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Monika Mazur-Rafał
(Internationale Organisation für Migration., Warschau)
NATÜRLICHE BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG
UND
MIGRATION – ERFAHRUNGEN
AUS
POLEN
Zuerst möchte ich mich bei den Organisatoren der Woche der ausländischen
Mitbürger für die Einladung sehr herzlich bedanken. Ich freue mich, Ihnen den
polnischen Migrationsfall zu präsentieren.
Vorstellung der Arbeit vom Z.f.I.B.
Ich bin hierher als Mitarbeiterin des Zentrums für Internationale Beziehungen
in Warschau eingeladen worden. Inzwischen arbeite ich im Warschauer Büro
der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Trotzdem möchte ich die
Arbeit des Zentrums f.B. und mein früheres Arbeitsfeld vorstellen. Das Z.f.B. ist
eines der wenigen unabhängigen Forschungsinstitute, die in Polen im Bereich
der internationalen Politik tätig sind. Der Arbeitsschwerpunkt des Zentrums
liegt auf der Außenpolitik Polens sowie den internationalen Problemen, die für
die polnische Außenpolitik von Bedeutung sind. Aus diesem Grund gehören
auch
Migrationsprobleme
und
die
polnische
Migrationspolitik
zu
diesem
Arbeitsfeld.
Ausgangspunkt des Migrationsprogramms bildete Polens Rolle als künftiger
Grenzstaat der EU. Das Programm hatte zum Ziel, die Rolle näher zu
definieren und die Bereiche zu nennen, wo Reformen noch notwendig sind. Im
Rahmen von diesem Programm haben wir die Erfahrungen von damaligen EUGrenzstaaten (Österreich, Italien und Deutschland) analysiert und polnische
1
Erkenntnisse
mit
den
von
anderen
künftigen
EU-Grenzstaaten
(Ungarn)
verglichen. Außerdem haben wir eine große internationale Konferenz zu OstWestmigration
organisiert.
Auf
dieser
Konferenz
thematisierten
wir
die
Probleme und Herausforderungen in Deutschland, Österreich, Griechenland,
Vereinigten Staaten, Frankreich, Türkei, Ungarn, Italien, Rumänien, Ukraine,
Bulgarien, und Polen. Ein weiterer Themenkomplex waren die Schwierigkeiten
bei der Gestaltung einer gemeinsamen europäischen Zuwanderungspolitik.
Darüber hinaus beschäftigten wir uns mit der Freizügigkeit in der erweiterten
EU. Wir haben die Situation auf dem polnischen Arbeitsmarkt analysiert,
insbesondere die Beschäftigung von Ausländern. Außerdem haben wir durch
mehrere Veranstaltungen eine öffentliche Debatte über die Notwendigkeit einer
nationalen
Migrationspolitik
Aufmerksamkeit
auch
auf
in
Polen
die
Rolle
angestoßen.
von
NGOs
Wir
in
haben
der
unsere
nationalen
Migrationspolitik gerichtet und ein Forum für Migrationspolitik gegründet. Das
Forum ist ein Netz von Forschungsinstituten, Universitätseinrichtungen und
NGOs, die sich mit dieser Problematik in Polen beschäftigen. Mit dem Forum
soll
die
Zusammenarbeit
mit
diesen
Organisationen
verbessern
werden.
Abgesehen davon haben wir eine Sommerschule zu den Migrationsfragen für
deutsche und polnische Studenten ins Leben gerufen.
Was
die
Arbeitsformen
Veranstaltungen:
betrifft,
Konferenzen,
so
Seminare
organisieren
etc.
wir
Außerdem
verschiedene
bereiten
wir
Publikationen vor (Büchern, Z.f.B. Reihe Berichte und Analysen, akademische
Artikeln und Presseartikeln).
Plan des Vortrages
Ich freue mich, Ihnen in meinem Vortrag die polnische Migrationssituation
darzustellen. Mein Referat wird aus 4 Themenkomplexe bestehen. Zum einen
wird dies polnische Migrationssituation in der historischen Perspektive. Danach
2
beschreibe ich die aktuellen Trends. Ich werde dabei auf die deutschpolnischen Migrationsbeziehungen eingehen, insbesondere die Arbeitsmigration.
Schließlich werde ich Asylgewährung behandeln. Danach werde ich zum
zweiten Themenkomplex kommen, nämlich zu der Politik des polnischen
Staates im Bereich der Migration und Asyl.
Zum
dritten
werde
ich
die
demographische
Struktur
der
polnischen
Gesellschaft erläutern. Diesen Teil werde ich mit einem Ausblick auf die
Zukunft schließen.
Der letzte Themenkomplex ist eng verbunden mit der Mitgliedschaft Polens in
der EU. Es geht um die Freizügigkeit polnischer Arbeitskräfte und die
Übergangsregelungen, die die EU in Bezug auf die Situation auf dem
deutschen Arbeitsmarkt eingeführt hat.
1. Migrationssituation von Polen
Seit
Polen
geworden
nach
ist,
dem
war
es
Ersten
bis
Weltkrieg
Anfang
der
wieder
ein
1990er
unabhängiger
Jahre
ein
Staat
typisches
Emigrationsland. Dies bestätigen sogar die offiziellen Angaben, auch wenn die
nicht ganz glaubwürdig sind (Hier erlaube ich mir zwei Bemerkungen am
Rande zur Erklärung meiner Distanz zu den offiziellen Statistiken: Erstens
wollte man in der Volkrepublik Polen nicht zugeben, dass Leute fliehen wollen.
Zweitens stellen heutige Statistiken nur einen Teil der Wanderungsrealität dar.
Als Emigrant wird dort eine Person verstanden, die sich entschieden hat,
Polen zu verlassen, um sich im Ausland niederzulassen und sich bei einer
Behörde angemeldet hat. Diejenigen, die illegal im Ausland wohnen oder sich
nicht angemeldet haben, werden nicht in Statistiken auftauchen. Das gleiche
gilt für Immigranten).
3
Nach den großen Migrationsbewegungen im Zusammenhang mit dem Zweiten
Weltkrieg pendelte sich die polnische Emigration in den 1950er Jahren auf
ein Niveau zwischen 2000-3000 Personen jährlich ein, da eine Ausreise kaum
möglich war. Die Zahlen stiegen parallel zum politischen Tauwetter wieder an.
In den 1960er Jahren hat sich die Emigration auf dem Niveau von etwa
20 000
Personen
jährlich
stabilisiert.
Danach
variieren
die
Auswanderungszahlen in den 1970er Jahren zwischen etwa 10 000 bis
35 000 Personen jährlich und in den 1980er Jahren auf einem höheren
Niveau, das heißt zwischen 20 000 und 35 000 Personen jährlich. Die
Auswanderung in den 1980er Jahren war besonders gravierend für die
polnische Gesellschaft. Den polnischen Angaben zufolge sind im Zeitraum vom
1980 bis 1989 nur etwa 271 000 Personen ausgewandert; in anderen Quellen
findet man Schätzungen, denen zufolge in diesem Zeitraum zwischen 1,1 Mio.
und 1,3 Mio. Polen emigriert sind, davon die Mehrzahl nach Deutschland.
Diese Zahlen werden auf der deutschen Seite bestätigt (Aufnahme von etwa
700-800 000 Personen). Damals haben etwa 15% polnischen Akademikerinnen
und Akademiker, vor allem Informatiker, Physiker
und Biologen das Land
verlassen.
Da die Transformation neue Möglichkeiten und Herausforderungen für gut
ausgebildete Personen eröffnet hat, ist die Auswanderung zurückgegangen.
Trotzdem spielt die Auswanderung immer noch eine größere Rolle als
Einwanderung,
obwohl
letztere
an
Bedeutung
gewinnt.
Die
Statistiken
bestätigen, dass einerseits die jährliche Auswanderungsrate in den 1990er
Jahren niedriger war als die in den 1980er Jahren und sich andererseits die
absolute Zahl auf dem Niveau von etwa 20 000 Personen jährlich stabilisiert
(TAB 1). Zum Beispiel sind 2002 etwa 24. 500 Personen ausgewandert, das
heißt 5% mehr als im Vorjahr. Generell war die Auswanderung in den Jahren
2000-2002 größer als im Zeitraum 1996-1999. Gleichzeitig sind nach Polen 6
4
000 Personen eingewandert (38 Personen weniger als im Vorjahr), was im
Vergleich zu den Jahren 1995-1998 wesentlich weniger war (damals lag die
jährliche Einwanderung auf dem Niveau von 8-9 000). Statistisch gesehen gab
es für jeden Immigranten 3.7 Emigranten und diese Tendenz war auch im
Zeitraum 2000-2002 zu sehen. Also ist der Wanderungssaldo auch weiterhin
negativ
(2001:
-16.700
Personen)
und
Polen
ist
nach
wie
vor
ein
Auswanderungsland (TAB 2).
Polnische Auswanderer haben im Jahre 2002 vor allem die EU-Länder als
Auswanderungsziel gewählt (82.3%), darunter spielt Deutschland traditionell
die größte Rolle (72.6%). Andere Aufnahmeländer für polnische Emigranten
sind Österreich (2.1%), Frankreich (1.4%) und Italien (1.2%). Nach den
Vereinigten Staaten sind etwa 10.9 % aller polnischen Auswanderer emigriert,
nach Kanada 4.1%. (TAB 3)
Wenn es um die Einwanderer nach Polen geht, dann stammen sie zum
größten Teil aus den EU-Ländern (54.3%), den USA und Kanada (20.8 %)
sowie Staaten der eh. Sowjetunion (14 %). Die Kategorie EU-Länder wurde
durch die deutschen Einwanderer dominiert (35.4 %), eine große Rolle
spielten
auch
Sowjetunion
Italien,
waren
Frankreich
die
Ukrainer
und
an
Großbritannien.
erster
Stelle
Im
Falle
(5.3%),
der
an
eh.
zweiter
Weißrussland (2.0%) und an dritter Russland (1.3%) (TAB 4).
Zusammenfassend
lässt
sich
sagen,
dass
Polen
einen
negativen
Wanderungssaldo mit den EU-Ländern, Nordamerika und Kanada aufweist, mit
Bulgarien,
Rumänien
und
dem
ehem.
Jugoslawien
Sowjetunion dagegen einen positiven Wanderungssaldo.
Regionale Aufteilung von Aus- und Einwanderern
5
sowie
der
ehem.
64%
der
Dolnoslaskie
polnischen
Auswanderer
Voivodschaften
kommt
(Südwest-Polen).
aus
Slaskie,
Die
Opolskie
Einwanderer
und
haben
Malopolskie, Mazowieckie und Opolskie gewählt.
Charakteristik von Migranten (Geschlecht, Alter und Ausbildung)
Unter den Auswanderern gab es mehr Frauen als Männer (2001: 52%, 2002:
51%), unter den Einwanderern gab es seit mehreren Jahren eine Dominanz
von Männern (53%). Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Ein- bzw.
Auswanderungsland und der Geschlechtstruktur. Unter den Auswanderern in
die USA und nach Spanien waren Männer überproportional repräsentiert,
während
männliche
Auswanderer
nach
Österreich
und
Italien
unterdurchschnittlich repräsentiert waren. Im Falle von Kanada, Frankreich,
Deutschland, Holland und Großbritannien gab es ein Gleichgewicht zwischen
Frauen und Männern.
Unter den Einwanderern waren Männer im Falle von Österreich, Deutschland,
Spanien und Großbritannien überrepräsentiert. Das Gegenteil gilt für die
Länder der ehem. Sowjetunion (Weißrussland, Ukraine, Russland).
Wenn es um die Altersstruktur der Migranten geht, dann sind Frauen generell
älter als Männer. Männliche Aus- und Einwanderer zeigen eine ähnliche
Alterstruktur auf, unter den Emigranten gibt es mehr unter 20-jährige and
mehr über 50-jährige. Bei Einwanderinnen gibt es mehr „jüngere“ (unter 20)
und mehr „ältere“ (über 50) als im Falle von Auswanderinnen, bei den die
Alterskategorie 20-49 dominiert.
Ausbildung
6
Im Jahre 2002 und schon vorher hatten die Einwanderer im Durchschnitt eine
höhere Ausbildung als die Auswanderer. Einer von vier Einwanderern im Alter
von mehr als 15 Jahren hatte ein Universitätsdiplom, während dies nur bei
1% der Auswanderer der Fall war und dieser Anteil wurde immer geringer in
den letzten Jahren. Gleichzeitig hatten nur 14,3 % der Immigranten eine
Grundschulausbildung, bei Emigranten war der Anteil höher und lag bei 20,8
%. Aufgrund dieser Daten kann man feststellen, dass es zur Zeit kein
„Braindrain-Risiko“
gibt.
Trotzdem
muss
man
diese
Daten
mit
Vorsicht
betrachten, weil seit 2000 Informationen über die Ausbildung fehlen. Das
Hauptamt für Statistik, verantwortlich für die Sammlung und Verarbeitung von
Migrantendaten, hat die Rubrik über die Ausbildung in seinen Formularen als
fakultativ bezeichnet. Deswegen fehlen in etwa 50% der Fälle Information
darüber.
Darüber
hinaus
muss
man
zugeben,
dass
die
nach
Polen
eingewanderten Akademiker in der Regel nicht in ihren Berufen arbeiten,
sondern ganz einfache Tätigkeiten ausüben, was man schwer als „Braingain“
bezeichnen kann.
Arbeitsmigration
Generell fehlt es in Polen an ausführlichen Daten. Man kann einerseits die
Daten des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Sozialpolitik benutzen, die
Arbeitnehmer betreffen, welche Arbeitsverträge im Ausland geschlossen haben
und dabei Dienstleistungen der legalen Arbeitsplatzvermittlung genutzt haben.
Andererseits registriert das Ministerium Arbeitsangebote und Verträge, die
deutsche Arbeitgeber für Saisonjobs für polnische Arbeitnehmer gemacht
haben. Außerdem werden im Labour Force Survey Informationen gesammelt
über polnische Zeitarbeiter, die mehr als 2 Monate im Ausland bleiben
(Hauptamt für Statistik). Die Statistik ist also nicht lückenfrei und betrifft
7
andere Gruppen von Arbeitsmigranten. Daher muss man oft Schätzungen
vornehmen. Das zuvor genannte Ministerium schätzt, dass jährlich etwa
600.000 -700.000 Polen im Ausland arbeiten, davon 300-350.000 legal. Die
große Mehrheit von ihnen arbeitet auf der Basis bilateraler Verträge. Nur der
bilaterale Vertrag mit Deutschland hat sich als erfolgreich gezeigt. Im Jahr
2002 ist die Anzahl von Verträgen für Saisonjobs im Vergleich zu 2001 um
8.3
%
gestiegen.
Insgesamt
haben
275.188
Polen
gearbeitet.
Die
Landwirtschaft hat alle anderen Branchen mit etwa 95% dominiert.
Den Informationen von LFS zufolge bleibt die Mehrheit der polnischen
Migranten für Arbeitszwecke im Ausland (79% in den Jahren 2001-2002).
Deutschland ist immer noch ein Hauptzielland für polnische Arbeitsmigranten.
Im
zweiten
Quartal
2003
arbeiteten
dort
33
%
aller
polnischen
Arbeitsmigranten. Dieser Anteil war aber niedriger im Vergleich zum Vorjahr,
als der Anteil bei 37% lag und zu 2001, als er bei 40% lag. Im Falle
Deutschlands haben kurzfristige Arbeitsmigranten dominiert (67%), ähnlich war
es mit Belgien, Frankreich und Spanien. Das Gegenteil gilt für die USA, Italien
und Holland, wo vor allem Langzeit-Arbeitsmigranten arbeiten (61%, 55%,
67%). Da der LFS nur Daten über polnische Zeitarbeiter sammelt, die mehr
als 2 Monate im Ausland bleiben, man muss aber im Hinterkopf haben, dass
in diese Statistiken nur etwa 50% der Arbeitsmigranten eingehen, während die
restlichen 50% weggelassen
Ein
wesentlicher
werden.
Unterschied
zwischen
polnischen
Arbeitsmigranten
und
Arbeitsmigranten, die in Polen arbeiten, ist der Anteil an Legalbeschäftigten.
Legalbeschäftigung von Ausländern ist in Polen ein seltenes Phänomen. Da
der Zugang zu legaler Beschäftigung sehr zeitaufwendig und strikt durch die
Behörden reguliert ist, wird ein großer Teil der Ausländer schwarz eingestellt,
was öffentlich toleriert wird.
8
Im Jahre 2002 wurden 24.643 Arbeitserlaubnisse ausgestellt, was ein Zuwachs
um 24% zum Vorjahr bedeutet. Die Ursache dafür war ein Zuwachs von
Arbeitserlaubnissen, die an individuelle Ausländer ausgestellt wurden. In dieser
Gruppe haben im Jahr die 2002 Ukrainer dominiert (13.5 %), an der zweiten
Stelle haben sich die Deutschen platziert (10.1). Die in Polen arbeitenden
Migranten haben in der Regel eine gute Ausbildung: 68.4 % von den haben
mehr als einen Oberschuleabschluss, nur 7% hatte nur Berufausbildung. Die
meisten Erlaubnisse wurden im Handel ausgestellt (23%), wo aber kein
Zuwachs zu beobachten war. In der finanziellen Vermittlung notierte man
dagegen
einen
Zuwachs
um
82%,
in
Immobilien
um
77%,
in
der
verarbeitenden Industrie um 56%. Deutsche Arbeitnehmer wurden in der
verarbeitenden
Industrie
eingestellt
(35%)
sowie
im
Handel
und
im
Immobiliengeschäft.
Die Zahl der illegal in Polen arbeitenden Ausländer betrug nach Schätzungen
des Nationalen Arbeitsamtes und verschiedener Forschungseinrichtungen im
Jahr 2000 zwischen 600.000 und 900.000 Personen. Davon lebten etwa
100.000 bis 150.000 permanent in Polen.
Asyl
Am 1.9.2003 ist ein Gesetz über den Schutz von Ausländern in Kraft getreten.
Unter den vielen Veränderungen ist die Einführung des sog. tolerierten Status
von größter Bedeutung. Dieser Status wird mit der Duldung in Deutschland
verglichen, beinhaltet aber in Polen mehrere Rechte
Person,
der
kein
Asyl
gegeben
wurde
und
die
für eine Person. Einer
nicht
in
ihr
Land
zurückgeschickt werden kann, wird das Recht auf Beschäftigung (ohne sich
um eine Erlaubnis bewerben zu müssen), auf Sozialhilfe, auf medizinischen
9
Fürsorge und auf Ausbildung gegeben. Auf diese Weise wurde die Situation
von vielen Tschetschenen in Polen geregelt, die bisher allein gelassen wurden
und, was ihren Unterhalt betrifft, in einer rechtlich grauen Zone blieben.
Im Zeitraum 1992-2002 haben sich 30.000 Personen um den FlüchtlingsStatus beworben (davon 2/3 in den Jahren 1998-2002). Nur etwa 1.700
Personen oder knapp 6% als Flüchtlinge bzw. Asylbewerber wurden anerkannt.
Die Hauptherkunftsländer sind die Russische Föderation (v.a. Tschetschenien),
Armenien und Afghanistan. Vom Jahr 2000 an wuchs die Anzahl von
Anträgen.
Die
meisten
Anträge
kamen
mit
steigender
Tendenz
von
Tschetschenen (im 2000 ein Zuwachs um 846 % im Vergleich zu 1999, von
125 auf 1182). Im Jahre 2003 gab es 2291 Anträge. Allein in der ersten
Hälfte des Jahres 2004 (vom Januar bis August) gab es 4.292.
Flüchtlingsstatusbewerber
in
der
im Zeitraum 1.1.2001 - 31.5.2003
Gesamt
Republik
Polen
2001
2002
2003
4528
5169
2291
Russland
1501
Russland
3054
Russland
1730
Afghanistan
598
Indien 138
Armenien
224
Afghanistan
66
Indien 200
Armenien 64
Moldau 169
Irak 60
Armenien
Am häufigsten 638
auftretende
Afghanistan
Staats416
angehörigkeiten
Moldau 272
Rumänien
266
Anerkannte
Flüchtlinge
in
der
im Zeitraum 1.1.2001 - 31.5.2003
2001
Republik
2002
2003
10
Polen
Gesamt
294
279
95
Russland 207 Russland 225 Russland 79
Weißrussland Weißrussland Weißrussland
29
12
5
Am häufigsten
auftretende
Afghanistan
Staats13
angehörigkeiten Somalia 9
Jugoslawien
4
Sri Lanka 6
Afghanistan
5
Liberia 5
Kongo 2
Kongo 5
Irak 60
Polnische Migrationspolitik
Nachdem ich die Migrationssituation von Polen präsentiert habe, lassen Sie
mich auf ein Problemfeld eingehen, das von den Organisatoren bisher nicht
angesprochen wurde. Es geht um die polnische Migrationspolitik, die sich im
Laufe der Annäherung an die EU-Standards herausbildete. Polen hat zur Zeit
keine Migrationspolitik im Sinne von einer Doktrin, die die Richtung aller
Aktivitäten des polnischen Staates angeben würde. Es gibt aber in Polen eine
Migrationspolitik
im
Sinne
eines
Bündels
von
Gesetzgebungen
sowie
Institutionen, die diese Gesetze durchsetzen. Diese Politik hat auf die neuen
Entwicklungen reagiert und sich mit der Perspektive einer Mitgliedschaft in der
EU und der Notwendigkeit der Anpassung an die EU-Standards Schritt für
Schritt herausgebildet. Man kann dabei folgende Phasen unterscheiden:
1) Die Anfänge der polnischen Flüchtlings- und Migrationspolitik 1991-1996
Nach der Einführung der Bewegungsfreiheit wurde der polnische Staat mit
großen Bevölkerungsbewegungen konfrontiert. Die einzige rechtliche Grundlage
war ein Ausländergesetz von 1963, das nicht der neuen politischen Situation
entsprach. Das Gesetz war kurz und sehr allgemein gehalten Die erste
Novellierung bestand darin, dass Polen der Genfer Konvention und dem New
11
Yorker Protokoll betrat. Dies waren die ersten näheren Bestimmungen, die den
Flüchtlingsstatus und dessen Vergabe regulierten. Kurz danach, 1992, fingen
Arbeiten an dem neuen Gesetz an, die 5 Jahre lang dauerten.
Erst auf dieser Grundlage wurde Polen 1993 in dem damals neuen deutschen
Ausländerrecht als sog. "Sicheres Drittland" eingestuft. Mit der Unterzeichnung
des bilateralen Rückübernahmeabkommens mit Deutschland im gleichen Jahr
verpflichtete sich Polen, jährlich bis zu 10.000 Flüchtlinge und MigrantInnen,
die
heimlich
über
die
deutsch-polnische
Grenze
eingereist
waren,
zurückzunehmen. Im Gegenzug erhielt Polen zweckgebunden von 1993 bis
1996
insgesamt
120
Mio.
Flüchtlingsverwaltungssystems,
DM
zum
zur
Aufbau
eines
Bereitstellung
eigenen
von
Abschiebehafteinrichtungen und zur Abschottung vor allem der westpolnischen
Grenze. Trotz dieser Bemühungen konnte man sich in Polen zu der Zeit noch
verhältnismäßig unproblematisch ohne Aufenthaltsstatus im Land und dort vor
allem in der Nähe größerer Städte aufhalten, auch nach einer Abschiebung
aus Deutschland.
2) Die Annäherung an die EU-Standards: die Etablierung eines restriktiven
Systems
1996 - 1998
Wie schon zuvor erwähnt brauchte man für die Arbeit an dem neuen
Ausländergesetz den langen Zeitraum von 1992 bis 1997. Dies dauerte jedoch
nicht deshalb so lange, weil es ein politisch sensibles Thema war, wie etwa in
Deutschland,
sondern
weil
es,
im
Gegenteil,
verhältnismäßig
wenig
Aufmerksamkeit gefunden hat und bis an das Ende der Legislaturperiode
geschoben wurde. Wie wir alle wissen, es ist schwierig, am Ende der
Legislaturperiode über so ein Gesetz abzustimmen.
12
Trotzdem wurde inzwischen viel unternommen, um die polnischen Grenzen
dichter zu machen. Man hat gelernt, welche negativen Konsequenzen offene
Grenzen nach sich ziehen können (Schmuggel, Handel von Drogen und
gefährlichen Substanzen, Diebstähle). Von daher versuchte man, je nach
Möglichkeiten, europäische Standards in dem Bereich umzusetzen.
Das Jahr 1996 war ein Wendepunkt in der polnischen Migrations- und
Flüchtlingspolitik: der polnische Staat demonstrierte die Bereitschaft, sich an
die
EU-Standards
anzunähern.
Im
September
fanden
erste
große
Hausdurchsuchungsaktionen in Warschauer Vorstädten statt. Innerhalb von
wenigen
Tagen
wurden
ca.
400
Flüchtlinge
verhaftet
und
auf
Abschiebegefängnisse verteilt. Zuvor war im Juli desselben Jahres die größte
Abschiebehaftanstalt, ein sog. Bewachtes Ausländerheim am Rande des Dorfes
Lesznowola
eröffnet
worden.
Außerdem
wurden
sog.
Abschiebearreste
eingerichtet, die entweder von den Wojewodschaftspolizeien (ca. 25 über das
ganze Land verteilt) oder aber direkt im Grenzbereich vom polnischen
Grenzschutz (ca. 7-8) betrieben werden. Insgesamt verfügen die polnischen
Behörden
damit
über
weit
mehr
als
500
Abschiebeplätze.
Im September 1997 wurde ein neues Ausländergesetz verabschiedet. Dessen
Ziel war es, die Freizügigkeit zu sichern und dabei den polnischen Staat vor
unerwünschten Personen, die nach Polen kommen und bleiben, zu schützen.
Deswegen lag der Schwerpunkt des Gesetzes auf den Bedingungen der
Einreise, des Aufenthalts und des Transits durch Polen. Mit dem Gesetz
wurden
die
Schengener
Bestimmungen
eingeführt,
z.B.
detaillierte
Abschieberegeln, Verantwortung von Transportunternehmen (carrier sanctions)
für
die
Beförderung
von
Personen
ohne
Dokumente
nach
Polen,
Bestimmungen über Databanken über Ausländer, insbesondere unerwünschte.
Außerdem
wurde
zusätzlich
zu
der
13
Erlaubnis
für
die
Niederlassung
(Aufenthaltserlaubnis)
ein
neuer
Aufenthaltstitel
eingeführt,
nämlich
die
temporäre Aufenthaltgenehmigung.
3) Anpassung an den rechtlichen EU-Besitzstand: von 1997 bis 2004
Das Ausländergesetz von 1997 galt damals als sehr modern und war mit den
EU-Normen kompatibel. Trotzdem war relativ schnell die Notwendigkeit der
Novellierung entstanden. Im April 2001 wurde dann auch eine tief greifende
Novellierung verabschiedet. Damit wurden mehrere Veränderungen eingeführt,
unter
anderem
die
Bildung
einer
Regierungseinrichtung,
des
Amtes
für
Repatriierung und Ausländer, die für alle Migrations- und Asylfragen zuständig
ist sowie für die Zusammenarbeit mit allen Teilen der Verwaltung. Außerdem
wurde ein beschleunigtes Verfahren zur Vorbeugung gegen den Einstieg in die
Asylprozedur
für
Migranten
aus
den
„sicheren
Herkunftsstaaten“
und
„offensichtlich unbegründete“ Anträge eingeführt, des weiteren die Pflicht von
non-refoulement in ein unsicheres Heimatland sowie das Konzept von
vorläufigem Schutz (temporary protection). Darüber hinaus wurde das Konzept
der Familienzusammenführung eingeführt.
Im Juni 2003 wurde das Ausländerrecht weiter novelliert, indem ein neues
Konzept der Gesetzgebung eingeführt wurde. Man hat nämlich die Materie des
bisherigen Ausländergesetzes in zwei Gesetzestexten umgeschrieben, die am 1.
September 2003 in Kraft getreten sind. Der erste, das Ausländergesetz,
enthält die Regeln und Bedingungen von Einreise, Aufenthalt und Transit
durch Polen von Bürger aus Nicht-EU-Ländern. Das zweite Gesetz über den
Schutz von Ausländern enthält Prinzipien und Bedingungen für verschiedene
14
Schutzformen: Flüchtlings-Status, Asyl, temporären Schutz und tolerierten
Status (Duldung).
Zu den wichtigsten Neuerungen des ersten gehören:
-
der Aufenthalt auf der Basis eines Visums darf innerhalb eines halben
Jahres nicht länger als 3 Monate dauern (früher 6 Monate). Man kann
nicht ein erstes und gleichzeitig ein nächstes Visum in Polen beantragen.
-
Ein Ausländer hat das Recht auf eine temporäre Aufenthaltgenehmigung
oder
auf
eine
Aufenthalterlaubnis
nur
dann,
wenn
er
im
Gesetz
beschriebene Kriterien erfüllt. Früher hatte ein Ausländer dieses Recht,
aber die lokalen Behörden hatten einen Entscheidungsspielraum.
-
Ein ausländischer Ehegatte kann das Recht zur Niederlassung bekommen,
nachdem er 2 Jahre mit einer temporären Aufenthaltgenehmigung in Polen
gelebt hat (früher nach 5 Jahren).
Mit dem Ausländergesetz wurde die erste Regularisierungsaktion (abolicja) in
der Geschichte durchgeführt. Die Aktion war für diejenigen Migranten gedacht,
die sich mehrere Jahre illegal in Polen aufhielten. Diejenigen, die mindestens
6 Jahren ohne Pause in Poland gelebt hatten (vom 1.1.1997), eine Unterkunft
und finanzielle Mittel zur Deckung der notwendigen Ausgaben (oder ein
Arbeitsplatzversprechen vom Arbeitgeber) vorlegen konnten, bekamen nun das
Recht im Zeitraum vom 1.9.03 und 31.12.03, einen Antrag auf eine jährliche
temporäre Aufenthaltsgenehmigung zu stellen. Auf diese Weise konnten sie
ihren Aufenthalt in Polen legalisieren. Die meisten Anträge stellten Bürger aus
Armenien und Vietnam (1447 und 1296 von 3218). Die meisten davon in
Mazowieckie
(33.9%),
Malopolskie
(13.5%)
und
Dolnoslaskie
(10.3).
Das
Ausländergesetz aus dem Jahre 2001 schuf auch eine Möglichkeit der Abreise
aus Polen ohne Konsequenzen für diejenigen, die die oben genannten
Kriterien nicht erfüllten, d.h. die kürzer als 6 Jahre in Polen lebten. Diese
15
Personen sollten nur die Polizei oder den Grenzschutz im Zeitraum September
– Oktober 2003 benachrichtigen. Auf dieser Basis wurden 282 Ausländer nach
Hause geschickt. Diese Gruppe wurde durch Ukrainern dominiert (49%).
Zu dem rechtlichen Besitzstand, der die Migrationsfragen in Polen reguliert
gehört auch das Repatriierungsgesetz, das den Status von Repatrianten
reguliert. Außerdem wurden im Juli 2002 auch Prinzipien von Einreise und
Aufenthalt für EU-Bürger und deren Familienmitglieder eingeführt, die mit dem
EU-Beitritt in Kraft getreten sind.
Ein letzter Punkt zur Entwicklung der Migrationspolitik in Polen bildet die
Einführung des Visaregimes vom 1.10.2003 für die Bürger der Ukraine,
Weißrusslands und Russlands.
Bisher gibt es keine Integrationspolitik gegenüber Migranten. Eine Hilfe des
Staates wird nur den anerkannten Flüchtlingen in Form von Teilnahme an
Sprachkursen und finanzieller Hilfe geleistet, die aber sehr niedrig ist. Die
Beamten des Amtes für Repatriierung und Ausländer sehen die Notwendigkeit
einer Integrationspolitik, der politische Wille fehlt jedoch. Bisher wurden keine
Entscheidungen in dem Bereich getroffen.
Ausblick:
Man
schätzt,
dass
Polen
als
EU-Mitglied
an
Attraktivität
für
Migration
gewinnen wird und dass sich der Trend vom Auswanderungs- zum Transitund Einwanderungsland fortsetzen wird. Es gibt aber auch Experten, die der
Meinung sind, dass sich Polen sehr lange (in der Perspektive von 20 Jahren)
nicht zu einem Einwanderungsland etablieren wird – zum einen wegen der
relativ geringen Attraktivität in finanzieller Hinsicht,
zum anderen wegen der
wenigen Großstädte, in denen sich Ausländer wohl fühlen und integrieren aber
16
auch wegen der Einstellung der polnischen Gesellschaft, die die Ausländer als
Konkurrenten bei der Verteilung der sowieso knappen öffentlichen Mittel
wahrnimmt.
Bevölkerungsentwicklung
Die Bevölkerungszahl Polens nahm 1999 ab. Erstmals seit dem 2. Weltkrieg
übertraf die Zahl der Verstorbenen die der Neugeborenen. Ferner wies das
Land
im
selben
Zeitraum
einen
negativen
Wanderungssaldo
auf.
1999
schrumpfte die Bevölkerung um 13.000 Einwohner. Zwar ist der Rückgang de
facto vor allem auf Migration zurückzuführen, da allein die Differenz zwischen
Ab- und Zuwanderung 12.000 Personen betrug. Im Jahre 2002 gab es in
Polen
eine
Volkszählung,
deren
Ergebnissen
zufolge
Polen
38 230 080
Einwohner hat. Im Vergleich zu der letzten Volkszählung im Jahre 1988 ist die
Bevölkerungszahl um 351.000 gewachsen also um etwa 1%.
Seit der Volkszählung 1988 hat sich auch die Altersstruktur stark geändert.
Die Ursache dafür waren das Schieben von geburtenreichen und –schwachen
Jahrgänge durch verschieden Gruppen von Bevölkerung und der seit 1990er
Jahren
beobachtete
Rückgang
der
Fruchtbarkeitsrate
sowie
eine
durchschnittliche Verlängerung der Lebensdauer. Insgesamt ist das Phänomen
der Überalterung der polnischen Gesellschaft auch zu sehen.
Im Zeitraum zwischen den Volkszählungen hat sich die Anzahl der Personen
im Alter von 15 Jahre und um mehr als 3 Mio. (10,7%) erhöht. Dagegen ist
die Anzahl von Kindern (0-14 Jahren) um 2,7 Mio. zurückgegangen, was die
Folge eines massiven Rückgangs der Geburtenzahlen in den 1990er war. Von
daher ist der Anteil von Personen im Alter vor der Erwerbstätigkeit
(0-17
Jahren) von 30% im Jahr 1988 auf 23,2% im Jahr 2002 gesunken. Diese
17
Differenz hat die Städtebewohner stärker betroffen als die Dorfbewohner.
Dieser Rückgang war die Folge einer sinkenden Geburtenrate (von 564 400
Geburten
im
1989
auf
353
800
im
2002)
sowie
das
Erreichen
der
Volljährigkeit durch die Personen, die in der ersten Hälfte der 1980er geboren
wurden, d.h. während des letzten demographischen Hochs.
Im Vergleich zum Jahr 1988 sind die Anzahl (um mehr als 1.8 Mio.) und
der Anteil (um 4.2 Punkte) von der Bevölkerung im Produktionsalter gestiegen.
Dabei ist die Gruppe im Mobilalter (18-44 Jahren) unverändert geblieben,
während die Anzahl und der Anteil der Bevölkerung im nichtmobilen Alter, d.h.
45-64 Jahren für Männer und 45-59 Jahren für Frauen gewachsen ist (um 1
748 000 Personen und um 4,4 Punkten). Dies lässt sich dadurch erklären,
dass die Personen von dem demographischen Hoch der 1950er Jahren das
Alter von zumindest
45 Jahren erreicht haben.
Der Anteil von den Personen im Postproduktionsalter ist vom Niveau von
12,5% im Jahr
1998 auf 15,0% gestiegen, in absoluten Zahlen macht das
ein Wachstum um 1 Mio. Personen aus.
Aufgrund der vorhin genannten Veränderungen entfallen im Jahr 2002
auf
1000
Personen
im
Produktionsalter
618
Personen
im
Nichtproduktionsalter, während es im Jahre 1988 736 Personen waren. Dieses
Verhältnis wird sich jedoch umkehren, wenn die heutige Generation im
Produktionsalter das Rentenalter erreicht.
Wenn man die Entwicklung seit den 80er Jahren betrachtet, fällt v.a. der
massive Rückgang der Geburten auf: von 723.000 (1983) auf 382.000 im Jahr
1999. Die Geburtenrate ist gesunken: auf 1000 Personen entfielen 2000 9.8
Kinder,
wohingegen
es
1990
noch
14.3
gab.
Parallel
dazu
sank
die
Gesamtfruchtbarkeitsrate von 2,2 (1990) auf 1,4 Kinder pro Frau (1999) und
1,25 (2003), d.h. unter das so genannte Ersatzniveau. Die Zahl der Todesfälle,
18
deren Entwicklung relativ konstant war, lag 1999 mit 383.000 erstmals höher
als die der Geburten.
Auch
der
steigenden
Eintritt
geburtenstarker
Geburtenzahlen
Jahrgänge
führen.
Insgesamt
werde
zunächst
erkennt
man,
nicht
dass
zu
sich
polnische Frauen heute vergleichsweise weniger Kinder wünschen und zudem
ihre
Geburten
in
ein
höheres
Alter
verschieben.
Während
1999
das
durchschnittliche Alter von Frauen bei der ersten Geburt 27 Jahre betrug, soll
es der aktuellen Bevölkerungsprognose des Statistischen Amtes zufolge bis
zum Jahr 2015 auf 29 Jahre ansteigen.
Die Ursache für die beschriebene Veränderung des generativen Verhaltens
wird
in
der
individuellen
Anpassung
an
marktwirtschaftliche
Strukturen,
hoeheres Ausbildungsniveau, Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, sinkende
staatliche Sozialleistungen und
schwierige
sozioökonomische
Bedingungen
gesehen. Verglichen mit 1990 hat sich die Zahl der Universitätsabsolventen
verdreifacht. Zur Zeit studieren über 1,3 Mio. Polinnen und Polen, während
1990 nur etwa 400.000 Studierende an den Universitäten eingeschrieben
waren. Ein großer Zuwachs des Ausbildungsniveaus betrifft Frauen: während im
Jahre 1988 nur die Hälfte mehr als einen Grundschulabschluss hatte, sind es
heute mehr als 62 % (analog für 59% der Männer im Jahr 1988 und 67%
im Jahr 2002). Frauen haben häufiger als Männer das Abitur, etwa 11%
haben
einen
Universitätsabschluss.
Im
selben
Zeitraum
stieg
das
durchschnittliche Heiratsalter der Frauen von 22 auf 24 Jahre. Insgesamt
erkennt man eine Angleichung an das westeuropäische Familienmodell mit
späten Geburten und lediglich ein oder zwei Kindern.
Man schätzt, dass wegen diesen ungünstigen Tendenzen Polen auch ein
Einwanderungsland werden wird und zwar im Jahre 2006.
19
Freizügigkeit
Bei keinem Verhandlungskapitel klafften die Auffassungen so weit auseinander
wie
bei
der
Frage
der
Freizügigkeit,
d.h.
bei
dem
Recht
zur
freien
Arbeitsaufnahme in den Mitgliedstaaten von den Arbeitnehmern aus den EUBeitrittstaaten. Die stärkste Auseinandersetzung gab es zwischen Deutschland
und Polen, wegen der geographischen Nähe, der bestehenden Netzwerke von
polnischen Arbeitnehmern in Deutschland, eines in Deutschland sehr hoch
geschätzten
Auswanderungspotentials
von
Polen
sowie
der
schwierigen
Situation auf den Arbeitsmärkten der beiden Länder. An der Debatte haben
auch Österreich und die Tschechische Republik aktiv teilgenommen. Ich werde
mich auf den deutsch-polnischen Fall konzentrieren. Sie können sich noch an
die Argumente erinnern, die von beiden Seiten vorgetragen wurden. Auf der
deutschen Seite wurde häufig gesagt, dass die Einführung der Freizügigkeit für
die
Bürger
der
Beitrittskandidaten
in
eine
große
Zuwanderungswelle
verursachen wird, die:
1) zum härteren Druck auf Tariflöhne führen wird: bei unveränderter
Nachfrage führt ein Überangebot zu sinkenden Löhnen
2) zum
Anstieg
der
Erwerbslosigkeit
führen
wird:
bei
unveränderter
Nachfrage verdrängt ein Überangebot das bestehende Angebot
3) zunehmende Haushaltsausgaben, weil Ausländer häufig eine kostspielige
Sozialinfrastruktur erfordern (z.B. Bildung, Wohnungen, etc.) und ihre
Sozialleistungen über denen der einheimischen Familien liegen
4) Verfall des gesellschaftlichen Lebens: die Multikulti-Gesellschaft kann
das soziale Gleichgewicht in eine Schieflage bringen
5) Regionale Differenzierung: ausländische Arbeitskräfte wandern meistens
in die wirtschaftlichen Schwerpunktregionen
6) Verschlechterung der Zahlungsbilanz: durch verstärkte Devisenausfuhren
(Geldüberweisungen)
20
7) Hohe Rekrutierungs-, Reise-, Personalkosten (in der Verwaltung).
Aufgrund der zuvor ausgeführten Argumente und großen Ängsten, die in der
deutschen Gesellschaft zu beobachten waren, sprach sich die Bundesregierung
für eine maximal siebenjährige Übergangsfrist schon im Dezember 2000 aus.
Dabei sollte es aber auch möglich sein, einerseits diese Frist für einzelne
Beitrittskandidaten nach einer bestimmten Zeit zu verkürzen und andererseits
einseitig Arbeitsmärkte der alten Mitgliedstaaten vor Ablauf der Frist auf eine
kontrollierbare Weise zu öffnen. Darüber hinaus hat der Bundeskanzler
vorgeschlagen, dass die Dienstleistungsfreiheit in Teilbereichen, insbesondere
in der Bauwirtschaft und im Handwerk eingeschränkt wird. Er argumentierte,
dass die Einführung von Übergangsfristen im Interesse der beiden Seiten liegt.
Uneingeschränkte Freizügigkeit der Arbeitskräfte aus den Beitrittsländern vom
ersten Tag der Mitgliedschaft sei für den deutschen Arbeitsmarkt nicht zu
verkraften.
Dahingegen
sollten
die
Beitrittskandidaten
nicht
abrupt
ihre
qualifiziertesten Arbeitskräfte verlieren.
Deutschland hat zu dem Vorschlag EU-Partner gewonnen. Letztendlich hat die
EU-Kommission den Vorschlag von Bundeskanzler Schröder als eine der fünf
Optionen in ihrem Informationspapier vom 7. März 2001 miteinbezogen. Im
Endergebnis hat man im Laufe der Beitrittsverhandlungen festgelegt, dass die
Übergangsfrist mit der Formel 2+3+2 bezeichnet wird. Diese Formel bedeutet,
dass die bestehenden Einschränkungen im Zugang zum Arbeitsmarkt schon
nach den ersten 2 Jahren der Übergangsfrist von den alten Mitgliedstaaten
abgeschafft werden können. Im Falle von Störungen auf dem Arbeitsmarkt
kann die
Übergangsfrist um weitere 3 Jahren verlängert werden. Polen kann
die gleichen Einschränkungen gegenüber den Bürger der alten EU anwenden.
Während der Übergangsfrist haben die Bürger der neu beigetretenen Länder
21
das Recht, beim Zugang zum EU-Arbeitsmarkt vor den Bürger der Drittstaaten
eingestellt zu werden.
Nach 2 Jahren kann die Übergangsfrist um weitere 3 Jahren verlängert
werden.
Nach
5
Jahren
ist
die
Verlängerung
weiterhin
möglich.
Die
interessierten Mitgliedstaaten müssen dann begründen, dass der Zufluss von
Arbeitskräften
von
neuen
Beitrittsländer
Störungen
verursacht.
Im Fall von Deutschland und Österreich betrifft diese Übergangsfrist auch
Dienstleistungen durch Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten in einigen
Wirtschaftsbranchen (in erster Linie im Bauwesen).
Die polnische Seite argumentierte dagegen, dass die Freizügigkeit für Polen
eine der wichtigsten Grundfreiheiten der Europäschen Gemeinschaft ist. Man
ist davon ausgegangen, dass die gleichen Pflichten von der gleichen Rechten
begleitet werden sollten.
Für Polen war
eine Mitgliedschaft
mit
langen
Übergangsfristen in dem Bereich eine Mitgliedschaft der zweiten Klasse. Von
daher hatte die polnische politische Klasse Angst davor, dass die Gesellschaft
so eine Mitgliedschaft nicht akzeptieren würde.
In
dem
polnischen
Verhandlungsstandpunkt
hat
man
erklärt,
das
Freizügigkeitsprinzip der Arbeitnehmer ohne Abstriche zum Zeitpunkt des EUBeitritts einzubringen.
Parallel zu den Politikern debattierten auch Wissenschaftler miteinander.
Zahlreiche Forschungszentren haben mehrere ganz unterschiedliche Berichte
erstellt und darin versucht, bei der EU-Erweiterung die Auswirkungen auf die
jeweiligen Arbeitsmärkte zu prognostizieren.
Auf der polnischen Seite setzte man sich mit den Argumenten der deutschen
Seite
auseinander,
indem
man
versuchte,
22
diese
zu
versachlichen.
Man
verstand, dass eine flexible Kompromisslösung gefunden werden muss, weil es
viel emotionellen Zündstoff
in Deutschland gibt. Man konnte aber nicht
diejenigen schwarzen Szenarien teilen, die massenhafte Zuwanderung aus
Polen nach Deutschland darstellten. Gegen diese Medienbilder sprachen
Ergebnisse der Forschung. Die Prognoseergebnisse zum Arbeitskräftetransfer
im
Kontext
der
EU-Osterweiterung
gingen
(abgesehen
von
wenigen
Ausnahmen) kaum auseinander und bewegten sich im allgemeinen zwischen
einigen hunderttausend Zuwanderern im Schnitt von 5-7 Jahren, erreichten
etwa eine Million innerhalb von 30 Jahren, die überwiegend nach Deutschland
wollen. So ein Zuwanderungsniveau hielten Wissenschaftler für spürbar für die
deutsche Gesellschaft, aber nicht so stark, insbesondere angesichts des
bestehenden Arbeitskräftemangels, der aufgrund von der Veralterung der
westlichen Gesellschaften entstanden ist.
Die polnische Seite wollte die Schätzungen bez. des Auswanderungspotentials
noch
näher
an
die
polnische
Realität
bringen
und
auf
diese
Weise
realistischer machen. Es ist keine Frage, dass es in der Regel große
Lohnunterschiede zwischen Deutschland und Polen gibt sowie dass das
Niveau der Arbeitslosigkeit in Polen sehr hoch ist (heutzutage mehr als 19%).
Aus diesen zwei Faktoren lässt sich aber keine wahrhafte Prognose der
Zuwanderung
machen.
Dazu
muss
man
eine
Reihe
von
zusätzlichen
soziokulturellen Faktoren berücksichtigen, wie z.B.: Kenntnisse der Sprache und
der Lebensverhältnisse des Gastlandes, Bereitschaft zur Ausreise, Mobilität
sowie eine ökonomische Kalkulation. Man hat keine Verbindung zwischen dem
Niveau der Arbeitslosigkeit und tatsächlicher Auswanderung in der Forschung
gefunden. Die Arbeitslosen sind in der Regel nicht diejenigen, die Arbeit im
Ausland suchen. Wie ich schon früher angedeutet habe, typische
Emigranten
aus Polen unterscheiden sich wesentlich von der polnischen Emigration in den
1980er Jahren. Heutzutage sind das schlecht ausgebildete Arbeitskräfte, ohne
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Sprachkenntnisse, die sich der neuen Realität nach der Transformation in
Polen nicht angepasst haben. Solche Zuwanderer sind keine Konkurrenten für
einheimische Arbeitskräfte, die sowieso einige Tätigkeiten nicht annehmen
würden. Die Zuwanderer füllen Nischen auf dem Arbeitsmarkt und machen
diesen flexibler.
Letztendlich musste man die Übergangsfristen in Polen akzeptieren. Man hatte
die Hoffnung, dass einige EU-Länder ihre Arbeitsmärkte vom ersten Tag an
öffnen. Dies haben nur Großbritannien, Irland und Schweden gemacht. Von
daher ist auch die Bilanz der ersten Monate der EU-Mitgliedschaft Polens in
der öffentlichen Meinung sehr ambivalent.
Damit werde ich meinen Beitrag abschließen. Ich bedanke mich sehr herzlich
für Ihre Aufmerksamkeit und stehe Ihnen für Ihre Fragen zur Verfügung.
* Statistischen Daten stammen aus: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Sozialpolitik, Amt für Repatriierung und
Ausländer,
Hauptamt für Statistik, Grenzschutz
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