Jürgen Oelkers - Institut für Erziehungswissenschaft

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Jürgen Oelkers
Erziehung heute: In Zeiten von Konsum und Medien *)
Das Thema „Erziehung heute“ verweist zwanghaft auf positives Denken, also die
Antizipation des Guten und Erfolgreichen. Mein Vortrag beginnt mit einer Feststellung:
Erziehung heute muss nicht gelingen. Fragt man sich, warum die Erziehung misslingt und die
Kinder nicht so werden, wie sie sollen, dann liegt die Antwort nahe: „Ursache“ dafür sind
häufig die Eltern, denen man grösstenteils die „Schuld“ geben muss, wenn die Kinder falsch
aufwachsen und den richtigen Weg nicht finden. Kinder werden „nichtsnutzig“, „weil auch
die Eltern nichtsnutzig“ sind, denn sie haben es versäumt, ihre Kinder in der Jugend zum
„Guten anzuweisen“ und das bedeutet nichts anderes, als dass sie in ihrer Kernaufgabe der
Erziehung versagt haben (Helbig 1701, S. 55).
Gesagt wurde das im Jahre 1701, ich habe den Stadtpfarrer von Kissingen, Johann
Laurenz Helbig zitiert, der klare Vorstellungen von der Erziehung hatte. Was man in der
Jugend nicht lernt, lernt man nie oder anders gesagt: die Eltern haben nur diese eine Chance.
Wird sie vergeben, dann hat man versagt und trägt zu Recht einen Makel. Man schaue in
Blogs und gewinnt dann einen Eindruck von der Festigkeit dieser Überzeugung. Helbig
drückt das mit drastischen Worten so aus:
„Wann die Kinder nichts nutz/gottloss/ruchloss/zuchtloss/heilloss/bodenloss/wer ist
die Ursach? Die bodenlose/heillose/zuchtlose/ruchlose/gottlose Eltern“.
Sie haben es versäumt oder gar nicht erst unternommen, den Kindern „die Laster in
der Jugend … mit väterlicher und mütterliche Sorge“ abzugewöhnen (ebd.). So formuliert
man heute nicht mehr, auch haben die Pfarrer das Kommando über die Erziehungsmoral
abgeben müssen und stehen die Kinder nicht mehr in der Kirchenzucht, aber sind die
Verhältnisse deswegen anders geworden?
Die Laster entstehen heute durch Medieneinfluss und Konsumorientierung und der
Versagensdruck, der auf den Eltern lastet, hält unverändert an, auch wenn Gottlosigkeit kein
Makel mehr ist und man sich nicht mehr vor der Gemeinde für das Erziehungsversagen
rechtfertigen muss. Aber es fällt schwer, in der unausgesetzten Nutzung des I-Phones keine
Nichtsnutzigkeit zu erkennen, Facebook lädt zur Ruchlosigkeit ein, SMS-Botschaften sind
unter Jugendlichen oft bodenlos, Gemeinheiten nämlich, denen man nicht entgeht, und wer
Zuchtlosigkeit sucht, muss nur ein angesagtes Szenelokal aufsuchen, also dort hingehen, wo
man als Eltern sofort unangenehm auffällt und seinen eigenen Kindern peinlich wird.
Das Buch des frommen Stadtpfarrers von Kissingen heisst: Weiss und Schwarz Zu
jedes besserer Erkandtnus zusammen gesetzt. Das ist die Perspektive des moralischen
Beobachters, nicht der handelnden Personen. In der Beobachtung von aussen machen Eltern
immer etwas falsch, weswegen sie ihren Handlungsraum auch mit grosser Sorgfalt
abschirmen. Man will vermeiden, ausschliesslich „schwarz oder weiss“ wahrgenommen zu
*)
Vortrag in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung am 15. April 2013.
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werden, aber man darf auch nicht grau erscheinen. Darum pflegen heutige Eltern
ausgeklügelte Formen der Selbstdarstellung:
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Die Erziehung macht keine Probleme oder wenn, hat man sie gerade gelöst,
die Kinder sind alle begabt,
Lesen konnten sie schon vor der Schule,
der Erfolg in der Schule verlangt angesichts der Begabung keinen grossen
Aufwand
 und den Medienkonsum hat man im Griff, den Schaden erleiden immer nur die
Anderen.
Druck wird auch anders erzeugt: Viele Lehrkräfte, Akteure, die die öffentliche
Meinung bestimmen, und ganz schnell einmal die Bild-Zeitung beklagen sich häufig über die
nachlassende Erziehungsbereitschaft vieler Eltern. Hier kann nicht schwarz genug gemalt
werden. Schätzungen gehen davon aus, dass die viel zitierte „Erziehungsverwahrlosung“ alles
andere als der Normalfall ist,
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denn gut 85% aller deutschen Eltern sind ihrer Erziehungsaufgabe gewachsen,
fast 90% aller Kinder und Jugendlichen fühlen sich in ihrer Familie wohl
und ebenso viele geben an, ihre Eltern hätten genügend Zeit für sie.
Lediglich 10‘% leben in Familien, die als zu konflikthaft empfunden werden
(Dornes 2012, S. 237).
Ungeachtet dessen können Kinder können heute als „Tyrannen“ hingestellt werden
und sind in dieser verzerrten Darstellung Thema von Bestsellern (Winterhoff 2008, im
Anschluss an Pleux 2002), die pauschal Tendenzen der Bedrohung unterstellen und doch nur
ganz wenige Fallbeispiele zur Verfügung haben, meistens solche, die zu der angenommenen
These passen.
In der öffentlichen Wahrnehmung sind tatsächlich stets die Eltern schuld, wenn die
Kinder nicht die Normalerwartungen erfüllen. Dass Kinder „Tyrannen“ sind oder mindestens
zu solchen werden können, ist schon Sokrates zugeschrieben worden und wird meist als
Warnung vor zu viel Freiheit in der Erziehung hingestellt, die schon in der Antike geäussert
wurde, ohne je konkret zu werden. Das Thema scheint auf dieser Linie zeitlos zu sein und
besonders gut auf die Gegenwart zuzutreffen.1 Man muss einfach nur beliebige
Schadensfaktoren kombinieren, die Erziehung in höchster Not hinstellen und sich selbst als
Retter anbieten.
Eltern, Kinder und Schule sind drei Stichworte für ein Thema, das inzwischen die
Medien und so die Öffentlichkeit fast schon dominiert. Vielleicht wurde noch nie so viel über
die „richtige“ oder die „falsche“ Erziehung diskutiert wie heute, was auch mit der steten
Vermehrung der Medien zu tun hat. Schlagzeilen sind aber nicht immer gute Informationen,
zumal dann nicht, wenn sie fast ausschliesslich negativ gefärbt sind. Am Ende glaubt man,
dass die pädagogische Welt heute nur noch aus fettleibigen Kindern besteht, aus Eltern, die
ihre Erziehungsverantwortung an der Schultür abgeben, und aus Schulen, die hinter den
geschlossenen Türen chaotisch sind. So entstehen regelmässig Bestseller über die immer
neuen deutschen „Bildungskatastrophen“.
1
Allerdings findet sich bei Platon kein entsprechendes Zitat. Wenn, dann handelt es sich um ein Kompilat von
Sokrates‘ Beschreibung des Verhältnisses von Vätern, Lehrern und Söhnen in der Regierungsform der Tyrannis
(Politeia Buch VIII, 562c/563a-b).
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Es gibt keinen Zeitpunkt, an dem der Zustand der Erziehung nicht beklagt worden
wäre. Insofern ist auch der pädagogische Alarmismus heutiger Medien keine Anomalie, neu
sind nur die Reichweite und die schnelle Zugänglichkeit aller Informationen. Die Realität
sieht anders aus: Bezieht man sich auf Indikatoren wie
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die rechtliche Stellung der Kinder,
die soziale Sicherheit,
die Verbreiterung der Bildung,
den Schulerfolg und
nicht zuletzt das Verhältnis zu den Eltern,
dann ist der langfristige Wandel der Erziehungskulturen keiner zum Schlechteren, wie
gelegentlich angenommen wird. Im Gegenteil sind Fortschritte unübersehbar und nur die
Schulkritik sieht das anders.
Allerdings ist der Ausgang jeder Erziehung stets unsicher und das erklärt die
öffentliche Sensibilität im Blick auf Risikofaktoren. Scheitern soll ausgeschlossen werden.
Aber gehören ausgerechnet Eltern zu den Risikofaktoren? Im Unterschied zu früheren
Epochen wird über den Kinderwunsch in aller Regel partnerschaftlich und bewusst
entschieden. Festgestellt werden kann, dass die Erwartungen an die Elternschaft gestiegen
sind. Der Wandel betrifft sowohl die Selbst-, als auch die Fremderwartungen, und er bezieht
sich auf beide Geschlechter. Das ist historisch neu und sicher kein Rücksicht: Männer und so
Väter übernehmen sichtbar Erziehungsverantwortung, anders kämen Elternschaften kaum
noch zustande.
Damit in Verbindung gebracht werden muss die Alltagserfahrung, also das was Eltern
erleben, aber selten sagen.
 Die Praxis der Erziehung heute ist gekennzeichnet von der Ausweitung der
Zuständigkeit, wachsenden Pflichten und gestiegener Verantwortung.
 Eltern werden anders als früher von den Schulen aktiv in deren
Erziehungsarbeit eingebunden,
 die Visibilität abweichenden Verhaltens von Kindern und Jugendlichen nimmt
zu
 und die Toleranz gegenüber fehlenden Leistungen der Eltern nimmt ab.
Sanktionen oder gar förmliche Bussen sind in der Schweiz Praxis und kommen dann
zur Anwendung, wenn Kinder und Jugendliche sich deviant verhalten. Die Verantwortung der
Eltern wird daher viel konkreter kommuniziert als noch vor einer Dekade, nämlich nicht als
eine abstrakte moralische Forderung, sondern im Blick auf die Erfüllung der Erwartungen.
Eltern bewegen sich auch in einer anderen Hinsicht in einem veränderten Feld der
Erziehung. Die Kosten für die Kinder steigen und die Kinderzahl ist kontinuierlich gesunken
(Spychiger/Bauer/Baumann 1995). Die Kosten variieren mit dem Alter der Kinder und der
Zahl der Geschwister. 2007 wurden in der Schweiz die Kosten für ein dreizehnjähriges
Einzelkind auf 2.020 Franken pro Monat geschätzt (Bundesamt für Statistik). Die Kosten
sinken pro Kind mit zusätzlichen Geschwistern.
 Die Erziehung konzentriert sich auf ein oder zwei Kinder, die hohe
Aufmerksamkeit erhalten und einen ebenfalls hohen Aufwand abverlangen.
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 Die in der Öffentlichkeit oft vertretene Meinung, die Erziehung schwäche sich
ab oder „verschwinde“ gar, wird durch diesen Befund nicht gedeckt.
 Im Gegenteil wird in weniger Kinder weit mehr investiert als noch vor zwanzig
Jahren und werden grössere pädagogische Anstrengungen unternommen als je
zuvor.
Die zur Verfügung stehende Erziehungszeit ist dagegen immer knapp. Zumeist sind
beide Eltern berufstätig. Sie müssen ihre Zeit arrangieren und entscheiden, wie viel Zeit sie
für die Kinder aufwenden wollen. Das geschieht individuell und abgestimmt auf die
Möglichkeiten eines Elternpaares. Die knappe Zeit sorgt dafür, dass Erziehung sich
zunehmend auf verschiedene Instanzen verteilt. Das gilt etwa für die Inanspruchnahme der
Grosseltern, die praktisch weit mehr als früher Einfluss nehmen auf die Erziehung ihrer
Enkel. Ein anderes Phänomen sind Beauftragungen. Für pädagogische Dienstleistungen steht
heute ein ausgebautes und effizientes Angebot zur Verfügung, das mehr oder weniger diskret
genutzt wird.
Eine kurze Auflistung der Möglichkeiten kann das illustrieren:
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Private Lernstudios sorgen für Nachhilfe und Zusatzbildung.
Musikschulen bieten bei steigender Nachfrage Instrumental- oder
Gesangsunterricht an und sorgen für musikalische Kompetenz.
Fitness-Studios bestimmen das körperliche Training.
Therapien und sozialpädagogische Dienste ergänzen die Erziehungsarbeit der
Eltern.
Die Eltern erhöhen ihre Belastungen, investieren mehr und sehen zugleich, dass die
Möglichkeiten des Einwirkens begrenzt sind, weil die Erfahrungsräume der Kinder über das
hinausgehen, was die Eltern kontrollieren können.
Verschiedene Instanzen bestimmen das Erleben von Kindern und sind am Aufbau
ihrer Einstellungen beteiligt, Eltern sind die nächsten Bezugspersonen, aber nicht die
einzigen. Die Kinder müssen mehr Medien und Dimensionen der Erfahrung als in der
Vergangenheit unterscheiden und lernen, sich darin zurecht zu finden. Es hilft wenig, ständig
Zerfall oder Niveauverlust zu beklagen. Nicht nur fehlen die erforderlichen Daten und ist der
dafür notwendige Massstab gar nicht vorhanden, auch wäre der Blick versperrt, was Kinder
und Jugendliche in offenen Erfahrungsräumen lernen und wie sie mit den Risiken umgehen.
Neue Modi des Umgangs zwischen Eltern und Kindern sind Aushandeln und
strategische Interaktion, die inzwischen gut beschrieben sind (Darian 1998, GreganPaxton/John 1997, Palan/Wilkes 1997). Hier entscheidet nicht einfach die Macht, sondern der
Wunsch und das Argument im Einklang mit dem Budget. Kinder handeln im Rahmen ihrer
Interessen durchaus rational und oft auch strategisch. Beide, Kinder wie Eltern, sind Teil der
Konsumkultur, auch in dem Sinne, dass beide ästhetischen Kaufanreizen ausgesetzt sind, die
nicht einfach „pädagogisch“ ersetzt werden können und aber oft ein Problem darstellen.
Daher sind schon in den frühen neunziger Jahren Konsum-Ratgeber für Kinder erschienen
(McNeal 1992), die heute einen eigenen Markt darstellen (Gregory Thomas 2007 und
zahllose Andere).
Der Erziehungsmodus ist häufig eine Verhandlung, und gar nicht so selten
beeinflussen die Kinder und Jugendlichen die Entscheide der Erwachsenen, die sich
keineswegs immer gegen die Pädagogik der Medien (Buckingham/Sefton-Green 2003)
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durchsetzen können. Daher ist nicht primär „Autorität“ das kardinale Problem, sondern die
Reichweite des jeweiligen Arguments sowie das Geschick der Kommunikation, also die
fortlaufende Abstimmung. Vielfach entscheidet einfach die Nervenstärke und die
Verhandlungen können die Eltern auf eine harte Probe stellen. Manche Studien sprechen von
einem „Nag factor,“ also davon, die Kinder anzureizen, die Kaufentscheide ihrer Eltern durch
Quengeln und Beharrungsvermögen zu beeinflussen (Bridges/Briesch 2006). Ausserdem
billigen Eltern oft den älteren Kindern und Jugendlichen Expertenstatus beim Kauf
bestimmter Produkte zu (Goldberg et al. 2003).
Der Modus der Verhandlung bedeutet nicht, dass über alles und ständig verhandelt
werden muss. Grenzen sind nicht verhandelbar, wenn sie gelten sollen, dasselbe gilt für die
Struktur des Lebensraumes, in dem die Erziehung stattfindet (Armeline 2005). Verhandelt
wird über Entscheidungen, an denen Kinder in der einen oder anderen Art beteiligt sind.
Durch Verhandlungen entsteht so etwas wie herausgearbeitete Kognition (collaborative
cognition) (Bearison/Dorval 2002), die einen fragilen Status hat und gleichwohl die Basis des
Gemeinsamen darstellt. Gut belegt sind zum Beispiel Verhandlungen in Familien über
Gefahren und Sicherheitsrisiken (Backett-Milburn/Harden 2004). Verhandlungen haben zur
Voraussetzung, dass im Blick auf Entscheidungen eine Art Partnerschaft angenommen wird,
die sich auch mit dem historischen Wandel der Erziehungsverhältnisse erklären lässt.
 Von dem, was noch vor dreissig Jahren „Erziehung“ genannt wurde, ist nicht
mehr viel zu sehen.
 Der autoritäre Vater ist als Leittypus ebenso verschwunden wie die selbstlose
Mutter,
 es gibt nur noch wenige Geschwisterreihen
 und der Kinderwunsch kann zu einem Stressfaktor werden.
Was früher undenkbar war, ist heute fast selbstverständlich, nämlich öffentlich über
die Kosten der Kinder nachzudenken, und es ist auch selbstverständlich, den Kinderwunsch in
einer Paarbeziehung lange nicht zu thematisieren und sich dann auch gegen diesen Wunsch zu
entscheiden. Kinder werden offenbar in vielen Fällen zu einem Luxusgut. Von den Kosten her
gesehen erziehen eigentlich die Kinder die Eltern, einfach weil für die Erziehung ein
Aufwand erforderlich ist, der den Konsum und den Erfahrungsraum der Erwachsenen
beschränkt.
Im Blick auf den Wandel lassen sich einige Befunde so zusammenfassen:
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Was sich geändert hat, sind nicht nur die Medien der Kommunikation, sondern
auch die Formen sozialer Kontrolle, die Individualisierung der Lebensentwürfe
und die Reichweite pädagogischer Verpflichtungen.
Paare ohne Kinder erfahren keine gesellschaftliche Abwertung mehr, Paare mit
Kindern sind aber auch nicht mehr unbedingt Rollenvorbild, vor allem weil
Kinder als unabsehbare Verpflichtung angesehen werden, die an keinem
bestimmten Datum endet.
Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sind ein prekärer Prozess
lebenslangen Lernens, der nicht aufhört, wenn die Kinder erwachsen sind.
Die Adoleszenzkrise wird von beiden Seiten als starke Belastung erlebt.
Trotz oder vielleicht auch wegen dieser Entwicklungen besteht für pädagogische
Nostalgie kein Anlass. Kinder haben „früher“ nicht „besser“ gelebt, etwa weil die Welt
einfacher war oder die Verhältnisse überschaubarer. Allerdings neigt die öffentliche
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Diskussion immer wieder zur Konstruktion von heilen Welten, die oft auch die allgemeine
Erwartung bestimmen. Es waren - und sind - dies Bilder der „idealen,“ „reinen“ und
„unschuldigen“ Kindheit (Higonnet 1998, McGavran 1999), die seit Beginn des 19.
Jahrhunderts die öffentliche Reflexion über Erziehung prägten, aber nie die Praxis bestimmt
haben. Und auch die heutigen Bilder des coolen Kindes (Cross 2004) sind nichts als
Generalisierungen, die über das tatsächliche Verhalten wenig aussagen.
Auf der anderen Seite steht die populäre Annahme, dass Erziehung zu komplex
geworden sei und man zu früheren Verhältnissen der Disziplin und Formung zurückkehren
müsse. Doch scheinbar einfache oder überschaubare Verhältnisse mit klaren
Rollentrennungen waren genauso konfliktanfällig wie offene Erfahrungsräume mit hohem
Individualisierungsgrad. Nichts spricht dafür, dass „mehr“ Disziplin die Qualität der
Erziehung verbessert, zumal bei diesen Forderungen notorisch offen bleibt, welche Disziplin
gemeint ist und wie mit den Folgen umgegangen werden soll. Zudem ist unklar, wie die
implizite Zerfallsannahme historisch nachgewiesen werden soll. Solange ist es nur Nostalgie,
wenn behauptet wird, „früher“ sei die Erziehung besser gewesen.
Man kann sich den Prozess der Erziehung als fortgesetzte Problemlösung vorstellen,
die nicht an einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen ist. Die Eltern, die Kinder und die
Jugendlichen sind daran gleichermassen beteiligt, allerdings unterschieden nach Alter und
Involviertheit. Manche Probleme betreffen die ganze Familie, andere nur die Kinder, manche
Lösungen sind substanzieller Art, andere alltägliche Entscheide, in jeden Fall sollte so viel
Gemeinsamkeit wie möglich gesucht und Verträglichkeit angestrebt werden. Und man sollte
bei der Einschätzung der Situation davon ausgehen, dass Lösungen für Probleme auch dann
gefunden werden, wenn diese zunächst unlösbar erscheinen.
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Mit einer solchen Sicht werden die Akteure betrachtet und eine
Unterscheidung nach Opfern kann vermieden werden.
Die Lösung der Probleme strebt nicht ferne Ziele an, sondern muss im heutigen
Alltag bestehen.
Es sind nicht einfach Probleme, die die Kinder „machen“, sondern Probleme,
die das Zusammenleben in Umwelten schafft, die sich nicht oder nur begrenzt
nach den pädagogischen Wünschen der Eltern richten.
Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die weitaus meisten Eltern ihre Probleme
nicht vernünftig lösen können. Sie besser ausgebildet als jede andere Generation vor ihnen
und können auf Unterstützungssysteme zurückgreifen, die es noch vor zwanzig Jahren gar
nicht gab. Warum sollten ausgerechnet Eltern in der besonderen Verantwortung, in der sie
stehen, ihre Ressourcen nicht intelligent nutzen? Ein Kinderspiel ist „Erziehung heute“ damit
aber nicht.
Von dieser Binnensicht zu unterscheiden ist die öffentliche Erwartung und die
Reaktion darauf. Hier ist „Erziehung“ nicht fortgesetzte, manchmal spannungsreiche
Problemlösung, sondern ein Image, das auf einen möglichst reibungslosen Prozess verweisen
soll, der perfekt aussehen muss. Angesichts der öffentlichen Erwartungen an „gute Mütter“
und „gute Väter“ ist das Abschirmen daher eine verständliche Haltung. Und wenn man
Professor für Pädagogik ist, wäre das nochmals mehr anzuraten.
Erziehung wird primär moralisch kommuniziert und niemand will dabei in einem
zweifelhaften Licht erscheinen. Hinter dem Image muss der Alltag bewältigt werden, und es
gibt nochmals keinen Grund anzunehmen, dass die meisten Eltern darin erfolglos sind. Sie
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stellen sich pragmatisch auf die Problemlagen ein und versuchen herauszufinden, was die je
beste Lösung ist. Schweizer Studien zeigen, wie stark sich gerade Gymnasialeltern nicht nur
für die aufwändige Erziehung ihrer Kinder engagieren, sondern dass sie gleich stark auch an
der Bildung beteiligt sind, die die Gymnasien sich allzu gerne selbst zuschreiben (Vasarik
Staub 2013).
„Wohlstandsverwahrlosung“ gibt es hier ebenso wenig wie „tyrannische“ Kinder oder
an Erziehung nicht interessierte „apathische“ Eltern. Die Schlagworte der öffentlichen
Diskussion versagen, wenn sie konfrontiert werden mit dem, was Eltern in ihrer konkreten
Erziehungsarbeit konkret unternehmen. Man sollte also nicht den katastrophischen
Botschaften folgen, sondern Risikoabwägungen vornehmen und dann so gut es geht handeln
in Reichweite der Probleme, die lösbar sind.
Amerikanische Studien zeigen, dass die Ausrichtung auf Konsum ohne wirkliche
Alternativen Konsequenzen hat. Die Kinder werden durch Logos geprägt („branded“) (Klein
2002). Sie laufen früh Gefahr, in ihren Wünschen nicht beschränkt zu werden und die Folgen
des Konsums nicht zu beherrschen. Das hängt auch damit zusammen, dass Kinder und
Jugendliche ständig kaufen können, weil immer Produkte zur Verfügung stehen und oft auch
Geld vorhanden ist. Verbraucherverbände und manche Medien gehen inzwischen davon aus,
dass „Shopping“ mit Kindern angesichts des Angebots und der Zugänglichkeit zu einem
Risikofaktor geworden ist.2
Geldfallen stellen die grösste materielle Gefahr dar, Verschuldung von älteren Kindern
und Jugendlichen ist in den Vereinigten Staaten inzwischen fast eine Regelerfahrung und
zugleich ein starkes gesellschaftliches Tabu (Dungan 2002). Psychologische Studien, die
untersuchen, wie sich Kinder als Konsumenten verhalten, beschreiben eine starke
Reizsteuerung, die kaum Formen der Abwehr oder des Widerstandes kennt (Gunter/Furnham
1998). Schon in den achtziger Jahren ist darauf verwiesen worden, dass Kinder sich von
„savers“ zu „spenders“ entwickelt hätten, was angesichts der Marktkräfte nicht überrascht
(McNeal 1987). Sparen spielt immer weniger eine Rollen, was allerdings auf Deutschland
oder die Schweiz in der Breite nicht zutrifft.
Kinder kaufen oft Produkte oder lassen sie sich schenken, über die sie wenig wissen.
Sie werden permanent zum Kaufen aufgefordert, man denke an Nike’s „Just do it!“, ohne
darüber informiert zu werden, was sie für ihr Geld eigentlich erhalten (Linn 2004, S. 191).
Das Ziel ist, sie möglichst früh an Marken zu gewöhnen und etwas zu erzeugen, was in der
amerikanischen Literatur „impulse buying“ genannt wird - Kaufen ohne nachzudenken (ebd.).
Gemäss einem Report der „Task Force on Advertising and Children” der American
Psychological Association aus dem Jahre 2004 sehen die amerikanischen Kinder mehr als
40 000 Werbespots pro Jahr, deren Inhalte kleinere Kinder weitgehend unkritisch übernehmen
(Report 2004, S. 6f.).
Die Langzeitfolgen dieses Konsums sind nicht untersucht und es müssen erhebliche
Differenzen zwischen den Erziehungskulturen verschiedener Länder in Rechnung gestellt
werden. Aber auch für die Schweiz gilt, dass die Orientierung an Marken inzwischen zu
einem beherrschenden Faktor der Kinder- und Jugendkulturen geworden ist. Die
Globalisierung ist ebenso unübersehbar wie der Einfluss auf die Identitätsbildung (Langer
2005). Interview-Studien mit Jugendlichen zeigen überdies, dass dabei unentwegt
2
Etwa das amerikanische National Research Center for Women&Families:
http://www.center4research/org./news/toys2005.html
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Kaufentscheide getroffen werden müssen und dass starker sozialer Druck herrscht, mithalten
zu müssen (Chin 2001).
Das dürfte auch auf Erfahrungen zutreffen, die deutsche Jugendliche mit ihren Peers
machen. Die Marken geben den Rang an, was auch dann der Fall ist, wenn Kinder und
Jugendliche über das Zustandekommen der Produkte gut informiert sind. Experimentelle
Studien zeigen, dass mit Beginn der Jugendzeit Marken konzeptionelle Bedeutung erlangen,
also nicht nur aufgezählt und unterschieden werden können, sondern das Urteil bestimmen.
Die Konsumentensymbole werden nicht nur wahrgenommen, sondern mit Image und
Bedeutung aufgeladen, was bei jüngeren Kindern nicht der Fall ist. Insofern sind Marken auch
bedeutsam für die Identität von Jugendlichen (Bachmann Achenreimer/Roedder John 2003).
 Im Blick auf die Praxis der Erziehung müssen allerdings grosse Unterschiede
in Rechnung gestellt werden.
 In den einzelnen Familien werden sehr verschiedene Strategien gewählt, wie
der Umgang zwischen Eltern und Kindern gestaltet werden soll und gerade im
Blick auf die Budgets gibt es nicht lediglich Sorglosigkeit.
 Alle Betroffenen müssen auf das Problem zunehmender Integration schon von
ganz kleinen Kindern in die Konsumwelt reagieren.
Heutige Kinder wachsen in offenen Räumen auf, Elternhäuser sind nicht mehr Teil
fester sozialer und kultureller Milieus, die Generationen überdauern. In diesem Sinne kann
Erziehungsverantwortung nicht heissen, die Erfahrungsräume der Kinder unter Quarantäne zu
setzen. Beschränkungen kindlicher Erfahrungswelten sind dort angebracht, wo begründet
Schaden vermutet werden kann. Ein zentrales Problem ist Geld. Ältere Kinder und
Jugendliche müssen sich in aggressiven Konsumkulturen zurechtfinden, die ständig
Investitionen abverlangen, entsprechend sind Kinder nicht nur teuer, sondern auch gefährdet,
sofern sie nicht gelernt haben, mit Knappheit umzugehen und auf bestimmte Ansprüche zu
verzichten.
Die in der Öffentlichkeit oft vertretene Meinung, die Erziehung schwäche sich ab oder
„verschwinde“ gar, wird durch die Befunde zum Verhalten heutiger Eltern nicht gedeckt. Im
Gegenteil wird in weniger Kinder weit mehr investiert - Geld wie Aufmerksamkeit - als noch
vor zwanzig Jahren und werden grössere pädagogische Anstrengungen unternommen als je
zuvor. Auch die Rollen haben sich geändert, Väter wie gesagt werden aktiv in die
Erziehungsarbeit eingebunden und übernehmen konkrete Verantwortung. Keine pädagogische
Nostalgie kann das ändern, was im Übrigen auch zeigt, wie fragwürdig die Rückkehr zur alten
Erziehung ist. Es wäre die Rückkehr zur einseitigen Belastung der Mütter.
Abschliessend sage ich noch etwas über das Verhältnis der Eltern zum grössten
gesellschaftlichen Erziehungsraum, nämlich den der Schule, der frei ist von aggressiver
Werbung, der Lernen nicht in Konsum aufgehen lässt und der Kinder nicht nach ihrer
Kaufbereitschaft taxiert.
 Schulen sind weder Boutiquen noch Shoppingmalls.
 Dieser pädagogische Raum stellt ein hohes soziales Gut dar
 und man sollte erwarten, dass Schule und Elternhaus schon aus diesem Grund
ein Verhältnis enger Partnerschaft pflegen,
 was jedoch nicht annähernd der Fall ist.
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Naturgemäss denken Eltern vor allem an den schulischen Erfolg ihrer Kinder. Dass
Bildung ein öffentliches Gut ist, steht ihnen oft nicht vor Augen, so dass die
Übereinstimmung der Interessen zwischen Eltern und Schule eine bestimmte Schnittmenge
nicht übersteigt. Auf der anderen Seite sind die Einstellungen der weitaus meisten Eltern
gegenüber der Schule überwiegend positiv, die Qualitätseinschätzung jedenfalls in der
Schweiz ist hoch3 und das spiegelt sich dann auch in den Haltungen der Schweizer
Schülerinnen und Schüler im Vergleich mit Kindern und Jugendlichen aus dem Ausland
(Rohlfs 2010, S. 110f.).
Lehrkräfte beklagen sich häufig über die nachlassende Erziehungsbereitschaft vieler
Eltern. Diese Klagen sind nicht neu, im Gegenteil begleiten sie die Schulgeschichte, während
sich nicht bestreiten lässt, dass die Schulen ohne die Leistungen der Eltern kaum Erfolg haben
könnten. Das Verhältnis wird oft als gespannt hingestellt, und tatsächlich sind weder die
Interessen beider Seiten identisch noch die Perspektiven der Wahrnehmung und Beurteilung.
Anders als die Lehrpersonen bilden „Eltern“ keine homogene Gruppe, sie stehen der Schule
nicht in jedem Falle nahe und stellen doch einen Erfolgsfaktor dar.
Auch die beste Lehrerin und der der beste Lehrer brauchen Bündnispartner, wenn sie
Erfolg haben wollen. Der wichtigste Partner sind die Eltern, die aber von den Schulen oft nur
am Rande und oft ziemlich lästig wahrgenommen werden. Nicht selten werden Eltern so
beschrieben, dass sie Teil des Problems sind - Stichwort „bildungsferne Schichten“ - und an
der Lösung kaum beteiligt werden können. Zudem sind Eltern gerade seitens der Lehrerinnen
und Lehrer in Verdacht geraten, es mit ihrer Erziehungsverantwortung nicht mehr so genau zu
nehmen und so für die Schulen eher eine Belastung darzustellen.
Es gibt inzwischen in den Schweizer Schulen zahlreiche Anstrengungen, die darauf
hinauslaufen, die Eltern mehr als bisher zu beteiligen oder sie, wie gesagt wird, „ins Boot zu
holen,“ weil der Lernerfolg der Kinder stark davon abhängt, wie sich die Eltern auf die Schule
einstellen.
 Forschungen zur Schulqualität zeigen deutlich, dass eine aktive, unterstützende
Elternschaft ein Erfolgsfaktor ist, was dann auch in umgekehrter Hinsicht gilt.
 Inzwischen herrscht in der Expertendiskussion Einigkeit darüber, Eltern als
„Ressource“ der Schule zu verstehen und sie in die Qualitätssicherung
einzubeziehen.
Eltern sind in der Wahrnehmung vieler Lehrkräfte Laien, während sie tatsächlich die
Hauptlast der Erziehung tragen und in der Hinsicht sehr wohl professionell sein müssen.
Eltern, anders gesagt, sind Erziehungsexperten, deren Erfahrung auch von der Schule genutzt
werden muss. Doch Elternleistungen werden bis heute stillschweigend in Anspruch
genommen, ohne dass diese Leistungen in irgendeiner Bilanz auftauchen würden. Das kann
man auch sarkastisch formulieren: Würde der Aufwand für Hausaufgabenbetreuung,
Motivationssicherung und häuslicher Enkulturation in Arbeitsstunden verrechnet, und würden
diese Stunden nach Tariflohn bezahlt werden, die Schule wäre sehr schnell unbezahlbar.
Hausaufgaben sind für die Eltern vermutlich die grösste schulische Zumutung, die
neben dem Sitzenbleiben denkbar ist. Um was es dabei geht, merkt man heute durch
Kontrollanrufe der Lehrer, die sich über nicht gemachte Hausaufgaben beschweren und einem
nebenbei noch zeigen, wie wenig transparent die eigenen Kinder sind. Auf die Frage, wie es
3
Daten der Zürcher Fachstelle für Schulbeurteilung (Jahresbericht 2009/2010).
10
heute in der Schule war, sagen sie „gut“, damit nichts auf Probleme hindeutet und Ärger
erspart bleibt.
Bei Hausaufgaben müssen die Eltern ja nicht nur die Lernaufsicht übernehmen ,
sondern ständig auch ch vergeblich auf die intrinsische Motivation warten. Das galt in der
Öffentlichkeit nie als „familienfeindlich“ wie früher die Ganztagsschule, vermutlich, weil es
ein schönes Geschäft war, denn die Schule profitierte durch Ausbeutung einer Arbeitskraft,
die nichts kostet. Es ist nie berechnet worden, welchen Aufwand die Eltern betreiben und was
die Schulen zahlen müssten, wenn Hausaufgabenbetreuung ein reguläres Berufsfeld wäre.
Eltern jedenfalls sind die besten „Lernstudios“, die man sich denken kann.
Von ihrer Herkunft her ist die deutsche wie die Schweizer Schule eine klassische
Unterrichtsschule mit Halbtagsbetrieb. Dieser „Betrieb“ begann - und beginnt - so früh am
Morgen, dass man eigentlich nur von einer absichtlich boshaften Unterbrechung des Schlafes
sprechen kann. Vielleicht ist damit ja eine Erziehungsabsicht ganz eigener Art verbunden.
Auf jeden Fall ist bis heute ist das morgendliche Wecken der Kinder eine veritable
Elternleistung, die Durchhaltewillen verlangt und doch öffentlich wenig Anerkennung findet.
In diesem Sinne sind Eltern perfekte Unterstützungssysteme.
Die Schulen müssen lernen, sich mehr als bisher für die Seite der Eltern zu
interessieren und deren Erfahrungen für die eigene Entwicklung zu nutzen. Das ist nicht nur
eine Sache der Einstellung. Auch neue Instrumente gehören dazu, wie regelmässige
Elternbefragungen, also Feedbacks über den informellen Kontakt hinaus. Schulen werden
nicht daran gehindert, sich jährlich mit einem formalisierten Fragebogen, der elektronisch
zugänglich ist, dem Urteil ihrer Abnehmer zu stellen. Und niemand hindert sie auch, von
diesem Urteil zu lernen. Nicht wenige Schulen befinden sich auf diesem Weg und nehmen die
Eltern ernst, etwa wenn die Ergebnisse kommuniziert und konkrete Massnahmen in Aussicht
gestellt werden.
Ein immer wieder vorgebrachter Vorwurf, den viele Eltern äussern, ist der mangelnder
Transparenz der Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler. Wenn Zeugnisse
verteilt werden, ist es zu spät, in diese Entwicklung einzugreifen, was viele Eltern gerne täten,
weil sie mit den informellen Rückmeldungen der Kinder oft nicht zufrieden sind. Das hängt
mit dem Phänomen zusammen, dass viele Schülerinnen und Schüler lieber auf schlechte
Zeugnisse warten als ihr Leistungsverhalten zu verändern. Intransparenz bringt für sie
kurzfristig Vorteile, wobei die Eltern oft ahnen, was auf sie zukommt.
 Es gibt in der Schweiz Schulen, die die Eltern regelmässig über den Lernstand
ihrer Kinder informieren.
 Die Schulen legen Datenbänke an, in denen alle Lehrkräfte die Noten der
schriftlichen Leistungen eintragen.
 Die Eltern erhalten dann regelmässig einen Auszug, der sie über den Stand
informiert und den sie unterschreiben müssen.
Sie können dann beizeiten überlegen, welche Strategien sie ergreifen, wenn ein
Leistungsniveau erreicht ist, das weder sie noch ihre Kinder zufrieden stellt.
Ein weiteres Ärgernis ist die oft mangelhafte Kenntnis sowohl der Lernziele als auch
der genauen Leistungsanforderungen. Auch hier kann man mit einem offenen Zugang Abhilfe
schaffen, die Schulen müssen nur darstellen und den Eltern zugänglich machen, was sie in
welcher Zeit erreichen wollen und nach welchen Kriterien sie bei der Leistungsbewertung
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vorgehen. Der Verweis auf den Lehrplan genügt nicht, weil jede Schule im Rahmen der
staatlichen Vorgaben letztlich den eigenen Lehrplan verwirklichen muss. Das kann in Gestalt
von Monats- oder Jahresplänen geschehen, in die die Eltern Einblick haben. Bezogen auf den
Unterricht sind Transparenz und Zielsteuerung längst ein Thema.
Die Schulen dürfen nicht einfach nur entgegen nehmen, was kommt, sondern müssen
aktiv den Aufbau der Interessen gestalten, nicht bei jedem Schüler gleich, wohl aber als
deutlicher Auftrag, Leistungen hervorzubringen. Die Leistungen der Schüler sind stark von
ihrem Interesse bestimmt, aber auch davon, dass sie erfahren, in ungeliebten Fächern
voranzukommen und dort Erfolg zu haben, wo sie es nicht erwarten. Hier liegt ein wichtiger
Testfall für den Schulerfolg und die Probe auf die Anstrengungsbereitschaft. Auch dafür kann
viel getan werden kann, dies mit Nutzung neuer Medien und unter aktiver Einbeziehung der
Eltern.
In manchen Schweizer Sekundarschulen hat jede einzelne Klasse eine eigene Website,
auf der sie ihre Leistungen und Produkte präsentieren kann, in Form von Texten, Bildern,
Kommentaren und Disputen. Man liest dann als Vater oder Mutter die besten Aufsätze, kann
Musterlösungen mathematischer Aufgaben studieren und erhält Einblick in den
Kunstunterricht, indem die Abbildungen der Produkte ins Netz gestellt werden. Blogs geben
die reflexive Arbeit wieder, die das Lernen begleitet hat. Und für die Schüler ist es sehr
anregend, sichtbar zu sein und gar noch zu den Besten zugehören, vielleicht auch dort, wo es
nicht für möglich gehalten wurde. Eltern können auf diese Weise auch Lernfortschritte
wahrnehmen, was für sie das Kernkriterium ihrer Beurteilung der Schulqualität ist.
Der Weg sind klare und explizite Leistungsvereinbarungen, insbesondere im Blick auf
zeitlichen Aufwand, abgestimmte Aufgaben und wechselseitige Zusagen, die den Standard
festlegen, bis zu dem Elternhäuser ernsthaft in die Arbeit einer Schule eingebunden sind.
Auch „Elternarbeit“ kann man sich als Endlosband von ungelösten Aufgaben und immer
neuen Forderungen vorstellen, die nur eins nötig haben, nämlich beschränkt zu werden.
Angestrebt werden sollte eine begrenzte Kooperation unter der Voraussetzung divergenter
Interessen, die eine gemeinsame Schnittmenge finden müssen, ohne die Konflikte
auszuklammern. Eigentlich müsste jede Schule eine Schlichtungsstelle haben und warum
sollte das nicht möglich sein?
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