3. Kapitel Die Begründung des Grundbegriffes der Theorie. Der

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3. Kapitel
Die Begründung des Grundbegriffes der Theorie. Der dialektische
Zusammenhang des Wesens und der Erscheinungsformen im Aufbau der
Theorie.
1. Der Grundbegriff der Theorie. Analyse der Kategorien „Wesen“ und
„Widerspruch“ als logische Formen (Prinzipien) der Begründung des
Grundbegriffes der Theorie
Im Aufbau des theoretischen Wissens, in dessen Form das objektive konkrete Ganze
reproduziert wird, hat das allgemeine Prinzip der Theorie, mit dessen Begründung die
geistig-theoretische Reproduktion der Wirklichkeit beginnt, eine fundamentale Bedeutung.
In der dialektischen Erkenntnis jedoch - im Unterschied zur formalen Methode des
Aufbaus des Wissens - deckt die Begründung der Grundlage, des allgemeinen Prinzips,
nicht den gesamten komplizierten Inhalt der theoretischen Erkenntnis des Gegenstandes ab.
Zur vollständigen und adäquaten Reproduktion der Wirklichkeit muss sich die allgemeine
Grundlage der Theorie entwickeln, neue Bestimmtheiten offenbaren, und nur im Ergebnis
einer solchen theoretischen Bewegung kann das objektive Ganze reproduziert werden. Die
logische Form einer solchen Bewegung ist die Entwicklung vom Allgemeinen zum
Besonderen und von ihm zum Einzelnen.
Am Beginn der theoretischen Erkenntnis ist das Allgemeine1 noch nicht gegliedert und
deshalb abstrakt. Erst im Verlaufe der Bewegung der theoretischen Erkenntnis vom
Allgemeinen zum Besonderen und Einzelnen wird die Abstraktheit des allgemeinen
Ausgangswissens überwunden, und es wird konkret. In der dialektischen Logik wird der
Aufstieg nicht als einfaches Herausführen aus dem Ausgangsganzen, sondern als eine
Entwicklung verstanden. Dabei wird das Besondere nicht als irgendein Anderes betrachtet,
sondern als isoliertes Allgemeines. Deshalb befindet sich das Allgemeine, wie Hegel
bemerkte, „in der Besonderheit nicht von irgendetwas Anderem, sondern gänzlich von sich
selbst“.2 Ihrerseits enthält die Besonderheit jene Allgemeinheit, die ihre Grundlage, ihre
Substanz ausmacht. „Das Besondere“, schrieb Hegel, „enthält folglich in sich das
Allgemeine, stellt letzteres jedoch auch als seine Bestimmtheit dar, da das Allgemeine jene
Sphäre bildet, die das Besondere erschöpfen muss“.3
In der dialektischen Logik wird auf diese Weise das Besondere und das Einzelne nicht
einfach in ihrer Einbeziehung in die Sphäre des Allgemeinen betrachtet, sondern als eine
solche Bestimmtheit interpretiert, in der das Moment der Negation vorhanden ist.
Im Ganzen tritt die Entwicklung des Allgemeinen zum Besonderen und Einzelnen
einerseits als Selbstentwicklung, Selbstnegation der Ausgangsgrundlage (Substanz) auf,
andererseits - als dialektische Aufhebung seiner Negation, da sich das Allgemeine im
Besonderen und Einzelnen nicht in etwas sich selbst Fremdes verwandelt, sondern in sein
Anderes übergeht. Im Verlaufe einer solchen Bewegung wird die theoretische Erkenntnis
über den Gegenstand immer inhaltsreicher. Dabei hat eine fundamentale Bedeutung die
innere Widersprüchlichkeit des Allgemeinen, das Vorhandensein der inneren Negation, die
als aktive Seite des Widerspruches der Grund der Selbstentwicklung des gesamten
theoretischen Wissens ist. Das Ausgangsallgemeine (Substanz) entwickelt sich nicht nur
deshalb, weil es unentwickelt ist, sondern hauptsächlich darum, weil es in sich
widersprüchlich ist, das Moment der Negation enthält. Die dialektische Negation ist eine
Form der Entwicklung der Ausgangsgrundlage.
Die Entwicklung des theoretischen Wissens, die Bewegung des Allgemeinen zum
Besonderen und Einzelnen wurde in klassischer Form von Marx im „Kapital“ verfolgt.
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Wie bekannt, beginnt Marx seine Analyse damit, dass der Kapitalismus eine riesige
Anhäufung von Waren ist und die einzelne Ware - seine elementare Form. Im Ergebnis der
theoretischen Analyse des „elementaren Seins“ der bürgerlichen Gesellschaft begründete er
das allgemeine Prinzip (Wert), das als Wesen der Ware, einfacher Warenbeziehungen
gleichzeitig die Substanz der gesamten kapitalistischen Produktion ist, da alle anderen
konkreten (vielgestaltigen) Beziehungen der bürgerlichen Gesellschaft nur als
Modifikation dieser Grundlage verstanden werden können.
Richtig ist allerdings auch, dass der Wert der Substanz als das Allgemeine des
Kapitalismus nicht sein Wesen ist, das seinerseits nichts anderes ist als die besondere Form
der Entwicklung dieser Substanz. Tatsächlich, das Wesen der kapitalistischen
Warenproduktion findet seinen Ausdruck nicht einfach in dem Begriff des Wertes, sondern
seines besonderen Wertes - des Mehrwertes. Während der Begriff des Wertes das Wesen
der einfachen Warenbeziehung ausdrückt, drückt der Begriff des Mehrwertes den inneren
Inhalt der kapitalistischen Warenproduktion aus, wo die Arbeitskraft zur Ware wird. Aber
der Begriff des Wertes ist gleichzeitig die Substanz der gesamten kapitalistischen
Wirtschaftsform, da alle kapitalistischen Beziehungen durch Warenbeziehungen vermittelt
werden.
Laut Marx unterscheiden sich Wert als Wesen und Wert als Substanz voneinander. Als
Wesen bestimmt der Wert unmittelbar seine Formen (Ware, Tauschbeziehungen, Geld und
dgl.), als Substanz liegt er vielfältigen Formen zugrunde, unter denen Profit, Rente, Zinsen
usw. figurieren. Letztere werden dabei nicht unmittelbar durch den Wert bestimmt,
sondern er tritt als ihre Grundlage nur im Ergebnis seiner Selbstentwicklung auf. Nur der
Mehrwert (eine besondere Form dieser Substanz) ist das Wesen des Profits, der Rente und
der Zinsen. Der Mehrwert ist in Beziehung zum Wert etwas anderes und nicht seine eigene
Form der Entwicklung und Selbstentwicklung. „...Der Wert wird hier zum Subjekt eines
bestimmten Prozesses, in dem er unter ständigem Wechsel der Geld - in die Waren-Form
und umgekehrt selbst seine Größe ändert, sich als Mehrwert von sich selbst als
ursprünglichem Wert abstößt, anwächst. Denn die Bewegung, in der er den Mehrwert zu
sich hinzufügt, ist seine eigene Bewegung, folglich ist sein Anwachsen ein
Selbstanwachsen“.4
Das Verdienst von Marx besteht darin, dass er den Prozess der Entstehung des Mehrwertes
verfolgt hat, d. h. den Mehrwert als etwas Besonderes in der kapitalistischen
Warenproduktion bestimmt hat, das im Prozess der Selbstbewegung des Wertes entsteht.
„Der Wert wird auf diese Art“, schreibt Marx, „zum sich selbst bewegenden Wert, zu sich
selbst bewegendem Geld, und als solches ist er Kapital“.5 „Anstatt durch sich die
Beziehung der Waren auszudrücken“, schreibt er, „tritt er jetzt sozusagen in private
Beziehung zu sich selbst. Er unterscheidet sich als ursprünglicher Wert von sich selbst als
Mehrwert, so ähnlich wie sich Gott-Vater von sich als Gott-Sohn unterscheidet, obwohl
beide das gleiche Alter haben und in Wirklichkeit nur eine Person sind“.6
Vor Marx war die Umwandlung der Formeln der Warenbeziehungen in die Formeln des
Kapitals ein Geheimnis. Mehr noch, die Möglichkeit des Mehrwertes widersprach dem
Wert, dem Austausch der Äquivalente. Erst Marx hat dieses Geheimnis durch die
Entdeckung der Arbeitskraft als Ware gelüftet. Für die Entstehung von Kapital genügt
nicht das Vorhandensein einer einfachen Warenproduktion, sondern ihre Entwicklung ist
notwendig. W. I. Lenin hat den Kapitalismus als Warenproduktion in jenem
Entwicklungsstadium charakterisiert, in dem auch die Arbeitskraft zur Ware wird.
Betreffs des Prozesses der Selbstbewegung, des Selbstanwachsens des Wertes schrieb
Marx: „... diese Veränderung kann nur aus dem Konsumwert der Ware als solcher
entstehen, d. h. nur aus ihrem Konsum. Aber den Wert aus dem Konsum der Ware zu
ziehen, gelingt unserem Besitzer von Geld nur in dem Fall, wenn er das Glück hat, in den
Grenzen der Zirkulationssphäre, d. h. auf dem Markt solche Ware zu finden, deren
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Konsumwert die originelle Eigenschaft hat, eine Wert-Quelle zu sein, - solche Ware, deren
wirklicher Konsum die Vergegenständlichung der Arbeit, also folglich die Schaffung von
Wert wäre. Und der Besitzer von Geld findet auf dem Markt so eine spezifische Ware; das
ist die Arbeitsfähigkeit oder die Arbeitskraft“.7
Die allgemeine Bedingung für Selbstentwicklung, Selbstanwachsen des Wertes ist auf
diese Weise die Existenz von Arbeitskraft als Ware. Für ihre Selbstentwicklung,
Selbstbewegung müssen Wert und Geld dem Konsumwert Widerstand leisten. Bei dieser
immanenten Negation muss sich der Wert erhalten oder das Sein des Konsumwertes zur
Bedingung seines Selbstanwachsens machen. Das kann nur dann realisiert werden, wenn
der Wert nicht einfach diesem oder jenem Konsumwert widersteht, sondern nur einem
besonderen Konsumwert, d. h. einem Konsumwert, der mit sich selbst korreliert.
„Der Austausch, durch den Geld zu Kapital wird“, schrieb Marx, „kann nicht sein
Austausch gegen Waren [überhaupt] sein, sondern kann nur der Austausch gegen seinen
begrifflich bestimmten Gegensatz sein, gegen Ware, die sich zu ihm selbst in einem
begrifflich bestimmten Gegensatz befindet - nämlich gegen Arbeit“.8
„Als Kapital
existiert Geld nur im Zusammenhang mit Nicht-Kapital, mit der Negation von Kapital, und
es ist Kapital nur im Rahmen der Beziehung zu dieser Negation des Kapitals. Wirkliches
Nicht-Kapital ist die Arbeit selbst. Der erste Schritt, den das Geld bei seinem KapitalWerden macht, ist sein Austausch gegen Arbeitskraft ...“.9
Auf diese Weise hat Marx rationell die Schwierigkeiten gelöst, die bei der Begründung des
Mehrwertes auftraten. Es erwies sich, dass der Mehrwert auch ein Wert ist, der unter den
Bedingungen auftritt, wo die Arbeitskraft zur Ware wird. Im gegebenen Fall haben wir es
wieder mit den Beziehungen zwischen dem Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen zu
tun. Allgemein ist der Wert als Grundlage der gesamten Ware-Geld-Beziehung, aber er tritt
in Widerspruch mit der besondern Form des Wertes - dem Mehrwert. Das Wertgesetz
regelt den Austausch von Äquivalenten, d. h. eines ungleichen Wertes. Diese beiden
Urteile schließen einander aus. Im „Kapital“ löst Marx diesen Widerspruch von Wert und
Mehrwert, und zwar mittels der Entdeckung einer solchen besonderen Ware, wie es die
Arbeitskraft ist. Das Geheimnis der Entstehung des Mehrwertes liegt in unbezahlter Arbeit.
Kapital entsteht im Prozess der Warenzirkulation und gleichzeitig außerhalb der
Warenzirkulation.
Im Aufbau der Theorie der kapitalistischen Gesellschaft ist das Wesentlichste der Begriff
des Mehrwertes. In der politischen Ökonomie traten die hauptsächlichsten Schwierigkeiten
im Prozess der Begründung dieses Begriffes auf, wovon im Wesentlichen auch die
theoretische Wiedergabe der kapitalistischen Gesellschaft abhing. „Es ist notwendig, den
Begriff des Kapitals genau zu entwickeln“, schrieb Marx, „da er der Hauptbegriff der
modernen politischen Ökonomie ist, ähnlich wie das Kapital selbst, dessen Begriff seine
absolute Darstellung, die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft ist. Durch das exakte
Verständnis der Hauptvoraussetzung der [kapitalistischen] Beziehung müssen alle
Widersprüche der bürgerlichen Produktion entlarvt werden, genau wie auch jene Grenze,
bei deren Erreichung diese Beziehung die bürgerliche Produktion zum Überschreiten ihrer
eigenen Schranken zwingt“.10
Marx hat allseitig und wissenschaftlich den Begriff des Mehrwertes erarbeitet und alle
theoretischen Schwierigkeiten gelöst, die der Stein des Anstoßes für die gesamte
vormarx‘sche politische Ökonomie waren. Der Begriff des Mehrwertes ist die größte
Entdeckung von Marx. Im Ergebnis der Entdeckung und Begründung dieses
fundamentalen Begriffes hat er die gesamte vorherige politische Ökonomie revolutioniert
und alle vorherigen ökonomischen Kategorien revidiert. Zunächst brachte er seine Theorie
des Wertes heraus und hat die Werte-Theorie von Ricardo kritisiert. Danach erforschte er
die Ware-Geld-Beziehung und begründete seine berühmte Geld-Theorie. Später hat Marx
mit absoluter Genauigkeit die Quelle des Kapitals, die Verwandlung von Geld in Kapital
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bewiesen, die auf dem Verkauf und Kauf von Arbeitskraft beruht. „Indem er an die Stelle
der Arbeit die Arbeitskraft, die Eigenschaft, Wert zu schaffen, setzte“, schrieb F. Engels,
„hat er mit einem Schlag eine der Schwierigkeiten gelöst, die zum Untergang der Schule
von Ricardo geführt haben: die Unmöglichkeit der Abstimmung des gegenseitigen
Austausches von Kapital und Arbeit mit dem Gesetz von Ricardo über die Bestimmung des
Wertes durch Arbeit. Nur nach Teilung des Kapitals in beständiges und veränderliches
konnte Marx bis ins Detail den wirklichen Verlauf des Prozesses der Bildung von
Mehrwert darstellen und ihn erklären, was nicht einem seiner Vorgänger gelang“.11
Alle vorangehenden Politökonomen hatten vom Mehrwert nur eine Vorstellung aber
keinen Begriff, konnten nicht die Art und Weise der Herausbildung des Mehrwertes
aufdecken. Bestenfalls sahen sie die Quelle des Mehrwertes in unbezahlter Arbeit, haben
diese Tatsache aber nicht weiter erforscht und nicht die inneren Prozesse der
Herausbildung des Mehrwertes aufgedeckt und diese Idee nicht in der gesamten politischen
Ökonomie verfolgt. Der Mangel ihres theoretischen Denkens zeigte sich schon darin, dass
sie sich unfähig erwiesen, den Mehrwert in seiner reinen Form zu untersuchen und ihn
ständig mit seinen besonderen Erscheinungsformen vermischten. In diesem
Zusammenhang schrieb Marx über A. Smith: „... obwohl er dem Wesen nach den
Mehrwert untersucht, stellt er sich ihn nicht klar in Form einer bestimmten Kategorie vor,
die sich von seinen besonderen Formen unterscheidet, und im weiteren vermischt er direkt,
ohne irgendwelche Zwischenglieder einzuführen, den Mehrwert mit der weiterentwickelten
Form - dem Profit“.12
Diesen theoretischen Fehler machten sowohl Ricardo als auch alle folgenden Ökonomen.
Bei Ricardo trat er besonders deutlich auf, da er systematisch und konsequent das
Wertgesetz bearbeitete. „Ricardo hat überall ... den Profit unmittelbar mit dem Mehrwert
identifiziert. Daher werden laut Ricardo die Waren nicht deshalb mit Profit verkauft, weil
sie über ihrem Wert verkauft werden, sondern deshalb, weil sie entsprechend ihrem Wert
verkauft werden“.13 „Weder Ricardo, noch seinen Schülern kommt in den Sinn“, schrieb
Marx, „dass, wenn wir nicht die Kapitale in den einzelnen Zweigen betrachten, sondern
jedes Kapital im Einzelnen ..., die Norm des Profits und die Norm des Mehrwertes
unterschiedlich sind; folglich muss der Profit eine gewisse weiterentwickelte, spezifisch
modifizierte Form des Mehrwertes sein“.14
Im Verständnis der Natur des Mehrwertes, seiner Wechselbeziehungen mit besonderen
Formen hat die vulgäre politische Ökonomie ihre vollkommene Machtlosigkeit gezeigt, da
sie sich grob an die empirische Form geklammert hat, um die Wahrhaftigkeit des
allgemeinen Gesetzes zu widerlegen. Einen gewissen Fortschritt im Verständnis des
Begriffes des Mehrwertes haben die sogenannten proletarischen Gegner der
Politökonomen gemacht, die den Mehrwert auf die Mehrarbeit zurückführten und sich
bemühten, die kapitalistische Produktionsweise zu kritisieren. Zu den Arbeiten dieser
Ökonomen schrieb Marx: „Während bei Ricardo und anderen Politökonomen das Interesse
nur darauf gerichtet war, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu verstehen und sie
zu absoluten Formen der Produktion zu erklären, haben das von uns untersuchte Pamphlet
und alle anderen hier betrachteten Schriften dieser Kategorie sich der von Ricardo und
anderen Politökonomen entdeckten Geheimnisse der kapitalistischen Produktion bemüht
zu bemächtigen, um von den Positionen des Industrieproletariates gegen die kapitalistische
Produktion aufzutreten“.15
In ihren Forschungen haben sie ständig auch den Mehrwert mit seinen besonderen
Erscheinungsformen vermischt; darum hatten sie den Begriff des Mehrwertes nicht. Nur
Marx konnte, nachdem er den Mehrwert in seiner reinen Form und unabhängig von seinen
besonderen Formen untersucht hatte, den Begriff des Mehrwertes formulieren, allseitig die
Art und Weise der Herausbildung, der Entstehung und des Funktionierens des Mehrwertes
in der bürgerlichen Gesellschaft darlegen. Die theoretische Überlegenheit von Marx
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besteht darin, dass er das Wesen der kapitalistischen Produktion aufdecken und den
wirklichen Verlauf der Bildung des Mehrwertes detailliert verfolgen konnte. Im
Unterschied zu seinen Vorgängern sah er das wirkliche wissenschaftliche Problem dort, wo
jene schon dessen Lösung sahen. „Er sah“, schrieb Engels, „... dass hier die Rede nicht von
der einfachen Konstatierung des ökonomischen Faktes, nicht vom Widerspruch dieses
Faktes mit der ewigen Gerechtigkeit und wahren Moral ist, sondern von einem solchen
Fakt, dem es beschieden war, eine Umwälzung in der gesamten politischen Ökonomie
herbeizuführen und der den Schlüssel zum Verständnis der gesamten kapitalistischen
Produktion darstellte ...“.16 Deshalb hatte die Mehrwerttheorie eine große Bedeutung
beim Aufbau der Theorie der kapitalistischen Produktionsweise; sie übte einen kolossalen
Einfluss auf die Geister aus, „machte einen solchen Eindruck wie ein Donnerschlag aus
heiterem Himmel, - und das in allen zivilisierten Ländern“.17
Der Begriff des Mehrwertes ist tatsächlich eine große Entdeckung von Marx. Er hat die
gesamte vorherige politische Ökonomie revolutioniert und gezwungen, alle vorherigen
ökonomischen Kategorien zu überdenken. Bei der Begründung des Begriffs des
Mehrwertes hat er allseitig die materialistische Dialektik angewendet und weiterentwickelt.
Im Lichte des Gesagten kann man sich leicht von der Unrichtigkeit der Behauptung
überzeugen, deren Autoren seinerzeit versuchten, die Entdeckung (Begründung) des
Begriffes des Mehrwertes Rodbertus und anderen zuzuschreiben. So schrieb z. B. ein
gewisser Maier: „Aus diesen publizierten Arbeiten“ [von Rodbertus in der zweiten Hälfte
der 30-er Jahre] „hat Marx, wie man beweisen kann, einen großen Teil seiner Kritik
geschöpft“.18 Im gleichen Sinne trat auch Rodbertus selbst auf: „Heute sehe ich, wie mich
Scheffle und Marx bestohlen haben, ohne mich dabei zu nennen“.19
In den Vorworten zum zweiten Band des „Kapitals“ und zur ersten deutschen Ausgabe des
„Elends der Philosophie“ hat F. Engels diese Erfindungen eine nach der anderen widerlegt,
sowohl von der faktischen (dokumentarischen) als auch von der theoretischen Seite. Er
bewies, dass der Begriff des Mehrwertes, der von Marx entdeckt und begründet wurde,
sich himmelweit von der Vorstellung unterschied, die Rodbertus hatte. Während Marx den
konkreten Begriff des Mehrwertes herausgearbeitet hat, hatte Rodbertus bestenfalls nur
eine abstrakte, ursprüngliche Vorstellung vom Mehrwert, einen „unvollkommenen
gedanklichen Ausdruck des Gegenstandes“.
In seinen Forschungen vermischt Rodbertus den Mehrwert mit einer seiner besonderen
Erscheinungsformen, der Rente, die er nur für eine einfache Summe der Grundrente und
des Profits hält. Auf Grund dessen versperrt er sich von Anfang an den Weg zum
theoretischen Verständnis des Wesens der kapitalistischen Verhältnisse. Dabei bringt er im
Vergleich zu seinen Vorgängern nichts Neues hervor. Außerdem hat Rodbertus, wie
Engels vermerkte, unkritisch die ökonomischen Kategorien „Arbeit“, „Kapital“, „Wert“
usw. in grober, oberflächlicher Form übernommen, „die er von den Ökonomen geerbt hat,
ohne den Inhalt dieser Kategorien zu erforschen“.20
Man muss ihm freilich lassen, dass er die Aufmerksamkeit darauf gerichtet hat, dass sich
der Mehrwert von nicht bezahlter Arbeit bildet und dass der Lohn nur einen Teil des
Wertes des Produktes ausmacht. In seinen Arbeiten bemühte er sich, hieraus gewisse
sozialistische Schlüsse zu ziehen. In diesen Thesen gibt es, wie Engels aufzeigte, in
theoretischer Hinsicht nichts Neues, da der erste Teil des Schlusses schon in den
ökonomischen Ansichten von A. Smith und D. Ricardo enthalten ist, und der zweite Teil
ist in den Arbeiten der proletarischen Kritiker der Politökonomen verbreitet. Engels
bemerkte jedoch vollkommen zu Recht, dass es von dieser ursprünglichen Vorstellung bis
zum Begriff des Mehrwertes noch sehr weit ist. Rodbertus verstand vor allem das Wesen
des Begriffs des Mehrwertes, der Art und Weise seiner Bildung, seines Zusammenhanges
mit der Entwicklung der Warenproduktion, mit der Arbeitskraft als Ware nicht. Deshalb
sah er auch keine Notwendigkeit der kritischen Revision der existierenden ökonomischen
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Kategorien. Erst Marx hat wahrhaft den wissenschaftlichen Begriff des Mehrwertes
begründet, seinen Platz im System der anderen Kategorien der ökonomischen Wissenschaft
bestimmt. Geleitet von diesem Begriff, hat er die vorherige politische Ökonomie revidiert
und ein neues theoretisches Verständnis des Gegenstandes begründet. Deshalb war die
Theorie von Marx eine wahre Umwälzung in der politischen Ökonomie.
Im Verlauf der Begründung des Begriffes des Mehrwertes hat Marx auch allseitig die
materialistische Dialektik und die wichtigsten logischen Prinzipien, die die konkrete
Erkenntnis der objektiven Wirklichkeit sichern, ausgearbeitet. Während Rodbertus den
Mehrwert mit einer besonderen Form identifizierte, hat Marx, gestützt auf das logische
Prinzip der Untersuchung des Wesens unabhängig von Erscheinungsformen, den Mehrwert
selbständig, unabhängig von seinen besonderen Erscheinungsformen erforscht. Im
Ergebnis eines solchen produktiven methodologischen Herangehens erhielt er die
Möglichkeit, einen tiefschürfenden wissenschaftlichen Begriff des Gegenstandes zu
erarbeiten. Betreffs der Besonderheit der Art und Weise der Bildung des Begriffs durch
Marx schrieb Engels: „Marx führt den allgemeinen Inhalt der Dinge und Beziehungen zu
seinem am stärksten verallgemeinerten gedanklichen Ausdruck zurück. Eine Abstraktion
spiegelt folglich in der Form des Gedankens jenen Inhalt wider, der schon in den Dingen
enthalten ist“.12
Im Unterschied zu Marx hat Rodbertus ein äußerst oberflächliches, abstraktes Verständnis
des Gegenstandes an den Tag gelegt, worin sich die grundlegenden Mängel seiner logischtheoretischen Vorstellungen äußersten. „Rodbertus bildet sich“, schreibt Engels, „einen
mehr oder weniger unvollständigen gedanklichen Ausdruck und misst die Dinge an diesem
Begriff, nach dem sie sich richten müssen. Er sieht den wahren, ewigen Inhalt der Dinge
und gesellschaftlichen Beziehungen, deren Inhalt seinem Wesen nach jedoch vergänglich
ist. Das ist sein wahres Kapital. Das ist kein modernes Kapital, es ist nur eine
unvollständige Realisierung des Begriffes. Anstatt aus dem modernen, einzig in der
Wirklichkeit existierenden Kapital den Begriff des Kapitals abzuleiten, nimmt Rodbertus
in dem Wunsch, vom modernen zum wahren Kapital zu gelangen, Zuflucht zu der Hilfe
eines isolierten Menschen und fragt: Was kann denn in der Produktionstätigkeit eines
solchen Menschen als Kapital auftreten?“ 22
Wie wir sehen, hat F. Engels zwei ernsthafte Mängel in den ökonomischen Forschungen
von Rodbertus aufgedeckt: Erstens hatte der Forscher keinen wahrhaftig
wissenschaftlichen Begriff vom Gegenstand, sondern nur eine abstrakte Vorstellung,
„einen unvollkommenen gedanklichen Ausdruck“, was durch die theoretische Schwäche
seines Denkens bedingt war; zweitens war Rodbertus unfähig, den Gegenstand in seiner
Konkretheit zu untersuchen und sein Wesen, seine objektiven und wirklichen
Wechselbeziehungen mit anderen Erscheinungen aufzudecken, da die Methode seiner
Untersuchung des Gegenstandes abstrakt ist (im schlechten Sinne des Wortes).
Da Rodbertus nicht tief in das Wesen des Begriffes des Mehrwertes eindringen konnte, hat
er auch die Beziehungen dieses Begriffes mit seinen umgewandelten Formen nicht
aufgezeigt. Da er die spezielle Form mit der allgemeinen identifizierte, war er nicht in der
Lage, den Charakter des Widerspruchs der allgemeinen und besonderen Formen ihrer
Existenz zu verstehen. Deshalb treffen die Bemerkungen von Marx, die er an die Adresse
eines Schülers von Ricardo richtete, auch auf Rodbertus zu: „Wie bei Ricardo die
Vermischung von Mehrwert und Profit zu unangenehmen Widersprüchen führt, so führt
bei ihm zu den gleichen Widersprüchen auch die Tatsache, dass er den Mehrwert als
Kapitalzinsen bezeichnet hat. Freilich steht er über Ricardo in der Beziehung, dass er
erstens jeglichen Mehrwert auf Mehrarbeit zurückführt, und zweitens - obwohl er den
Mehrwert als Kapitalzinsen bezeichnet - unterstreicht, dass er unter interest of capital die
allgemeine Form der Mehrarbeit im Unterschied zu ihren besonderen Formen: der Rente,
den Darlehenszinsen und dem Unternehmerprofit versteht. Aber die Bezeichnung einer
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dieser besondern Formen - interest - fasst er wiederum als Bezeichnung einer allgemeinen
Form auf. Und das genügt, um aufs Neue in ökonomisches Kauderwelsch zu verfallen
...“.23
In seinen ökonomischen Forschungen befand sich Rodbertus auch im Banne alter
ökonomischer Kategorien, übernahm sie unkritisch von seinen Vorgängern. Indem er die
Rente mit dem Mehrwert identifizierte, machte er ihn vollkommen unbestimmt. „Das
Ergebnis dieser beiden Fehler war“, schrieb Engels, „dass er wieder in ökonomisches
Kauderwelsch verfällt, das er, nachdem er im Verhältnis zu Ricardo schon einen Schritt
vorwärts gegangen war, nicht kritisch voranschreitet, sondern stattdessen der Verlockung
verfällt, seine nicht zu Ende ausgearbeitete Theorie, die noch roh war, zur Grundlage einer
Utopie machte, die er wie immer viel zu spät herausbrachte“.24
Im Ergebnis alles dessen erwies sich Rodbertus als unfähig, erstens eine wahrhaft
wissenschaftliche Theorie (Begriff) des Mehrwertes zu haben, und zweitens einen solchen
Begriff als Leitfaden auf dem gesamten ökonomischen Gebiet zu verfolgen. Deshalb hatte
er vom Mehrwert nur einige gewisse ursprüngliche Vorstellungen, über die er in seinem
Wirken nicht hinausging. Bezüglich dieser Seite des Schaffens von Rodbertus schrieb F.
Engels: „Seine Ausarbeitung der Theorie des Wertes von Ricardo in einer bestimmten
Richtung war ein vielversprechender Beginn. Obwohl sie nur für ihn und Deutschland neu
war, befindet sie sich doch auf dem gleichen Niveau mit den Werken seiner besten
englischen Vorgänger. Aber das war nur der Anfang, aus dem ein wirklicher Beitrag zur
Theorie nur bei weiterer gründlicher und kritischer Arbeit herausgekommen wäre. Diesen
Weg hat er sich selbst dadurch abgeschnitten, dass er von Anfang an bestrebt war, die
Theorie von Ricardo auch in anderer Richtung, in Richtung auf eine Utopie zu entwickeln.
Gleichzeitig hatte er die Hauptbedingung für jegliche Kritik verloren - das Fehlen einer
nicht vorgefassten Meinung“.25
Eine wahrhafte Umwälzung im gesamten Verständnis des ökonomischen Problems
vollbrachte K. Marx, der von Beginn an das Problem auf eine rein objektive Position stellte
und jegliche vorgefasste Meinung außer Betracht ließ. Während Rodbertus sich im
Rahmen alter theoretischer Vorstellungen bewegte, hat Marx gründlich und kritisch die
Grundlagen der früheren theoretischen Ansichten revidiert. Er hat vor allem das Wesen,
den Mehrwert unabhängig von besonderen Formen untersucht und erhielt auf diese Weise
die Möglichkeit, den Begriff des Wertes zu entwickeln, den Mehrwert als besondere Form
der Selbstentwicklung des Wertes zu verstehen. Im Folgenden hat er tiefschürfend die
Beziehung des Mehrwertes zu den besonderen, verwandelten Formen seiner Existenz
analysiert und löste die Widersprüche, die ein Stein des Anstoßes für die vorherigen
Ökonomen waren. Zu dieser Seite des Problems schrieb F. Engels: „Bei Marx ist der
Mehrwert nur die allgemeine Form jener Summe des Wertes, die sich ohne jegliches
Äquivalent die Eigentümer der Produktion aneignen und die nach vollkommen besonderen
Gesetzen, die Marx entdeckt hat, in besondere, verwandelte Formen des Profits und der
Grundrente zerfällt. Diese Gesetze werden in Buch III erklärt, wo erstmals gezeigt wird,
wieviel Zwischenglieder nötig sind, um vom Verständnis des Mehrwertes zu seiner
Umwandlung in Profit und Grundrente zu gelangen, folglich also auch zum Verständnis
der Gesetze der Verteilung des Mehrwertes innerhalb der Klasse der Kapitalisten“.26
Auf diese Weise wurde der Grundbegriff des Kapitalismus, der Begriff des Mehrwertes,
allseitig und tiefschürfend nur von Marx begründet. Im Verlauf der Begründung dieses
Begriffes hat sich der Vorzug der marxistischen Methodologie gezeigt, die fundamentale
Bedeutung beim Aufbau beliebigen theoretischen Wissens hat. In diesem Zusammenhang
ist es nötig, jene logisch-theoretischen Bedingungen (Prinzipien) zu analysieren, die die
Möglichkeit geben, erfolgreich den Grundbegriff der Theorie zu begründen und die
Schwierigkeiten zu überwinden, die im Verlauf der Erarbeitung des Begriffes entstehen.
Hier hat einerseits die marxistische Auslegung des Begriffes eine große Bedeutung,
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andererseits - die vertiefte theoretische Analyse solcher dialektisch-logischen Prinzipien
(Kategorien) wie „Wesen“, „Ganzheit“, „Widerspruch“ und dgl.
A. Die Kategorie des Wesens und ihre Rolle bei der Begründung des
Grundbegriffes der Theorie
Bei der Begründung des Grundbegriffes der Theorie erfüllt die Kategorie des Wesens eine
wichtige logisch-methodologische Funktion, wovon man sich leicht am Beispiel des
„Kapitals“ von Marx überzeugen kann. Der theoretische Vorzug von Marx bei der
Begründung des Grundbegriffes der Theorie zeigte sich auch bei der erfolgreichen
Anwendung des dialektisch-logischen Verständnisses des Wesens bei der Analyse
schwierigster ökonomischer Erscheinungen.
Die Vorgänger von Marx, darunter auch Rodbertus, konnten den Begriff des Mehrwertes
nicht begründen und identifizierten ihn mit seinen besonderen Formen (Profit, Rente,
Zinsen), da sie von einer empirischen, begrenzten Vorstellung vom Wesen ausgingen. In
ihrem Verständnis ist das Wesen etwas Allgemeines und Gleiches für diese Klasse von
Erscheinungen. Deshalb hielten sie sich, um den Begriff des Mehrwertes herauszuarbeiten,
entweder an das empirische Allgemeine oder beschrieben einfach nur irgendeine spezielle
Form. Sogar den Begriff des Wertes behandelten sie als Abstrakt-Allgemeines, aus dem sie
sich bemühten, unmittelbar besondere, entwickeltere Formen abzuleiten. Sie hatten keine
Vorstellung über vermittelnde Glieder, nahmen an, dass das Wesen immer mit den
empirischen Erscheinungsformen zusammenfällt. Das Abstrakte, Metaphysische eines
solchen Verständnisses ruft keinerlei Zweifel hervor.
Im Verlauf der Begründung des Begriffes des Mehrwertes hat Marx ein prinzipiell neues
Verständnis des Wesens realisiert. In seiner Auslegung ist das Wesen kein Element, kein
Abstraktum, sondern jene besondere Form der Entwicklung der Substanz, die allgemeine
Bedeutung im gegebenen System hat. Im Verständnis von Marx tritt das Wesen als
besonderer „Äther“ auf, der das spezifische Gewicht des gesamten in ihm befindlichen
Wesens bestimmt. „Jede Form der Gesellschaft hat eine bestimmte Produktion“, schrieb er,
„die den Platz und den Einfluss aller anderen Produktionen bestimmt ... Das ist eine
allgemeine Beleuchtung, in der alle anderen Farben verschwinden und die sie in ihren
Besonderheiten modifiziert“.27
Bei einem solchen Verständnis fußt das Wesen nicht auf der empirischen Struktur eines
einzelnen Gegenstandes, sondern existiert real in jenen besonderen Zusammenhängen und
Beziehungen, in denen sich dieser Gegenstand innerhalb eines bestimmten Ganzen
befindet. Deshalb bedeutet das Wesen von Gegenständen und Erscheinungen verstehen,
die Natur der Ganzheit, die inneren Bewegungen, die den gegebenen Gegenstand zu dem
machen, was er ist, freizulegen. Die gewöhnliche Zergliederung (Analyse) des Ganzen in
seine Bestandteile aus empirischen Elementen ist der Erkenntnis nicht nur nicht zuträglich,
sondern, umgekehrt, führt zu ihrem Verlust. Darum wird auch in der Leninschen Analyse
das Wesen nicht als eine Art residuale Erscheinung dargestellt, sondern als reale
Bewegung, als Sinn des Ganzen, der nur in der realen Beziehung auftritt, betrachtet.
Da das Wesen eine bestimmte Wechselbeziehung, Wechselwirkung, der innere Sinn des
Ganzen ist, existiert es nur in dieser Beziehung und äußert sich in jenen Seiten, die diese
Wechselbeziehungen ausmachen. Deshalb existiert immer eine Beziehung von Wesen und
Anschein, von Wesen und Erscheinung und dgl. Während das Wesen als ein gewisser
innerer Zusammenhang, als Wechselwirkung existiert und deshalb nicht unmittelbar
zugänglich ist, existiert die Erscheinung unmittelbar, empirisch-real. Das empirische
Wissen fällt also nicht mit der Kenntnis des Wesens zusammen. In diesem Zusammenhang
hat Marx unterstrichen: Wenn das Wesen des Gegenstandes mit der Erscheinung (Form)
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des Gegenstandes unmittelbar übereinstimmen würde, gäbe es die Notwendigkeit der
Wissenschaft nicht, da alles unmittelbar offensichtlich wäre.
Die Produktivität des marxistischen Verständnisses des Wesens trat klar bei der Analyse
solcher schwieriger Begriffe wie „Mensch“, „Denken“, „Gesellschaft“ und dgl. zutage.
Tatsächlich, die vorherige Philosophie und Soziologie konnten keinen wissenschaftlichen
Begriff des Menschen erarbeiten, da sie strukturell herangingen, sich bemühten, das
aufzudecken, was allen menschlichen Individuen gemeinsam war. Nur Marx gelang es,
einen wissenschaftlichen Begriff des Menschen zu erarbeiten. Er betrachtete den Menschen
als Gesamtheit der gesellschaftlichen Beziehungen, deren Grundlage die gegenständliche,
die Produktionstätigkeit der Menschen ist.
Im „Kapital“ hat Marx ebenfalls sein tiefes wissenschaftliches Verständnis des Wesens
angewandt. Bei der Analyse solcher schwierigen Erscheinungen wie Geld hat Marx
deutlich verstanden, dass man sein Wesen nicht aus der Natur des Goldes heraus begreifen
kann, sondern nur, wenn man von der Entwicklung der Warenbeziehungen ausgeht.
Tatsächlich, wie man auch mit physikalischen und chemischen Mitteln die materielle Natur
des Goldes analysiert, man findet nicht das, was es zum allgemeinen Äquivalent macht.
Geld zu sein ist durchaus nicht die natürliche Eigenschaft des Goldes. Nur bestimmte
sozialökonomische Bedingungen verwandeln Gold in Geld und geben ihm die
Möglichkeit, in dieser Eigenschaft zu funktionieren. Mit anderen Worten: Die Funktion des
Geldes ist nicht in der materiellen Struktur des Goldes codiert, sondern wurzelt in einem
breiteren Ganzen, aus dessen Entwicklung erstmalig Geld entsteht. Erst die Entwicklung
der Warenbeziehungen und ihre Widersprüche schufen die Möglichkeit, das Gold (eine
besondere Ware) aus dem Milieu aller anderen Waren herauszustoßen und veranlassten es,
die Funktion des Geldes zu erfüllen.
„Silber und Gold sind an sich kein Geld“, schrieb Marx. „Die Natur schafft kein Geld,
genau wie sie nicht den Wechselkurs oder Bankiers schafft. In Peru und Mexiko dienten
Gold und Silber nicht als Geld, obwohl sie dort in Form von Schmuck vorkamen und
obwohl dort ein entwickeltes Produktionssystem vorhanden war. Geld zu sein ist nicht die
natürliche Eigenschaft von Gold und Silber und ist in dieser Funktion Physikern,
Chemikern und anderen nicht bekannt“.28
Hier hat Marx die Beziehung von Wesen und Elementen präzise formuliert. Tatsächlich,
Ziegelsteine sind an sich noch kein Haus, obwohl das Haus aus Ziegelsteinen sein kann.
Ähnlich wie das Gold an sich noch kein Geld ist, obwohl Geld auch in Form von Gold
existieren kann. „Aber Geld“, fährt Marx fort, „ist unmittelbar Gold und Silber“.29 Und
auf dieser Grundlage führen diejenigen, die nur die empirische Analyse von Gegenständen
kennen, die Ganzheit (die Form) auf die Elemente zurück.
Auf diese Weise ist das Wesen keine gewisse ruhende Bestimmtheit, sondern eine
eigentümliche Kombination, Funktion des Ganzen, das sich seinerseits historisch
herausgebildet hat und als Form eines breiteren Ganzen auftritt. Tatsächlich, jegliches
innerlich zergliedertes Ganze hat ein Einheitliches, eine Substanz zur Grundlage, aus deren
Selbstentwicklung verschiedene Formbildungen dieser einheitlichen Substanz entstehen.
Das System erscheint deswegen als einheitliches Ganzes, weil die zahlreichen
Formbildungen, die sich voneinander unterscheiden, als Formbildungen dieser
einheitlichen Substanz auftreten.
Die Aufgabe der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis besteht nicht darin, die Vielfalt
auf das Eine zurückzuführen (das hat schon Spinoza erfolgreich getan), sondern das Ganze
als Ergebnis der Selbstentwicklung der Substanz zu reproduzieren und dabei dialektisch
die Rückführung der Formen aus der Entwicklung der Substanz zu synthetisieren. In
diesem Zusammenhang sind die Gedanken von Marx interessant, die er bezüglich der
Anwendung der dialektischen Methode durch F. Lasalle geäußert hat: „Der Ideologismus
durchdringt alles, und die dialektische Methode wird nicht richtig angewendet. Hegel hat
300
niemals die Einordnung einer Masse von „Zufällen“ in ein allgemeines Prinzip als
Dialektik bezeichnet“.30 Am Seitenrand bemerkte W. I. Lenin: „Lasalle ist ein „Ideologe“
und wendet die Dialektik falsch an“.31 Also hat die Rückführung der Vielfalt auf das
Allgemeine nichts mit Dialektik zu tun. Die dialektische Erkenntnis verfolgt die
widersprüchliche Entwicklung, die Formbildung, deckt vermittelnde Glieder auf und löst
rationell die Widersprüche des Gegenstandes.
Bei dieser Art der theoretischen Reproduktion des Gegenstandes wird der Unterschied der
Kategorien „Substanz“, „Wesen“ und dgl. deutlich. Während sie bei abstrakter Betrachtung
nur Synonyme sind, unterscheiden sie sich bei konkretem Herangehen und erfüllen in der
theoretischen Erkenntnis unterschiedliche Funktionen. Während die Substanz das Eine im
Ganzen ist, ist das Wesen eine eigenartige, besondere Form der Substanz, die in der
gegebenen Formbildung eine allgemeine substantielle Bedeutung hat. In der theoretischen
Erkenntnis erfüllt das Wesen, indem es eine mittlere Stellung zwischen der Substanz und
anderen verwandelten Formen einnimmt, eine eigentümliche Funktion. In der Beziehung
zur Substanz ist es besonders, in Beziehung zu seinen Formen - allgemein. Das Wesen ist
auf diese Weise eine eigentümliche Bewegung der Substanz, die die Funktion des
Allgemeinen bei der Herausbildung des gegebenen Ganzen erfüllt. Als besondere
Bewegung, als eigentümliche Verbindung des Vielfältigen unterscheidet es sich von den
Elementen, die sich durch diese Bewegung herausbilden. Während das Erste das Wesen ist,
ist das Zweite die empirische Form seiner Realisierung, d. h. das Wesen (der innere
Zusammenhang) unterscheidet sich von seinen Erscheinungen, Erscheinungsformen, die es
ausdrücken.
Es muss betont werden, dass das Wesen als Art und Weise der Herausbildung des
gegebenen Ganzen nichts mit dem empirischen Analogon gemein hat, sondern eine
besondere Form der Bewegung der Substanz, eine besondere Einheit seiner
Erscheinungsformen ist. Deshalb entsteht in der theoretischen Erkenntnis die Möglichkeit,
das Wesen unabhängig von den Erscheinungsformen zu untersuchen. Nur eine derartige
Untersuchung gestattet es, das Wesen des Gegenstandes zu bestimmen, die Art und Weise
seiner Herausbildung zu untersuchen.
Die Beschränktheit der Politökonomen vor Marx bestand darin, dass sie den Mehrwert
nicht unabhängig von seinen Erscheinungsformen untersuchen konnten. Sie verstanden
nicht, dass das Wesen als besondere Art und Weise der Herausbildung des Gegenstandes
im Ganzen nicht mit den besonderen Formen, die nur empirische, verwandelte Formen
seines Ausdrucks sind, identisch ist. Sie verstanden nicht, worin der Unterschied des
Allgemeinen, Formal-Allgemeinen vom Inhaltlich-Allgemeinen als Art und Weise der
Herausbildung des Gegenstandes besteht.
Im „Kapital“ hat Marx tiefschürfend und allseitig sowohl den Unterschied des Wesens von
den Erscheinungsformen, als auch den inneren, untrennbaren Zusammenhang dieser
Bestimmtheiten miteinander aufgezeigt. Die Frage nach dem Unterschied von Wesen und
Erscheinungsformen hat K. Marx im Verlauf seiner Untersuchung des Verhältnisses des
Wertes zu den Preisen der Waren analysiert. In seiner Auslegung unterscheidet sich der
Wert real von den Preisen der Waren, weil er als Gesetz jener Bewegungen auftritt, die der
Preis vollführt. „Aber sie sind immer unterschiedlich und fallen nie zusammen oder fallen
nur zufällig und ausnahmsweise zusammen. Der Preis der Ware ist immer höher oder
niedriger als der Wert der Ware, und der Wert der Ware selbst existiert nur in den
Abweichungen der Preise nach oben oder unten“.32
In seinen theoretischen Forschungen hat Marx sich nicht auf den Unterschied des Wertes
und der Marktpreise beschränkt, sondern hat auch ihren inneren Zusammenhang
aufgedeckt. Seiner Bestimmung nach hat jede Seite des Gegenstandes diese oder jene
Bestimmtheit nur in Wechselbeziehung mit ihrer anderen Seite. Marx schrieb: „Der
Mehrwert ebnet sich zum realen Wert durch ständige Schwankungen, jedoch niemals
301
durch die Herstellung der Gleichheit mit dem realen Wert als mit etwas Drittem, und durch
die ständige Ungleichheit mit sich selbst (Hegel würde sagen: nicht durch die abstrakte
Identität, sondern durch die Negation der Negationen, d. h. durch die Negation von sich
selbst als Negation des realen Wertes). Dass sich der reale Wert seinerseits - unabhängig
von seiner Herrschaft über die Schwankungen des Marktpreises (unabhängig von ihm als
dem Gesetz dieser Schwankungen) - selbst negiert und den realen Wert der Waren ständig
in Widerspruch mit seiner eigenen Bestimmung bringt, senkt oder erhöht den realen Wert
der vorhandenen Waren“.33
In Marx´ Analyse treten die Kategorien „Wesen“ und „Form“ nicht als etwas Äußeres auf,
sondern als innerlich verbundene Begriffe. Deshalb tritt bei ihm die Form als eigene
Bestimmung, Selbstunterscheidung des Inhalts und als Selbstnegation des Inhalts auf.
Seinerseits ist der Inhalt die inneren Zusammenhänge der Form und durchaus nicht
irgendetwas Anderes, Abstrakt-Identisches.
Die Fruchtbarkeit der marxistischen Konzeption besteht auch darin, dass in ihr allseitig die
Idee des Historismus des Gegenstandes, des Wesens verfolgt wird. W. I. Lenin hat mehrere
Male den Gedanken vom Wesen erster Ordnung, zweiter Ordnung usw. unterstrichen. Er
lenkte die Aufmerksamkeit der Forscher auch darauf, dass man nicht nur das Wesen des
Gegenstandes kennen muss, sondern auch seine Entwicklung. Diese Gedanken haben eine
große methodologische Bedeutung in der wissenschaftlich- theoretischen Erkenntnis der
objektiven Wirklichkeit. In der vormarxistischen Philosophie wurde die Frage der
Entwicklung des Wesens von der Position des Idealismus aus hauptsächlich von Hegel
untersucht, der meinte, dass der wahre Träger der Entwicklung, des Historismus nicht der
Gegenstand selbst, sein innerer Widerspruch ist, sondern eine gewisse absolute Idee, die
vor der Realität existierte und ihren wahren Inhalt und ihre Entwicklung bestimmt hat. In
dieser Eigenschaft tritt die absolute Idee als absolute Kraft auf, die sich im Besonderen und
Einzelnen zeigt und realisiert.
In der materialistischen Dialektik wird das Problem prinzipiell anders verstanden. Da das
Wesen materialistisch gedeutet wird (als innere Wechselbeziehung der Realität selbst),
wird die Frage der Entwicklung des Wesens als Zergliederung, Formbildung des
objektiven Gegenstandes selbst, seines realen Wesens verstanden. Angesichts dessen, dass
objektiv das reale gegenständliche Gebiet seiner Natur nach ein verwickelt zergliedertes
Ganzes ist, das aus unterschiedlichen Formbildungen besteht, genügt das Wissen nur vom
abstrakten Wesen des Gegenstandes nicht; es ist notwendig, auch die Entwicklung des
Wesens zu verfolgen, die wirklichen Übergänge vom Wesen erster Ordnung zum Wesen
zweiter Ordnung zu analysieren. Zu dieser Seite des Problems schrieb Lenin: „... die
Dialektik ist die Erforschung des Gegensatzes des Dinges an sich, des Wesens, des
Substrates, der Substanz und der Erscheinung, des „Seins für andere“ ... Der Gedanke des
Menschen vertieft sich endlos von der Erscheinung zum Wesen, vom Wesen der ersten
Ordnung zum Wesen der zweiten Ordnung usw. ohne Ende“.34
In der Arbeit „Die Krise der Partei“ hat Lenin die Idee des Historismus des Wesens etwas
anders formuliert: „Gerade deshalb muss man nicht nur das abstrakte Wesen der
Differenzen erforschen, sondern auch ihre konkrete Entwicklung und Modifizierung
während der Entwicklung auf verschiedenen Etappen des Kampfes“. Und er fuhr fort: „Es
ist nötig, dass alle Parteimitglieder kaltblütig und auf das Gewissenhafteste beginnen zu
erforschen: 1) das Wesen der Differenzen und 2) die Entwicklung des Parteikampfes.
Notwendig ist sowohl das Eine wie das Andere, da sich das Wesen der Differenzen
entwickelt, aufklärt, konkretisiert (und ständig differenziert) und im Laufe des Kampfes,
der uns auf verschiedenen Etappen, die er durchläuft, jeweils eine nicht gleichartige
Zusammensetzung und Anzahl der Kämpfenden, nicht gleichartige Positionen im Kampf
usw. zeigt. Man muss sowohl das Eine wie das Andere erforschen und unbedingt exakteste
Unterlagen verlangen, die gedruckt sind und allseits überprüft werden können“.35
302
Das tiefe Verständnis des Wesens in den Arbeiten Lenins erfüllt eine wichtige
methodologische Funktion. In seinen theoretischen Forschungen hat er tiefschürfend die
historische Entwicklung des konkreten Ganzen und seine komplizierten
Wechselbeziehungen mit anderen Erscheinungen verfolgt. Deshalb hat er jede historische
Periode, jeden Abschnitt der historischen Entwicklung auf der Grundlage der Feststellung
der allgemeinen Beziehungen des gegebenen Ganzen erforscht. Lenin hat jedoch niemals
die konkreten komplizierten Beziehungen des Gegenstandes auf einen abstrakten Ausdruck
zurückgeführt, sondern hat die Entwicklung der allgemeinen Beziehungen verfolgt, hat
vermittelnde Glieder gefunden, die den Zusammenhang des Allgemeinen mit den
besonderen und einzelnen Beziehungen erklärten. Lenin hat früher als andere die
Entwicklung des Wesens, seine besonderen Formen und Modifikationen erkannt. Dadurch
ist auch zu erklären, dass die Leninschen Ideen (Losungen) immer genau das objektivhistorische Bild der Wirklichkeit wiedergaben. Die Gegner Lenins erlitten gewöhnlich eine
Niederlage, weil sie die Entwicklung des Wesens des historischen Prozesses, die
Änderungen der konkreten Kombinationen der gesellschaftlichen Bewegungen schlecht
verstanden, d. h. an die gesellschaftlichen Erscheinungen abstrakt herangingen und sich
natürlich ständig bei der Einschätzung des komplizierten historischen Prozesses irrten, an
den veralteten Losungen festhielten.
Lenin nahm die Analyse gesellschaftlicher Erscheinungen immer konkret vor und
beachtete dabei die Entwicklung, den Historismus des Wesens des gesellschaftlichhistorischen Prozesses. Alle Arbeiten Lenins, die er in der Zeit zwischen Februar und
Oktober 1917 geschrieben hat, sind Muster einer konkreten, dialektischen Analyse von
gesellschaftlichen Erscheinungen. Bei der Analyse dieser kurzen historischen Periode ging
Lenin nicht kalendarisch (abstrakt) vor, sondern verfolgte aufmerksam die Entwicklung
des Wesens eines historischen Abschnittes, deckte alle Formen der Veränderung der
Klassen-, politischen, militärischen und ideologischen Beziehungen im Laufe der
Entwicklung der Revolution auf. Lenin interpretierte diesen Abschnitt des historischen
Prozesses nicht als homogen, sondern als komplizierte Kombination von unterschiedlichen,
einander ablösenden Stufen bei der Entwicklung des Wesens. Er sah deutlich die Evolution
unterschiedlicher Formen und Perioden in der historischen Entwicklung der Revolution,
erfasste die Besonderheit jeder Form, die komplizierte Kombination verschiedener
gesellschaftlicher Erscheinungen, die für die jeweilige Form charakteristisch sind. Deshalb
hat er prinzipiell abstrakte Überlegungen und kleinbürgerliche Illusionen abgelehnt und
jedesmal ein besonderes Glied in der Kette aufgedeckt, die „Seele“ der gegebenen
Gesamtheit der Erscheinungen. Alle Leninschen Schlussfolgerungen stützen sich auf die
tiefschürfende Kenntnis historischer Fakten.
Lenin hob eine Reihe von Etappen in der Entwicklung der Revolution hervor, von denen
jede eine komplizierte, eigentümliche Kombination von Klassen-, militärischen und
politischen Beziehungen ist, die in ihrer Einheit (Totalität) eine besondere Form in der
Entwicklung des Wesens, in der Entwicklung der Revolution bilden. Auf der Grundlage
einer konkreten Analyse der konkreten Situation hat Lenin exakt die eigentümlichen
Etappen in der Entwicklung der Revolution bestimmt und die einzig richtigen Antworten
(Losungen, Taktik) auf Fragen gegeben, die das Leben und eine komplizierte
gesellschaftlich-historische Situation gestellt haben.
B. Der Widerspruch und seine Rolle bei der Begründung des
Grundbegriffes der Theorie
Bei der Begründung des Grundbegriffes der Theorie (des theoretischen Wissens im
Allgemeinen) hat das dialektische Prinzip des Widerspruchs größte Bedeutung. Wenn sich
303
alles in ständiger Entwicklung, im Widerspruch befindet, muss sich das notwendigerweise
auch auf das Denken, die Herausbildung theoretischen Wissens beziehen. Deshalb stützt
sich die dialektische Logik im Unterschied zur formalen Logik bei der Begründung des
theoretischen Wissens auf dieses Prinzip. Die Rolle des Widerspruchs in der Theorie löst
es dabei nicht abstrakt, sondern konkret, auf der Grundlage einer gewissenhaften Analyse.
Bei der Aufdeckung der Bedeutung des Widerspruchs bei der Begründung des
theoretischen Wissens geht die dialektische Logik davon aus, dass a) der Widerspruch im
Denken, in der Herausbildung des Wissens unzulässig ist, wenn er als Folge subjektiver
Fehler, als Ergebnis der Verletzung der Konsequenz des Gedankenganges entstanden ist,
und b) ist der Widerspruch notwendig, wenn er im Prozess des Aufbaus theoretischen
Wissens als Widerspiegelung der objektiven Widersprüchlichkeit des Gegenstandes
entstand. Tatsächlich, im menschlichen Denken, in der Theorie und den Begriffen treten
Widersprüche, Paradoxa, Antinomien auf, die nicht als Folge der Verletzung der Regeln
der Logik, der Konsequenz des Denkens entstehen, sondern bei strengster Beachtung
dieser Regeln. Wenn wir es beim Denken nur mit subjektiven Widersprüchen zu tun
hätten, hätten es Wissenschaft, Logik verhältnismäßig leicht, sie zu beseitigen. Aber im
Prozess der Herausbildung des Wissens kommt es häufig zu solchen Widersprüchen, die
im Ergebnis der richtigen, adäquaten Widerspiegelung der Wirklichkeit entstehen.
Im Unterschied zur formalen Logik tut die dialektische Logik solche Widersprüche nicht
ab, sondern erforscht und begründet ihre Rechtmäßigkeit beim Aufbau des theoretischen
Wissens. Zur Natur derartiger Widersprüche schrieb Lenin in seinem Buch „Die
Entwicklung des Kapitalismus in Russland“: „Die Entwicklung der Produktion ...
vorrangig auf Kosten der Produktionsmittel erscheint paradox und stellt zweifellos einen
Widerspruch dar. Das ist eine richtige „Produktion für die Produktion“, - die Erweiterung
der Produktion ohne die entsprechende Erweiterung des Verbrauches. Aber das ist kein
Widerspruch der Doktrin, sondern des wirklichen Lebens; das ist gerade so ein
Widerspruch, der der Natur des Kapitalismus selbst entspricht sowie den anderen
Widersprüchen dieses Systems der gesellschaftlichen Wirtschaft“.36
Die wichtigste Besonderheit des dialektisch-logischen Verständnisses vom Gegenstand
besteht darin, dass nicht nur die Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit des Widerspruchs
begründet wird, sondern auch die Übergänge der gegensätzlichen Bestimmungen
ineinander verfolgt werden. „Die gewöhnliche Vorstellung erfasst Unterschied und
Widerspruch, jedoch nicht den Übergang von einem zum anderen, aber das ist das
Wichtigste“.37
„Die Beziehungen (Übergänge, Widersprüche) der Begriffe sind der
Hauptinhalt der Logik, wobei diese Begriffe (und ihre Beziehungen, Übergänge,
Widersprüche) als Widerspiegelungen der objektiven Welt aufgezeigt werden. Die
Dialektik der Dinge schafft die Dialektik der Ideen und nicht umgekehrt“.38
Auf diese Weise lässt die Dialektik den Widerspruch im Denken zu, der die objektive
Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit widerspiegelt; sie lässt ihn nicht nur zu, sondern hält
sogar den Widerspruch für die wichtigste Bedingung der objektiven Erkenntnis der
Wirklichkeit. Dabei stützt sich die dialektische Logik auf folgende reale Grundlagen:
Wenn sich alles in Entwicklung und Widerspruch befindet, so muss sich das auch
unbedingt auf das Denken, die allgemeinen Begriffe beziehen. Lenin hob hervor, dass,
wenn es keine Entwicklung, keine Widersprüchlichkeit des Gedankens gibt, man
schwerlich über einen Zusammenhang des Denkens, der allgemeinen Begriffe mit der
Wirklichkeit sprechen kann. Außerdem ist laut marxistischer Konzeption das Denken keine
besondere, selbständige Realität. Es ist eine Form der Wirklichkeit. Denken heißt sich in
den Formen der Dinge, den Formen der objektiven Realität bewegen. Aus diesem Grund
muss das Denken, wenn das Objekt widersprüchlich ist, auch widersprüchlich, flexibel,
relativ sein, da es eine ideale Form dieser Realität ist. Zu dieser Frage schrieb Lenin:
„Weltumfassender, allseitiger, lebendiger Zusammenhang alles mit allem und
304
Widerspiegelung dieses Zusammenhangs ... in den Begriffen des Menschen, die ebenfalls
abgeschliffen, abgebrochen, flexibel, beweglich, relativ, miteinander verbunden,
einheitlich in Gegensätzlichkeiten sind, um die Welt zu umspannen. Die Fortsetzung der
Arbeiten von Hegel und Marx muss in der dialektischen Verarbeitung der Geschichte des
menschlichen Denkens, der Wissenschaft und der Technik bestehen“.39
Eine andere wichtige Grundlage der Widersprüchlichkeit des menschlichen Denkens ist die
Widersprüchlichkeit der gegenständlichen Tätigkeit des Menschen. Das Denken ist eine
Form der gegenständlichen Tätigkeit, die vor allem als Einheit des Prozesses der
Vergegenständlichung und Entgegenständlichung auftritt. Ohne eine solche Einheit gibt es
keine gegenständliche Tätigkeit. „Diese Kategorie ist in Wirklichkeit nichts anderes“,
schrieb G. S. Batischtschew, „als der elementarste soziale Zusammenhang, die einfachste
soziale Beziehung, in der die Tätigkeit als Arbeit und die Tätigkeit als Kommunikation
noch zusammenfallen und sich nicht in verhältnismäßig selbständige Sphären getrennt
haben. Das ist eine „Zelle“ (sowohl eine historische, als auch eine logische), d. h. die
äußerst abstrakte Konkretheit aller sozialen Prozesse, der ganzen gesellschaftlichen Form
der Bewegung. Diese „Zelle“ tritt als das auf, aus dem alle materielle und geistige Kultur
der Menschheit geschaffen ist, denn die Tätigkeit ist fagon d´etre der Kultur, die Art und
Weise ihres Lebens und ihrer Entwicklung“.40
Im Verlauf der gegenständlichen Tätigkeit gehen Vergegenständlichung und
Entgegenständlichung ineinander über, das Eine tritt unmittelbar als das Andere zutage. „In
der Tat“, schrieb Batischtschew, „ist die Vergegenständlichung auch eine
Entgegenständlichung, da sie sich vollzieht als (wenigstens teilweise, wenn sie Arbeit ist)
Beherrschung des Werkzeugs der Tätigkeit und sich auf die Verwertung von teilweisen
Ergebnissen ihrer eigenen Tätigkeit stützt. Vergegenständlichen kann der Mensch
überhaupt nur etwas Entgegenständlichtes, anderenfalls handelt er einfach wie eine
Maschine, in der nur die materiellen Bestandteile der menschlichen Tätigkeit nach den
Gesetzen der Natur funktionieren und stofflich-extensiv reproduziert werden ....
Andererseits ist die Entgegenständlichung auch eine Vergegenständlichung, da sie sich
nicht als ein Entschweben in das Reich des idealen Wesens oder in die Welt der Ideen, die
mit schöpferischen Fähigkeiten ohne Gegenstände, ohne Materie besiedelt ist, sondern als
„Unvergegenständlichung“, als Umwandlung der vorherigen Form der Tätigkeit (eines
anderen Menschen) vollzieht“..41
Die Widersprüchlichkeit der menschlichen Tätigkeit zeigt sich auch in der
Widersprüchlichkeit eines beliebigen Aktes der Tätigkeit. In jeder beliebigen
zweckmäßigen Tätigkeit existiert real der dialektische Widerspruch von Ziel, Mitteln und
Ergebnis. Im Prozess der praktischen Tätigkeit gehen die Menschen immer über die
Grenzen ihres ursprünglichen Planes hinaus und es geht eine tatsächliche Übererfüllung
des ursprünglichen Zieles vor sich. Hierin zeigen sich in erster Linie der schöpferische
Charakter der Arbeit und die Unüberwindlichkeit der Dialektik, des dialektischen Prinzips
des Widerspruchs. Tatsächlich, wenn es in der Produktion eine volle Übereinstimmung von
Ziel und Ergebnis gäbe, was hauptsächlich nur in der standardisierten Produktion möglich
ist, würde die formal-logische Identität zum absoluten Prinzip des menschlichen Denkens.
Die Beschränktheit der Logik, die nur formale Prinzipien kennt, ist mit der Beschränktheit
der standardisierten Produktion verbunden, mit der Beschränktheit jener Form der Arbeit,
bei der eine unmittelbare Übereinstimmung von Ziel und Ergebnis möglich ist. Das kommt
nur auf einem kleinen Gebiet vor, wo sich die Vergegenständlichung von der
Entgegenständlichung loslöst. Die menschliche Tätigkeit ist jedoch in ihrer Grundlage
ganzheitlich, in ihr befinden sich Vergegenständlichung und Entgegenständlichung in
dialektischer Einheit.
Auf diese Art und Weise hat das Prinzip der Widersprüchlichkeit im Denken eine tiefe
Grundlage. In der dialektischen Logik ist die Notwendigkeit dieses Prinzips mit dem
305
dialektischen Verständnis der Erkenntnis, des Wesens, des Begriffes und der theoretischen
Reproduktion des Gegenstandes verbunden. Wie schon bemerkt, versteht sie unter dem
Wesen des Gegenstandes nicht etwas Abstrakt-Allgemeines, sondern die Einheit des
Vielfältigen, die innere Wechselbeziehung des Ganzen. Wenn das so ist, bezieht sich die
Bestimmtheit des Wesens nicht auf eine Seite, sondern charakterisiert die gesamte Einheit
der Gegensätzlichkeiten, denn eine Einheit an sich existiert nicht, sondern ist immer die
Einheit des Vielfältigen. Ihrerseits ist die Vielfalt die Vielfalt des Einheitlichen.
Jede Seite existiert nur insofern, wie die andere existiert. Dabei kann man z. B. nicht so
urteilen, dass das Ding in der einen Beziehung das Eine ist und in der anderen - das Viele.
Es tritt in jeder Beziehung sowohl als das Eine als auch als das Viele auf. Folglich ist das
Wesen des Gegenstandes selbst widersprüchlich. Wenn wir die Widersprüchlichkeit des
Wesens beseitigen, beseitigen wir auch das Wesen selbst. Es ist unmöglich, das Wesen
empirisch herauszustellen, da es nicht die Eigenschaft einzelner Dinge, sondern des
Ganzen ist. Das Ding oder der Gegenstand haben ihr Wesen, das die Funktion des Dinges
im Ganzen ist. Z. B. besteht das Wesen des Menschen nicht in seiner morphologischen
Struktur, nicht in ihm selbst, sondern in jener Funktion, die er im gesellschaftlichen
Ganzen erfüllt. Gerade dieser Gedanke ist auch in der Aussage von K. Marx enthalten: „In
einigen Beziehungen erinnert der Mensch an die Ware. Er wird nicht mit dem Spiegel in
der Hand und nicht als Fichtescher Philosoph geboren: „Ich bin ich“ - blickt der Mensch
zunächst auf einen anderen Menschen wie in einen Spiegel. Erst wenn er sich zu dem
Menschen Paulus wie zu sich selbst verhält, beginnt der Mensch Peter, sich zu sich selbst
wie zu einem Menschen zu verhalten. Dabei wird Paulus als solcher in seiner ganzen
Körperlichkeit für ihn zur Erscheinungsform der Gattung Mensch“.42
Somit existieren die Ganzheit und die Konkretheit nicht anschaulich, sie können nicht auf
irgendeine empirische Bestimmtheit zurückgeführt werden. Das Konkrete stellt die Form
der Wechselbeziehung des Vielfältigen, die Einheit der Bestimmtheiten dar. Deshalb ist
das logische Mittel, in dessen Form sich das Wesen, die Art und Weise der Herausbildung
des Konkreten widerspiegelt, nicht der Terminus, nicht die allgemeine Vorstellung,
sondern der Begriff, d. h. die Synthese zahlreicher Bestimmungen. Diese Synthese ist nur
bei Vorhandensein von Gegensätzlichkeiten möglich, da man etwas als dem anderen
gegensätzlich nur im Rahmen irgendeiner Ganzheit betrachten kann. Tatsächlich, absolut
verschiedene Dinge, die nichts gemein haben, können keine gegensätzlichen sein, genau
wie absolut identische Dinge nicht einheitlich sein können, keine innere Ganzheit bilden.
Bezüglich der kapitalistischen Warenproduktion schrieb Marx: „Wenn das Individuum A
das gleiche Bedürfnis wie das Individuum B hätte und seine Arbeit in dem gleichen
Gegenstand vergegenständlichen würde wie Individuum B, würde zwischen ihnen
keinerlei Beziehung existieren; vom Standpunkt der von ihnen realisierten Produktion aus
wären sie keine unterschiedlichen Individuen. Beide haben das Bedürfnis zu atmen; für
beide existiert die Luft als Atmosphäre; das stellt jedoch zwischen ihnen keinerlei sozialen
Kontakt her. Als atmende Individuen befinden sie sich nur als natürliche Körper, nicht
jedoch als Persönlichkeiten zueinander in Beziehung. Nur der Unterschied ihrer
Bedürfnisse und die Ungleichheit der von ihnen realisierten Produktion geben Anlass zum
Austausch und ihrer sozialen Angleichung in diesem Austausch; dieser natürliche
Unterschied ist deswegen die Voraussetzung ihrer sozialen Gleichheit im Akt des
Austausches und ist überhaupt die Voraussetzung jener Beziehung, die sie miteinander als
produzierende Individuen eingehen“.43
In der angeführten Aussage von K. Marx ist das Wesen des dialektischen Gesetzes der
Identität der Gegensätzlichkeiten formuliert. Tatsächlich, jede Seite der Gegensätzlichkeit
ergänzt die andere, existiert nicht ohne die andere; jede Seite offenbart sich unmittelbar in
ihrer Gegensätzlichkeit. Jedes Individuum bedient das andere, um sich selbst zu bedienen;
jeder benutzt den anderen als sein Mittel. Sowohl das eine als auch das andere ist im
306
Bewusstsein beider Individuen so vertreten, dass 1) jeder ein Ziel nur insofern erreicht, wie
er dem anderen als Mittel dient; 2) jeder wird zum Mittel für den anderen (zum Sein für
den anderen), wenn er für sich zum Selbstzweck geworden ist (zum Sein für sich), 3) die
Wechselbeziehung, die darin besteht, dass jeder gleichzeitig sowohl Mittel als auch Ziel ist
und sein Ziel nur insofern erreicht, inwiefern er zum Mittel wird, und zum Mittel nur
insofern wird, inwiefern er sich als Selbstzweck annimmt, dass sich jeder auf diese Art
zum Sein für den anderen macht, indem er Sein für sich ist, und dieser andere macht sich
zum Sein für ihn, indem er Sein für sich ist, - diese Wechselbeziehung ist ein notwendiger
Fakt, der als natürliche Bedingung des Austausches vorausgesetzt wird.
In dieser Beziehung unterscheidet sich die menschliche Produktion wesentlich von der
tierischen Existenz. In der Gesellschaft kann das Bedürfnis des einen durch das Produkt
des anderen befriedigt werden, und der Umstand, dass der eine einen Gegenstand
produziert, der ein Bedürfnis des anderen ist, beweist, dass jedes Individuum als Mensch
über den Rahmen seines eigenen besonderen Bedürfnisses hinausgeht und dgl. und dass sie
sich wie Menschen zueinander verhalten; dieses gemeine Gattungswesen ist allen bewusst.
Das ist der Tierwelt absolut nicht eigen, da, wie Marx schrieb. „... es kommt nicht vor, dass
Elefanten für Tiger produzieren und dass überhaupt die einen Tiere etwas für die anderen
produzieren. Z. B. ist ein Bienenvolk seinem Wesen nach nur eine Biene, und alle Bienen
produzieren das Gleiche“.44
Im Laufe der Entwicklung der Warenbeziehungen erwirbt der innere Widerspruch der
Ware ständig neue Formen. Den Beginn für diesen Prozess stellt die Trennung des
Tauschwertes in Form von Geld von der natürlichen Form der Existenz des Produktes dar.
„... Diese doppelte ungleiche Existenz muss sich zum Unterschied weiterentwickeln, und
der Unterschied - zum Gegensatz und zum ... Widerspruch. Dieser gleiche Widerspruch
zwischen der besonderen Natur der Ware als Produkt und ihrer allgemeinen Natur als
Tauschwert, der die Notwendigkeit schuf, ihn auf zweierlei Art zu bestimmen: erstens als
diese bestimmte Ware, zweitens als Geld ...“.45
Im Laufe der weiteren Entwicklung der Tauschbeziehungen entstehen immer neue
Kollisionen, Widersprüche und dgl. Das Geld löst sich z. B. nicht nur von der realen
Quelle, von den realen Werten, sondern im Ergebnis dieser Loslösung werden sogar
Illusionen geschaffen, dass nicht das Geld der wirkliche Vertreter des Wertes ist, sondern
umgekehrt, dass alle realen Produkte und Arbeiten zu Vertretern des Geldes werden. Auf
dieser oberflächlichen Illusion beruht die Meinung derjenigen, die vorhaben, das Wesen
der Sache durch die Veränderung des Geldes zu verändern.
In Wirklichkeit entstand das Geld aus der Notwendigkeit des realen Austausches, es
beseitigte die Schwierigkeiten, die im Tauschhandel entstanden waren. Es darf nicht von
den realen Warenbeziehungen losgelöst werden. Ihre wirkliche Einheit, die Unmöglichkeit
des Bruches im Lauf der Entwicklung der Warenbeziehungen wird ständig im Kampf oder
mit friedlichen Mitteln wiederhergestellt. „Es ist absolut notwendig“, schrieb Marx, „dass
die gewaltsam zerrissenen Elemente, die ihrem Wesen nach miteinander verbunden sind,
durch eine gewaltsame Explosion zeigen, dass sie das Ergebnis des Bruches von etwas
dem Wesen nach miteinander Verbundenem sind. Die Einheit wird gewaltsam realisiert.
sobald die feindliche Zersplitterung zu Explosionen führt, beginnen die Ökonomen auf die
Einheit dem Wesen nach zu verweisen und abstrahieren sich von der Entfremdung“.46
Nur im Rahmen der Gleichung „Ware - Geld“ erfüllt die Ware die Rolle des Einzelnen,
und das Geld tritt als Allgemeines auf. Wenn man die Sache weiter fasst, ist Geld nicht nur
ein allgemeines Äquivalent, sondern auch eine besondere Ware, die sich historisch aus der
Sphäre des Austausches herausgelöst hat. Bezüglich des Doppelcharakters des Geldes
schrieb Marx: „Die Sache ist auch die, dass das Geld in Widerspruch mit sich selbst und
mit seiner Bestimmung im Ergebnis dessen tritt, dass es selbst eine besondere Ware ist
(auch dann, wenn es nur ein Zeichen ist), und deshalb ordnet es sich seinerseits bei seinem
307
Austausch gegen andere Waren besonderen Tauschbedingungen unter, die seiner
allgemeinen unbedingten Austauschbarkeit widersprechen“.47
Im „Kapital“ untersucht Marx die Entwicklung der Warenbeziehungen und verfolgt
gleichzeitig die Entwicklung des Widerspruches auf verschiedenen Ebenen. In dieser
Beziehung ist die Analyse der Umwandlung von Geld in Kapital, die ein besonders
komplizierter, widersprüchlicher Prozess ist, von besonderem theoretischen Interesse. In
seiner ökonomischen Theorie hat Marx diesen Widerspruch erforscht und tiefschürfend
mittels der Entdeckung einer solchen besonderen Ware wie der Arbeitskraft gelöst. Es
erwies sich, dass die Quelle der Entstehung des Mehrwertes die unbezahlte Arbeit ist.
Kapital entsteht im Prozess der Warenzirkulation und außerhalb der Warenzirkulation.
Entsprechend der dialektischen Logik ist der Widerspruch die allgemeine Natur der
Wirklichkeit und der Erkenntnis. Dabei werden das Wesen, die objektive
Widersprüchlichkeit des Gegenstandes in Form eines konkreten Begriffes der dialektischmaterialistischen Logik widergespiegelt. Im konkreten Begriff ist die Einheit des Positiven
und Negativen erfasst. Bei der Betrachtung des Negativen verlangt die dialektische Logik,
dass in ihm das Positive aufgefunden wird. Von der Behauptung zur Negation und von ihr
zur Negation der Negation - so ist das dialektische Wesen des Begriffs. Ohne dieses haben
wir es mit nackter, unnützer, metaphysischer Negation zu tun, die Gegenstände und
Erscheinungen in ihrer Erkenntnis absterben lässt.
Wenn das metaphysische Denken das Negative außerhalb des Positiven und umgekehrt
betrachtet, zeugt das von der Schwäche des metaphysischen Denkens. Z. B. ist die
abstrakt-allgemeine Vorstellung vom Unendlichen und Endlichen auf dem Prinzip der
abstrakten Identität begründet, kraft dessen sich das Unendliche als etwas vorgestellt wird,
was das Endliche ausschließt. Aber eine solche Vorstellung vom Endlichen und
Unendlichen, obwohl sie wesentliche Erkenntnis-Bedeutung hat, ist nicht wahrhaft, enthält
in sich nicht den Begriff im höheren Sinne des Wortes. Der wahrhafte Begriff des
Unendlichen besteht darin, dass das Unendliche in Einheit mit dem Endlichen betrachtet
wird. Auf diese Art und Weise ist das Endliche nicht vom Unendlichen zu trennen, sondern
im Unendlichen als sein Moment gegeben.
In der allgemeinen Kette der in Wechselwirkung stehenden Erscheinungen betrachtet der
Metaphysiker die einen nur als Ursache und die anderen nur als Wirkung. Tatsächlich,
diese Erscheinungen treten als Ursache und Wirkung auf, aber ihre Rolle kann nicht auf so
einen einseitigen Zusammenhang reduziert werden, und jede von ihnen ist ohne ihren
Gegensatz undenkbar. Die Bestimmung der Wirkung ist undenkbar ohne ihre
Inbeziehungsetzung mit der Ursache. Ursache und Wirkung sind nicht zwei verschiedene
Begriffe, sondern nur Momente, Aspekte des dialektischen Begriffs.
Der konkrete Begriff ist das Ergebnis der Erkenntnis. Er entsteht im Prozess der Bewegung
des Bewusstseins von der unmittelbaren Praxis über die Abstraktion zur Wahrheit. Das hat
Lenin in seinen „Philosophischen Heften“ hervorgehoben: „ ... die Wahrheit als Prozess
durchläuft in ihrer Entwicklung drei Stufen. 1) Leben; 2) Erkenntnisprozess, der die Praxis
des Menschen und die Technik einschließt; 3) Stufe der absoluten Idee (d.h. der vollen
Wahrheit)“.48 An anderer Stelle heißt es: „Die menschlichen Begriffe sind subjektiv in
ihrer Abstraktheit, Losgelöstheit, jedoch objektiv im Ganzen, im Prozess, im Endergebnis,
in der Tendenz, in ihrer Quelle“.49
In der dialektischen Logik wird ein enger Horizont der abstrakten Behandlung
überwunden. So sind alle abstrakten Gegensätze, wie z. B. das Endliche und das
Unendliche, Ursache und Wirkung, Gut und Böse und dgl. keine Widersprüche aus
irgendwelchen äußeren Gründen, sondern an sich, aus der für sie charakteristischen
Eigenschaft heraus, ineinander überzugehen. Jede Kategorie geht in ihren Gegensatz über,
da sie ihn in sich enthält. Das Festhalten des Positiven im Negativen, der Voraussetzung in
ihrem Ergebnis, - das ist wichtig vom Standpunkt der dialektischen Logik aus. Das Positive
308
und das Negative sind Seiten der Gegensätzlichkeit, die selbständig geworden sind. Jedes
von beiden ist auch sein Anderes. Mit anderen Worten: Das Positive ist positiv, und das
Negative ist negativ insofern, als jede Seite in sich ihr Anderes enthält: Das Positive enthält
sein Negatives, und das Negative enthält sein Positives. Nur der abstrakte Verstand kann
sie außerhalb des Zusammenhanges betrachten, da er, wenn er vom Positiven spricht, sich
vom Negativen abstrahiert und umgekehrt. Die wahrhafte Bestimmung enthält Gegensätze
in der Einheit.
Zur Illustration nehmen wir ein Beispiel aus der Arbeit von K. Marx „Die heilige Familie“.
Proletariat und Bourgeoisie sind Gegensätze. Als solche bilden sie ein einheitliches
Ganzes. Beide wurden durch die kapitalistische Produktionsweise hervorgebracht. Es geht
darum, welche bestimmte Stellung jedes dieser beiden Elemente im Widerspruch
einnimmt. Es genügt nicht, sie zu zwei Seiten eines einheitlichen Ganzen zu erklären. Die
Bourgeoisie als Monopolist ihres Reichtums ist gezwungen, ihre eigene Existenz zu
erhalten und dadurch auch die Existenz ihres Gegensatzes, des Proletariats. „Das ist die
positive Seite des Widerspruchs, das befriedigte und das sich abschaffende
Privateigentum“. Das Proletariat ist gezwungen, sich selbst abzuschaffen und dadurch auch
die es bedingende Gegensätzlichkeit, die es zum Proletariat macht, - das Privateigentum.
„Das ist die negative Seite des Widerspruchs“. Auf diese Art und Weise stellt die
Bourgeoisie die konservative Seite und das Proletariat die progressive Seite dar. Von
ersterer geht eine Handlung aus, die auf den Erhalt des Widerspruchs ausgerichtet ist, von
letzterem - eine Handlung, die auf seine Beseitigung ausgerichtet ist. Die kapitalistische
Gesellschaft steht nicht auf der Stelle, und mit ihrer Entwicklung vertieft sich der
Hauptwiderspruch des Kapitalismus: der gesellschaftliche Charakter der Produktion und
die privatkapitalistische Form der Aneignung. Freilich drängt das Privateigentum in seiner
ökonomischen Entwicklung auf seine eigene Beseitigung, aber es tut das nur durch eine
von ihm selbst nicht abhängende, unbewusste, gegen seinen Willen vor sich gehende und
von der Natur des Objektes selbst bedingte Entwicklung, nur durch die Hervorbringung des
Proletariats als Proletariat, dieser Armut, die sich ihrer geistigen und physischen Armut
bewusst ist, dieser Entmenschlichung, die sich ihrer Entmenschlichung bewusst ist und
sich deshalb selbst beseitigt. Das Proletariat vollstreckt das Urteil, das das Privateigentum
über sich selbst gefällt hat, als es das Proletariat hervorbrachte, genauso, wie es das Urteil
vollstreckt, das die Lohnarbeit über sich selbst gefällt hat, als sie fremden Reichtum und
eigene Armut schuf. Nach erlangtem Sieg wird das Proletariat keinesfalls zur absoluten
Seite der Gesellschaft, da es nur siegt, indem es sich selbst und seinen Gegensatz beseitigt.
Mit dem Sieg des Proletariats verschwindet sowohl das Proletariat als auch der es
bedingende Gegensatz - das Privateigentum“.50
Ohne Proletariat gibt es keine Bourgeoisie, ohne Bourgeoisie - kein Proletariat. Jede Seite
existiert auf diese Art und Weise nur insofern, als die andere Seite existiert.
Die Gegensätzlichkeiten sind nicht absolut, sie können im Entwicklungsprozess ineinander
übergehen, können ihre Plätze tauschen. Das, was jetzt als zufällig angesehen wird, kann
seine notwendige Seite hervorbringen. In einer derartigen Wechselbeziehung befinden sich
die Elemente, die die Kategorie des Vernünftigen und des Unvernünftigen ausmachen und
dgl.
Das metaphysische Denken verwirrt sich in diesen Bestimmungen und wird selbst
widersprüchlich. Das kam bei den metaphysischen Gegnern Hegels vor. Ähnlich denken
auch jetzt einige Vertreter der formalen Logik und der Metaphysik. Das Wesen des
dialektischen Denkens besteht in der Zweiteilung des Einheitlichen und in der Erkenntnis
der widersprüchlichen Teile. Wenn der Widerspruch der Vorstellung und dem abstrakten
Herangehen verborgen ist, öffnet er sich in Form von dialektischen Begriffen. Für den
Metaphysiker sind das Positive und das Negative absolute Gegensätzlichkeiten, deshalb ist
er nicht in der Lage, vom Positiven zum Negativen überzugehen.
309
Der Widerspruch ist die allgemeine Form der Wirklichkeit. Die Negation des
Widerspruchs ist die Negation, die Verzerrung der Wirklichkeit selbst, ist die Negation der
Bewegung, die Negation des Zusammenhangs unseres Gedankens und der Wirklichkeit.
Die Dialektik des Gedankens ist die Widerspiegelung der objektiven Dialektik, wobei der
Gedanke sich nicht fotografisch, nicht tot widerspiegelt, sondern spezifisch. Zu dieser
Frage schrieb Lenin in seinen „Philosophischen Heften“: „Die Widerspiegelung der Natur
im Gedanken des Menschen darf man nicht „tot“, nicht „abstrakt“ verstehen, nicht ohne
Bezug und nicht ohne Widersprüche, sondern im ewigen Prozess der Bewegung, der
Entstehung von Widersprüchen und ihrer Lösung“.51
Aber diese Spezifik der
Widersprüche im Gedanken sagt nichts über ihre Selbständigkeit. Einfach im Geist
konstruierte Widersprüche haben keinerlei Bedeutung, sie werden zu Recht von der
Wissenschaft und der historischen Entwicklung als willkürliche Geistesschöpfungen
abgelehnt.
In der objektiven Welt haben wir es nicht nur mit Widersprüchen zu tun, sondern auch mit
ihren Lösungen. Es genügt nicht, den Widerspruch anzuerkennen. Ein Dialektiker ist
derjenige, der nicht nur die Widersprüche anerkennt, sondern auch ihre Lösung, ihren
Übergang von einem Zustand in den anderen. Zu dieser Frage schrieb F. Engels: „... wir
gehen von der ersten und einfachsten Beziehung aus, die sich historisch und faktisch vor
uns befindet, folglich also von der ersten ökonomischen Beziehung, die wir vorfinden.
Diese Beziehung analysieren wir. Schon der Fakt, dass das eine Beziehung ist, bedeutet,
dass sie zwei Seiten hat, die zueinander in Beziehung stehen. Jede dieser Seiten betrachten
wir einzeln; daraus folgt der Charakter ihrer Beziehung zueinander, ihre Wechselwirkung.
Dabei treten Widersprüche auf, die eine Lösung erfordern. Da wir hier aber nicht den
abstrakten Prozess des Denkens betrachten, der nur in unseren Köpfen vor sich geht,
sondern den wirklichen Prozess, der einstmals vor sich ging oder immer noch vor sich
geht, entwickeln sich diese Widersprüche auch in der Praxis oder haben schon ihre Lösung
gefunden. Wir verfolgen, auf welche Art und Weise sie sich gelöst haben, und finden, dass
das durch die Herstellung einer neuen Beziehung geschah, deren zwei gegensätzliche
Seiten wir entwickeln müssen“.52
Die Anerkennung von Widersprüchen ohne Verständnis für ihre Lösung ist noch keine
Dialektik im echten Sinne dieses Wortes. Bis zum Begriff des Widerspruchs war schon die
eleatische Schule vorgedrungen, insbesondere Zenon. Zur Anerkennung unlösbarer
Widersprüche war auch Kant in seinen Antinomien gekommen. Eine Konzeption der
negativen, antinomischen Dialektik haben seinerzeit auch Kierkegaard und seine Schüler
erarbeitet. Kierkegaard begriff die dialektischen Widersprüche nur in der Form des
Negativen, des Paradoxons und der Antinomie, die im vernünftigen Denken unlösbar sind.
Da solche philosophischen Fragen wie die Einheit des Seins und des Denkens, das Problem
des Wesens des Menschen und dgl. für unlösbar erklärt wurden, wurde auch die Dialektik
als paradoxe „Logik“, als irrationale Weisheit interpretiert, die subjektive
Gemütsbewegungen des Menschen oder metaphysische Grundlagen der Wissenschaft
interpretiert.
Der Unterschied zwischen der echten Dialektik und der verbalen, formalen Dialektik ist
besonders auffallend, wenn wir uns der modernen bürgerlichen Sophistik zuwenden. In
dieser Hinsicht ist die Arbeit des französischen Existenzialisten Merlau-Ponty „Abenteuer
der Dialektik“ charakteristisch, in der er die dialektische Lehre von der Negation der
Negationen negiert. Die Konzeption der Neohegelianer ist antidialektisch und
mechanistisch, weil sie die dialektischen Widersprüche auf den Antagonismus, die
Gegenüberstellung von nicht aufeinander zurückführbare Kräfte reduzieren. Hegel spricht
dagegen davon, dass die Dialektik unvollständig ist, wenn sie nicht bis zur Lösung der
Widersprüche, zur Negation der alten dialektischen Einheit der Gegensätze und ihres
Übergangs zu einer anderen Einheit von Gegensätzen vordringt.
310
Die Lehre von der Lösung des Widerspruchs ist bei Hegel der Ausdruck des dialektischen
Gesetzes der Negation der Negationen und wird als Ergänzung und Form der Entwicklung
des dialektischen Widerspruchs, des dialektischen Gesetzes der Einheit und des Kampfes
der Gegensätze betrachtet.
Es ist bekannt, dass ein beliebiger dialektischer Widerspruch das Vorhandensein von zwei
Tendenzen, zwei Seiten voraussetzt: der positiven und der negativen. Die gegenseitige
Durchdringung und der Kampf der Gegensätze ist die Wechselwirkung dieser beiden
Seiten des dialektischen Widerspruchs. Und die Negation der Negationen ist die Synthese
des positiven Inhalts der vorangegangenen Stufen, ihre Aufhebung, ihre Verwandlung in
Momente der wahren dialektischen Lösung des Widerspruchs.
Z. B. tritt die ursprüngliche Quantität als Negation der Qualität auf. Die weitere
Entwicklung der Bestimmungen der Kategorie der Quantität deckt die qualitative Natur der
Quantität auf, und dann wird die Quantität durch die Qualität negiert.
Hegel drückt das anders aus: Die Qualität erwies sich als in die Quantität übergehend und
umgekehrt; 53 die Quantität erwies sich in ihrem wahren Wesen als Qualität und ging
wieder in die Quantität über. Was wird mit dieser Dialektik der beiden Kategorien der
Qualität und der Quantität, ihrem Ineinander-Übergehen, des Übergangs von der Qualität
in Quantität und umgekehrten Übergangs von Quantität in Qualität erreicht? Nach
Meinung Hegels wird die wahre und volle Aufdeckung des Inhalts dieser beiden
Kategorien und gleichzeitig das richtige wissenschaftliche Verständnis der
Wechselbeziehung von qualitativer und quantitativer Bestimmtheit, ihrer
Wechselbeziehung in der objektiven und materiellen Natur, in den Dingen der objektiven
materiellen Welt erreicht.
Der Verstand, der die qualitative Bestimmtheit eines Dinges der quantitativen
gegenüberstellt, gibt kein wahres Verständnis von Qualität und Quantität, von ihrem
Zusammenhang, gibt keine Gesamtheit des Begriffs. Der Verstand konstatiert „zwei
Tendenzen“, konstatiert den Widerspruch und damit hat es sich. Der Verstand dringt
insbesondere bis zum Verständnis dessen vor, dass das Ding laut Hegel „eine qualitativ
bestimmte Quantität“ oder „eine quantitativ bestimmte Qualität“ ist. Der Verstand dringt
nicht bis zum Begriff „Maß“ vor, in dem die Einheit von Qualität und Quantität verkörpert
ist. So kam Kant nach Ansicht Hegels nicht zur Formulierung des Begriffs „Maß“, drang
nicht zur „Ganzheit des Begriffs vor“.54
Die abstrakte Gegenüberstellung von Identität und Unterschied und von Positivem und
Negativem ist haltlos. Wichtig ist nicht nur das Positive, sondern auch das Negative, da sie
nicht separat existieren. Die Aufdeckung des Widerspruchs und des Weges zu seiner
Lösung sind das Wichtigste in der dialektischen Logik, die in dieser Frage einen Kampf an
zwei Fronten führt: einerseits gegen jene, die den Widerspruch in der Wirklichkeit
negieren, und andererseits gegen jene, die die Existenz des Widerspruchs in der
Wirklichkeit nicht negieren, aber die Widersprüchlichkeit der Gedanken negieren, die den
realen Widerspruch widerspiegeln, und sich dabei darauf berufen, dass unser Gedanke der
Gedanke vom Widerspruch ist und deshalb nicht widersprüchlich sein darf. Der erste
Standpunkt wird von allen metaphysischen Gegnern des Marxismus vertreten, der zweite von einigen Vertretern der formalen Logik.
Beide Standpunkte sind haltlos, da die Theorie des konkreten Begriffs durch die
Geschichte der Erkenntnis und die Entwicklung der modernen Wissenschaft bestätigt
wird.55 Die stürmische Entwicklung der modernen Naturwissenschaft stellt immer mehr
Fakten zur Verfügung, die die Wahrhaftigkeit der Kategorien der dialektischen Logik
beweisen.
311
Die ganzheitliche Theorie und die Untersuchung der sie bedingenden
logischen Entwicklung und Vollendung
Beim Aufbau des theoretischen Wissens ist, wie schon bemerkt, die Rolle des
Grundbegriffs der Theorie, in dem der Hauptwiderspruch des konkreten Ganzen erfasst ist,
sehr groß. Jedoch erschöpft sich die Aufgabe der theoretischen Erkenntnis der Wirklichkeit
nicht mit der Begründung des Grundbegriffs der Theorie. Es entsteht die nächste Aufgabe
der wissenschaftlichen Erkenntnis - die ganzheitliche und systematische Wiedergabe des
Gegenstandes, die notwendigerweise die Entwicklung des Wesens (des Grundbegriffs) des
Gegenstandes, die Erfassung des Zusammenhangs von Wesen und Erscheinungsformen
und Formen der Lösung der Widersprüche, der Schwierigkeiten, die im Prozess der
systematischen Erkenntnis des Gegenstandes entstehen, voraussetzt.
Die ganzheitliche und systematische Wiedergabe des Gegenstandes ist eine schwierige
Aufgabe der Wissenschaft. In der theoretischen Erkenntnis des Gegenstandes gäbe es
solche Schwierigkeit nicht, wenn das Wesen des Gegenstandes, das sich in der Form des
Grundbegriffs der Theorie widerspiegelt, unmittelbar mit den Erscheinungsformen
zusammenfallen würde. Wie schon aufgezeigt wurde, gibt es eine solche Übereinstimmung
nicht und kann es nicht geben. Dieser Fakt an sich bringt unüberwindliche Schwierigkeiten
für die empirische Philosophie hervor, deren methodologische Unzulänglichkeit darin
besteht, dass sie - die Bedeutung des unmittelbar Gegebenen, der Fakten überbetonend die objektive Bedeutung der fundamentalen Begriffe der Wissenschaft negiert und sie als
„bequeme Schemata“, subjektive Schöpfungen des menschlichen Geistes behandelt.
Das Problem der ganzheitlichen Entwicklung der Theorie, der Zusammenhang des Wesens
mit den Erscheinungsformen ist allseitig und tiefschürfend nur in der marxistischen
Philosophie, die die kritische Synthese des gesamten vorherigen Verständnisses ist, gelöst.
In der vormarxistischen Philosophie ist diese Frage am vollständigsten von Hegel im
Zusammenhang mit der Analyse des Begriffs der Idee untersucht worden. In seiner
Auslegung ist die Idee die höchste Form des Denkens, da sie die Einheit von Begriff und
Realität ist. Während der Begriff nur ein Gedanke ist, der noch in sich, als Möglichkeit
existiert, ist die Idee schon ein Begriff des Für-Sich-Seins, seine Reife, seine Einheit mit
sich und seinem Anderen. „In unserer Einheit bleibt der Begriff der vorherrschende“,
schrieb Hegel. „Weil er in sich, entsprechend seiner eigenen Natur schon vor dieser
Vereinigung die erwähnte Identität ist, und er bringt deshalb aus sich selbst die Realität als
seine eigene Realität hervor, und da letztere seine eigene Selbstentwicklung ist, sagt sie
sich von nichts ihr eigenem los, sondern findet in sich nur sich selbst, den Begriff, und
bleibt deshalb in ihrer Objektivität in Einheit mit sich selbst“.56
Somit ist für Hegel die Beziehung des Begriffs zur Realität nicht äußerlich, sondern eine
innerliche, unteilbare Beziehung. Während der Begriff als Einheit (Wesen) auftritt, ist die
Realität nicht etwas absolut anderes, sondern die Form der Realisierung des Begriffs. Die
Realität, die sinnliche Vielfalt kann nicht mit dem Begriff zusammenfallen, aber das ist in
keiner Weise ein Mangel des Begriffs, der das Allgemeine, Wahre umfasst und selbst die
Wahrheit des Gegenstandes ausmacht.
In seiner Logik trat Hegel entschlossen sowohl gegen die abstrakte Identifizierung als auch
gegen die Gegenüberstellung von Begriff und Realität auf. So schrieb er: „... Man muss
solche Bestimmungen aufstellen wie die Idee ist die Einheit des Seins und des Nichts, des
Begriffs und der Objektivität, des Veränderlichen und des Unveränderten usw. ... Aber
gleichzeitig muss man wissen, dass alle derartigen Bestimmungen und Thesen einseitig
sind, und deshalb ist die Opposition ihnen gegenüber rechtmäßig. Der ihnen eigene Mangel
besteht gerade darin, dass sie hauptsächlich nur eine Seite ausdrücken, die Einheit, die
Existenz ... und folglich nicht das Vorhandensein des Unterschieds (Sein und Nichts usw.)
und des Negativen, was in der Verknüpfung solcher Bestimmtheiten eingeschlossen ist“.57
312
Die Beziehung von Begriff und Realität hat Hegel im Zusammenhang mit der Analyse der
Beziehung von Philosophie und Einzelwissenschaften untersucht. Seiner Meinung nach ist
die Philosophie die Seele der Einzelwissenschaften, gibt ihnen den Begriff, erhöht sie und
regt sie zur weiteren Entwicklung an, während die Einzelwissenschaften ihrerseits Material
und Nahrung für philosophische Betrachtungen geben. Die Überlegenheit der Philosophie
über die Einzelwissenschaften ergibt sich nach Meinung Hegels unmittelbar aus der
Herrschaft, der dominierenden Stellung des Begriffs im Verhältnis zur Realität.
Im Unterschied zu Hegel gehen die Marxisten prinzipiell von der materialistischen
Konzeption aus, laut der die objektive Wirklichkeit selbst über ein Wesen, über
gesetzmäßige Zusammenhänge verfügt. Denken und Begriff sind nur die ideale Form der
Realität. Während Hegel nur einen Querschnitt (Aspekt) dieser Beziehung kennt, d. h. nur
die Beziehung des theoretischen Begriffs zur empirischen Realität, wird in der
marxistischen Philosophie die Beziehung von Begriff und Realität als kompliziertes
Problem aufgefasst: erstens, die Beziehung des theoretischen Begriffs zum objektiven
Wesen der Gegenstände, und zweitens, die Beziehung des Wesens (des Begriffs) zu
empirischen, verwandelten Formen ihrer Existenz.
Entsprechend der marxistischen Logik ist der Begriff vor allem die Widerspiegelung des
objektiven Wesens der Gegenstände. Freilich gibt es wegen der ständigen Entwicklung der
Wirklichkeit nie eine absolute Identität zwischen Begriff und objektivem Wesen, was
jedoch nicht zur Negierung der Bedeutung wissenschaftlicher Begriffe führen darf. „Aus
dem Grund“, schrieb Engels, „dass der Begriff seine Wesensnatur hat, dass er folglich auch
nicht direkt prime facie mit der Wirklichkeit zusammenfällt, mit der er nur verglichen und
von der er nur abgeleitet werden kann, ist er mehr als eine Fiktion; es sei denn Sie erklären
alle Ergebnisse des Denkens zu Fiktionen, weil ihnen die Wirklichkeit nur sehr indirekt
entspricht, und auch das nur in Annäherung“.58
Außerdem haben wir es bei der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis mit einem sich
entwickelnden, historischen Gegenstand zu tun, der nur im Prozess der Entwicklung
unseres Denkens erfasst werden kann. Aus diesem Grund entsprechen dem nicht
entwickelten Stadium des Gegensatzes die ebenfalls nicht entwickelten theoretischen
Begriffe über den Gegenstand.
So sind die Beschränkungen der Theorien von A. Smith und D. Ricardo nicht nur mit der
theoretischen Schwäche ihrer Untersuchungsmethode verbunden, sondern auch mit der
Unentwickeltheit jener Realität, auf deren Grundlage die Theorie entstand. Deswegen
bedarf die Übereinstimmung von Begriff und Realität, Theorie und Wirklichkeit zu ihrer
Realisierung mindestens folgender zwei Bedingungen: Erstens ist es notwendig, dass die
Entwicklung des Gegenstandes ihre Reife erreicht und ihre klassischen
Erscheinungsformen an den Tag gelegt hat; Zweitens darf die theoretische Untersuchung
sich nicht in den Fesseln abstrakter Vorstellungen befinden, sondern muss sich von der
Dialektik als logischer wissenschaftlich-theoretischer Erkenntnis leiten lassen.
Ein anderer Aspekt des untersuchten Problems ist die Frage nach der Beziehung des
Wesens (Begriffes) zu den empirischen Erscheinungsformen. In der marxistischen Logik
wird dieses Problem auf der fundamentalen Grundlage der materialistischen
Weltanschauung gelöst. Tatsächlich, wegen der ständigen Entwicklung der objektiven
materiellen Welt fällt unser Begriff, der die allgemeine Natur, das Wesen des Ganzen
umfasst, nicht mit der empirischen Form der Existenz des Gegenstandes zusammen. Das
zeugt jedoch nicht so sehr von der Fiktivität des Begriffs, als vielmehr vom Reichtum des
objektiven Konkreten. „Werden etwa Begriffe, die in der Naturwissenschaft vorherrschen“,
schrieb F. Engels, „dadurch zu Fiktionen, dass sie durchaus nicht immer mit der
Wirklichkeit zusammenfallen? Von jenem Moment an, als wir die Theorie der Evolution
akzeptiert haben, entsprechen alle Begriffe für das organische Leben nur annähernd der
Wirklichkeit. Im entgegengesetzten Falle gäbe es überhaupt keinerlei Veränderungen; an
313
dem Tag, an dem Begriff und Wirklichkeit in der organischen Welt absolut
zusammenfallen, beginnt das Ende der Entwicklung. Der Begriff des Fisches meint Leben
im Wasser und Atmen durch Kiemen; wie wollen Sie vom Fisch zur Amphibie übergehen,
ohne das in einem Begriff widerzuspiegeln? Und das geschah; wir kennen doch eine Reihe
von Fischen, deren Blase sich zur Lunge weiterentwickelt hat und die deshalb Luft atmen
können. Wie kann man vom Eier legenden Reptil zum Säugetier übergehen, das lebende
Junge gebiert, ohne den einen oder beide Begriffe mit der Wirklichkeit zu konfrontieren?“
59
Der Widerspruch des Grundbegriffs der Theorie und der empirischen Formen ist dadurch
bedingt, dass bei seiner Begründung der Gegenstand in seiner reinen Form idealisiert
betrachtet wird, wobei von den Zusammenhängen abstrahiert wird, die real die
Erscheinung des Wesens des Gegenstandes beeinflussen. Mit anderen Worten: Im Stadium
der Herausbildung des Grundbegriffs der Theorie wird der Gegenstand an sich betrachtet,
und der Forscher ist damit beschäftigt, jene Zusammenhänge (Gesetze) herauszufinden, die
sich aus der immanenten Art und Weise der Existenz und des Funktionierens des
Gegenstandes ergeben, wobei er von zusätzlichen und sich überkreuzenden Handlungen
abstrahiert, die auf die Form des Funktionierens des Gegenstandes Einfluss nehmen. „Hat
etwa der Feudalismus“, schrieb Engels, „jemals seinem Begriff entsprochen? Entstanden
im westfränkischen Königreich, weiterentwickelt in der Normandie von norwegischen
Eroberern, vervollkommnet von französischen Normannen in England und Süditalien,
näherte er sich seinem Begriff am meisten im ephemeren Königreich von Jerusalem an.
War etwa diese Ordnung Fiktion nur deshalb, weil sie in Palästina für kurze Zeit einen
durchaus klassischen Ausdruck annahm, wenn auch größtenteils nur auf dem Papier?“ 60
Die Untersuchung des Gegenstandes in reiner Form hat auf diese Weise riesige Bedeutung
bei der wissenschaftlichen Erkenntnis, der Aufdeckung des Wesens des Gegenstandes.
Freilich tritt das Wesen als Grundlage des Gegenstandes auf, ist jedoch nicht sein ganzer
Inhalt. Um theoretisch das ganzheitliche gegenständliche Gebiet wiederzugeben, ist es
notwendig, die Entwicklung des Wesens zu verfolgen und allseitig seinen Zusammenhang
mit besonderen, empirischen Erscheinungsformen aufzudecken.
Von Anfang an muss unterstrichen werden, dass eine derartige Untersuchung ein äußerst
schwieriges Problem der theoretischen Erkenntnis ist. Es geht darum, dass bei dem
Versuch, konsequent ein monistisches Verständnis des Gegenstandes durchzusetzen,
Widersprüche zwischen dem Wesen und den empirischen Formen entstehen, die alle
Errungenschaften der theoretischen Erkenntnis der Wirklichkeit umzustoßen drohen.
Deshalb wird die Aufgabe der Entwicklung der Theorie vollkommen gesetzmäßig auf die
rationelle (dialektische) Lösung der Widersprüche zurückgeführt.
Die methodologische Produktivität dieser oder jener wissenschaftlichen Konzeption wird
hauptsächlich nach ihrem Verhältnis zu den Widersprüchen bei der Entwicklung der
Theorie bestimmt. Als typisches Beispiel dieser Art kann die Geschichte der politischen
Ökonomie dienen. Bei dem Versuch der Erklärung ökonomischer Tatsachen - ausgehend
vom allgemeinen Prinzip, von dem Begriff des Wertes - entstanden bekanntlich
Widersprüche, die Ricardo fand, aber nicht theoretisch lösen konnte, da er die Dialektik
von Wesen und Erscheinungsformen, die Entwicklung des Wesens nicht verstand, keine
Vorstellung von vermittelnden Gliedern hatte, in denen die Widersprüche der Theorie real
gelöst werden. Wichtig ist jedoch, dass Ricardo nicht die Augen vor diesen Widersprüchen
geschlossen hat und versuchte, sie künstlich und formal aus der Theorie zu entfernen.
Ein Widerspruch war in der Theorie von Ricardo vorhanden, was alle seine Gegner mit
Schadenfreude vermerkten. Aber darin bestand nicht nur die Schwäche, sondern auch die
Stärke seiner Theorie. Als sich später die Schüler Ricardos bemühten, seine Theorie von
dem Widerspruch mittels der Korrektur des Ausgangsprinzips zu befreien, ging die
theoretische Untersuchung des Problems verloren; es entstand die sogenannte vulgäre
314
politische Ökonomie, die später, als sie den Widerspruch von Wesen und
Erscheinungsformen bemerkte, nicht nur nicht versuchte, die Theorie weiterzuentwickeln,
sondern den falschen Weg beschritt, der endgültig von der Möglichkeit des theoretischen
Verständnisses des Gegenstandes wegführte.
Marx ging nicht den Weg der formalen „Korrektur“ der Theorie, sondern löste die
Widersprüche auf der Grundlage einer tiefgründigen Untersuchung der Fragen und gab
dadurch eine theoretische und rationale Erklärung für alle ökonomischen Erscheinungen.
Wenn die bürgerlichen Ökonomen nach der Veröffentlichung des dritten Bandes des
„Kapitals“ Lärm machten, weil Marx angeblich sein Versprechen nicht gehalten hatte, so
zeugte das nur davon, dass sie einfach nichts verstanden hatten, da ihnen die dialektische
Methode fremd war. Ihrem Verständnis war nicht zugänglich, dass bei der theoretischen
Erkenntnis des Objektes immer ein realer Widerspruch entsteht, der nur durch wirkliche
Entwicklung der Theorie gelöst werden kann.
In diesem Zusammenhang entsteht die Frage, welche logisch-theoretischen Bedingungen
(Prinzipien) gaben Marx die Möglichkeit, die Theorie erfolgreich zu entwickeln und jene
Widersprüche zu lösen, die der Stein des Anstoßes für die gesamte vorherige politische
Ökonomie gewesen waren?
1. Das ist vor allem das tiefe Verständnis der Entwicklung, des Historismus des Wesens,
die konsequente Berücksichtigung der Dialektik von Wesen und Erscheinung. Während bei
der abstrakten Betrachtung die Erscheinungen einfach dem Wesen gegenübergestellt
werden, behandelt die dialektische, konkrete Untersuchung sie als Einheit der Gegensätze,
deckt ihre inneren Zusammenhänge auf.
2. Im Prozess der Entwicklung der Theorie wurden solche wichtigen dialektisch-logischen
Prinzipien des theoretischen Wissens wie Möglichkeit und Wirklichkeit, Inneres und
Äußeres, Gesetz und Gesetzmäßigkeit und dgl. allseitig analysiert und angewandt, die es
gestatteten, erfolgreich die Entwicklung des Wesens (des Grundbegriffes) zu verfolgen,
seinen Zusammenhang mit den Erscheinungsformen aufzudecken und eine ganzheitliche,
dialektische Erkenntnis der objektiven Wirklichkeit zu realisieren. Und tatsächlich, es ist
unmöglich, eine wissenschaftliche Theorie ohne konkretes, dialektisches Verständnis
dieser Kategorien zu vollenden.
3. Bei der Entwicklung der Theorie und der Lösung ihrer Widersprüche wird dem Begriff
des besonderen 61, vermittelnden Zwischengliedes, in dem der Widerspruch von Wesen
und empirischen Formen aufgelöst wird, ein besonderer Platz eingeräumt. In der
wissenschaftlichen Erkenntnis entsteht wirklich solch eine Situation, in der es unmöglich
ist, die empirischen Fakten unmittelbar aus dem Wesen zu verstehen, und es müssen
vermittelnde Zwischenglieder gefunden werden, die es gestatten, die Zusammenhänge von
Wesen und Erscheinungsformen zu verstehen. Nur im Ergebnis einer derartigen
theoretischen Arbeit wird die Möglichkeit geschaffen, die ganzheitliche Natur des
Gegenstandes zu erfassen, in dem die empirischen Formen als eigene Formen der
Entwicklung des Wesens, seiner Formbildung auftreten.
„Das Kapital“ von Marx ist die klassische Form einer wissenschaftlichen Theorie. In ihm
sind alle empirischen Fakten, besonderen Formen als eigene Formen der Entwicklung des
Mehrwertes, als verwandelte Formen62 seiner Existenz erklärt. „Das Kapital“ ist eine
innerlich vollendete Theorie, die Einheit von innerlich zusammenhängenden Begriffen
(Kategorien), in deren Form sich die reale Gesetzmäßigkeit der kapitalistischen
Warenproduktion widerspiegelt. Während im ersten Band die Begriffe des Wertes und des
Mehrwertes analysiert sind, sind in den weiteren Bänden dieses wahrhaft großen Werkes
die bürgerlichen Produktionsverhältnisse erforscht und in all ihrer Kompliziertheit
aufgedeckt.
Die Bedeutung des dritten Bandes des „Kapitals“ für den Aufbau der ökonomischen
Theorie einschätzend, schrieb F. Engels: „Das ist ein großartiges Werk, das in
315
wissenschaftlicher Beziehung sogar den ersten Band übertrifft.“63 „Das ist wirklich eine
unerhörte Umwälzung der gesamten alten politischen Ökonomie. Nur dank ihm gewinnt
unsere Theorie ein unzerstörbares Fundament, und wir können siegreich an allen Fronten
auftreten“.64
In diesen Äußerungen hat F. Engels die Bedeutung der ganzheitlichen Erfassung des
Gegenstandes beim Aufbau einer Theorie unterstrichen. Tatsächlich, die Theorie wird nur
dann zur Theorie und erfüllt ihre Funktion des systematischen Wissens nur dann, wenn der
Gegenstand in seiner ganzen Kompliziertheit und Ganzheit begriffen wird. „Ich werde
natürlich sehr froh sein“, schrieb Engels, „wenn ich den dritten Band herausgeben kann,
weil ... nur dann das gesamte System des Autors endgültig verständlich wird und viele
dumme Einwände, die jetzt vorgebracht werden, entfallen“.65 „Nach einer solchen klaren
Darlegung“, fuhr Engels fort, „sind keine direkten Einwände mehr möglich. Die
allerschwierigsten Fragen sind mit solcher Leichtigkeit erklärt und entwirrt, als sei es nur
ein Kinderspiel, und das gesamte System erhält eine neue und einfache Form“.66
Die Harmonie und Glaubwürdigkeit der ökonomischen Theorie von K. Marx ist das
Ergebnis einer titanischen geistigen Arbeit ihres Schöpfers an der Aufdeckung der inneren
Gesetzmäßigkeiten der Gegenstände und Erscheinungen. Im „Kapital“ sind alle Probleme
und Schwierigkeiten, mit denen die gesamte vorherige politische Ökonomie nicht fertig
werden konnte, analysiert und gelöst.
___________________________
1 Hier und im Weiteren verstehen wir „allgemein“ materialistisch, d. h. als objektive
allgemeine Beziehung der Gegenstände der materiellen Welt
2 Hegel. Werke Band 6, S. 37
3 a. a. O., S. 38
4 Marx K., Engels F. Werke Band 23, S. 165
5 a. a. O., S. 166
6 a. a. O., S. 165
7 a. a. O., S. 177 - 178
8 Marx K., Engels F. Werke Band 46, Teil 2, S. 489
9 a. a. O.
10 a. a. O. Teil 1, S. 288
11 a. a. O., Band 24, S. 21
12 a. a. O., Band 26, Teil 1, S. 64
13 a. a. O., Band 26, Teil 3, S. 65 - 66
14 a. a. O., S. 83
15 a. a. O., S. 246
16 a. a. O., Band 24, S. 20
17 a. a. O., S. 19
18 zitiert nach: Marx K., Engels F. Werke Band 24, S. 10
19 a. a. O.
20 a. a. O., Band 21, S. 183
21 a. a. O., Band 36, S. 180
22 a. a. O.
23 a. a. O., S. 17
24 a. a. O.
25 a. a. O., Band 21, S. 193
26 a. a. O., Band 24, S. 14 - 15
27 a. a. O., Band 12, S. 733
316
28 a. a. O., Band 46, Teil 1, S. 185
29 a. a. O.
30 siehe Lenin W. I. Konspekt „Schriftwechsel von K. Marx und F. Engels 1844 - 1883“,
Moskau 1968, S. 298
31 a. a. O.
32 Marx K., Engels F. Werke, Band 46, Teil 1, S. 78
33 a. a. O.
34 Lenin W. I. Sämtliche Werke, Band 29, S. 227
35 a. a. O., Band 42, S.234 - 235 (kursiv im ersten Teil des Zitates von Zh. Abdildin)
36 a. a. O., Band 3, S. 46
37 a. a. O., Band 29, S. 128
38 a. a. O., S. 178
39 a. a. O., S. 131
40 Batischtschew G. S. Der Widerspruch als Kategorie der dialektischen Logik. Moskau
1963, S. 15
41 a. a. O., S. 14
42 Marx K., Engels F. Werke Band 23, S. 62
43 a. a. O., Band 46, Teil 1, S. 189
44 a. a. O., S. 189 - 190
45 a. a. O., S. 89
46 a. a. O., S. 92
47 a. a. O., S. 93
48 Lenin W. I. Sämtliche Werke Band 29, S. 183
49 a. a. O., S. 190
50 Marx K., Engels F. Werke Band 2, S. 39
51 Lenin W. I. Sämtliche Werke Band 29, S. 177
52 Marx K., Engels F. Werke Band 13, S. 497 - 498
53 Hegel. Werke Band 5, S. 376
54 a. a. O., S. 381
55 ausführlich zur Bedeutung des Prinzips des Widerspruchs in der Wissenschaft (in der
Quantenmechanik) siehe: Zh. Abdildin und M. Sabitow. Dialektik und moderne
Wissenschaft, Alma-Ata, 1972
56 Hegel. Werke Band 12, S. 110
57 Hegel. Arbeiten verschiedener Jahre. In zwei Bänden. Band 2, S. 416 - 417
58 Marx K., Engels F. Werke Band 39, S. 354
59 a. a. O., S. 357
60 a. a. O., S. 356
61 Da die systematische Theorie als Lösung einer Reihe von Widersprüchen auftritt,
figuriert der Begriff des Besonderen in der Theorie mal als Form der Entwicklung des
Prinzips und mal als vermittelndes Glied zwischen Wesen und Erscheinungsformen.
62 In der Theorie von K. Marx hat der Begriff „Verwandlung der Form“ eine große
Bedeutung. In unserer philosophischen Literatur ist die Beziehung des Wesens zu den
verwandelten Formen in folgenden Arbeiten analysiert:
M. Rosental. die Dialektik des „Kapitals“ von K. Marx. Moskau 1967;
A. Sorokin. Die Kategorie des Wesens in der Dialektik von K. Marx
(am Material des „Kapitals“). Autorenreferat. Moskau 1970
63 Marx K., Engels F. Werke Band 36, S. 281
64 a. a. O., Band 37, S. 252 - 253
65 a. a. O., Band 36, S. 480
66 a. a. O., Band 37, S. 259
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Kapitel 4
Die dialektisch-logischen Prinzipien und die Logik der Relativitätstheorie
Die Erarbeitung des Problems der Dialektik, der dialektischen Logik erfolgt heutzutage auf
einem neuen Niveau. Die Zeit ist vorbei, in der man sich abstrakt, außerhalb eines
konkreten Systems und der Logik mit der Erforschung einzelner Gesetze und Kategorien
befasst hat. Jetzt interessiert die Erforscher der Probleme der Dialektik hauptsächlich die
Frage der Anwendung von Gesetzen und Kategorien der Dialektik auf den unmittelbaren
Prozess der Wissensherausbildung, der Logik des Denkens.
In diesem Zusammenhang entsteht die Frage nach der Logik des modernen theoretischen
Wissens. Die aufmerksame Analyse der Methode des Denkens, der Art und Weise der
theoretischen Erschließung des Objektes in der speziellen Relativitätstheorie überzeugt uns
davon, dass die dialektische Logik allgemeingültig für das moderne wissenschaftliche
Wissen ist. Dem Prinzip und der Logik ihres Aufbaus nach sind viele moderne Theorien
der Logik des „Kapitals“ sehr nahe, in der in konzentrierter Form die marxistische
Methodologie und Erkenntnistheorie Anwendung fand. Entgegen den Äußerungen
bürgerlicher Philosophen und Ökonomen ist „Das Kapital“ nicht nur eine Theorie des XIX.
Jahrhunderts. Seiner Methodologie und dem Prinzip des Aufbaus nach ist es eine
klassische entwickelte Form des modernen theoretischen Wissens.
In diesem Zusammenhang ist die Frage nach der Logik und Methode der
Relativitätstheorie besonders interessant, die die erste physikalische Theorie des XX.
Jahrhunderts ist, mit deren Schaffung und Erarbeitung ein scharfer Bruch mit alten
Begriffen und Vorstellungen in der Physik verbunden war. Die Relativitätstheorie von
Einstein unterscheidet sich nach Logik und Methode wesentlich von alten, klassischen
physikalischen Theorien. Einsteins Theorie erklärt eine große Klasse von physikalischen
Erscheinungen, die nicht in den Rahmen alter physikalischer Kanons hineinpassten. Diese
Erscheinungen verlangten nicht nur nach einer grundlegenden Änderung früherer
Vorstellungen von Raum und Zeit, sondern auch nach radikaler Revision der traditionellen
Denkungsart in der physikalischen Theorie. Und eine wichtige Rolle in diesem Prozess
haben das Verständnis und Erfassen elektromagnetischer Erscheinungen in beweglichen
Medien gespielt. Es geht darum, dass in der theoretischen Deutung dieser Erscheinungen
bestimmte Schwierigkeiten entstanden, die mit der Frage der Wechselbeziehungen von
elektromagnetischen Erscheinungen und dem Äther zusammenhängen. Einstein ließ sich
von einer neuen Methodologie leiten und löste und erklärte alle diese Schwierigkeiten. Und
gerade deshalb ist seine Theorie als Grundlage der weiteren Entwicklung des
physikalischen Denkens anerkannt. In der Relativitätstheorie haben sich ein kühnes
Herangehen an die Erklärung einer großen Klasse physikalischer Erscheinungen, ein tiefes
Verständnis und eine talentierte Anwendung einer neuen Methode und Logik des Denkens
vereint.
Auf eine neue Art wurde der Inhalt vor allem solcher fundamentalen Begriffe in der Physik
erfasst, wie Raum und Zeit, Masse und Energie, Relatives und Absolutes. Wie L. I.
Mandelstam vollkommen zu Recht bemerkte, „ist das Relativitätsprinzip über den Rahmen
hinaus gewachsen, der ihm von den unmittelbar physikalischen Aufgaben vorgegeben war.
Deshalb wurde sowohl die Mechanik erfasst und schließlich die gesamte Physik. Dadurch
erklärt sich das riesige Interesse, das die Relativitätstheorie nicht nur unter Physikern
hervorgerufen hat“.1 Um die Relativitätstheorie entbrannte, wie bekannt, ein Kampf des
Materialismus und des Idealismus.
Wenn die Rede von der durch die Relativitätstheorie vollzogenen Umgestaltung alter
Begriffe und Vorstellungen in der Physik ist, geht es selbstverständlich nicht darum, dass
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Einstein an die Stelle alter, klarer und deutlicher Begriffe irgendwelche neuen, eigenen
gesetzt hat. Die Relativitätstheorie hat gezeigt, dass viele Begriffe und Vorstellungen, mit
denen früher operiert wurde, abstrakt, rational waren und vom Standpunkt neuer Fakten
aus keiner Kritik standhielten. Viele Aussagen der alten Physik, wie in der Literatur richtig
bemerkt wird, „hatten überhaupt keinen Sinn und ... das war hauptsächlich der Grund für
jene Missverständnisse, auf die man stieß, wenn man diese oder jene physikalische
Erscheinung mit theoretischen Begründungen untermauern wollte“.2
Rationale und abstrakte Vorstellungen über Raum und Zeit, ihre Verabsolutierung
behinderten ernsthaft das tiefe Verständnis physikalischer Probleme, die mit der
Elektrodynamik beweglicher Medien zusammenhingen, und traten in offensichtlichen
Widerspruch mit exakt festgestellten Fakten. In der Relativitätstheorie von Einstein sind
alle diese Schwierigkeiten und Widersprüche fundamental durch die Erarbeitung eines
konkreten, dialektischen Begriffs über Raum und Zeit gelöst.
Es entstand eine Situation, die jener sehr ähnlich war, die das Erscheinen der grandiosen
Logik von Hegel mit ihrem Prinzip der Entwicklung, der Selbstbewegung hervorgerufen
hatte. Hegel hat ebenfalls das alte abstrakte Verständnis der Kategorien umgewälzt. Vor
Hegel herrschte in der Philosophie hauptsächlich das rationale Verständnis der Kategorien
vor, und allen schien es natürlich, Zufall und Notwendigkeit gegenüberzustellen, das
Positive dem Negativen; jede Seite einer paarigen Kategorie wurde einzeln bestimmt, ohne
Beachtung ihres Zusammenhanges mit der anderen, - sie wurden sogar als sich gegenseitig
ausschließende Bestimmtheiten betrachtet. Hegel deckte die inneren Zusammenhänge
dieser Kategorien auf, indem er sich auf das Gesetz der Einheit der Gegensätze stützte. So
ähnlich steht es mit der Relativitätstheorie von Einstein, und dadurch erklärt sich jene
große Bedeutung, die sie für die dialektisch-materialistische Logik hat.
Die Wichtigkeit der Erforschung logisch-gnoseologischer Probleme der Relativitätstheorie
ist damit verbunden, dass - wie auch in der philosophischen - in der physikalischen
Literatur von Zeit zu Zeit Diskussionen über die Logik der Theorie von Einstein, über
inneren Zusammenhang und Subordination ihrer Kategorien entbrennen. In dieser
Richtung hat der berühmte Gelehrte
A. D. Alexandrow eine große Arbeit geleistet, der allerdings die Logik der
Relativitätstheorie als „umgekehrt“ betrachtet. Als Begründung für eine derartige
Behauptung weist er darauf hin, dass der wichtigste Begriff der Theorie der Begriff des
Trägheitssystems oder des mit ihm zusammenhängenden Systems der räumlich-zeitlichen
Koordinaten: x, y, z, t ist. Und folglich geht selbst Einstein und jeder, der die
Relativitätstheorie systematisch darlegt, vom Begriff des Bezugssystems oder des Systems
der Koordinaten aus, da es ohne Bestimmung dieser Begriffe unmöglich ist, fundamentale
Prinzipien der Theorie zu formulieren. Eine derartige Logik entspricht nach Meinung von
A. Alexandrow nicht der objektiven Wechselbeziehung des Gegenstandes, sondern nur der
Logik der Beobachtung und dgl. „Der Hauptausgangspunkt beim Aufbau der Theorie“,
schreibt er, „ist der Gesichtspunkt der Relativität, wo die Frage vor allem nicht nach den
Erscheinungen an sich gestellt wird, sondern über ihre Beziehungen zu diesen oder jenen
Bezugssystemen. Dieser Gesichtspunkt herrscht gewöhnlich bei der weiteren Entwicklung
der Theorie vor, wo die relative Zeit, die Lorentz-Verkürzung, die relative Masse und dgl.
betrachtet werden. Ausgegangen wird hier von der Erscheinung dieses oder jenen Körpers
oder Prozesses in Beziehung zu diesem oder jenem Bezugssystem“.3
Im Unterschied zu Alexandrow finden wir in einer derartigen Art und Weise des Aufbaus
der Theorie nicht Negatives. Es ist auch nichts Schlechtes daran, dass beim Aufbau der
Theorie vom Begriff des Bezugssystems ausgegangen wird; es darf nur nicht subjektiv
verstanden werden, sondern objektiv. Ähnlich wie die Kategorien „gut“ und „schlecht“
nicht an sich (abstrakt) existieren, gibt es auch keine objektiven Charakteristika von
Körpern außerhalb von Raum- und Zeit-Koordinaten. Jeder Körper existiert real in seinen
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Beziehungen, und außerhalb von diesen ist er nicht mehr als eine leere Abstraktion.
Deshalb ist eine derartige Betrachtung durchaus nicht nur für die Relativitätstheorie
spezifisch, und erst recht ist sie nicht ihre Begrenztheit, sondern ein wahrhaft
wissenschaftliches Herangehen an die Erforschung der Wirklichkeit.
Z. B. betrachten die marxistischen Philosophen bei der Bestimmung einer solchen sozialen
Erscheinung wie die Klasse diese nicht an sich, sondern in ihrer Beziehung zu den
Produktionsmitteln. Und für jegliche Wissenschaft, jede beliebige Theorie ist der
Gesichtspunkt der Relativität die wichtigste Bedingung für die Erforschung des Objektes.
Zu dieser Frage schreibt A. Alexandrow: „Aber in allen Fällen ist das Wichtigste sowieso
der Begriff des inerten Bezugssystems (der Koordinaten) und der Ausgangspunkt ist der
Gesichtspunkt der Relativität, nicht die absolute Struktur (Geometrie) des Raumes - der
Zeit, nicht die Realität „an sich“, sondern die Realität in ihrer relativen
Erscheinungsform. Das Beziehungslose wird durch das Relative als Invariante der
Umwandlung der Koordinaten bestimmt“.4
Aber worin besteht denn hier der Fehler, wo liegt der Grund für die Kritik an der Logik der
Theorie? Wenn beim Aufbau der Theorie mit dem Relativen begonnen wird, so spricht das
durchaus nicht von ihrer „Umgekehrtheit“, sondern zeugt nur davon, dass in der Theorie
vorrangig eine Seite der ganzheitlichen Erkenntnis des Gegenstandes realisiert ist - die
Bewegung vom Konkreten (Relativen) zum Abstrakten. Freilich muss beim Aufbau der
Theorie auch das Entgegengesetzte realisiert werden, was K. Marx für richtiger hielt: „Die
letztere Methode ist in wissenschaftlicher Hinsicht offensichtlich richtig“.5
Die Schwierigkeit besteht darin, dass es unmöglich ist, von Beginn an das Absolute, die
Einheit von Raum-Zeit zu postulieren, da sie das Ergebnis einer gewissen theoretischen
Erkenntnis des Gegenstandes ist. Auf dieser Etappe bewegen sich die theoretische
Erfassung und die reale Bewegung des Gegenstandes in entgegengesetzter Richtung
zueinander. Dasjenige, was das Resultat der wirklichen Bewegung ist, wird für den
Ausgangspunkt der theoretischen Erkenntnis gehalten, und der wirkliche Ausgangspunkt für das Ergebnis der theoretischen Analyse des Gegenstandes. Von diesem Punkt beginnt
eigentlich der Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten.
Auf diese Art und Weise ist in der Logik der Theorie die Bewegung vom Relativen zum
Absoluten (die Bewegung von Raum und Zeit zu Raum-Zeit) durchaus gerechtfertigt.
Hierzu sprach Alexandrow den keinen Widerspruch hervorrufenden Gedanken aus, dass
„dieses Herangehen durchaus rechtmäßig ist, da es faktisch eine richtige Theorie ergab. An
sich führt es nicht zur „Auflösung der Gegenstände in Beziehungen“, und seine
Ausgangspunkte - Systeme der Anzeige und Erscheinungsformen der Körper und Prozesse
in ihren Beziehungen zu den Bezugssystemen - sind nicht weniger real als die Körper und
Prozesse selbst, so real wie der Schatten ist, den der Gegenstand wirft, und so seine
Projektion realisiert“.6
Die angeführte These spricht dafür, dass das Herangehen Einsteins im Wesentlichen eine
richtige Theorie ergab. Wovon zeugt diese Tatsache? Davon, dass die Logik der
Relativitätstheorie auf keinen Fall „umgekehrt“ ist. Außerdem muss man beim Aufbau der
Theorie unterscheiden zwischen Logik der Erforschung und Logik der Darlegung. In der
gewöhnlichen Logik der Theorie Einsteins sind diese beiden Seiten miteinander
verflochten, was augenscheinlich einen Grund für Diskussionen um ihre Logik darstellt.
Bezüglich des Unterschiedes von Logik der Erforschung und Logik der Darlegung schrieb
K. Marx im „Kapital“: „Natürlich kann sich die Art der Darlegung formal nicht von der
Logik der Erforschung unterscheiden. Die Forschung muss sich detailliert mit dem
Material vertraut machen, unterschiedliche Formen seiner Entwicklung analysieren, ihren
inneren Zusammenhang verfolgen. Nur nachdem diese Arbeit abgeschlossen ist, kann auf
gehörige Weise die wirkliche Bewegung dargestellt werden. Wenn das gelungen ist, und
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das Leben des Materials seine ideale Widerspiegelung gefunden hat, kann es scheinen, als
hätten wir eine apriorische Konstruktion vor uns“.7
Die Methode der Darlegung und die Methode der Erforschung sind zwei Aspekte eines
einheitlichen Verständnisses des Gegenstandes. Ohne theoretische Analyse und ohne
gewissenhafte Aneignung des Gegenstandes ist seine theoretische Wiedergabe unmöglich.
Bei der theoretischen Erkenntnis des Gegenstandes wird immer mit dem Ergebnis, mit dem
gewordenen Gegenstand begonnen, und erst dann wird im Ergebnis der Analyse der
wirkliche Ursprung, die Grundlage der gegebenen gegenständlichen Realität
herausgearbeitet.
Ungeachtet dessen spricht Alexandrow hartnäckig von Mängeln der gewöhnlichen Logik
der Relativitätstheorie, von Schwierigkeiten, die angeblich vom Herangehen Einsteins an
das erforschte Problem hervorgerufen werden. „Erstens“, schreibt Alexandrow, „entspricht
das genannte Herangehen nicht auf die nötige Art und Weise der objektiven Logik des
Gegenstandes, da in Übereinstimmung mit dieser Logik das Primäre - Raum-Zeit als
allgemeine Form des Existenz der Materie - der Gegenstand selbst mit seinen
Eigenschaften sein muss, während das Relative nur eine Seite, ein Aspekt des Absoluten
ist. Wenn jedoch das Relative als Ausgang genommen wird, wird der Gegenstand von den
Beinen auf den Kopf gestellt“.8
Unserer Ansicht nach hat das Herangehen von A. Alexandrow seine theoretischen Mängel,
da hierbei der ersten Hälfte der Logik der wissenschaftlichen Erkenntnis, der Logik der
wissenschaftlichen Forschung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dieser Prozess
fällt, wie schon gesagt, nicht mit der objektiven Logik der Bewegung des Gegenstandes
zusammen, er ist aber bei der theoretischen Erkenntnis notwendig. Alexandrow tritt aber
dafür ein, dass die Logik der wissenschaftlichen Erkenntnis unbedingt von Beginn an mit
der objektiven Logik des Gegenstandes übereinstimmen muss.
Das aufmerksame Studium der Erfahrungen der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis
des Gegenstandes zeugt davon, dass eine derartige Forderung nicht realisierbar ist. Keine
Erkenntnis beginnt mit der Postulierung des Wesens, des Absoluten. Wenn so etwas
möglich wäre, so bedeutete das, wie K. Marx bemerkte, „eine Wissenschaft noch vor der
Wissenschaft hervorbringen“. Deshalb gibt nur die theoretische Analyse der Fakten die
Möglichkeit, dem Wesen, den allgemeinen Grundlagen der Gegenstände auf die Spur zu
kommen. Der Gegenstand eröffnet sich uns ursprünglich in seiner relativen
Erscheinungsform. In diesem Zusammenhang ist zweifellos die berühmte These von W. I.
Lenin angebracht: „Von der lebendigen Anschauung zum abstrakten Denken und von ihm
zur Praxis - das ist der dialektische Weg der Erkenntnis der Wahrheit, der Erkenntnis der
objektiven Realität“.9
Den gleichen Gedanken hat K. Marx schon früher in seinen „Anmerkungen zum Buch von
A. Wagner“ dargelegt und dabei unterstrichen, dass für ihn der Ausgangspunkt des
theoretischen Aufstiegs nicht der Begriff ist, sondern eine bestimmte ökonomische
Konkretheit. Vor allem „... gehe ich nicht von Begriffen aus, also auch nicht vom
Wertbegriff“, schrieb er, „und verspüre deshalb keinerlei Bedarf an der „Teilung“ des
letzteren. Ich gehe von der einfachsten gesellschaftlichen Form aus, in der das Produkt der
Arbeit in der modernen Gesellschaft dargestellt wird, das ist die Ware. Ich analysiere
letztere, und das anfänglich in jener Form, in der sie erscheint ... Ich unterteile also den
Wert nicht in Konsum- und Tauschwert als Gegensätzlichkeiten, in die die Abstraktion
„Wert“ zerfällt; „Ware“ ist einerseits der Konsumwert und andererseits „Wert“ - und nicht
Tauschwert, da allein ihre Erscheinungsform nicht ihren eigentlichen Inhalt ausmacht“.10
Das hat A. Wagner nicht verstanden, da er nur die formale Beziehung zwischen Gattungsund Art-Begriff kannte. Für Marx liegt der ganze Reichtum des Besonderen und des
Einzelnen nicht im Begriff, wie es Hegel schien, sondern in jenen realen Beziehungen, die
objektiv die allgemeinen Bedingungen des Objektes sind, aus denen die Natur des
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Besonderen und des Einzelnen folgt und durch die sie erklärt wird. Wenn man an diese
Frage von einer derartig breiten Basis aus herangeht, so bedeutet die Bewegung der
Erkenntnis vom Relativen zum Absoluten durchaus nicht, den Gegenstand „auf den Kopf
zu stellen“, sondern sie tritt als eine Seite der dialektisch-logischen, ganzheitlichen
Wiedergabe des physikalischen Objektes auf.
Die Rechtmäßigkeit eines solchen Herangehens erkennt auch Alexandrow an. „Wir
wiederholen“, schreibt er, „dass man durchaus vom Relativen zum Absoluten gehen kann,
wie die Tatsache des Aufbaus der Relativitätstheorie selbst gezeigt hat. Dass heißt jedoch
nicht, dass der umgekehrte Weg, der vom Absoluten ausgeht, dem Wesen der Sache nicht
mehr entspricht und deshalb nicht zum besseren Verständnis dieses Wesens führen
kann“.11
Um in irgendeiner Weise die Frage des Vorzugs dieser oder jener Methode des
theoretischen Ausdrucks des Objektes zu lösen, wollen wir die Aufmerksamkeit auf den
Inhalt der marxistischen Erkenntnismethode der objektiven Wirklichkeit richten. Dabei
meinen wir die Methode des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten, deren wichtige
Bedeutung im Unterschied zu formalen Methoden darin besteht, dass sie eine ganzheitliche
Methode ist und in ihr der real-historische Prozess der Entstehung und Entwicklung des
objektiv Konkreten widergespiegelt ist. Deshalb dient das, was in der objektiven
Wirklichkeit ein Keim, die ursprüngliche und unzergliederte Form der Gegenständlichkeit
ist, in der theoretischen Wiedergabe als Ausgangspunkt, als Beginn der theoretischen
Erkenntnis.
Im Verlauf der Realisierung der Methode des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten ist
die Bewegung vom Konkreten zum Abstrakten ständig als Vorbedingung vorhanden.
Wenn man von solchen theoretischen Kriterien aus an die Relativitätstheorie herangeht,
wird folgendes klar: Seiner Logik nach ist der Vorschlag von Alexandrow dem
gewöhnlichen Aufbau der Logik der Relativitätstheorie nicht entgegengesetzt, sondern
ergänzt sie, realisiert eine striktere Auslegung. Nur so kann eine wirklich wissenschaftliche
Theorie aufgebaut werden. Wenn die erste Etappe vollendet ist und die inneren
Zusammenhänge des Gegenstandes aufgedeckt sind, entsteht eine andere Möglichkeit: Die
Theorie kann man nun deduktiv darlegen, beginnend bei dem erreichten Ergebnis, und aus
ihm alle relativen Aspekte ableiten. Letzteres ist in keiner Weise die Grundlage für die
Behauptung, dass der vorhergehende Aufbau der Theorie subjektiv ist und der
umgekehrten Logik des Gegenstandes entspricht.
In der Ergänzung Alexandrows gewinnt die Relativitätstheorie an Harmonie. Aber die
Konzeption von Alexandrow hat einen realen theoretischen Inhalt nur in dem Falle, wenn
sie die gesamte vorherige theoretische Belastung, die A. Einstein entdeckt hat, voraussetzt.
Deshalb kann man ihren theoretischen Aufbau nicht als Beziehung der wahren Logik zur
unwahren, „umgekehrten“ Logik betrachten. Es ist richtiger, wenn wir sie als Seiten, als
Aspekte einer einheitlichen theoretischen Erfassung des Gegenstandes betrachten.
Wenn man von einer derartigen Position an die Analyse herangeht, verliert die bekannte
Kritik der Logik der Relativitätstheorie ihre Dramatik. Außerdem entsteht die reale
Möglichkeit, alle jenen philosophischen Überlegungen zu analysieren und aufzuklären, die
gewöhnlich zugunsten der Kritik vorgebracht werden.
In philosophischer Hinsicht geht die Kritik der Logik der Relativitätstheorie gewöhnlich
von zwei Grundlagen aus: Erstens geht sie von der philosophischen Überlegung aus, dass
man die Darlegung mit dem Absoluten beginnen muss, da es primär ist, an sich existiert,
das Relative dagegen eine Seite, ein Aspekt des Absoluten ist. Zweitens wird anerkannt,
dass die Logik der Relativitätstheorie „umgekehrt“ ist und dem Positivismus Grund zum
Parasitismus gibt. Bei näherer Betrachtung sind alle diese Argumente nicht sehr
überzeugend. Aus der Richtigkeit dieser Begründungen folgt noch nicht strikt die
„Umgekehrtheit“ der Logik der Relativitätstheorie. Es geht darum, dass der Positivismus
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und der Idealismus auf dem lebenden Baum der menschlichen Erkenntnis wachsen. Sie
nutzen und verzerren die Daten der modernen Wissenschaft sogar in dem Fall, wenn in
ihrer konkreten Struktur nicht die „Umgekehrtheit“ vorhanden ist, von der hier die Rede
ist. Freilich hat Einstein einige Anlässe für Spekulationen der Positivisten durch seine von
E. Mach übernommene Terminologie gegeben. Der wirkliche Ausweg aus der
Schwierigkeit besteht nicht in der Kritik der Logik der Relativitätstheorie, sondern im
dialektisch-materialistischen Verständnis des Begriffs des Bezugssystems, der es gestattet,
die positivistischen Verzerrungen der Logik der Theorie zu überwinden. Der Positivismus
hält die Relativität der räumlichen und der zeitlichen Beziehung für subjektiv. Von der
Position der materialistischen Dialektik aus hält das keiner Kritik stand. Seiner
methodologischen Einstellung nach ist jeder Positivist unbedingt ein Metaphysiker und
verlangt deshalb, die absolute, ein für allemal gegebene Eigenschaft des Körpers
aufzuzeigen. Wenn das jedoch unmöglich ist, erklärt der Positivist alles für relativ und
subjektiv. Er versteht nicht, dass die Relativität ebenfalls eine objektive Charakteristik des
Gegenstandes ist.
Mit seiner Relativitätstheorie hat Einstein einen großen Beitrag zum dialektischen
Verständnis der Kategorien von Raum und Zeit geleistet. Während man vor ihm annahm,
dass sich beim Übergang des Körpers von einem Koordinatensystem zum anderen seine
räumlichen und zeitlichen Charakteristika verändern, hat er ein prinzipiell anderes
Verständnis des Problems begründet. Laut Einstein sind die räumlich-zeitlichen
Charakteristika der Körper nicht äußerlich, sondern innerlich mit materiellen Prozessen
verbunden. Deshalb müssen auch relativistische Effekte als Folge der räumlich-zeitlichen
Veränderungen betrachtet werden, was sie nicht zu scheinbaren, sondern zu realen
Veränderungen macht.
Die Frage nach der Relativität der Eigenschaften der Körper wurde auch schon vor dem
Entstehen der Theorie von Einstein gestellt. Z. B. sind die Geschwindigkeit des Körpers
und mit ihr die kinetische Energie und die Anzahl der Bewegungen relativ, d. h. objektiv
bestimmt nicht für den Körper an sich, sondern im Verhältnis zu anderen Körpern. Das
Verdienst Einsteins besteht darin, dass er die Relativität solcher Eigenschaften der Materie
feststellte, die früher als nicht relativ galten. Das sind die Gleichzeitigkeit und in
bestimmten Grenzen die Aufeinanderfolge der Ereignisse in der Zeit, die Fortdauer der
Prozesse, die Länge, d. h. die Entfernung zwischen gleichzeitigen Lagen der Enden einer
sich bewegenden Stange, die Masse u. a. Das heißt durchaus nicht, dass Körper und
Prozesse der ihnen an und für sich eigenen Eigenschaften beraubt werden. So hat jeglicher
Körper, jeglicher Prozess, jegliches System von Ereignissen bestimmte räumlich-zeitliche
Eigenschaften, aber diese Eigenschaften treten unterschiedlich in verschiedenen
Beziehungen zutage.
Absolut, nicht relativ in der Relativitätstheorie ist die konkrete Einheit Raum-Zeit, und die
Seiten, die Momente diese Ganzen sind immer relativ. Z. B. ist das Magnetfeld immer
absolut, nicht relativ, aber das elektrische und magnetische Feld sind einzeln relativ.
Hier drängt sich natürlich eine Analogie auf. Nehmen wir die Hegelsche Logik. Alle ihre
Kategorien sind relativ, d. h. sowohl abstrakt als auch konkret, aber das Absolute (die
Konkretheit) gehört nur der absoluten Idee, da sie den ganzen Reichtum der
vorhergehenden Entwicklungsstufe aufgenommen hat. Mit anderen Worten: Nur das
System insgesamt ist absolut, und alle es ausmachenden Momente sind relativ.
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