und DSM 5.) Zunehmende Bedeutung der «Umweltdiagnostik» (des Familiensystems, der sozialen Stützsysteme, der Arbeitsbedingungen, der Risiko- und protektiven Faktoren in der Umwelt etc.). Bsp.: LRF nach GUTHKE & HEINRICH Bsp.: Home-Scales 6.) Forderung nach einer stärkeren Therapie- und Förderbezogenheit der Diagnostik. Bsp.: therapieorientierte Diagnostik bzw. «Förderdiagnostik» 7.) Ergänzung der Labordiagnostik durch ambulantes Assessment unter «Feldbedingungen» mit computerisierten Verhaltensrecordern. Bsp.: Arbeiten von PAWLIK & BUSE, PERREZ 8.) Zunehmende Bedeutung der computergestützten Diagnostik. Bsp.: Wiener Testsystem des Schuhfried-Verlages Bsp.: Hogrefe Testsystem Bsp.: Delta-System der Bundesanstalt für Arbeit Berufsberatung Bsp.: DIASYS nach HAGEBÖCK für die psychologische 9.) Wieder mehr Interesse an «objektiven Persönlichkeitstests» sensu CATTELL und EYSENCK. Bsp.: Computergestützte objektive Tests (KUBINGER, 1996) Bsp.: Arbeiten von KASIELKE, HAENSGEN und SCHMIDT 10.) Wieder vermehrt Interesse an «projektiven Verfahren». Bsp.: «Wunschprobe» nach WILDE (siehe Arbeiten von PLAUM, 1997) Bsp.: RORSCHACH-Varianten in den USA Bsp.: Comprehensive System (vgl. Übersicht bezüglich Formdeuteverfahren bei WITTKOWSKI, 1996, in Diagnostica) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 111 11.) Ergänzung der bisher dominierenden reinen Status- bzw. Einpunktmessungen durch veränderungsbezogene Mehrpunktmessungen. Bsp.: «Lerntests», «Learning-Potential-Assessment», «Testing the Limits», «Interactive Assessment», «Dynamisches Testen», vgl. auch FEUERSTEIN, HAYWOOD & TZURIEL, GUTHKE & WIEDL (1996) 12.) Zunehmende Bedeutung der neuropsychologischen Diagnostik im Zusammenhang mit den enormen Fortschritten bei den bildgebenden Verfahren (fMRI, PET etc.) und den verstärkten Reha-Bemühungen bei Apopleptikern und «Hirngeschädigten» anderer Genese. Bsp.: Kaufmann-ABC nach MELCHERS-PREUß / LURIA-Verfahren Bsp.: HALSTEAD-REITAN-Testbatterie Bsp.: «Planungsdiagnostik» für Alltagshandlungen (FINKE & FRITZ) 13.) Überwindung der starren Gegenübersetzung von «Verhaltensdiagnostik» und Eigenschaftsdiagnostik» (vgl. WESTMEYER, 1994). (Ergänzungen von Wulf Mirko:) 14.) Verstärkt adaptives Testen • Bsp.: Adaptive Computergestützte Lerntestbatterie (ACIL) von Guthke et. al. • Bsp.: FACT (Computerversion des Frankfurter Aufmerksamkeitsinventars FAIR) • Diagnostisches Interview bei Psychischen Störungen (DIPS) 15.) Komplexe Aufgabenlösung, statt Wissensabfrage • mehr Aufmerksamkeit auf Problemlösestrategien, Fehleranalyse, etc 16.) verstärkt präskriptive, statt deskriptive Diagnostik verstärkt statistische, statt klinischer Urteile 17.) Konstruktion von Leistungstests auf Grundlage der Probabilistischen Testtheorie 18.) Konstruktion von Tests verstärkt unter Einbeziehung der Psychol. Grundlagenwissenschaften, bes. Allg. und Entw.-Psychologie (rational-theoretische Konstruktion) nachträgliche Fundierung vorhandener Tests (Ende der Ergänzungen) Einige Kritikpunkte an der psychologischen Diagnostik a) Mithilfe bei der Etikettierung und Ausgrenzung (Selektion) von Menschen (Dominanz sog. Selektionsstrategien) im Rahmen der Anti-Psychiatrie-Bewegung diskutiert (60-er und 70-er Jahre), dann auch Anti-Diagnostik-Bewegung Gegenströmung: Sozialpsychologie heute wieder: Einteilung der Menschen nach Kategorien durch ICD und DSM in klassischer Eignungsdiagnostik: Mensch = Ausbeutungsobjekt am Arbeitsplatz, Beeinträchtigungen dadurch interessierten nicht Psychologie musste herausstellen, dass man auch Eignungsdiagnostik zu Gunsten des Individuums machen kann Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 112 b) unfaire Intelligenzleistungen bei «Unterpriviligierten» (z. B. Kindern aus wenig anregungsreichem Milieu) und anderen Kulturen (z. B. Gastarbeiterkinder) Versuch zum culture-fair testing, aber: nach neueren Untersuchungen sind auch diese Tests kulturabhängig c) Gefährdung der Autonomie und Intimsphäre der Persönlichkeit in der sog. Persönlichkeitsdiagnostik mit Fragebögen und «projektiven Tests» Probanden werden v. a. durch «objektive Tests» getäuscht Folge: möglichst in Gerichtsverfahren keine projektiven Tests anwenden d) Mangelnde Therapie- und Förderrelevanz Diagnostik betont, aber Therapie unterbetont; Grund: theoretische Fundierung der Therapie ist nicht genügend individualisiert aber z. B.: Erhebung bei Depressiven Therapie mit Medikamenten wirkt besser, wenn vorher Fragebogenuntersuchung e) zu starke Orientierung auf isolierte Fakten- und Wissensabprüfungen in Schulleistungstests, v. a. mit multiple choice-Antwortformat, zu Ungunsten anderer Bildungs- und Erziehungsziele Bsp.: in der postgradualen Psychotherapieausbildung multiple choice eingeführt siehe aber als Alternative performance based assessment Einige übergreifende Diskussionspunkte und Themen der Psychodiagnostik a) Überalterung von Testnormen siehe hierzu z. B. die Kritik von FAY (1997) am PSB (HORN 1969) oder von BERG & IMHOF (1997) am PFK (SEITZ & RAUSCHE 1992) Bsp. PFK: Neuauflage, aber Normen aus den 70-er Jahren, wobei Normen aber etwa aller 10 Jahre überholt sind Probleme: Normierungen sind sehr teuer (Verlage können sich dies oft nicht allein leisten) Kosten für Tests steigen Genehmigungschaos b) Qualitätssicherung von Testverfahren und deren Anwendung siehe hierzu Vorschläge des Testkuratoriums DIN-Ausschuss der Wirtschaft sollte Qualität prüfen; Problem: teilweise inhaltliche Prüfung nicht möglich eine solche Prüfung heute nur bei berufsbezogenen Tests Problem der Anwendung: auch jeder Nichtpsychologe darf Tests verwenden (in USA anders) heute Grundsatz: wer Tests durchführen will, sollte zumindest psychologische Schulung erhalten haben c) Optimierung und Standardisierung des diagnostischen Prozesses («Diagnosestrategien») s. hierzu z. B. HAGEBÖCK (1994) und die Arbeiten aus den Arbeitsgruppen von WESTMEYER und WESTHOFF Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 113 Bestreben: Expertensysteme am PC standardiesierte Interviews d) Berufsethische Probleme der Diagnostik z. B. Aufklärungsrecht, Zumutbarkeit, Gutachtenweitergabe siehe dazu Folie «Rechtliche Rahmenbedingungen» e) «Computerisierung» der Diagnostik s. hierzu z. B. die in den Verlagen Dr. Schuhfried Wien, Dr. Hogrefe Göttingen und Swets Ffm. herausgegebenen Systeme für computergestützte Diagnostik 14. Juli 2000 5. Computergestützte Diagnostik Computer Psychologie: z. B. Computermetapher als Modell für Erklärungen des menschlichen Gedächtnisses und Denkleistungen, Wissensrepräsentation etc. aber: Übertreibung: Mensch = Maschine Psychologie Computer: Herbert A. SIMON: Generelles Problemlösen; Verbindung von psychologischem Denken mit Computerwissenschaft «ergonomische» Gestaltung von Hard- und Software graphische «Benutzeroberfläche» (Desktop, Zwischenablage, Papierkorb etc.) Apple vs. Microsoft Künstliche Intelligenz «Die eigentliche Gefahr besteht nicht darin, dass Computer wie Menschen zu Denken beginnen, sondern dass Menschen wie Computer zu denken beginnen.» Simon J. HARRIS Anwendung von Computern in der Psychodiagnostik bereits seit Anfang der 60-er Jahre Mayo-Klinik (Rochester, USA): Screening (MMPI) durchgeführt (auf maschinenlesbaren Karten), computergestützte Testauswertung und -interpretation (CBTI: computer based test interpretation) sog. Mayo-System lieferte: 14 Skalenwerte Kommentare zu den Skalenwerten Skalenübergreifende Kommentare (konfigurale Statements) erste Trends: «nur» Auswertung Report («Gutachten») (statements zu Testleistung) post in (Testprotokolle zur Einrichtung geschickt, die System und Computer hatte) online (direkt vor Ort) ab Mitte der 80-er Jahre: Anamneseerhebung (psychiatrisches Interview, ICD, DSM) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 114 Einsatzgebiete von Computern in der Psychodiagnostik a) Testentwicklung Edition von Testitems Itemgenerierung, Zusammenstellung von Tests Anlage und Verwaltung von Item-Banken b) Testevaluation Item- und Testanalysen faktoranalytische Berechnungen Auswertung von Validierungsdaten c) Testdurchführung Auswahl der zu bearbeitenden Tests Testvorgabe adaptives Testen Registrierung der Reaktionen des Testanden Registrierung zusätzlicher Daten (Validität muss geklärt sein) d) Testauswertung Scoring Analyse Vergleich mit Normen Interpretation Diagnostische Entscheidungsfindung Rückmeldung der Ergebnisse an die Testanden Fortentwicklung nicht jeder Test, der auf Computer läuft = computergestützter Test Kategorien von Computertests a) Computerversionen von herkömmlichen Tests prinzipiell mit dem paper and pencil-Test identisch Äquivalenz angestrebt, aber: man kann nicht «zurückblättern», sondern oft nur eine Frage zurückgehen, also nicht nachschauen, wie man bei ähnlichen Fragen bereits geantwortet hat neue Normierung nötig, aber kaum umgesetzt b) überarbeitete Originaltests haben paper und pencil-Tests als Ausgangspunkt, aber wesentliche Veränderungen, z. B.: sequentielle Tests adaptiv darbieten Darbietungszeit variieren in Abhängigkeit von vorheriger Reaktion etc. Bsp. Wechsler-Test: man kann Würfelfiguren in der Computerumsetzung drehen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 115 c) Computeroriginaltests Verfahren, die es nie als paper und pencil-Fassung gab setzen die Spezifik des Computers voraus (spezielle Items, z. B. bei adaptiven Tests) Bsp.: Computer spielt Filmsequenzen vor, in die Fehler eingebaut sind; Pb. stoppt an entsprechender Stelle etc. allgemein: auf Äquivalenz achten, wenn paper und pencil-Variante vorhanden; ansonsten: neue Normen! Vorurteile Einsatz von Computern in Psychodiagnostik führt zu Verlust der intuitiven Kompetenzen des Diagnostikern Inflexibilität Determinismus des Computerprinzips Individualitätsreduktion (bzgl. Diagnostikand) Debatte: Was ist gute Diagnostik – «Bauch» oder Richtlinien? MEEHL, P. E. (1956): «Wanted – A good cookbook», American Psychologist, 11, 263 – 272 «Diagnostische Urteilsbildung bezeichnet jene Denktätigkeit eines Experten, die durch die Frage mit diagnostischer Zielsetzung angeregt wird, die die Suche und die Auswahl von Informationen steuert, die diese Informationen interpretiert und integriert, so dass am Ende dieser spezifischen Denktätigkeit eine Antwort auf die Ausgangsfrage möglich ist.» (JÄGER, MATTENKLOTT & SCHRÖDER 1984, S. 11 f.) Arten der diagnostischen Urteilsbildung (MEEHL) beschreiben, wie diagnostische Informationen in einer Untersuchungssituation verarbeitet werden können (MEEHL, 1954) klinische Urteilsbildung: Informationen werden intuitiv (auf Grundlage des Fachwissens und der Erfahrung des Diagnostikers) ausgewertet und beurteilt (role of thumb method) statistische Urteilsbildung: Informationsauswertung und die darauf aufbauenden Vorhersagen erfolgen auf der Basis expliziter, empirisch gewonnener und überprüfter Regeln und Gesetzmäßigkeiten auch bezeichnet als mechanisch, aktuarchisch oder cookbook method Bedeutung z. B. in Kriminologie, etwa Rückfallwahrscheinlichkeit von Kriminellen WARNER (1923): stellte fest, dass Urteile (der Geschworenen) sehr beliebig waren diagnostische Kriterien entwickelt, die Rückfallwahrscheinlichkeitswert ermitteln sollten 1942 erstmals auch Psychologie bei Ermittlung von Rückfallwahrscheinlichkeit beteiligt (zuvor nur Polizei, Juristen, Psychiater) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 116 Vergleichsstudien im Rahmen der Debatte: Qualität der diagnostischen Urteile bei statistischer Urteilsbildung besser Potenzielle Gründe für eine mangelnde Validität diagnostischer Urteile begrenzte Informationsverarbeitungskapazität Urteile werden nur auf Grund eines Bruchteils der vorliegenden Informationen gefällt Tendenz, zu viele Daten zu sammeln Sicherheit wenn zu große Menge an Daten Verunsicherung Datenmenge (vgl. IV.1) eine Zunahme der beachteten Informationsmenge führt nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung der Urteile es ist einfacher, bestätigende Rückmeldungen für richtige Entscheidungen zu erhalten als widerlegende Rückmeldungen nach falschen Entscheidungen Aufmerksamkeit wird unter Umständen auf irrelevante Aspekte des Problems gerichtet Urteilsprozess wird durch fehlerhafte Erwartungen geleitet es wird a priori keine endliche Menge an Alternativerklärungen definiert, gegen diese dann systematisch geprüft wird kein probabilistisches Denken, sondern (u. U. streng mono-)kausales wenn probabilistisch, dann ist die Wichtung der Bedeutung der Informationen oft unangemessen aus Fehlern lernen ist in der Psychologie schwierig: «Pathologe» der Psychologie fehlt z. B. Sonderschuleinweisung falsch Psychologe sieht Beurteilten nicht wieder erfährt nichts von seiner Fehleinschätzung Zur Psychodiagnostik als Kunst Psychologische Diagnostik ist eine Disziplin, welche in der Anwendung zu Konsequenzen für Betroffene führt. Es gelten daher alle Bedingungen, welche mit dem Rechtsbegriff «Kunstfehler» verbunden sind: Schadensersatzpflicht (§ 823 BGB) Körperverletzung (§ 223 StGB) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 117 «Diagnostik in Psychologie und Medizin ist für uns alle viel zu wichtig, als dass wir es uns leisten könnten, dem einzelnen Diagnostiker zu gestatten, seinen eigenen Regeln und Gesetzen zu folgen und Kunst als Wissenschaft oder Wissenschaft als Kunst zu betrachten.» (nach WESTMEYER) Deskriptive Diagnosemodelle Man versucht, auf empirischem Wege herauszufinden, wie diagnostische Urteilsprozesse in der Praxis von Statten gehen (post hoc). Probleme der Personenwahrnehmung Urteilsfehler Diagnostik als Problemlöseprozess Normative (präskriptive) Diagnosemodelle Wie soll Urteilsbildung ablaufen, damit der Diagnoseprozess «objektiv» (also «unabhängig vom Diagnostiker») ist, das Informationspotenzial hinreichend ausgeschöpft wird, das Resultat (also die Diagnose) korrekt und wissenschaftlich theoretisch begründet ist? Linsenmodell von BRUNSWIK als deskriptives Diagnosemodell (siehe auch IV.1) Validität Korrelation r(yc, yj) x1 Kritischer Wert x2 x3 yc Vorhersage des Klinkers yj x4 diagnostische Eingangsdaten xj Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 118 objektive Bedeutung der Einzelinformationen: yc = 1cx1 + 2cx2 + 3cx3 + ... subjektive Bedeutung der Einzelinformationen: yj = 1jx1 + 2jx2 + 3jx3 + ... Korrelation der Komponenten macht Aussage über Validität Informationshilfen – Expertensysteme machen Entscheidungsvorschläge dienen der Verdichtung von Daten (Wiederholung und Vertiefung von gleichem Thema in IV.2 [kam tatsächlich doppelt, mit leichten Änderungen, T. E.]:) Bestandteile von Expertensystemen: Wissensbasis (beinhaltet Wissen und die Verarbeitungsregeln für ein bestimmtes Anwendungsgebiet) aber: in Psychologie Wissen selten so gesichert, dass Regeln möglich sind wenige Expertensysteme Datenbasis (vom Benutzer eingegebene Fragen oder Hinweise) Inferenz- oder Problemlösungskomponente (kombiniert Inhalte der Datenbasis mit Wissensbasis so, dass Schlüsse zur Beantwortung der Fragen gezogen werden können) Erklärungskomponente (begründet die einzelnen Problemlösungsschritte, Transparenz) Lernfähigkeitskomponente (eher selten implementiert; Verwertung der Ergebnisse oder neu eingegebenen Beispiele zur selbsttätigen Erweiterung der Wissensbasis um neue Fakten und Regeln) Testsystem (Testvorgabe- und Auswertungsprogramme, also Programmpaket, in das Test integriert werden kann) Expertensystem! aber z. B. DSM IV oder DIASYS 1 = Expertensystem DIASYS 1 (HAGENBÖCK, 1994): = Expertensystem für die pädagogisch-psychologische Praxis Einsatzgebiet: Einzelfallhilfe in schulpsychologischen Beratungsstellen Geltungsbereich: Schüler von 9 bis 15 Jahren Ausgangsfragestellung: «allgemeine Schulschwierigkeiten» in diesem Zusammenhang geprüfte Merkmalsbereiche: schulische Leistungen Intelligenz Konzentrationsfähigkeit Leistungsmotivation Einstellung zur Schule und zum Lernen Persönlichkeitseigenschaften / Selbstkonzept System gibt in Abhängigkeit von Hypothesen Empfehlungen für Tests, die man zur Klärung der Hypothesen durchführen könnte; Ergebnisse des paper-pencil-Tests können in Rechner eingegeben werden Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 119 Computer in der Diagnostik Datenfilterung, -auswertung, -darstellung, -speicherung Datenverdichtung, -bewertung, -gewichtung Wissensdatenbank und Unterstützung der Entscheidungsfindung Computerbasierte Tests Dateneingabe zur Auswertung Unterstützung Diagnoseprozess Diagnostikand Konventionelle Tests, Beobachtung Diagnostiker Direkte Interaktion (widerlegte) Vorwürfe: adaptives Testen erst mit Computer möglich widerlegt Vorwurf der Unflexibilität (an Probanden angepasstes Reagieren des Computers möglich) Determinismus: im Endeffekt auch nicht haltbar Individualitätsverlust: man müsste streng genommen für jeden Menschen eigenen Intelligenztest entwickeln Inkompatibilität einer hypertrophierten Diagnostik mit einem eher hypotrophierten Interventionsspielraum Kritik: Entmenschlichung (aber: es gibt ethische Richtlinien [Testkuratorium etc.]) mangelnder Datenschutz (aber: Akten auch nicht sicherer) Aufzwingen der Diagnosemethode (aber: es gibt auch Spielraum) Psychologie macht sich selbst überflüssig, denn diese Diagnoseverfahren können auch von Berufsfremden angewandt werden (aber: Kompetenzen im Auswahl der Verfahren, Interpretation etc. bleiben beim Psychologen) Computergestützte Diagnostik = Erweiterung des diagnostischen Prozesses in diesen Prozess eingebettet sollte nicht gleich zuerst angewandt werden 6. Neuropsychologische Diagnostik Literatur: Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 120 WITTLING et al.: Neuropsychologische Diagnostik, in: JÄGER & PETERMANN: Psychologische Diagnostik Ausarbeitungen von Wulf Mirko Weinreich (wurde aber nicht gelesen!): Definition: Neuropsychologische Diagnostik impliziert eine zerebrale Funktionsmessung, deren Ziel es ist, eine generelle Aussage über die funktionale Effizienz, Integrität und Reaktivität des zerebralen Systems bzw. einzelner zerebraler Strukturen eines Individuums zu machen und in einen Bezug zu den entsprechenden Funktionsaspekten anderer Menschen zu setzen. Anhand der erhaltenen Daten können spezifische Verhaltensaspekte und körperliche Reaktionsweisen dieser Menschen vorausgesagt und/oder erklärt werden. Anwendungsgebiet vorrangig im Klinischen Bereich: Messung funktionaler Defizite zerebraler Strukturen, die als Folgen nachgewiesener oder vermuteter Schädigung der Hirnsubstanz auftreten. • Beschreibung der aktuellen funktionalen Situation des Patienten • Beratung des Patienten und seiner Angehörigen • Verlaufskontrolle und Prognose hirnschädigungsbedingter Veränderungen • Planung und Evaluation von Rehabilitiationsmaßnahmen • Erfassung neuropsychologischer Aus- und Nebenwirkungen neurologischer und neurochirurgischer Maßnahmen • Erfassung neuropsych. Auswirkungen allgemeinmedizinischer Erkrankungen (z.B. Asthma, Stoffwechselstörungen, Herzrhythmusstörungen, Hypertonie,...) • Erfassen zerebraler Korrelate psychiatrischer Erkrankungen Klärung folgender Fragen: Topografische Funktionsanalyse: • Gibt es Hinweise auf funktionale Defizite? • Welche Hirnregionen sind betroffen (Hemisphären, anterior, posterior, etc) Inhaltliche Funktionsanalyse • Welche inhaltlichen Funktionsbereiche sind betroffen? (kognitive, emotionale, motorische, sensorische, psychophysiologische, Verhaltensregulation) • Welche sekundären Reaktionen treten beim Patienten auf? Praktische Konsequenzen der Funktionsanalyse Lebenskonsequenzen (beruflich, familiär, gesundheitsbezogen) Konsequenzen bezüglich Verlaufsprognose und Rehabilitation Strategien der topographischen Funktionsanalyse Indirekter Ansatz: mittels Psychologischer Testverfahren Verhaltensreaktionen erfassen und daraus Rückschlüsse auf den Funktionszustand ziehen Das bedarf bestimmter Inferenzprinzipien. Alle bisher bekannten sind jedoch problematisch Gefahr der Fehlinterpretation viele verschiedene Methoden nutzen Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 121 Leistungsniveauvergleich anhand von Populationsnormen Vergleich der Leistungen des Probanden mit einer Eichstichprobe hirngesunder und einer Eichstichprobe von Personen mit nachgewiesenen Hirnschädigungen bei Leistungen unterhalb eines Grenzwertes, der beide Populationen optimal trennt, geht man von Hirnschädigung aus. Beispiele: • Benton-Test • Göppinger Formreproduktionstest • Diagnostikum für Cerebralschädigungen • Halstead-Reitan Neuropsychological Test Battery ist sehr angreifbar, Kritik: • substanzielle Hirnschäden müssen nicht immer mit zerebralen Dysfunktionen einhergehen • Validität, Art und Zusammensetzung der Eichstichproben • Fehlende Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Bildung • Möglichkeit anderer Ursachen für Ergebnisse (z.B. Motivationsmangel, Müdigkeit,...) Vorkommen pathognomer Zeichen Ausfall von Basisfunktionen, die so grundlegender Natur sind, daß ihre Existenz ab einem best. Alter als normal angesehen werden kann, z.B. • Objekte im Gesichtsfeld registrieren • Berührungsreize lokalisieren • Bekannte Objekte wiedererkennen • einfache motorische Handlungen • einfache Wörter und Sätze nachsprechen und verstehen ist relativ sicher, tritt aber nur sehr selten weil bei massiven Funktionsstörungen auf kann nur globale Aussagen machen ist Bestandteil verschiedener Tests Vergleich zwischen sensitiven und insensitiven Verhaltensaspekten nichtsprachliche Leistungsaspekte und Aspekte der „fluiden“ Intelligenz, „mental speed“, motorische Geschwindigkeit und Lernen sind offensichtlich stärker betroffen als z.B. Gedächtnisleistungen und „Kristalline Intelligenz“ Zahlensymboltest im HAWIE ist diesbezüglich sehr sensitiv, gefolgt von Mosaiktest, Bilderordnen und Figurenlegen, sowie Zahlen nachsprechen und rechnerisches Denken Trail-Making A/B (Reitan) Interhemisphärischer Leistungsvergleich bei funktionaler Hemisphärenasymmetrie Höhere kognitive Funktionen sind oft asymmetrisch: linke Hemisphäre: Sprachlich, symbolisches und rechnerisches Denken Aphasie- und Sprachtests, Denk- und Mathetests • bei Schädigung eher überschießende emotionale Reaktionen (mangelnde Kontrolle) • Trail-Making B (Reitan) • HAWIE: Verbal-IQ rechte Hemisphäre: Räumlich-visuelles, musisches und emotionales Denken und Steuerung motorischer Prozesse Zeichnen, Orientierungstests, Prüfung des tonalen Gedächtnisses, Rhythmuserkennung, Erkennen von Formen, komplexen taktilen Reizen,... • bei Schädigung eher Verflachung der emotionalen Reaktionen • Trail-Making A (Reitan) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 122 • HAWIE: Handlungs-IQ bei hemishpärengebundenen Leistungen, die in ihrer Differenz deutlich unter der normalen intraindividuellen Variabilität liegen, ist eine unilaterale Hirnschädigung wahrscheinlich macht Aussagen über die Lokalisation der Schädigung durch intraindividuellen Vergleich wesentlich geringere Fehlervarianz als bei interindividuellem Interhemisphärischer Leistungsvergleich bei contralateraler Funktionsrepräsentation prüft einfache, elementare Funktionen, die nicht an Hemisphäre gebunden sind jede Hemisphäre steuert jedoch die gegenüberliegende Körperseite (=contralaterale Repräsentation) • motorische Funktionen (Bewegungskontrolle der Extremitäten, usw.) • taktile Funktionen (Registrierung von Berührung) • akustische Funktion: (Contralateralität trifft nur bedingt zu vorzugsweise dichotische Stimulation, weil es dabei zu funktionaler Hemmung kommt) • visuelle Funktion: (Contralateralität trifft nur für die Aussenränder des Gesichtsfeldes zu) • diese Funktionen haben verhältnismäßig exakt begrenzte topographische Repräsentation im Gehirn: Versuchsvorgehen: gleiche motorische und sensorische Aufgaben für linke und rechte Körperhälfte • bei deutlichen und konsistenten Seitendifferenzen Hinweis auf Hirnschädigung • durch Art der Minderleistung ist eine exakte Lokalisation der Funktionsstörung möglich Vorteile: • Systematische Untersuchung eines Großteils der Cortex-Areale • Relativ enge topographische Lokalisierbarkeit von Dysfunktionen • Weitgehend unabhängig von Populationsnormen • Unabhängigkeit vom absoluten Leistungsniveau des Individuums • Geringe Wahrscheinlichkeit, daß die so erhaltenen Differenzen durch Störfaktoren und Artefakte wie Motivationsmangel, Simulationstendenzen, psych. Störungen und die Begabungs- und Persönlichkeitsstruktur systematisch verfälscht werden. • Hohe diagnost. Bedeutsamkeit, da es sich um elementare Basisfunktionen handelt Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 123 Verfahren der lateralisierten Messungen: • Motorisch: – Reaktionsgeschwindigkeit (Fingertapping, manuelle Reaktionszeitmessungen) – Reaktionsgenauigkeit (Grooved Pegboard Test, Tactual Performance Test) – Kraft (Griffstärke mittels Handdynamometer) • Akustisch: – Seitenvergleich bei bilateraler, oft dichotischer Stimulation, Verwendung von sinnfreiem oder nichtsprachlichem Reizmaterial) • Taktil: – Prüfung der Berührungssensitivität, – Fingerspitzenschreiben – Taktile Formrekognition – Diskriminationsfähigkeit (z. B. stumpf – spitz, rauh – weich) • Visuell: – Perimetrische Untersuchung unilateraler Gesichtsfeldausfälle (Neglect) – Tachistoskopische Reizdarbietung visuelle Wahrnehmungsschwelle – Zeitliches Auflösungsvermögen (Flimmerverschmelzungsfrequenz) – Sehschärfe, Helligkeitsdiskrimination Neuropsychologische Verfahren der inhaltlichen Funktionsanalyse Viele Verfahren können topographisch und inhaltlich interpretiert werden Inhaltliche Verfahren sind ansonsten auch eine Ergänzung der topographischen Intelligenz: HAWIE • In klinischer Praxis sehr verbreitet gute Vergleichbarkeit • Vielfalt des Testmaterials, dadurch auch für schwer gestörte Patienten zugänglich • Möglichkeit, Lösungswege und -strategien zu beobachten • Integraler Bestandteil der Halstead-Reitan Neuropsychological Test Battery Aufmerksamkeit und Konzentration Daueraufmerksamkeit / Vigilanz • Seashore Rhythm Test (Reitan) • Sortieraufgaben á la Konzentrations-Verlaufs-Test • Einfache Rechenaufgaben á la Konzentrations-Leistungs-Test Selektive Aufmerksamkeit (Nichtbeachtung ablenkender Reize) • Stroop-Test (= Farbe-Wort-Interferenztest) • Dichotische Stimulation Geteilte Aufmerksamkeit (mehr als eine Klasse von Reizen relevant) • Trail-Making Test B (Reitan) • D2 Sprache • Reitan-Indiana Aphasie Screening Test • Aachener Aphasie Test • Speech Sounds Perception Test (Reitan) • Gezielte Beobachtung des Sprechverhaltens, um grammatikalische und syntaktische Störungen sowie verwaschene Aussprache (Prosodie) zu diagnostizieren Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 124 Lernen und Gedächtnis Sprachlich: • HAWIE Subtest Zahlen nachsprechen • Intelligenz-Struktur-Test 70: Merkaufgaben Nichtsprachlich • Benton Test • Test des tonalen Gedächtnis • Tactual Performance Test (Reitan) Einfache sensorische Funktionen Visuelle Gesichtsfeldausfälle • Perimeter • Suppressionstests (gleichzeitige Reize in beiden Gesichtsfeldhälften, die korrekt wahrgenommen werden müssen) Akustische Detektionsleistungen • Bilaterale Stimulation mittels Tongenerator oder Audiometer • Sensory Perceptual Examination (Reitan) Taktil-kinästhetisch • Unter Ausschluß des Sehens zunehmende Fingerstimulation • Gleichzeitig links und rechts: Patient muß erkennen, welche Finger stimuliert wurden • Sensory-Perceptual Examination (Reitan) Wahrnehmungsorganisation Visumotorische Koordination • HAWIE: Mosaiktest, Figurenlegen • Trail Making A (Reitan) • Bender Gestalt Test / Hintergrund Interferenzverfahren Komplexe akustische Funktionen • Seashore Test für musikal. Begabung • Speech Sounds Perception Test (Reitan) Taktil-kinästhetische Funktion • Tactual Performance Test (Reitan) • Fingerspitzenschreiben (Reitan) • Taktile Formrekognition (Reitan) Motorik • Prüfen von Reaktionsgeschwindigkeit (z.B. Fingertapping) • Prüfen von Reaktionsgenauigkeit, Geschicklichkeit (z.B. Grooved Pegboard Test) • Kraft (Handdynamometer) • Prüfen der Händigkeit Kognitive Verhaltensregulation Betrifft vorrausschauendes Planen, Abstraktions- und kognit. Umstellungsfähigkeit • Category Test (Reitan) • Turm von Hanoi • Planungstests unter Verwendung alltagsorientierter Aufgaben Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 125 Die Neuropsychologische Testbatterie Bekanntestes Verfahren: Halstead-Reitan Neuropsychological Test Battery Basistests, die den Beeinträchtigungsindex ergeben: • Category Test (erfaßt Schnelligkeit und Flexibilität beim Bilden von Prinzipien und Begriffen im Rahmen von Lernprozessen, z.B. Figuren zu erkennen, die sich aufgrund von Größe, Form oder Farbe von den anderen unterscheiden.) • Tactual Performance (mit verbundenen Augen 10 geometrische Figuren in die Aussparungen eines Formbrettes setzen, Wiedergabe der Figuren und ihrer Lokalisation aus dem Gedächtnis) • Rhythm Test (paarweise dargebotene Rhythmen unterscheiden) • Speech Sound Perception Test (sprachliche Diskrimination akustisch vorgegebener sinnfreier Silben) • Finger Oszillation Test (Registrierung der Anzahl der Klopfbewegungen der Zeigefingers in je 10 sek) Erweiterungen: • Trail Making Test A (Zahlen von 1 – 25 verbinden) • Trail Making Test B (Zahlen von 1 – 13 und Buchstaben von A – L abwechselnd verbinden • Messen der Kraft mittels Handdynamometer • Tactile Form Recognition (Patient muß unsichtbare geometrische Figuren in seiner Hand auf einer Schautafel erkennen) • Taktile Fingerrekognition (Patient mit geschlossenen Augen muß erkennen, welcher Finger seiner Hand berührt wird) • Fingerspitzenschreiben (Identifizierung von Zahlen auf den Fingerkuppen) • Sensory Perceptual Examination (unilaterale und bilaterale (Suppressionsphänomene) Stimulierungen, taktil (z.B. Ohr berühren), akustisch (z.B. Fingerschnipsen), visuell (während der Patient die Nase des Versuchsleiters fixiert, führt dieser Bewegungen am Rande des Gesichtsfeldes aus) • Aphasie Screening Test (versucht, die Art der Aphasie festzustellen: Benennen von Abbildungen, Nachsprechen, Buchstabieren, Lesen, Schreiben, Rechnen, Abzeichnen geometrischer Figuren, Ausführen einfacher Anweisungen) • Test der Hand- und Fußpräferenz • HAWIE Dieses ist der aufgearbeitete Vorlesungsstoff. Bitte bedenke, daß die Prüfung zu einem Drittel aus Seminarstoff besteht – und das ist wirklich so. Es gibt kein Einsprechthema. Wenn Du weißt, wer prüft, schau Dir diese Vorlesungen besonders gut an. Viel Erfolg! (Ende der Ausarbeitungen von Wulf Mirko) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 126 Prüfungsschwerpunkte für den Diagnostik-Teil der Prüfung "Diagnostik und Intervention" Allgemeine Hinweise: Die Prüfung bezieht sich auf die Vorlesungsreihe "Einführung in die Allgemeine Psychodiagnostik" und die dazu gehaltenen Seminare. Weiterhin wird das Studium des Lehrbuches von Guthke/Böttcher/Sprung: "Psychodiagnostik" (Band 1, insbes. Teil 1 und Band 2) erwartet. Schwerpunkt ist aber der Vorlesungsstoff. Daher orientieren sich die nachfolgend genannten Themen vor allem auch an der Vorlesung und den Seminaren. Die fragestellungsspezifische Diagnostik (z.B. in der klin., arbeitspsycholog. und päd.-psycholog. Anwendung) wird vornehmlich in den Hauptprüfungen zu den genannten Bereichen abgeprüft. 1. Möglichkeiten und Fehlerquellen der "natürlichen" Menschenkenntnis (siehe auch Vorlesung "Einführung in die Psychologie" im 1. Studienjahr) 2. Gegenstand, Aufgaben und Geschichte der Psychodiagnostik 3. Definition der Diagnose und Taxonomie von Diagnosen 4. Datentaxonomien 5. Die Verflechtung der Diagnostik mit anderen Disziplinen der Psychologie (insbesondere mit der Differentiellen Psychologie und Persönlichkeitspsychologie, aber auch Entwicklungspsychologie, Allgemeine Psychologie und Sozialpsychologie) 6. Diagnoseprozeßmodelle (deskriptive und präskriptive/normative, z.B. von Westmeyer) 7. Phasen des diagnostischen Prozesses 8. Die Exploration (Funktionen, Möglichkeiten und Grenzen, Validierungsproblematik, Trends) 9. Verhaltensbeobachtung (Formen und Rolle in der Diagnostik) 10. Der Test (Definitionsmerkmale, Diskussion der Pro- und Kontraargumente, Forderung an die Testentwicklung und Testanwendung) 11. Intelligenztests (theoretische Grundlegung [faktoranalytische Modelle], Typen, einzelne Verfahren, die im Seminar behandelt worden sind, Problematik des IQ [incl. Arten» 12. Kritik der herkömmlichen Intelligenzstatustests/Trends der Intelligenz diagnostik 13. Das Lerntestkonzept Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 127 (theoretische Basis, Typen von Lerntests, Verfahrensbeispiele, was sind Diagnostische Programme? Hauptanwendungsgebiete, Kritik, Trends, Erweiterung zum Konzept des dynamischen Testens) 14. Entwicklungstests (s.o. analog zu Lemtests) 15. Spezifische Fähigkeitstests (s.o.) 16. Berufseignungsdiagnostik (Probleme, Haupterkenntnisse, Verfahren, Trends) 17. Allgemeine Leistungstests (s.o.) 18. Schulleistungstests (lehrzielorientierte Tests, Typen und Trends) 19. Erfassungsebenen der Persönlichkeit 20. Typen persönlichkeitsdiagnostischer Verfahren 21. Persönlichkeitsinventare und klinische Fragebögen (theoretische Basis, Möglichkeiten, Überblick über Fragebogentests für Kinder und Erwachsene, höhere Kenntnis der im Seminar behandelten Verfahren) 22. Zum Begriff der Projektion/Projektionsarten 23. Deutungs- und Gestaltungsverfahren für den Kinder- und Erwachsenenbereich (Gegenüberstellung zu Leistungstests, ansonsten s.o., verbale Ergänzungsverfahren, spielerische Verfahren, Formdeuteverfahren, Zeichentests, z.B. Thomas. AT, Sceno, Familienzeichnung, Wahlverfahren) 24. "Objektive Persönlichkeitstests' (s.o.) 25. Trends der Persönlichkeitsdiagnostik 26. Computergestützte Psychodiagnostik (Anwendungsgebiete, Trends, Vor- und Nachteile) 27. Was versteht man unter neuropsychologischer Diagnostik? (Hauptverfahren und Haupteinsatzfelder (siehe hierzu Jäger/Petermann, S.575-602) Vorlesung Psychodiagnostik - Mitschrift von Tobias 128 Informationen zu diesem Dokument Dieses Script beruht auf den Mitschriften von Jenny Enke, Horst Vogt und Wulf Mirko Weinreich – und natürlich meinen eignenen Mitschriften. Vielen Dank an all jene, die sich mit Kopien ihrer Mitschriften oder durch die Korrektur von Fehlern daran beteiligt haben. Natürlich werden sich einige hartnäckige Fehler eingeschlichen haben, die bis jetzt noch nicht korrigiert worden sind. Solltet ihr weitere Unzulänglichkeiten bemerken, würde ich mich über eine Nachricht von Euch freuen und werde ggf. die Korrekturen veröffentlichen: [email protected] http://www.tobias-elze.de Ansonsten wünsche ich viel Spaß beim Lernen! Euer Tobias.