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SYNERGIEEFFEKTE:
Erneuerbare Energien, Lebensräume und Artenschutz
Dass die konsequente Einführung erneuerbarer Energien auf Widerstände in der etablierten
Energiewirtschaft und den mit ihr verbundenen politischen und medialen Kreisen stößt, liegt
in der Logik der Sache selbst. Während die fossil-atomare Ausrichtung aktueller
Energiepolitik Macht und Kapital auf zunehmend weniger aber immer größere multinationale
Player konzentriert, erlaubt die dezentrale Vielfalt erneuerbarer Energien eine breite Streuung
von Kapital und Marktteilnahme. Dass beides nicht gleichzeitig existieren kann liegt auf der
Hand und bleibt somit auch den Akteuren in der Energiewirtschaft nicht verborgen, die ihre
über Jahrzehnte gewonnene Macht gegen die gebotene Schubumkehr mit Zähnen und Klauen
verteidigen.
Dass Angriffe auf die Nutzung erneuerbarer Energien jedoch auch aus der Umweltbewegung
selbst kommen, findet nur begrenzte Logik. Eine Logik die sich selbst dort begrenzt, wo die
Betrachtung der Realität durch mangelnde Gestaltungsphantasie, durch eine Politik des
„Entweder - oder“ künstlich beschnitten wird. Psychologisch erklären lässt sich diese Haltung
nur durch die Fortschreibung einmal eingelernter Denkmuster ökologischen Engagements.
Diese wurzeln zumeist im Protest gegen naturzerstörerische Produktions- und
Wirtschaftsweisen, ein in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts
dringend notwendiger demokratischer Aufschrei. Die Forderung nach einer Energiewende
jedoch ist ein konstruktiver, die Strukturen der Gesellschaft verändernder Ansatz.
Psychologisch gesehen ist sie damit ein proportional verkehrter Ansatz zum reinen
Protestgedanken. Dieser offenbar stark im Bewusstsein verankerte Protestwille richtet sich
nun nicht mehr nur gegen die Zerstörung der Natur durch fossile und atomare Energienutzung
samt ihren gesellschaftlichen Nebeneffekten, sondern auch gegen die begrenzten
Umwelteingriffe durch erneuerbaren Energien.
Eine derartige Positionierung ist bei näherer Betrachtung jedoch nur durch eine dauerhafte
Ignoranz gegenüber den Gefahrenhierarchien aufrecht zu erhalten. Am deutlichsten ist diese
bei den Auseinandersetzungen um die Windkraft zu erkennen, deren konkreter Eingriff in die
Umwelt sich auf wenige Quadratmeter beschränkt, während die Veränderung des
Landschaftsbildes einer rein subjektiven Bewertung unterliegt. Dem gegenüber stehen die
Vergiftung und der Verbrauch von Böden, Luft und Gewässern durch die Förderung, Nutzung
und Entsorgung fossiler und atomarer Rohstoffe, an deren Spitze derzeit das Problem des
Klimawandels steht. Nicht weniger gilt dieser Vergleich für die Photovoltaik, deren
Flächenbedarf sich zumeist ohnehin mit bestehenden Gebäuden deckt, vom geräteintegrierten
Modul ganz zu schweigen. Die Inanspruchnahme „größerer“ Flächen betrifft vor allem die
Wasserkraft und die Nutzung der Biomasse. Doch auch hier ist eine Gleichsetzung von
Flächenbedarf zur Energieproduktion aus fossil-atomaren Quellen einerseits und erneuerbarer
Nutzung andererseits nicht zulässig. Der Schutz des Ganzen kann nicht dem Erhalt einzelner,
regionaler Naturphänomene geopfert werden. Gerade die Natur selbst lehrt uns, dass das
Gesamte dem Individuum, ja sogar einzelnen Lebensräumen übergeordnet ist. Ohne den
Schutz des Ganzen kann ohnehin auch das Individuum als solches nicht geschützt werden.
Wird so der Maßstab einer realistischen Gefahrenhierarchie angelegt, bleibt nur ein Schluss:
Dem begrenzten Eingriff durch erneuerbare Energien in die Umwelt, steht die grenzenlose
Ausbeutung der Natur durch fossile und atomare Energienutzung gegenüber. Damit ist der
Vorzug zwischen beiden Alternativen kompromisslos den erneuerbaren Energien zu geben.
Soweit ist klar: Die Nutzung erneuerbarer Energien stoppt den fossilen und atomaren
Wahnsinn und ist somit an sich eine ökologisch unverzichtbare Notwendigkeit, die einzig
wahre Alternative. Doch diese grundsätzliche Betrachtung wird dem Chancenkatalog der sich
aus einer erneuerbaren Energiegewinnung ergibt, nur unzureichend gerecht. Denn gerade
wegen des Widerstandes aus Umweltkreisen unterbleibt häufig die Betrachtung von
potentiellen Synergieeffekten die sich für den Lebensraum- und Artenschutz durch
erneuerbare Energien ergeben. Und zwar gerade in jenen Bereichen erneuerbarer
Technologien, die in Umweltkreisen besonders häufig auf Vorbehalte stoßen: Die Wasserkraft
und die Nutzung von Biomasse, vor allem für die Bereitstellung von Treibstoffen. Im
Unterschied zur Windkraft und zur direkten solaren Energieernte greifen Wasserkraft und
Biomassenutzung in lokale und mitunter auch in überregionale Kreisläufe ein. Bei der
Wasserkraft sind überregionale Auswirkungen durch Megastauseen ausschließlich negativ zu
bewerten. Sie können das Mikroklima und die Vegetation großer Landstriche, vor allem durch
Wassermangel unterhalb der Kraftwerke liegender Fließstrecken erheblich verändern. Nicht
selten müssen auch Wald, landwirtschaftliche Flächen und Menschen aus ihrer
angestammten, für ihre Ernährung sorgenden Heimat weichen. Hinzu kommen Konflikte um
Wassernutzungsrechte verschiedener Staaten, die mit dem sich verschärfenden Klimawandel
und wachsenden Bevölkerungen zunehmend zur Kriegsgefahr werden.
Anders die Biomassenutzung: Überregionale Auswirkungen einer Biomassenutzung können
sowohl negativ als auch positiv ausfallen. Negativ dann, wenn für die Kultur von
Energieplantagen großflächig Wald geopfert wird, oder wenn bei Waldpflanzungen nur auf
die Produktionsmenge geachtet wird, nicht aber auf die Angepasstheit der Bäume an Klima,
Bodenbeschaffung und deren Wasserhaushalt. Positive überregionale Effekte ergeben sich
hingegen durch Aufforstungsmaßnahmen, die auf die regionalen Besonderheiten Rücksicht
nehmen und durch eine reichhaltige Waldflora stabilisierend auf die Wetterströme und den
Wasserhaushalt der Region einwirken. Doch bereits hier werden Misserfolge gerne
generalisiert, wie etwa durch die Aufforstung von Permafrostböden, durch
Monokulturwirtschaft oder in schneereichen Gegenden die im globalen Klimahaushalt von
Bedeutung sind. Dass demgegenüber das Potential zur Wiederaufforstung verlorener
Waldflächen und landwirtschaftlich degenerierter Flächen steht, fällt aus der Berichterstattung
und in Umweltdebatten häufig weg. Als Erkenntnis bleibt: Überregionale Auswirkungen von
Wasserkraft und Biomassenutzung sind unterschiedlich zu bewerten, doch mit einer
gemeinsamen Strategie zu beantworten: Dezentrale Technologie, aber auf breiter Ebene. Bei
der Wasserkraft heißt dies: Kleinwasserkraft nutzen, aber in großer Zahl. Für die
Biomassenutzung bedeutet es im globalen Maßstab der Waldbewirtschaftung vor dem
Ackerbau den Vorzug zu geben. Im Ackerbau selbst muss die Antwort in einer weitgehend
regionalen Kreislaufwirtschaft gesucht werden. Gerade diese Kreislaufwirtschaft kann aber
ohne breite Nutzung der Biomasse nicht stattfinden. Woher sollen die Rohstoffe kommen, wie
sollen Kreisläufe geschlossen werden, wenn nicht über biogene Reststoffe?
Wird dem dezentralen Anspruch Rechnung getragen, zeigen sich schließlich zahlreiche
ökologische Synergieeffekte, die sich gerade durch das Einwirken der Nutzung von
Wasserkraft und Biomasse in lokale Kreisläufe ergeben.
Werfen wir zuerst einen Blick auf die Wasserkraft: Dass die Errichtung von Stauzonen in den
lokalen Naturkreislauf eingreift, ist unbestritten. Doch sind diese Eingriffe grundsätzlich
negativ zu bewerten? Im Unterschied zu Großstaudämmen verändern Kleinwasserkraftwerke
weder den Grundwasserspiegel einer Region, noch deren Wasser- und Wetterkreisläufe. Der
Eingriff beschränkt sich auf einen begrenzten Abschnitt der Gewässer selbst und auf die Uferund Randzonen desselben. Hier steht, bei genauer Betrachtung, nur ein einziges Problem einer
Vielzahl von positiven Veränderungen für die Gewässer- und Umgebungsbiologie gegenüber.
Als einziges – lösbares – Problem stellt sich die Frage nach ungehinderten
Wanderungsmöglichkeiten für die Gewässerfauna, insbesondere für Fische. Die Antwort
darauf sind Fischaufstiege und künftig auch neuentwickelte Turbinentechniken, die ein
ungehindertes Durchschwimmen erlauben und gleichzeitig an vielen Standorten sogar
Produktionsvorteile aufweisen. Dazu kommen moderne Wasserräder, die ebenfalls unter
bestimmten Bedingungen herkömmlichen Turbinen überlegen sein können, auch wenn ihr
Beitrag in Summe vermutlich von geringer Bedeutung sein wird. Sie zu nutzen, um diesen
Markt anzutreiben, ist dennoch geboten, auch in Hinblick auf die Zusammenarbeit mit DritteWelt-Ländern.
Somit bleiben die Veränderungen durch die Aufstauung der betroffenen Gewässerabschnitte.
Diese werden fälschlicherweise mit den Erfahrungen durch die Großwasserkraft
gleichgesetzt, obwohl dieser Vergleich keineswegs angebracht ist. Denn die so stattfindenden
Veränderungen bringen bei näherer Betrachtung für Flora und Fauna der Gewässer eine
wertvolle Anreicherung an zusätzlichen, sich vom sonstigen Fliessverlauf unterscheidenden
Biotopen mit sich, die in Summe zu einer reicheren Vielfalt an Gewässerlebensräumen und
damit an Arten führen. Solcherart sorgfältig umgesetzte Eingriffe in den Gewässerhaushalt
abzulehnen, bedeutet daher nicht Umweltschutz im Sinne einer reichhaltigen Ökologie,
sondern genau das Gegenteil. Es bedeutet vielmehr, Gewässer weiterhin als Monokulturen zu
betrachten, anstatt die Chance zu nutzen, mit einer Revitalisierung der Kleinwasserkraft auch
die dringend nötige Revitalisierung von Fließgewässern in Angriff zu nehmen. So sind und
bleiben zahlreiche Kleingewässer zu Abflusskanälen degradiert, in denen sich weder eine
reiche Flora noch eine vielfältige Fauna entwickeln kann. Der Staudamm zum
Kleinwasserkraftwerk hingegen, kann als Teil einer Rückbesinnung auf naturgemäße
Gewässerentwicklung gesehen werden, da im Zuge der technischen Nutzung ein Zustand
wiedergewonnen wird, der vom Menschen künstlich durch die Ausrottung der Biber aus der
Gewässerlandschaft verbannt wurde. Sowohl oberhalb als auch unterhalb der Staustufe
entwickeln sich Lebensräume unterschiedlichen Charakters, die ihre eigene Flora und Fauna
bilden. Ruhezonen im Staubereich können zahlreichen Arten zur Fortpflanzung dienen und
erweitern den Artenreichtum. Bewusst eingeplante Seichtstellen können diese Entwicklung
zusätzlich begünstigen. Auch die Uferbereiche und Randzonen passen sich an diesen
positiven Wandel an, wenn auch vielleicht mit geringeren Effekten.
Landwirte die Wasserkraftwerke betreiben, können die Staubereiche zur Fischzucht nutzen
und so zusätzliche Märkte erschließen. Dies befreit sie wieder ein Stück vom Zwang zur
Massenproduktion und öffnet somit auch die Spielräume für eine Ökologisierung der
Landwirtschaft weiter. Tausende kleine Wasserkraftwerke könnten nicht nur sauberen Strom
liefern, sondern auch heimischen Fisch zu leistbaren Preisen, und damit erhebliche Mengen
Fischimporte aus Raubbau und Massenhaltung ersetzen. Die Verknüpfung von
Kleinwasserkraft und Fischzucht ist vielleicht die überzeugendste Antwort auf
Größenwahnprojekte wie Superlachs durch Genmanipulation. Die Maxime lautet daher:
Umweltschützer und Naturschutzämter sollen Kleinwasserkraft nicht verhindern, sondern
Rahmenbedingungen einfordern, die dem ökologischen Nutzen voll gerecht werden.
Das gleiche gilt für die Nutzung der Biomasse. Aktuelle Erfahrungen mit landwirtschaftlichen
Produktionsmethoden dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen im Kontext mit
politischen und marktrealen Zusammenhängen gesehen werden. Diese wurden jahrzehntelang
auf Massenproduktion für den Weltmarkt zugeschnitten. Über Jahrzehnte saß die
Landwirtschaft in der Ölfalle, die von zwei Seiten zuschnappte:
-
-
Zum einen durch die Internationalisierung der Agrarmärkte, die nur durch die
Subventionsorgien zugunsten fossiler Energien – vor allem Treibstoffen aus Erdöl möglich wurde und die Bauern unter den Druck verzerrter Märkte setzte.
Zum anderen durch die von fossilen Treibstoffen und petrochemischen
Produktionsmitteln angetriebene Industrialisierung der Landwirtschaft, die infolge
einseitig kalkulierter Produktionsfaktoren über Jahrzehnte die Bedürfnisse der
Naturkreisläufe missachtete. Kalkuliert wurden laufende Einnahmen und Ausgaben,
nicht aber das natürliche Kapital an Bodenressourcen, Wasserkreisläufen und
ökologischer Vielfalt.
Damit einher ging ein dramatischer Verlust an Kulturarten und -sorten. Reis, Soja,
Baumwolle, Weizen und Mais beherrschen den Weltmarkt, Saatgutmonopole reduzieren die
Anzahl verfügbarer Sorten und gefährden damit langfristig auch die Ernährungssicherheit
durch genetische Verarmung der Kulturarten. Monopole auf der Abnehmerseite diktieren die
Preise. Dies zwingt die Bauern zu monokultureller Massenproduktion, jener Form von
Landbewirtschaftung, die von der Umweltbewegung zu recht kritisiert wird. Doch auch hier
ist die nahtlose Übertragung bisheriger Erfahrungen auf die Nutzung der Biomasse zur
Energie- und Rohstoffgewinnung unangebracht. Diese schafft Vielfalt, wo lange Zeit Einfalt
herrschte, zahlreiche neue Kulturpflanzen bieten neue Möglichkeiten zum Fruchtwechsel und
zur Mischkultur. Insbesondere die energetische Nutzung von Ganzpflanzen, etwa in
Biogasanlagen, erlaubt eine reichhaltige Mischung von Kulturpflanzen. Aber auch der
gemeinsame Anbau von Nahrungs- und Energiepflanzen ist denkbar.
Im Hausgarten ist die wiederentdeckte Mischkultur längst keine Ausnahmeerscheinung mehr,
eine Praxis, die auf die kommerzielle Landwirtschaft durchaus übertragbar ist, wenngleich
auch noch manches an Erfahrung zu sammeln und an Forschung zu tätigen ist. Pflanzen in
Mischkultur begünstigen gegenseitig die Nahrungsaufnahme, teilen sich verschiedene Zonen
des Wurzelraumes, sind resistenter gegen Krankheiten, Schädlinge und Wettereinflüsse und
bringen zumeist höhere Erträge bei geringerem Düngebedarf. Vorraussetzung sind lediglich
gleiche Klima- und Bodenansprüche, gegenseitige Verträglichkeit und für maschinelle
Landbearbeitung gleiche Saat- und Erntezeitpunkte. Maschinelle Saat- und Erntetechniken,
die zu Beginn der „grünen“ Revolution den Drang zu Monokulturen begünstigten, können
nach den beträchtlichen Fortschritten technischer Entwicklung heute zur Umkehrung dieses
Trends beitragen, wenn landwirtschaftliche Maschinenbauer diesen Beitrag leisten wollen.
(Sie sollten dies im Hinblick auf neue Märkte ohnehin im eigenen Interesse tun) So ist es
denkbar, Maschinen zu konstruieren, die verschiedene Erntehöhen und Korngrößen beernten
und trennen können. Um die Belastung der Äcker durch Befahren und Bearbeiten zu
verringern, ist auch vorstellbar Maschinen zu konstruieren, die in einem Schritt Ernte,
moderate Bodenbearbeitung und Ausbringung einer mitgeführten Nachkultursaat ausführen.
Oder die Trennung und sofortige Wiederaussaat einer mitkultivierten Gründüngung (etwa div.
Kleearten), um so dem Boden so unmittelbar wie möglich wieder eine schützende Gründecke
zu verschaffen (die auch aus dem Blickwinkel des Hochwasserschutzes von Bedeutung ist).
Dies mag neu und ungewohnt sein, aber keineswegs eine hohe Hürde für Gesellschaften mit
den technisch verfügbaren Mittel des 21. Jahrhunderts. Oder will man etwa ernsthaft
behaupten, die Konstruktion eines Fusionsreaktors sei realistisch, nicht aber die Forderung
nach mehrfunktionalen Erntetechniken? Doch Mischkultur muss nicht zwingend die
unmittelbare gemeinsame Kultur bedeuten. Auch die in vielen Ländern lange praktizierte
Reihenmischkultur, bei der zwei oder mehr Kulturen eingebunden sein können, kann wieder
in künftige Konzepte einfließen. Dies würde zwar nicht alle positiven Effekte der Mischkultur
zur Entfaltung bringen, wäre aber dennoch insgesamt ein erheblicher Gewinn. Es ist zudem
ein Weg der auch beschritten werden kann, wenn der Maschinenbau seiner gesellschaftlichen
Verpflichtung nicht nachkommt.
Die Möglichkeiten neuer Kulturansätze reichen bis hin zum Agroforesting in dem Feld und
Waldkultur ineinander greifen, eine Kulturpraxis mit Mehrfachfunktion. Erosion durch Wind
und Regenfälle, Wassermangel in Trockenzeiten, Humusmangel: All dies sind überwiegend
Erscheinungen intensiver Monokultur und einer humusvergessenen Düngepraxis. Mischkultur
und insbesondere Agroforesting wirken diesen Erscheinungen entgegen. Alleine der Laubfall
der Bäume reichert die Humusvorräte einer Kulturfläche beträchtlich an, Windschutz ist
gegeben, starke Regenfälle werden zumindest auf Teilen des bewirtschafteten Kulturlandes
abgefangen, die Wasserspeicherkapazität erhöht sich durch die Präsenz der Bäume um ein
Vielfaches. Schon 1943 erkannte Albert Howard in seinem landwirtschaftlichen Testament:
„In der Zukunft, wenn die Landwirtschaft zu ihrem Recht kommt, und sie nicht mehr länger
nur als eine Industrie betrachtet wird, kann es wünschenswert sein, zu einer langfristigen
Fruchtfolge überzugehen, in der Wälder und Parkländereien in beackertes Land du
abgetragenes Ackerland zurück in Waldland oder in mit Bäumen bestandene Grasflächen
zurückverwandelt wird.“ Mit einem derartigen Modell wäre auch schlagartig jede Debatte
über die Konkurrenz zwischen Nahrungsmittel- und Energieproduktion in der Landwirtschaft
aus der Welt zu schaffen.
Aber schon das Vorhandensein von Hecken auf landwirtschaftlichen Flächen bringt
erhebliche Gewinne für die ökologische Vielfalt und im Kampf gegen die Erosion. Mit der
energetischen Nutzung von Biomasse ergibt sich so die Möglichkeit, die vielerorts
„flurbereinigten“ Äcker wieder mit Hecken anzureichern. Dabei ist durchaus denkbar, auch
Hecken aus Miscanthus und anderen mehrjährigen Feldkulturen einzubinden. Vögeln können
die Hecken zum Nisten dienen, Amphibien und Reptilien, eine reichhaltige Insektenwelt, und
zahlreiche Wildpflanzen können sich wieder einfinden. Eine biologische Vielfalt, die auch
dem Pflanzenschutz dient. Auch Kurzumtriebswälder, vor allem wenn sie als Mischkultur
praktiziert werden, können diesen Beitrag leisten. Zahlreiche Kombinationen und Variationen
der aufgezeigten Kulturmethoden können in vielfältiger Weise ebenfalls zum Einsatz
kommen und den regionalen und lokalen Verhältnissen angepasst werden. Dies zeigt: Wenn
von Mehrfachnutzung die Rede ist, muss sich dies nicht nur zwangsläufig auf die stoffliche
oder energetische Verwertung beschränken, sondern kann auch positive Effekte für die
Kulturbedingungen selbst meinen. Etwa den Stickstoffgewinn durch Schmetterlingsblütler,
Einsparung an Pflanzenschutzmitteln und Bodenbearbeitung, Humusvermehrung, vermiedene
Ernteausfälle und vieles mehr. All das muss (auch von der Politik) künftig in die KostenNutzen-Rechnung einbezogen werden, ein Ansatz der von sich aus zu ökologischeren
Produktionsweisen führt. Bedingung ist politischer Wille und ausreichendes Verständnis auch
für landwirtschaftliche Fragen in Politik, Medien, Öffentlichkeit und Umweltbewegung.
Denn die Vielfalt an möglichen Konzepten zeigt, dass die Lösung nicht im Verzicht, sondern
im angepassten Management nachwachsender Rohstoffe liegen muss. Ein Verzicht auf
nachwachsende Rohstoffe mit dem Argument, man wolle Monokultur und
Intensivlandwirtschaft vermeiden, wäre letztlich eine selbsterklärtes Scheitern, eine
freiwillige Kapitulation im Kampf um eine ökologisch verträgliche Landwirtschaft. Die
kategorische Ablehnung nachwachsender Rohstoffe mit derartiger Argumentation, bedeutet
letztlich die Kindesweglegung ökologischer Anliegen im zentralsten aller menschlichen
Lebensbereiche. Und damit auch die Kindesweglegung der naturgegebenen Verbindung
zwischen dem Schutz der natürlichen Umwelt und den sozialen Errungenschaften. (auch
solchen die noch errungen werden müssen) Konkret: Was will man den Menschen in Afrika,
Lateinamerika und weiten Teilen Asiens sagen, wenn man ihnen weiter das Potential
nachwachsender Rohstoffe zur Energieversorgung, zur Wiederbelebung der Landwirtschaft
und der Dorfstrukturen vorenthält. (Was im Übrigen auch für die anderen erneuerbaren
Energien gilt). Wie aber will man ihnen das Potential offenbaren, wenn man ihnen
signalisiert: „Ja, ihr in Afrika, macht nur, wir in Europa verzichten darauf.“? Eben weil das
Ziel einer ökologisch orientierten Landwirtschaft nicht geopfert werden darf, kann auf die
erneuerbaren Rohstoffe nicht verzichtet werden. Eben weil es zu einer Trendwende kommen
muss, müssen marktfähige ökologische Konzepte für die Landwirtschaft umgesetzt werden,
die statt auf einseitige, subventionierte und unkontrollierte Massenproduktion, auf vielfältige,
bedarfsgerechte und kreislauforientierte Produktion, Absatz- und Entsorgungswege setzen.
Wie will man ohne organische Produktion, sprich ohne Biomasseanbau und -nutzung, eine
organische, umweltverträgliche Kreislaufwirtschaft schaffen? Wie will man von Bauern,
deren Überleben von Gnaden politischer Parteien abhängig ist, und die somit nie wissen was
morgen ist, die trotz politischer Unterstützung ums Überleben kämpfen, wie will man von
ihnen erwarten, dass sie aus eigener Kraft die Ökologisierung der Landwirtschaft
vorantreiben? Wenn die Bauern zu Verbündeten der Umweltbewegung werden sollen, dann
muss man ihnen die Instrumente dazu in die Hand geben. Mit anderen Worten: Man muss
ihnen Märkte schaffen, auf denen sie aus eigener Kraft überleben können. Für die Entlohnung
zusätzlicher ökologischer Aufgaben (Landschaftserhaltung, Biotoppflege..) reicht ein
Bruchteil dessen, was der Staat heute an Marktsubventionen für den Welthandel von
Überschussproduktionen aufbringt. Der Unterschied: Hier wird den Bauern nichts geschenkt,
sondern eine Leistung angemessen bezahlt.
Im Zeitalter der erneuerbaren Energien wird die Bauernbewegung für das 21.Jahrhundert jene
Bedeutung erlangen, die der Arbeiterbewegung durch die industrielle Revolution im 20.
Jahrhundert zukam. Nimmt die Umweltbewegung die Bauern und ihre Überlebensfragen
ernst, tritt sie in einen konstruktiven Dialog über die Zukunft der Landwirtschaft ein, in dem
die Nutzung nachwachsender Rohstoffe im Zentrum der Erneuerungsbemühungen stehen,
dann können die Synergieeffekte einer echten Kreislaufwirtschaft gemeinsam mit der
Landwirtschaft erschlossen werden:
- Durch die Wiedergewinnung regionaler Märkte verringert sich der Güterfernverkehr, eine
Maßnahme, die nicht nur dem Klimaschutz dient, sondern die auch zum Schutz von Vögeln
mehr beiträgt, als der sinnlose Kampf gegen harmlose Windmühlen. Gleichermaßen gilt dies
für wandernde Amphibien und viele Säugetiere, die täglich auf den Straßen verenden.
- Durch die Nutzung zahlreicher neuer Kulturarten und -sorten kann die Bodenpflege
verbessert werden: durch reicheren Fruchtwechsel, humusbildende Kulturen (Miscanthus,
Kurzumtriebswälder,...)
abwechslungsreiches
Nährstoffmanagement
(Gründüngung,
Fruchtwechsel, geschlossene Stoffkreisläufe,...) und umfassend durch Vegetation vor Erosion
geschützten Böden. Durch die engere Verknüpfung von Land und Forstwirtschaft können
zahlreiche dieser Synergieeffekte weiter optimiert werden.
- Durch die Einbindung der Biogastechnologie kann klimaschädigendes Methan in Strom und
Wärme umgewandelt, können Dünger und Pflanzenschutzmittel gewonnen und
Entsorgungsprobleme in der Viehwirtschaft gelöst werden. Kaum ein anderer Dünger trägt
mehr und rascher zur Humusbildung im Boden bei, als der an Bodenorganismen reiche
Schlamm einer Biogasanlage. Zudem erlaubt gerade die Vergasung von Biomasse die
gleichzeitige Kultur mehrerer Arten auf ein- und derselben Fläche, da es nicht auf die
einzelnen Erträge, sondern auf den Gesamtertrag ankommt.
- Durch reichhaltigere landwirtschaftliche Produktion erweitern sich die Spielräume zu einer
Wiederzusammenführung von Pflanzenbau und Viehwirtschaft. Da auch Jagdwesen und
Fischerei durch Schaffung neuer Lebensräume von dieser Entwicklung profitieren können,
verringert sich der Druck zur Massentierhaltung.
- Durch die Schaffung neuer, regionaler Wirtschaftskreisläufe, und nur durch diese, kann auch
unsere Ernährungssicherheit erhalten bleiben und eine gesunde Ernährung bewahrt oder
gewonnen werden. Zum einen, weil der erdölsüchtige Weltmarkt diese Sicherheit nicht bieten
kann, zum anderen, weil die Regionalisierung der Produktion auch wieder zu einer ReRegionalisierung der Pflanzenzüchtung führen wird. Ohne neue landwirtschaftliche
Selbständigkeit ist das Ziel einer Erhaltung der Biodiversität in der Pflanzenzüchtung nicht zu
erreichen, womit auch die Ernährungsgrundlage von mehr als sechs Milliarden Menschen in
Frage gestellt ist.
Letztlich ist die quantitative und qualitative Erschließung der erneuerbaren Potentiale ein
Kulturauftrag, der geleistet werden muss und auch kann. Er richtet sich vor allem an jene, die
über das politische, finanzielle und technische Kapital zur Umsetzung dezentraler, stabiler
Wirtschaftsentwicklung verfügen. Es richtet sich aber auch an die Verantwortlichen in der
Umweltbewegung, die erneuerbaren Energien als Chance für eine Ökologisierung von
Landwirtschaft und Gesellschaft zu begreifen, anstatt die Hürden zu fixieren. Als Sohn eines
Leichtathletiktrainers weiß ich, dass Hürden dazu da sind, um übersprungen zu werden. Wer
auf den Hürden herumtrampelt, kann das Rennen wohl kaum gewinnen. Weshalb sich die
Umweltbewegung konsequent täglich die Frage stellen muss: Wollen wir gewinnen?
Gewinnen im Sinn von substanziellen Erfolgen und nicht im Sinne von „Seht ihr, wir haben
doch recht gehabt, dass alles den Bach runter geht!“ Also muss gezielt gefragt werden: Will
man dem Klimawandel erfolgreich begegnen, durch Nutzung der erneuerbaren Potentiale,
durch Aufforstung und durch Wiedergewinnung des Kohlenstoffspeichers Humus, oder
verzichtet man aus Angst vor der eigenen Courage und mangels Phantasie auf diese Chancen?
Will man gesunde Böden, vielfältige Lebensräume, eine reichhaltige Flora und Fauna,
saubere und kontinuierliche Wasserkreisläufe, oder ergibt man sich verzweifelt dem
anhaltenden Trend zur Monokultur? Will man die Landwirtschaft in ihrer unübersehbaren Not
aus der Ölfalle befreien oder versperrt man ihr den Weg in Eigenständigkeit? Will man eine
von resistenten Giften befreite Lebenswelt oder weiterhin die fossile und atomare
Verseuchung zulassen? Und zuletzt: Will man als Umweltbewegung weiter erfolgreich die
Gesellschaft mitgestalten oder will man von einer in Energiefragen zunehmend erwachenden
Bevölkerung zu den Akten gelegt werden, weil man sich den Anforderungen der Zeit
versperrt? Die Antwort kann nur jede/r Verantwortliche in der Umweltbewegung selbst
geben!
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