Kapitel 5: Sprechen und Sprachverstehen (Strube) 5.1. Der Gegenstandsbereich: Sprache - Wichtiges Medium der Kommunikation und Reflexion – Denken ist jedoch nicht notwendig auf Sprache angewiesen Denken und Sprache beim Menschen eng verknüpft Verbmobil wir machen trotzdem viele Fehler beim Sprechen und beim Sprachverstehen 5.1.1 Sprachfähigkeit als Artspezifikum des Menschen - Kinder lernen innerhalb einer bestimmten Zeit ohne Probleme ihre Muttersprache es existieren also von Geburt an bestimmte Vorraussetzungen zu diesem schnellen Spracherwerb Imitation scheidet als generelles Lernprinzip aus, da Kinder z.B. eine Phase der Übergeneralisierung durchlaufen (gingte, gangte, is gegeht) menschliche Sprachfähigkeit unterscheidet sich von tierischer Kommunikation vor allem durch die höhere Komplexität, Flexibilität und den spontanen Spracherwerb Kasten 5.1: Koevolution von Sprache und Denken - Sprache für Evolution wertvoll, da Mittel zur Koordination einer Gruppe (Menschen können gemeinsam planen und handeln) - Frage ob, alle Sprachen so etwas wie eine Universalgrammatik kennzeichnet (Chomsky) - Chomsky (1981): biologische Verankerung der Universalgrammatik, durch Muttersprache werden nur einige Parameter gesetzt 5.1.1.1 Sprachzentren im Gehirn - bei 90% linkshemisphärisch lokalisiert - Broca-Areal: Syntax; motorische Aspekte der Sprachproduktion (Hinterabschnitt des Frontallappens – in Gyrus praecentralis integriert) - Wernicke-Areal: Verstehen (obere Abschnitt Temporallappen – eng mit Hörrinde verbunden) - an Sprachproduktion sowie -rezeption sind noch viele andere Bereiche des Gehirns beteiligt Läsionen der Sprachzentren: - Ausfälle der Sprachfähigkeit (Aphasien) - Wernicke: sensorische Aphasie (Sprachproduktion flüssig aber unsinnig; Sprachrezeption vollkommen gestört) - Broca: motorische Aphasie (Sprechen mühsam langsam und stockend; Grammatik der Sätze geht verloren; jedoch weitgehend sinnvoll) - Fodor (1983): Sprachproduktion, –rezeption als Input-Output-Modul - „Sapir-Whorf-Hypothese der linguistischen Relativität (Denken hängt von Sprache ab) gilt als weitgehend widerlegt 1 5.1.1.2 Charakteristika der sprachlichen Kommunikation Generativität: Sprache ist unendlich produktiv (kreativ) Systematizität: Sprache unterliegt sprachlichen Regularitäten, dies sind Restriktionen; syntaktische Restriktionen definieren korrekten Satzbau; pragmatische und phonologische Restriktionen; semantische Restriktionen lassen bestimmte Sätze sinnlos erscheinen Situationsunabhängigkeit: Sprache erlaubt uns von Dingen zu reden, die nicht anwesend sind oder die gar nicht existieren Diese drei Faktoren unterscheiden die sprachliche Kommunikation von allen anderen biologischen Kommunikationen Arten der Kommunikation: 1) Mitteilung: Beim mitteilen, erzählen, berichten halten wir uns im allgemeinen an das Kooperationsprinzip: Wir berichten nicht ellenlang über wohlbekannte Sachverhalte Wissen über das Wissen des Kommunikationspartners ist wichig 2) Aufforderung: Wir können indirekt handeln, indem wir jmd. auffordern etwas zu tun Charakteristika der Situation und des Adressaten bestimmten die Formulierung 3) Expression: Ausdruck von Befindlichkeit/Gefühlen beeinflusst emotionale Beziehung zwischen Sprecher und Adressat 4) Handlungsvollzug: formelhafte Äußerung konstituiert Handlung selbst (z.B. Taufe, Schwur) 5.1.2 Sprachspezifisches Wissen - individuelle Grundlage muttersprachlicher Kompetenz - schon bei Säuglingen ist besondere Sensitivität für Sprachlaute nachgewiesen 5.1.2.1 Sprachspezifisches und allgemeines Wissen Sprachspezifisches Wissen: - lexikalisches Wissen (Wortschatz) - grammatikalisches Wissen (Wortstellung etc.) primär prozedural - pragmatisches Wissen (Stil, situationsadäquate Verwendungsweisen etc.) Daneben nutzen wir deklaratives Wissen wie: - begriffliches Wissen („Bedeutung von Wörtern) - Weltwissen Unterschied zwischen sprachspezifischem und Weltwissen: „Farblose grüne Ideen schlafen wütend“ macht keine Alltagssinn, ist aber syntaktisch korrekt Grammatikalisches Wissen: im linguistischen Sinn wissenschaftliche Beschreibung des Aufbaus der Äußerungen in einer bestimmten Sprache Variabilität innerhalb von Sprachen: Lexik (Wortschatz einer Sprache) und Grammatik können innerhalb einer Sprache variieren, dasselbe gilt für lexikalisches Wissen. 5.1.2.2 Kompetenz und Performanz Sprachliche Kompetenz: Sprache zu verarbeiten (zuzuhören, zu verstehen, zu sprechen, unterhalten und zu beurteilen) Performanz: empirische Realität des Sprachgebrauchs (wird Kompetenz gegenüber gestellt), zufällige Fehler, systematische Beschränkungen (z.B. Effekte der knappen AG-Kapazität) Allgemein: 2 Kompetenz: Sprachfähigkeit eines idealen Sprecher-Hörers (Linguistik) Performanz: sprachliches Verhalten realer Personen (Sprachpsychologie) Kasten 5.2: Sprachpsychologie – historische Perspektiven Linguistik: Unterscheidung von Sprache als ein System von Zeichen von der konkreten Sprachverwendung Behavioristische Sprachpsychologie: klassische Konditionierung; Bekräftigungslernen - Sprachliches Verhalten als konditionierbares Verhalten - Benennungsakte (Bezugnahme auf Objekte) - Handlungsaufforderung - Spracherwerb durch Imitation und Lernprozesse fulminante Kritik durch Chomsky (z.B. kann Behaviorismus die Produktivität der Sprache nicht erklären,...) Informationsverarbeitungsansatz und klassische Psycholinguistik: - Nachweis der „psychologischen Realität“ der Transformationsgrammatik gescheitert - heuristische Strategien beim Sprachverstehen (z.B. SVO-Wortstellung) - Clark & Clark (1977): syntaktische oder semantisch orientierte Verstehensstrategien Kognitive Sprachpsychologie (Psycholinguistik): - Verarbeitungsmodelle, die linguistisch fundierte Prinzipien der Satzverarbeitung formulieren und systematisch integrieren - Sprechen und Sprachverstehen als Informationsverarbeitungsprozesse - Orientierung an neurologischen Befunden - kognitive Modellierung der menschlichen Sprachverarbeitung (Computerprogramme) 5.2. Rezeption sprachlicher Äußerungen Ablauf der Sprachrezeption: Sprachwahrnehmung Worterkennung syntaktische Analyse (lexikalisches Wissen u. syntaktisches Wissen) semantische Interpretation (Inhalt der Äußerung erfassen und in Wissensstruktur überführen) hierfür wird deklaratives Wissen benötigt - Vorgang läuft inkrementell ab (Wort für Wort) - rückwärtsgerichtete Einflüsse: Misslingen der semantischen Interpretation kann syntaktische Reanalyse initiieren - Tendenz zur kognitiven Ökonomie: nur eine Lesart wird kognitiv repräsentiert - nur das Resultat wird bewusst Charakteristika der Rezeption von Sprache: - automatischer Prozess (nur Verstandenes wird bewusst) - kognitive Leistung selbstverständlich - bei näherer Betrachtung höchst komplexer Vorgang Ambiguität: Fast jeder Satz ist wenigstens stellenweise mehrdeutig (lokal ambig): z.B. „Müllers sahen die Störche auf ihrem Flug nach Afrika“ Syntaktische/Strukturelle Ambiguitäten: verschiedene Bedeutungen von Konstellationen von Wörtern Mehrdeutigkeiten einzelner Wörter: z.B. „mit“ macht Sprachrezeption schwierig Teilprozesse der Rezeption: - Sprachwahrnehmung: Erkennung von sprachlichen Nebengeräuschen, von verschiedenen Sprechern, in Texten, ...) Einheiten (bei 3 - Lexikalischer Zugriff: Zuordnung der erkannten Einheiten zu bekannten Einheiten im Gedächtnis Syntaktische Analyse (Parsing): Erfassung der grammatikalischen Funktionen „wer mit wem...“ Semantische Interpretation (Verstehen): Konstruktion eines mentalen Modells des Gesagtem im Kontext der bereits verarbeiteten Äußerungen sowie unter Berücksichtigung des Weltwissen und der Diskurssituation 5.2.1 Schallsignal und Sprachwahrnehmung - auditive Wahrnehmung für die Wahrnehmung sprachlicher Äußerungen spezialisiert (vermutlich angeboren) Kasten 5.3: Phoneme Phoneme: - kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten einer Sprache z.B. /r/ - linguistisch - jede Sprache ca. 25.40 insgesamt ca. 10-65 - Phonologie - Phone: - die dazugehörigen Laute (phonetische Einheiten) z.B. [r] - physiologisch und physikalisch-akustische Merkmale - Phonetik 2.1.1 Kategoriale Wahrnehmung Der kontinuierlichen Veränderung eines Signals enspricht phänomenal eine diskontinuierliche, kategoriale Wahrnehmung (z.B. beim Übergang von /da/ zu /ta/ wird abrupt /ta/ gehört) ABER: In Wiedererkennungsexp. kann man doch Variationen innerhalb von Phonemgrenzen unterscheiden - kategoriale Wahrnehmung auch bei musikalischen Intervallen/ bei nicht sprachfähigen Tierarten - visuelle Wahrnehmung kann akustische Wahrnehmung beeinflussen (McGurkEffekt) Auch unbewusste Erwartungen spielen Rolle beim Hören/Verstehen: Voraktivierungen z.B.: Warren (1970): Phonem-Restaurationseffekt: - Löschung eines Phonems – wird in der Wahrnehmung wieder eingesetzt bottom-up- und top-down-Prozesse greifen ineinander! 5.2.1.2 Lesen - muss erlernt werden - Blick wird ruckartig (in Sakkaden) von Fixation (100-250ms; 2-4 Buchstaben links; 59 Buchstaben rechts) zu Fixation bewegt - Asymmetrie der Fixationsspanne Ergebnis einer lernabhängigen Aufmerksamkeitslenkung - Lesen ist wichtig, da hierbei direkt die Verarbeitungsgeschwindigkeit gemessen werden kann 5.2.2 Lexikalischer Zugriff - Begriffe werden als Inhalte des semantischen Gedächtnis aufgefasst - sprachspezifisches Wissen über die Wörter wird als Inhalt d. menschlichen Lexikons betrachtet 4 Inhalte des mentalen Lexikons: - Gesamtheit des sprachspezifischen Wissens (auf Wörter bezogen) - Wortstamm (Lemma) + morphologische Formen - in Muttersprache Worterkennung: Zuordnung des wahrgenommenen Schall- oder visuellen Musters zur passenden mentalen Repräsentation im mentalen Lexikon Kasten 5.4: Lemmata, Morpheme, Silben Lemma (Lexem): lexikalischer Eintrag in seiner konventionell festgelegten, stichwortartigen Zitierform; neben semantischen Merkmalen auch grammatische Merkmale Morpheme: - kleinste bedeutungstragende Sprachbausteine - lexikalisch: Bedeutung - grammatisch: dienen der Flexion und sprachlichen Ableitung - Morpheme ≠ Silben Silben: Silbenanfang – Silbenkern – Silbenende zwei Arten von Lexika: 1) Stammformen + morphologische Varianten, wenn sie neue Bedeutung beinhalten 2) Vollform-Lexika – sämtliche Wortformen als eigene Lexikoneinträge 5.2.2.1 Worterkennung Shadowing-Technik: Text (Kopfhörer) so schnell wie möglich nachsprechen Kohorten-Modell (Marlsne-Wilson, 1985): Worterkennung: Phonem für Phonem schränkt die relevante Menge des mentalen Lexikons immer weiter ein neuere Modelle: phonologische Merkmale werden auf unterspezifischere Wortformen abgebildet Segmentierung: es existieren sprachspezifische Strategien zur Unterteilung von Wörtern und Sätzen; z.B. scheint für deutschsprachige Kinder ein Wort mit einer betonten Silbe zu beginnen seltsame Wörter wie lade (Schokolade) oder mate (Tomate). Prozessmodelle der Worterkennung: Suchmodell von Forster (1985): durch Buchstabenmuster wird eine Teilmenge des Lexikons ausgewählt, daraufhin seriell durchsucht (Wörter im Lexikon anhand ihrer Vorkommenshäufigkeit angeordnet) häufige Wörter werden schneller erkannt konnektionistische Modelle (McCleland & Rumelhart): Knoten für Merkmale, Buchstaben und Wörter; Zusammenspiel zwischen Aktivierung von Merkmalen mit Aktivierung von bereits teilaktivierten Wortknoten demonstrieren Zusammenspiel von bottom-up- und topdown-Prozessen (können z.B. Wortüberlegenheitseffekt erklären: „K“ wird schneller in „work“ als in „orwk“ erkannt. neuropsychologische Modelle: zwei modalitätsspezifische Lexika notwendig, da es z.B. Ausfälle gibt, bei denen Patienten Gehörtes niederschreiben müssen, um es zu verstehen und umgekehrt Beispiel: Logogen-Modell Tempo der Worterkennung abhängig von: Wortlänge, Häufigkeit des Vorkommens, semantischen Faktoren und kontextuelle Aspekte (z.B. Charakteristika des Sprechers) 5 5.2.2.2 Inhalte des mentalen Lexikons Levelt (1989): Lemmata (Stammwörter): z.B. „sing lexikalische Formen ohne eigenen Eintrag: (Flexionsmorpheme – zusammen mit Lemmata werden aus ihnen Wortformen gebildet): z.B. sing-en; sing-t Derivationen (eigenständige Einträge): z.B. das durch das Morphem –ung modifizierte Lemma bild bildung Inhalte der Lexikoneinträge Semantische Informationen (Wortbedeutung): Bedeutung eines Lexikoneintrags: Verweis auf entsprechende begriffliche Repräsentationen im semantischen Gedächtnis Arbeitsteilung zwischen mentalem Lexikon und semantischem Gedächtnis morphologische Informationen (Stammformen/Wortfamilien): ein Eintrag im mentalen Lexikon kann mehrere morphologische Varianten enthalten syntaktische Informationen: syntaktische Eigenschaften eines Wortes (syntaktische Kategorie – Nomen, Verb etc.) + Subkategorisierungen (z.B. Subjekt, direktes/indirektes Objekt bei „geben“) Kodierungen für Rezeption und Produktion: phonologische bzw. graphemische Struktur der Wortformen muss im Lexikon verzeichnet sein Kodes – Funktion einer Indexierung unseres lexikalischen Wissens bei der Produktion hingegen muss vom begrifflichen Wissen ein Zugriff möglich sein mentales Lexikon: nützliches theoretisches Konstrukt, man kann ihm aber keine einheitliche neuronale Struktur zuweisen (über sprachdominante Hemisphäre verteilt) 5.2.2.3 Wortsemantik und semantisches Gedächtnis Semantisches Gedächtnis: Begriff aus Gedächtnispsychologie wird vom mentalen Lexikon unterschieden Zweitspracherwerb (jenseits des frühen Kindesalters) - zunächst: Wort-zu-Wort-Verknüpfungen - später: indirekte Verknüpfungen (über die gemeinsamen begrifflichen Repräsentationen im semantischen Gedächtnis) - eigenes mentales Lexikon wird gebildet; vorhandene begriffliche Repräsentationen im semantischen Gedächtnis werden dann von beiden mentalen Lexika genutzt Wortbedeutung: Alternativen zur Auffassung „Wortbedeutung als Relation von Wörtern und Konzepten“: Allgemein: extensionale Bedeutung: Objekte in der Welt durch Wort bezeichnet Referenzsemantik (Referenz = sprachliche Bezugnahme auf Objekte und Sachverhalte) intensionale Bedeutung: Folgerung aus einer sprachlichen Benennung (z.B. wenn etwas „Tomate“ bezeichnet wird rund, essbar, ...) Denotation: wörtliche Bedeutung (intensional und extensional) Konnotation: affektiv getönter Bedeutungs-“Hof“ Chomsky (1965): Modell einer vollständigen Taxonomie (Versuch nach einer systematischen Ordnung nach festen Regeln) von Wortbedeutungen durch semantische Primitive (Elementarmerkmale) jedes Konzept durch eine Hierarchie semantischer Merkmale charakterisiert ungeeignet 6 Statistische Analyse von Ähnlichkeitskoeffizienten: bieten keinen direkten Einblick in Struktur d. semantischen Gedächtnisses LSA: Bestimmung von Ähnlichkeitsstrukturen in einer Menge von Wörtern durch Vorkommen im gleichen Textabschnitt erfasst kaum Bedeutung von Wörtern 5.2.2.4 Phonologisches und semantisches Priming Wörter im Kontext anderer Wörter werden besser erkannt (Vgl. Wortüberlegenheitseffekt) Erkennungszeit eines Wortes verkürzt sich, wenn diesem ein semantisch ähnliches Wort vorausgeht - phonologisch: phonologische Ähnlichkeit (z.B. Burg-Buch) - semantisch: Ähnlichkeit der Bedeutung (Zeitung-Buch) - assoziatives Priming (Prime- und Zielwort sind assoziativ verknüpft) (lesen-Buch) - mediiertes Priming (Löwe-Streifen; über „Tiger“) - polyseme (mit mehreren Bedeutungen) Wörter bewirken für alle ihre Bedeutungen einen Priming-Effekt (nach ca.500ms bewirkt nach einem Satz nur noch ein der kontextangemessenen Bedeutung entsprechendes Zielwort einen Priming-Effekt) Erklärung des Priming-Effekts: - Repräsentation im mentalen Lexikon wird aktiviert (durch Primewort) - ist also bei Darbietung des Zielworts noch teilaktiviert - Aktivierungsgrad bei dem das Zielwort erkannt wird, ist somit schneller erreicht hervorragend zur Untersuchung des semantischen Gedächtnisses geeignet 5.2.2.5 Anwendungen - diagnostische Bedeutung: bei Hirntraumen Störung der Sprachverarbeitung - Zweitspracherwerb: zweites mentales Lexikon entsteht (s.o.) 5.2.3 Syntaktische Verarbeitung (Parsing) Vergangene Verarbeitungsschritte: Segmentierung des kontinuierlichen Sprachsignals in Wörter Zwischenergebnis ist nun eine ständig wachsende Sequenz von Wörtern zum frühestmöglichen Zeitpunkt setzt weitere Verarbeitung ein: 1) Rekonstruktion der Struktur einer Äußerung (Parsing) 2) Interpretation der Äußerung (beginnt mit Aktivierung von Konzepten durch die Wörter (5.2.4) Syntaktische Analyse: Ergebnis eines Parsingschritts: - z.B. als Phrasenstuktur in Baumdarstellung (wichtig?) Das Bild mit den Pferden gefällt mir: S (NP (NP(Det: das N: Bild) PP (Prep: mit NP (Det: den N: Pferden)) VP (V: gefällt NP (Pro: mir))) S: Satz; NP: Nominalphrase; PP: Präpositionsphrase; VP: Verbalphrase; Det: Artikel; N: Nomen; V: Verb; Prep: Präposition; Pro: Pronomen mental repräsentiert sind die identifizierten Bestandteile der Satzstruktur (Konstituenten) und ihre Abhängigkeitsverhältnisse untereinander 7 Parsing ist ein automatischer Prozess: ist auch gut so, denn oft gibt syntaktische Info den entscheidenden Anhaltspunkt für die Interpretation 5.2.3.1 Syntax + Lexikon = Grammatik Gesamtheit des lexikalischen Wissen und des Wissen um syntaktische Regularitäten = grammatisches Wissen Grammatik: adäquate Beschreibung sprachlicher Regularitäten (kein Katalog von Vorschriften) Kombinationen lexikalisierter syntaktischer und semantischer Informationen in: - LFG (lexical-functional grammar) - HPSG (head-driven phrase structure grammar) Hier: einfache Phrasenstrukturgrammatik (einfache Beschreibungsform der sprachlichen Oberfläche): - generative Grammatik Erzeugungsregeln: S NP, VP; NP Det, N; PP Prep, NP; VP V; VP V, NP; VP V, NP, PP Mit diesen simplen Regeln können bereits einfache Sätze gebildet werden: - wesentliche syntaktische Abhängigkeiten werden allerdings von diesen Regeln nicht erfasst: - Numerus: Singular oder Plural - Genus (Geschlecht): maskulin, feminin, Neutrum - Kasus (Zeit): Akkusativ, Dativ usw. Funktionale und thematische Rollen: - Satzsubjekt und die Objekte: funktionale Rollen der Verbkomplemente - thematische Rollen: bereits semantischen Charakter (Agent, Patient bzw. Rezipient, Thema, Lokation, Zeit usw.) - Aufgabe der Satzverarbeitung: funktionale Rollen in thematische Rollen umsetzen (z.B. „Lena gibt dem Kind ein Buch“: Lena (Subjekt) thematisch:Agent; dem Kind (indirektes Objekt) thematisch: Rezipient, ... Sprachtypologische Unterschiede: Jede Sprache hat charakteristische Regularitäten: z.B. Wortstellungsregeln + Kasusmorphologie Mentale Repräsentationen syntaktischen Wissens: - implizites Wissen - aber: man kann auch einige explizite Grammatikregeln im Kopf haben; dies geschieht aber normalerweise nur bei zusätzlich gelernten Fremdsprachen, oder bei nachträglich gelernten Grammatikregeln Grammatikalität von Äußerungen: - viele Äußerungen grammatisch unkorrekt, allerdings werden meistens lokal grammatische Regularitäten eingehalten - Ellipsen (Verkürzungen): oft nur noch in speziellen Kontexten verständlich 8 5.2.3.2 Experimentelle Paradigmen zur Analyse der Satzverarbeitung Offline-Verfahren: Erfassung der Informationsverarbeitung nach der Satzverarbeitung: - Urteilsverfahren wie Bewertung von Grammatikalität und Akzeptabilität von Sätzen große interindividuelle Unterschiede - Satzergänzungsverfahren - Lückentechnik relativ unaufwendige Techniken, da sie per Fragebogen appliziert werden können Online-Verfahren: Erfassung der Informationsverarbeitung während des Hörens/Lesens: - Blickbewegungsregistrierung - EEG Erfassung der Lesezeit: kumulative vs. nicht-kumulative Darbietung kann allerdings den normalen Leseprozess stören Blickbewegungsregistrierung: Fixationspunkte und -zeiten beim Lesen werden gemessen benötigt allerdings sehr sorgfältige Auswertung EEG-Technik: - Messung der Hirnaktivität an unterschiedlichen Stellen der Schädeloberfläche - Methode der evozierten Potentiale: Signal wird über Einzelmessungen summiert; P600: auffällige positive Zacke nach 600ms, N400: auffällige negative Zacke nach 400ms - EEG löst allerdings kaum räumlich auf z.B. fMRI (löst allerdings schlecht zeitlich auf) Materialkonstruktion: - Satzmaterial muss mit höchster Sorgfalt konstruiert werden - Varianten eines Testsatzes müssen entworfen werden Darbietung: 1. einleitender Kontextsatz 2. Testsatz 3. ausleitender Kontextsatz Experiment (S.302): Testsatzvarianten: - Faktor 1: verzögerte vs. sofortige Disambiguierung - Faktor 2: Relativpronomen Subjekt vs. Objekt man versucht die gewünschten Varianten mit minimalen Unterschieden zu realisieren bzw. nach Gebrauchshäufigkeit, Länge, ... zu parallelisieren 5.2.3.3 Hauptergebnisse der Parsing-Forschung Inkrementalität: - Wir warten nicht bis zum Ende einer Äußerung, bis wir beginnen sie zu analysieren und zu verstehen (z.B. können wir oft jemandem, der um ein Wort „ringt“, aushelfen) - zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also am Disambiguierungszeitpunkt, wird begonnen Wir verarbeiten Äußerungen inkrementell und zwar Wort für Wort Bedeutung für Zeitverlauf d. Sprachverstehens: Verarbeitungsstufen des Sprachverstehens (Worterkennung, Parsing, semantische Interpretation) müssen also kaskadenähnlich (stufenförmig) ablaufen Anbindungs-Ambiguitäten: Erhöhte Lesezeiten: - am Satzende aufgrund der abschließenden Interpretation Bei global ambigen Sätzen („Anna verzierte die Torte mit den Kirschen“): 9 Differentiell ist Lesezeit für PP abhängig von 2 Bedingungen: a) das Verb geht der PP voraus b) das Verb kommt erst nach der PP - am Disambiguierungspunkt - bei falschen Anbindungen an Teilsatzgrenzen - Lesezeiten innerhalb ambiger Regionen nicht erhöht, nur am DA Weitere Ambiguitäten: - Ambiguität zwischen Nominativ und Akkusativ (Peter hat die Ärztin gestern sehr genervt) 5.2.3.4 Theoretische Modelle des menschlichen Parsers „Peter hat die Ärztin gestern im Krankenhaus sehr geholfen“ - „Peter“ beim lexikalischen Zugriff als Nomen im Singular erkannt (Kasus unterbestimmt) Aufbau von SVO-Satz (wegen höherer Häufigkeit) „hat“ als passende Verbform erkannt – Interpretation von Peter (Referenzobjekt: Person) Ärztin: direktes Objekt (Akkusativ) geholfen passt nicht Reanalyse: Peter – Dativobjekt; Ärztin – Nominativ und Subjekt lange Reanalyse nötig + falsche Analyse bereits durch vorherige passende Zusammenhänge stabilisiert Holzweg-Effekt Grundannahmen: - Parsing vollzieht sich inkrementell - Aufbau einer vorläufigen syntaktischen Analyse ohne Berücksichtigung des Inhalts - Frequenzinformation wird beim Parsing verwendet (Erfahrung über Häufigkeit von Wortlesarten) - Unstimmigkeiten Reanalyse (im Normalfall: automatisch, schnell und unbemerkt) Parsingmodelle ohne Reanalyse: - Aufbau multipler Analysen (parallel) - Aufschub der Analyse bei Ambiguitäten bis der Disambiguierungspunkt erreicht ist Unterschiedliche Vorhersagen der Modelle ohne bzw. mit Reanalyse: - parallel: erhöhte Lesezeit während ambiger Regionen - Aufschub: erhöhte Lesezeit am Disambiguierungspunkt (nur dann, aber immer) - Reanalyse: erhöhte Lesezeit am Disambiguierungspunkt (manchmal, wenn Analyse falsch) empirische Ergebnisse passen gut zu Reanalyse-Modellen: erhöhte Zeiten zeigen sich am Disambiguierungszeitpunkt, wenn die präferierte Analyse scheitert Hahne (1997): - semantisch inkorrekte Sätze: N400 - syntaktisch inkorrekte Sätze: ELAN-Komponente und P600 10 Reanalyse-Modelle: Prinzipien denen zufolge bestimmte Analysen präferiert werden: - syntaktische Prinzipien: Wenn ein neu gelesenes Wort sich in das aktuelle Element auf der untersten Ebene der gerade erstellten Analyse einfügen lässt, dann wird dies präferiert. (z.B. das „rechts anschließen“-Prinzip in: „Manuel empfahl dem Feinschmecker den Spargel und das Schnitzel dem Kritiker. - Modularität des Parsers: werden nur syntaktische Informationen oder auch schon semantische Informationen berücksichtigt? semantische Info wird insofern genutzt, als sie wortbezogen im mentalen Lexikon vorliegt (z.B. Argumenationsstruktur von Verben) zunächst nur lexikalische Information - Frequenzinformation: Häufigkeit lexikalischer Einträge wird berücksichtigt (z.B. raced 50x häufiger als aktives Verb denn als Verb („The horse raced past the barn fell.“) - Prinzip des referentiellen Erfolgs: Reanalyse kann durch vorher gegebene Information erleichtert werden diese Prinzipien funktionieren nicht als Heuristik (denn dann müssten verschiedene Alternativen vorhanden sein), sondern Parsing funktioniert so, als ob die Prinzipien befolgt würden. Rein frequenzbasierte Parsing-Theorien: - Auswahl der präferierten Analyse anhand von erlernten Häufigkeiten (nicht nur von Wörtern, sondern auch von syntaktischen Konstruktionen) - Präferenz entwickelt sich durch früheren Input während des Spracherwerbs ABER: menschlicher Parser arbeitet nicht ausschließlich frequenzbasiert Constraint-Satisfaction-Modelle: - syntaktische und semantische Faktoren und andere Faktoren gleichzeitig unterschiedlich stark und verschieden lang wirksame Kräfte in einem auf Ausgleich bedachten konnektionistischen Modell kaum noch falsifizierbar „Besser“: - stärker strukturierte Modelle, die auch noch Performanzgrenzen menschlichen Parsings einbeziehen z.B. Lewis und Gibson (1998): Bestimmung der aktuellen Belastung des AG beim Parsing Anwendungen der Parsing-Forschung: - Erkennung von stilistischen Eigenheiten, die das Verständnis von Sätzen fördern oder Behindern - es sollten also solche Formulierungen bevorzugt werden, die den Präferenzen des menschlichen Parsers entsprechen - z.B. in Lehrbüchern, wo die Information möglichst unmissverständlich sein soll Kasten 5.5: Satzverarbeitung und Arbeitsgedächtnis Die semantische Interpretation belastet AG, aber wird es auch durch die syntaktische Analyse belastet? - Strube (1997): Existenz eines speziellen Arbeitsspeichers für syntaktische Analyse „normales“ AG bleibt unbeeinflusst bei syntakt. Analyse - MacDonald (1992): undifferenziertes Modell des AG, das auch durch Parsing belastet wird 11 Gathercole & Baddeley (1993): modales Modell des AG phonologische Schleife durch Parsing belastet - Gibson (1998): zwei Komponenten der Belastung: 1. Integration neuer Wörter in die bisher aufgebaute Satzstruktur 2. Zwischenspeicherung von Strukturvorhersagen, die noch nicht erfüllt sind - Caplan & Walters (1999): Existenz eines auf Sprachverarbeitung spezialisiertes AG Insgesamt: Sprachwahrnehmung einschließlich Parsing: automatischer und modularer Prozess - 5.2.4 Semantische Interpretation und Textverstehen Was heißt es „etwas zu verstehen“? - mentale Repräsentation des Gehörten/Gelesenen erstellen, die mit unseren gedanklichen Repräsentationen übereinstimmt Verbindung mit unserem Wissen - Textinhalt wird als Wissensstruktur repräsentiert 5.2.4.1 Mentale Modelle (Situationsmodell und mentales Modell kann für die Zwecke hier synonym verwendet werden) Construction-Integration-Modell (CI-Modell) von Kintsch: nach Parsing: 1) Erstellung einer textnahen Repräsentation 2) Verbindung zu Vorwissen Situationsmodell: Repräsentation des Inhalts zweistufiger Prozess nach der syntaktischen Analyse: 1. Konstruktion einer propositionalen Textbasis (siehe Kasten 5.6) - Sätze des Textes werden in ihre elementaren Aussagen (Propositionen) zerlegt - Konstruktion eines propositionalen Netzwerks (kann bei Ambiguitäten auch widersprechende Infos enthalten 2. Integration der Textbasis mit dem Vorwissen - Propositionen der Textbasis in Propositionen des Vorwissens integrieren Fokussierung auf Inhalt trägt der Umstand, dass die sprachliche Form im Normalfall schnell vergessen wird, Rechnung Diskursmodell: z.B. bei Gesprächen spielt auch die Gesprächsituation eine große Rolle Erstellung weiterer Repräsentation Diskursmodell - Repräsentation des Diskurses - Repräsentation der Gesprächsituation Forschungsmethoden: - Online: Priming; Rekognitionszeit - Offline: Reproduzieren oder Zusammenfassen von Texten aus der Erinnerung; Beantworten von Fragen zum Textinhalt Kasten 5.6: Propositionale Repräsentation: Propositional: jede Repräsentationsform, die einer logischen Formel oder einem Aussagesatz in natürlicher Sprache ähnlich ist 12 Struktur von Propositionen: - Funktoren/Relationen: Adjektive und Verben - Argumente: Referenzobjekte - Verwendung propositionaler Schemata ist üblich - strikte Trennung von Objekten und Klassen notwendig - Notbehelf, um Inhalt natürlichsprachlicher Äußerungen darzustellen 5.2.4.2 Referenzobjekte, Eigenschaften und Ereignisse Komponenten eines Situationsmodells: - Objekte (Entitäten): konkrete, physikalisch fassbare Objekte Eigenschaften: werden Objekten als Prädikate zugeschrieben Ereignisse: mehrstellige Prädikate, die übersichtlich als Schemata dargestellt werden können - Inhalt komplexer Sätze wird aus Kombinationen einfacher Propositionen dargestellt Kompositionalitätsprinzip: Die Bedeutung eines komplexen Satzes ergibt sich aus der Bedeutung, der ihn ihm enthaltenen einfachen Aussagen Aufgabe der semantischen Interpretation: 1. Identifikation von Prädikaten und Argumenten 2. Aufbau einer propositionalen Repräsentation 5.2.4.3 Anaphorische Referenzen und Textkohäsion Referenzobjekte sind: Nomen bzw. NP einer Äußerung Anaphorische Referenz: Bezugnahme auf etwas vorher schon Erwähntes Kataphorische Referenz: Bezugnahme auf etwas noch nicht Erwähntes Bei der Suche nach den Antezedenten von Anaphern werden syntaktische und Diskursinfos herangezogen. syntaktische Restriktion: pronominale Anaphern und Referent muss in Genus und Numerus übereinstimmen Wichtige Ergebnisse zur Interpretation anaphorischer Referenzen: - - - Art der Bezugnahme (Eigenname, Pronomen oder indirekt) spielt psychologisch keine Rolle (setzt voraus, dass die Referenz vor Darbietung des Pronomens interpretiert wurde – bezieht sich auf Exp. v. Tyler et al.) anaphorische Referenz als (NP)-Referenz formuliert sofortige Auflösung, pronominale Referenzen werden nur sofort aufgelöst, wenn sie sich auf die Hauptperson von Erzähltexten beziehen es gibt einzelne Ausnahmen, bei denen Genus und Numerus des Anaphern nicht mit den des Referenten übereinstimmen muss Anaphorische Referenzen sind das hauptsächliche Mittel, um inneren Zusammenhang eines Textes herzustellen 13 Kohäsion/Kohärenz: Zusammenhang des Textes – bei Kintsch: Bezugnahme einer Proposition auf eine andere Zentrale Proposition: Proposition mit vielen Bezugnahmen länger im AZG langfristig besser erinnert 5.2.4.4 Einige Probleme der semantischen Interpretation Metaphorische und wörtliche Ausdrucksweise: - semantische Interpretation nichtwörtlicher Ausdrücke (Metaphern; Metonymien) sollte schwieriger sein als die wörtlicher falsch - Black (1962): Erst durch Interaktion von Topos und Vehikel werden, die zum Verständnis einer Metapher relevanten Merkmale Entstehung von neuen Bedeutungen - Kintsch (2000): Anreicherung des dem Topos entsprechenden Vektors semantischer Merkmale mit ausgewählten Merkmalen des Vehikel-Vektors Skopus von Quantoren und Verneinung: Skopus: Geltungsbereich eines Funktors (z.B. Negation) Quantor (jeder, manche, ein paar): - bestimmte Quantoren verhalten sich kontextabhängig Beispiel: Ähnlichkeiten von Adjektiven werden relativ zur durchschnittlichen Größe ihres Referenzobjekts interpretiert (ein großer Schlüssel ist kleiner als ein kleines Haus) - multiple Quantifikation: „Zehn Millionen Besucher tranken 400000 Tassen Kaffee - auch im logischen Schließen zeigen sich Auswirkungen der sprachlichen Interpretation („typisch menschliche Fehler“) Deindexierung deiktischer Ausdrücke: Deiktische Ausdrücke: - zeigende Ausdrücke, relativ zur Äußerungssituation definiert - zeitliche und räumliche Bestimmungen und auch die Zeitform des Verbs sind deiktischer Natur (z.B. „Morgen treffen wir uns um 10 Uhr“) deiktische Bezugnahmen müssen durch explizite ersetzt werden um zu unserem Wissen kompatibel zu sein (geschieht bei Kintsch werden sie beim Übergang ins Situationsmodell interpretiert) Unterbestimmtheit und Standardannahmen: Was passiert, wenn ein Satz („zwei Männer sahen drei Boote“) zu viele Interpretationen hat? Empirisch naheliegende Modelle: - Leser/Hörer bilden eine Repräsentation, die hinsichtlich der Interpretation unterbestimmt ist - Repräsentation wird gebildet als ob von nur einer einzigen Situation gesprochen wird Standardannahme - - Analog zum Parsing wird bei der Interpretation immer die am wenigsten aufwendige (hier die 2.) Lesart benutzt ( Stabilisierung nach einiger Zeit, wenn keine Korrektur erfolgt) mentales Modell muss konkret sein (deshalb Standardannahmen) Ursache typischer Fehler bei logischer Schlussfolgerung (siehe Kapitel 4, mentale Modelle) 14 Analoge Modelle von Zeit und Raum - räumliche Distanz wird direkt in mentalen Modellen beim Textverstehen repräsentiert Reaktionszeiten von Vpn, auf die Frage ob ein Gegenstand im selben Raum oder im anderen Raum war, nachdem sie zuvor zwei Räume „gelernte“ hatten, waren umso kürzer je näher bestimmte Objekte von der Hauptperson entfernt waren 5.2.4.5 Inferenzen beim Textverstehen In welchem Ausmaß ziehen Leser von Texten Inferenzen? Normalerweise ziehen Leser lediglich, die zum Verständnis eines Textes unbedingt notwendigen Schlussfolgerungen: - „Brücken-Inferenzen“ Herstellung der Textkohärenz - zeitliche Schlussfolgerungen (Kausalität) ABER: bei entsprechender Aufgabenorientierung werden viel mehr elaborative Inferenzen gezogen (Textaussagen mit Vorwissen verbinden) empfohlene Lernstrategie Allgemein: Leser begrenzen ihre Inferenzen sehr eng - Anzahl der benötigten Inferenzen beim normalen Textverständnis ist aber dennoch relativ hoch, dabei hilft Hintergrundwissen bzw. Kenntnis über Textsorten Ereignisschemata: auch diese so genannten Scripts oder MOPs (Wissensstrukturen über Ereignisse) helfen beim Ziehen von Inferenzen Versetzt uns in Lage, auch lückenhafte Berichte zu verstehen. 5.2.4.6 Anwendungen - Pädagogische Psychologie: z.B. bei Problemen mit Textaufgaben in Mathe Schwierigkeiten im Textverständnis, nicht in Rechnung hohe Bedeutung von Kohärenz von Lehrtexten anaphorische Referenzen eindeutig sonst Missverständnis 5.3. Sprachproduktion - Diskurskonventionen: Durcheinanderreden sowie peinliche Stille sind unerwünscht - turn taking: Verhalten der Kommunikationsteilnehmer ist eng aufeinander bezogen - common ground: gemeinsamer Verstehenshintergrund der Gesprächspartner Sprachproduktion und Sprachrezeption sind nicht einfach reziproke Prozesse! (z.B. hört man sich beim Sprechen selbst zu) Aber: Zugriff auf gleiches sprachspezifisches Wissen, z.B. auf ein gemeinsames mentales Lexikon. 5.3.1 Drei Prozess-Stufen (sehr pauschale Einteilung) 1. Erzeugung der kognitiven Äußerungsbasis: Sprecher generiert möglichst zielführende Mitteilung: gedankliche, non-verbale Struktur (in Form von Begriffen) 15 2. Enkodierung: Zuordnung von Wörtern zu den vorher gebildeten Begriffen; Bildung einer einzelsprachlichen Enkodierungsbasis 3. Artikulation: Erzeugung der Sprachäußerung bei Levelt (1989): conceptualizer – formulator – articulator 5.3.1.1 Erste Stufe: Die Erzeugung der kognitiven Äußerungsbasis 3 Teilprozesse: - Fokussierung - Parameterfixierung von Teilsystemen der Sprachproduktion - Formatierung Fokussierung: - Auswahl kognitiver Inhalte, die verbalisiert werden sollen (Selektion) - Kognitive Inhalte werden in eine bestimmte Reihenfolge gebracht (Linearisierung) - Bereitstellung der kognitiven Äußerungsbasis kann automatisch oder geplant erfolgen Parameterfixierung von Teilsystemen der Sprachproduktion: - Fixierung bzw. Instantiierung von bestimmten Systemparametern (leise – laut; Sie – Du; best. Wörter können ausgeblendet werden, usw.) - Systemparameter bleiben normalerweise über eine Kommunikationssituation hinweg konstant, muss aber nicht (z.B. wenn sich jemand entfernt werden wir lauter) Formatierung: - gleiche Äußerungsinhalte können zu höchst unterschiedlichen Formulierungen führen o die bis zu diesem Zeitpunkt erzeugten Inhalte müssen nun noch eindeutiger gestaltet werden - zu diesem Zweck werden sie in eine eindeutige Formulierung transformiert - es resultiert der Enkodierinput 5.3.1.2 Zweite Stufe: Die sprachliche Enkodierung - auf Basis des Enkodierinputs wird nun eine Folge von Phonemen erzeugt spezifische Informationen (wie Morphem- und Wortgrenzen usw.) sind dabei bereits enthalten Output: Phonemsequenzen mit Zusatzinformationen Input für artikulatorischen Prozess Unumstritten ist, dass die einzelsprachliche Enkodierung zum einen aus der adäquaten Wortfahl (inklusive Flexion) und zum anderen aus der syntaktischen Strukturierung besteht. Teilvorgänge: 1. lexikalisch-morphologische Enkodierung: Wortflexion und Wortwahl 2. grammatisch-syntaktische Enkodierung: Strukturierung von Satzteilen und Sätzen 3. phonologische Enkodierung: Zuordnung von Phonen zu den Konzepten 16 zu 1): Lexikalisch-morphologische Enkodierung - den konzeptuellen Einheiten der Äußerungsbasis werden Wortformen zugeordnet (mit Hilfe des lexikalischen Gedächtnis) Dreikomponententheorien: 1. nicht-verbale Begriffe: können unabhängig von der Einzelsprache kognitiv verarbeitet werden 2. Lemmata: stellen Verweise auf non-verbale Begriffe dar 3. Wortformen (Morpheme, Phoneme, Silben) - zunächst werden für jeden zu verbalisierenden Begriff Lemmata gesucht (lexikalische Suche) - morphologische Enkodierung transformiert dann das Lemma in die gesuchte Wortform bekanntestes Modell wird unter 5.3.3 vorgestellt. Zweikomponententheorien: (mentales „Vollform-Lexikon“) 1. nicht-verbale Begriffe 2. (flektierte)Wörter bzw. Morpheme - nichtsprachliche Begriffe sind mit den Wörter bzw. Morphemen assoziativ verknüpft und verleihen ihnen damit Bedeutung Modellierung Zwei- und Dreikomponententheorie werden meistens über konnektionistisches Netzwerke modelliert z.B. WEAVER++: - lokalistisches Netzwerk mit Knoten für konzeptuelle Einheiten, Lemmata, Wortformen, … - Aktivationsausbreitung durch Produktionsregeln zu2): Grammatisch-syntaktische Enkodierung - nichtverbale Konzepte (Lemmata und Wortformen) müssen in eine zusammenhängende Äußerung überführt werden (in einen grammatisch korrekten Satz) 2 Grundauffassungen: 1. Fertiges Satzschema zu Beginn einer Satzgenerierung: - Bei der Formulierung eines Satzes liegt bereits zu Beginn der Satzgenerierung ein syntaktisches Satzschema vor. - System von Leerstellen, in das Wörter nacheinander eingebaut werden Satzschema steuert Satzgenerierung 2. Entwicklung des Satzschemas während der Satzgenerierung: - syntaktische Satzschema wird erst allmählich aufgebaut, abhängig von den verwendeten Lemmata und deren Reihenfolge zu 3): Phonologische Enkodierung - metrische Phänomene Phoneme in bestimmter Reihung wortbezogene (Betonung) und wortübergreifende Phänomene 17 heute geht man davon aus, dass es ein durch die Artikulationskomponenten ausführbares motorisches „Programm“ gibt („Gestenpartitur“) 5.3.1.3 Dritte Stufe: Die Artikulation - Umsetzung der „Gestenpartitur“ - komplexe Sprechmotorik: Phonation in der Kehlkopfregion; Einstellung von Zunge, Lippen und anderen Artikulatoren; Bereitstellung der jeweils passenden Resonanzräume - zudem die Lautkomposition einzelner Silben, die phonet. Gestaltung der gebundenen Rede (Sprachrhythmus, Pausen, …), … 5.3.2 Teilprozesse bei der Erzeugung der kognitiven Äußerungsbasis Dieser Teilprozess und die einzelsprachliche Enkodierung werden jetzt noch mal detaillierter dargestellt. 5.3.2.1 Fokussieren und Selektion - Fokussierung eines bestimmten Sachbereichs Beabsichtigung des Sprechens ist zu beachten - Pars-pro-toto-Prinzip: man sagt nicht alles, was man meint – Sprecher wählt einen formatierten Teil dessen aus, worauf sich seine Kommunikationsabsicht bezieht – der Partner rekonstruiert aufgrund der Sprachäußerung was gemeint/beabsichtigt ist erfolgreiches Kommunizieren: gemeinsames Wissen beim Sprecher und beim Partner - Verbalisieren eines Teils gewährt zusätzliche Informationen (Nebenabsichten, etc.) Kasten 5.7: Sprachpsychologie des Aufforderns Auffordern: Klasse von Handlungsweisen, mit denen Kommunikationspartner zu einer Handlung zu verpflichten Veranlasste Handlung: Aktives Tun, Unterlassen oder Erlaubnis Aktives Tun: - D-Aufforderungen: direkt - M-Aufforderungen: mäßig direkt - I-Aufforderungen: indirekt Personen versuchen, Der kompetente Sprecher weiß, dass man nach unseren sozialen Regeln nur ernsthaft auffordert, wenn man eine best. partnerseitige Handlung überhaupt initiieren will, wen man hinreichend dazu befugt ist, wenn man den Partner für zureichend bereit und in der Lage hält und wenn man z.B. einen defizitären Zustand beseitigen will. - - pars-pro-toto: Auswahl einer Aufforderungsvariante steht für die Gesamtstruktur AUFFORDERN – Partner muss dann aus der ausgewählten Aufforderungsvariante die Gesamtstruktur rekonstruieren Standardsituation: häufige, alltägliche Aufforderungssituationen (meist IAufforderungen; manchmal M) – Ansprüche gering; Bereitschaft und Legitimation hoch 18 - Nichtstandardsituationen: sind nicht häufig und nicht üblich (meist DAufforderungen; manchmal M) - hohe Anforderung; Bereitschaft zweifelhaft; Legitimation hoch 5.3.2.2 Linearisieren Bestandteile in eine sequentiell geordnete Botschaft bringen sequentierte sprachliche Äußerung resultiert Sequenz wird durch mehrere Determinanten beeinflusst: - sie beinhaltet bereits grammatische Wortfolgeregeln (von Sprache zu Sprache unterschiedlich) - richtet sich nach kognitiver Äußerungsbasis (entweder besitzt von vornherein oder durch mentale Operationen sequentielle Ordnung) o Herstellen der (konzeptuellen) Ordnung - wenn zeitlich geordnete Repräsentation vorliegt, kann Linearisierung fast ohne kognitiven Aufwand geschehen - meist richtet sich die Anordnung nach einer immanenten zeitlichen Ordnung Was aber, wenn keine immanente zeitliche Ordnung besteht (z.B. bei räumlicher Info)? Levelt (1989): inhalts- und prozeßbezogene Determinanten inhaltsbezogene Determinanten: - Zeitstruktur (falls vorhanden) - Abfolge erstellt durch erlernte Linealisierungsoperationen (z.B. als imaginärer Wanderer durch Räumlichkeiten - Ereignisschemata werden genutzt, um z.B. Räumlichkeiten einer Arztpraxis zu beschreiben - auch erlernte prozedurale Schemata können verwendet werden (z.B. Anfertigen von Aufsätzen, …) prozessbezogene Determinanten: - unabhängig vom Inhalt - Prinzip der Verbundenheit: räumlich benachbarte Gegebenheiten werden nacheinander angeordnet - Stapelprinzip: Verzweigunspunkte von denen aus Abfolgen gebildet werden (Tiefensuche: Rückkehr zum VP und Beschreibung anderer Wegstrecken) - Ökonomieprinzip: bei Tiefensuche wird erst der kürzere Ast abgearbeitet, dann muss der VP nicht so lange im Gedächtnis behalten werden - Geneseprinzip: Linearisierung ist durch Erwerbsreihenfolge festgelegt - Ankerprinzip: Linerarisierung entspricht der Ersterfahrung 5.3.2.3 Parameterfixierung von Teilprozessen - Einstellung der Artikulationsorgane und des Sprechersystems / Instantiierung der Prozessparameter Einige Gesichtspunkte der Instantiierung von Prozessparametern, die auf globale Steuerungsvarianten des Sprechersystems rückführbar sind Reizsteuerung der Sprachproduktion - hochautomatisierte Bezugnahme auf eine in dem Moment gehörte Äußerung des Partners (z.B. Bitte! – Danke!) 19 Sprachproduktion als bloße Sprachreproduktion - auswendig gelernte Sprüche - Wort für Wort wird aus dem LZG ins AG überführt Schema-Steuerung der Sprachproduktion - kognitive Schemata können auch unsere Äußerungsproduktion beeinflussen (z.B. Festlegung des passenden sprachlichen Teilregisters) Ad-hoc Steuerung der Sprachproduktion - wenn noch keine fertige oder routinierte Konzeptualisierung des zu Äußerndem besteht, dann müssen wir eine eingehende Planung vollziehen, wie wir etwas äußern wollen benötigt kognitive Prozesse Bei allen verschiedenen Steuerungen ist das Sprechersystem unterschiedlich eingestellt – es werden unterschiedlich große Variabilitäten z.B. der Wortwahl „erlaubt“. 5.3.2.4 Formatierung der kognitiven Äußerungsbasis Wahl eines bestimmtes Format des bisher erzeugten, um die weitere Verarbeitung zu ermöglichen bzw. damit es vom Enkodiermechanismus als Prozessinput angenommen wird als letzter Schritt der Konzeptualisierung wird eine eindeutige Formatierung durchgeführt Levelt: nonverbale konzeptuelle Strukturen (mittels Graphen) – lexikalische Begriffe, die verbalisiert werden sollen, sind Glieder dieser Struktur enthalten bereits grammatische Information (proto-grammatische Information) Herrmann: Die nonverbale Botschaft wird also mittels interagierender Regelsysteme so aufbereitet, dass aus ihr ein eindeutig formatierter Input für den Enkodiermechanismus entsteht Allgemein: kognitive Inhalte werden in einzelne Begriffe bzw. Konzepte zerlegt, um dann eine propositionale Struktur zu bilden; dann können sie ihre thematischen Rollen erhalten 5.3.3. Einzelsprachliche Enkodierung Dreikomponentenmodell WEAVER++ (Levelt (1999) Grundpositionen (nach Garrett): Serialität: Teilprozesse arbeiten strikt seriell, kein Informationsrückfluss an vorherige Ebene Modularität (Abgekapseltheit): für Teilprozesse benötigte Informationen ist spezifisch nur auf der jeweiligen Ebene verfügbar (z.B. kann auf Lemmata nur während der lexikalischen Enkodierung zurückgegriffen werden) 5.3.3.1 Teilprozesse der einzelsprachlichen Enkodierung Enkodierung von Wörtern und deren unmittelbare Vorbereitung: 4 Prozessebenen: 1. Aktivierung von Konzepten 20 2. Auswahl des passenden Lemmas im mentalen Lexikon (lexikalische Enkodierung) Beleg für Unterscheidung zwischen semantisch-grammatikalischer und morphologisch-phonologischer Domäne: „Auf der Zunge liegen“ – die dem Lemma zugehörige Info ist zugänglich (z.B. Geschlecht), aber nicht die genaue Wortform! 3. morphologische und phonologische Enkodierung - morphologische Aufgabe: richtige Wortform im Lexikon finden - phonologisch: Aktivierung metrisch-segmentaler Wortmerkmale (Betonung, Länge) - Resultat ist eine abstrakte Repräsentation von Wortformen, die noch nicht phonetisch-artikulatorisch spezifiziert sind 4. phonetische Enkodierung: Erzeugung phonetischer Pläne 5.3.3.2 Grammatisch-syntaktische Enkodierung Proto-grammatische Struktur bildet die Inputinformation für den nächsten Prozess Aktivierung passender Lemmata und inkrementelle Generierung einer syntaktischen Satzstruktur (Satzschema entsteht allmählich) 2 Stufen der grammatischen Enkodierung: 1. Funktionszuweisung: Zuordnung funktionaler Rollen zu den in der Botschaft spezifizierten thematischen Rollen (Agent, Rezipient, …) 2. Satzkonstruktion: Gibt unterschiedliche Vorschläge; Hier: (für generelles Verständnis) Teilstrukturen einer Botschaft werden in einem strikten Nacheinander verfügbar Suche nach Lemmata im mentalen Lexikon in strikter Reihenfolge - die grammatischen Merkmale des jeweils aufgerufenen Lemmas lösen Operationen aus, die zur Herstellung vollständiger Satzphrasen und zum Aneinanderbauen mehrerer Satzphrasen zum Gesamtsatz führen. Kempen und Hoenkamp (1987): Produktionsalgorithmus (System von einzelnen Produktionsregeln) - Botschaft wird nach den Regeln der Phrasenstrukturgrammatik in eine syntaktische Oberflächenstruktur umgewandelt - aus vielen Prozesskomponenten entsteht hochkomplexe Dynamik der multiplen Ausführung bedingter Befehle, wobei es keine zentrale Entscheidungsinstanz gibt. 5.3.3.3 Einige empirische Befunde Untersuchungen spezifischer Prozessstufen: - Analysen spontaner Sprechfehler: hieran kann man zeigen, dass sprachliche Äußerungen nicht Wort für Wort, sondern in Form von grammatischen Satzteilen erzeugt zu werden scheinen – z.B. „Gib mir mal den groben hm den großen Stift Sprecher geht bei Korrektur bis zum Beginn der Satzphrase (den großen Stift) zurück Unterscheidung von drei Prozessstufen Erzeugung von: nichtsprachlicher Botschaft, Lemmata, Wortformen Die Unterscheidung d. drei Prozessstufen hat ihr Korrelat u.a. in der Unterscheidung von nichtsprachlichen und sprachlichen Operationen sowie von Sprechfehlern unterschiedlicher Art. 21 Beispiel von Dell: Jemand sagt statt „The squeaky wheel gets the grease“ „The skreaky gwease gets the wheel” Erklärung: - Die Generierung der nichtsprachlichen Botschaft enthält keinen Fehler, stellt aber die Umwandlung der Ausgangsidee des Sprechens in eine Metapher dar. - Die Botschaft ruft die Lemmata wheel und grease auf, sie werden jedoch falschen Satzteilen zugeordnet - außerdem werden auf der Ebene der Wortformen bei den unmittelbar nebeneinander angeordneten Wortformen zwei Phoneme vertauscht Levelt et al. (1990): Erzeugung zunächst von internen Lemmata, erst danach Generierung von Wortformen - semantisch ähnliche Distraktorwörter haben nur vorm Ansehen des Objekts eine verlangsamende Wirkung (semantischer Interferenzeffekt) - phonologische Distraktorwörter haben nur nach dem Ansehen eines Objekts eine Wirkung (phonologischer Erleichterungseffekt) zuerst lexikalisch-semantischer Teilprozess und dann phonologischer Teilprozess (seriell) 5.3.4. Zur Kontrolle der Sprachproduktion Korrektur von Sprechfehlern jeder Art setzt die Kontrolle der eigenen Sprachproduktion voraus Vergleich von Ist- und Soll-Werten - kann auch zur Modifikation der Sprachproduktion führen Regulation statt Korrektur 5.3.4.1 Kontrolle nur am Ende des Sprachproduktionsprozesses? Verschiedene Ansätze - Sprachproduktion dadurch kontrolliert, dass das Endergebnis mehrstufig rezipiert wird und durch diese Rezeption Fehler bemerkt und behoben werden können. Überwachungssystem außerhalb des Sprachproduktionssystems (Editoren-Theorien) - Regulation innerhalb des Sprachproduktionssystems: Kontrollvorgänge zeitlich vor der Endfertigung Teilergebnisse werden kontrolliert und gegebenenfalls korrigiert Argument dafür: Fehler bei Phonemerzeigung werden sehr schnell korrigiert – nach Editoren-Theorie sollte es länger dauern 5.3.4.2 Regulationsebenen der Sprachproduktion Komplexere Ist-Soll-Vergleich, die nicht unbedingt darin bestehen, dass Sprechfehler durch andere Formulierungen ersetzt werden. Unterteilung der Regulationsebenen: Generelle Handlungsregulation: Sprecher überwachen ihre eigenen sprachlichen Äußerungen unter personrelevanten Kriterien von der Art der diskursiven Rationalität, des Selbstbild und der sozialen Faktoren… gehört zu Grundlagen der individuellen Handlungskontrolle. 22 Situationsbezogene Regulation: Sprecher stellt sich während Kommunikation ständig auf neue bestimmte Gegebenheiten ein Gleichgewichtszustand zwischen Sprecher und Partner gelungene Konstitution von Bedeutung im Gespräch Regulation mit Hilfe des Kommunikationsprotokolls: Erstellung eines Gesprächsprotokolls im Gedächtnis Überwachung und Korrektur dessen was man sagen will, im Lichte dessen, was bereits gesagt worden ist Auf das Sprecherziel bezogene Regulation: Sprecher prüfen laufend, ob sie den zufolge ihres Kommunikationsziels entwickelten Gedanken in angemessener Weise in eine Sprachäußerung umsetzen. (Das Fell war schwarz – nein eigentlich eher dunkelbraun) Elementare Fehlerregulation: elementare Fehler: - Lexikalische Fehler: da kam Thomas, nein Nico rein - Grammatische Fehler: Die Kinder der ganzen Klasse ist – sind verspätet gekommen - Phonetisch-metrische Fehler: Das ist völlig imponkatibel hm inkompatibel Korrektur erfolgt automatisch und meist unbewusst Seit langem sind elementare Sprechfehler ein wesentliches Forschungsthema Aufschluss über generelle kognitive Architektur der Sprachproduktion Nachweis der Unterscheidung von Teilprozessen ABER: können auch einfach Handlungsfehler sein 23