Stellungnahme ISL-Referentenentwurf

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Bundesverband - ISL e.V.
Krantorweg 1
D 13503 Berlin
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ISL e.V. * Krantorweg 1 * 13503 Berlin
Interessenvertretung
“Selbstbestimmt Leben“ in
Deutschland e.V. - ISL
Mitglied bei
„Disabled Peoples´ International”
- DPI -
Stellungnahme
Bankverbindung:
Sparkasse Kassel
BLZ: 520 503 53
Kto.: 1 187 333
zum „Referentenentwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen und
sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz – GKVFinG)“
Unstrittig für unseren Verband ist, dass Änderungen im Gesundheitssystem unabdingbar
und erforderlich sind. Wie es der Anspruch des vorliegenden Referentenentwurfs
formuliert, sollen „die Menschen auch in Zukunft auf eine gute medizinische Versorgung
auf Basis des medizinischen Fortschritts vertrauen können.“ Für uns ist dabei
entscheidend, wie dieses Ziel erreicht werden kann.
Systemwechsel zur Privatisierung der Gesundheitskosten
Nach dem vorliegenden Referentenentwurf sollen dafür jedoch die Versicherten doppelt
und ungleich belastet werden. Neben der einheitlichen Erhöhung der Beiträge zur GKV ab
1.Januar 2011 auf 15,5 % sollen die Krankenkassen zusätzlich einkommensunabhängige
Zusatzbeiträge von den Versicherten erheben, um die bestehenden Finanzierungslücken
zu schließen. Damit wird ein Systemwechsel vollzogen – weg von einer seit ihrem
Bestehen solidarisch finanzierten Krankenversicherung, hin zur Privatisierung der
Gesundheitskosten. Diesen Systemwechsel lehnen wir ab, da wir als Menschen mit
Behinderungen von den erneuten finanziellen Belastungen unmittelbar,
überdurchschnittlich und existenziell betroffen sind.
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Unzumutbare Härten für Menschen mit Behinderungen
Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen verfügen immer noch über
einen oft schlechteren Zugang zur Bildung und zum ersten Arbeitsmarkt. Infolge dessen
haben sie mehrheitlich geringe Einkommen und niedrige Renten – hierbei ist der Anteil der
Frauen mit Behinderungen höher als der der Männer mit Behinderungen - und sind in der
Regel gesetzlich krankenversichert. Schon die derzeit zu entrichtenden Praxisgebühren,
Zuzahlungen, Eigenanteile oder Eigenfinanzierungen bedeuten oft schon unzumutbare
Härten. Dazu kommen behinderungsbedingte Kosten und Mehrbedarfe, z.B. für
persönliche Assistenz oder Alltagshilfen, die meist selbst getragen werden müssen.
Sogenannte „soziale Abfederungen“ – wie der vorgesehene „Solidarausgleich“ -greifen
nach unseren bisherigen Erfahrungen nicht wirklich - sie decken nur einen Teil der
Mehrkosten ab, erfordern aber hohe Eigenkompetenzen und machen Menschen mit
geringen Einkommen wieder einmal mehr zu Bittstellern, die ihre Einnahmen und
Ausgaben offen legen und die Bedürftigkeit prüfen lassen müssen.
Weder „gerecht“ noch „ausgewogen“
Die im Referentenentwurf propagierte Stärkung der Finanzautonomie der GKV bedeutet:
jede Ausgabenerhöhung kann durch die Krankenkassen problemlos über die
Zusatzbeiträge einseitig an die Versicherten weitergegeben werden. Die ungleiche Höhe
der Zusatzbeiträge bis zur Erreichung der jeweiligen Belastungsgrenze sowie die auf
Antrag der Versicherten vorgesehene Erstattung einer Durchschnittspauschale der
erhobenen Zusatzbeiträge aller Kassen der GKV soll Geringverdiener zum
Kassenwechsel zwingen. Das kann zwar zu einer Verringerung des jeweiligen
Zusatzbeitrages führen, aber auch zu schlechteren Versorgungsleistungen. Perspektivisch
wird es also „Armenkassen“, Kassen für Besserverdienende und immer mehr
Privatversicherte geben. Das ist weder „gerecht“ noch „ausgewogen“. Solidarität mit den
„Sozialschwachen“ kann nicht bedeuten, diese verstärkt finanziell zu belasten und ihnen
damit Möglichkeiten einer lang erkämpften Teilhabe vorzuenthalten.
Die Arbeitgeberbeiträge werden nach dem Referentenentwurf nur einmalig auf 7,3 Prozent
erhöht und dann eingefroren. Damit wird die paritätische Beitragszahlung zu Lasten der
Versicherten verschoben, obwohl der Faktor Arbeit nachweislich zur Erhöhung der
Krankheitskosten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beiträgt.
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Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention - BRK
Die einseitige und neue Mehrfachbelastung der Versicherten verstößt für uns auch gegen
die von der Bundesregierung ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention, die die Rechte
behinderter Menschen stärken und ihre Teilhabe fördern soll. In Art. 25 schreibt die
Konvention u.a. „das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne
Diskriminierung aufgrund von Behinderung“ fest und verpflichtet die Vertragsstaaten weiter
zu einer „unentgeltlichen oder erschwinglichen Gesundheitsversorgung“.
Menschen mit Behinderungen sind – auch ohne Systemwechsel - längst vielen
Benachteiligungen im Gesundheitssystem ausgesetzt und kämpfen jetzt schon vielfach
um das medizinisch Notwendige. Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit – die wir generell
befürworten – werden häufig ausgelegt als das Einfachste und Billigste – bei der Qualität
werden Abstriche gemacht. Das Wunsch- und Wahlrecht, das wir uns mühsam erkämpft
haben, wird zunehmend von Kostenträgern ausgehebelt, wenn sie restriktiv bestimmen,
was für uns angemessen ist und was nicht.
Gegen einseitige Belastungen, für soziale Gerechtigkeit!
Der vorliegende Referentenentwurf bedeutet für uns, dass nicht nur die bestehenden
Benachteiligungen und Versorgungsprobleme im Gesundheitssektor erhalten bleiben,
sondern dass weiteren Verschärfungen Tür und Tor geöffnet ist.
Die „Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. - ISL“ fordert daher
die Bundesregierung auf, ihrer Verpflichtung, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, endlich
und im erforderlichen Umfang nachzukommen! Wir fordern den sofortigen Stopp aller
Bestrebungen, die Versicherten in Milliardenhöhe ungleich zu belasten und diesen
Gesetzentwurf nicht zu verabschieden!
Wir fordern die Rückbesinnung auf die Wurzeln der gesetzlichen Krankenversicherung,
auf die solidarische Finanzierung durch alle Beteiligten zum Nutzen aller Beteiligten!
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Wir unterstützen eine breite Diskussion für eine wirklich stabile und langfristig sichere
Finanzierung des Gesundheitssystems und sind überzeugt, dass die Lücken in der
Finanzierung auch anders als im vorliegenden Referentenentwurf geschlossen werden
können. Aber dafür muss die Politik sich der Fehlentwicklungen im Reformierungsprozess
des Gesundheitssystems endlich bewusst werden und umsteuern. Dafür braucht sie das
bewährte Solidarprinzip nicht zu opfern und die Lasten nicht den Menschen aufzubürden,
die den geringsten Anteil am bestehenden Ungleichgewicht haben und deren
Lebensqualität entscheidend von einer guten und bezahlbaren medizinischen Versorgung
abhängig ist.
Weimar/Berlin, den 9. September 2010
Barbara Stötzer-Manderscheid
(Gesundheitspolitische Sprecherin der ISL e.V.)
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