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MEMO/02/102
Brüssel, den 22. Mai 2002
Erläuterungen zur “Gemeinschaftsmethode”
I. Was ist die Gemeinschaftsmethode (kann sie anders bezeichnet
werden) ?
Die Gemeinschaftsmethode ist ein Beschlussfassungsverfahren, das ein
transparentes, effizientes und demokratisches Funktionieren der Europäischen
Union ermöglicht. Sie beruht auf dem Zusammenspiel zwischen drei eigenständigen
Organen : der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem
Ministerrat (auch ‘institutionelles Dreieck’ genannt).
Die Gemeinschaftsmethode weist folgende Hauptmerkmale auf :
- Die Europäische Kommission hat das Initiativmonopol, Legislativvorschläge
einzubringen. Sie tut dies im allgemeinen europäischen Interesse ;
- Der Ministerrat, der die Mitgliedstaaten vertritt, beschließt in den meisten Fällen
mit qualifizierter Mehrheit ;
- Das Europäische Parlament, das von den europäischen Bürgern direkt gewählt
wird, ist Mit-Gesetzgeber oder wird zumindest konsultiert;
- Der Ministerrat kann die Vorschläge der Kommission nur einstimmig ändern ;
- Die Mitgliedstaaten setzen grundsätzlich die EU-Politik um;
- Die EU-Organe können bei der Umsetzung mitwirken, insbesondere, wenn es
eines harmonisierten Ansatzes bedarf. Der Kommission werden vom Ministerrat
Durchführungsbefugnisse übertragen, wobei sie häufig von Ausschüssen
nationaler Beamten unterstützt wird;
- Die EU-Organe, die Mitgliedstaaten und die Beteiligten können einen Fall vor
den Europäischen Gerichtshof bringen. Die Europäische Kommission nimmt
insofern eine zentrale Funktion wahr, als sie die Mitgliedstaaten wegen Mängeln
bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts beim Gerichtshof verklagt
(‘Hüterin des Vertrages’).
Eines der vorgenannten Hauptmerkmale ist die ausschließlich der Kommission
vorbehaltene Initiativkompetenz bei Rechtsakten. Die Kommission verfügt über eine
multinationale und unabhängige Verwaltung und beschließt im Wege des politischen
Konsenses. Dies ist die beste Garantie, um das allgemeine europäische Interesse
und nicht nationale oder anderweitige Einzelinteressen zum Ausdruck zu bringen.
Umgekehrt ist dies entscheidend für die Schaffung von Vertrauen zwischen den
Mitgliedstaaten.
Die Gemeinschaftsmethode findet derzeit auf Themenbereiche im Zusammenhang
mit dem ‘ersten Pfeiler’ Anwendung (weitgehend wirtschaftliche, soziale und
umweltrelevante Fragen, einschließlich internationale Angelegenheiten wie Handel).
Sie findet nicht Anwendung auf die Bereiche Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik sowie Justiz und Inneres, die im Maastricht-Vertrag von 1992 als
gesonderte ‘Pfeiler’ eingeführt wurden. Hier wird das Initiativrecht zumeist von allen
Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission gemeinsam ausgeübt, und für
die Beschlussfassung ist zumeist Einstimmigkeit die Regel.
II. Was ist der Zusatznutzen im Vergleich zur Intergouvernementahlen
Methode ?
Die Gemeinschaftsmethode ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Souveränität auf
demokratische Weise gemeinsam auszuüben und im allgemeinen Interesse der
Europäischen Union tätig zu sein. Verglichen mit der Art und Weise, wie eine
‘klassische’ internationale Organisation arbeitet, bietet die Methode folgende
Vorteile :
- Die Maßnahmen der Entscheidungsträger orientieren sich stärker an klaren
rechtlichen Regeln (Rechtsstaatlichkeit).
- Die Beschlussfassung ist transparent und umfasst eine öffentliche Debatte im
Europäischen Parlament.
- 15 Länder können nach außen hin durch eine einzige Instanz vertreten werden,
was wiederum ein zügiges und wirksames Vorgehen gestattet.
- Im institutionellen Zusammenspiel wird das allgemeine europäische Interesse
ausgelotet, wobei auch dem Schutz von "Minderheitenrechten" (zum Beispiel
den Rechten kleinerer Mitgliedstaaten) Rechnung getragen werden. Neben der
Debatte über die nationalen Interessen kann auch eine politische Debatte
stattfindet.
- Transparenz
und
Rechtsverfahren
dieser
Methode
gewährleisten
verantwortliches Handeln.
- Durch die Schlüsselrolle der Kommission, die die Interessen der verschiedenen
Politikbereiche miteinander in Einklang bringt, ist ein höheres Maß an politischer
Kohärenz sichergestellt.
- Da diese Methode vorsieht, dass die Kommission als Hüterin der Verträge
handelt, und dem Gerichtshof Befugnisse zuweist, ist gewährleistet, dass
Entscheidungen getroffen werden, die Wirtschaftsbeteiligten und Bürgern
Rechtssicherheit bieten.
Was wäre ohne Gemeinschaftsmethode:
- Durch die Wahrnehmung des Initiativrechts durch verschiedene Instanzen
würde, insbesondere in einer erweiterten Union, die Beschlussfassung stark
beeinträchtigen; das ist bereits jetzt in einigen Bereichen erkennbar.
- Eine geteilte Ausübung des Initiativrechts würde einigen wenigen
Mitgliedstaaten ermöglichen, die Beschlussfassung zu dominieren.
- Ausführende Organe auf nationaler Ebene könnten, losgelöster vom Grundsatz
der Rechtsstaatlichkeit, auf zwischenstaatlichem Wege hoheitliche Befugnisse
ausüben, was die demokratische Legitimität der EU verringern würde.
- Die Ausgewogenheit des derzeitigen Zusammenspiels der drei Gewalten, die
ein Charakteristikum unserer Demokratien ist, würde beeinträchtigt.
- Die justizielle Kontrolle der Ausübung hoheitlicher Befugnisse wäre weniger
strikt, wie dies bereits jetzt bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
und einigen Aspekten des Bereiches Justiz und Inneres der Fall ist.
- Das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten würde nach und nach in
Mitleidenschaft gezogen, da es im gesamten System keinen einigermaßen
neutralen Vermittler mehr gäbe.
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III. Wie wurde die Gemeinschaftsmethode im Laufe der Zeit erneuert?
Die Gemeinschaftsmethode ist keine statische Methode. Sie wurde bereits
mehrmals angepasst und erneuert. So wurde unter anderem
- die Rolle des Europäischen Parlaments im Legislativ- und Haushaltsverfahren
verstärkt; dennoch ist das Parlament heute immer noch weitgehend von
wichtigen Befugnisbereichen der EU ausgeschlossen;
- die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit auf neue Bereiche ausgedehnt;
dennoch sehen über fünfzig Rechtsgrundlagen im derzeitigen Vertrag nach wie
vor Einstimmigkeit vor.
Die Vergangenheit hat gezeigt, wie wichtig die qualifizierte Mehrheit ist. Das
Binnenmarktprogramm konnte nur realisiert werden, nachdem mit der Einheitlichen
Europäischen Akte von 1987 für viele Materien die qualifizierte Mehrheit anstelle der
Einstimmigkeit eingeführt wurde. Die Umweltpolitik der EU erhielt neue Impulse,
nachdem der Vertrag von Maastricht für viele umweltpolitische Materien die
Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit eingeführt hatte.
Eine Politik scheitert oft am Einstimmigkeitserfordernis. Das gilt zum Beispiel für
steuerpolitische Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Funktionieren des
Binnenmarktes. Die Blockierungen im Rat führen zu einem Ausufern der
Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten außerhalb des EU-Rahmens. Das wiederum
erschwert unter Umständen die Wirtschaftstätigkeit im Binnenmarkt.
Einen wichtigen institutionellen Wandel hat der Europäische Rat erfahren. Dadurch,
dass dieser zunehmend Entscheidungen in Einzelfragen getroffen hat, hat das
reibungslose Zusammenspiel der drei Hauptorgane Schaden genommen. Der
Europäische Rat sollte die Autorität des Ministerrates stärken und nicht untergraben;
er sollte Rat, Kommission und Parlament die eigentlichen Entscheidungen
überlassen und lediglich die Grundzüge der Politik vorgeben.
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