Kapitel 3 Funktionen 3.1 Elementare Funktionen 3.1.1 Der Funktionsbegriff Wir sprechen von einer reellwertigen Funktion einer reellen Variablen y = f (x), x ∈ Df , falls jedem reellen Wert x des Definitionsbereichs D f ⊂ R durch eine Vorschrift f eindeutig ein reeller Wert y = f (x) aus dem Wertebereich W f ⊂ R zugeordnet wird. Wir sagen, die Funktion f ist ◦ monoton wachsend, falls f (x1 ) ≤ f (x2 ) für alle x1 ≤ x2 , ◦ monoton fallend, falls f (x1 ) ≥ f (x2 ) für alle x1 ≤ x2 . Ferner heißt die Funktion ◦ symmetrisch oder gerade, falls f (−x) = f (x) für alle x ∈ D f , ◦ antisymmetrisch oder ungerade, falls f (−x) = − f (x) für alle x ∈ D f . Existiert für eine Funktion y = f (x) mit Definitionsbereich D f und Wertebereich W f zu jedem Wert y ∈ W f genau ein x ∈ D f , das die Gleichung y = f (x) erfüllt, so ist dadurch x als eindeutige Funktion von y erklärt. Wir sprechen in diesem Fall von der Umkehrfunktion x = f −1 (y), y ∈ W f = D f −1 . Schließlich heißt eine Funktion y = f (x) periodisch mit der Periode p ∈ R, falls f (x) = f (x + p) für alle x ∈ D f . 35 KAPITEL 3. FUNKTIONEN 36 3.1.2 Potenzfunktionen Wir wollen folgende ersten Beispiele von Funktionen diskutieren: ◦ Affin-lineare Funktion ist von der Gestalt y = f (x) = ax + b, x ∈ R, mit reellen Koeffizienten a und b. Ihr Graph ist eine Gerade: y x Wir können y = y(x) invertieren und erhalten mit 1 (y − b), a = 0, a ihre Umkehrfunktion. Im Fall a = 0 reduziert sich die Funktion auf y ≡ b, so dass Invertieren dann nicht mehr möglich ist. ◦ Unter einer quadratischen Funktion verstehen wir eine Funktion x= y = f (x) = ax2 + bx + c, x ∈ R, mit reellen Koeffizienten a, b und c. Um den Fall einer linearen Funktion auszuschließen, wollen wir a = 0 annehmen. y x Schneidet oder berührt der Funktionsgraph die x-Achse, so können wir über die bekannte Formel x1/2 = − b ± 2a b 2a 2 c − , a so dass f (x1/2 ) = 0, den Berührpunkt, falls x1 = x2 , bzw. beide Nullstellen x1 und x2 berechnen. Beachten Sie, dass diese Lösungsformel eventuell auch komplexwertige Nullstellen liefert, wie Sie leicht an unserem Beispiel x2 + 1 = 0 aus Paragraph 1.1.1 verifizieren können. 3.1. ELEMENTARE FUNKTIONEN 37 ◦ Unter allgemeinen Potenzfunktionen verstehen wir Polynomausdrücke der Form y = f (x) = n ∑ a k xk , k=0 n ∈ N, an > 0. Wir können sofort zwei Fälle unterscheiden. 1. Ist n ungerade, so gelten lim f (x) = −∞ und lim f (x) = +∞ . x→−∞ x→+∞ 2. Ist n gerade, so gelten lim f (x) = ∞ . x→±∞ Im ersten Fall besitzt f notwendig eine reelle Nullstelle. Die folgende Skizze veranschaulicht die Überlegung, für einen vollständigen Beweis verweisen wir auf die Vorlesung zur Analysis. y lim f (x) = +∞ x→∞ x lim f (x) = −∞ x→−∞ Über die Existenz von Nullstellen besagt der Fundamentalsatz der Algebra: → Jedes nicht konstante Polynom besitzt im Bereich C der komplexen Zahlen mindestens eine Nullstelle. Der wesentliche Punkt ist hier die Stetigkeit der allgemeinen Potenzfunktion. Definition 3.1. Eine Funktion f : R → R heißt im Punkt x0 ∈ R stetig, falls es zu jedem reellen ε > 0 ein δ = δ (x0 , ε ) gibt, so dass gilt | f (x) − f (x0 )| < ε für alle x mit |x − x0 | < δ (x0 , ε ) . Sie heißt stetig, wenn sie in jedem Punkt ihres Definitionsbereichs stetig ist. Hieran schließen sich zwei Bemerkungen an: ◦ Um überhaupt von Stetigkeit zu sprechen, muss f an der betreffenden Stelle auch definiert sein. Die Aussage, die Funktion f (x) = 1 , x x ∈ R \ {0}, ist an der Stelle x0 = 0 unstetig, ist nicht korrekt, da f hier gar nicht definiert ist. Vielmehr muss es heißen, f ist im Punkt x0 = 0 nicht stetig ergänzbar. KAPITEL 3. FUNKTIONEN 38 ◦ Wichtig ist auch die Abhängigkeit der Zahl δ vom betrachteten Punkt x0 , d.h. δ muss, selbst bei fest gewähltem ε > 0, eventuell für jeden Punkt x des Definitionsbereichs neu bestimmt werden. Ist δ nicht von x abhängig, so sprechen wir von gleichmäßiger Stetigkeit, d.h. δ kann, bei festem ε > 0, für alle x ∈ D f gleich gewählt werden. 3.1.3 Potenzreihen, Exponentialfunktion und Logarithmus Betrachten wir allerdings statt Polynome endlichen Grades Potenzreihen der Art y = f (x) = ∞ ∑ a k xk , k=0 also Polynomausdrücke“ mit n → ∞, so ist der Fundamentalsatz der Algebra nicht ” mehr anwendbar. So besitzt beispielsweise die Exponentialreihe ex = ∞ xk 1 1 1 ∑ k! = 1 + x + 2 x2 + 6 x3 + 24 x4 + . . . k=0 bereits keine Nullstelle mehr. y Graphen der Exponentialfunktion und der Logarithmusfunktion x Die aus dieser Reihendarstellung hervorgehende irrationale Zahl e= ∞ 1 1 1 1 ∑ k! = 1 + 1 + 2 + 6 + 24 + . . . k=0 heißt Eulersche Zahl. Folgender Satz, den wir ohne Beweis präsentieren, trägt wichtige analytische Eigenschaften der Exponentialfunktion x → ex zusammen. Satz 3.1. Die Exponentialfunktion ex : R → (0, ∞) ◦ ist auf R streng monoton wachsend, stetig und stets positiv, ◦ und sie bildet daher die reellen Zahlen R eineindeutig auf die Menge (0, ∞) der positiven reellen Zahlen ab. 3.1. ELEMENTARE FUNKTIONEN 39 Sie erfüllt e0 = 1 und e1 = e, und sie genügt der Funktionalgleichung ex+y = ex · ey Schließlich gelten für alle x, y ∈ R. lim ex = ∞, lim ex = 0, x→∞ als auch ex = ∞, x→∞ xn lim x→−∞ lim xn ex = 0 x→−∞ für alle n ∈ N0 . Ein vollständiger Beweis dieses Satzes, für den wir auf die Lehrbücher zur Analysis verweisen müssen, benutzt insbesondere das sogenannten Cauchyprodukt unendlicher Reihen, auf das wir im nächsten Paragraphen kurz eingehen werden. Wegen ihrer strengen Monotonie besitzt die Exponentialfunktion eine Umkehrfunktion, den sogenannten natürlichen Logarithmus. Satz 3.2. Die natürliche Logarithmusfunktion ln : (0, ∞) → R ◦ ist auf (0, ∞) streng monoton wachsend und stetig, ◦ und bildet daher die positiven reellen Zahlen (0, ∞) eineindeutig auf die Menge R aller reellen Zahlen ab. Sie erfüllt ln 1 = 0 und ln e = 1, und sie genügt der Funktionalgleichung ln(x · y) = ln x + ln y Schließlich gelten lim ln x = ∞, x→∞ für alle x, y > 0. lim ln x = −∞ . x→0+ In der obigen Skizze sind die Exponentialfunktion und die natürliche Logarithmusfunktion veranschaulicht. Allgemeine Potenzfunktionen x → xr definieren wir wie folgt über die Exponentialfunktion und den natürlichen Logarithmus. Definition 3.2. Für beliebiges r ∈ R ist die allgemeine Potenzfunktion f (x) = xr , gegeben durch x > 0, xr := er ln x . Satz 3.3. Seien x, y > 0 und r, s ∈ R. Dann gelten xr yr = (xy)r , sowie xr+s = xr xs , ln xr = r ln x. xrs = (xr )s KAPITEL 3. FUNKTIONEN 40 Beweis. Den Rechenregeln für die Exponential- und für die Logarithmusfunktion entnehmen wir zum Beispiel ◦ xr yr = er ln x er ln y = er ln x+r ln y = er(ln x+ln y) = er ln(xy) = (xy)r Die verbleibenden Identitäten zeige man als Übung. 3.1.4 Zahlenfolgen und Zahlenreihen Wir wollen auf die bereits angesprochenen Reihenentwicklungen ∞ y = f (x) = ∑ a k xk k=0 von Funktionen zurückkommen. Die Exponentialreihe diente uns als ein wichtiges Beispiel. Ganz allgemein sind solche Potenzreihen entweder konvergent oder divergent. Betrachten wir zum besseren Verständnis zunächst Zahlenreihen. Definition 3.3. Die Zahlen ∞ ∑ ak mit reellen Summanden ak ∈ R heißt konvergent, k=0 falls die Folge ihrer Partialsummen Sn := n ∑ ak k=0 eine konvergente Folge ist, d.h. wenn der Grenzwert S := lim Sn = n→∞ ∞ ∑ ak k=0 existiert. Sie heißt divergent, falls sie nicht konvergent ist. Die Konvergenz einer Zahlenreihe wird damit zurückgeführt auf die Konvergenz gewöhnlicher Zahlenfolgen. Definition 3.4. Die reelle Zahlenfolge (un )n=1,2,... ⊂ R heißt konvergent mit dem Grenzwert u ∈ R, falls es zu jedem ε > 0 ein natürliches N(ε ) ∈ N der Art gibt, dass |u − un| < ε für alle n ≥ N(ε ). Beispiel 1. Die folgenden Zahlenfolgen sind konvergent: n mit dem Grenzwert lim un = 1; ◦ un = n→∞ n+1 ◦ un = 1 + 1 mit dem Grenzwert lim un = 1; n→∞ n ◦ un = 1 + 1 n n mit dem Grenzwert lim un = e ≈ 2.71828 . . .; n→∞ 3.1. ELEMENTARE FUNKTIONEN ◦ un = 41 √ √ n + 1 − n mit dem Grenzwert lim = 0 : n→∞ √ ◦ un = n n mit dem Grenzwert lim un = 1. n→∞ Wir wollen die Behauptung aus dem letzten Beispiel beweisen: √ lim n n = 1. n→∞ Dazu erinnern wir an den binomischen Lehrsatz, nach dem wir für x ≥ 0 folgende Abschätzung haben n n 2 n 3 n 2 x+ x + x + . . . + xn ≥ x 1 2 3 2 (1 + x)n = 1 + Desweiteren ist n−1 ≥ n 2 bzw. so dass wir schließen 1 2 ≤ n−1 n für alle n ≥ 2, 2 4 1 · · (1 + x)n ≤ 2 (1 + x)n für alle x ≥ 0 und alle n ≥ 2. n n−1 n √ Wir setzen hier x = un mit un = n n − 1 ≥ 0 ein und erhalten x2 ≤ √ 4 4 √ 4 ( n n − 1)2 ≤ 2 ( n n)n = 2 · n = . n n n Nach Ziehen der Wurzel folgt √ 2 | n n − 1| ≤ √ −→ 0 n weshalb in der Grenze für n → ∞ , √ n n → 1 für n → ∞ erfüllt ist. Beispiel 2. Die folgenden Zahlenreihen sind konvergent: ∞ ◦ k=0 ∞ ◦ 1 1 1 1 ∑ (k + 1)(k + 2) = 1 · 2 + 2 · 3 + 3 · 4 + . . . = 1; k=0 ∞ ◦ 1 ∑ k! = e ≈ 2.71828 . . .; 1 ∑ qk = 1 + q + q2 + q3 + . . . = 1 − q für reelles q ∈ (−1, 1). k=0 Das dritte Beispiel ist uns bereits als die geometrische Reihe bekannt. Aus der gewöhnlichen Dreiecksungleichung |a + b| ≤ |a| + |b| für zwei reelle Zahlen a, b ∈ R bzw. |a0 + a1 + a2 + . . . + an| ≤ |a0 | + |a1| + |a2| + . . . + |an | für beliebiges n ∈ N KAPITEL 3. FUNKTIONEN 42 schließen wir im Grenzfall ∞ ∑ ak ≤ k=0 ∞ ∑ |ak |. k=0 Mit anderen Worten: Konvergiert die rechts stehende Reihe beträge |ak |, so konvergiert die ursprüngliche Reihe bekommen einen besonderen Namen. Definition 3.5. Die Zahlenreihe konvergiert. ∞ ∑ |ak | über die Absolut- k=0 ∞ ∑ ak erst recht. Derartige Reihen k=0 ∞ ∞ k=0 k=0 ∑ ak heißt absolut konvergent, falls die Reihe ∑ |ak | Absolut konvergente Reihen sind erst recht konvergent. Beispiel 3. Die Exponentialreihe ex = ∞ xk ∑ k! , k=0 für fixiertes x ∈ R als gewöhnliche Zahlenreihe aufgefasst, ist für jedes reelle x ∈ R absolut konvergent. Einen Beweis dieser Behauptung müssen wir in unserer Vorlesung auslassen. Das Beispiel zeigt jedoch, dass Potenzreihen y = f (x) = ∞ ∑ ak xk , von der wir ja ausgegangen k=0 sind, für fixierte Argumente x als gewöhnliche Zahlenreihen betrachtet werden dürfen. Für den kommenden Paragraphen benötigen wir noch eine besondere Rechenregel für absolut konvergente Reihen, die sogenannte Cauchysche Produktformel. Satz 3.4. Sind ∞ ∞ k=0 ℓ=0 ∑ ak und ∑ bℓ zwei absolut konvergente Zahlenreihen, und bedeutet S := ∞ ∑ ak k=0 ∞ · ∑ bℓ ℓ=0 ihr Produkt, → so dürfen wir dieses Produkt, wie für endliche Summen gewohnt, ausklammern, S= ∞ ∞ ∑ ∑ ak bℓ k=0 ℓ=0 = ∞ ∞ ℓ=0 k=0 ∑ ∑ ak bℓ , oder ausführlich S = a0 b0 + a0 b1 + a0 b2 + . . . + a1 b0 + a1 b1 + a1 b2 + . . . = a0 b0 + a1 b0 + a2 b0 + . . . + a0 b1 + a1 b1 + a2 b1 + . . . 3.1. ELEMENTARE FUNKTIONEN 43 → und dieses Produkt kann zudem wie folgt umsortiert werden S = ∞ n n=0 m=0 ∑ ∑ am bn−m = a0 b0 + (a0 b1 + a1b0 ) + (a0b2 + a1b1 + a2 b0 ) + . . . Diese Identität heißt auch Cauchys Produktformel. Wir wollen die Cauchysche Produktformel anwenden, um die Funktionalgleichung ex+y = ex · ey aus Satz 3.1 nachträglich zu beweisen. Es gilt nämlich zunächst für festes n ∈ N n xm yn−m 1 = m! (n − m)! n! m=0 ∑ n 1 n m n−m x y = (x + y)n m n! ∑ m=0 nach dem binomischen Lehrsatz. Cauchys Produktformel entnehmen wir daher ∞ xk ∑ k=0 k! ∞ ∞ yℓ ∑ ℓ=0 ℓ! = ∞ n xm yn−m ∑ m=0 m! (n − m)! ∑ n=0 = (x + y)n ∑ n! = ex+y . n=0 3.1.5 Summe der ersten n Potenzen - Bernoullizahlen Wir wollen an dieser Stelle unsere Untersuchungen aus dem ersten Kapitel über Potenzsummen S p (n) := n ∑ kp = 1p + 2p + 3p + . . . + np , p = 0, 1, 2, . . . , k=1 erneut aufgreifen und nach Ideen des Schweizer Jakob Bernoulli eine allgemeine Darstellungsformel für solche Ausdrücke herleiten. Mit der Exponentialreihe ex = ∞ xk x2 x3 ∑ k! = 1 + x + 2! + 3! + . . . k=0 betrachten wir zu diesem Zweck die Funktion x x x = f (x) := x = 3 x3 x2 x2 e −1 1 + x + 2! + 3! + . . . − 1 x + 2! + x3! + . . . 1 , = 2 x 1 + 2! + x3! + . . . welche sich um Punkt x0 = 0 in eine Potenzreihe entwickeln lässt (warum?) f (x) = ∞ Bk k x k=0 k! ∑ KAPITEL 3. FUNKTIONEN 44 mit den sogenannten Bernoullischen Zahlen Bk . Um diese unbekannten Zahlen zu bestimmen, schreiben wir das Produkt 1 = f (x) · ex − 1 1 = f (x) · f (x) x in folgende Form um 1 = ∞ Bk k 1 x · x k=0 k! ∑ ∞ xℓ ∑ ℓ! − 1 ℓ=0 ∞ = ∞ = Bk k ∞ 1 x ·∑ xℓ =: k! (ℓ + 1)! k=0 ℓ=0 ∑ Bk k 1 x · x k=0 k! ∑ ∞ xℓ ∑ ℓ! ∞ = ℓ=1 Bk k ∞ xℓ−1 x ·∑ k=0 k! ℓ=1 ℓ! ∑ ∞ ∑ p m xm m=0 mit den Faktoren pm des Cauchyprodukts m 1 Bi = i!(m + 1 − i)! (m + 1)! i=0 pm = ∑ m ∑ i=0 m+1 Bi . i Da aber einfach p0 = 1, sonst p1 = p2 = . . . = pk = 0 sind, was wir unmittelbar einem Vergleich der Koeffizienten der Identität 1 = p 0 x0 + p 1 x1 + p 2 x2 + . . . entnehmen, ergeben sich hieraus zur Bestimmung der Bi die linearen Gleichungen B0 = 1, B0 + 2B1 = 0, B0 + 3B1 + 3B2 = 0 usw. Dieses System kann man auflösen zu den gesuchten Bernoullischen Zahlen 1 1 1 1 , ... B0 = 1, B1 = − , B2 = , B3 = 0, B4 = − , B5 = 0, B6 = 2 6 30 42 Hiermit können wir nun zur Bestimmung der Summen Snp fortschreiten. Zu diesem Zweck stellen wir folgende Summe En := 1 + ex + e2x + e3x + . . . + enx für natürliche Zahlen n ≥ 1 auf zwei verschiedene Arten dar: Einerseits natürlich gemäß ∞ ∞ ∞ xk (2x)k (nx)k +∑ + ...+ ∑ k=0 k! k=0 k! k=0 k! En = 1 + ∑ ∞ k x xk = 1 + ∑ (1k + 2k + . . . + nk ) = 1 + ∑ Sk (n) . k=0 k! k=0 k! ∞ Zweitens erinnern wir an die allgemeine Identität n (1 − a)(1 + a + a2 + . . . + an ) = (1 − a) · ∑ ai = 1 − an+1 , i=0 (∗) 3.1. ELEMENTARE FUNKTIONEN 45 die wir wie folgt auf a = ex anwenden: En = x e(n+1)x − 1 ∞ Bk k e(n+1)x − 1 e(n+1)x − 1 = · = ·∑ x . ex − 1 x ex − 1 x k=0 k! Da nun weiter gilt e(n+1)x − 1 1 = · x x ∞ ∞ (n + 1)ℓ xℓ −1 ℓ! ℓ=0 ∑ = ∞ (n + 1)ℓ xℓ−1 (n + 1)ℓ+1xℓ =∑ , ℓ! (ℓ + 1)! ℓ=1 ℓ=0 ∑ erhalten wir En = ∞ ∞ Bk k ∞ (n + 1)ℓ+1 ℓ x x · = ∑ k! ∑ (ℓ + 1)! ∑ p m xm m=0 k=0 ℓ=0 mit den Faktoren des Cauchyprodukts (∗∗) m Bi (n + 1)m+1−i pm = ∑ . i=0 i! (m + 1 − i)! Wir fassen (∗) und (∗∗) zusammen (k sei der gemeinsame Summationsindex) ∞ k Bi (n + 1)k+1−i k Sk (n) k x =∑ ∑ x k=0 i=0 i! (k + 1 − i)! k=0 k! ∞ 1+ ∑ bzw. ausgeschrieben 1 + S0(n) + S1(n)x + . . . = B0 (n + 1) + = 1 · (n + 1) + B0 (n + 1)2 B1 (n + 1)1 + 0! 2! 1! (2 − 1)! x + ... 1 1 (n + 1)2 − (n + 1) x + . . . 2 2 Wir vergleichen schließlich die Koeffizienten der xk auf beiden Seiten der letzten Identität und haben folgendes Resultat bewiesen: Satz 3.5. Es gelten die Darstellungsformeln S1 (n) = S2 (n) = S3 (n) = S4 (n) = S5 (n) = S6 (n) = S7 (n) = usw. 1 2 1 n + n 2 2 1 3 1 2 1 n + n + n 3 2 6 1 4 1 3 1 2 n + n + n 4 2 4 1 5 1 4 1 3 1 n + n + n − n 5 2 3 30 1 6 1 5 5 4 1 2 n + n + n − n 6 2 12 12 1 7 1 6 1 5 1 3 1 n + n + n − n + n 7 2 2 6 42 1 8 1 7 7 6 7 4 1 2 n + n + n − n + n 8 2 12 24 12 KAPITEL 3. FUNKTIONEN 46 3.2 Winkelfunktionen und hyperbolische Funktionen 3.2.1 Komplexe Zahlen Wir wollen in diesem Abschnitt die reelle Exponentialfunktion ex = ∞ xk 1 1 1 ∑ k! = 1 + x + 2 x2 + 6 x3 + 24 x4 + . . . k=0 auf den Raum der komplexen Zahlen z = a + ib erweitern. Dazu benötigen wir einige Vorbereitungen. Definition 3.6. Unter einer komplexen Zahl z verstehen wir einen Ausdruck der Form z = a + ib. Dabei heißen a ihr Realteil und b ihr Imaginärteil, in Zeichen a = Re z, b = Im z. Die imaginäre Einheit i ist charakterisiert durch i2 = −1. Die Menge aller komplexen Zahlen bezeichnen wir mit dem Symbol C. Beispiele komplexer Zahlen sind z=4 mit Re z = 4, Im z = 0, z = 3 + 2i mit Re z = 3, Im z = 2, z = −7i mit Re z = 0, Im z = −7. Komplexe Zahlen z = a + ib können in der sogenannten Gaußschen Zahlenebene wie folgt veranschaulicht werden: Im z = a + ib b a C Re z = a − ib In dieser Skizze haben wir neben z = a + ib einen weiteren Punkt z = a − ib eingezeichnet, der sich aus z durch Spiegelung an der x-Achse ergibt. 3.2. WINKELFUNKTIONEN UND HYPERBOLISCHE FUNKTIONEN Definition 3.7. Es heißt 47 z := a − ib die zu z = x + iy komplex-konjugierte Zahl. Wir können also eine komplexe Zahl Vektor in der Gaußschen Zahlenebene interpretieren. Hieraus ergeben sich auf natürliche Weise Summe z1 + z2 und Produkt z1 z2 zweier komplexer Zahlen z1 = a + ib und z2 = c + id gemäß ◦ z1 + z2 := (a + c) + i(b + d) ◦ z1 z2 := (ac − bd) + i(ad + bc). Die Definition der Multiplikation rechtfertigt sich durch folgendes Argument z1 · z2 = (a + ib) · (c + id) = ac + iad + ibc + i2bd = ac − bd + i(ad + bc). Addition und Multiplikation erfüllen alle zu erwartenden Eigenschaften: ◦ ◦ ◦ ◦ ◦ das Kommutativgesetz der Addition z1 + z2 = z2 + z1 , das Assoziativgesetz der Addition (z1 + z2 ) + z3 = z1 + (z2 + z3 ), das Kommutativgesetz der Multiplikation z1 · z2 = z· z1 , das Assoziativgesetz der Multiplikation (z1 · z2 ) · z3 = z1 · (z2 · z3 ), das Distributivgesetz (z1 + z2 ) · z3 = z1 · z3 + z2 · z3 . Ferner gibt es ein neutrales Element bez. der Addition, 0 = 0 + i · 0 ∈ C, und ein neutrales Element bez. der Multiplikation, 1 = 1 + i · 0 ∈ C. Ist schließlich z = a + ib ∈ C mit z = 0, so lässt sich wie folgt das Inverse bestimmen 1 b a −i 2 , = z−1 = 2 2 z a +b a + b2 denn wir berechnen z · z−1 = (a + ib) · a b −i 2 2 2 a +b a + b2 = a2 + b2 −ab + ab + 2 i = 1 + i · 0 = 1. a2 + b2 a + b2 Dieses Inverse ist auch eindeutig bestimmt. Die Menge C ist, wie der Zahlenkörper R, abgeschlossenen gegenüber den arithmetischen Operationen. Zusätzlich sind wir aber jetzt in der Lage, beliebige Wurzeln zu berechnen, was in R nicht möglich ist. So besitzt beispielsweise die quadratische Gleichung z2 + 1 = 0 die beiden komplexen Lösungen z1 = i und z2 = −i, was man unmittelbar verifiziert. Reelle Lösungen dieser Gleichung gibt es jedoch nicht. Es gilt sogar folgender Fundamentalsatz der Algebra. KAPITEL 3. FUNKTIONEN 48 Satz 3.6. Jedes nichtkonstante Polynom zn + an−1zn−1 + an−2zn−2 + . . . + a1 z + a0 = 0 mit Koeffizienten ak ∈ C besitzt mindestens eine komplexe Nullstelle. Beim Radizieren ist jedoch Vorsicht geboten! L. Euler gab nämlich folgendes interessante Beispiel“ ” √ √ √ −2 = i · (2i) = −1 · −4 = (−1) · (−4) = 4 = 2. Was läuft hier falsch? Definition 3.8. Es heißt die reelle Zahl |z| := a2 + b2 ≥ 0 der Betrag der komplexen Zahl z = a + ib. Der Betrag der komplexen Zahl z entspricht also der Euklidischen Länge des komple” xen Vektors“ z = a + ib in der Gaußschen Zahlenebene. Satz 3.7. Seien z sowie z1 und z2 zwei komplexe Zahlen. Dann gelten ◦ ◦ ◦ ◦ |z| = 0 genau dann, wenn z = 0 (z) = z und z · z = |z|2 z1 + z2 = z1 + z2 und z1 · z2 = z1 · z2 |z1 · z2 | = |z1 | · |z2 | Beweis. Beweisen Sie diesen Satz als Übung. 3.2.2 Die komplexe Exponentialfunktion Unter der komplexen Exponentialfunktion verstehen wir nun die komplexe Potenzreihe exp(z) = ∞ zk ∑ k! . k=0 Diese Reihe verschwindet für kein z ∈ C, und sie konvergiert absolut für alle Argumente z ∈ C, d.h. es gilt ∞ |z|k < ∞ für alle z ∈ C. k=0 k! ∑ Hiermit lässt sich beweisen, dass exp : C → C stetig und - im komplexen Sinne - beliebig oft differenzierbar ist. Die Cauchysche Produktformel, die ebenfalls für komplexe Zahlen anwendbar ist, sichert schließlich das wichtige, uns bereits für die reelle Exponentialfunktion bekannte Additionsgesetz exp(z1 + z2 ) = exp(z1 ) + exp(z2 ). 3.2. WINKELFUNKTIONEN UND HYPERBOLISCHE FUNKTIONEN 49 3.2.3 Die Winkelfunktionen Unter Benutzung der kürzeren Schreibweise ez = exp(z) berechnen wir für reelles x ∈ R eix = k ∞ ∞ ∞ ∞ (ix)k [i(−x)]k (ix)k (ix) ∑ k! = ∑ k! = ∑ k! = ∑ k! = e−ix , k=0 k=0 k=0 k=0 d.h. e−ix ist die komplex Konjugierte zu eix . Daraus folgt |eix |2 = eix · eix = eix · e−ix = eix−ix = e0 = 1. Mit anderen Worten: Für reelles x ∈ R liegt die Zahl eit auf dem Einheitskreis S2 = {(x, y) ∈ R2 : x2 + y2 = 1} . Im eix sin x cos x Re Definition 3.9. Die reellen Winkelfunktionen Kosinus cos : R → R und Sinus sin : R → R sind definiert als Realteil bzw. Imaginärteil der komplexwertigen Funktion eix , genauer cos x = Re eix , sin x = Im eix für alle x ∈ R. Äquivalent zu dieser Definition ist die berühmte Eulersche Formel eix = cos x + i sin x. Wir wollen folgende Reihenentwicklungen für Kosinus und Sinus beweisen. Satz 3.8. Für alle x ∈ R gelten x3 x5 x7 + − + . . ., 3! 5! 7! x2 x4 x6 cos x = 1 − + − + . . . 2! 4! 6! sin x = x − Beweis. Aus der komplexen Exponentialreihe erhalten wir nämlich ∞ i · x i2 x2 i3 x3 i4 x4 i5 x5 i6 x6 i7 x7 (ix)k = 1 + + + + + + + + ... ∑ 1! 2! 3! 4! 5! 6! 7! k=0 k! x2 x4 x6 x3 x5 x7 = 1 − + − + . . . + x − + − + . . . i. 2! 4! 6! 3! 5! 7! Daraus folgen die behaupteten Reihenentwicklungen. KAPITEL 3. FUNKTIONEN 50 Die Funktionen Sinus und Kosinus sind für alle x ∈ R stetig. Ihren gerade bewiesenen Entwicklungen entnehmen wir außerdem sin(−x) = − sin x, cos(−x) = cos x, d.h. der Sinus ist antisymmetrisch, der Kosinus ist symmetrisch. Die Eulersche Formel liefert daher eix = cos x + i sin x, e−ix = cos x − i sin x, und nach Summation bzw. Subtraktion beider Identitäten erhalten wir die neuen Darstellungen sin x = 1 ix (e − e−ix ), 2i cos x = 1 ix e + e−ix 2 für alle x ∈ R. Tatsächlich lassen sich auf diese Weise Sinus und Kosinus ins Komplexe fortsetzen gemäß 1 1 sin z = (eiz − e−iz ), cos z = (eiz + e−iz ) für alle z ∈ C. 2i 2 Satz 3.9. Für alle x, y ∈ R gelten die Additionstheoreme sin(x ± y) = sin x cos y ± siny cos x, cos(x ± y) = cosx cos y ∓ sinx sin y. Beweis. Wir beweisen nur die erste Behauptung: sin x cos y + siny cos x = 1 ix 1 (e − e−ix )(eiy + e−iy ) + (eiy − e−iy )(eix + e−ix ) 4i 4i 1 i(x+y) e + ei(x−y) − ei(y−x) − e−i(x+y) + ei(x+y) + ei(y−x) − ei(x−y) − e−i(x+y) 4i 1 i(x+y) = e − e−i(x+y) = sin(x + y), 2i = was zu zeigen war. Aufgabe 1. Zeigen Sie auch die zweite behauptete Identität. Ohne weitere detaillierte Begründung interpretieren wir nun den reellen Parameter x in der Eulerschen Formel als den Winkel, der von der horizontalen Achse und dem Radiusvektor mit dem Endpunkt eix eingeschlossen wird – vergleiche mit der obigen Skizze. Dieser Winkel ist bis auf Vielfaches des Vollwinkels 2π = 360◦ eindeutig bestimmt. Dieser Deutung gewinnen wir beispielsweise folgende numerischen Werte für die Winkelfunktionen: Winkel ϕ 0 cos ϕ 1 sin ϕ 0 π 6 √ 3 2 1 2 π 4 √ 2 2 √ 2 2 π 3 1 2 √ 3 2 π 2 0 1 Aufgabe 2. Leiten Sie diese Werte unter Verwendung des Satzes von Pythagoras ab. 3.2. WINKELFUNKTIONEN UND HYPERBOLISCHE FUNKTIONEN 51 3.2.4 Reihenentwicklungen für die Kreiszahl π Wir wollen die vorgestellten Eigenschaften für die Winkelfunktionen nutzen, um verschiedene Darstellungen für die Kreiszahl π ≈ 3.14159 . . . zu beweisen. Satz 3.10. Es gilt die Viètesche Darstellung (1593) √ 2+ 2 · 2 √ 2 2 · = π 2 Beweis. √ 2+ 2 2+ 2 · ... 1. Das Additionstheorem für den Sinus liefert zunächst x x sin x = 2 sin cos . 2 2 Wir wenden diese Identität sukzessive an und erhalten x x x x x x x x x sin x = 2 sin cos = 4 sin cos cos = 8 sin cos cos cos = . . . 2 2 4 4 2 8 8 4 2 bzw. nach n Schritten sin x = 2n sin sin 2xn x x x x x x · cos · cos · . . . · cos n . · cos n · . . . · cos = x · x n 2 2 2 2 4 2 n 2 2. Aus der Reihenentwicklung für den Sinus schließen wir sin x x2 x4 x6 = 1 − + − + ... x 3! 5! 7! bzw. lim x→0 sin x = 1. x Das wenden wir nun in unserer Situation an und erhalten nach Grenzübergang n → ∞ die Eulersche Produktdarstellung für den Sinus ∞ sin x = x ∏ cos n=1 Wir teilen durch x = 0 und setzen x = 1 π 2 = sin π2 π 2 π 2 x . 2n ein: √ 2 π π · cos · . . . · cos n+1 · . . . = 2 8 2 (∗) 3. Um die rechte Seite dieser Identität weiter auszuwerten, benötigen wir das Additionstheorem für den Kosinus in der Form cos(2x) = cos2 x − sin2 x = cos2 x − 1 + cos2 x = 2 cos2 x − 1, KAPITEL 3. FUNKTIONEN 52 was nach Umstellen auf x 1 + cosx = 2 2 führt. Hierin setzen wir sukzessive x = π4 , x = π8 usw. ein cos √ π 2 , cos = 4 2 1 + cos π4 = 2 π cos = 8 1+ 2 √ 2 2 √ 2+ 2 2 = usw. Ersetzen wir nun die Produkte cos 2πn in (∗) durch diese Terme, so ist die behauptete Vietasche Darstellung für die Kreiszahl π gezeigt. Satz 3.11. Es gilt die Darstellung von John Wallis (1655) π 2 2 4 4 6 6 = · · · · · · ... 2 1 3 3 5 5 7 Beweis. 1. Es seien x1 , . . . , xn = 0 Nullstellen eines Polynoms pn (x) vom Grade n > 1. Dann wissen wir pn (x) = 1 − x x1 · 1− x x2 · ...· 1 − x xn unter der Annahme pn (0) = 1. Das wenden wir nun, einer Idee von L. Euler folgend, auf die Sinusfunktion mit ihren Nullstellen x = ±nπ , n ∈ N ∪ {0} an: x x x x · 1+ · 1− · 1+ · ... π π 2π 2π sin x = x 1 − = x 1− x2 π2 · 1− x2 4π 2 · 1− x2 9π 2 · ..., wobei jeder Faktor in der zweiten Zeile das Produkt zweier Klammern aus der ersten Zeile ist. 2. Wir setzen nun x = π 2 1 = sin ein und erhalten 1 1 1 π π · 1− · 1− · ... = · 1− 2 2 4 16 36 bzw. nach Division der Klammern rechts π = 2 = 1− 1 4 −1 · 1− 1 16 −1 · 1− 1 36 −1 4 16 36 2·2 4·4 6·6 · · · ... = · · · ... 3 15 35 1·3 3·5 5·7 Das beweist den Satz. · ... 3.2. WINKELFUNKTIONEN UND HYPERBOLISCHE FUNKTIONEN 53 Bemerkung 1. Wir schreiben das Wallissche Produkt in der Form ∞ 4k2 2k · 2k = ∏ 2 . ∏ k=1 4k − 1 k=1 (2k − 1)(2k + 1) ∞ Beachten Sie, dass jeder Faktor auf der rechten Seite echt größer als 1 ist, das Produkt aber dennoch konvergiert. Satz 3.12. Es gilt die Darstellung von James Gregory (1671) 1 1 1 π = 1 − + − + ... 4 3 5 7 Beweis. ∗ Aus Gründen der Vollständigkeit führen wir einen Beweis an. 1. Wie im vorigen Beweis stellen wir Sinus und Kosinus als folgende Produkte dar x2 π2 · 1− x2 4π 2 · 1− x2 9π 2 ·... 4x2 π2 · 1− 4x2 9π 2 · 1− 4x2 25π 2 ·... sin x = x 1 − cos x = 1− mit den Nullstellen x = ± π2 , ± 32π usw. des Kosinus. 2. Wir führen nun die Tangensfunktion ein tan x := sin x , cos x 3π π ,± , ..., 2 2 x=± welche nur außerhalb der Nullstellen des Kosinus definiert ist. In Termen unserer Produktentwicklungen ist also 2 tan x = x 1 − πx 2 2 1 − 4x π2 2 1 − 4xπ 2 2 1 − 94xπ 2 2 1 − 9xπ 2 · . . . 2 4x 1 − 25 ·... π2 . Diesen stellen wir mittels einer Partialbruchzerlegung dar tan x = A1 B1 A2 B2 + + + +... 2x 2x 2x 1 − 2x 1 + 1 − 1 + π π 3π 3π (∗∗) Um die hierin unbekannten Koeffizienten A1 , A2 , B1 usw. zu bestimmen, multiplizieren wir beide Seiten dieser Gleichung mit der Produktdarstellung für den Kosinus und erhalten x x x x 1+ 1− 1+ ·... x 1− π π 2π 2π = A1 1 + 2x π +B1 1 − 1− 2x π 2x 3π 1− 2x 3π 2x 2x 1+ π π Dieser Ausdruck ist nun für alle x ∈ R gültig. +A2 1 − 1+ 2x 3π ·... 1+ 2x 3π ·... 1+ 2x 3π ·... KAPITEL 3. FUNKTIONEN 54 3. In die letzte Identität setzen wir x = π 2 ein und erhalten 2 4 4 6 π 1 3 3 5 · · · · · . . . = A1 · 2 · · · · · . . . 2 2 2 4 4 3 3 5 5 bzw. nach Umstellen nach A1 = π 1 3 3 5 · · · · ·... 2 2 2 4 4 2 . Den rechten Ausdruck in der Klammer können wir aber nach der Wallisschen Darstellung durch π2 ersetzen, d.h. 2 π · 2 π A1 = 2 = 2 . π Analog verfahren wir, um B1 nach Einsetzen von x = − π2 zu bestimmen. Es würden folgen 2 2 2 = −B2 , A3 = = −B3 usw. A1 = = −B1 , A2 = π 3π 5π bzw. allgemein 2 Ak = = −Bk . (2k − 1)π 4. Die so bestimmten Koeffizienten A1 , A2 , B1 usw. setzen wir wieder in (∗∗) ein. Nach Vereinfachen der einzelnen Summanden erhalten wir die folgende Partialbruchzerlegung der Tangensfunktion tan x = 2 2 2 2 2 2 − + − + − +... π − 2x π + 2x 3π − 2x 3π + 2x 5π − 2x 5π + 2x = 8x 1 1 1 + + +... . π 2 − 4x2 9π 2 − 4x2 25π 2 − 4x2 Diese Identität ist für alle x = (2k+1)π , 2 k = 0, ±1, ±2, . . . , erfüllt. 5. Wir setzen in die Partialbruchzerlegung des Tangens den Wert x = 1 = tan = 8 · π π π = 8· · 4 4 1 2 π 2 − π4 + 1 1 1 + + +... . 3 35 99 1 2 9π 2 − π4 + π 4 1 2 25π 2 − π4 ein und bekommen +... Jeder Summand in der rechtsstehenden Klammer ist aber von der Form 1 1 1 = = 2 4(2k − 1)2 − 1 (4k − 3)(4k − 1) 1 1 − , 4k − 3 4k − 1 und daraus entnehmen wir endlich die behauptete Darstellung von Gregory. Auch die folgende vierte Darstellung lassen wir in der Vorlesung unbewiesen. 3.2. WINKELFUNKTIONEN UND HYPERBOLISCHE FUNKTIONEN 55 Satz 3.13. Es gelten die Gregory-Leibniz-Darstellung 1 1 1 π2 = 2 + 2 + 2 + ... 8 1 3 5 sowie die Eulersche Darstellung (1734) 1 1 1 π2 = 2 + 2 + 2 + ... 6 1 2 3 Beweis. ∗ 1. Um die Gregory-Leibniz-Darstellung zu zeigen, setzen wir in die Partialbruchzerlegung des Tangens, d.h. in tan x = 8x · 1 1 1 + + +... π 2 − 4x2 9π 2 − 4x2 25x2 − 4x2 aus dem vorigen Beweis x = 0 ein, nachdem mit x = 0 dividiert wurde: lim x→0 tan x = x lim x→0 sin x x · lim x→0 1 cos x = 1·1 = 1 für die linke Seite der Partialbruchzerlegung und 8· 1 1 1 + + +... π 2 9π 2 25π 2 für die rechte Seite. Zusammen folgt also π2 1 1 1 = 2 + 2 + 2 +..., 8 1 3 5 was die erste Behauptung zeigt. Die zweite Behauptung entnehmen wir folgender Überlegung: 1 1 1 1 S := 2 + 2 + 2 + 2 + . . . 1 2 3 4 = 1 1 1 + + +... + 12 32 52 = 1 1 1 1 + + +... + 4 12 32 52 = 1 1 1 + + +... 22 42 62 1 1 1 + + +... 12 22 32 π2 1 + S. 8 4 Umstellen dieser Beziehung beweist den Satz vollständig. KAPITEL 3. FUNKTIONEN 56 3.2.5 Weitere Darstellungen Wir wollen in kurzer Form weitere Darstellungen für die Zahl π vorstellen. ◦ Archimedes approximierte den Kreisumfang durch die elementargeometrische Länge einbeschriebener Polynome. Auf ihn geht die Abschätzung 3.1408450 ≈ 3 + 10 10 < π < 3+ ≈ 3.1428571. 71 70 zurück. ◦ W. Brouncker gab 1655 folgende Kettenbruchentwicklung an 4 12 = 1+ 2 π 2+ 3 2 . 2+ 5 2 7 2+ ··· Zum Beweise ziehe man die Darstellung von J. Gregory heran, π 1 1 1 = 1 − + − + ... , 4 3 5 7 unter zusätzlicher Beachtung von 1+ 1 1 = 1− 2 3 −1 , 1+ 1 2 2 + 32 = 1− 1 1 + 3 5 −1 usw. ◦ Die Eulersche Darstellungen aus dem letzten Satz ist eine Spezialfall einer Reihenentwicklung der Kreiszahl, die man aus der Riemannschen ζ -Funktion ζ (s) = ∞ 1 1 1 1 1 ∑ k s = 1 + 2s + 3s + 4s + 5s + . . . k=1 gewinnen kann. Hieran schließen sich an 1 1 1 1 + 2 + 2 + 2 + ... = 2 1 2 3 4 1 1 1 1 ζ (4) = 4 + 4 + 4 + 4 + . . . = 1 2 3 4 1 1 1 1 ζ (6) = 6 + 6 + 6 + 6 + . . . = 1 2 3 4 ζ (2) = π2 6 π4 60 π6 945 usw. Auf Euler geht ebenfalls die Identität zurück π −3 1 1 1 − + − ... = . 2·3·4 4·5·6 6·7·8 4 3.3. HYPERBOLISCHE FUNKTIONEN 57 ◦ Der indische Mathematiker S. Ramanujan bewies 1914 √ 8 ∞ (4k)!(1103 + 26390k) 1 ·∑ . = π 9801 k=0 (k!)4 · 3964k ◦ D.H. Bailey, P. Borwein und S. Plouffe entdeckten 1996 π= ∞ 1 ∑ 16k k=0 4 2 1 1 . − − − 8k + 1 8k + 4 8k + 5 8k + 6 Auf den Internetseiten von Jonathan und Peter Borwein finden sich eine Vielzahl weiterer interessanter Darstellungen. 3.2.6 Literaturnachweise ◦ Paragraph 3.2.3 Rudin, W.: Analysis ◦ Paragraph 3.2.4 Maor, E.: Trigonometric delights; Glaeser, K. und Polthier, K.: Bilder der Mathematik; wikipedia 3.3 Hyperbolische Funktionen Die trigonometrischen Funktionen Kosinus und Sinus hatten wir als Real- bzw. Imaginärteil der komplexwertigen Exponentialfunktion eix = cos x + i sin x, x ∈ R, eingeführt. Diese hatten wir auf die gesamte komplexe Ebene fortgesetzt zu den komplexwertigen Funktionen cosz und sin z. Ebenfalls unter Verwendung der – jetzt wieder reellen – Exponentialreihe kommen wir nun zur Definition 3.10. Für x ∈ R sind der hyperbolische Sinus und der hyperbolische Kosinus definiert gemäß sinh x := 1 x (e − e−x ), 2 cosh x := 1 x (e + e−x ). 2 Aus der Reihenentwicklung der Exponentialfunktion ermitteln wir ex − e−x = = ∞ xk ∞ (−x)k k=0 k! ∑ k! − ∑ k=0 1+x+ = 2·x+2· x2 x3 x4 x5 x2 x3 x4 x5 + + + + ... − 1 − x + − + − + ... 2! 3! 4! 5! 2! 3! 4! 5! x5 x3 + 2 · + ... 3! 5! KAPITEL 3. FUNKTIONEN 58 bzw. nach Umstellen x3 x5 + + ... 3! 5! Analog bekommen wir die Entwicklung des hyperbolischen Kosinus sinh x = x + cosh x = 1 + x2 x4 x6 + + + ... 2! 4! 6! Daran schließen sich sogleich einige Folgerungen an: ◦ sinh und cosh sind auf ganz R stetig; ◦ die zu sinh und cosh gehörigen Reihen konvergieren absolut; ◦ es gelten sinh 0 = 0 und cosh x = 1; 2 3 ◦ es gelten sinh x = x + x3! und cosh x = 1 + x2 für kleine“ Argumente x. ” Ebenfalls aus der Definition der hyperbolischen Funktionen über die Exponentialfunktion gelangen wir zu folgenden Additionstheoremen – vergleichbar mit unserer Herangehensweise zu den entsprechenden Sätzen für die Winkelfunktionen. Satz 3.14. Für alle x, y ∈ R gelten sinh(x ± y) = sinh x cosh y ± sinhy cosh x, cosh(x ± y) = cosh x cosh y ± sinhx sinh y. Beweis. Wir beweisen nur die erste behauptete Identität: sinh x cosh y + sinhy cosh x = 1 1 x (e − e−x )(ey + e−y ) + (ey − e−y )(ex + e−x ) 4 4 1 x+y e + ex−y − e−x+y − e−x−y + ex+y + e−x+y − ex−y − e−x−y 4 1 = 2ex+y − 2e−x−y = 2 sinh(x + y). 4 = Das war zu zeigen. Aufgabe 3. Zeigen Sie auch die zweite Behauptung. Setzen wir in diese Identitäten x = y ein, so erhalten wir unmittelbar die Folgerung 3.1. Es gelten sinh(2x) = 2 sinh x cosh x sowie für alle x ∈ R. cosh2 x − sinh2 x = 1 3.3. HYPERBOLISCHE FUNKTIONEN 59 Gerade die zweite Identität cosh2 x − sinh2 x = 1 erinnert uns an sin2 x + cos2 x = 1. Das wollen wir aber etwas genauer betrachten: Mit einem reellen Parameter t ∈ R (den man z.B. als Zeit“ oder Winkel“ usw. interpretieren kann) setzen wir ” ” x(t) := cosht, y(t) := sinht, t ∈ R. Wir können x(t) und y(t) als die zwei Komponenten der in Vektorform parametrisch dargestellten ebenen Hyperbelkurve Hyperbel: c(t) = (x(t), y(t)), t ∈ R, ansehen. Ganz analog können wir auch den Einheitskreis vermittels Kosinus und Sinus parametrisieren: Kreis: x(t) := cost, y(t) := sint, t ∈ [0, 2π ). Im beiden Fällen verfizieren wir Hyperbel: x(t)2 − y(t)2 = 1, Kreis: x(t)2 + y(t)2 = 1. Über diese algebraischen Beziehungen haben wir im zweiten Kapitel unserer Vorlesung die genannten Kurven bzw. Kegelschnitte eingeführt. Und tatsächlich hätten wir auch im aktuellen Paragraphen die hyperbolischen Funktionen cosh und sinh am Bild einer Hyperbel einführen, analog zu der diskutierten Möglichkeit, cos und sin am Einheitskreis zu definieren: cosh A sinh A A x2 − y2 = 1 Eine Gerade durch den Koordinatenursprung schneidet die Hyperbel x2 − y2 = 1 im Punkt (cosh A, sinh A), wobei A die Flächen zwischen diesem eingezeichneten Geradenstück ist, dessen Spiegelbild an der x-Achse sowie dem von diesen Geradenstücken eingegrenzten Hyperbelstück. Wie allerdings die skizzierte Fläche in der Praxis tatsächlich berechnet wird, müssen wir an dieser Stelle offen lassen. 60 KAPITEL 3. FUNKTIONEN