Monika Mazur-Rafał (Internationale Organisation für Migration., Warschau) NATÜRLICHE BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG UND MIGRATION – ERFAHRUNGEN AUS POLEN Zuerst möchte ich mich bei den Organisatoren der Woche der ausländischen Mitbürger für die Einladung sehr herzlich bedanken. Ich freue mich, Ihnen den polnischen Migrationsfall zu präsentieren. Vorstellung der Arbeit vom Z.f.I.B. Ich bin hierher als Mitarbeiterin des Zentrums für Internationale Beziehungen in Warschau eingeladen worden. Inzwischen arbeite ich im Warschauer Büro der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Trotzdem möchte ich die Arbeit des Zentrums f.B. und mein früheres Arbeitsfeld vorstellen. Das Z.f.B. ist eines der wenigen unabhängigen Forschungsinstitute, die in Polen im Bereich der internationalen Politik tätig sind. Der Arbeitsschwerpunkt des Zentrums liegt auf der Außenpolitik Polens sowie den internationalen Problemen, die für die polnische Außenpolitik von Bedeutung sind. Aus diesem Grund gehören auch Migrationsprobleme und die polnische Migrationspolitik zu diesem Arbeitsfeld. Ausgangspunkt des Migrationsprogramms bildete Polens Rolle als künftiger Grenzstaat der EU. Das Programm hatte zum Ziel, die Rolle näher zu definieren und die Bereiche zu nennen, wo Reformen noch notwendig sind. Im Rahmen von diesem Programm haben wir die Erfahrungen von damaligen EUGrenzstaaten (Österreich, Italien und Deutschland) analysiert und polnische 1 Erkenntnisse mit den von anderen künftigen EU-Grenzstaaten (Ungarn) verglichen. Außerdem haben wir eine große internationale Konferenz zu OstWestmigration organisiert. Auf dieser Konferenz thematisierten wir die Probleme und Herausforderungen in Deutschland, Österreich, Griechenland, Vereinigten Staaten, Frankreich, Türkei, Ungarn, Italien, Rumänien, Ukraine, Bulgarien, und Polen. Ein weiterer Themenkomplex waren die Schwierigkeiten bei der Gestaltung einer gemeinsamen europäischen Zuwanderungspolitik. Darüber hinaus beschäftigten wir uns mit der Freizügigkeit in der erweiterten EU. Wir haben die Situation auf dem polnischen Arbeitsmarkt analysiert, insbesondere die Beschäftigung von Ausländern. Außerdem haben wir durch mehrere Veranstaltungen eine öffentliche Debatte über die Notwendigkeit einer nationalen Migrationspolitik Aufmerksamkeit auch auf in Polen die Rolle angestoßen. von NGOs Wir in haben der unsere nationalen Migrationspolitik gerichtet und ein Forum für Migrationspolitik gegründet. Das Forum ist ein Netz von Forschungsinstituten, Universitätseinrichtungen und NGOs, die sich mit dieser Problematik in Polen beschäftigen. Mit dem Forum soll die Zusammenarbeit mit diesen Organisationen verbessern werden. Abgesehen davon haben wir eine Sommerschule zu den Migrationsfragen für deutsche und polnische Studenten ins Leben gerufen. Was die Arbeitsformen Veranstaltungen: betrifft, Konferenzen, so Seminare organisieren etc. wir Außerdem verschiedene bereiten wir Publikationen vor (Büchern, Z.f.B. Reihe Berichte und Analysen, akademische Artikeln und Presseartikeln). Plan des Vortrages Ich freue mich, Ihnen in meinem Vortrag die polnische Migrationssituation darzustellen. Mein Referat wird aus 4 Themenkomplexe bestehen. Zum einen wird dies polnische Migrationssituation in der historischen Perspektive. Danach 2 beschreibe ich die aktuellen Trends. Ich werde dabei auf die deutschpolnischen Migrationsbeziehungen eingehen, insbesondere die Arbeitsmigration. Schließlich werde ich Asylgewährung behandeln. Danach werde ich zum zweiten Themenkomplex kommen, nämlich zu der Politik des polnischen Staates im Bereich der Migration und Asyl. Zum dritten werde ich die demographische Struktur der polnischen Gesellschaft erläutern. Diesen Teil werde ich mit einem Ausblick auf die Zukunft schließen. Der letzte Themenkomplex ist eng verbunden mit der Mitgliedschaft Polens in der EU. Es geht um die Freizügigkeit polnischer Arbeitskräfte und die Übergangsregelungen, die die EU in Bezug auf die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt eingeführt hat. 1. Migrationssituation von Polen Seit Polen geworden nach ist, dem war es Ersten bis Weltkrieg Anfang der wieder ein 1990er unabhängiger Jahre ein Staat typisches Emigrationsland. Dies bestätigen sogar die offiziellen Angaben, auch wenn die nicht ganz glaubwürdig sind (Hier erlaube ich mir zwei Bemerkungen am Rande zur Erklärung meiner Distanz zu den offiziellen Statistiken: Erstens wollte man in der Volkrepublik Polen nicht zugeben, dass Leute fliehen wollen. Zweitens stellen heutige Statistiken nur einen Teil der Wanderungsrealität dar. Als Emigrant wird dort eine Person verstanden, die sich entschieden hat, Polen zu verlassen, um sich im Ausland niederzulassen und sich bei einer Behörde angemeldet hat. Diejenigen, die illegal im Ausland wohnen oder sich nicht angemeldet haben, werden nicht in Statistiken auftauchen. Das gleiche gilt für Immigranten). 3 Nach den großen Migrationsbewegungen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg pendelte sich die polnische Emigration in den 1950er Jahren auf ein Niveau zwischen 2000-3000 Personen jährlich ein, da eine Ausreise kaum möglich war. Die Zahlen stiegen parallel zum politischen Tauwetter wieder an. In den 1960er Jahren hat sich die Emigration auf dem Niveau von etwa 20 000 Personen jährlich stabilisiert. Danach variieren die Auswanderungszahlen in den 1970er Jahren zwischen etwa 10 000 bis 35 000 Personen jährlich und in den 1980er Jahren auf einem höheren Niveau, das heißt zwischen 20 000 und 35 000 Personen jährlich. Die Auswanderung in den 1980er Jahren war besonders gravierend für die polnische Gesellschaft. Den polnischen Angaben zufolge sind im Zeitraum vom 1980 bis 1989 nur etwa 271 000 Personen ausgewandert; in anderen Quellen findet man Schätzungen, denen zufolge in diesem Zeitraum zwischen 1,1 Mio. und 1,3 Mio. Polen emigriert sind, davon die Mehrzahl nach Deutschland. Diese Zahlen werden auf der deutschen Seite bestätigt (Aufnahme von etwa 700-800 000 Personen). Damals haben etwa 15% polnischen Akademikerinnen und Akademiker, vor allem Informatiker, Physiker und Biologen das Land verlassen. Da die Transformation neue Möglichkeiten und Herausforderungen für gut ausgebildete Personen eröffnet hat, ist die Auswanderung zurückgegangen. Trotzdem spielt die Auswanderung immer noch eine größere Rolle als Einwanderung, obwohl letztere an Bedeutung gewinnt. Die Statistiken bestätigen, dass einerseits die jährliche Auswanderungsrate in den 1990er Jahren niedriger war als die in den 1980er Jahren und sich andererseits die absolute Zahl auf dem Niveau von etwa 20 000 Personen jährlich stabilisiert (TAB 1). Zum Beispiel sind 2002 etwa 24. 500 Personen ausgewandert, das heißt 5% mehr als im Vorjahr. Generell war die Auswanderung in den Jahren 2000-2002 größer als im Zeitraum 1996-1999. Gleichzeitig sind nach Polen 6 4 000 Personen eingewandert (38 Personen weniger als im Vorjahr), was im Vergleich zu den Jahren 1995-1998 wesentlich weniger war (damals lag die jährliche Einwanderung auf dem Niveau von 8-9 000). Statistisch gesehen gab es für jeden Immigranten 3.7 Emigranten und diese Tendenz war auch im Zeitraum 2000-2002 zu sehen. Also ist der Wanderungssaldo auch weiterhin negativ (2001: -16.700 Personen) und Polen ist nach wie vor ein Auswanderungsland (TAB 2). Polnische Auswanderer haben im Jahre 2002 vor allem die EU-Länder als Auswanderungsziel gewählt (82.3%), darunter spielt Deutschland traditionell die größte Rolle (72.6%). Andere Aufnahmeländer für polnische Emigranten sind Österreich (2.1%), Frankreich (1.4%) und Italien (1.2%). Nach den Vereinigten Staaten sind etwa 10.9 % aller polnischen Auswanderer emigriert, nach Kanada 4.1%. (TAB 3) Wenn es um die Einwanderer nach Polen geht, dann stammen sie zum größten Teil aus den EU-Ländern (54.3%), den USA und Kanada (20.8 %) sowie Staaten der eh. Sowjetunion (14 %). Die Kategorie EU-Länder wurde durch die deutschen Einwanderer dominiert (35.4 %), eine große Rolle spielten auch Sowjetunion Italien, waren Frankreich die Ukrainer und an Großbritannien. erster Stelle Im Falle (5.3%), der an eh. zweiter Weißrussland (2.0%) und an dritter Russland (1.3%) (TAB 4). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Polen einen negativen Wanderungssaldo mit den EU-Ländern, Nordamerika und Kanada aufweist, mit Bulgarien, Rumänien und dem ehem. Jugoslawien Sowjetunion dagegen einen positiven Wanderungssaldo. Regionale Aufteilung von Aus- und Einwanderern 5 sowie der ehem. 64% der Dolnoslaskie polnischen Auswanderer Voivodschaften kommt (Südwest-Polen). aus Slaskie, Die Opolskie Einwanderer und haben Malopolskie, Mazowieckie und Opolskie gewählt. Charakteristik von Migranten (Geschlecht, Alter und Ausbildung) Unter den Auswanderern gab es mehr Frauen als Männer (2001: 52%, 2002: 51%), unter den Einwanderern gab es seit mehreren Jahren eine Dominanz von Männern (53%). Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Ein- bzw. Auswanderungsland und der Geschlechtstruktur. Unter den Auswanderern in die USA und nach Spanien waren Männer überproportional repräsentiert, während männliche Auswanderer nach Österreich und Italien unterdurchschnittlich repräsentiert waren. Im Falle von Kanada, Frankreich, Deutschland, Holland und Großbritannien gab es ein Gleichgewicht zwischen Frauen und Männern. Unter den Einwanderern waren Männer im Falle von Österreich, Deutschland, Spanien und Großbritannien überrepräsentiert. Das Gegenteil gilt für die Länder der ehem. Sowjetunion (Weißrussland, Ukraine, Russland). Wenn es um die Altersstruktur der Migranten geht, dann sind Frauen generell älter als Männer. Männliche Aus- und Einwanderer zeigen eine ähnliche Alterstruktur auf, unter den Emigranten gibt es mehr unter 20-jährige and mehr über 50-jährige. Bei Einwanderinnen gibt es mehr „jüngere“ (unter 20) und mehr „ältere“ (über 50) als im Falle von Auswanderinnen, bei den die Alterskategorie 20-49 dominiert. Ausbildung 6 Im Jahre 2002 und schon vorher hatten die Einwanderer im Durchschnitt eine höhere Ausbildung als die Auswanderer. Einer von vier Einwanderern im Alter von mehr als 15 Jahren hatte ein Universitätsdiplom, während dies nur bei 1% der Auswanderer der Fall war und dieser Anteil wurde immer geringer in den letzten Jahren. Gleichzeitig hatten nur 14,3 % der Immigranten eine Grundschulausbildung, bei Emigranten war der Anteil höher und lag bei 20,8 %. Aufgrund dieser Daten kann man feststellen, dass es zur Zeit kein „Braindrain-Risiko“ gibt. Trotzdem muss man diese Daten mit Vorsicht betrachten, weil seit 2000 Informationen über die Ausbildung fehlen. Das Hauptamt für Statistik, verantwortlich für die Sammlung und Verarbeitung von Migrantendaten, hat die Rubrik über die Ausbildung in seinen Formularen als fakultativ bezeichnet. Deswegen fehlen in etwa 50% der Fälle Information darüber. Darüber hinaus muss man zugeben, dass die nach Polen eingewanderten Akademiker in der Regel nicht in ihren Berufen arbeiten, sondern ganz einfache Tätigkeiten ausüben, was man schwer als „Braingain“ bezeichnen kann. Arbeitsmigration Generell fehlt es in Polen an ausführlichen Daten. Man kann einerseits die Daten des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Sozialpolitik benutzen, die Arbeitnehmer betreffen, welche Arbeitsverträge im Ausland geschlossen haben und dabei Dienstleistungen der legalen Arbeitsplatzvermittlung genutzt haben. Andererseits registriert das Ministerium Arbeitsangebote und Verträge, die deutsche Arbeitgeber für Saisonjobs für polnische Arbeitnehmer gemacht haben. Außerdem werden im Labour Force Survey Informationen gesammelt über polnische Zeitarbeiter, die mehr als 2 Monate im Ausland bleiben (Hauptamt für Statistik). Die Statistik ist also nicht lückenfrei und betrifft 7 andere Gruppen von Arbeitsmigranten. Daher muss man oft Schätzungen vornehmen. Das zuvor genannte Ministerium schätzt, dass jährlich etwa 600.000 -700.000 Polen im Ausland arbeiten, davon 300-350.000 legal. Die große Mehrheit von ihnen arbeitet auf der Basis bilateraler Verträge. Nur der bilaterale Vertrag mit Deutschland hat sich als erfolgreich gezeigt. Im Jahr 2002 ist die Anzahl von Verträgen für Saisonjobs im Vergleich zu 2001 um 8.3 % gestiegen. Insgesamt haben 275.188 Polen gearbeitet. Die Landwirtschaft hat alle anderen Branchen mit etwa 95% dominiert. Den Informationen von LFS zufolge bleibt die Mehrheit der polnischen Migranten für Arbeitszwecke im Ausland (79% in den Jahren 2001-2002). Deutschland ist immer noch ein Hauptzielland für polnische Arbeitsmigranten. Im zweiten Quartal 2003 arbeiteten dort 33 % aller polnischen Arbeitsmigranten. Dieser Anteil war aber niedriger im Vergleich zum Vorjahr, als der Anteil bei 37% lag und zu 2001, als er bei 40% lag. Im Falle Deutschlands haben kurzfristige Arbeitsmigranten dominiert (67%), ähnlich war es mit Belgien, Frankreich und Spanien. Das Gegenteil gilt für die USA, Italien und Holland, wo vor allem Langzeit-Arbeitsmigranten arbeiten (61%, 55%, 67%). Da der LFS nur Daten über polnische Zeitarbeiter sammelt, die mehr als 2 Monate im Ausland bleiben, man muss aber im Hinterkopf haben, dass in diese Statistiken nur etwa 50% der Arbeitsmigranten eingehen, während die restlichen 50% weggelassen Ein wesentlicher werden. Unterschied zwischen polnischen Arbeitsmigranten und Arbeitsmigranten, die in Polen arbeiten, ist der Anteil an Legalbeschäftigten. Legalbeschäftigung von Ausländern ist in Polen ein seltenes Phänomen. Da der Zugang zu legaler Beschäftigung sehr zeitaufwendig und strikt durch die Behörden reguliert ist, wird ein großer Teil der Ausländer schwarz eingestellt, was öffentlich toleriert wird. 8 Im Jahre 2002 wurden 24.643 Arbeitserlaubnisse ausgestellt, was ein Zuwachs um 24% zum Vorjahr bedeutet. Die Ursache dafür war ein Zuwachs von Arbeitserlaubnissen, die an individuelle Ausländer ausgestellt wurden. In dieser Gruppe haben im Jahr die 2002 Ukrainer dominiert (13.5 %), an der zweiten Stelle haben sich die Deutschen platziert (10.1). Die in Polen arbeitenden Migranten haben in der Regel eine gute Ausbildung: 68.4 % von den haben mehr als einen Oberschuleabschluss, nur 7% hatte nur Berufausbildung. Die meisten Erlaubnisse wurden im Handel ausgestellt (23%), wo aber kein Zuwachs zu beobachten war. In der finanziellen Vermittlung notierte man dagegen einen Zuwachs um 82%, in Immobilien um 77%, in der verarbeitenden Industrie um 56%. Deutsche Arbeitnehmer wurden in der verarbeitenden Industrie eingestellt (35%) sowie im Handel und im Immobiliengeschäft. Die Zahl der illegal in Polen arbeitenden Ausländer betrug nach Schätzungen des Nationalen Arbeitsamtes und verschiedener Forschungseinrichtungen im Jahr 2000 zwischen 600.000 und 900.000 Personen. Davon lebten etwa 100.000 bis 150.000 permanent in Polen. Asyl Am 1.9.2003 ist ein Gesetz über den Schutz von Ausländern in Kraft getreten. Unter den vielen Veränderungen ist die Einführung des sog. tolerierten Status von größter Bedeutung. Dieser Status wird mit der Duldung in Deutschland verglichen, beinhaltet aber in Polen mehrere Rechte Person, der kein Asyl gegeben wurde und die für eine Person. Einer nicht in ihr Land zurückgeschickt werden kann, wird das Recht auf Beschäftigung (ohne sich um eine Erlaubnis bewerben zu müssen), auf Sozialhilfe, auf medizinischen 9 Fürsorge und auf Ausbildung gegeben. Auf diese Weise wurde die Situation von vielen Tschetschenen in Polen geregelt, die bisher allein gelassen wurden und, was ihren Unterhalt betrifft, in einer rechtlich grauen Zone blieben. Im Zeitraum 1992-2002 haben sich 30.000 Personen um den FlüchtlingsStatus beworben (davon 2/3 in den Jahren 1998-2002). Nur etwa 1.700 Personen oder knapp 6% als Flüchtlinge bzw. Asylbewerber wurden anerkannt. Die Hauptherkunftsländer sind die Russische Föderation (v.a. Tschetschenien), Armenien und Afghanistan. Vom Jahr 2000 an wuchs die Anzahl von Anträgen. Die meisten Anträge kamen mit steigender Tendenz von Tschetschenen (im 2000 ein Zuwachs um 846 % im Vergleich zu 1999, von 125 auf 1182). Im Jahre 2003 gab es 2291 Anträge. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2004 (vom Januar bis August) gab es 4.292. Flüchtlingsstatusbewerber in der im Zeitraum 1.1.2001 - 31.5.2003 Gesamt Republik Polen 2001 2002 2003 4528 5169 2291 Russland 1501 Russland 3054 Russland 1730 Afghanistan 598 Indien 138 Armenien 224 Afghanistan 66 Indien 200 Armenien 64 Moldau 169 Irak 60 Armenien Am häufigsten 638 auftretende Afghanistan Staats416 angehörigkeiten Moldau 272 Rumänien 266 Anerkannte Flüchtlinge in der im Zeitraum 1.1.2001 - 31.5.2003 2001 Republik 2002 2003 10 Polen Gesamt 294 279 95 Russland 207 Russland 225 Russland 79 Weißrussland Weißrussland Weißrussland 29 12 5 Am häufigsten auftretende Afghanistan Staats13 angehörigkeiten Somalia 9 Jugoslawien 4 Sri Lanka 6 Afghanistan 5 Liberia 5 Kongo 2 Kongo 5 Irak 60 Polnische Migrationspolitik Nachdem ich die Migrationssituation von Polen präsentiert habe, lassen Sie mich auf ein Problemfeld eingehen, das von den Organisatoren bisher nicht angesprochen wurde. Es geht um die polnische Migrationspolitik, die sich im Laufe der Annäherung an die EU-Standards herausbildete. Polen hat zur Zeit keine Migrationspolitik im Sinne von einer Doktrin, die die Richtung aller Aktivitäten des polnischen Staates angeben würde. Es gibt aber in Polen eine Migrationspolitik im Sinne eines Bündels von Gesetzgebungen sowie Institutionen, die diese Gesetze durchsetzen. Diese Politik hat auf die neuen Entwicklungen reagiert und sich mit der Perspektive einer Mitgliedschaft in der EU und der Notwendigkeit der Anpassung an die EU-Standards Schritt für Schritt herausgebildet. Man kann dabei folgende Phasen unterscheiden: 1) Die Anfänge der polnischen Flüchtlings- und Migrationspolitik 1991-1996 Nach der Einführung der Bewegungsfreiheit wurde der polnische Staat mit großen Bevölkerungsbewegungen konfrontiert. Die einzige rechtliche Grundlage war ein Ausländergesetz von 1963, das nicht der neuen politischen Situation entsprach. Das Gesetz war kurz und sehr allgemein gehalten Die erste Novellierung bestand darin, dass Polen der Genfer Konvention und dem New 11 Yorker Protokoll betrat. Dies waren die ersten näheren Bestimmungen, die den Flüchtlingsstatus und dessen Vergabe regulierten. Kurz danach, 1992, fingen Arbeiten an dem neuen Gesetz an, die 5 Jahre lang dauerten. Erst auf dieser Grundlage wurde Polen 1993 in dem damals neuen deutschen Ausländerrecht als sog. "Sicheres Drittland" eingestuft. Mit der Unterzeichnung des bilateralen Rückübernahmeabkommens mit Deutschland im gleichen Jahr verpflichtete sich Polen, jährlich bis zu 10.000 Flüchtlinge und MigrantInnen, die heimlich über die deutsch-polnische Grenze eingereist waren, zurückzunehmen. Im Gegenzug erhielt Polen zweckgebunden von 1993 bis 1996 insgesamt 120 Mio. Flüchtlingsverwaltungssystems, DM zum zur Aufbau eines Bereitstellung eigenen von Abschiebehafteinrichtungen und zur Abschottung vor allem der westpolnischen Grenze. Trotz dieser Bemühungen konnte man sich in Polen zu der Zeit noch verhältnismäßig unproblematisch ohne Aufenthaltsstatus im Land und dort vor allem in der Nähe größerer Städte aufhalten, auch nach einer Abschiebung aus Deutschland. 2) Die Annäherung an die EU-Standards: die Etablierung eines restriktiven Systems 1996 - 1998 Wie schon zuvor erwähnt brauchte man für die Arbeit an dem neuen Ausländergesetz den langen Zeitraum von 1992 bis 1997. Dies dauerte jedoch nicht deshalb so lange, weil es ein politisch sensibles Thema war, wie etwa in Deutschland, sondern weil es, im Gegenteil, verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit gefunden hat und bis an das Ende der Legislaturperiode geschoben wurde. Wie wir alle wissen, es ist schwierig, am Ende der Legislaturperiode über so ein Gesetz abzustimmen. 12 Trotzdem wurde inzwischen viel unternommen, um die polnischen Grenzen dichter zu machen. Man hat gelernt, welche negativen Konsequenzen offene Grenzen nach sich ziehen können (Schmuggel, Handel von Drogen und gefährlichen Substanzen, Diebstähle). Von daher versuchte man, je nach Möglichkeiten, europäische Standards in dem Bereich umzusetzen. Das Jahr 1996 war ein Wendepunkt in der polnischen Migrations- und Flüchtlingspolitik: der polnische Staat demonstrierte die Bereitschaft, sich an die EU-Standards anzunähern. Im September fanden erste große Hausdurchsuchungsaktionen in Warschauer Vorstädten statt. Innerhalb von wenigen Tagen wurden ca. 400 Flüchtlinge verhaftet und auf Abschiebegefängnisse verteilt. Zuvor war im Juli desselben Jahres die größte Abschiebehaftanstalt, ein sog. Bewachtes Ausländerheim am Rande des Dorfes Lesznowola eröffnet worden. Außerdem wurden sog. Abschiebearreste eingerichtet, die entweder von den Wojewodschaftspolizeien (ca. 25 über das ganze Land verteilt) oder aber direkt im Grenzbereich vom polnischen Grenzschutz (ca. 7-8) betrieben werden. Insgesamt verfügen die polnischen Behörden damit über weit mehr als 500 Abschiebeplätze. Im September 1997 wurde ein neues Ausländergesetz verabschiedet. Dessen Ziel war es, die Freizügigkeit zu sichern und dabei den polnischen Staat vor unerwünschten Personen, die nach Polen kommen und bleiben, zu schützen. Deswegen lag der Schwerpunkt des Gesetzes auf den Bedingungen der Einreise, des Aufenthalts und des Transits durch Polen. Mit dem Gesetz wurden die Schengener Bestimmungen eingeführt, z.B. detaillierte Abschieberegeln, Verantwortung von Transportunternehmen (carrier sanctions) für die Beförderung von Personen ohne Dokumente nach Polen, Bestimmungen über Databanken über Ausländer, insbesondere unerwünschte. Außerdem wurde zusätzlich zu der 13 Erlaubnis für die Niederlassung (Aufenthaltserlaubnis) ein neuer Aufenthaltstitel eingeführt, nämlich die temporäre Aufenthaltgenehmigung. 3) Anpassung an den rechtlichen EU-Besitzstand: von 1997 bis 2004 Das Ausländergesetz von 1997 galt damals als sehr modern und war mit den EU-Normen kompatibel. Trotzdem war relativ schnell die Notwendigkeit der Novellierung entstanden. Im April 2001 wurde dann auch eine tief greifende Novellierung verabschiedet. Damit wurden mehrere Veränderungen eingeführt, unter anderem die Bildung einer Regierungseinrichtung, des Amtes für Repatriierung und Ausländer, die für alle Migrations- und Asylfragen zuständig ist sowie für die Zusammenarbeit mit allen Teilen der Verwaltung. Außerdem wurde ein beschleunigtes Verfahren zur Vorbeugung gegen den Einstieg in die Asylprozedur für Migranten aus den „sicheren Herkunftsstaaten“ und „offensichtlich unbegründete“ Anträge eingeführt, des weiteren die Pflicht von non-refoulement in ein unsicheres Heimatland sowie das Konzept von vorläufigem Schutz (temporary protection). Darüber hinaus wurde das Konzept der Familienzusammenführung eingeführt. Im Juni 2003 wurde das Ausländerrecht weiter novelliert, indem ein neues Konzept der Gesetzgebung eingeführt wurde. Man hat nämlich die Materie des bisherigen Ausländergesetzes in zwei Gesetzestexten umgeschrieben, die am 1. September 2003 in Kraft getreten sind. Der erste, das Ausländergesetz, enthält die Regeln und Bedingungen von Einreise, Aufenthalt und Transit durch Polen von Bürger aus Nicht-EU-Ländern. Das zweite Gesetz über den Schutz von Ausländern enthält Prinzipien und Bedingungen für verschiedene 14 Schutzformen: Flüchtlings-Status, Asyl, temporären Schutz und tolerierten Status (Duldung). Zu den wichtigsten Neuerungen des ersten gehören: - der Aufenthalt auf der Basis eines Visums darf innerhalb eines halben Jahres nicht länger als 3 Monate dauern (früher 6 Monate). Man kann nicht ein erstes und gleichzeitig ein nächstes Visum in Polen beantragen. - Ein Ausländer hat das Recht auf eine temporäre Aufenthaltgenehmigung oder auf eine Aufenthalterlaubnis nur dann, wenn er im Gesetz beschriebene Kriterien erfüllt. Früher hatte ein Ausländer dieses Recht, aber die lokalen Behörden hatten einen Entscheidungsspielraum. - Ein ausländischer Ehegatte kann das Recht zur Niederlassung bekommen, nachdem er 2 Jahre mit einer temporären Aufenthaltgenehmigung in Polen gelebt hat (früher nach 5 Jahren). Mit dem Ausländergesetz wurde die erste Regularisierungsaktion (abolicja) in der Geschichte durchgeführt. Die Aktion war für diejenigen Migranten gedacht, die sich mehrere Jahre illegal in Polen aufhielten. Diejenigen, die mindestens 6 Jahren ohne Pause in Poland gelebt hatten (vom 1.1.1997), eine Unterkunft und finanzielle Mittel zur Deckung der notwendigen Ausgaben (oder ein Arbeitsplatzversprechen vom Arbeitgeber) vorlegen konnten, bekamen nun das Recht im Zeitraum vom 1.9.03 und 31.12.03, einen Antrag auf eine jährliche temporäre Aufenthaltsgenehmigung zu stellen. Auf diese Weise konnten sie ihren Aufenthalt in Polen legalisieren. Die meisten Anträge stellten Bürger aus Armenien und Vietnam (1447 und 1296 von 3218). Die meisten davon in Mazowieckie (33.9%), Malopolskie (13.5%) und Dolnoslaskie (10.3). Das Ausländergesetz aus dem Jahre 2001 schuf auch eine Möglichkeit der Abreise aus Polen ohne Konsequenzen für diejenigen, die die oben genannten Kriterien nicht erfüllten, d.h. die kürzer als 6 Jahre in Polen lebten. Diese 15 Personen sollten nur die Polizei oder den Grenzschutz im Zeitraum September – Oktober 2003 benachrichtigen. Auf dieser Basis wurden 282 Ausländer nach Hause geschickt. Diese Gruppe wurde durch Ukrainern dominiert (49%). Zu dem rechtlichen Besitzstand, der die Migrationsfragen in Polen reguliert gehört auch das Repatriierungsgesetz, das den Status von Repatrianten reguliert. Außerdem wurden im Juli 2002 auch Prinzipien von Einreise und Aufenthalt für EU-Bürger und deren Familienmitglieder eingeführt, die mit dem EU-Beitritt in Kraft getreten sind. Ein letzter Punkt zur Entwicklung der Migrationspolitik in Polen bildet die Einführung des Visaregimes vom 1.10.2003 für die Bürger der Ukraine, Weißrusslands und Russlands. Bisher gibt es keine Integrationspolitik gegenüber Migranten. Eine Hilfe des Staates wird nur den anerkannten Flüchtlingen in Form von Teilnahme an Sprachkursen und finanzieller Hilfe geleistet, die aber sehr niedrig ist. Die Beamten des Amtes für Repatriierung und Ausländer sehen die Notwendigkeit einer Integrationspolitik, der politische Wille fehlt jedoch. Bisher wurden keine Entscheidungen in dem Bereich getroffen. Ausblick: Man schätzt, dass Polen als EU-Mitglied an Attraktivität für Migration gewinnen wird und dass sich der Trend vom Auswanderungs- zum Transitund Einwanderungsland fortsetzen wird. Es gibt aber auch Experten, die der Meinung sind, dass sich Polen sehr lange (in der Perspektive von 20 Jahren) nicht zu einem Einwanderungsland etablieren wird – zum einen wegen der relativ geringen Attraktivität in finanzieller Hinsicht, zum anderen wegen der wenigen Großstädte, in denen sich Ausländer wohl fühlen und integrieren aber 16 auch wegen der Einstellung der polnischen Gesellschaft, die die Ausländer als Konkurrenten bei der Verteilung der sowieso knappen öffentlichen Mittel wahrnimmt. Bevölkerungsentwicklung Die Bevölkerungszahl Polens nahm 1999 ab. Erstmals seit dem 2. Weltkrieg übertraf die Zahl der Verstorbenen die der Neugeborenen. Ferner wies das Land im selben Zeitraum einen negativen Wanderungssaldo auf. 1999 schrumpfte die Bevölkerung um 13.000 Einwohner. Zwar ist der Rückgang de facto vor allem auf Migration zurückzuführen, da allein die Differenz zwischen Ab- und Zuwanderung 12.000 Personen betrug. Im Jahre 2002 gab es in Polen eine Volkszählung, deren Ergebnissen zufolge Polen 38 230 080 Einwohner hat. Im Vergleich zu der letzten Volkszählung im Jahre 1988 ist die Bevölkerungszahl um 351.000 gewachsen also um etwa 1%. Seit der Volkszählung 1988 hat sich auch die Altersstruktur stark geändert. Die Ursache dafür waren das Schieben von geburtenreichen und –schwachen Jahrgänge durch verschieden Gruppen von Bevölkerung und der seit 1990er Jahren beobachtete Rückgang der Fruchtbarkeitsrate sowie eine durchschnittliche Verlängerung der Lebensdauer. Insgesamt ist das Phänomen der Überalterung der polnischen Gesellschaft auch zu sehen. Im Zeitraum zwischen den Volkszählungen hat sich die Anzahl der Personen im Alter von 15 Jahre und um mehr als 3 Mio. (10,7%) erhöht. Dagegen ist die Anzahl von Kindern (0-14 Jahren) um 2,7 Mio. zurückgegangen, was die Folge eines massiven Rückgangs der Geburtenzahlen in den 1990er war. Von daher ist der Anteil von Personen im Alter vor der Erwerbstätigkeit (0-17 Jahren) von 30% im Jahr 1988 auf 23,2% im Jahr 2002 gesunken. Diese 17 Differenz hat die Städtebewohner stärker betroffen als die Dorfbewohner. Dieser Rückgang war die Folge einer sinkenden Geburtenrate (von 564 400 Geburten im 1989 auf 353 800 im 2002) sowie das Erreichen der Volljährigkeit durch die Personen, die in der ersten Hälfte der 1980er geboren wurden, d.h. während des letzten demographischen Hochs. Im Vergleich zum Jahr 1988 sind die Anzahl (um mehr als 1.8 Mio.) und der Anteil (um 4.2 Punkte) von der Bevölkerung im Produktionsalter gestiegen. Dabei ist die Gruppe im Mobilalter (18-44 Jahren) unverändert geblieben, während die Anzahl und der Anteil der Bevölkerung im nichtmobilen Alter, d.h. 45-64 Jahren für Männer und 45-59 Jahren für Frauen gewachsen ist (um 1 748 000 Personen und um 4,4 Punkten). Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Personen von dem demographischen Hoch der 1950er Jahren das Alter von zumindest 45 Jahren erreicht haben. Der Anteil von den Personen im Postproduktionsalter ist vom Niveau von 12,5% im Jahr 1998 auf 15,0% gestiegen, in absoluten Zahlen macht das ein Wachstum um 1 Mio. Personen aus. Aufgrund der vorhin genannten Veränderungen entfallen im Jahr 2002 auf 1000 Personen im Produktionsalter 618 Personen im Nichtproduktionsalter, während es im Jahre 1988 736 Personen waren. Dieses Verhältnis wird sich jedoch umkehren, wenn die heutige Generation im Produktionsalter das Rentenalter erreicht. Wenn man die Entwicklung seit den 80er Jahren betrachtet, fällt v.a. der massive Rückgang der Geburten auf: von 723.000 (1983) auf 382.000 im Jahr 1999. Die Geburtenrate ist gesunken: auf 1000 Personen entfielen 2000 9.8 Kinder, wohingegen es 1990 noch 14.3 gab. Parallel dazu sank die Gesamtfruchtbarkeitsrate von 2,2 (1990) auf 1,4 Kinder pro Frau (1999) und 1,25 (2003), d.h. unter das so genannte Ersatzniveau. Die Zahl der Todesfälle, 18 deren Entwicklung relativ konstant war, lag 1999 mit 383.000 erstmals höher als die der Geburten. Auch der steigenden Eintritt geburtenstarker Geburtenzahlen Jahrgänge führen. Insgesamt werde zunächst erkennt man, nicht dass zu sich polnische Frauen heute vergleichsweise weniger Kinder wünschen und zudem ihre Geburten in ein höheres Alter verschieben. Während 1999 das durchschnittliche Alter von Frauen bei der ersten Geburt 27 Jahre betrug, soll es der aktuellen Bevölkerungsprognose des Statistischen Amtes zufolge bis zum Jahr 2015 auf 29 Jahre ansteigen. Die Ursache für die beschriebene Veränderung des generativen Verhaltens wird in der individuellen Anpassung an marktwirtschaftliche Strukturen, hoeheres Ausbildungsniveau, Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, sinkende staatliche Sozialleistungen und schwierige sozioökonomische Bedingungen gesehen. Verglichen mit 1990 hat sich die Zahl der Universitätsabsolventen verdreifacht. Zur Zeit studieren über 1,3 Mio. Polinnen und Polen, während 1990 nur etwa 400.000 Studierende an den Universitäten eingeschrieben waren. Ein großer Zuwachs des Ausbildungsniveaus betrifft Frauen: während im Jahre 1988 nur die Hälfte mehr als einen Grundschulabschluss hatte, sind es heute mehr als 62 % (analog für 59% der Männer im Jahr 1988 und 67% im Jahr 2002). Frauen haben häufiger als Männer das Abitur, etwa 11% haben einen Universitätsabschluss. Im selben Zeitraum stieg das durchschnittliche Heiratsalter der Frauen von 22 auf 24 Jahre. Insgesamt erkennt man eine Angleichung an das westeuropäische Familienmodell mit späten Geburten und lediglich ein oder zwei Kindern. Man schätzt, dass wegen diesen ungünstigen Tendenzen Polen auch ein Einwanderungsland werden wird und zwar im Jahre 2006. 19 Freizügigkeit Bei keinem Verhandlungskapitel klafften die Auffassungen so weit auseinander wie bei der Frage der Freizügigkeit, d.h. bei dem Recht zur freien Arbeitsaufnahme in den Mitgliedstaaten von den Arbeitnehmern aus den EUBeitrittstaaten. Die stärkste Auseinandersetzung gab es zwischen Deutschland und Polen, wegen der geographischen Nähe, der bestehenden Netzwerke von polnischen Arbeitnehmern in Deutschland, eines in Deutschland sehr hoch geschätzten Auswanderungspotentials von Polen sowie der schwierigen Situation auf den Arbeitsmärkten der beiden Länder. An der Debatte haben auch Österreich und die Tschechische Republik aktiv teilgenommen. Ich werde mich auf den deutsch-polnischen Fall konzentrieren. Sie können sich noch an die Argumente erinnern, die von beiden Seiten vorgetragen wurden. Auf der deutschen Seite wurde häufig gesagt, dass die Einführung der Freizügigkeit für die Bürger der Beitrittskandidaten in eine große Zuwanderungswelle verursachen wird, die: 1) zum härteren Druck auf Tariflöhne führen wird: bei unveränderter Nachfrage führt ein Überangebot zu sinkenden Löhnen 2) zum Anstieg der Erwerbslosigkeit führen wird: bei unveränderter Nachfrage verdrängt ein Überangebot das bestehende Angebot 3) zunehmende Haushaltsausgaben, weil Ausländer häufig eine kostspielige Sozialinfrastruktur erfordern (z.B. Bildung, Wohnungen, etc.) und ihre Sozialleistungen über denen der einheimischen Familien liegen 4) Verfall des gesellschaftlichen Lebens: die Multikulti-Gesellschaft kann das soziale Gleichgewicht in eine Schieflage bringen 5) Regionale Differenzierung: ausländische Arbeitskräfte wandern meistens in die wirtschaftlichen Schwerpunktregionen 6) Verschlechterung der Zahlungsbilanz: durch verstärkte Devisenausfuhren (Geldüberweisungen) 20 7) Hohe Rekrutierungs-, Reise-, Personalkosten (in der Verwaltung). Aufgrund der zuvor ausgeführten Argumente und großen Ängsten, die in der deutschen Gesellschaft zu beobachten waren, sprach sich die Bundesregierung für eine maximal siebenjährige Übergangsfrist schon im Dezember 2000 aus. Dabei sollte es aber auch möglich sein, einerseits diese Frist für einzelne Beitrittskandidaten nach einer bestimmten Zeit zu verkürzen und andererseits einseitig Arbeitsmärkte der alten Mitgliedstaaten vor Ablauf der Frist auf eine kontrollierbare Weise zu öffnen. Darüber hinaus hat der Bundeskanzler vorgeschlagen, dass die Dienstleistungsfreiheit in Teilbereichen, insbesondere in der Bauwirtschaft und im Handwerk eingeschränkt wird. Er argumentierte, dass die Einführung von Übergangsfristen im Interesse der beiden Seiten liegt. Uneingeschränkte Freizügigkeit der Arbeitskräfte aus den Beitrittsländern vom ersten Tag der Mitgliedschaft sei für den deutschen Arbeitsmarkt nicht zu verkraften. Dahingegen sollten die Beitrittskandidaten nicht abrupt ihre qualifiziertesten Arbeitskräfte verlieren. Deutschland hat zu dem Vorschlag EU-Partner gewonnen. Letztendlich hat die EU-Kommission den Vorschlag von Bundeskanzler Schröder als eine der fünf Optionen in ihrem Informationspapier vom 7. März 2001 miteinbezogen. Im Endergebnis hat man im Laufe der Beitrittsverhandlungen festgelegt, dass die Übergangsfrist mit der Formel 2+3+2 bezeichnet wird. Diese Formel bedeutet, dass die bestehenden Einschränkungen im Zugang zum Arbeitsmarkt schon nach den ersten 2 Jahren der Übergangsfrist von den alten Mitgliedstaaten abgeschafft werden können. Im Falle von Störungen auf dem Arbeitsmarkt kann die Übergangsfrist um weitere 3 Jahren verlängert werden. Polen kann die gleichen Einschränkungen gegenüber den Bürger der alten EU anwenden. Während der Übergangsfrist haben die Bürger der neu beigetretenen Länder 21 das Recht, beim Zugang zum EU-Arbeitsmarkt vor den Bürger der Drittstaaten eingestellt zu werden. Nach 2 Jahren kann die Übergangsfrist um weitere 3 Jahren verlängert werden. Nach 5 Jahren ist die Verlängerung weiterhin möglich. Die interessierten Mitgliedstaaten müssen dann begründen, dass der Zufluss von Arbeitskräften von neuen Beitrittsländer Störungen verursacht. Im Fall von Deutschland und Österreich betrifft diese Übergangsfrist auch Dienstleistungen durch Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten in einigen Wirtschaftsbranchen (in erster Linie im Bauwesen). Die polnische Seite argumentierte dagegen, dass die Freizügigkeit für Polen eine der wichtigsten Grundfreiheiten der Europäschen Gemeinschaft ist. Man ist davon ausgegangen, dass die gleichen Pflichten von der gleichen Rechten begleitet werden sollten. Für Polen war eine Mitgliedschaft mit langen Übergangsfristen in dem Bereich eine Mitgliedschaft der zweiten Klasse. Von daher hatte die polnische politische Klasse Angst davor, dass die Gesellschaft so eine Mitgliedschaft nicht akzeptieren würde. In dem polnischen Verhandlungsstandpunkt hat man erklärt, das Freizügigkeitsprinzip der Arbeitnehmer ohne Abstriche zum Zeitpunkt des EUBeitritts einzubringen. Parallel zu den Politikern debattierten auch Wissenschaftler miteinander. Zahlreiche Forschungszentren haben mehrere ganz unterschiedliche Berichte erstellt und darin versucht, bei der EU-Erweiterung die Auswirkungen auf die jeweiligen Arbeitsmärkte zu prognostizieren. Auf der polnischen Seite setzte man sich mit den Argumenten der deutschen Seite auseinander, indem man versuchte, 22 diese zu versachlichen. Man verstand, dass eine flexible Kompromisslösung gefunden werden muss, weil es viel emotionellen Zündstoff in Deutschland gibt. Man konnte aber nicht diejenigen schwarzen Szenarien teilen, die massenhafte Zuwanderung aus Polen nach Deutschland darstellten. Gegen diese Medienbilder sprachen Ergebnisse der Forschung. Die Prognoseergebnisse zum Arbeitskräftetransfer im Kontext der EU-Osterweiterung gingen (abgesehen von wenigen Ausnahmen) kaum auseinander und bewegten sich im allgemeinen zwischen einigen hunderttausend Zuwanderern im Schnitt von 5-7 Jahren, erreichten etwa eine Million innerhalb von 30 Jahren, die überwiegend nach Deutschland wollen. So ein Zuwanderungsniveau hielten Wissenschaftler für spürbar für die deutsche Gesellschaft, aber nicht so stark, insbesondere angesichts des bestehenden Arbeitskräftemangels, der aufgrund von der Veralterung der westlichen Gesellschaften entstanden ist. Die polnische Seite wollte die Schätzungen bez. des Auswanderungspotentials noch näher an die polnische Realität bringen und auf diese Weise realistischer machen. Es ist keine Frage, dass es in der Regel große Lohnunterschiede zwischen Deutschland und Polen gibt sowie dass das Niveau der Arbeitslosigkeit in Polen sehr hoch ist (heutzutage mehr als 19%). Aus diesen zwei Faktoren lässt sich aber keine wahrhafte Prognose der Zuwanderung machen. Dazu muss man eine Reihe von zusätzlichen soziokulturellen Faktoren berücksichtigen, wie z.B.: Kenntnisse der Sprache und der Lebensverhältnisse des Gastlandes, Bereitschaft zur Ausreise, Mobilität sowie eine ökonomische Kalkulation. Man hat keine Verbindung zwischen dem Niveau der Arbeitslosigkeit und tatsächlicher Auswanderung in der Forschung gefunden. Die Arbeitslosen sind in der Regel nicht diejenigen, die Arbeit im Ausland suchen. Wie ich schon früher angedeutet habe, typische Emigranten aus Polen unterscheiden sich wesentlich von der polnischen Emigration in den 1980er Jahren. Heutzutage sind das schlecht ausgebildete Arbeitskräfte, ohne 23 Sprachkenntnisse, die sich der neuen Realität nach der Transformation in Polen nicht angepasst haben. Solche Zuwanderer sind keine Konkurrenten für einheimische Arbeitskräfte, die sowieso einige Tätigkeiten nicht annehmen würden. Die Zuwanderer füllen Nischen auf dem Arbeitsmarkt und machen diesen flexibler. Letztendlich musste man die Übergangsfristen in Polen akzeptieren. Man hatte die Hoffnung, dass einige EU-Länder ihre Arbeitsmärkte vom ersten Tag an öffnen. Dies haben nur Großbritannien, Irland und Schweden gemacht. Von daher ist auch die Bilanz der ersten Monate der EU-Mitgliedschaft Polens in der öffentlichen Meinung sehr ambivalent. Damit werde ich meinen Beitrag abschließen. Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und stehe Ihnen für Ihre Fragen zur Verfügung. * Statistischen Daten stammen aus: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Sozialpolitik, Amt für Repatriierung und Ausländer, Hauptamt für Statistik, Grenzschutz 24