PD Dr. Sebastian Kubis Vorlesung Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler 26.10.2006 II. Der allgemeine Teil des BGB „Vor die Klammer gezogene“ Normen, die für alle folgenden Bücher des BGB Bedeutung und grundsätzliche Geltung haben sollen; (P) für Darstellung und Fallbearbeitung: ein privatrechtlicher Fall lässt sich i.d.R. nur lösen, wenn man das Ineinandergreifen von Normen aus unterschiedlichen Büchern des BGB beachtet: bei Beurteilung eines Kaufvertrages sind nicht nur die §§ 433 ff. BGB, sondern auch Vorschriften des „Allgemeinen“ Schuldrechts (§§ 241 ff. BGB) und des Allgemeinen Teils zu berücksichtigen. 1. Rechtssubjekte und Rechtsobjekte a) Natürliche und juristische Personen aa) Natürliche Personen (§§ 1-12 BGB) Fall: Frau Erna hat ihren Hund Fiffi testamentarisch zu ihrem Alleinerben eingesetzt; von wem wird sie bei ihrem Tode beerbt? Rechtsfähigkeit: § 1 BGB (Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein); liegt vor ab Vollendung der Geburt; aber: § 1923 II BGB (Vorverlagerung der Erbfähigkeit); da der Hund Fiffi nicht rechtsfähig ist (vgl. § 90a BGB), tritt mit Ernas Tod die gesetzliche Erbfolge ein. Zu unterscheiden von der Rechtsfähigkeit sind: o Deliktsfähigkeit, §§ 827, 828 BGB: Verantwortlichkeit für unerlaubte Handlungen. o Geschäftsfähigkeit, §§ 104 ff. BGB: Fähigkeit, wirksame Willenserklärungen abzugeben. Persönlichkeitsrechte: Regelung des Namensrechts, § 12 BGB; darüber hinaus Schutz anderer „besonderer Persönlichkeitsrechte“ (z.B. Recht am eigenen Bild, vgl. §§ 22 f. KUG) und des richterrechtlich anerkannten „allgemeinen Persönlichkeitsrechtes“ (vgl. Art. 1, 2 GG). 1 PD Dr. Sebastian Kubis Vorlesung Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler 26.10.2006 bb) Juristische Personen (§§ 21-89 BGB) Fall: Die Mitgliederversammlung des Gesangsvereins „Liedertafel Laboe e.V.“ beschließt mit 60-50-20 Stimmen, ein Vereinshaus zu kaufen. Wer schließt den Kaufvertrag für den Verein , wenn dieser einen dreiköpfigen Vorstand hat? Verein (§§ 21-79 BGB) hat selbständige juristische Persönlichkeit, ist also – nach der konstitutiven Eintragung ins Vereinsregister (§ 21 BGB) – rechtsfähig; Verein = Grundform der juristischen Person; für den Verein handelt der Vorstand, § 26 II 1 BGB (nach h.M. auch bei nicht eingetragenem Verein, trotz § 54 Satz 1 BGB). Bedeutung der Eintragung heute insbesondere: Beschränkung der Haftung auf das Vereinsvermögen. Für das Wirtschaftsleben haben die Vorschriften über den Verein durchaus Bedeutung; denn diese BGB-Regeln sind die allgemeine Grundlage für andere juristischen Personen, insbesondere die GmbH und AG; die Spezialregeln über diese Gesellschaften werden notfalls ergänzt durch einen Rückgriff auf das Vereinsrecht. Stiftung (§§ 80-88 BGB): Vermögensmasse zur Verwirklichung des vom Stifter bestimmten Zweckes; häufig: Familien- und Unternehmensstiftungen (z.B. Lidl). b) Sachen (§§ 90-103) Abschnitt verfehlt platziert: gehört eigentlich ins dritte Buch, da er (wohl) für die anderen Abschnitte nicht gilt (z.B. § 433 BGB: „Sache“ im Sinne des Kaufrechts kann auch ein Recht sein, § 437 BGB). Sachen sind keine „Rechtssubjekte“, sondern Rechtsobjekte; § 90 BGB definiert sie als „körperliche Gegenstände“; Sachen können beweglich (Mobilien) oder unbeweglich (Immobilien, Grundstücke) sein. Abgrenzung zu unkörperlichen Gegenständen: unkörperliche Gegenstände sind in erster Linie Rechte; sie werden (wie bereits gesehen) unterteilt in: 2 PD Dr. Sebastian Kubis Vorlesung Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler 26.10.2006 o absolute Rechte (Wirkung gegen jedermann), z.B. Eigentum (§ 903 BGB); o relative Rechte (Wirkung gegen die an dem Rechtsverhältnis beteiligten Personen) unterschieden; wichtigster Fall: Anspruch, § 194 BGB (insbesondere im Schuldrecht gleichbedeutend mit der Forderung); z.B. Kaufpreisforderung (§§ 433 II BGB), Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 I BGB. 2. Rechtsgeschäftslehre Bürgerliches Recht geht vom Grundsatz der Privatautonomie aus (vgl. Artt. 1, 2 GG); daher ist es dem einzelnen überlassen, seine Lebensverhältnisse eigenverantwortlich im Rahmen der Rechtsordnung zu gestalten; Schranken der Privatautonomie sind im Privatrecht z.B. die gesetzlichen Verbote (§ 134 BGB), die „guten Sitten“ (§ 138 BGB) und der Grundsatz von „Treu und Glauben“ (§ 242 BGB); im Sachenrecht etwa kann auch der „Typenzwang“ die Gestaltungsfreiheit einer Person einschränken. Rechtsgeschäft = „technisches“ Mittel zur Verwirklichung der Privatautonomie; im Privatrecht gibt es also nicht nur Rechtsverhältnisse, die durch das Gesetz begründet werden (z.B. § 823 I BGB); vielmehr kann jede Person ihre Angelegenheiten (im Rahmen der Gesetze) selbstständig regeln. a) Begriff und Arten von Rechtsgeschäften Eine Definition des Rechtsgeschäfts enthält das BGB nicht; gängige Definition: Rechtsgeschäft = eine oder mehrere Willenserklärungen, die allein oder in Verbindung mit weiteren Tatbestandsmerkmalen eine Rechtsfolge herbeiführen, weil sie gewollt ist. Kern des Rechtsgeschäfts also: „Willenserklärung“, d.h. die Äußerung eines auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichteten Willens (dazu sogleich). Arten von Rechtsgeschäften: wichtig ist insbesondere die Unterscheidung von einseitigen und mehrseitigen Rechtsgeschäften; Beispiel für ein einseitiges Rechtsgeschäft: Testament (§ 2247 3 PD Dr. Sebastian Kubis Vorlesung Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler 26.10.2006 BGB), Ausübung eines Gestaltungsrechts (Anfechtung, § 143 I BGB, Rücktrittserklärung, § 349 BGB); wichtigste Beispiel für ein mehrseitiges Rechtsgeschäft: Vertrag (§§ 145 ff. BGB). Außerdem von besonderer Bedeutung: Unterscheidung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften; Beispiel: der schuldrechtliche („kausale“) Kaufvertrag verpflichtet die Parteien zur Kaufpreiszahlung und zur Übereignung des Kaufgegenstands (§ 433 BGB); erfüllt werden diese Pflichten durch abstrakte Verfügungsgeschäfte: (1) Übereignung der Kaufsache (für bewegliche Sachen nach §§ 929 ff. BGB); (2) bei Bargeschäften Übereignung des Kaufpreises (§§ 929 ff. BGB). Abgrenzung des Rechtsgeschäfts von anderen Arten rechtlich erheblichen Verhaltens: o Geschäftsähnliche Handlung: Erklärung (meist: Aufforderung oder Mitteilung), die den Eintritt einer Rechtsfolge bewirkt, ohne dass es auf den Willen des Erklärenden ankommt; Beispiele: Mahnung (§ 286 I 1 BGB), Kündigung (z.B. § 314 I BGB), Fristsetzung (§ 281 I 1 BGB). o Realakt: Handlung, die lediglich auf Herbeiführung eines tatsächlichen Erfolges gerichtet ist, an die die Rechtsordnung aber (unabhängig vom Willen des Handelnden) bestimmte Rechtsfolgen knüpft; Beispiel: Verbindung, Verarbeitung, Vermischung (§§ 946 ff. BGB). o Unerlaubte Handlung: rechtswidriger (häufig auch schuldhafter) Eingriff in ein fremdes Rechtsgut; Folge können Schadensersatz-, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche sein; Beispiele: Körperverletzung (im Straßenverkehr); Benutzung einer fremden Marke/eines fremden Patents. 4 PD Dr. Sebastian Kubis Vorlesung Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler 26.10.2006 Übersicht: Rechtsgeschäft einseitig verpflichtend mehrseitig verfügend Vermächtnis (§ 1939) Testament (§ 2247) Auslobung (§ 657) verpflichtend verfügend KaufV (§ 433) Übereignung (§ 929) Gestaltungsrechte (Anfechtung, Rücktritt) b) Die Willenserklärung Willenserklärung = wichtigster „Baustein“ des Rechtsgeschäfts; Rechtsgeschäfte bestehen zumindest aus einer Willenserklärung. aa) Grundlagen Def.: Willenserklärung ist eine private Willensäußerung, die auf das Herbeiführen einer Rechtsfolge gerichtet ist. Beispiel: V sagt zu K: „Wenn Du willst, kannst Du meinen gebrauchten Laptop für 500 Euro haben.“ Diese Erklärung allein bringt zwar noch keinen Vertrag zustande; es kann sich aber um eine wirksame Willenserklärung handeln. Bereits am Begriff „Willenserklärung“ erkennt man zwei Bestandteile: Wille (subjektiv) und Erklärung (objektiv). 5 PD Dr. Sebastian Kubis Vorlesung Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler 26.10.2006 bb) Objektiver Tatbestand Objektiv erforderlich: tatsächlicher Erklärungsakt, insbesondere jede mündliche, schriftliche Äußerung oder ein Verhalten, das nach den Umständen als Erklärung anzusehen ist; Beispiel: K nickt auf im obigen Fall mit dem Kopf. In Zweifelsfällen ist durch Auslegung (vgl. §§ 133, 157 BGB) zu ermitteln, welche Bedeutung eine bestimmte Äußerung hat (z.B. bei unklaren Vertragsklauseln) und ob die Äußerung objektiv darauf gerichtet ist, eine bestimmte Rechtsfolge, z.B. einen Vertragsschluss, herbeizuführen. Beispiel: Der M-Markt bietet in seinem wöchentlichen Werbeprospekt ein Notebook für 498,00 Euro an. Diese Werbung ist nach der „Verkehrsauffassung“ keine Willenserklärung, sondern lediglich eine Aufforderung an die Kunden, dem M-Markt ihrerseits den Abschluss eines Vertrages anzubieten (invitatio ad offerendum). Schweigen ist grundsätzlich kein „rechtserhebliches“ Verhalten; Ausnahmen kommen insbesondere im kaufmännischen Verkehr in Betracht, wenn ein Kaufmann auf ein „kaufmännisches Bestätigungsschreiben“ nicht reagiert. cc) Subjektiver Tatbestand Subjektiv wird der „Wille“ in Handlungswille, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille aufgegliedert. (P) welche subjektiven Anforderungen müssen im einzelnen erfüllt sein, damit eine wirksame Willenserklärung vorliegt? (1) Handlungswille Beispiel: Im Schlaf murmelt M: „Ich will Dich heiraten.“ Die neben ihm liegende F, die M wenige Stunden zuvor auf der Erstsemester-Party kennengelernt hat, haucht erfreut: „Ja.“ Sind beide verlobt (§ 1297 BGB)? Nein, M hatte keinen Handlungswillen, da seine Äußerung nicht vom Bewusstsein gesteuert war. 6 PD Dr. Sebastian Kubis Vorlesung Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler 26.10.2006 (2) Erklärungsbewusstsein Beispiel („Trierer Weinversteigerung“): M besucht zum ersten Mal eine Weinversteigerung. Kurz nachdem er den Raum betreten hat, lächelt ihn die bezaubernde F, die in der ersten Reihe sitzt, an. Erfreut winkt M ihr zu. In diesem Moment erteilt der Auktionator A dem M den Zuschlag für einen seltenen Bordeaux zum Preis von 7.000 Euro. M wusste nicht, dass das Heben der Hand bedeutet, ein Angebot über den Kauf der Weinflasche abzugeben; dieses Angebot wurde vom Auktionator angenommen (vgl. § 156 BGB). A hat willentlich, aber ohne Erklärungsbewusstsein (manche benutzen hier auch den Begriff „Rechtsbindungswillen“) gehandelt. Da er zurechenbar den Anschein erweckt hat mitzubieten, ist er an seine Erklärung gebunden. Er kann sich allerdings durch Anfechtung (§§ 142 I, 119 I BGB) von dem Vertrag lösen (vgl. BGHZ 91, 324), muss aber u.U. Schadensersatz (§ 122 BGB) leisten. (3) Geschäftswille Geschäftsmann G unterschreibt einen von seiner Sekretärin vorgelegten Brief, der ein Kaufangebot enthält. Dabei denkt G, es handle sich um einen Arbeitsvertrag für einen neuen Angestellten. Hier hat G Erklärungsbewusstsein, weil er der Auffassung ist, etwas Rechtserhebliches zu tun. Zwar fehlt ihm für den Kaufvertrag der „Geschäftswille“; das hindert aber nicht die Annahme einer Willenserklärung. 7 PD Dr. Sebastian Kubis Vorlesung Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler 26.10.2006 Merke: Zwingend erforderlich für eine wirksame Willenserklärung ist nur der Handlungswille; der fehlende Geschäftswille ist immer unerheblich; auch das fehlende Erklärungsbewusstsein steht einer wirksamen Willenserklärung nicht entgegen, wenn der Erklärende nur zurechenbar den Eindruck erweckt hat, etwas Rechtserhebliches zu erklären; immerhin kann der Erklärende sich in diesem Fall aber durch Anfechtung (§§ 119 I, 142 I BGB) von seiner Erklärung lösen. c) Wirksamwerden von Willenserklärungen Manche Willenserklärungen werden in dem Moment wirksam, in dem sie abgegeben werden; Beispiele: Testament, § 2247 BGB, Auslobung, § 657 BGB („Der Pudel Daisy ist weggelaufen. 500 Euro für den, der ihn wiederfindet“); diese Willenserklärungen bezeichnet man als „nicht empfangsbedürftig“. Viele Willenserklärungen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Kommunikation, z.B. Willenserklärungen, die auf den Abschluss eines Vertrages gerichtet sind; diese Willenserklärungen sind „empfangsbedürftig“, d.h. sie müssen vom Erklärenden abgegeben werden und dem Empfänger zugehen, um wirksam zu sein (§§ 130132 BGB): o Abgabe: willentliche Entäußerung einer Willenserklärung „in Richtung auf den Erklärungsempfänger“; Beispiel: K wirft den Brief mit einer Bestellung von Büromaterial in den Briefkasten. o Zugang: Erklärung kommt so in den Machtbereich des Empfängers, dass die Kenntnisnahme unter normalen Umständen zu erwarten ist; Beispiel: geht Ks Brief auf der Post verloren, so ist die Willenserklärung mangels Zugangs nicht wirksam geworden. 8 PD Dr. Sebastian Kubis Vorlesung Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler 26.10.2006 d) Vertragsschluss Der Vertrag ist die wichtigste Form des Rechtsgeschäfts. Er kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, die aufeinander bezogen sind, zustande; diese beiden für einen (zweiseitigen) Vertrag erforderlichen Willenserklärungen nennt man Angebot und Annahme. aa) Angebot und Annahme Angebot = empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die ein Vertragsschluss einem anderen so angetragen wird, dass nur von dessen Einverständnis das Zustandekommen abhängt. Das Angebot muss daher die wesentlichen Vertragsbestandteile enthalten, beim Kaufvertrag insbesondere Kaufgegenstand, Kaufpreis, Person der Vertragspartner; Beispiel: K bestellt bei V „verbindlich“ einen neuen Monitor, Typ „NormaScreen 3000“, zum Preis von 348,00 Euro. Im übrigen gelten die o.a. Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine Willenserklärung, d.h.: es muss der objektive und subjektive Tatbestand einer Willenserklärung (soweit erforderlich) vorliegen, und die Willenserklärung muss wirksam sein. S. zum Vertragsschluss den Beispielsfall „Kurt Kelter – Vincent Vino“! 9