Thema Nr. 14: Hybridogene Artbildung und der Spezialfall des

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Thema Nr. 14: Hybridogene Artbildung und der Spezialfall des Italiensperlings
Fragen:
 Was ist hybridogene Artbildung?
 Warum ist hybridogene Artbildung bei Pflanzen häufiger als bei Tieren?
 Ist der Italien-Sperling eine hybridogen entstandene Art?
relevante Seiten (u.a.):
Buch-Kap. 7: 24-29
Bilder:
Es gibt hierzu eine ppt-Datei.
Literatur:
Hierzu genügen Teile meines ausführlichen Auszugs aus der Originalarbeit (die Arbeit selbst
braucht nicht eingesehen zu werden):
Töpfer,T. (2007). Die Geschichte vom Italiensperling. Der Falke 54, 250-256.
Ref ID: 5621
Abstract: Sperlinge gehören zu den populärsten Vögeln Europas. Unter ihnen gilt der
Italiensperling als das wichtigste Beispiel für die Entstehung von Arten durch
Hybridisation. Nach wie vor ist allerdings umstritten, ob er als eigene Art oder als Unterart
einer der beiden angenommenen Elternformen angesehen werden soll. Der Vogel lehrt uns
aber auch, wie stark überzeugend vorgetragene Argumentationen Sicht- und Denkweise von
Generationen beeinflussen können.*
Notes: siehe auch Text unter Art.
Besucht man die Vogelsammlung des Dresdner Tierkundemuseums und öffnet die Schränke
mit den Sperlingspräparaten, findet man eine große Anzahl von Vögeln, die in fast zwei
Jahrhunderten zusammengetragen wurden. Einige der älteren Präparate tragen große
gedruckte Etiketten, auf denen neben dem Vogelnamen und der Fundortsangabe manchmal
auch mit Bleistift handschriftliche Anmerkungen gemacht wurden. Sie lassen erkennen, dass
jene Vögel als Mischlinge verschiedener Sperlingsformen anzusehen seien. Diese
Kommentare stammen von Wilhelm Meise (1901-2002), einem der bedeutendsten deutschen
Ornithologen des 20.Jahrhunderts. Er notierte diese Anmerkungen während seiner
umfangreichen wissenschaftlichen Arbeit über die Systematik der Sperlinge, die im Jahre
1936 erschien und für Jahrzehnte die wichtigste Publikation über die schwierigen
Verwandtschaftsverhältnisse der europäischen und nordafrikanischen Sperlinge wurde. Sein
Beitrag enthält neben einer akribischen Analyse ihrer äußerlichen Kennzeichen und
Verbreitung auch Schlussfolgerungen darüber, wie diese Merkmale und Verbreitungsmuster
in stammesgeschichtlicher Hinsicht interpretiert werden können.
Hypothese: Italiensperlinge sind Hybriden:
Als Ergebnis seiner Studien kam Wilhelm Meise nämlich zu dem Schluss, das
charakteristische Aussehen des Italiensperlings Passer italiae sei mit der Hybridisation der
beiden Stammformen Haussperling Passer domesticus und Weidensperling Passer
hispaniolensis zu erklären. Deshalb würden Italiensperlinge eine Kombination der äußeren
Merkmale beider Formen zeigen. Diese Argumentation war von so großer
Überzeugungskraft, dass sie bis heute akzeptiert wird. Der Italiensperling entwickelte sich
sogar zum Paradebeispiel für die Artbildung durch Hybridisation, obwohl nur wenige
Beispiele aus der Vogelwelt dafür bekannt sind.
In den 70 Jahren seit Wilhelm Meises Veröffentlichung ist eine Reihe neuer
Untersuchungsmethoden hinzugekommen, mit deren Hilfe sich das Phänomen der
hybridogenen Artbildung weiter untersuchen lässt, wie zum Beispiel die Bioakustik oder die
Molekulargenetik. Trotzdem setzte man sich nur wenig damit auseinander, ob sich die
Hypothese mit den modernen Arbeitsmethoden, die Meise noch gar nicht zur Verfügung
standen, überhaupt bestätigen lässt.
Streifzug: Zwei Jahrhunderte Sperlingsforschung:
Schon lange vor Wilhelm Meise haben sich Wissenschaftler ernsthaft mit den italienischen
Sperlingen und ihren Verwandtschaftsverhältnissen beschäftigt. 1758 gilt als Jahr der
wissenschaftlichen Erstbeschreibung des Haussperlings durch den schwedischen
Naturforscher Carl von Linne, Italien- und Weidensperling wurden erst 1817 und 1820 von
dem Franzosen Louis Jean Pierre Vieillot bzw. dem Niederländer Coenraad Jacob Temminck
beschrieben.
Weil man zum Zeitpunkt ihrer Beschreibung generell keine Unterarten unterschied, galten
alle drei Sperlingsformen zunächst als eigenständige Arten. Dass diese Vögel aber in einem
engen Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen müssen, war allein schon deshalb
naheliegend, weil zwar die Männchen recht verschieden aussehen, die Weibchen aber fast
ununterscheidbar sind. Aus diesem Grunde kamen schnell die unterschiedlichsten Ansichten
darüber auf, ob nicht zumindest jeweils zwei oder sogar alle drei Formen zu einer Art gehören
könnten. Es dauerte aber fast noch einhundert Jahre, bis die ersten Hypothesen über eine
mögliche Entstehung des Italiensperlings durch Hybridisation geäußert wurden.
Unterstützt wurde dies dadurch, dass sich in manchen Gebieten Nordafrikas Haus- und
Weidensperlinge miteinander vermischen und Hybriden hervorbringen, die Merkmale beider
Ausgangsformen aufweisen. Der englische Ornithologe Joseph Isaac Spadafora Whitaker
bezeichnete diese Mischpopulationen schon 1898 als „Bastardrasse", eine Ansicht, welche die
bekannten Vogelkundler und Sammler Lionel Walter Rothschild und Ernst Hartert im Jahre
1912 nach ihren Exkursionen in Algerien bekräftigen. Deren Aussagen beziehen sich jedoch
ausdrücklich nicht auf den Italiensperling. Erst 1913 vermutet der deutsche Afrikareisende
Otto Graf Zedlitz, dass es sich beim Italiensperling um ein Vermischungsprodukt aus Hausund Weidensperling handeln könnte. Damit ist er derjenige, der den Grundstein für die
Hypothese der hybridogenen Entstehung des Italiensperlings legte. Es war dann an
Wilhelm Meise, diese Annahme mit seiner detaillierten Studie entwicklungsgeschichtlich zu
begründen.
Neue Arten durch Hybridisation?:
Im Freiland kann man einer ganzen Reihe von Mischlingen verschiedener Vogelformen
begegnen, deren äußere Merkmale und vielleicht auch deren Verhalten Elemente der
Elternformen aufweisen. Dabei werden Mischlinge aus Unterart-Kreuzungen im Allgemeinen
nicht als Hybriden bezeichnet. „Echte" Hybriden entstehen dagegen aus Kreuzungen
zwischen Angehörigen verschiedener Arten oder gar Gattungen. Solche Hybriden sehen
jedoch nicht immer gleich aus, sondern vereinen ein breites Spektrum an Merkmalen der
Elternformen. Die Häufigkeit der Hybridisation zwischen Angehörigen verschiedener Arten
oder Gattungen ist innerhalb der Vogelverwandtschaft ganz verschieden.
Nahezu alle Vogelhybriden kommen nur in einzelnen Individuen vor. Das bedeutet, dass sich
kaum stabile Hybridpopulationen bilden, die eine nur ihnen eigene hybride
Merkmalskombination konstant weitervererben. Für die italienischen Sperlinge galt bislang
aber genau das als das wahrscheinlichste Entstehungsszenario. Weil die männlichen Vögel
nämlich die braune Kopfkappe der Weidensperlinge haben, andererseits aber ihre schwächere
Brust- und Flankenstreifung eher an den Haussperling erinnert, wurde diese spezielle
Merkmalskonstellation als Indiz für eine hybride Entstehung angenommen.
Die äußerlichen Merkmale variieren jedoch in verschiedenen Regionen ihres
Verbreitungsgebietes, was zwischenzeitlich auch zur Beschreibung wiederum eigener Formen
im Areal des Italiensperlings führte. Um diese Merkmalsverschiebung beschreiben zu
können, benutzte Wilhelm Meise einen selbst entworfenen Index, mit dessen Hilfe er die
Ausbildung ausgewählter Körpermerkmale kennzeichnete. Dafür definierte er bestimmte
Zahlenwerte, die nach der Addition Werte von 0 bis 100 ergaben, wobei reine Haussperlinge
um den Wert 0 liegen und reine Weidensperlinge Werte von etwa 100 erreichen. Ein typischer
Italiensperling sollte seiner Aufschlüsselung nach bei etwa 50 liegen, also eine mittlere
Position einnehmen. Und tatsächlich konnte er damit sehr anschaulich belegen, wie sich das
Aussehen der Sperlinge von der scharf begrenzten Hybridisationszone mit dem Haussperling
im Alpenraum entlang der Apenninenhalbinsel vom Haussperlingstyp über den
Italiensperling schrittweise bis zum Weidensperlingstyp verändert.
Aus seinen Erkenntnissen zog Meise zwei Schlüsse: Der Italiensperling ist eine Unterart des
Haussperlings und ein altes Hybridisationsprodukt aus Haus- und Weidensperling.
[Wieso kann ein Hybrid eine Unterart sein?]
Erstere Festlegung ist durchaus diskussionswürdig, denn sie beruht nach Meises Worten auf
seiner willkürlichen Entscheidung, die scharfe und kleinräumige Mischzone mit dem
Haussperling im Alpenraum sei ein Zeichen ihrer gemeinsamen Artzugehörigkeit. Die
Hybridisationshypothese ist methodisch allerdings viel fragwürdiger. Wilhelm Meise
begründet den Status des Italiensperlings mit den in der Mitte liegenden Merkmalsindizes, die
einen Hybridcharakter belegen sollen. Weil er aber schon von vorneherein die Bewertung
einzelner Merkmale bewusst so vornahm, dass sich bei Italiensperlingen der
Zwischenwert von 50 ergibt, nehmen diese Vögel im Ergebnis natürlich auch eine
mittlere Stellung ein. [Subjektivität der Merkmalsbewertung]. Damit ist ein klassischer
Zirkelschluss entstanden: Eine vorher willkürlich vorgenommene Bewertung von
Merkmalen als intermediär muss zwangsläufig zu einem intermediären Endwert führen.
Das erklärt aber nicht die Entstehung des Italiensperlings durch Hybridisation, sondern zeigt
nur, dass er Merkmale von beiden möglichen Ausgangsarten hat.
Die von Meise vorgenommene Datenerhebung ist jedoch an sich nicht fehlerhaft, nur eignet
sich das gewählte Vorgehen methodisch nicht zur Absicherung seiner Hypothese! Mit
Ausnahme von Burkhard Stephan, der schon seit den 1980er Jahren wiederholt auf diese
Schwäche der Meiseschen Argumentation hinwies, kritisierte jedoch keiner der späteren
Sperlingsspezialisten die Hybridisationshypothese.
Nun ist die Artbildung durch Hybridisation ein biologisches Phänomen, das besonders in der
Pflanzenwelt recht häufig vorkommt und auch schon zu Meises Zeiten ausführlich behandelt
und mithilfe ähnlicher Hybridindizes untersucht wurde. Zumindest aber in der Vogelwelt
haben sich die meisten Fälle einer vermuteten hybridogenen Artbildung nicht bestätigen
lassen. Man muss wohl vielmehr davon ausgehen, dass Hybridisationen für die Entstehung
neuer Arten bei Vögeln kaum eine Rolle spielen, obwohl sie in Einzelfällen nicht selten
vorkommen.
Ein gedanklicher Flaschenhals:
Frappierend an Meises Veröffentlichung ist die enorme Autorität seiner Schlussfolgerungen,
die für fast dreißig Jahre nahezu alle ornithologischen Publikationen über diese Sperlinge
beherrschte. Die zeitliche Abfolge der Positionen lässt sich mit einer Sanduhr vergleichen:
Zunächst gibt es vier unabhängige unterschiedliche Ansichten, dann wird der Italiensperling
nahezu ausschließlich dem Haussperling als Unterart zugeschlagen, der gedankliche Strom
fließt sozusagen zusammen. Dieser „Flaschenhals" verbreitert sich erst ab etwa Mitte der
1970er Jahre wieder, dann vereinigt aber kaum noch jemand alle drei Sperlingsformen in
einer Art.
Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass sich viele der feldornithologischen Arbeiten
nicht vorrangig mit dem Status des Italiensperlings befassen, sondern die Vögel lediglich
entsprechend der jeweils üblichen Kategorisierung bezeichnen. Der „Flaschenhals" entsteht
also in erster Linie durch die schlichte Übernahme der zeitgenössischen nomenklatorischen
Festlegungen, genau so, wie auch heute jeder Vogelbeobachter die beobachteten Vögel nach
den aktuellen Referenzlisten benennen würde.
Doch nicht nur der Unterartstatus hatte lange Bestand, sondern vor allem die
Hybridisationshypothese, die bis heute kaum ernsthaften Widerspruch fand. Selbst dann,
wenn die Autoren über die taxonomische Zuordnung des Italiensperlings entgegengesetzte
Positionen vertraten oder mit neuen Methoden verbesserte Erkenntnisse erzielten,
interpretierte man diese stets so, als ob sie das Ergebnis der Hybridisation zwischen Hausund Weidensperling seien. Dass manche Resultate mit diesem vorgegebenen Bild nicht in
Übereinstimmung zu bringen waren, wurde dann zumeist mit komplizierten Szenarien
verschiedener wiederholter Hybridisationsereignisse zu begründen versucht. Die
Stichhaltigkeit der Ursprungshypothese selbst wurde jedoch kaum überprüft. Die Ursachen
dafür liegen wohl im allzu vertrauensvollen Berufen auf Zitate sowie in den mangelnden
Kenntnissen der deutschen Sprache vieler ausländischer Sperlingsforscher.
Viele aktuelle Erkenntnisse und eine alte Hypothese:
Wie entwickelte sich also die Sperlingsforschung nun in jüngerer Zeit weiter? Zunächst gab
es seit Ende der 1960er Jahre weitere gründliche Studien zur Größen- und Färbungsvariation
des Italiensperlings durch den amerikanischen Zoologen Richard F. Johnston, der in Italien
unterwegs war. Er bestätigte viele von Meises Feststellungen und übernahm auch dessen
Interpretation einer hybriden Entstehung der Form, war aber der Erste, der sie seit über
dreißig Jahren nicht als Haussperlingsunterart klassifizierte. Seine Ansicht der
Artselbstständigkeit des Italiensperlings wurde insbesondere in den letzten zwanzig Jahren
von zahlreichen Ornithologen vehement vertreten, wenn auch vielfach nur aus so genannten
„praktischen Gründen". Diese „praktischen Gründe" waren Schlichtweg dem Umstand
geschuldet, dass man die angewachsenen Erkenntnisse über die
Verwandtschaftsverhältnisse der italienischen Sperlinge nicht mit deren angenommener
Hybridherkunft in Einklang bringen konnte. Drei parallele verschiedene taxonomische
Auffassungen und die damit verbundene Verwirrung bewog offenbar etliche Ornithologen zu
dem vermeintlich nützlichen Kompromiss, den Italiensperling als eigene Art zu bezeichnen,
bis eindeutige Daten über seinen Status vorliegen.
Diese Erkenntnisse liegen aber eigentlich schon vor. Insbesondere hat eine italienische
Arbeitsgruppe um Domenico Fulgione aus Neapel seit Mitte der 1990er Jahre sehr viele
mithilfe eines breiten Methodenspektrums gewonnene Daten geliefert. Neben den
„klassischen" Arbeitsweisen waren auch Bioakustik, Reproduktionsbiologie,
Molekulargenetik und Chromosomenstudien mit einbezogen. Alle Teilergebnisse zeigen, dass
der Italiensperling viel mehr Gemeinsamkeiten mit dem Weidensperling hat als mit dem
Haussperling. In vielerlei Hinsicht gehen die Merkmale des Italiensperlings entlang des
italienischen Stiefels graduell in die des Weidensperlings über, währenddessen die recht
scharf abgegrenzte Mischzone mit dem Haussperling in den Alpen einen deutlichen
Bruch in diesem Ablauf darstellt. Trotzdem gibt es selbst mit modernsten
Untersuchungsmethoden widersprüchliche Ergebnisse. So kamen zwei Arbeitsgruppen in
Spanien und Italien mittels unterschiedlicher molekulargenetischer Methoden zu
entgegengesetzten Schlussfolgerungen, was die verwandtschaftliche Nähe zu Haus- oder
Weidensperling anbelangt.
Neue Einsichten aus alten Arbeiten:
Die Annahme, der Italiensperling sei durch Hybridisation entstanden, ist also nicht
länger haltbar. Damit lässt sich auch sein taxonomischer Status viel einfacher begründen.
Berücksichtigt man die geographische Verteilung der Merkmale und die neueren
Erkenntnisse über Stimmen und Genetik, so deutet die Mehrzahl überzeugender
Anhaltspunkte darauf hin, den Italiensperling als Unterart des Weidensperlings
aufzufassen. Dafür spricht auch, dass sich der Weidensperling in Spanien, wo er
gemeinsam mit dem Haussperling vorkommt, nur selten vermischt und auch dort,
ähnlich wie im Alpenraum, keine großflächige Mischzone zwischen beiden Formen
existiert. In der süditalienischen Übergangszone vermischen sich dagegen Italien- und
Weidensperling. Haus- und Weidensperlinge erweisen sich also als fortpflanzungsmäßig
getrennte Formen, während zwischen Italien- und Weidensperling keine so starke
Fortpflanzungsbarriere besteht. [Was ist mit den „Italiensperlingen" von Kreta? Sind das
jetzt die Hybriden?]
Will man das mit den wissenschaftlichen Namen ausdrücken, so muss man sich an die
Prioritätsregel halten, die besagt, dass bei Arten mit mehreren Unterarten deren ältester Name
gleichzeitig als Artname dient. Er folgt als Zweiter hinter der Gattungsbezeichnung, die
Unterartnamen an dritter Stelle. Weil der wissenschaftliche Name des Italiensperlings älter als
der des Weidensperlings ist, lauten beide Namen nomenklatorisch korrekt: Passer italiae
italiae (Italiensperling) und Passer italiae hispaniolensis (Weidensperling).
Was lehrt dieses Beispiel aber über den rein fachlichen Aspekt hinaus?
• Auch etabliertes Allgemeingut muss kritisch hinterfragt werden. Manches Althergebrachte
ist das Ergebnis von zeitgenössischen Denkweisen und vor allem technischen Möglichkeiten,
die sich inzwischen weiterentwickelt haben. Historische Schlussfolgerungen im Lichte
neuerer Erkenntnisse zu revidieren, mindert Leistungen früherer Forscher nicht.
• Die italienischen Sperlinge zeigen, wie stark unsere Wahrnehmung der Vögel als „Arten"
oder „Unterarten" von den Änderungen ihrer systematischen Zuordnung in offiziellen
Artenlisten beeinflusst wird. Wissenschaftliche Namen sind jedoch in der biologischen
Systematik in erster Linie ein Arbeitsmittel des Systematikers, der mit ihrer Gruppierung
bestimmten Konzepten über Artbildung und Klassifikationsweisen folgt. Solche
Entscheidungen sind niemals unumstößlich und bedürfen des stetigen Abgleichs mit aktuellen
Erkenntnissen aus der ornithologischen Feldforschung (Wie verhalten sich Vögel zueinander?
Vermischen sich ansonsten unterscheidbare Vogelformen? Sind die Nachkommen aus
Mischbruten benachteiligt?). Vogelbeobachter können entscheidend dazu beitragen, die
Systematik der Vögel auf einem modernen Stand zu halten, aber nur, wenn sie die
taxonomischen Festlegungen der Checklisten nicht einfach als zementiertes Wissen
übernehmen, sondern als veränderbare Arbeitsgrundlage begreifen.
Verbreitungskarte: Die Verbreitung der drei Sperlingsformen (grau: Haussperling, hellgrün:
Weidensperling, hellbraun: Italiensperling). Die gezackte Line stellt die schmale
Hybridisationszone zwischen Haus- und Italiensperling im Alpenraum dar. In Teilen der
von Haus- und Weidensperlingen gemeinsam bewohnten Gebiete (olivgrün) findet eine
lokale Hybridisation statt. Die hellgrünen Punkte in Italien sind aktuelle Ansiedlungen des
Weidensperlings, die momentan ohne Vermischung neben den Italiensperlingen zu
existieren scheinen.
Formen, Arten und Unterarten:
Grundlegend für das Verständnis von Artbildungsprozessen ist die Tatsache, dass Tiere
Fortpflanzungsgemeinschaften (Populationen) bilden. Die Angehörigen der Populationen
haben bestimmte gemeinsame Merkmale. Kann man sie nach einer bestimmten
Merkmalskombination von anders gekennzeichneten Populationen unterscheiden, werden
solche Populationen nicht selten als eine eigene „Form" zusammengefasst und benannt. Der
Begriff „Form" ist neutral, ihr kann aber nach dem Ermessen des Systematikers ein
taxonomischer Rang zugeordnet werden. Ein solcher Rang ist zum Beispiel die „Art" oder die
„Unterart". [Ich unterscheide: Form = Mutante (Ausnahme, z.B. Albino); Morphe =
regelmäßig auftretender abweichender Typ mit biologischer Rolle; Unterart = Rasse =
abweichende Population in eigener Nische oder geografischer Entfernung, klinal
untereinander verbunden; Art = intrinsisch oder extrinsisch abgetrennte, eigene
Genflussgemeinschaft.]
In der wissenschaftlichen Biologie gibt es immer noch Diskrepanzen darüber, wie der Begriff
„Art" (Spezies) eigentlich definiert ist. Weit verbreitet ist der sogenannte Biologische
Artbegriff, der besagt, dass Angehörige einer Art sich miteinander kreuzen und fruchtbare
Nachkommen hervorbringen, von Angehörigen anderer Arten aber in ihrer Fortpflanzung
isoliert sind. Wenn es sich um geographisch weit verbreitete Arten handelt, können manche
Populationen eigenständige Merkmalskombinationen entwickelt haben, die sie auch äußerlich
von den anderen Populationen derselben Art unterscheiden. Aber sie haben ihre gemeinsame
Fortpflanzungsfähigkeit nicht eingebüßt! [oft doch] Sind die äußeren Unterschiede in den
Merkmalen charakteristisch und stabil, wird den Tieren der Status einer Unterart (Subspezies)
zuerkannt, den man mit einem aus drei Wörtern bestehenden wissenschaftlichen Artnamen
bezeichnet. Die Namensgebung wird durch verbindliche Nomenklatur-Regeln festgelegt.
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