Deckblatt für Manuskript

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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Volker Bernius
Aufnahme: Utz Thimm
WISSENSWERT
Religion und Wissenschaft
Die Basis der Wissenschaft: Glauben (1)
Von Hardy Tasso
Sendung:
Dienstag, 25.11.2003, 08.40 Uhr, hr2
Montag, 21.06.2003, 08.40 Uhr, hr2 Mikado
Dienstag, 25.09.2007, 08.30 Uhr, hr2
Autor:
Übersetzer:
Erzählerin:
03-271
COPYRIGHT:
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Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.
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Atmo 1 (Gesang der Gläubigen in katholischer Messe; nach
einiger Zeit unterlegen)
Autor:
Eine kleine Gruppe von Gläubigen: 15, 20 Männer,
zwischen 30 und 50 Jahre alt, früh am Morgen
zusammengekommen in einer der Katholischen Kirchen in
Nijmegen, Holland.
(Atmo hochziehen; nach einiger Zeit Atmo verblenden mit
Atmo:)
Atmo 2 (Priester spricht - Gläubige antworten: "I confess";
Gebet "Amen", "Lord, have mercy"; Priester: "Let us pray",
"Amen"; hinsetzen, Stille; Priester und Gläubige:
gemeinsamer Chor; nach einiger Zeit leise unterlegen)
(Autor:)
Die Männer sitzen still und hören dem Priester zu - Sie
erheben sich und beten - sie verneigen sich devot - sie
antworten dem Vorbeter brav im Chor mit festgelegten
Formeln: "Herr, erbarme Dich". Dann gehen sie mit
gefalteten Händen vor zum Altar, nehmen demütig das
Abendmahl, gehen in sich gekehrt zurück an ihren Platz.
Schweigen untertänig.
(Atmo kurz hochziehen; unterlegen)
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Gestandene Männer erniedrigen sich zu kindlichem
Verhalten, lassen alle Selbständigkeit fahren,
unterwerfen sich Gottes Autorität.
(Atmo kurz hochziehen; unterlegen)
Die Männer sind: Physiker, Bio-Chemiker, KognitionsForscher, Informatiker, Philosophen und einige wenige
Theologen. Wissenschaftler alle. Naturwissenschaftler
zumeist.
(Atmo verblenden mit Atmo:)
Atmo 3 (alle zusammen: "Have mercy", "Holy Ghost", "Amen",
"Let us pray"; Chor: "Vater unser..."; Chor und Priester:
"Amen", "Friede mit Euch"; leise unterlegen)
Unter den Gläubigen der renommierte Philosoph Roger
Trigg, von der Universität Warwick in Coventry,
Großbritannien. Er trägt den Kopf gesenkt, hält die
Hände streng gefaltet, eilt mit fast trippelnden
Schrittchen zum Altar: der Inbegriff des reumütigen
Sünders.
(Atmo verblenden mit Atmo:)
Atmo 4 (Orgelmusik in der Kirche; leise unterlegen)
Unmittelbar nach der Messe aber, noch in der Kirche,
erlebe ich Roger Trigg vollkommen verändert: Plötzlich
ist er ganz Professor: argumentiert er mit seiner
geballten wissenschaftlichen Autorität, sitzt aufrecht
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in der Bank, engagiert sich, verteidigt erfahren und
wissend seinen Standpunkt: seinen Standpunkt zu Gott
und seinem Glauben - und seine Zweifel an der
Objektivität aller Wissenschaft:
Einblendung 1
Trigg:
(englischer O-Ton; darüber bald Übersetzer:)
Übersetzer:
Wissenschaftler sehen die Welt vielleicht sehr
materialistisch und glauben, alles, was es gibt, sei
Materie, und Wissenschaft könne alles erklären. Wenn
man davon ausgeht, dann hat Religion keinen Platz in
der Welt. Aber ich sage: "Wenn man davon ausgeht". Das
ist eine vor-wissenschaftliche, eine philosophische
Position. Wissenschaft kann nicht beweisen, daß alles,
was es gibt, Materie ist. Alles, was Wissenschaft tun
kann, ist, sich mit Materie zu beschäftigen. Ob es
irgend etwas darüber hinaus gibt oder nicht, ist eine
andere Frage.
(Einblendung kurz hochziehen; unterlegen)
Religion würde sagen: Alles geschieht, weil es Gottes
Schöpfung ist; es gibt eine rationale Ordnung in der
Welt - es müßte sie aber nicht geben, Gott mußte die
Welt nicht so machen, wie er sie geschaffen hat, aber
er hat es getan. Wissenschaft kann untersuchen, wie die
Welt geschaffen wurde durch Gott, der den Dingen eine
rationale Ordnung gab.
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(Ende der Einblendung; Orgelmusik hochziehen; unterlegen)
Autor:
Genau das will ich nicht: glauben. Ich will wissen!
Wirklichkeit erforschen! Wahrheiten entdecken!
Gott erkenne ich nicht in der Welt.
Einblendung 2
Trigg:
(englischer O-Ton; darüber bald Übersetzer:)
Übersetzer:
Ich glaube, daß Gott den Menschen nach seinem Bilde
geschaffen hat, daß er ihm Vernunft gegeben hat, damit
der Mensch seinen Verstand nutzen und einige der
Gesetze entdecken kann, nach denen Gott die Welt
erschaffen hat.
(Ende der Einblendung; Orgelmusik kurz hochziehen;
unterlegen)
Autor:
Für mich sind Religion und Gottesglaube so etwas wie
eine Geistes- oder Gemüts-Krankheit emotional
überlasteter, vielleicht labiler Menschen.
(Orgelmusik hochziehen; unterlegen)
Erzählerin:
Ein Forscherteam am Züricher Universitäts-Krankenhaus
zeigte Mitte des Jahres 2002 einer Versuchsgruppe auf
einem Bildschirm jeweils für einen kurzen Augenblick
Gesichter, zerknitterte Gesichter, diffuse Muster,
Wörter und Buchstabensalat. Die Hälfte der Probanden
glaubte nach eigenen vorher gemachten Angaben an
übersinnliche Phänomene; die andere Hälfte nicht. Die
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"gläubigen" Menschen sahen in den diffusen Mustern
häufiger Gesichter als die "Nicht-Gläubigen"; außerdem
meinten sie, im Buchstabensalat Wörter zu sehen, obwohl
keine darin enthalten waren.
Die Forscher gaben daraufhin allen Versuchspersonen das
Medikament L-dopa, das die Konzentration des
Botenstoffs Dopamin im Gehirn erhöht. Jetzt sahen alle
Probanden häufiger Gesichter in diffusen Mustern und
Wörter im Buchstabensalat. Fazit der Forscher:
"Übersinnliche" Wahrnehmungen könnten auf eine gestörte
Hirn-Chemie zurückzuführen sein.
(Orgelmusik laut hochziehen; unter folgendem langsam weg)
Autor:
Nach der Messe begleite ich Roger Trigg zur Konferenz,
zu der er als Fachmann eingeladen ist: Der "Neunten
Europäischen Konferenz über Theologie, Wissenschaft und
Technologie", in Nijmegen, Holland, zum Thema "Techno
sapiens" - Ethik im Zeitalter der Technik. Ein Dialog
zwischen Wissenschaftlern und Theologen aus aller Welt.
Der Konferenzteilnehmer Christian Berg ist in beiden
Welten zuhause: als Diplom-Physiker in der
Naturwissenschaft - und in der Religion als Doktor der
Theologie an der Technischen Universität Clausthal.
Einblendung 3
Berg:
Ich selber bin in einem christlichen Elternhaus erzogen
worden und hab mich früh mit Fragen der Religion
auseinandergesetzt; hab aber gleichzeitig festgestellt,
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daß mich sehr stark naturwissenschaftliche
Zusammenhänge interessieren. Ich hab also als
Jugendlicher auf dem Boden gelegen und stundenlang
ausgerechnet, wie groß wäre die Erde, wenn sie ein
Schwarzes Loch wäre, und all diese Dinge.
Es hat mich eigentlich schon immer interessiert, "Was
die Welt im Innersten zusammenhält". Und viele Menschen
sagen ja, Naturwissenschaft hat mit Glauben überhaupt
nichts zu tun; einige sagen wiederum, aha, das paßt ja
sehr gut zusammen. Und ich denke in der Tat, daß das
Letztere der Fall ist, denn gerade in der Physik fragt
man ja sozusagen nach den letzten Zusammenhängen der
Dinge. Und in der Theologie fragt man das in gewissem
Sinne auch, aber auf einer ganz anderen Ebene. Und da
sind wir schon fast bei einem möglichen Antwort-Ansatz
für die Frage: Wie verhalten sich die beiden
zueinander? Daß man sagt, die Physik stellt Fragen über
die Wirklichkeit, aber nur auf einer kausalen Ebene;
und die Theologie stellt auch Fragen über die
Wirklichkeit, aber auf einer anderen Ebene, das hat mit
Sinn zu tun, mit Bedeutung.
(Ende der Einblendung)
Musik 1 (barocke Orgelmusik; unterlegen)(noch klären!)
Autor:
Unsere Welt ist geteilt: in die "Wie-Fragen" und die
"Warum-Fragen". Seit Jahrtausenden stellen Menschen
dieselben zwei Fragen: "Wie?" und "Warum?": Wie
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funktioniert das?" Und: "Warum funktioniert das?"
(Musik kurz hochziehen; bald unterlegen)
Erzählerin:
- Wie zerschlage ich einen Feuerstein, so daß er
scharfe Kanten zum Schneiden hat?
- Wie muß ich den Acker bestellen, daß er mich ernährt?
- Wie baue ich ein Haus?
- Wie fährt ein Auto?
- Wie fliege ich zum Mond?
(Musik kurz hochziehen; bald unterlegen)
Autor:
Antworten auf die "Wie-Fragen" geben seit einigen
hundert Jahren mehr oder weniger exakt die
Naturwissenschaften. - Die "Warum-Fragen" dagegen
beantworten meist die Religionen:
Erzählerin:
- Warum bin ich?
- Warum muß ich leiden?
- Warum gibt es das Böse in der Welt?
- Warum gibt es die Welt?
- Warum frage ich warum?
(Musik kurz hochziehen; bald unterlegen)
Autor:
Von den "Wie-Fragen" haben wir mittlerweile - fast unendlich viele beantwortet. Die "Warum-Fragen" dagegen
stellen wir noch immer heftig - obwohl wir ahnen, daß
wir darauf nie endgültige Antworten erhalten werden,
außer denjenigen, die wir uns selbst geben; die aber
sind nur für den Einzelnen, nur ganz persönlich gültig:
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Erzählerin:
- Ich existiere, ich leide, weil meine Seele lernen
muß. - Die Welt ist ein Geschenk Gottes an mich.
- Das Weltall liegt in der Unendlichkeit von Gottes
Hand.
- Ich glaube, weil ich glaube, weil ich glaube...
(?)(Musik kurz hochziehen; unter folgendem langsam weg)
Autor:
Zurück zur Konferenz über Naturwissenschaften und
Religion, zum Philosophen Ronald Trigg. Der zerfetzt
diese strikte Aufteilung der Welt in "Warum" und "Wie"
binnen Minuten-Frist. Denn dies - so Trigg - würde
voraussetzen, daß das Universum tatsächlich rational
geordnet wäre - und daß Naturwissenschaftler diese
Ordnung lediglich entdecken:
Einblendung 4
Trigg:
(englischer O-Ton; darüber bald Übersetzer:)
Übersetzer:
Ich glaube nicht, daß Wissenschaft behaupten kann, daß
sie die Wahrheit lediglich entdecke. Ich denke,
Wissenschaft muß voraussetzen, daß der Welt eine
rationale Struktur zugrundeliegt, damit sie dem, was
sie mißt und beobachtet, einen Sinn geben kann.
Wenn Wissenschaftler nicht voraussetzen würden, daß die
Welt nach Gesetzmäßigkeiten geordnet ist, dann könnten
sie nicht davon ausgehen, daß das, was sie hier tun,
auch dort von Wert ist; daß, was in Berlin gilt, auch
in London gilt; was in Moskau gilt, auch in Washington
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gültig ist. Wissenschaftler aber machen Aussagen über
die universelle Wahrheit und nicht nur über die
Wahrheit an einem bestimmten Ort. Welches Recht haben
sie zu sagen, diese Beobachtung, dieses Experiment ist
ein Beispiel, wie die ganze Welt funktioniert? Forscher
müssen also eine Ordnung der Welt annehmen; diese
Annahme aber ist nicht wissenschaftlich, denn es gibt
keine Beweise dafür.
Moderne Wissenschaftler erkennen vielleicht nicht, daß
sie eine solche Annahme machen. Dann aber, meine ich,
müßten sie erklären, welches die Quelle der Ordnung in
der Welt ist. Oder sie müßten andererseits sagen, es
gibt keine Ordnung.
(Ende der Einblendung)
Musik 1 ?(barocke Orgelmusik; einige Zeit zuhören;
unterlegen)
Autor:
Wissenschaftler glauben lediglich, die Welt habe eine
Ordnung. Die Quelle dieser Ordnung können sie nicht
benennen. Trigg nennt sie Gott. Damit hat Ronald Trigg
mein Vertrauen in Wissenschaft entlarvt: als Glauben an
die Wissenschft - schlimmer: als WissenschaftsGläubigkeit.
(Musik kurz hochziehen; unter folgendem weg)
Einblendung 5
Berg:
Es ist eine Gläubigkeit bezüglich der harten Fakten.
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Wir haben das bis heute, daß manche damit kocketieren:
"Ja, das ist wissenschaftlich erwiesen".
(Ende der Einblendung)
Autor:
Physiker und Theologe Christian Berg schlägt kräftig in
dieselbe Kerbe, ja, er setzt noch einen drauf:
Einblendung 6
Berg:
Und wir müssen leider feststellen, daß es auch genauso
schöne wissenschaftliche Gutachten gibt, die das
Gegenteil sagen, und das ist nicht nur in den "soften"
Wissenschaften der Fall, das ist auch in den ganz
harten Naturwissenschaften manchmal der Fall. Und wir
sehen das noch vielmehr bei der Technologie. Zum
Beispiel wenn man bedenkt, wie die Amerikaner die
Mondlandung zelebriert haben.
(Ende der Einblendung)
Atmo 5 (Mondlandung: "One small step for me..."; leise
unterlegen)
Einblendung 7
Berg:
Das war eine richtige, fast schon Gottesdienst ähnliche
Feier. Die Astronauten stiegen aus und lasen die ersten
Verse aus Genesis 1 aus der Bibel vor.
(Ende der Einblendung; Atmo hochziehen; unterlegen)
Erzählerin:
"Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war
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wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und
der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott
sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht! Und Gott
sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht
von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die
Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der
erste Tag."
(Atmo kurz hochziehen; unter folgendem langsam weg)
Einblendung 8
Berg:
Wir haben ein solches Zutrauen zu Naturwissenschaft und
Technik, daß es sicherlich religiöse Dimensionen
annimmt.
(Ende der Einblendung)
Musik 2 (Charlie Mariano: "Voice Solo"; nach einiger Zeit
unterlegen)
Autor:
Ich glaube an Wissenschaft und ihre Ergebnisse,
Errungenschaften, Erfolge - und Fehlschläge. Und ich
mag doch nicht glauben, daß all diese versammelte
Rationalität nur ein Glaube sein soll.
(Musik hochziehen; nach verbleibender Zeit weg)
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