1 Jürgen Oelkers Erziehung heute: In Zeiten von Konsum und Medien *) Das Thema „Erziehung heute“ verweist zwanghaft auf positives Denken, also die Antizipation des Guten und Erfolgreichen. Mein Vortrag beginnt mit einer Feststellung: Erziehung heute muss nicht gelingen. Fragt man sich, warum die Erziehung misslingt und die Kinder nicht so werden, wie sie sollen, dann liegt die Antwort nahe: „Ursache“ dafür sind häufig die Eltern, denen man grösstenteils die „Schuld“ geben muss, wenn die Kinder falsch aufwachsen und den richtigen Weg nicht finden. Kinder werden „nichtsnutzig“, „weil auch die Eltern nichtsnutzig“ sind, denn sie haben es versäumt, ihre Kinder in der Jugend zum „Guten anzuweisen“ und das bedeutet nichts anderes, als dass sie in ihrer Kernaufgabe der Erziehung versagt haben (Helbig 1701, S. 55). Gesagt wurde das im Jahre 1701, ich habe den Stadtpfarrer von Kissingen, Johann Laurenz Helbig zitiert, der klare Vorstellungen von der Erziehung hatte. Was man in der Jugend nicht lernt, lernt man nie oder anders gesagt: die Eltern haben nur diese eine Chance. Wird sie vergeben, dann hat man versagt und trägt zu Recht einen Makel. Man schaue in Blogs und gewinnt dann einen Eindruck von der Festigkeit dieser Überzeugung. Helbig drückt das mit drastischen Worten so aus: „Wann die Kinder nichts nutz/gottloss/ruchloss/zuchtloss/heilloss/bodenloss/wer ist die Ursach? Die bodenlose/heillose/zuchtlose/ruchlose/gottlose Eltern“. Sie haben es versäumt oder gar nicht erst unternommen, den Kindern „die Laster in der Jugend … mit väterlicher und mütterliche Sorge“ abzugewöhnen (ebd.). So formuliert man heute nicht mehr, auch haben die Pfarrer das Kommando über die Erziehungsmoral abgeben müssen und stehen die Kinder nicht mehr in der Kirchenzucht, aber sind die Verhältnisse deswegen anders geworden? Die Laster entstehen heute durch Medieneinfluss und Konsumorientierung und der Versagensdruck, der auf den Eltern lastet, hält unverändert an, auch wenn Gottlosigkeit kein Makel mehr ist und man sich nicht mehr vor der Gemeinde für das Erziehungsversagen rechtfertigen muss. Aber es fällt schwer, in der unausgesetzten Nutzung des I-Phones keine Nichtsnutzigkeit zu erkennen, Facebook lädt zur Ruchlosigkeit ein, SMS-Botschaften sind unter Jugendlichen oft bodenlos, Gemeinheiten nämlich, denen man nicht entgeht, und wer Zuchtlosigkeit sucht, muss nur ein angesagtes Szenelokal aufsuchen, also dort hingehen, wo man als Eltern sofort unangenehm auffällt und seinen eigenen Kindern peinlich wird. Das Buch des frommen Stadtpfarrers von Kissingen heisst: Weiss und Schwarz Zu jedes besserer Erkandtnus zusammen gesetzt. Das ist die Perspektive des moralischen Beobachters, nicht der handelnden Personen. In der Beobachtung von aussen machen Eltern immer etwas falsch, weswegen sie ihren Handlungsraum auch mit grosser Sorgfalt abschirmen. Man will vermeiden, ausschliesslich „schwarz oder weiss“ wahrgenommen zu *) Vortrag in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung am 15. April 2013. 2 werden, aber man darf auch nicht grau erscheinen. Darum pflegen heutige Eltern ausgeklügelte Formen der Selbstdarstellung: Die Erziehung macht keine Probleme oder wenn, hat man sie gerade gelöst, die Kinder sind alle begabt, Lesen konnten sie schon vor der Schule, der Erfolg in der Schule verlangt angesichts der Begabung keinen grossen Aufwand und den Medienkonsum hat man im Griff, den Schaden erleiden immer nur die Anderen. Druck wird auch anders erzeugt: Viele Lehrkräfte, Akteure, die die öffentliche Meinung bestimmen, und ganz schnell einmal die Bild-Zeitung beklagen sich häufig über die nachlassende Erziehungsbereitschaft vieler Eltern. Hier kann nicht schwarz genug gemalt werden. Schätzungen gehen davon aus, dass die viel zitierte „Erziehungsverwahrlosung“ alles andere als der Normalfall ist, denn gut 85% aller deutschen Eltern sind ihrer Erziehungsaufgabe gewachsen, fast 90% aller Kinder und Jugendlichen fühlen sich in ihrer Familie wohl und ebenso viele geben an, ihre Eltern hätten genügend Zeit für sie. Lediglich 10‘% leben in Familien, die als zu konflikthaft empfunden werden (Dornes 2012, S. 237). Ungeachtet dessen können Kinder können heute als „Tyrannen“ hingestellt werden und sind in dieser verzerrten Darstellung Thema von Bestsellern (Winterhoff 2008, im Anschluss an Pleux 2002), die pauschal Tendenzen der Bedrohung unterstellen und doch nur ganz wenige Fallbeispiele zur Verfügung haben, meistens solche, die zu der angenommenen These passen. In der öffentlichen Wahrnehmung sind tatsächlich stets die Eltern schuld, wenn die Kinder nicht die Normalerwartungen erfüllen. Dass Kinder „Tyrannen“ sind oder mindestens zu solchen werden können, ist schon Sokrates zugeschrieben worden und wird meist als Warnung vor zu viel Freiheit in der Erziehung hingestellt, die schon in der Antike geäussert wurde, ohne je konkret zu werden. Das Thema scheint auf dieser Linie zeitlos zu sein und besonders gut auf die Gegenwart zuzutreffen.1 Man muss einfach nur beliebige Schadensfaktoren kombinieren, die Erziehung in höchster Not hinstellen und sich selbst als Retter anbieten. Eltern, Kinder und Schule sind drei Stichworte für ein Thema, das inzwischen die Medien und so die Öffentlichkeit fast schon dominiert. Vielleicht wurde noch nie so viel über die „richtige“ oder die „falsche“ Erziehung diskutiert wie heute, was auch mit der steten Vermehrung der Medien zu tun hat. Schlagzeilen sind aber nicht immer gute Informationen, zumal dann nicht, wenn sie fast ausschliesslich negativ gefärbt sind. Am Ende glaubt man, dass die pädagogische Welt heute nur noch aus fettleibigen Kindern besteht, aus Eltern, die ihre Erziehungsverantwortung an der Schultür abgeben, und aus Schulen, die hinter den geschlossenen Türen chaotisch sind. So entstehen regelmässig Bestseller über die immer neuen deutschen „Bildungskatastrophen“. 1 Allerdings findet sich bei Platon kein entsprechendes Zitat. Wenn, dann handelt es sich um ein Kompilat von Sokrates‘ Beschreibung des Verhältnisses von Vätern, Lehrern und Söhnen in der Regierungsform der Tyrannis (Politeia Buch VIII, 562c/563a-b). 3 Es gibt keinen Zeitpunkt, an dem der Zustand der Erziehung nicht beklagt worden wäre. Insofern ist auch der pädagogische Alarmismus heutiger Medien keine Anomalie, neu sind nur die Reichweite und die schnelle Zugänglichkeit aller Informationen. Die Realität sieht anders aus: Bezieht man sich auf Indikatoren wie die rechtliche Stellung der Kinder, die soziale Sicherheit, die Verbreiterung der Bildung, den Schulerfolg und nicht zuletzt das Verhältnis zu den Eltern, dann ist der langfristige Wandel der Erziehungskulturen keiner zum Schlechteren, wie gelegentlich angenommen wird. Im Gegenteil sind Fortschritte unübersehbar und nur die Schulkritik sieht das anders. Allerdings ist der Ausgang jeder Erziehung stets unsicher und das erklärt die öffentliche Sensibilität im Blick auf Risikofaktoren. Scheitern soll ausgeschlossen werden. Aber gehören ausgerechnet Eltern zu den Risikofaktoren? Im Unterschied zu früheren Epochen wird über den Kinderwunsch in aller Regel partnerschaftlich und bewusst entschieden. Festgestellt werden kann, dass die Erwartungen an die Elternschaft gestiegen sind. Der Wandel betrifft sowohl die Selbst-, als auch die Fremderwartungen, und er bezieht sich auf beide Geschlechter. Das ist historisch neu und sicher kein Rücksicht: Männer und so Väter übernehmen sichtbar Erziehungsverantwortung, anders kämen Elternschaften kaum noch zustande. Damit in Verbindung gebracht werden muss die Alltagserfahrung, also das was Eltern erleben, aber selten sagen. Die Praxis der Erziehung heute ist gekennzeichnet von der Ausweitung der Zuständigkeit, wachsenden Pflichten und gestiegener Verantwortung. Eltern werden anders als früher von den Schulen aktiv in deren Erziehungsarbeit eingebunden, die Visibilität abweichenden Verhaltens von Kindern und Jugendlichen nimmt zu und die Toleranz gegenüber fehlenden Leistungen der Eltern nimmt ab. Sanktionen oder gar förmliche Bussen sind in der Schweiz Praxis und kommen dann zur Anwendung, wenn Kinder und Jugendliche sich deviant verhalten. Die Verantwortung der Eltern wird daher viel konkreter kommuniziert als noch vor einer Dekade, nämlich nicht als eine abstrakte moralische Forderung, sondern im Blick auf die Erfüllung der Erwartungen. Eltern bewegen sich auch in einer anderen Hinsicht in einem veränderten Feld der Erziehung. Die Kosten für die Kinder steigen und die Kinderzahl ist kontinuierlich gesunken (Spychiger/Bauer/Baumann 1995). Die Kosten variieren mit dem Alter der Kinder und der Zahl der Geschwister. 2007 wurden in der Schweiz die Kosten für ein dreizehnjähriges Einzelkind auf 2.020 Franken pro Monat geschätzt (Bundesamt für Statistik). Die Kosten sinken pro Kind mit zusätzlichen Geschwistern. Die Erziehung konzentriert sich auf ein oder zwei Kinder, die hohe Aufmerksamkeit erhalten und einen ebenfalls hohen Aufwand abverlangen. 4 Die in der Öffentlichkeit oft vertretene Meinung, die Erziehung schwäche sich ab oder „verschwinde“ gar, wird durch diesen Befund nicht gedeckt. Im Gegenteil wird in weniger Kinder weit mehr investiert als noch vor zwanzig Jahren und werden grössere pädagogische Anstrengungen unternommen als je zuvor. Die zur Verfügung stehende Erziehungszeit ist dagegen immer knapp. Zumeist sind beide Eltern berufstätig. Sie müssen ihre Zeit arrangieren und entscheiden, wie viel Zeit sie für die Kinder aufwenden wollen. Das geschieht individuell und abgestimmt auf die Möglichkeiten eines Elternpaares. Die knappe Zeit sorgt dafür, dass Erziehung sich zunehmend auf verschiedene Instanzen verteilt. Das gilt etwa für die Inanspruchnahme der Grosseltern, die praktisch weit mehr als früher Einfluss nehmen auf die Erziehung ihrer Enkel. Ein anderes Phänomen sind Beauftragungen. Für pädagogische Dienstleistungen steht heute ein ausgebautes und effizientes Angebot zur Verfügung, das mehr oder weniger diskret genutzt wird. Eine kurze Auflistung der Möglichkeiten kann das illustrieren: Private Lernstudios sorgen für Nachhilfe und Zusatzbildung. Musikschulen bieten bei steigender Nachfrage Instrumental- oder Gesangsunterricht an und sorgen für musikalische Kompetenz. Fitness-Studios bestimmen das körperliche Training. Therapien und sozialpädagogische Dienste ergänzen die Erziehungsarbeit der Eltern. Die Eltern erhöhen ihre Belastungen, investieren mehr und sehen zugleich, dass die Möglichkeiten des Einwirkens begrenzt sind, weil die Erfahrungsräume der Kinder über das hinausgehen, was die Eltern kontrollieren können. Verschiedene Instanzen bestimmen das Erleben von Kindern und sind am Aufbau ihrer Einstellungen beteiligt, Eltern sind die nächsten Bezugspersonen, aber nicht die einzigen. Die Kinder müssen mehr Medien und Dimensionen der Erfahrung als in der Vergangenheit unterscheiden und lernen, sich darin zurecht zu finden. Es hilft wenig, ständig Zerfall oder Niveauverlust zu beklagen. Nicht nur fehlen die erforderlichen Daten und ist der dafür notwendige Massstab gar nicht vorhanden, auch wäre der Blick versperrt, was Kinder und Jugendliche in offenen Erfahrungsräumen lernen und wie sie mit den Risiken umgehen. Neue Modi des Umgangs zwischen Eltern und Kindern sind Aushandeln und strategische Interaktion, die inzwischen gut beschrieben sind (Darian 1998, GreganPaxton/John 1997, Palan/Wilkes 1997). Hier entscheidet nicht einfach die Macht, sondern der Wunsch und das Argument im Einklang mit dem Budget. Kinder handeln im Rahmen ihrer Interessen durchaus rational und oft auch strategisch. Beide, Kinder wie Eltern, sind Teil der Konsumkultur, auch in dem Sinne, dass beide ästhetischen Kaufanreizen ausgesetzt sind, die nicht einfach „pädagogisch“ ersetzt werden können und aber oft ein Problem darstellen. Daher sind schon in den frühen neunziger Jahren Konsum-Ratgeber für Kinder erschienen (McNeal 1992), die heute einen eigenen Markt darstellen (Gregory Thomas 2007 und zahllose Andere). Der Erziehungsmodus ist häufig eine Verhandlung, und gar nicht so selten beeinflussen die Kinder und Jugendlichen die Entscheide der Erwachsenen, die sich keineswegs immer gegen die Pädagogik der Medien (Buckingham/Sefton-Green 2003) 5 durchsetzen können. Daher ist nicht primär „Autorität“ das kardinale Problem, sondern die Reichweite des jeweiligen Arguments sowie das Geschick der Kommunikation, also die fortlaufende Abstimmung. Vielfach entscheidet einfach die Nervenstärke und die Verhandlungen können die Eltern auf eine harte Probe stellen. Manche Studien sprechen von einem „Nag factor,“ also davon, die Kinder anzureizen, die Kaufentscheide ihrer Eltern durch Quengeln und Beharrungsvermögen zu beeinflussen (Bridges/Briesch 2006). Ausserdem billigen Eltern oft den älteren Kindern und Jugendlichen Expertenstatus beim Kauf bestimmter Produkte zu (Goldberg et al. 2003). Der Modus der Verhandlung bedeutet nicht, dass über alles und ständig verhandelt werden muss. Grenzen sind nicht verhandelbar, wenn sie gelten sollen, dasselbe gilt für die Struktur des Lebensraumes, in dem die Erziehung stattfindet (Armeline 2005). Verhandelt wird über Entscheidungen, an denen Kinder in der einen oder anderen Art beteiligt sind. Durch Verhandlungen entsteht so etwas wie herausgearbeitete Kognition (collaborative cognition) (Bearison/Dorval 2002), die einen fragilen Status hat und gleichwohl die Basis des Gemeinsamen darstellt. Gut belegt sind zum Beispiel Verhandlungen in Familien über Gefahren und Sicherheitsrisiken (Backett-Milburn/Harden 2004). Verhandlungen haben zur Voraussetzung, dass im Blick auf Entscheidungen eine Art Partnerschaft angenommen wird, die sich auch mit dem historischen Wandel der Erziehungsverhältnisse erklären lässt. Von dem, was noch vor dreissig Jahren „Erziehung“ genannt wurde, ist nicht mehr viel zu sehen. Der autoritäre Vater ist als Leittypus ebenso verschwunden wie die selbstlose Mutter, es gibt nur noch wenige Geschwisterreihen und der Kinderwunsch kann zu einem Stressfaktor werden. Was früher undenkbar war, ist heute fast selbstverständlich, nämlich öffentlich über die Kosten der Kinder nachzudenken, und es ist auch selbstverständlich, den Kinderwunsch in einer Paarbeziehung lange nicht zu thematisieren und sich dann auch gegen diesen Wunsch zu entscheiden. Kinder werden offenbar in vielen Fällen zu einem Luxusgut. Von den Kosten her gesehen erziehen eigentlich die Kinder die Eltern, einfach weil für die Erziehung ein Aufwand erforderlich ist, der den Konsum und den Erfahrungsraum der Erwachsenen beschränkt. Im Blick auf den Wandel lassen sich einige Befunde so zusammenfassen: Was sich geändert hat, sind nicht nur die Medien der Kommunikation, sondern auch die Formen sozialer Kontrolle, die Individualisierung der Lebensentwürfe und die Reichweite pädagogischer Verpflichtungen. Paare ohne Kinder erfahren keine gesellschaftliche Abwertung mehr, Paare mit Kindern sind aber auch nicht mehr unbedingt Rollenvorbild, vor allem weil Kinder als unabsehbare Verpflichtung angesehen werden, die an keinem bestimmten Datum endet. Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sind ein prekärer Prozess lebenslangen Lernens, der nicht aufhört, wenn die Kinder erwachsen sind. Die Adoleszenzkrise wird von beiden Seiten als starke Belastung erlebt. Trotz oder vielleicht auch wegen dieser Entwicklungen besteht für pädagogische Nostalgie kein Anlass. Kinder haben „früher“ nicht „besser“ gelebt, etwa weil die Welt einfacher war oder die Verhältnisse überschaubarer. Allerdings neigt die öffentliche 6 Diskussion immer wieder zur Konstruktion von heilen Welten, die oft auch die allgemeine Erwartung bestimmen. Es waren - und sind - dies Bilder der „idealen,“ „reinen“ und „unschuldigen“ Kindheit (Higonnet 1998, McGavran 1999), die seit Beginn des 19. Jahrhunderts die öffentliche Reflexion über Erziehung prägten, aber nie die Praxis bestimmt haben. Und auch die heutigen Bilder des coolen Kindes (Cross 2004) sind nichts als Generalisierungen, die über das tatsächliche Verhalten wenig aussagen. Auf der anderen Seite steht die populäre Annahme, dass Erziehung zu komplex geworden sei und man zu früheren Verhältnissen der Disziplin und Formung zurückkehren müsse. Doch scheinbar einfache oder überschaubare Verhältnisse mit klaren Rollentrennungen waren genauso konfliktanfällig wie offene Erfahrungsräume mit hohem Individualisierungsgrad. Nichts spricht dafür, dass „mehr“ Disziplin die Qualität der Erziehung verbessert, zumal bei diesen Forderungen notorisch offen bleibt, welche Disziplin gemeint ist und wie mit den Folgen umgegangen werden soll. Zudem ist unklar, wie die implizite Zerfallsannahme historisch nachgewiesen werden soll. Solange ist es nur Nostalgie, wenn behauptet wird, „früher“ sei die Erziehung besser gewesen. Man kann sich den Prozess der Erziehung als fortgesetzte Problemlösung vorstellen, die nicht an einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen ist. Die Eltern, die Kinder und die Jugendlichen sind daran gleichermassen beteiligt, allerdings unterschieden nach Alter und Involviertheit. Manche Probleme betreffen die ganze Familie, andere nur die Kinder, manche Lösungen sind substanzieller Art, andere alltägliche Entscheide, in jeden Fall sollte so viel Gemeinsamkeit wie möglich gesucht und Verträglichkeit angestrebt werden. Und man sollte bei der Einschätzung der Situation davon ausgehen, dass Lösungen für Probleme auch dann gefunden werden, wenn diese zunächst unlösbar erscheinen. Mit einer solchen Sicht werden die Akteure betrachtet und eine Unterscheidung nach Opfern kann vermieden werden. Die Lösung der Probleme strebt nicht ferne Ziele an, sondern muss im heutigen Alltag bestehen. Es sind nicht einfach Probleme, die die Kinder „machen“, sondern Probleme, die das Zusammenleben in Umwelten schafft, die sich nicht oder nur begrenzt nach den pädagogischen Wünschen der Eltern richten. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die weitaus meisten Eltern ihre Probleme nicht vernünftig lösen können. Sie besser ausgebildet als jede andere Generation vor ihnen und können auf Unterstützungssysteme zurückgreifen, die es noch vor zwanzig Jahren gar nicht gab. Warum sollten ausgerechnet Eltern in der besonderen Verantwortung, in der sie stehen, ihre Ressourcen nicht intelligent nutzen? Ein Kinderspiel ist „Erziehung heute“ damit aber nicht. Von dieser Binnensicht zu unterscheiden ist die öffentliche Erwartung und die Reaktion darauf. Hier ist „Erziehung“ nicht fortgesetzte, manchmal spannungsreiche Problemlösung, sondern ein Image, das auf einen möglichst reibungslosen Prozess verweisen soll, der perfekt aussehen muss. Angesichts der öffentlichen Erwartungen an „gute Mütter“ und „gute Väter“ ist das Abschirmen daher eine verständliche Haltung. Und wenn man Professor für Pädagogik ist, wäre das nochmals mehr anzuraten. Erziehung wird primär moralisch kommuniziert und niemand will dabei in einem zweifelhaften Licht erscheinen. Hinter dem Image muss der Alltag bewältigt werden, und es gibt nochmals keinen Grund anzunehmen, dass die meisten Eltern darin erfolglos sind. Sie 7 stellen sich pragmatisch auf die Problemlagen ein und versuchen herauszufinden, was die je beste Lösung ist. Schweizer Studien zeigen, wie stark sich gerade Gymnasialeltern nicht nur für die aufwändige Erziehung ihrer Kinder engagieren, sondern dass sie gleich stark auch an der Bildung beteiligt sind, die die Gymnasien sich allzu gerne selbst zuschreiben (Vasarik Staub 2013). „Wohlstandsverwahrlosung“ gibt es hier ebenso wenig wie „tyrannische“ Kinder oder an Erziehung nicht interessierte „apathische“ Eltern. Die Schlagworte der öffentlichen Diskussion versagen, wenn sie konfrontiert werden mit dem, was Eltern in ihrer konkreten Erziehungsarbeit konkret unternehmen. Man sollte also nicht den katastrophischen Botschaften folgen, sondern Risikoabwägungen vornehmen und dann so gut es geht handeln in Reichweite der Probleme, die lösbar sind. Amerikanische Studien zeigen, dass die Ausrichtung auf Konsum ohne wirkliche Alternativen Konsequenzen hat. Die Kinder werden durch Logos geprägt („branded“) (Klein 2002). Sie laufen früh Gefahr, in ihren Wünschen nicht beschränkt zu werden und die Folgen des Konsums nicht zu beherrschen. Das hängt auch damit zusammen, dass Kinder und Jugendliche ständig kaufen können, weil immer Produkte zur Verfügung stehen und oft auch Geld vorhanden ist. Verbraucherverbände und manche Medien gehen inzwischen davon aus, dass „Shopping“ mit Kindern angesichts des Angebots und der Zugänglichkeit zu einem Risikofaktor geworden ist.2 Geldfallen stellen die grösste materielle Gefahr dar, Verschuldung von älteren Kindern und Jugendlichen ist in den Vereinigten Staaten inzwischen fast eine Regelerfahrung und zugleich ein starkes gesellschaftliches Tabu (Dungan 2002). Psychologische Studien, die untersuchen, wie sich Kinder als Konsumenten verhalten, beschreiben eine starke Reizsteuerung, die kaum Formen der Abwehr oder des Widerstandes kennt (Gunter/Furnham 1998). Schon in den achtziger Jahren ist darauf verwiesen worden, dass Kinder sich von „savers“ zu „spenders“ entwickelt hätten, was angesichts der Marktkräfte nicht überrascht (McNeal 1987). Sparen spielt immer weniger eine Rollen, was allerdings auf Deutschland oder die Schweiz in der Breite nicht zutrifft. Kinder kaufen oft Produkte oder lassen sie sich schenken, über die sie wenig wissen. Sie werden permanent zum Kaufen aufgefordert, man denke an Nike’s „Just do it!“, ohne darüber informiert zu werden, was sie für ihr Geld eigentlich erhalten (Linn 2004, S. 191). Das Ziel ist, sie möglichst früh an Marken zu gewöhnen und etwas zu erzeugen, was in der amerikanischen Literatur „impulse buying“ genannt wird - Kaufen ohne nachzudenken (ebd.). Gemäss einem Report der „Task Force on Advertising and Children” der American Psychological Association aus dem Jahre 2004 sehen die amerikanischen Kinder mehr als 40 000 Werbespots pro Jahr, deren Inhalte kleinere Kinder weitgehend unkritisch übernehmen (Report 2004, S. 6f.). Die Langzeitfolgen dieses Konsums sind nicht untersucht und es müssen erhebliche Differenzen zwischen den Erziehungskulturen verschiedener Länder in Rechnung gestellt werden. Aber auch für die Schweiz gilt, dass die Orientierung an Marken inzwischen zu einem beherrschenden Faktor der Kinder- und Jugendkulturen geworden ist. Die Globalisierung ist ebenso unübersehbar wie der Einfluss auf die Identitätsbildung (Langer 2005). Interview-Studien mit Jugendlichen zeigen überdies, dass dabei unentwegt 2 Etwa das amerikanische National Research Center for Women&Families: http://www.center4research/org./news/toys2005.html 8 Kaufentscheide getroffen werden müssen und dass starker sozialer Druck herrscht, mithalten zu müssen (Chin 2001). Das dürfte auch auf Erfahrungen zutreffen, die deutsche Jugendliche mit ihren Peers machen. Die Marken geben den Rang an, was auch dann der Fall ist, wenn Kinder und Jugendliche über das Zustandekommen der Produkte gut informiert sind. Experimentelle Studien zeigen, dass mit Beginn der Jugendzeit Marken konzeptionelle Bedeutung erlangen, also nicht nur aufgezählt und unterschieden werden können, sondern das Urteil bestimmen. Die Konsumentensymbole werden nicht nur wahrgenommen, sondern mit Image und Bedeutung aufgeladen, was bei jüngeren Kindern nicht der Fall ist. Insofern sind Marken auch bedeutsam für die Identität von Jugendlichen (Bachmann Achenreimer/Roedder John 2003). Im Blick auf die Praxis der Erziehung müssen allerdings grosse Unterschiede in Rechnung gestellt werden. In den einzelnen Familien werden sehr verschiedene Strategien gewählt, wie der Umgang zwischen Eltern und Kindern gestaltet werden soll und gerade im Blick auf die Budgets gibt es nicht lediglich Sorglosigkeit. Alle Betroffenen müssen auf das Problem zunehmender Integration schon von ganz kleinen Kindern in die Konsumwelt reagieren. Heutige Kinder wachsen in offenen Räumen auf, Elternhäuser sind nicht mehr Teil fester sozialer und kultureller Milieus, die Generationen überdauern. In diesem Sinne kann Erziehungsverantwortung nicht heissen, die Erfahrungsräume der Kinder unter Quarantäne zu setzen. Beschränkungen kindlicher Erfahrungswelten sind dort angebracht, wo begründet Schaden vermutet werden kann. Ein zentrales Problem ist Geld. Ältere Kinder und Jugendliche müssen sich in aggressiven Konsumkulturen zurechtfinden, die ständig Investitionen abverlangen, entsprechend sind Kinder nicht nur teuer, sondern auch gefährdet, sofern sie nicht gelernt haben, mit Knappheit umzugehen und auf bestimmte Ansprüche zu verzichten. Die in der Öffentlichkeit oft vertretene Meinung, die Erziehung schwäche sich ab oder „verschwinde“ gar, wird durch die Befunde zum Verhalten heutiger Eltern nicht gedeckt. Im Gegenteil wird in weniger Kinder weit mehr investiert - Geld wie Aufmerksamkeit - als noch vor zwanzig Jahren und werden grössere pädagogische Anstrengungen unternommen als je zuvor. Auch die Rollen haben sich geändert, Väter wie gesagt werden aktiv in die Erziehungsarbeit eingebunden und übernehmen konkrete Verantwortung. Keine pädagogische Nostalgie kann das ändern, was im Übrigen auch zeigt, wie fragwürdig die Rückkehr zur alten Erziehung ist. Es wäre die Rückkehr zur einseitigen Belastung der Mütter. Abschliessend sage ich noch etwas über das Verhältnis der Eltern zum grössten gesellschaftlichen Erziehungsraum, nämlich den der Schule, der frei ist von aggressiver Werbung, der Lernen nicht in Konsum aufgehen lässt und der Kinder nicht nach ihrer Kaufbereitschaft taxiert. Schulen sind weder Boutiquen noch Shoppingmalls. Dieser pädagogische Raum stellt ein hohes soziales Gut dar und man sollte erwarten, dass Schule und Elternhaus schon aus diesem Grund ein Verhältnis enger Partnerschaft pflegen, was jedoch nicht annähernd der Fall ist. 9 Naturgemäss denken Eltern vor allem an den schulischen Erfolg ihrer Kinder. Dass Bildung ein öffentliches Gut ist, steht ihnen oft nicht vor Augen, so dass die Übereinstimmung der Interessen zwischen Eltern und Schule eine bestimmte Schnittmenge nicht übersteigt. Auf der anderen Seite sind die Einstellungen der weitaus meisten Eltern gegenüber der Schule überwiegend positiv, die Qualitätseinschätzung jedenfalls in der Schweiz ist hoch3 und das spiegelt sich dann auch in den Haltungen der Schweizer Schülerinnen und Schüler im Vergleich mit Kindern und Jugendlichen aus dem Ausland (Rohlfs 2010, S. 110f.). Lehrkräfte beklagen sich häufig über die nachlassende Erziehungsbereitschaft vieler Eltern. Diese Klagen sind nicht neu, im Gegenteil begleiten sie die Schulgeschichte, während sich nicht bestreiten lässt, dass die Schulen ohne die Leistungen der Eltern kaum Erfolg haben könnten. Das Verhältnis wird oft als gespannt hingestellt, und tatsächlich sind weder die Interessen beider Seiten identisch noch die Perspektiven der Wahrnehmung und Beurteilung. Anders als die Lehrpersonen bilden „Eltern“ keine homogene Gruppe, sie stehen der Schule nicht in jedem Falle nahe und stellen doch einen Erfolgsfaktor dar. Auch die beste Lehrerin und der der beste Lehrer brauchen Bündnispartner, wenn sie Erfolg haben wollen. Der wichtigste Partner sind die Eltern, die aber von den Schulen oft nur am Rande und oft ziemlich lästig wahrgenommen werden. Nicht selten werden Eltern so beschrieben, dass sie Teil des Problems sind - Stichwort „bildungsferne Schichten“ - und an der Lösung kaum beteiligt werden können. Zudem sind Eltern gerade seitens der Lehrerinnen und Lehrer in Verdacht geraten, es mit ihrer Erziehungsverantwortung nicht mehr so genau zu nehmen und so für die Schulen eher eine Belastung darzustellen. Es gibt inzwischen in den Schweizer Schulen zahlreiche Anstrengungen, die darauf hinauslaufen, die Eltern mehr als bisher zu beteiligen oder sie, wie gesagt wird, „ins Boot zu holen,“ weil der Lernerfolg der Kinder stark davon abhängt, wie sich die Eltern auf die Schule einstellen. Forschungen zur Schulqualität zeigen deutlich, dass eine aktive, unterstützende Elternschaft ein Erfolgsfaktor ist, was dann auch in umgekehrter Hinsicht gilt. Inzwischen herrscht in der Expertendiskussion Einigkeit darüber, Eltern als „Ressource“ der Schule zu verstehen und sie in die Qualitätssicherung einzubeziehen. Eltern sind in der Wahrnehmung vieler Lehrkräfte Laien, während sie tatsächlich die Hauptlast der Erziehung tragen und in der Hinsicht sehr wohl professionell sein müssen. Eltern, anders gesagt, sind Erziehungsexperten, deren Erfahrung auch von der Schule genutzt werden muss. Doch Elternleistungen werden bis heute stillschweigend in Anspruch genommen, ohne dass diese Leistungen in irgendeiner Bilanz auftauchen würden. Das kann man auch sarkastisch formulieren: Würde der Aufwand für Hausaufgabenbetreuung, Motivationssicherung und häuslicher Enkulturation in Arbeitsstunden verrechnet, und würden diese Stunden nach Tariflohn bezahlt werden, die Schule wäre sehr schnell unbezahlbar. Hausaufgaben sind für die Eltern vermutlich die grösste schulische Zumutung, die neben dem Sitzenbleiben denkbar ist. Um was es dabei geht, merkt man heute durch Kontrollanrufe der Lehrer, die sich über nicht gemachte Hausaufgaben beschweren und einem nebenbei noch zeigen, wie wenig transparent die eigenen Kinder sind. Auf die Frage, wie es 3 Daten der Zürcher Fachstelle für Schulbeurteilung (Jahresbericht 2009/2010). 10 heute in der Schule war, sagen sie „gut“, damit nichts auf Probleme hindeutet und Ärger erspart bleibt. Bei Hausaufgaben müssen die Eltern ja nicht nur die Lernaufsicht übernehmen , sondern ständig auch ch vergeblich auf die intrinsische Motivation warten. Das galt in der Öffentlichkeit nie als „familienfeindlich“ wie früher die Ganztagsschule, vermutlich, weil es ein schönes Geschäft war, denn die Schule profitierte durch Ausbeutung einer Arbeitskraft, die nichts kostet. Es ist nie berechnet worden, welchen Aufwand die Eltern betreiben und was die Schulen zahlen müssten, wenn Hausaufgabenbetreuung ein reguläres Berufsfeld wäre. Eltern jedenfalls sind die besten „Lernstudios“, die man sich denken kann. Von ihrer Herkunft her ist die deutsche wie die Schweizer Schule eine klassische Unterrichtsschule mit Halbtagsbetrieb. Dieser „Betrieb“ begann - und beginnt - so früh am Morgen, dass man eigentlich nur von einer absichtlich boshaften Unterbrechung des Schlafes sprechen kann. Vielleicht ist damit ja eine Erziehungsabsicht ganz eigener Art verbunden. Auf jeden Fall ist bis heute ist das morgendliche Wecken der Kinder eine veritable Elternleistung, die Durchhaltewillen verlangt und doch öffentlich wenig Anerkennung findet. In diesem Sinne sind Eltern perfekte Unterstützungssysteme. Die Schulen müssen lernen, sich mehr als bisher für die Seite der Eltern zu interessieren und deren Erfahrungen für die eigene Entwicklung zu nutzen. Das ist nicht nur eine Sache der Einstellung. Auch neue Instrumente gehören dazu, wie regelmässige Elternbefragungen, also Feedbacks über den informellen Kontakt hinaus. Schulen werden nicht daran gehindert, sich jährlich mit einem formalisierten Fragebogen, der elektronisch zugänglich ist, dem Urteil ihrer Abnehmer zu stellen. Und niemand hindert sie auch, von diesem Urteil zu lernen. Nicht wenige Schulen befinden sich auf diesem Weg und nehmen die Eltern ernst, etwa wenn die Ergebnisse kommuniziert und konkrete Massnahmen in Aussicht gestellt werden. Ein immer wieder vorgebrachter Vorwurf, den viele Eltern äussern, ist der mangelnder Transparenz der Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler. Wenn Zeugnisse verteilt werden, ist es zu spät, in diese Entwicklung einzugreifen, was viele Eltern gerne täten, weil sie mit den informellen Rückmeldungen der Kinder oft nicht zufrieden sind. Das hängt mit dem Phänomen zusammen, dass viele Schülerinnen und Schüler lieber auf schlechte Zeugnisse warten als ihr Leistungsverhalten zu verändern. Intransparenz bringt für sie kurzfristig Vorteile, wobei die Eltern oft ahnen, was auf sie zukommt. Es gibt in der Schweiz Schulen, die die Eltern regelmässig über den Lernstand ihrer Kinder informieren. Die Schulen legen Datenbänke an, in denen alle Lehrkräfte die Noten der schriftlichen Leistungen eintragen. Die Eltern erhalten dann regelmässig einen Auszug, der sie über den Stand informiert und den sie unterschreiben müssen. Sie können dann beizeiten überlegen, welche Strategien sie ergreifen, wenn ein Leistungsniveau erreicht ist, das weder sie noch ihre Kinder zufrieden stellt. Ein weiteres Ärgernis ist die oft mangelhafte Kenntnis sowohl der Lernziele als auch der genauen Leistungsanforderungen. Auch hier kann man mit einem offenen Zugang Abhilfe schaffen, die Schulen müssen nur darstellen und den Eltern zugänglich machen, was sie in welcher Zeit erreichen wollen und nach welchen Kriterien sie bei der Leistungsbewertung 11 vorgehen. Der Verweis auf den Lehrplan genügt nicht, weil jede Schule im Rahmen der staatlichen Vorgaben letztlich den eigenen Lehrplan verwirklichen muss. Das kann in Gestalt von Monats- oder Jahresplänen geschehen, in die die Eltern Einblick haben. Bezogen auf den Unterricht sind Transparenz und Zielsteuerung längst ein Thema. Die Schulen dürfen nicht einfach nur entgegen nehmen, was kommt, sondern müssen aktiv den Aufbau der Interessen gestalten, nicht bei jedem Schüler gleich, wohl aber als deutlicher Auftrag, Leistungen hervorzubringen. Die Leistungen der Schüler sind stark von ihrem Interesse bestimmt, aber auch davon, dass sie erfahren, in ungeliebten Fächern voranzukommen und dort Erfolg zu haben, wo sie es nicht erwarten. Hier liegt ein wichtiger Testfall für den Schulerfolg und die Probe auf die Anstrengungsbereitschaft. Auch dafür kann viel getan werden kann, dies mit Nutzung neuer Medien und unter aktiver Einbeziehung der Eltern. In manchen Schweizer Sekundarschulen hat jede einzelne Klasse eine eigene Website, auf der sie ihre Leistungen und Produkte präsentieren kann, in Form von Texten, Bildern, Kommentaren und Disputen. Man liest dann als Vater oder Mutter die besten Aufsätze, kann Musterlösungen mathematischer Aufgaben studieren und erhält Einblick in den Kunstunterricht, indem die Abbildungen der Produkte ins Netz gestellt werden. Blogs geben die reflexive Arbeit wieder, die das Lernen begleitet hat. Und für die Schüler ist es sehr anregend, sichtbar zu sein und gar noch zu den Besten zugehören, vielleicht auch dort, wo es nicht für möglich gehalten wurde. Eltern können auf diese Weise auch Lernfortschritte wahrnehmen, was für sie das Kernkriterium ihrer Beurteilung der Schulqualität ist. Der Weg sind klare und explizite Leistungsvereinbarungen, insbesondere im Blick auf zeitlichen Aufwand, abgestimmte Aufgaben und wechselseitige Zusagen, die den Standard festlegen, bis zu dem Elternhäuser ernsthaft in die Arbeit einer Schule eingebunden sind. Auch „Elternarbeit“ kann man sich als Endlosband von ungelösten Aufgaben und immer neuen Forderungen vorstellen, die nur eins nötig haben, nämlich beschränkt zu werden. Angestrebt werden sollte eine begrenzte Kooperation unter der Voraussetzung divergenter Interessen, die eine gemeinsame Schnittmenge finden müssen, ohne die Konflikte auszuklammern. 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