BAG SELBSTHILFE Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. Kirchfeldstr. 149 40215 Düsseldorf Tel.: 0211/31006-53 Fax.: 0211/31006-48 Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. (BAG SELBSTHILFE) zum Entwurf einer Rechtsverordnung der Bundesregierung über die rechtmäßige Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik (Präimplantationsdiagnostikverordnung – PIDV) Az.: 313 – 162900/14 Als Dachverband von 121 Bundesverbänden der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen sowie von 13 Landesarbeitsgemeinschaften steht die BAG SELBSTHILFE dem vorliegenden Referentenentwurf im Ergebnis ablehnend gegenüber. Ziel der Selbsthilfe ist es, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung in der Gesellschaft zu fördern, sie dabei zu unterstützen, schwierige Lebenssituationen zu bewältigen und das Bewusstsein in der Bevölkerung für deren besondere Belange zu stärken. Insbesondere setzt sich die BAG SELBSTHILFE mit Nachdruck für eine rasche und vollständige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in innerdeutsches Recht ein. Dabei sind gerade die in der Konvention genannten Ziele der Partizipation von Menschen mit Behinderung und der entsprechenden Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft im Hinblick auf die angestrebte Verbesserung der Lebenssituation von behinderten Menschen von zentraler Bedeutung. Der vorliegende Rechtsverordnungsentwurf steht indessen nicht im Einklang mit dieser Grundhaltung und dem damit einhergehenden Werteverständnis, da er letztlich von dem bisher in Deutschland verankerten Grundprinzip abrückt, die PID nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zuzulassen. Dadurch entsteht – zumindest indirekt – die Gefahr einer Entwicklung, die generell darauf abzielt, Behinderung oder chronische Erkrankung von vornherein im Wege der PID zu vermeiden. Dadurch wird aber wiederum zum Ausdruck gebracht, ein Leben mit Behinderung oder chronischer Erkrankung sei nicht oder nur bedingt lebenswert. Bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage sollte man sich zunächst darüber bewusst werden, dass mit dem PID-Verfahren nicht nur eine Diagnose hinsichtlich bestimmter krankheitsrelevanter Mutationen oder Chromosomenanomalien erfolgen kann, sondern auch in Bezug auf nicht krankheitsrelevante Merkmale wie z.B. das Geschlecht, das Vorhandensein einer bestimmten Behinderung oder der Eignung als Organ- oder Gewebespender für ein bereits lebendes erkranktes Geschwisterkind. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch bei der Verwendung sog. pluripotenter Zellen, die sich im Gegensatz zu totipotenten Zellen nicht mehr zu eigenständigen Embryonen, sondern nur noch zu verschiedenen Organen entwickeln können, die Gefahr der Verletzung einzelner Zellen und damit auch die Möglichkeit besteht, dass der Embryo letztlich stirbt. Das bedeutet, dass selbst bei sorgfältigster Vorgabe seitens des Gesetzgebers in Bezug auf die Anwendung der PID stets die Gefahr eines Missbrauchs oder einer Schädigung besteht. Die BAG SELBSTHILFE hatte deshalb begrüßt, dass das Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik vom 21.11.2011 die genetische Untersuchung pluripotenter Zellen nur in Ausnahmefällen und innerhalb enger Grenzen zulässt, grundsätzlich jedoch eine Anwendung verbietet. Schon aufgrund des 1991 erlassenen Embryonenschutzgesetzes (ESchG), nach dessen § 8 jede einzelne totipotente Zelle ein Embryo ist, das durch das ESchG geschützt ist, galt eine PID an diesen Zellen nach einhelliger Auffassung als unzulässig. So ist auch nach § 2 2 Abs. 1 ESchG ausdrücklich die Entnahme von totipotenten Zellen aus einem Embryo untersagt, wenn der entnommene Embryo nicht zum Zweck seiner eigenen Erhaltung entnommen und verwendet wird. Insofern konzentrierte sich die folgende Diskussion über die Zulässigkeit einer PID auf die Anwendung bei Blastozysten (pluripotente Zellen), allerdings wurde wegen der weiterhin bestehenden Unsicherheiten bis 2010 die PID in Deutschland nicht durchgeführt. So hatte beispielsweise eine große Mehrheit der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des 14. Deutschen Bundestages noch Anfang 2002 empfohlen, die PID in Deutschland nicht zuzulassen. Die Diskussion fand nicht zuletzt aufgrund einer Entscheidung des Landgerichts Berlin aus dem Jahr 2009 – die später durch den Bundesgerichtshof bestätigt wurde – neuen Auftrieb. Hiernach liegt bei einer PID an durch Trophoblastenbiopsie gewonnenen pluripotenten Zellen eines Embryos kein strafrechtlicher Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz vor, wenn die Behandlung zum Ziel hat, eine Schwangerschaft herbeizuführen und drohende schwerwiegende Erbkrankheiten auszuschließen. Diese Beurteilung seitens der Rechtsprechung wurde von der BAG SELBSTHILFE ihrem Grundsatz nach befürwortet. Auch das daraufhin beschlossene Präimplantationsdiagnostikgesetz fand die grundsätzliche Zustimmung der BAG SELBSTHILFE, da die PID hiernach nur dann erlaubt ist, wenn bei den Eltern das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit vorliegt oder wenn eine schwerwiegende Schädigung des Embryos festgestellt werden soll, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zur einer Tod- oder Fehlgeburt führt. Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE besteht indessen bei behandelbaren angeborenen Erkrankungen und Behinderungen weder ein Grund zum Schwangerschaftsabbruch noch eine Indikation für eine präimplantationsdiagnostische Untersuchung. Nicht zuletzt aufgrund des hohen medizinischen Standards und des im internationalen Vergleich gut funktionierenden Gesundheitssystems in Deutschland ist dies heutzutage ganz überwiegend der Fall. Dennoch gibt es nach wie vor Erkrankungen, die trotz optimaler Behandlung mit einer schwerwiegenden gesundheitlichen oder funktionellen Beeinträchtigung einhergehen. Grundlage einer Entscheidung, ob in diesen Fällen eine präimplantationsdiagnostische Untersuchung stattfinden darf, sollte daher nicht nur die Krankheit selbst und die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens sein, sondern auch ihre Ausprägung und vor allem ihre Behandelbarkeit. Insofern wäre es zweckmäßig, zusätzlich eine entsprechende fachärztliche Stellungnahme zu den Behandlungsmöglichkeiten sowie deren Erfolgsaussichten zu fordern. Eine solche gesetzliche Vorgabe findet sich jedoch weder im Präimplantationsdiagnostikgesetz noch im vorliegenden Entwurf einer Präimplantationsdiagnostikverordnung. Zwar ist nach der jetzigen Gesetzeslage die schriftliche Einwilligung der Eltern, deren vorausgegangene umfassende Aufklärung über die PID und ihre Folgen sowie die Prüfung einer Ethikkommission hinsichtlich des Vorliegens der entsprechenden Voraussetzungen erforderlich. Ob und inwieweit in diesem Rahmen die Frage der Behandelbarkeit erörtert wird, bleibt jedoch offen. Deshalb ist unbedingt darauf hinzuwirken, eine zusätzliche fachmedizinische Auskunft zu dieser speziellen Frage einzuholen. Eine entsprechende Regelung 3 bietet sich insbesondere bei § 5 Abs. 4 der Verordnung an, der die erforderlichen Angaben und Unterlagen für eine Prüfung durch die Ethikkommission einzeln aufführt. Kritisch ist der Entwurf dahingehend zu sehen, dass er weder in § 3 noch an anderer Stelle eine zahlenmäßige Beschränkung für Zentren vorsieht, die PID anbieten dürfen. Ebenso wenig ist dies bei den über die jeweilige Zulassung entscheidenden Ethikkommissionen (§ 4 Abs. 1) der Fall. Dies birgt die Gefahr, dass im Falle der Ablehnung einer präimplantationsdiagnostischen Untersuchung so lange ein anderes Institut aufgesucht wird, bis die angestrebte Zulassung erreicht ist. Das führt jedoch wiederum zu der Gefahr einer wirtschaftlich orientierten Tätigkeit in den Zentren, die einer umso größeren Konkurrenzsituation ausgesetzt sind, je mehr Zentren sich etabliert haben. Sobald jedoch dieser wirtschaftliche Faktor eine Rolle spielt, entsteht indessen das Risiko einer „Verwässerung“ der gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere wenn es um die Beurteilung im Einzelfall geht, wie schwerwiegend die betreffende Erkrankung ist. Entgegen der in der Begründung des Referentenentwurfs genannten Auffassung kann dem auch nicht im Wege der in der Verordnung festgelegten Qualitätsanforderungen hinreichend entgegengetreten werden. Denn auch wenn diese Anforderungen zum jetzigen Zeitpunkt nur durch eine verhältnismäßig geringe Zahl an Zentren erfüllt werden können, so ist damit aber nicht zwingend ein Anstieg der Anzahl in der Zukunft ausgeschlossen. Denkbar wäre vor diesem Hintergrund allenfalls, in § 6 der Verordnung eine zusätzliche Regelung zu formulieren, wonach die ablehnende Entscheidung eines Zentrums für allgemein verbindlich erklärt wird, so dass auf diesem Wege weitere Prüfungen durch andere Zentren ausgeschlossen sind. Problematisch ist ferner, dass die bewertenden Ethikkommissionen nach dem Verordnungsentwurf praktisch kaum die Möglichkeit haben, die Vornahme einer PID abzulehnen, obwohl sie laut Gesetz prüfen können, ob ein hohes Risiko für eine schwerwiegende Erbkrankheit besteht. Die BAG SELBSTHILFE fordert daher eine Überarbeitung des vorliegenden Entwurfs dahingehend, in § 3 der Verordnung die Anzahl der Zentren, die PID anbieten dürfen, zahlenmäßig zu begrenzen, durch ergänzende Regelung in § 4 den Beurteilungsspielraum der Ethikkommissionen erkennbar zu vergrößern und eine zusätzliche fachärztliche Stellungnahme zur Behandelbarkeit und deren Erfolgsaussichten – beispielsweise in § 5 Abs. 4 der PIDV – zu verlangen. Düsseldorf, 20. August 2012 4