FACHVERBAND PHILOSOPHIE Mitteilungen Heft 44/2004 3 Inhalt Mitteilungen 4 Der neue Vorstand des Fachverbands Philosophie 5 Schüler denken mit Kant (Martina Dege) 7 Philosophie zwischen Normalität und Abenteuer (Werner Busch) 8 Philosophieren als Mittel zur Persönlichkeitsstärkung (Evelina Ivanova) 17 Philosophieren mit Kindern in der Primarstufe Sinnreflexion und Werterziehung in der Grundschule (Silke Pfeiffer) Arbeitsgruppe „Philosophieren mit Kindern im Primarbereich“ Konferenz zum Philosophieren mit Kindern im Primarbereich 30 Veranstaltungshinweise 36 Der Kampf der Geschlechter oder Das Verschwinden des Weiblichen im Mythos der Moderne (Martina Dege) 38 Nachrichten aus den Landesverbänden Berlin Sachsen Anhalt 46 Berichte von Tagungen und Kongressen Bundeskongress des Fachverbandes Philosophie Tagung des Fachverbands Ethik 25 Jahre ZDPE – ein Geburtstagssymposion Kolloquium zur antiken Philosophie 48 Rezensionen 53 Protokoll der Mitgliederversammlung 56 Beitrittserklärung (Vordruck) 59 Adressen des Bundesverbandes und der Landesverbände 61 Impressum 62 MITTEILUNGEN 44/2004 4 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf sie als neuer Bundesvorsitzender des Fachverbandes Philosophie recht herzlich begrüßen. Auf der letzten Mitgliederversammlung am 20. September 2003 in Schwerin wurde ein neuer Vorstand gewählt, der auf den nächsten Seiten vorgestellt wird. Dank gebührt an dieser Stelle Dr. Frank Witzleben und Roland Willareth, die sich sechs Jahre lang als Bundesvorsitzender und Bundeskassenwart engagiert haben. Auf der Schweriner Tagung kam es außerdem zur Gründung einer Arbeitsgruppe „Philosophieren mit Kindern im Primarbereich“. Diese Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Dr. Silke Pfeiffer veranstaltet am 23./24. April 2004 in Oldenburg eine Konferenz zum Philosophieren mit Kindern im Primarbereich, zu der ich alle Interessierten herzlich einladen möchte. Weitere Informationen dazu finden Sie auf den gelben Seiten in der in der Heftmitte. Bitte beachten Sie auch die Hinweise auf eine weitere Veranstaltungen zur Kinderphilosophie, auf die Tagungen „Geist und Gehirn“, „Tradition und Traditionsbruch“ sowie das Weltjugendforum in Höchstadt/Aich auf S. 36/37. Das Kant-Porträt von K. J. Boehringer auf der Titelseite soll daran erinnern, dass in diesem Jahr des 200. Todestages des Königsberger Philosophen gedacht wird. Aus diesem Anlass hat Martina Dege ein Projekt mit Schülerinnen und Schülern durchgeführt, dessen Ergebnisse sie an verschiedenen Stellen dieses Heftes abgedruckt finden. Weitere Hauptthemen der Mitteilungen sind die Entwicklung des Faches Philosophie und der Philosophiedidaktik in den letzten Jahrzehnten, wozu Werner Busch in seiner Rede anlässlich des Symposions in Hannover einiges angemerkt hat, Philosophie als Mittel zur Persönlichkeitsstärkung (Evelina Ivanova) und die Philosophie der Geschlechter (Martina Dege). Nachrichten aus den Landesverbänden, Berichte von Kongressen und Veranstaltungen sowie Rezensionen sollen Ihnen einen Überblick geben, was sich im letzten Jahr im Bereich der Verbandsarbeit und der Schulphilosophie ereignet hat. Gerne möchte ich die Mitglieder des Fachverbandes Philosophie ermuntern, eigene (auch kürzere) Beiträge einzureichen. Wer hat im Philosophieunterricht bestimmte Erfahrungen gemacht, neue Themen oder Methoden ausprobiert, Bücher gelesen, Projekte durchgeführt, über zu berichten sich lohnte? Wer hat Anregungen, die er anderen mitteilen, wem brennt etwas auf den Nägeln, über das er sich mit anderen austauschen möchte? Lassen Sie es mich wissen. Ihr Bernd Rolf FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 5 Der neue Vorstand des Fachverbands Philosophie Auf der Mitgliederversammlung des Fachverbands Philosophie am 20. September 2003 in Schwerin wurde der Bundesvorstand neu gewählt (vgl. Protokoll, S. 56). Der neue Vorstand des Bundesverbandes (von links nach rechts): Dr. Bernd Rolf (Vorsitzender), Martina Dege (Stellvertretende Vorsitzende). Edgar Fuhrken (Kassenwart), Jürgen Mühlstädt (Schriftführer) Bundesvorsitzender: Dr. Bernd Rolf (bisher stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes, Landesvorsitzender NRW), geb. am 01.03.1950. Studium der Philosophie, Germanistik und Pädagogik an der Universität Köln. Lehrer für Philosophie, Praktische Philosophie und Deutsch am Kardinal-von-Galen-Gymnasium in Kevelaer. Fachberater für Philosophie bei der Bezirksregierung Düsseldorf, Moderator in der Lehrerfortbildung Philosophie und in der Qualifikation von Lehrerinnen und Lehrern der Praktischen Philosophie, Lehrbeauftragter für Didaktik der Praktischen Philosophie an der Universität Essen. Mitarbeit an der Konzeption des Faches Praktische Philosophie am Landesinstitut für Schule und Weiterbildung. Schulbuchautor und Verfasser von Beiträgen zur Didaktik der Philosophie. Adresse: Hubertusstr. 123, 47623 Kevelaer Tel. 02832-7392, E-Mail: [email protected] Stellvertretende Bundesvorsitzende: Martina Dege, geb. am 27.04.1952. Studium der Fächer Germanistik, Anglistik, Geschichte, Philosophie und Pädagogik in Freiburg, Hamburg und Wien. Im MITTEILUNGEN 44/2004 6 Schuldienst seit 1979, zur Zeit als Koordinatorin am Emilie-Wüstenfeld-Gymnasium Hamburg. Fachverbandsvorsitzende in Hamburg seit 1993. Regelmäßige Mitarbeit in der Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik, Schwerpunkt: Schreibdidaktik. Adresse: Heinrich-Barth-Str. 8, 20146 Hamburg Tel.: 040-443886, E-Mail: [email protected] Kassenwart: Edgar Fuhrken, geb. am 23.11.1942. Studium der Ev. Theologie, Mathematik und Philosophie an den Universitäten Tübingen und Kiel. Lehrer am Fachgymnasium Technik Kiel seit dessen Gründung. Kurzzeitige weitere unterrichtliche Tätigkeiten, z.B. Lehrauftrag am Institut für Pädagogik der CAU Kiel. Diverse Auflandsaufenthalte zur Fortbildung und zu Schüleraustauschen. Mitglied der Lehrplankommission Philosophie für Fachgymnasien und Fachoberschulen in den 80-iger Jahren. Gründungsmitglied des Landesverbandes Schleswig-Holstein, seit der Gründung Landeskassenwart. Adresse: Seeadlerweg 10, 24159 Kiel Tel.: 0431-373732, E-Post: [email protected] Schriftführer: Jürgen Mühlstädt, geb. am 24.02.1941. Studium der Philosophie, Germanistik, Griechisch, Latein und Soziologie in Freiburg/Br. und Tübingen. Unterrichtliche Tätigkeit an mehreren Gymnasien, darunter am Abendgymnasium der Stadtgemeinde Bremen; Unterrichtsfächer: Philosophie, Deutsch, alte Sprachen. Seit 1977 Fachseminarleiter für Erziehungswissenschaften und Philosophie am Landesinstitut für Schule des Landes Bremen. Verfasser des derzeitigen Lehrplans Philosophie für die Oberstufe. Seit 1971 Mitglied des Fachverbandes Philosophie, seit 1976 stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Bremen-Oldenburg, seit vielen Jahren Schriftführer des Bundesverbandes. Adresse: Klattenweg 17, 28213 Bremen Tel.: 0421-213725, E-Mail: [email protected] Dank an Dr. Frank Witzleben und Roland Willareth Ausgeschieden aus dem Vorstand sind auf eigenen Wunsch Dr. Frank Witzleben und Roland Willareth. Beiden sei an dieser Stelle für ihr großes Engagement für den Fachverband Philosophie gedankt. Frank Witzleben hat als Vorsitzender von 1997 bis 2003 entscheidend zur Professionalisierung des Verbandes beigetragen. Unter seiner Leitung wurde das zentrale Einzugsverfahren eingeführt, die Satzung neuen Erfordernissen angepasst. Er hat Einheit und Zusammenhalt des Verbandes gestärkt, die Koordination der Landesverbände verbessert. Roland Willareth gebührt der Dank für seine unermüdliche und mit großer Geduld durchgeführte Arbeit als Kassenwart von 1997 bis 2003, ohne die der Verband heute nicht so gut da stünde, wie es der Fall ist, aber auch für die Vorschläge und Ideen, die FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 7 darüber hinaus in die Verbandsarbeit eingebracht hat. MARTINA DEGE Schüler denken mit Kant Anlässlich der 200sten Wiederkehr von Immanuel Kants Todestag veranstaltete die „Zeit Stiftung“ mit der „Bucerius Law School“ eine Vortragsreihe zu Kant. Renommierte deutsche Professoren beschäftigten sich mit Kants Werk. In diesen Wochen las ich mit meinen Philosophiekursen aus der Vorstufe und Studienstufe ausgewählte Texte Kants und wir gingen in die Vorlesungen. Abschluss und Höhepunkt war eine Veranstaltung in der Hauptkirche St. Michaelis (dem Michel) mit einem Vortrag von Bischof Huber, dem Vorsitzenden der EKD. Mein Ziel bei der Behandlung von Kant war weniger, das ganze hochkomplexe System zu vermitteln, sondern vielmehr durch Kant selbst ins Denken zu kommen. Ich wollte den Schülern aber auch zeigen, dass es ein Publikum gibt, das sich freiwillig mit Philosophie beschäftigt, dass es Menschen gibt, die einem Denker, der schon 200 Jahre tot ist, Verehrung entgegen bringen. So waren die Schüler tief beeindruckt, als bei einer der Vorlesungen Altbundeskanzler Helmut Schmidt im Publikum saß und sich sehr kenntnisreich an der Diskussion beteiligte. Dass aber ca. 1000 Menschen in den Michel kamen um Kant zu ehren, verblüffte sie vollends. Sie lernten hier eine ihnen meist unbekannte intellektuelle Kultur kennen, die manchen von ihnen sehr gefiel. Die Auseinandersetzung mit Kant fand zum Teil Zustimmung, zum Teil aber auch Befremden, so können die Schüler den hohen Pflichtanspruch und den Mangel an Emotionen bei Kant nicht gutheißen, wie man vor allem an dem „neuen kategorischen Imperativ“ einer Schülerin erkennen kann. Im Folgenden verteilen wir in diesem Heft kleine Anmerkungen meiner Schüler zu Kant, die sie auf Grund ihrer Lektüre gemacht haben. Ich hatte sie ausdrücklich ermutigt, Kant auf ihre eigenen Erfahrungen zu beziehen und eine von ihren Erfahrungen ausgehende kleine Reflexion aufzuschreiben. Wir lasen Auszüge aus der „Kritik der praktischen Vernunft“ und aus „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. „Leidenschaften sind Krebsschäden für die reine praktische Vernunft und mehrenteils unheilbar; weil der Kranke nicht will geheilt sein und sich der Herrschaft des Grundsatzes entzieht, durch den dieses allein geschehen könnte.“ „Leidenschaften sind Krebsschäden für die praktische Vernunft“, dieser Satz wird heute jeden Tag bestätigt. Es gibt unzählige Beispiele für Menschen, die aus Liebe zu Dingen, Aktivitäten und Menschen objektiv unvernünftig handeln und die, obwohl es ihnen bewusst ist, nichts dagegen tun können... Leidenschaften haben nicht unbedingt etwas mit Freude zu tun, zum Beispiel sind Fans von Sportmannschaften, die Spiele ihrer Teams anschauen, oft das ganze Spiel über verärgert, frustriert, verängstigt, wütend, traurig und angespannt und das alles im Wechsel. Man fragt sich, wie jemand sich so etwas antun kann, während auf der Welt MITTEILUNGEN 44/2004 8 Dinge geschehen, die tausend mal mehr Aufmerksamkeit verdienen als ein simples Spiel. Die Leidenschaften setzen die Vernunft einfach außer Kraft. (Christoph B.) WERNER BUSCH Philosophieunterricht zwischen Normalität und Abenteuer Dr. Werner Busch, Schulleiter am Gymnasium Wellingdorf in Kiel und langjähriges Mitglied des Fachverbandes Philosophie, hielt die folgende Rede zum 25jährigen Jubiläum der „Zeitschrift für Didaktik der Philosophie“. Sie ist ein wertvolles Dokument der Entwicklung des Philosophieunterrichts und der Philosophie-Didaktik über mehr als vier Jahrzehnte. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufrichtig bedanke ich mich für die Einladung, zum 25jährigen Jubiläum unserer Fachzeitschrift der „Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik“ sprechen zu dürfen. Meine Anerkennung und meinen Dank für 25 Jahre Öffentlichkeitsarbeit zum Wohl der Didaktik der Philosophie und der Ethik möchte ich in drei Abschnitte und ein Fazit einfließen lassen. Meine Beobachtungen und Überlegungen stelle ich unter den Leitgedanken „Philosophieunterricht zwischen Normalität und Abenteuer“. Ich werde als erstes einen mehr oder weniger subjektiven Rückblick auf 45 Jahre Philosophieunterricht – natürlich mit Einschluss meiner eigenen Schulzeit – vortragen. Dann skizziere ich meine eigenen Schwierigkeiten, die ich in der didaktischen Entwicklung des jeweiligen Philosophieunterrichts hatte und habe, unter dem Titel „Philosophiedidaktik als Kunst der Übersetzung“. Drittens berichte ich von der Lektüre von Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ in einer Lerngruppe der Quarta, d.h. des 7.Schuljahrs eines Gymnasiums. Als letztes gehört es natürlich zu einer ordentlichen Geburtstagsfeier, dass die Gäste dem Jubilar nach der Würdigung der vergangenen Jahre auch einige Perspektiven und Wünsche mit auf den Weg geben. Rückblick auf 45 Jahre Philosophieunterricht 1959 während meiner eigenen Schulzeit in der Oberstufe erschien als Kröners Taschenausgabe in erster Auflage das immer noch lesenswerte Buch des Kieler Pädagogen Theodor Wilhelm „Pädagogik der Gegenwart“. Rasch erfuhr das übersichtlich, problematisierend und angenehm kritisch geschriebene Lehrwerk mehrere Auflagen. Obwohl Theodor Wilhelm eine dezidierte fachdidaktische Konzeption vertritt, wird ein Fach Philosophie noch nicht einmal erwähnt. Theodor Wilhelms Nichtbeachtung des Philosophieunterrichts hatte damals mächtige Verbündete. Das geht aus einer 1958 im Springer-Verlag erschienenen umfangreichen Denkschrift hervor, die unter dem Titel „Bildungsauftrag und Bildungspläne der Gymnasien“ von der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Höhere Schule vorgelegt wurde. Diese Arbeitsgemeinschaft umfasste 20 heute noch bestehende Verbände, zu denen zum Beispiel die Gesellschaft deutscher Chemiker, der Germanistenverband, der Verband der Schulgeografen, der Philologenverband, der Verein Deutscher Ingenieure VDI, der Verein Deutscher Eisenhüttenleute und die FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 9 Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde gehörten. Alle Fächer werden in der Denkschrift teilweise detailliert vorgestellt und in Bildungszielen mit Stundentafelwerten charakterisiert. Allerdings sucht man vergeblich nach dem Fach Philosophie, man findet nur fest verankert den Religionsunterricht. Die Ablehnung eines besonderen Philosophieunterrichts wird allerdings ausführlich begründet. Nach einer breiten Darstellung der naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Methode heißt es unter „Die Einheit der Bildung“: „Philosophische Unterweisung. Es ist offensichtlich, dass solche Betrachtungen philosophischer Art sind und dass sie an philosophische Probleme heranführen, die für die humanistische Bildung des Schülers wertvoll sind. Naheliegend ist daher, dass man die Frage aufgeworfen hat, ob man nicht ein besonderes Fach Philosophie in der Abschlussklasse der höheren Schule mit der Aufgabe betrauen soll, die Schüler in philosophisches Denken und geeignete philosophische Probleme einzuführen. In eingehenden Erörterungen, an denen auch Philosophen teilnahmen, ist die Arbeitsgemeinschaft zur einhelligen Auffassung gelangt, dass dies nicht der geeignete Weg sei; denn die Philosophie selbst bietet heute in diesem Sinne keine allgemeinverbindliche Synthesis und es fehlen auch für diese schwierige Aufgabe die vorgebildeten Lehrkräfte.“ Die philosophische Vertiefung müsse von den Fächern aus geleistet werden. „Ein besonderes Fach Philosophie lehnt die Arbeitsgemeinschaft schon deshalb auch ab, weil sie den wissenschaftlichen Fachunterricht seiner fruchtbarsten Bildungsmöglichkeiten berauben würde.“ 1 Angesichts der Macht solcher Tatsachen und Argumentationen erscheint es mir wie ein kleines Wunder, dass wir heute die entgegengesetzte Praxis feiern und ich selbst als Schüler des Anno-Gymnasiums in Siegburg in Unter- und Oberprima zwischen 1958 – also vor 45 Jahren – und 1960 drei Halbjahre ordentlichen Philosophieunterricht genoss. Mein erster Philosophielehrer Dr. Aloys Zillien wurde Mitte der Unterprima Leiter des Studienseminars Aachen und wenig später der Leiter des erzbischöflichen Gymnasiums in Bonn-Beuel. Das war vielleicht der Grund, warum er keine Zeit hatte sich für unseren Unterricht vorzubereiten. Behalten habe ich von diesem gebildeten, erregt anregenden Lehrer nur den Vergleich, dass Nietzsche genauso schmalbrüstig war wie er selbst und dass Dr. Zillien uns vor der Klasse vorspielte, wie die Artilleriegeschosse streuend einschlugen. Das änderte sich nach einem halben Jahr Unterrichtsausfall mit dem Studienassessor Dr. Josef Ruhland. Ernst und mit stechenden Augen die Jungenklasse anblickend, las er mit uns von Karl Jaspers „Die Atombombe und die Zukunft des Menschen“ und den Phaidon aus Rowohlts kleingedruckten damals neuen Klassikern. Einerseits handelte es sich bei diesem Philosophieunterricht um ganz normalen Pflichtunterricht und doch war alles anders. Während im anderen Unterricht die Erkenntnisgegenstände klar ausgebreitet und für uns zubereitet vorgelegt wurden, begriff man hier der Komplexität wegen den Gegenstand selbst kaum, aber ich ahnte, dass etwas ganz Wunderbares, das jetzt noch rätselhaft war, dahinterstecken musste. Nachdem ich 1967 ziemlich eigensinnig in Marburg das 1. Staatsexamen mit dem Zusatzfach Philosophie abgelegt hatte, fand ich in Schleswig-Holstein nur Arbeitsgemeinschaften in meinem dritten Fach vor. Für meine zweite Staatsexamensarbeit, einen Bericht über die Lektüre von Kants Ewigem Frieden eben in einer Arbeitsgemeinschaft fand ich 1968 nur „Handreichungen für den MITTEILUNGEN 44/2004 10 Philosophielehrer“, herausgegeben von Helmut Stoffer, und je einen allgemeingehaltenen Artikel von Josef Derbolav und Edgar Hunger. Sehr hilfreich war das nicht. “Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ Handle so, dass die Maxime deines Triebes jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Glückseligkeit gelten könne. (Monica R.) „Ein jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden anderen verbunden.“ Die früheren Zeiten außer Acht gelassen, wäre es noch heute ein großer Fortschritt für die Menschheit, wenn ein jeder Mensch nach dieser „Tugend“ handeln würde. Dies sollte meiner Meinung nach aber nicht bloß aus Pflicht, gegen den eigenen Willen, geschehen, sondern sollte vielmehr als Selbstverständlichkeit im Inneren eines jeden Menschen verankert sein. Der Weltfrieden unter den Menschen wäre damit weitgehend gesichert. Denn wie sollten Menschen missachtende „Extreme“ wie z.B. Morde oder Kriege weiterhin von den Schuldigen zu verantworten sein, wenn sie sowohl ihre Mitmenschen als auch jeden anderen auf der Welt existierenden Menschen respektierten und dessen Leben achteten? Ich denke einfach, dass kein Mensch das Recht hat einen anderen Menschen in seiner Ehre und Würde zu verletzen oder gar dessen Leben zu beenden. Auch wenn man eine Abneigung gegenüber einem anderen Menschen verspürt, sollte man sich diesem Menschen gegenüber als respektvoll erweisen und ihn ansonsten meiden. Damit meine ich nur, dass selbst solche Umstände einem Menschen nicht das Recht geben, andere unmenschlich zu behandeln. Allerdings denke ich, dass jeder Mensch mehr oder weniger Zuneigung für verschiedene Menschen verspürt und Kants Forderung kaum zu erfüllen ist. (Julia H.) Von den Philosophielehrern, denen ich begegnete, her gesehen waren die 60er und die frühen 70er Jahre die Zeit der großen Meister. Wer Philosophie unterrichtete, war etwas Besonderes. Ich erinnere mich an den damaligen schleswig-holsteinischen Oberphilosophen, wie er beschwörend und theatralisch die Hintergündigkeit des Satzes: „Die Sonne geht auf.“ phänomenal evozierte. Nachfragen, etwa sogar kritische waren der Objektivität des Darstellenden wegen natürlich nicht erlaubt, sogar für die damals herrschende Philosophiekultur destruktiv. Diese Vorherrschaft der großen Meister änderte sich schlagartig, als mit der Oberstufenreform von 1972 der Rechtsanspruch verankert wurde, dass die Schüler in vier Semesterkursen entweder Religions- oder Philosophieunterricht erhielten. Zumindest in Schleswig-Holstein konnten die Religionslehrer den rasch anfallenden Bedarf nicht abdecken, so dass bald die seltsamsten Konstruktionen entstanden. Zum Beispiel bildete der Fachleiter für Religion am Studienseminar in Kiel ebenfalls die wenigen Referendare in Philosophie einfach mit aus, was pädagogisch gesehen nicht FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 11 die schlechteste Lösung war. Den Hintergrund bildete der Gedanke, dass ein solches allgemeines Fach wie Philosophie eigentlich jeder unterrichten konnte, so wie es schon immer - ich zitierte - innerhalb der Lehrpläne den Auftrag gab, zumindest am Ende der Schulzeit die Fächer philosophisch zu vertiefen. Da ich bald selbst für die Organisation eines großen Gymnasiums im Aufbau verantwortlich war, beherrschte ich rasch mit sanfter Stimme die Fähigkeit, fachfremde Kollegen davon zu überzeugen, dass sie doch die eigentlich geeigneten Personen seien, Philosophie zu unterrichten, wenn sie sich nur an ihre Pflichtveranstaltungen zum Philosophikum erinnerten und zupackten. Philosophisch gesehen bestätigte sich wieder einmal die Priorität des Rechts. Neben mittleren Katastrophen wurden auf diese Weise allerdings im ganzen Bundesgebiet zahlreiche tüchtige Philosophie- und Ethiklehrer gewonnen. Kurse der jeweiligen Fortbildungsinstitute milderten die an sich durch und durch unprofessionelle Gemengelage. Die Universitäten reagierten aus meiner Sicht mehr als träge. Jedenfalls bedeutete es für mich einen Lichtblick in den diffusen Wucherungen der philosophischen Praxis, dass ich am 16. September 1978 die „Zeitschrift für Didaktik der Philosophie“ erst einmal zur Probe abonnieren konnte. Von jetzt an gab es eine Linie und ein Maß auf der breiten Straße eines sich zeitgemäß entwickelnden Philosophieunterrichts. Noch Mitte der 80er Jahre formulierte der damalige schleswig-holsteinische Landesschuldirektor ganz im Sinne des oben zitierten Gutachtens von 1958 mir gegenüber seine Auffassung, dass er nicht verstehe, wie man Philosophie in der Schule überhaupt unterrichten könne. Allerdings hatte sich die Gesamtlage wiederum gewandelt. Mittlerweile blickten zahlreiche Verantwortliche misstrauisch auf einen aus ihrer Sicht lebenskundlich verkommenen Religionsunterricht, so dass man sich ein Gegengewicht wünschte. Solche und ähnliche Überlegungen führten, von der ZdP kommunikativ vorbereitet, zum Pilotprojekt „Philosophieren mit Kindern“ in SchleswigHolstein, das vor allem Jutta Kähler und Susanne Nordhofen noch Ende der 80er Jahre zum Erfolg führten. 2 1991 wurde in Schleswig-Holstein auch in der Sekundarstufe 1 „Philosophie“ als ordentliches Alternativfach eingeführt. NordrheinWestfalen als größtes Bundesland geht mittlerweile mit dem Fach „Praktische Philosophie“ ähnliche Bahnen. Einen Weg zurück gibt es nicht mehr. Nach wildwestanalogen Verhältnissen zwischen singulärem philosophischem Heldentum und Improvisation ist Normalität angesagt. Philosophiedidaktik als Kunst der Übersetzung Von Anfang an empfand ich meinen eigenen Philosophieunterricht als ein Problem der Übersetzung. Nun kann man, woran Ekkehard Martens im Editorial zu „Glauben und Wissen“3 im Anschluss an Habermas erinnert, alle Kommunikationsprozesse als Übersetzungsvorgänge verstehen. Bei der Philosophiedidaktik aber scheint mir ein Sonderproblem vorzuliegen. Denn die Sprache der Fachphilosophie, aus der wir in die Vorstellungswelt junger Leute übersetzen, ist oft und weitgehend unverständlich. Dem entspricht die oben skizzierte zähe Skepsis einem Philosophieunterricht in der Schule überhaupt gegenüber. MITTEILUNGEN 44/2004 12 Ich habe erlebt, wie Schüler des 13. Jahrgangs in lautes Gelächter ausbrachen, nachdem sie einen Absatz aus „Sein und Zeit“ gehört hatten4. Bei dem Gehörten handelte es sich wahrnehmbar um Deutsch und trotzdem war es unverständlich. Vor Teilen der „Phänomenologie des Geistes“ kapitulierte ich selbst. Auf einem Spaziergang am Rande eines Kongresses sagte mir ein ausgewiesener universitärer Kenner der Philosophie des 18. Jahrhunderts vor Jahren, er habe die Deduktion der Kategorien in der „Kritik der reinen Vernunft“ nie verstanden. Als ich diese Äußerung wenig später etwas spöttisch und arrogant meinen Doktorvater Klaus Reich mitteilte, bemerkte dieser zu meinem Erstaunen, diese Deduktion könne man auch gar nicht verstehen, und verwies auf eine Anmerkung in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft“5. Die frustrierenden Beispiele ließen sich im ehrlichen Gespräch mit Philosophielehrern leicht vermehren. Wie sollen wir bei dieser Lage einer weithin unverständlichen philosophischen Sprachsituation einen klaren und verständlichen Philosophieunterricht halten!? - Es liegt mir fern, mit dem frühen Rezensenten der „Kritik der reinen Vernunft“ zu behaupten, dass man philosophische Verhältnisse ganz anders, eben immer einfach darstellen könne. Mentale Strukturen, die Allgemeines fassen wollen, sind und bleiben komplex und sind dementsprechend meistens auch nur kompliziert auszudrücken. In dieser schwierigen Situation der Philosophiedidaktik sehe ich für die philosophische Praxis zwei Fehlschlüsse. Der erste kann an das oben genannte Beispiel vom Sonnenaufgang anknüpfen. Da die Sprache der Fachphilosophie ohnehin tendenziell unverständlich ist, macht der Philosophielehrer von seinem ehrenwerten Selbstdenken Gebrauch und baut sich aus seiner Alltagserfahrung vom Sonnenaufgang eine persönliche universelle Relativitätstheorie, die er dann natürlich seinem Unterricht zu Grunde legt. Ein zweiter Fehlschluss scheint mir darin zu liegen, dass man aus Enttäuschung an der Fachphilosophie das Frageverhalten der Kinder und jungen Leute selbst zum Maßstab macht, zumal es zu unseren großartigsten Alltagserfahrungen als Lehrer gehört, dass Kinder und junge Leute schneller, direkter intelligent und vorurteilsloser als wir selbst denken. Das Ergebnis sind dann bei einem reinen Paidozentrismus zwar interessante Allerweltsgespräche, sie kommen aber im besten Fall über Feuilletons nicht hinaus. Die erste Fehlentscheidung einer Privatphilosophie führt zu einem intellektuellen Solipsismus, der in der nächsten Stufe der Ausbildung zur philosophischen Sprachlosigkeit führt, da man sich in größeren, auch internationalen Kommunikationsgemeinschaften immer noch am leichtesten über Muster nach Platon, Aristoteles, David Hume, Nietzsche, Wittgenstein usw. verständigt. Der zweite Fehlschluss täuscht darüber hinweg, dass wir selbst, wenn wir professionell arbeiten, mit den Traditionen der Philosophie analysieren gelernt haben. Ich erinnere nur an die sokratisch-platonische Was-ist-das-Frage mit den daraus resultierenden Definitionsproblemen. Wenn wir selbst mit Hilfe der Tradition analysieren gelernt haben, sind wir redlicherweise auch verpflichtet, diese Tradition an die nächste Generation weiterzugeben. Wie soll das nun angesichts der gezeigten Übersetzungsschwierigkeiten geschehen? Denn in die jugendliche Vorstellungswelt übersetzen müssen wir. FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 13 Komplexitätsreduktion allein scheidet aus, weil dadurch ein schwer verständliches Verhältnis noch nicht verständlich wird. Aus meiner Erfahrung brauchen wir im Gegenteil Schlüssel, die einen komplexen, schwer verständlichen Sachverhalt so aufschließen, dass er für uns selbst deutlich vorstellbar und dadurch vermittelbar wird. Ich will Beispiele für solche Schlüssel, die mir geholfen haben, anführen. Erst kürzlich half mir der Artikel von Annette Wilke in der schon herangezogenen ZDPE mit dem Ti„Die Schadenfreude, welche das gerade Umgekehrte der Teilnehmung ist, ist der menschlichen Natur auch nicht fremd; wiewohl sie so weit geht, das Übel oder Böse selbst bewirken zu helfen, sie als qualifizierte Schadenfreude den Menschenhaß sichtbar macht und in ihrer Gräßlichkeit erscheint.“ Die Schadenfreude ist, meiner Meinung nach, heutzutage ein fester Bestandteil der Gesellschaft. Sie ist in der menschlichen Natur tief verwurzelt. Gerade im Fernsehen, wie z.B. in „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ wird auf die Schadenfreude der Zuschauer gezielt, mit Erfolg. Dieser Trieb anderen Menschen Schaden zu wünschen, geht glücklicher Weise aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Wenn jemandem ernsthaft Schaden zugefügt würde, würden wohl die meisten Menschen das verurteilen und wären schockiert. Die Schadenfreude ist also in dieser spielerischen Weise – und alle wissen, dass es ein Spiel ist – durchaus vertretbar. (Leif H.) tel „Religion zwischen Ritual, Glauben, Wissen und Erfahrung“. Die dort zitierte Definition von Geertz zur Religion – verkürzt – als praktiziertes Symbolsystem kann ich meinem Unterricht schlüsselartig zu Grunde legen und ihn dann methodisch aufbereiten. Zum Problem, das René Descartes mit der res extensa und dem Denken hatte, dient mir immer als Vostellungssschlüssel, dass er damit rang, Geometrie und Algebra miteinander zu verbinden, und daraus die analytische Geometrie formulierte. Kants Ansatz wird mir dadurch plausibel, dass er in seinem Umfeld den Begriff der Seele als Gegenstück zu den Verhältnissen der rechten und linken Hand aufgriff. 6 Bei Nietzsche war es mir fast eine Erhellung, als ich las, dass dieser den Aufsatz „The Oversoul“ von Ralph Waldo Emerson als Folie für den Übermenschen beachtet hatte. Solche und ähnliche Schlüssel können wir Philosophielehrer uns natürlich nicht selbst herstellen. Unsere hohe Unterrichtsverpflichtung und die damit verbundene geringe Lesezeit lassen das nicht zu. Die Fachwissenschaft muss uns solche Schlüssel anfertigen und wir müssen sie im Geschäft kaufen. Ein solcher Schlüsselladen ist die ZDPE. Nach diesen recht unterrichtsorientierten Überlegungen will ich nicht wieder zu theoretischen Höhen zurückkehren, sondern im Gegenteil unter dem Titel Die Lektüre von Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ in einer Lerngruppe der 7. Klassenstufe erst richtig in die Unterrichtspraxis eintauchen. MITTEILUNGEN 44/2004 14 Zu Beginn des vergangenen Schuljahres übernahm ich eine Lerngruppe mit 27 Schülerinnen und Schülern aus zwei 7. Klassen oder Quarten, wie es bei uns noch heißt. Da die Klassen zu Beginn der 7. Klassenstufe der Sprachenwahl wegen neu zusammengesetzt werden und die Schüler zudem noch zwischen Religion und Philosophie wählen, trat der Fall auf, dass sich die Mitglieder meiner Philosophiegruppe zum Teil noch nicht einmal mit Namen kannten, obwohl sie sich in der Orientierungsstufe zusammen recht wohl gefühlt hatten. Die Gruppe war, auch von anderen Kollegen so beurteilt, außergewöhnlich unruhig, die Jungen oberflächlich an vertiefenden Unterrichtsformen wenig interessiert, die Mädchen teilweise nervös und stark aufeinander bezogen, wie es oft bei 13 und 14jährigen so ist. Nach einem Vorkurs zur Persönlichkeit des Sokrates stellte jeder Schüler ein Computerspiel vor, worauf dann gut über Realität und Virtualität, Spiel und Umgang mit Aggression und Frustration reflektiert werden konnte. Dann folgten je eine Unterrichtseinheit zur Sprache um Kaspar Hauser herum und zur Gewalt. Es lief einigermaßen, aber so recht zufrieden war ich nicht. Zu meinem realistischen Praxisbericht gehört nun, dass ich meiner Frau die Unzufriedenheit über den kleinschrittigen Unterricht von Kopie zu Kopie hangelnd etwas zerknirscht mitteilte. Ein uns passendes Lehrbuch hatten ich und mein neuer junger Kollege noch nicht gefunden. Meine Frau, die Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ gerade im Deutschunterricht einer Untertertia gelesen hatte, antwortete spontan und entwaffnend: „Dann lies mit ihnen doch Robinson Crusoe.“ Gesagt getan. Zum ersten Mal seit meiner Schülerlektüre nahm ich den Robinson Crusoe wieder zur Hand und war betroffen von der Fülle der reportageartigen Schilderungen und eingeflochtenen Problemstellungen. Mein Kollege Timo Off erinnerte mich daran, dass Jean Jacques Rousseau seinem exemplarischen Zögling den Roman „Robinson Crusoe“ als einziges Buch erlaubte. Ich selbst hatte die sorgfältig angestrichenen Stellen in meinem „Emile“ im Getriebe des Schulalltags völlig vergessen. Für den Philosophieunterricht bieten sich in Defoes Roman zahlreiche anschaulich in den Abenteuerroman eingeflochtene Problemfelder an: Gesellschaftliche Schichtung, Sklaverei, basic needs, Naturerfahrung, Geld, Experimentierfreude verbunden mit Zeitmessung und Mathematik, Kausalität, Arbeit, Erfinden, Umgang mit Krankheit und Verzeiflung, Schicksal, Religion und Herrschaftsformen. Bemerkenswert sind Robinsons Relativismusüberlegungen zum Kannibalismus und ein Gespräch mit Freitag über die Theodizee. Durch den ganzen Roman zieht sich ein hobbesisches Sicherheitsbedürfnis voll eingebildeter und realer Feinde. Tatsächlich kannten nur drei Schüler den Roman. Anschaffung und häusliche Leküre waren problemlos – mit seinen fast 300 Jahren Alter ist es eben doch ein Abenteuerroman. Der Unterricht gewann wieder an Übersichtlichkeit und Langfristigkeit, die Schüler konnten wieder neu selbsttätig werden, die philosophischen Probleme waren wieder griffig. Ich denke, dass die Lektüre den Schülern half, ihre Kompetenzen in Hinsicht auf Lesen und Verstehen, Problemsehen – lösen erweiterte. FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 15 Nach ihrem Urteil befragt, bestätigten die Schüler interessanterweise die Auffassung von Jean Jacques Rousseau mit etwas anderer Begründung. Dieser will seinem Zögling nur die Teile vom Schiffbruch an zu lesen geben, weil die Schilderungen der zivilisierten Welt ihn verderben könnten. Die große Mehrheit der Schüler hielt nur die Kapitel über das Inselleben für lesenswert und spannend. Ich möchte nicht verheimlichen, warum ich über den Erfolg bei meinen Schülern hinaus von der Wahl des Defoe’schen Romans überzeugt bin. Die im Roman angerissenen oben genannten Probleme kann man natürlich an einem gelungenen aktuellen Jugendbuch oder mitten aus der Alltagsgegenwart heraus, wie es Sokrates tat, behandeln. Da ich mich trotz des hohen Liedes über das sokratische Gespräch gerade nicht für einen zweiten Sokrates halte, glaube ich meine Schüler mit den fachphilosophischen Problemregionen anhand von Inhalten bekannt machen zu müssen, die rund um die Erde, d.h. global und traditionell bekannt sind und sich daher zur unkomplizierten Verständigung anbieten. Dazu gehören für mich zum Beispiel auch die meisterhaft gefilterten Erzählungen von Kain und Abel, vom Turmbau zu Babel , die Geschichte von David und Goliath und eben der mir zufällig über den Weg geratene Klassiker „Robinson Crusoe“. In diesem Sinne regte ich an anderer Stelle in Erweiterung eines dialogischen Philosophieunterrichts einen dialogisch-materialen Philosophieunterricht an. Ich tue es hiermit wieder. Vier Folgernde Thesen Aus allem Gesagten ziehe ich vier in Thesenform ganz unterschiedliche Folgerungen. Die Herausgeber der ZDP und ihr Redakteur und jetziger Verleger sind selber Abenteurer. Nach dem Schiffbruch der unilateralen Werteerziehung in der 60er Jahren ließen sich die Herausgeber und ihr Redakteur auf die unwirtliche Insel der Philosophiedidaktik verschlagen, misstrauisch angefeindet sowohl von den Kirchen als auch vom größten Teil der Hochschulphilosophie. Zum Glück waren sie nicht allein, sondern bildeten um den Festungskommandanten Ekkehard Martens herum eine wechselnde und sich ergänzende Mannschaft. Nach viel Arbeit hat man sich auf der Insel, gestärkt durch zahlreiche Festlandskontakte, in wachsender Normalität eingerichtet. Neben die Charakteristik des Menschen als „Homo homini lupus“ sollte der erweiternde Satz „Der Mensch ist dem Menschen ein Abenteuer“ gestellt werden. Robinson Crusoes Leben auf der Insel ist auffällig von der Angst vor ihn bedrohenden Menschen geprägt. Schließlich war er selbst ausgezogen um Sklaven zu machen. Staatsrechtlich gesehen ist der altbewährte Satz vom Wolf sicherlich eine notwendige Konstruktiongrundlage, aber als umfassendes Charakteristikum gesehen zeigt er nur die halbe Wahrheit. Robinson sucht am Beispiel Freitags vor allem Vertrauen. Wir Philosophierenden tun uns traditionell mit dem Begriff Vertrauen schwer, obwohl wir es im Gespräch voraussetzen. Uns liegt eher die Kritik. So bringt das „Wörterbuch der philosophischen Begriffe“ 50 Spalten zu Kritik und Kritizismus und nur drei zu Vertrauen. Vertrauensseligkeit ist bestimmt keine Tugend. Daher schlage ich ganz MITTEILUNGEN 44/2004 16 einfach, wie es psychologischer Offenheit und meiner eigenen Lebenserfahrung entspricht, den Satz vor: „Der Mensch ist dem Menschen ein Abenteuer.“ Die Universitäten müssen aus sich heraus didaktisch werden. Vor 40 Jahren formulierte Theodor Wilhelm im schon genannten Lehrwerk „Pädagogik der Gegenwart“ zum Gegensatz zwischen Universitätsdisziplinen und Pädagogik: „Hier wird erst dann vollends Klärung und Beruhigung eintreten, wenn die philologischen, historischen und naturwissenschaftlichen Fächer auch an der Universität sich frei als „Berufswissenschaften“ bekennen und die Lehraufgabe ganz in ihr wissenschaftstheoretisches Selbstverständnis aufgenommen haben.“7 Ich habe den Eindruck, dass seitdem – natürlich mit Ausnahme im Bereich der ZDPE -weder Klärung noch Beruhigung stattgefunden haben. Da weite Teile der Universität immer noch biografisch von der Angst geprägt sind, aus der Forschung in den Schulunterricht absteigen zu müssen, und es für Didaktik kaum Aufstiegsbelohnungen gibt, bleibt die Abgrenzungskluft weiterhin tief bestehen. Dazu kommt, dass jeder, der aus der Schule heraus etwas auf sich halten zu können glaubt, versucht nicht mehr in der Schule unterrichten zu müssen. Dem steht entgegen, dass schon Goethe 1809 Eduard in den „Wahlverwandten“ sagen lässt, dass man alle fünf Jahre umlernen müsse.8 Wenn heute die Wissenschaft mit Recht behauptet, das Weltwissen steige exponenenziell an, muss sie gleichzeitig auswählen und mitteilen, welche Elemente dieses Wissens sich die nächste Generation aneignen muss. Wir Lehrer können diese Auswahl unseres mangelnden Überblicks wegen selbst nicht leisten. Die philosophische Praxis muss europäischer und internationaler werden. Schon im ersten Editorial bestimmte Ekkehard Martens vor 25 Jahren die Aufgabe der ZDP als deutschsprachig, europäisch und global. Die ZDPE ist dieser selbstgestellten Aufgabe treu geblieben, indem sie der grenzüberschreitenden Eigenart der Philosophie entsprechend regelmäßig über internationale Entwicklungen und Kongresse u.a. der Association Internationale des Professeurs de Philosophie (AIPPh)9 berichtete und 1990 sogar ein ganzes Heft dem Philosophieunterricht in Europa widmete. Die Wirklichkeit in den Schulen sieht leider ganz anders aus. Da die deutschen Bundesländer tendenziell mit ihrer Bildungssouveränität überfordert sind, neigen sie aus falsch verstandener Identitätssuche dazu, ihre Lehrer auf die Enge ihrer Grenzen und Finanzen einzuschwören. Das widerspricht eklatant sogar der touristischen Mobilität, der leider keine didaktische entspricht. Wir können unsere jungen Leute nur dann auf das Leben in einer mobilen Weltgemeinschaft vorbereiten, wenn die Schulen durch persönliche Erfahrungen selbst didaktisch international werden. Das PISA-Konsortium macht Internationalität in schwindelnden Höhen vor. Müsste nicht die Philosophie ihrer innewohnenden Globalität wegen auf die Überholspur gehen? Fangen wir doch in Europa an! __________ FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 17 Bildungsauftrag und Bildungspläne der Gymnasien, vorgelegt von der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Höhere Schule. Springer-Verlag,.Berlin – Göttingen – Heidelberg. 1958. S. 25 f. 2 Jutta Kähler, Susanne Nordhofen. „Philosophie ist kein Fach wie Mathe“. ZdP 1/91. S.24 – 29. 3 ZDPE. 1 / 2003. S.2. 4 Busch, Werner. Wie Elemente eines Kanons umsetzen? Die Erzählung als Hilfsmittel im Unterricht über Martin Heidegger. ZDPE 2 / 97. S. 116 - 120 5 A XVI ff. 6 Busch, Werner. Der Begriff „Seele“ im Philosophieunterricht ( S II ). ZDPE 1/ 2003. S.66 – 70. 7 Wilhelm, Theodor. Pädagogik der Gegenwart. 3.Aufl. Stuttgart 1963. S.119. 8 Goethe, Jonann Wolfgang. Die Wahlverwandtschaften. 1809. I, 4 . S. 76. 9 Kontaktadressen: STD‘ Luise Dreyer, Am Schirrhof 11, 32427 Minden; Dr. Werner Busch, Rothenberg 21, 24109 Melsdorf ЕVELINA IVANOVA Philosophieren als Mittel zur Persönlichkeitsstärkung Evelina Ivanova ist Philosophielehrerin am Deutschsprachigen Gymnasium in Sofia, Bulgarien. Seit 1999 hat sie einen Lehrauftrag in Philosophiedidaktik an der Universität zu Plovdiv. Als Mitbegründerin der bulgarischen Gesellschaft für Entwicklung des Philosophierens mit Kindern hat sie an Projekten im außerschulischen Bereich gearbeitet. Ihre speziellen Interessen sind mir dem Philosophieren mit Kindern, der Sokratischen Methode, der Philosophiedidaktik und der Erwachsenenbildung verbunden. Im folgenden berichtet sie über den Workshop „Philosophieren als Mittel zur Persönlichkeitsstärkung in allen Schulformen – Philosophieren mit sozial Benachteiligten“, den sie im Rahmendes Bundeskongresses 2003 des Fachverbands Philosophie e.V. "Philosophie und Praxis" in Schwerin veranstaltete. Dieser Workshop im Rahmen der Bundestagung des Fachverbandes Philosophie 2003 in Schwerin wurde mit dem Ziel konzipiert, einige Möglichkeiten zur Persönlichkeitsstärkung von Kindern durch Philosophieren am Beispiel von zwei Projekten mit sozial benachteiligten Kindern aus Bulgarien vorzustellen. Die Teilnehmer wurden eingeladen, einen Teil der Arbeitsmaterialien, die bei diesen Projekten entstanden waren, selbst auszuprobieren und ihre praktische Verwendung zu besprechen. Diesem Ziel entsprechend wurde das Workshop folgendermaßen gegliedert: 1. Kurze theoretische Einführung 2. Vorstellung der Projekte - Ökophilosophieren mit Kindern - Zusammenleben - Integration von Behinderten durch schöpferische Aktivitäten 3. Vorstellung von Arbeitsmaterialien mit Berücksichtigung einzelner Aspekte der Persönlichkeitsstärkung in diesen Projekten - mit Übungen 4. Schlussdiskussion MITTEILUNGEN 44/2004 18 Einführung Einige theoretische Ansätze wurden kurz genannt, woraus man Argumente für die Möglichkeiten der Persönlichkeitsstärkung durch Philosophieren ableiten könnte. Dazu zählen die Kantsche Auffassung der Philosophie als Orientierung im Denken, das Sokratische Gespräch in der Nelson-Heckmann Tradition, die Methodologie des Philosophierens mit Kindern (in ihren amerikanischen - p4c - und europäischen Ansätzen), die These von E. Martens über das Philosophieren als 4. „Kulturtechnik humaner Lebensgestaltung“1, die Begründung der Philosophie als Lebenskunst und philosophische Praxis. Aus der Praxis sind positive Effekte des Philosophierens mit Kindern nachgewiesen: Philosophieren mit Kindern entwickelt kognitive Fähigkeiten. Kommunikative Fähigkeiten werden auch dabei gefördert. Philosophieren mit Kindern trägt zur Demokratisierung der Schule und der Gesellschaft bei. Philosophieren mit Kindern bietet einen Freiraum zur Entfaltung aller Formen der kindlichen Kreativität. Philosophieren mit Kindern wirkt positiv auf die psychischen Prozesse bei der Identitätssuche. Philosophieren mit Kindern entwickelt Strategien zur Lebensorientierung und bewältigung . Wichtige Aspekte der Persönlichkeitsstärkung sind auch bei einigen anderen Autoren zu finden. Detlef Horster2 betont den Beitrag des Philosophierens bei der IchStärkung. Dadurch könnten z. B. Jugendlichen gegen Gruppendruck resistent werden. Diese selbstständige und selbstbewusstere Haltung wäre zum Beispiel bei Drogenprävention und gegen Rechtsradikalismus sehr hilfsreich. Nach Freese 3 ist das Philosophieren eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Sinn- und Identitätsfragen. Auch H. Schreier hat von dem sogenannten Blatt Effekt berichtet - nach sokratischen Gesprächen argumentieren Kinder auf einem höheren Niveau des moralischen Argumentierens nach Kohlberg. Aus diesen Überlegungen lässt sich vorläufig folgender Schluss ziehen: Das Philosophieren ist bestimmt kein Allheilmittel für akute Lebenskrisen, es kann aber einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Prävention von Krisen- und Problemsituationen leisten. Die meisten Lebensprobleme, die zu gefährlicher geistiger Unruhe führen und gewöhnlich unterschiedliche Therapieformen erfordern, haben ihre Wurzeln in Identitäts- und Sinnkrisen. Diese können sehr wohl auch mit philosophischen Mitteln bearbeitet werden. Der Ansatz "Philosophieren als Hilfe zur Selbsthilfe" ist als Reflexion auf unsere Erfahrungen in praktischer Projektarbeit mit sozial benachteiligten Kindern in Bulgarien entstanden. Die Hauptthese dieses Ansatzes könnte man folgendermaßen zusammenfassen: Das Philosophieren als Kulturtechnik humaner Lebensgestaltung ist notwendig und besonders nützlich für Risikokinder oder für sozial benachteiligte Kinder. FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 19 Bei diesen Kindern treten die positiven Effekte des Philosophierens schneller auf, und Veränderungen im Benehmen sind wahrscheinlicher als bei nicht benachteiligten Kindern. An den folgenden Beispielen soll gezeigt werden, wie typische Probleme von sozial benachteiligten Kindern mit philosophischen Mitteln positiv beeinflusst werden können. Einige dieser typischen Probleme sind zum Beispiel das niedrige Selbstwertgefühl der Kinder, ihre Aggressivität und hohe Gewaltbereitschaft, die erschwerte Kommunikation und Kooperation mit anderen, die niedrige Motivation zur Leistung und Selbstverwirklichung in und außerhalb der Schule. Die Projekte Das Philosophieren mit Kindern ist in Bulgarien seit dem Anfang der 90er Jahren bekannt. Es ist als Wahlfach an der Grundschule genehmigt und wird als Spezialisierung für Philosophie- und Pädagogikstudenten an der Universität zu Sofia angeboten. Dieser Ansatz wird zur Zeit auch in einigen staatlichen und privaten Kindergärten praktiziert sowie auch in Grundschulen (meistens privaten) und in der Oberstufe. Die meisten Aktivitäten werden jedoch im außerschulischen Bereich angeboten und werden von der 1996 gegründeten Gesellschaft für Entwicklung des Philosophierens mit Kindern organisiert. Zielgruppen der bisherigen Projekte waren Kinder von Alleinerziehenden und deren Eltern, Waisenkinder aus Waisenheimen, Romakinder und arme Dorfkinder sowie behinderte Kinder aus einem Heim in Pazardjik. Das Projekt „Ökophilosophieren mit Kindern“ Projektidee und Ziele Wir haben eine Sommerschule "Ökophilosophieren mit Kindern" für sozial benachteiligte Kinder angeboten, welche zum Erreichen folgender Ziele beitragen sollte: Aufbau von Motivation zu einem ethischen und ökologischen Verhältnis zur Natur Steigerung der Toleranz im Zusammenleben von Kindern und Erwachsenen aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen (Bulgaren und Roma) und mit unterschiedlichem Sozialstatus Weiterentwicklung und Vervollständigung einer Methodologie des Philosophierens mit Kindern durch ihre Anwendung bei ökologischen Problemen und durch die Bearbeitung von bulgarischen Volksmärchen Projektbeschreibung Was? - Sommerschule "Ökophilosophieren mit Kindern" Wann? - eine Woche im Juli 2001 Wo? - Dobrevtzi, ein Dorf in Nord Bulgarien Wer? - ca. 100 Kinder (97% Roma) - 12 freiwillige Mitarbeiter der Gesellschaft für Entwicklung des Philosophierens mit Kindern - 5 Lehrer aus der Dorfschule MITTEILUNGEN 44/2004 20 Ein Tag in der Sommerschule… Der Tag in der Sommerschule hatte eine einen straffen Ablauf. Am Tagesanfang haben wir uns alle versammelt und den Tag mit einem Ritual (Schulglocke)zur Einstimmung eingeleitet. Dabei wurden auch die Tagesaufgaben geklärt. Dann folgten zahlreiche und vielfältige Gruppentätigkeiten, die später beschrieben werden. Dabei wurden die Kinder je nach Alter aufgeteilt (Grundschüler und Ältere). Den Tag haben wir mit einer Reflexion des abgelaufenen Tages abgerundet. Es wurden persönliche Tagebücher (von Kindern und Mitarbeitern) geführt, in denen Kinder und Erwachsene ihre Eindrücke von dem Erlebten in Wort und Bild zum Ausdruck bringen konnten. Abschied haben wir durch ein Abstimmungsspiel genommen, wodurch die Kinder sich Gedanken machten, was das Interessanteste, das Schwierigste, das Nützlichste oder … an diesem Tag war. Einige der Gruppenaktivitäten Ein großer Teil unserer Arbeit mit den Kindern bestand in der Arbeit mit Texten und damit verbundenen philosophischen Diskussionen und Übungen. Deswegen hat das Projektteam neue Arbeitsmaterialien zusammengestellt, wobei besonderer Akzent auf philosophisch aufbereiteten bulgarischen Volksmärchen mit ökologisch relevanter Thematik lag. Wir haben sehr viele Spiele organisiert, aber auch Tätigkeiten zur Verbesserung der Schulumgebung wie Saubermachen, Zusammenbauen von Abfallkörben aus Holz für den Schulhof oder Streichen des Schulhofzaunes. Das letzte hat eine riesengroßen Begeisterung ausgelöst, genauso wie bei der klassischen Geschichte über Tom Sawyer, die wir mit den Kindern dabei besprochen haben. Wir waren sehr oft in der Natur und haben Ausflüge mit verschiedenen Aufgaben durchgeführt: Die Natur als Ressourcenquelle erforschen - was ist nützlich, schön, schädlich, gefährlich? Die Natur als touristische Ressource entdecken - Ausarbeiten und Markieren einer Touristenroute zu Natursehenswürdigkeiten in der Dorfumgebung Die Natur als Quelle schöpferischer Begeisterung entdecken: - Malen in der Natur - Fotografieren - Reportagen schreiben und Interviews machen - Anfertigen von Werbematerialien über das Dorf (Broschüre und Videofilm) Neben Freude und Spaß beim Zusammenleben mit den Kindern haben wir auch einige wichtige Projektergebnisse nachweisen können: Aufbau eines ethischen und ökologischen Verhältnisses zur Natur veränderte Selbsteinschätzung der Kinder (realistischer geworden) ausgearbeitete Konzeption, Programm und Arbeitsmaterialien in "Ökophilosophieren mit Kindern" Durch Tests am Anfang und Ende der Sommerschule haben unsere Psychologen bedeutende Veränderungen in der Selbsteinschätzung der Kinder festgestellt. Durch das Fördern ihres kritischen Denkens beim Philosophieren ist ihre Selbsteinschätzung realistischer geworden. Aus psychologischer Sicht ist die realistische FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 21 Selbsteinschätzung eine wichtige Bedingung für die Entfaltung der Persönlichkeit, für den Widerstand gegen unerwünschten Gruppendruck und damit ein entscheidender Erfolgsfaktor. Bei den 14-15jährigen konnte man bedeutende positive Veränderungen in ihren Verhältnissen zu anderen Menschen (Steigerung der Kommunikationsbereitschaft) beobachten, weil diese Kinder als Mitarbeiter der Freiwilligen und als Mitverantwortliche für die Jüngeren engagiert wurden. Das Projekt "Zusammen leben" Projektidee und Ziel Das Projekt zielte auf die Erprobung eines Modells für die Integration von Behinderten Kindern außerhalb von Schule und Familie durch schöpferische Tätigkeiten in der Freizeit und Ferienzeit ab. Die Kinder haben an schöpferischen Aktivitäten in Arbeitsgruppen teilgenommen, welche am Ende des Projekts die Produkte ihrer gemeinsamen Tätigkeit ausgestellt haben. Das war eine Möglichkeit für einen vollwertigen und gegenseitig bereichernden Kontakt zwischen gesunden Kindern aus der Massenschule und Kindern mit speziellen Bedürfnissen, zur Unterstützung der Persönlichkeit des Kindes. Die Integration, welche zur Zeit als bedeutende Priorität der Ausbildung in Bulgarien erkannt wird, wurde hier "von innen" gezeigt - als Erlebnis der einzelnen Persönlichkeit, als eine ersehnte, notwendige und bereichernde Erfahrung. Projektbeschreibung Was? - Sommercamp für gesunde und behinderte Kinder - Integration durch schöpferische Aktivitäten Wann? - August 2002 Wo? - Velingrad, Kurort im Rodopagebirge in Süd Bulgarien Wer? - 60 Kinder (davon 30 Behinderte) - 20 Erzieher, Sanitäter, Pädagogen aus dem Behindertenheim und Lehrer aus 2 Schulen - 8 Experten Arbeitsgruppenleiter: Schauspielerin, Kameramann, Photograph, Philosophin, Künstlerin, Journalistinnen Die Grundidee bzw. die innere Logik des Programms für die schöpferischen Tätigkeiten im Sommercamp könnte man folgendermaßen darstellen: 1. Tag – Kennen lernen und Gruppenbildung 2. Tag Selbsterkenntnis - Wer bin ich? Erwartete Ergebnisse: - Blick von außen (objektiv) und von innen (in sich eintauchen) - Jeder Mensch ist einmalig und darin besteht sein Wert. 3. Tag - Ich und die Anderen - Wie nehmen mich die Anderen wahr? Erwartete Ergebnisse: - Die Vorstellung der Anderen von mir stimmt nicht mit meiner Vorstellung von mir überein und das ist normal. - Vielfältigkeit und Einheit des Ichs - Ich habe viele Gestalten, welche alle zu meiner Persönlichkeit gehören. Ich sollte sie kennen, Sie sind mein Schatz. - Die Anderen unterscheiden sich von mir. - Ich kann nicht erwarten, dass die Anderen mir ähnlich sein sollen. Ich soll die Verschiedenheiten schätzen. MITTEILUNGEN 44/2004 22 Dass die Leute unterschiedlich sind, ist kostbar. Verschiedene Gesichtspunkte auszutauschen macht uns stärker. 4. Tag - Wie können wir zusammen leben? - Wir sind so unterschiedlich? Wie können wir zusammen leben? - Warum ist es wichtig zusammen zu leben? - Wie können wir unseren Willen und unsere Bereitschaft zusammen zu leben zum Ausdruck (auch mit Hilfe der Kunst) bringen? 5. Tag - Evaluation und Ausblick Diese Fragen stellen eine gemeinsame Struktur der Arbeit in allen Arbeitsgruppen dar, wo diese mit den Mitteln der jeweiligen Kunst oder schöpferischen Tätigkeit bearbeitet wurden. Diese allgemeine Struktur sichert eine Art Integration zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen im Rahmen des ganzen Projekts und erleichtert die Kommunikation und das aktivere Wahrnehmen der Arbeitsergebnisse seitens der Kinder. Projektergebnisse: Nach einigen Tagen sehr intensiven Zusammenlebens konnten wir folgende Projektergebnisse zeigen: eine Ausstellung am Ende des Sommercamps mit allen Kunstwerken, begleitet von einem Gala-Konzert eine Ausstellung im Rathaus von Pazardzhik eine Theateraufführung in Pazardzhik ein Büchlein ein erfolgreiches Modell „zusammen leben, nicht nebeneinander“, das weitere informelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen ermöglicht. So hat zum Beispiel die Theatergruppe den ersten Preis beim Schülertheaterfestival in Plovdiv einige Monate später gewonnen. Dass bei diesem Projekt eine Integration zustande gekommen war, können wir auch daran erkennen, dass beide Seiten sich verändert haben. Meistens wird die Integration als eine Art Hilfestellung von "Gesunden" für "Bedürftige" verstanden. Wir haben erlebt, dass wir alle "bedürftig" sind, wir alle haben von diesem Zusammenleben etwas gewonnen. Kinderrückmeldungen bestätigen diese Worte: Kinderrückmeldungen aus dem Büchlein Slavena: "Sie sind mir ans Herz gewachsen. Sie (die Behinderten) sind aufrichtig, wahrhaftig. Mir gefällt ihr Optimismus. Ich habe gesehen, wie gutmütig sie sind, wie sie sich umeinander sorgen und wie schnell sie Leute lieb gewinnen, die sich ihnen zuwenden. Wenn man sieht, mit welcher Energie und Hingebung sie alles tun, wirkt dies auf jemanden unumgänglich auftankend. Die Heimkinder haben mich gelehrt, dass Hoffnung immer besteht." Stefan: "Ich habe gelernt, dass diese Leute zuerst an die Anderen denken. Sie fühlen sich glücklich, wenn die Anderen glücklich sind. Von diesen Kindern habe ich gelernt, wie ich an den Anderen denken soll." Bojan (Fahrer): "Ich möchte auch mein Kind in ein solches Sommercamp schicken. Unsere Kinder in Sofia wachsen als aggressiv auf. Ich sehe, wie die Kinder hier FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 23 einander helfen, wie aufmerksam sie sind. Sie werden besser, geduldiger. Sie brauchen nicht aggressiv zu sein." Anhang – Arbeitsmaterialien aus den Projekten Arbeitsheft "ÖKOPHILOSOPHIEREN MIT KINDERN" - ausgewählte Aufgaben unter Berücksichtigung einzelner Aspekte der Persönlichkeitsstärkung des Kindes Text: Der Traum des Spätzchens (bulgarisches Volksmärchen) Das graue Spätzchen schlief in seinem Nest im verwelkten herbstlichen Laub der Bäume ein und träumte einen wunderbaren Traum. Frühlingsgarten. Große stille Bäume, ihre Blüten fallen ab. Auf den weißen Zweigen der Bäume lassen sich wundervolle Vögel nieder. Mit bunten Flügeln, mit gelben Bäuchlein, roten Beinchen, grünen Hälschen, goldenen Köpfchen und Augen klar wie Diamanten. Das arme Spätzchen seufzte auf und sagte zu sich selbst: "Ach, wie ungerecht ist diese Welt! Diese Vögel haben eine wundervolle Tracht, man kann sich daran nicht satt sehen. Und ich fliege in diesem grauen Bettlergefieder. Ich möchte auch wie die bunten Vögel aussehen. Ich bin doch wie sie - ich habe auch Flügelchen, und Schnäbelchen, und Beinchen." Indem das Spätzchen diese Worte aussprach, wurde es von einer unsichtbaren Hand bunt bemalt. Das Spätzchen flog zur Quelle, ließ sich auf einem Ästchen nieder und sah sich um. Sein Herz zitterte vor Freude, als es gesehen hatte, dass es auch so bunt und wundervoll war, wie die anderen schönen Vögel im Garten. Aber es hat sich noch nicht satt gesehen, als eine schreckliche Gefahr über seinem Kopf heraufzog. Eine Schlange streckte ihren Hals aus und machte den Mund auf, um das Vögelchen zu schnappen. Vor Entsetzen schaudernd flog das Spätzchen hoch und ließ sich auf dem höchsten Ästchen nieder. Bevor es wieder zu sich kam, erschien ein anderes Übel und tiefes Geschrei schallte durch den schönen Garten. Alle Vögel flogen auseinander in den Wald. Das Spätzchen schaute nach unten und sah, dass unter dem Baum ein Jäger mit einem Gewehr stand und sich zum Schießen zurechtmachte. "Mütterchen - schrie es - wozu brauche ich dieses bunte Gewand! Jeder Feind kann mich von weitem sehen. Warum sollte ich mich aufplustern? Wenn ich in meinem Spätzchengefieder wäre, würde mich keiner in Gebüsch erkennen." Es wollte hochfliegen, aber dann schreckte es auf. Als es sah, dass alles nur ein Traum war, sprang es auf und breitete die Flügel aus. Das Spätzchen flog zum Tal, badete sich, ließ sich auf einem Haselnussbusch nieder und fing an lustig zu zwitschern: Tschik-tschirik! Tschik-tschirik! Diskussionsplan zum Märchen „Der Traum des Spätzchens“ 1. Wer hat das Spätzchen geschaffen? 2. Warum wollte das Spätzchen bunt sein? 3. Wem gehört die unsichtbare Hand, die es bunt bemalt hat? 4. Träumen die Tiere? 5. Was ist der Unterschied zwischen Traum und Wachzustand? 6. Wie freuen sich die Tiere? Und wie trauern sie? 7. War das Spätzchen glücklich im neuen Gewand? 8. Was für Erlebnisse haben die Tiere? 9. Können die Menschen verstehen, was die Tiere erleben? Beispiel: Kinderfragen - Kindergarten "Das Haus von Alice" Doni 6 J: Warum wollte das Vögelchen schöner sein? Ich möchte auch schön sein. Warum darf dies das Vöglein nicht wollen? MITTEILUNGEN 44/2004 24 Vakresia 6 J: Soll das heißen, dass es arme und reiche Vögel gibt? Mariana: Ich frage mich, ob der Traum des Vögleins zufällig ist? Wenn er zufällig ist, warum fliegt das Vöglein gleich zur Quelle, um sich sein Spiegelbild anzuschauen? Zdravko 6 J: Warum hat das Vöglein gerade diesen Traum geträumt? Ist der Traum zufälligerweise erschienen, oder hat sich das Vöglein schon früher gedacht, warum ist es so grau und nicht bunt wie die anderen? Mariana: Warum denkt das Spätzchen, dass die Welt zu ihm ungerecht sei? Übung: Können wir die Natur betrügen? Lies den folgenden Textauszug: Vergleiche das Benehmen des Spätzchens aus dem Märchen mit dem Benehmen des literarischen Helden aus dem Werk des großen bulgarischen Schriftstellers Emilian STANEV. Findest du Ähnlichkeiten? Worin unterscheiden sich beide? "Sie, die Natur hat mir die Haare vom Scheitel heruntergezogen, aber ich bin schlauer vorgegangen und sieh, ich habe mir einen Schnurrbart wachsen lassen. Wenn die Natur mir den Schnurrbart nimmt, dann lasse ich mir einen Bart wachsen und gebe trotzdem nicht auf…" Übung: Das Tier, welches seinem Namen ähnlich war … (Zusammenstellen einer Erzählung nach einem Titel) Beschreibung: Man kann selbstständig oder in Kleingruppe arbeiten. Zuerst sollen die Kinder solche Tiere entdecken, bzw. aufzählen wie z.B. Kuckuck oder Tausendfüßler… Danach wird eine kurze Geschichte nach den folgenden Fragen zusammengestellt: 1. 2. 3. 4. 5. Wodurch zeichnet sich dieses Tier aus? Worin besteht die Ähnlichkeit des Tieres mit seinem Namen? Wenn dieses Tier anders wäre, hätte es auch einen anderen Namen? Zeigt immer der Name, was für ein Tier (Mensch) der Namensträger ist? Hätten die Tiere, die ihrem Namen nicht ähnlich sind, den Wunsch, einen anderen Namen zu haben? Alter: Grund- und Hauptschulkinder (8-14 Jahre) Interdisziplinäre Verbindungen: Muttersprache, Naturkunde/Biologie Übung: Vergleiche Ziel: Entwicklung von Fertigkeiten zum Wahrnehmen und Bilden von Analogien. I. Farben Schreibe dazu die fehlende Pflanzenbezeichnung. Du kannst auch mehrere Möglichkeiten angeben. Wenn dir keine Pflanze einfällt, schreibe ein Tier dazu. weiß wie …………………… blau wie …………………… rot wie …………………..... lila wie ……………….….... grün wie …………………...... gelb wie …………………….. orange wie ………………….. grau wie …………………….. II. Persönlichkeitseigenschaften Schreibe das fehlende Wort dazu. Das sollte ein Tiername sein. kräftig wie ……………… schnell wie ……………… ängstlich wie …………… schlau wie …………....… schüchtern wie ………………..... hat ein gutes Gedächtnis wie….. tapfer wie ……………………....... dumm wie ……………………...... FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 25 groß wie …………….. … hungrig wie …………..… flink wie ………………………..... stark wie ……………………….... Übung: Analogien Ziel: Diese Übung erforscht die Zusammenhänge zwischen den Menschen und den anderen Lebewesen in der Ganzheit der Natur, indem sie die natürliche Neigung der Kinder dazu benutzt, die Naturerscheinungen in Anlehnung an ihre menschliche Erfahrung zu verstehen. Aufgabe: Verbinde die gegebenen Organe des pflanzlichen Organismus mit den ihnen entsprechenden Organen des menschlichen Organismus. Einige der gegebenen Pflanzenorgane können mehr als einem Menschenorgan ähneln. Stamm/Stängel Äste Wurzel Säfte Blätter Blattader Blüte Gesicht Blut Beine Hände Haare Körper Mund Zunge Ohren Blutgefäße „Kann eine Unwahrheit aus bloßer Höflichkeit (z.B. das ganz gehorsamster Diener am Ende eines Briefes) für Lüge gehalten werden? Niemand wird ja dadurch betrogen.“ Diese sogenannten „Notlügen“, um andere aus „Höflichkeit“ nicht zu verletzen oder unangenehm zu berühren sind im gesellschaftlichen Leben - ich wage fast zu sagen - eine Norm. Dies wäre der Gegensatz zu einer Maxime der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Es würde einen Betrug an sich selbst und der eigenen Vernunft darstellen. Auf der anderen Seite müsste man einer Maxime, den anderen nicht verletzen zu wollen, auch Folge leisten. So muss man bei konfligierenden Maximen stets Prioritäten setzen. (Benjamin G.) Übung: Selbsterkenntnis mit Hilfe der Natur I. Während eines Ausfluges ins Grüne wähle solche Naturgegenstände aus, die dir ähnlich sind, mit denen du dich vor den anderen vorstellen könntest (zum Beispiel verschiedenartige Steine, Äste, Blätter…) II. Stell dich der Gruppe mit Hilfe der ausgewählten Naturgegenständen vor. In der Gruppe könntet ihr auch folgendes besprechen: 1. Warum meinst du, dass gerade diese Naturgegenstände am besten zeigen, was für ein Mensch du bist? 2. Sehen dich die anderen Kinder auf die gleiche Art und Weise? 3. Hat dich das Vorstellen eines Kindes überrascht? 4. Hast du von einem Kind aus der Gruppe etwas Neues erfahren? Übung: Miterleben MITTEILUNGEN 44/2004 26 Ziel: Diese Übung fördert die Fähigkeit zur Empathie. Aufgabe: Stell dir vor, du bist Gras, Bächlein, Katze oder etwas anderes aus den unten aufgezählten Beispielen. Schreibe den Satz zu Ende aus dem Gesichtspunkt der angegebenen Leute, Tiere oder Naturobjekte: 1. 2. 3. Mein schönstes Erlebnis, welches ich je gehabt habe ist ....………….................... Aus der Sicht: deiner Mutter deiner Katze der Eiche einer Schule deiner selbst der Sonne Mein sinnvollstes Erlebnis ist ..........…………………………………………............. Mein schrecklichstes Erlebnis ist………………………………………………............ Übung: Wäre ich …. Ziel: Diese Übung fördert die Fähigkeit, sich anstelle eines Anderen/etwas Anderen zu denken. Diese Fähigkeit ist ein wesentliches Element des Verstehens. Aufgabe: Schreibe die folgenden Sätze zu Ende: Wäre ich in Baum, hätte ich ein………..... sein wollen, weil …………….. Wäre ich ein Tier, hätte ich ein ………..... sein wollen, weil …………….. Wäre ich ein Vogel, hätte ich ein ……...… sein wollen, weil …………..... Wäre ich ein Stein, hätte ich ein ….......... sein wollen, weil …………….. Wäre ich Wasser, hätte ich ……………. .. sein wollen, weil……………... Wäre ich eine Wolke, hätte ich ……… ..... sein wollen, weil …………….. Beispiel: Antworten von Roma Kindern aus dem Dorf Dobrevtzi, Nord Bulgarien Wäre ich ein Vogel, hätte ich ein Specht sein wollen, weil ich mir für den Winter eine Baumhöhle machen könnte. Er ist auch ein Arzt. Wäre ich ein Stein, ... hätte ich ein Felsen sein wollen, weil er riesengroß ist, und keiner kann dich wegtun. Ich werde stabil und wichtig sein. /… hätte ich ein Diamant sein wollen, weil er sehr wertvoll ist, und alle mögen ihn. Wäre ich Wasser, …hätte ich Heilwasser sein wollen, um zu heilen./ … hätte ich ein Meer sein wollen, weil alle Leute zu mit kommen werden. Und ich werde stolz darauf sein. Gedankenexperiment: Aufsatz "Sich verwandeln“ Ziel: Die Übung fördert die Fähigkeit der Kinder, sich in ein anderes Lebewesen hineinzuversetzen. Interdisziplinäre Verbindungen: Muttersprache (Aufsatz schreiben), Naturkunde, Biologie. Aufgabe: Stell dir vor, dass du aufwachst und siehst, dass du dich in … (ein Tier), verwandelt hast. Wähle dir ein Tier aus oder ziehe ein Papierstückchen mit seinem Namen aus einem Hut. Was machst du in den nächsten 24 Stunden? Danach verwandelst du dich wieder in einen Menschen. Schreibe eine kurze Erzählung darüber und lies diese den anderen Kindern vor. Praktische Tätigkeit: Interview Beschreibung: Eine Schülergruppe - junge Journalisten - bereitet vor und interviewt interessante Persönlichkeiten aus der Umgebung. Als solche könnten Kinder mit besonderen Leistungen zählen, aber auch Vertreter der Gemeinde oder lokale FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 27 Autoritäten: der Bürgermeister, Lehrer, ältere Leute aus der Siedlung, der Priester, professionelle Journalisten u.a. Vorbereitung der Interviews: 1. Wen interviewen? 2. Grundfragen formulieren 3. Übungen zum Operieren mit Diktiergeräten 4. Interviewen 5. Veröffentlichen - den Text niederschreiben, in einer Wandzeitung veröffentlichen Praktische Tätigkeit: Projekte entwickeln und verwirklichen Projekt "ZUSAMMEN LEBEN", August 2001, Bulgarien Ausgewählte Aufgaben aus dem Programm des Ateliers "Kunst und Philosophie" unter Berücksichtigung einzelner Aspekte der Persönlichkeitsstärkung des Kindes I. WER BIN ICH? Diskussionsplan: Was zeigt der Spiegel? Sie können Selbstbildnisse, Spiegelselbstbildnisse oder andere Materialien (zum Beispiel Karikaturen) als Einstieg benutzen. Was kann man im Spiegel sehen? Wie gefällt mir das, was mir der Spiegel zeigt? Bin ich schön? Oder hässlich? Was kann man im Spiegel nicht sehen? „Das Bücken und Schmiegen vor einem Menschen scheint in jedem Fall eines Menschen unwürdig zu sein.“ Die Unterwerfung unter einen anderen Menschen ist wider die Menschwürde. Jeder Mensch ist ein Individuum und ein freier Mensch, der andere Menschen in jedem Fall respektieren, sie aber nicht über sich stellen sollte. Für mich klingt „Schmiegen“ in dieser Bedeutung als unehrlich. Zwischen den Menschen muss eine wechselseitig gleichberechtigte Beziehung bestehen. (Jenny F.) Beispiel: Bin ich schön? (Mensch im Spiegel), Ob Fido sich schön findet? (Hund spiegelt sich in Pfütze), in: Michele Lemieux, Gewitternacht, Beltz, Weinheim/Basel 1997, S. 47, S. 51 Beispiel: Diskussionsfragmente: Eva: Was sieht der Hund im Spiegel? Joro: Sein Selbstbild. Angel: Der Hund denkt, dass er einen anderen Hund sieht. Eva: Gibt es einen Unterschied zwischen dem, was der Hund sieht und dem, was das Kind in den Spiegel sieht? Angel: Der Hund weiß nicht, dass er ein Hund ist. Der Hund denkt, dass er einen anderen Hund sieht. Wenn der Mensch in den Spiegel sieht, weiß er, dass er sich selbst sieht. Gedankenexperiment: In einem anderen Körper Ziel: in der Phantasie die Bedeutung des Körpers als Element der persönlichen Identität zu erforschen MITTEILUNGEN 44/2004 28 Beschreibung: Stell dir vor, wir könnten unsere Körper wechseln … oder wenigstens Teile von ihnen verstecken, die wir weniger mögen! (Michele Lemieux, Gewitternacht, Beltz, Weinheim/Basel 1977, S. 55: ein Skelett vor einem Kleiderschrank voller Körper) Beispiel: Diskussionsfragmente Eva: Im Spiegel haben wir unsere Gesichter und unsere Körper gesehen. Falls wir unsere Körper wechseln könnten, hättet ihr einen anderen Körper haben wollen? Joro: Ja. Ich möchte mich mit anderen Augen sehen. Georgi (im Rollstuhl sitzend): Ich möchte meinen Körper nicht wechseln. Eva: Warum? Georgi: Ich kann einen Körper nicht aus einem Kleiderschrank herausholen. … Weißt du, was man in einen Kleiderschrank hineintun kann? Kleider. Eva: Ist es ein und dasselbe, wenn du die Kleider wechselst und wenn du den Körper wechselst? Georgi: Es ist besser die Kleider zu wechseln als den Körper. Eva: Mimi, würdest du deinen Körper wechseln, wenn du einen solchen Kleiderschrank hättest? Mimi: Nein Eva: Stell dir vor, was würde geschehen, wenn du einen anderen Körper bekommen könntest? Wärest du dieselbe oder würde sich etwas ändern? Mimi: Ich würde nicht dieselbe bleiben. Eli: Einige Kleider sind zu groß. Kunstaufgabe: Konturen zeichnen Ziel: Diese Aufgabe ist ein Beispiel für einen "Spiegel", in den man ohne Hilfe des Anderen nicht hineinsehen kann. Bei dieser Tätigkeit machen die Kinder unmittelbare Erfahrungen, wie wichtig die gegenseitige Hilfe ist. Ohne die Hilfe des Anderen kann die Aufgabe nicht erfüllt werden. In dieser Situation sind Behinderte und gesunde Kinder gleichgestellt. Daher ist das eine Möglichkeit, einander näher zu kommen und besser zu verstehen. Das Kind, dessen Konturen gezeichnet werden, ist eher passiv. Die Rolle eines "Models" verlangt Geduld, Ausdauer und Ruhe. Das Beherrschen dieser Eigenschaften bewirkt unmittelbar die Qualität des Ergebnisses. Das Erleben der eigenen Passivität als "Model" und gleichzeitig der Aktivität des Anderen bei der Entstehung der eigenen Gestalt ist eine Möglichkeit, unmittelbar zu erfahren, wie wichtig die anderen Leute (ihre Meinungen, ihre Unterstützung, ihre Auffassungen oder Gedanken) für das Formieren unseres Ich-Bildes sind und wie viel wir sie brauchen. Beschreibung: Die Kinder arbeiten zu zweit. An der Wand wird ein großes Stück Papier befestigt. Ein Kind stellt sich dicht vor der Wand auf, das andere zeichnet mit einem Stift behutsam die Körperkonturen des ersten Kindes aufs Papier. Wenn wir behinderte Kinder im Rollstuhl haben, zeichnet man die Konturen des Körpers mit dem Rollstuhl. Die Aufgabe wird etwas komplizierter, weil diese Kinder sich nicht ganz dicht an der Wand aufstellen können. In solchen Fällen könnte man die Technik eines Projizierens auf die Wand anwenden oder Schattenkonture zeichnen. Übung: Wie sehen mich die Anderen? FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 29 Ziel: Möglichkeit, verschiedene Standpunkte zu vergleichen: meine Vorstellung und die Vorstellung der Anderen über mich selbst, welche notwendigerweise nicht übereinstimmen. Metaphorisches Denken wird gefördert. Aufgabe: 1. Die Kinder bilden Paare und nehmen sich aus einem Haufen farbige Kärtchen mit unterschiedlichen Formen. 2. Beschreibe dich selbst durch eine Farbe und eine geometrische Form. 3. Beschreibe das andere Kind sowohl durch eine Farbe als auch durch eine geometrische Form. 4. Vergleicht eure Beschreibungen. Unterscheidet sich die Vorstellung des anderen Kindes über dich von deiner eigenen Vorstellung? Warum? Kunstaufgabe: Geometrisches Porträt Aufgabe: Bildet Paare. Beobachte aufmerksam das andere Kind. Du solltest sein Porträt "malen", als Collage aus verschiedenen aus farbigem Karton ausgeschnittenen geometrischen Formen. Nachdem du die passenden Stücke gefunden und zusammengeklebt hast, darfst du das Porträt durch Malen vollenden. Bemerkung: Man kann eine Collage eines Gesichtes oder des ganzen Körpers basteln. Besonders wenn es die Aufgabe ist, ein Gesicht darzustellen, eignet sich als Vorbereitung eine kurze Diskussion über vorgezeigte Bilder im Stil des Kubismus. Übung: Gefühle erkennen Ziel: entwickelt Fertigkeiten den äußeren Ausdruck von Gefühlszuständen zu erkennen und Argumentationsfertigkeiten. Diese Übung eignet sich auch als Vorbereitung auf Kunstaufgaben zum Darstellen von unterschiedlichen Gemütszuständen. Beschreibung: 1. Die Kinder betrachten Bilder (Karikaturen) von verschiedenen Gemütszuständen und versuchen, diese zu erkennen. Dabei werden sie aufgefordert, ihre Meinungen zu begründen. 2. Variante - Gefühlspuzzle: Auf Kärtchen sind einige Gemütszustände beschrieben. Diese werden zu den passenden Bildern eingeordnet. 3. Variante - Labyrinth der inneren Welt: Auf einem Papierbogen werden Kärtchen mit Beschreibungen und ihnen entsprechenden Bildern chaotisch geklebt. Passende Bilder und Beschreibungen werden mit Linien verbunden. Beschreibungen und Bilder: (nach Michele Lemieux, Gewitternacht, Beltz, Weinheim/Basel, 1997) Es gibt Zeiten, in denen wünsche ich mir, die ganze Welt sollte mich in Ruhe lassen. (S. 68f) Es gibt Augenblicke, in denen ich mich einfach hilflos fühle. (S. 667f) Manchmal habe ich nämlich überhaupt nichts im Kopf! (S. 100f) Wenn ich traurig bin, habe ich ein Gefühl, als wäre ich voller Wasser. (S. 72f) Aber wenn ich Wut habe, explodiere ich! (S. 70f) Wenn ich glücklich bin, kommt es mir so vor, als wenn ich leuchte. (S. 68f) _______________ Martens, E.: „Philosophie als vierte Kulturtechnik humaner Lebensgestaltung“ in ZDPE 1/1995 MITTEILUNGEN 44/2004 30 Horster, D.: „Philosophieren mit Kindern und Ich-Entwicklung“ in Martens, E./ Schreier, H.: Philosophieren mit Schulkindern, Diek, Heinsberg, 1994, S.80 3 Freese, H.-L.: „Die Fragen von Kindern und Jugendlichen - haben wir Antworten? In Schulte-Roling, L./Münnix, G.: Philosophieren mit Kindern, Beiträge einer Tagung, Münster 1998, S. 33 2 „Affekten und Leidenschaften unterworfen zu sein, ist wohl immer Krankheit des Gemüts; weil beides die Herrschaft der Vernunft ausschließt.“ Was mir an diesem Zitat wichtig ist, sind nicht die Begriffe „Affekte und Leidenschaften“, sondern das Wort „unterworfen“. Denn dass uns Leidenschaften und Emotionen beeinflussen, können wir nicht gänzlich verhindern und es wäre auch nicht von Vorteil. Sie dürfen uns aber nicht kontrollieren, denn dann würden wir das, was heute üblicher Weise mit dem Wort „Triebtäter“ umschrieben wird. Man muss sich also des Einflusses bewusst sein, um (trotzdem) so handeln zu können, wie es einem der Verstand vorschreibt. Kants Begriff von der „Vernunftkritik“ hat eine große Bedeutung., da eben diese sowohl die kritisierende als auch die kritisierte Vernunft einschließt: es herrschen keine Dogmen; die Vernunft schließt ein Falschliegen nicht aus. Die Vernunft ist also lernfähig, da sie sich selbst aufklärt. Dies ist heutzutage wichtiger den je, weil gerade das durch Religion und kulturelle Erziehung erlangte Normen- und Wertesystem oftmals dogmatisch verteidigt wird, was dazu führt, dass Konflikte eskalieren. (Jonas S.) Philosophieren mit Kindern im Primarbereich Silke Pfeiffer: Sinnreflexion und Werterziehung in der Grundschule Das zunehmende Bewusstsein von Eltern und Lehrenden für die intellektuellen und emotionalen Möglichkeiten und Bedürfnisse von Kindern angesichts einer immer komplizierter erscheinenden Welt hat seit den 80er Jahren eine wachsende Nachdenklichkeit darüber zur Folge, wie bereits mit Grundschulkindern Sinn- und Wertfragen thematisiert werden können. Konsens besteht darüber, dass sich kein Unterrichtsfach dem philosophischen Frageinteresse der Kinder verschließen sollte. In diesem Zusammenhang fordern Helmut Schreier u. a. das Philosophieren als durchgängiges Unterrichtsprinzip in alle Grundschulfächer zu integrieren. Der evangelische und der katholische Religionsunterricht ist in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Grundgesetz gesetzlich geregelt. Gegenstand der Auseinandersetzung in diesen Fächern sind erklärtermaßen Sinn- und Wertfragen vor dem Hintergrund religiöser Selbstverständnisse. Darüber hinaus bestehen in einigen Bundesländern weitere Unterrichtsfächer, die sich philosophischen Inhalten widmen. Seit fast zwanzig Jahren wird in dreizehn Bundesländern das Fach „Ethik“ als Alternative zum Religionsunterricht erteilt. Mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 stellte sich vor allem angesichts des notwendigen Wandels von der Homogenität sozialistischer Werte- und Moralerziehung zur Heterogenität westlicher Werte- und Lebensformen die Frage, wie FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 31 bereits Grundschule diesen Demokratisierungsprozess unterstützen kann. Vor diesem Hintergrund wurde 1991 in Sachsen-Anhalt, 1993 in Thüringen und 1997 in Sachsen „Ethik“ als „Wahlpflichtfach“ im Primarbereich eingeführt. Das Bundesland Brandenburg hat sich für das Fach „Lebensgestaltung – Ethik - Religionskunde“ entschieden und es zunächst in den Klassenstufen 7-10 eingeführt. Ein vergleichbares Fach in der Grundschule gibt es dort bislang nicht. In Berlin wird vor dem Hintergrund landesrechtlicher Regelungen Lebenskundeunterricht erteilt. Dieser Unterricht wird nicht als staatliches Schulfach angeboten, sondern findet in der öffentlichen Schule Berlins unter Verantwortung des Humanistischen Verbandes statt. In Mecklenburg-Vorpommern werden seit 1998 an der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock Lehrerinnen und Lehrer für das Fach „Philosophieren mit Kindern“ in der Grundschule ausgebildet. Seit 1999 gibt es einen „Vorläufigen Rahmenplan“ für dieses „Ersatzfach“ zum Religionsunterricht. Die intentionalen und inhaltlich-methodischen Vorgaben bzw. Empfehlungen der einzelnen Fächer weisen viele Gemeinsamkeiten auf und die Berichte der Lehrerinnen und Lehrer aus der Praxis zeigen ähnliche Schwierigkeiten bei der Realisierung. Als problematisch werden z. B. das eigene Rollenverständnis als „Lehrende“ beim Philosophieren, die Verpflichtung auf verbindliche Inhalte und der Einsatz in diesem Einstundenfach in vielen Klassen benannt. Darüber hinaus sind vielfach Probleme der Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer ungeklärt. Umso bedauerlicher ist es, dass es bislang keine länderübergreifende Zusammenarbeit der einzelnen Konzepte gibt. Die Arbeitsgruppe „Philosophieren mit Kindern“ des Fachverbandes Philosophie e. V. versteht sich als ein Forum für Austausch und Entwicklung in diesen Bereichen. MITTEILUNGEN 44/2004 32 Fachverband Philosophie e.V. (Arbeitsgruppe „Philosophieren mit Kindern“) in Kooperation mit der GDSU und der Universität Oldenburg Konferenz zum Philosophieren mit Kindern im Primarbereich am 23./24. April 2004 an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg Ammerländer Heerstr. 45 (Campus Haarenburg) FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 33 Konferenz Philosophieren mit Kindern im Primarbereich Das Philosophieren mit Kindern hat eine lange Geschichte und ist heute so populär wie nie zuvor. Als Gründe werden u. a. unsere immer komplizierter werdende gefährdete Welt und ein zunehmendes Bewusstsein für die intellektuellen und emotionalen Bedürfnisse von Kindern benannt. In einigen Bundesländern gibt es Bestrebungen, das Philosophieren in die verschiedenen Grundschulfächer zu integrieren, in anderen bestehen darüber hinaus separate Fächer, die sich philosophischen Inhalten widmen (Philosophieren mit Kindern, Ethik, Religion, Lebenskunde). Die Konferenz beabsichtigt, einen Austausch über die unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Philosophieren im Primarbereich in Deutschland und darüber hinaus anzuregen. Zielgruppe: Grundschullehrer/innen, insbesondere Lehrende der Fächer Philosophie mit Kindern, Ethik, Lebenskunde, Religion, Mitglieder des Fachverbands Philosophie, der GDSU sowie Vertreter aus Bildungsministerien und Landesinstituten. Programm Freitag, 23. April 2004 15:00 Uhr Eröffnung der Konferenz Grußworte des Präsidenten der Universität Oldenburg 15:15 Uhr Einführung: Die Förderung von Nachdenklichkeit und Orientierung durch Philosophieren - Dr. Silke Pfeiffer 16:30 Uhr Das Unterrichtsfach „Philosophieren mit Kindern in M/V“ Workshops 16.30 Uhr- 17.15 Uhr Workshops 17.30 Uhr- 18.15 Uhr Anita Sommer: Mit Kindern über Zeit philosophieren Birgit Wegehaupt: Über die Natur nachdenken Anke Ristau: Philosophieren über Freundschaft Grit Mann: Irgendwie anders Abends Philosophieren ‚in der Kneipe’ Samstag. 24.April 2004 9:30 Uhr Philosophieren ohne Lizenz? Vortrag: Prof. Dr. Dr. hc. Helmut Schreier 10:15 Uhr Pause 10:30 Uhr Philosophieren als elementare Kulturtechnik Vortrag: Prof. Dr. Ekkehard Martens MITTEILUNGEN 44/2004 34 11:15 Uhr Diskussion ab 13:00 Uhr Arbeitsgruppen à 45 min (13:00-13:45 Uhr, 14:00-14:45 Uhr, 15:00-15:45 Uhr) Eva Zoller-Morf: Philosophieren mit Kinderbüchern Hans..Joachim Müller: Gedanken symbolisieren - szenisches Interpretieren als Methode Prof. Dr. Bettina Uhlig: ,,Details“ eines Lebens. Philosophieren mit Kindern am Beispiel eines Lebenskunstwerkes Dr. Horst Gronke: ,,Frag mich was!“ - ,,Was denn?“ Mit Fragen freies Philosophieren ermöglichen. Prof. Dr. K. Michalik: Denken wir eigentlich immer? PD. Dr. Barbara Brüning: Philosophieren mit Märchen und Fabeln Dr. Klaus Zierer: Mit Kindern über Aspekte des Glücks philosophieren 15 :45 16 :30 17 :30 Pause Abschlussdiskussion Ende der Konferenz Anmeldung mit dem beigefügten Anmeldeformular (s. Rückseite). Bitte überweisen Sie die Teilnehmergebühr von 20,00 Euro (Studenten: 10,00 Euro) bis zum 31. März 2004 auf folgendes Konto: Universität Oldenburg, Finanzstelle 89 31 22 00 Konto-Nr. 900 001 00, Raiffeisenbank Oldenburg (BLZ 280 602 28) Verwendungszweck: Philosophie-Kongress - IHR NAME Ihre Überweisung gilt als verbindliche Anmeldung. Auskunft: Ihre Fragen und Wünsche richten Sie bitte an: [email protected], Telefon 04411-7982017 Weitere Informationen erhalten Sie auch auf folgender Homepage: www.philosophie-grundschule.de.vu Unterkunft: Wenn Sie eine günstige Unterkunft wünschen, wenden Sie sich bitte bis zum 15. März 2004 unter dem Stichwort ,,Kinderphilosophie“ an das Hotel „Zum Lindenhof“, Bloherfelder Straße 210, 26129 Oldenburg, Tel. 0441-95191-0, Fax 0441-95191-44. Anreise: Vom Autobahnkreuz Oldenburg-Ost kommend auf der A28 in Richtung Emden/Leer fahren; BAB-Abfahrt Haarentor; an der Ampel rechts abbiegen auf die Ammerländer Heerstraße; bei der 2. Ampelkreuzung links in den Uhlhornweg. FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 35 Anreise mit der Bahn: ZOB auf der Rückseite des Hauptbahnhofs, Buslinie 306 bis zur Haltestelle Universität/Artillerieweg. MITTEILUNGEN 44/2004 36 Anmeldung zur Konferenz Philosophieren mit Kindern im Primarbereich am 23./24. April An Dr. Silke Pfeiffer Universität Oldenburg Fak 1 AG / SU Ammerländer Heerstr. 114-118 26129 Oldenburg Name: _________________________ Vorname: _________________________ Titel: ___________ Tel.: ____________________ Anschrift: _________________________________________________________ PLZ: ________________ Ort: ________________________________________ Schule/Institut: ____________________________________________________ Ich möchte an folgenden Workshops/Arbeitsgruppen teilnehmen: Freitag (bitte 2 ankreuzen) Samstag (bitte 3 ankreuzen) Mit Kindern über Zeit philosophieren Philosophieren mit Kinderbüchern Über die Natur nachdenken Gedanken symbolisieren – szenisches Interpretieren Philosophieren über Freundschaft „Details“ eines Lebens Irgendwie anders „Frag mich was!“ – „Was denn?“ Denken wir eigentlich immer? Philosophieren mit Märchen und Fabeln Mit Kindern über Aspekte des Glücks philosophieren Datum: ______________ Unterschrift: __________________________________ FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 37 Arbeitsgruppe „Philosophieren mit Kindern im Primarbereich“ Philosophieren mit Kindern ist in Mecklenburg-Vorpommern ein Unterrichtsfach ab Klasse 1. Seit Juni 2002 existiert in M/V eine Arbeitsgruppe, die sich speziell mit den Belangen des Philosophierens im Primarbereich beschäftigt. Die Initiatoren dieser Arbeitsgruppe sind Mitglieder des Fachverbandes Philosophie. Am 12. Mai 2003 wurde ein Vorstand der Arbeitsgruppe gewählt. Mittel- und langfristige Zielstellungen der Arbeitsgruppe sind dem anliegenden Gründungspapier zu entnehmen. Die Arbeitsgruppe wurde auf der Mitgliederversammlung am 19.9.2003 als Institution in den Fachverband Philosophie e. V. integriert. Sprecherin ist Dr. Silke Pfeiffer, 1. Stellvertreterin Grit Mann, 2. Stellvertreterin Birgit Wegehaupt. Weitere Mitglieder der Arbeitsgruppe: Anita Sommer, Kerstin Krause, Silke Jantz, Heike Pisch, Anke Ristau, Madlen Taschenhofer, Marion Bendlin, Sonja Radke. Gründungspapier der Arbeitsgruppe „Philosophieren mit Kindern im Primarbereich“ im Fachverband Philosophie e.V. Was Kinder heute in der Schule lernen sollten, ist nicht erst seit PISA- und TIMSSStudie umstritten. Einigkeit besteht darin, dass es neben den primären Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen Fähigkeiten zu entwickeln gilt, die das Erfassen von Informationen, das Begreifen sinnvoller Zusammenhänge, das Einordnen von Erfahrungen in Kontexte, das Lösen von Problemen und das Beurteilen kritischer Lebenssituationen fördern. Der Unterricht in den Fächern Philosophieren mit Kindern, Ethik, Lebenskunde, LER, Praktische Philosophie ist ein ausgezeichneter Ort, an dem Schülerinnen und Schüler aller Schulformen die weitgehend vermissten Fähigkeiten erwerben können. Die von uns beabsichtigte Gründung einer Arbeitsgruppe innerhalb des Fachverbandes Philosophie e. V. fokussiert in diesem Zusammenhang das Philosophieren im Primarbereich, das im Bundesland M/V im Gegensatz zu Konzepten anderer Bundesländer bereits über ein Curriculum und umfangreiche Unterrichtserfahrungen in diesem Bereich verfügt. Die Arbeitsgruppe hat die weitere Evaluation und Profilierung des Faches PmK in M/V und alternativer Modelle in anderen Bundesländern zum Ziel. Dabei geht es im Einzelnen um die Mitwirkung an der Evaluation von Rahmenplänen, die Förderung von Zusammenarbeit und Austausch der Kolleginnen und Kollegen des Faches Philosophieren mit Kindern, Lebenskunde, Ethik im Primarbereich, der Arbeitsgruppe Philosophieren mit Kindern der Gesellschaft der Didaktik des Sachunterrichts (GDSU), des internationalen Austausches über Initiativen im Bereich Kinderphilosophie und die Mitwirkung an der Entwicklung vergleichbarer Standards der Fächer, die Zusammenarbeit mit den zuständigen Fachbereichen u. a. der Universitäten Rostock und Greifswald, die Organisation von Fortbildungen und Tagungen zum Philosophieren mit Kindern. MITTEILUNGEN 44/2004 38 Die Arbeitsgruppe wird sich vierteljährlich zu Beratungen treffen, um die unterschiedlichen Aktivitäten zu koordinieren. Die Protokolle dieser Zusammenkünfte und sonstige Materialien zum Philosophieren in der Grundschule sind auf der Homepage der Arbeitsgruppe unter www.Philosophie-grundschule.de.vu einzusehen. Rostock, 12.05.2003 i. A. Dr. Silke Pfeiffer Veranstaltungshinweise Konferenz zum Philosophieren mit Kindern im Primarbereich 23./24 April 2004 an der Universität Oldenburg Programm in der Heftmitte Begabungen fördern – mit Kindern Philosophieren Methoden praktischen Philosophierens in der Grundschule und der Sek. I 15.-17. März 2004 in Münster Institut für Lehrerfortbildung/Mülheim in Kooperation mit der Akademie Franz-Hitze-Haus und der Karg-Stiftung Programm: - Kinder ernstnehmen. Zur Aufgabe der Begabungsförderung (Dr. Gabriele Münnix, IfL, Universität Innsbruck) - Philosophieren mit Kindern als elementare Kulturtechnik Martens, Universität Hamburg) (Prof. Dr. Ekkehard - Lernkarrusselangebote (Dr. Cristina Calvert, Helmut Engels, Jutta Kähler, Dr. Gabriele Münnix, Dr. Mechthild Ralla) - Nur Staunen, Zweifeln, Betroffensein? Qualitätsstandards beim Philosophieren mit Kindern - Praktiker des Philosophierens mit Kindern geben Einblick in Ihre Arbeit: - Dr. Cristina Calvert: Irgendwie anders - Philosophieren über Identität - Helmut Engels: Emotionalität. Wahrnehmung, Phantasie Ganzheitliches Philosophieren mit begabten Kindern und Leibsein - - Jutta Kähler: Aspekte der politischen Philosophie beim Philosophieren mit Kindern - Dr. Gabriele Münnix: Perspektiven wechseln lernen: Philosophieren mit Bildern und Geschichten als Förderung kognitiver und sozialer Kompetenzen - Dr. Mechthild Ralla: Was ist der Sinn des Lebens? Zugänge zu einer Frage, die schon Kinder beschäftigt . - Philosophieren mit Kindern und Ich-Entwicklung. Zum pädagogischen Wert des Philosophierens mit Kindern (Dr. Gabriele Münnix, IfL, Uni Innsbruck) - Ideen- und Materialbörse. Anregungen, Tipps und Erfahrungsaustausch über geeignete Medien zum Philosophieren mit Kindern Kosten: 41 € für TN aus NRW, sonst 82/102 € (incl. Übernachtung und Verpflegung) Anmeldung : IfL, Postfach 100952, 45409 Mülheim, Tel. 0208-300350 FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 39 Geist und Gehirn Tagung des Fachverbandes NRW in Kooperation mit dem IfL, Mülheim 30. 06 /1.07.2004 in der Akademie Schwerte Prof. Dr. Christiane Schildknecht (Univ. Bonn): Phänomenales Bewusstsein Prof. Dr. Thomas Metzinger (Univ. Mainz): Das Ich als Selbstmodell des Gehirns Prof. Dr. Dieter Birnbacher (Univ. Düsseldorf): Bewusstsein als Epiphänomen Prof. Dr. Detlef Linke (Univ. Bonn): Neue Erkenntnisse der Gehirnforschung und ihre Bedeutung für die Philosophie Arbeitskreise: Helmut Engels: Bewusstsein von innen – Zur Phänomenologie des Bewusstseins Dr. Roland Henke/Dr. Eva Sewing: Entzaubert die Evolutionstheorie zuletzt auch das Selbst? - Zur Tragfähigkeit der Ich-Theorien von Susan Blackmore und Thomas Metzinger Dr. Gabriele Münnix: Solipsismus als Gedankenexperiment Dr. Klaus Blesenkemper: Traum – Schlaf der Vernunft? Weitere Informationen: http://www.fv-philosophie-nrw.de Anmeldung: IfL, Postfach 100952, 45409 Mülheim, Tel. 0208-300350 „You can Change the World“ Weltjugendforum unter der Schirmherrschaft des Club of Budapest 28.7. – 29.7.04 in Höchstadt bei Nürnberg Im vergangenen Jahr nahmen mehr als 40 000 Jugendliche am ersten „Young & Free“ Jugendfestival der Stadt Höchstadt/Aisch bei Nürnberg teil. In diesem Jahr werden mehr als 70 000 Jugendliche erwartet. Erstmals wird ein Jugendforum angehängt, bei dem Vertreter von Jugendorganisationen aus aller Welt teilnehmen werden, um Vorschläge für eine bessere Welt auszuarbeiten. Dabei soll die Global-Marshall Plan/Planetary Contract Initiative (gmp) eine zentrale Rolle spielen. Nähere Informationen finden Sie unter: http://gmpanschulen.de http://club-of-budapest.com/cob_d/Aktuelles/a-0402-hoechstadt-start.htm Bitte prüfen Sie, ob Sie Ihre Schüler/innen ermuntern möchten, an dem Weltjugendforum oder an dem Diskussionsforum im Internet teilzunehmen. Tradition und Traditionsbruch Interkulturelle Perspektiven zwischen relativierender Skepsis und dogmatischer Selbstbehauptung, 17.-20. Juni 2004, Universität Köln Bei der Veranstaltung der Internationalen Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie (GIP) in Zusammenarbeit mit dem Philosophischen Seminar der Universität Köln werden Philosophen japanische, chinesische, indische, afrikanische, lateinamerikanische sowie europäische Sichtweisen zum Thema zur Diskussion stellen. MITTEILUNGEN 44/2004 40 Weitere Informationen: http://www.uni-koeln.de/phil-fak/phil/kongress/index.htm MARTINA DEGE Der Kampf der Geschlechter oder das Verschwinden der Frau im Mythos Im Bild "Der Kuss der Sphinx" (1895)1 von Franz von Stuck sehen wir aus der Dunkelheit zwei ineinander verwobene Leiber aufscheinen. Die beiden verschlungenen Körper scheinen aus einem unbestimmbaren dunklen Geflecht zu wachsen, wirken wie eine untrennbare Einheit. Man ahnt nur, dass ihm ein menschlicher Körper angehört, während sie sich einem Raubtierkörper entwindet. Sie FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 41 scheint ihn voller Leidenschaft zu verschlingen, während er sich hingerissen und wollüstig diesem "Todeskuss" hingibt. Die mythologische Sphinx war ein furchtbares Untier, halb Jungfrau, halb geflügelter Löwe, die Schwester des Höllenhundes. Sie lauerte vor den Toren Thebens und forderte Tribut, indem sie Menschen Rätselaufgaben stellte und ihre Opfer zerfleischte, wenn diese das Rätsel nicht lösen konnten. Als der heimatlose Ödipus in die Stadt kommt, lässt er sich verleiten, sich der Sphinx zu stellen. Das Rätsel lautet: "Am Morgen ist es vierfüßig, am Mittag zweifüßig, am Abend dreifüßig; doch gerade, wenn es sich auf den meisten Füßen bewegt, sind seine Glieder am wenigsten kräftig und behende." 2 Ödipus löst das Rätsel. Es bezeichnet den Menschen und die Sphinx stürzt sich vor Scham in einen Abgrund. Die Folgen für Ödipus sind bekannt. Er heiratet ahnungslos seine Mutter und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Diese Sphinx haben wir in Franz von Stucks Darstellung nicht vor uns, obwohl sie noch gewisse Eigenarten mit der klassischen mythologogischen Figur teilt. Sie ist halb Tier, halb Frau, aber sie wirkt doch mehr wie eine inbrünstig Liebende, wenn auch wollüstig und gefährlich. Diese ungewöhnliche Sichtweise ist also nicht aus dem klassischen Mythos begründbar. Warum verändert Stuck das Sujet in so überraschender Weise? Im Frühjahr 1995 fand in München eine Ausstellung statt "Der Kampf der Geschlechter. Der neue Mythos in der Kunst 1850 - 1939", die zeigte, dass das Motiv "Ödipus und Sphinx" sich im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute und bereits vor Stuck Ingres und Gustave Moreau sowie Fernand Khnopff den Mythos verarbeitet haben. Stuck bezieht sich in seiner Deutung des Kusses der Sphinx auf ein Gedicht von Heinrich Heine, in dem dieser Kuss als Todeskuss gedeutet wird: "... Dort vor den Toren lag die Sphinx, Ein Zwitter vor Schrecken und Lüsten, Der Leib und die Tatzen wie ein Löw, Ein Weib an Haupt und Brüsten. Ein schönes Weib! Der weiße Blick, Er sprach von wildem Begehren; Die stummen Lippen wölbten sich Und lächelten stilles Gewähren.... Lebendig ward das Marmorbild Der Stein begann zu ächzen Sie trank meiner Küsse lodernde Glut Mit Dürsten und mit Lechzen. Sie trank mir fast den Odem aus MITTEILUNGEN 44/2004 42 Und endlich, wollustheischend, Umschlang sie mich, meinen armen Leib Mit den Löwentatzen zerfleischend. Entzückender Marter und wonniges Weh! Der Schmerz wie die Lust unermesslich! Derweilen des Mundes Kuss mich beglückt, Verwunden die Tatzen mich grässlich.“ 3 Die bildlichen Darstellungen dieser Zeit nehmen alle eine Umwertung des Mythos von Ödipus und der Sphinx vor, indem sie - Heine folgend - in der Darstellung eine Allegorie auf die Kunst einerseits und auf das Leben andererseits vornehmen, "in der der Mann den Geist und das Streben nach Höherem, die Frau aber die Verlockung der Materie verkörpert, eine Rollenverteilung, die von nun an bestimmend bleiben wird." 4 "Entzückender Marter", "wonniges Weh", "unermesslicher Schmerz und Lust": sie verweisen auf den Rausch, auf das Ergriffenwerden, das Verschlungenwerden, auf die Ausgeliefertheit des Künstlers. Wir sehen Eros und Thanatos, die wie eine Urgewalt, jenseits von Kultur und Vernunft als rauschhaftes Prinzip das Dasein durchwalten. Wir kennen diese Figur von Nietzsche, der uns in der "Geburt der Tragödie" den Rausch als eine Quelle der Kunst vorführt. Dass dieser besitzergreifende Rausch in der Kunst des 19. Jahrhunderts so häufig in Form einer männerverschlingenden mythischen und durchwegs weiblichen Figur dargestellt wird, verdanken wir einer Kennzeichnung des Logos als männlichem und des Naturhaften, Leiblichen als weiblichem Prinzip. Der klassische griechische Mythos wird durch einen neuen ersetzt. Der Mythos der männerverschlingenden unheilbringenden Weiblichkeit, die dabei aber zum Genius, zur Muse des Künstlers avanciert. Ja, hier tobt er, der Kampf der Geschlechter, zumindest in der Kunst, Literatur und Philosophie des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Es gibt eine Fülle von Darstellungen blutrünstiger, männerverschlingender, männerverderbender Frauen wie Salome, Circe, Medusa, der Sphinx, Venus, den Erynnien, Sirenen, Engeln und Harpyen und der biblischen Urgestalt dieses Denkens: Eva, der großen Verführerin.5 Die Frau als das unheilbringend leibliche, irrationale und damit sündhafte Wesen. Die Kindfrauen wie Lulu oder die großen Männerverderberinnen wie Carmen, sie alle scheinen nur dazu geschaffen, den Untergang des Mannes herbeizuführen. Sie sind die "Heldinnen" in der Kunst, auf den Opernbühnen und in der Dichtung des 19. Jahrhunderts. Dies zeigt, dass die Mythen im Sinne Blumenbergs eine neue "Bedeutsamkeit" bekommen. 6 Es ist also zu fragen, warum das 19. Jahrhundert sich bestimmten Mythen so verstärkt zuwendet. Wenn man mit Blumenberg annimmt, dass die wiedererstandene Bedeutsamkeit von Mythen im Denken der Rezipienten zu suchen und nicht im Mythos selbst angelegt ist - der Mythos bietet nur Spielräume an, FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 43 Leerstellen - dann drängt sich hier die Frage auf, warum sich die Künstler der Zeit solchen unheimlichen Musen zuwenden. Die Vorbereitung zu dieser Entwicklung finden sich sowohl in der Kunst als auch in der Philosophie. In der französischen Malerei seit David und in der Philosophie seit Schlegel findet eine Typisierung der Geschlechterrolle als bildnerisches oder allgemein ästhetisches Prinzip statt. "Die Frau ist ein klassisches und klassizierendes Wesen; der Mann ein progressives. Beide zusammen ein historisches System. Schlegel leitet aus der Anbindung der Theorie an die Weiblichkeit ihre Verbindung mit dem Leben und der Menschheit ab und nutzt die weiblichen und die männlichen Elemente, um Kunstherstellung und Denkprozess der sexuellen Zeugung gleichzustellen." 7 Auch dieser Gedanke wird für die Deutung von Stucks Bild durchaus fruchtbar. Gäbe es eine Vereinigung von Ödipus und der Sphinx, wenn sie denn wie bei Heine als Allegorie für den Künstler im Ringen mit der Kunst zu lesen ist, dann wäre im Schlegelschen Sinne hier durch die Vereinigung die Voraussetzung für das Entstehen der Kunst gegeben. Susanne Deicher führt in den Beiträgen des Buches "Die weibliche und die männliche Linie" vor, dass viele Künstler seit der Jahrhundertwende an Geschlechtertheorien arbeiteten, die vor allem von einer Erkenntnis gespeist werden: Dass der Künstler eigentlich ein Grenzgänger zwischen den Geschlechtern ist, dass er beide Geschlechter besitzen muss, um die Synthese herzustellen zwischen Logos und Leiblichkeit, oder zwischen Geist und Natur oder wie die genauen Bezeichnungen jeweils sein mögen. Dabei kommt der Geschlechterrolle zunehmend symbolischer Charakter zu. 8 Neben der kunsttheoretischen, philosophischen Verwendung der Motive gibt es aber auch Bezüge zur Realität von Männern und Frauen. Was geschieht durch die Mythologisierung der Frau denn wirklich? Frauen haben auch in der Realität die Rolle als Muse, als Genius, als Inspiration zu spielen und das kann bis zum Verschwinden der realen Frauen im Mythos führen. Hier wird die weibliche Psyche unter die verschiedenen Mythen subsumiert. Die Künstler suchen das wirklich Andere nicht mehr hinter dem Bild, das sie sich machen, oder hinter der Geschichte, die sie erzählen. Die reale, individuelle Person verschwindet in der Projektion. Man erzählt nicht ihre eigene Geschichte, sondern stülpt ihr fremde Geschichten über. Indem Männer den Mythos Weib schaffen, wird die Abhängigkeit vom männlichen Logos bewahrt. Die Frau wird nur geliebt, wenn sie einem dieser Bilder entspricht. Elisabeth Bronfen weist in ihrem materialreichen Buch "Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik"9 nach, dass viele Künstler das Verschwinden der Frau so weit getrieben haben, dass sie sie tot darstellen. Sie wird erst dann zur vollkommenen Geliebten, wenn sie sich nicht mehr entziehen kann. Berühmte Beispiele zeugen von diesem Vorgang. Camille Claudel wird zum Opfer Rodins, weil er ihre Begabung nicht wahrnimmt, sie nur im Hinblick auf ihre Rolle als MITTEILUNGEN 44/2004 44 sein Genius betrachtet. Alma Mahler darf nicht komponieren und wird es auch nach Gustav Mahlers Tod nie mehr können. (Sie wird sich allerdings an anderen Männern bitter rächen.) Die Geschichte des romantischen Dichters Novalis und seiner Verlobten Sophie Freud bezeugt, dass die Frau sich zum Teil selbst opfert. Sie stirbt am fiktiven Hochzeitsdatum und Novalis bekennt, dass erst dieses Ereignis sein Denken und Fühlen für die Dichtung befreit habe. Dass dieser Vorgang noch immer wiederholt wird, zeigt Ingeborg Bachmann in ihrem Roman "Malina", wenn sie die Frau als liebende, leidende, lebendige Kraft in einer Wand verschwinden lässt, ehe die rationale Künstlernatur dann die Geschichte erzählen kann. Christina von Braun beschreibt das Verschwinden der Frau im Mythos, im Bild oder in der Metapher sehr eindringlich in ihrem Buch "Die schamlose Schönheit des Vergangenen. Zum Verhältnis von Geschlecht und Geschichte".10 Sie führt vor, dass die Darstellungen von "grausamen" Frauen Ausgeburten männlicher Phantasien sind, die in der Realität ganz andere Deutung erfordern. Sie zitiert Otto Weiniger: "Das Weib als Sphinx! Ein ärgerer Unsinn ist kaum je gesagt, ein ärgerer Schwindel nie aufgeführt worden. Der Mann ist unendlich rätselhafter, unvergleichlich komplizierter." 11 Der Kampf der Geschlechter, der auf den ersten Blick den Mann als Opfer sah, ist also doch eine Kopfgeburt von Künstlern, Dichtern, Philosophen und besonders Psychologen. Das Opfer ist aber in der Realität die reale Frau. Otto Weiniger, der Mediziner Dr. Paul Julius Möbius mit seinem Buch "Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes "und Freud sind die prominenten Vertreter einer Theorie, die die Frau immer nur als abkünftig, als zweitrangig, minderwertig beschreibt. Otto Weiningers Buch" Geschlecht und Charakter" erschien 1903 und dürfte unter seinen Zeitgenossen offene Türen eingerannt haben. Er entwickelte eine Lehre von zwei einander polar entgegengesetzten Idealtypen: dem männlichen und dem weiblichen. Dabei spricht er den Frauen eine vollentwickelte Seele ab und meint, Frauen seien überwiegend geschlechtliche, amoralische Wesen, die den Mann von seiner eigentlichen Bestimmung, der reinen Geistigkeit, ablenkten. Das Buch, das wir heute nur als ärgerlich empfinden können, enthält allerdings einige durchaus wegweisende Beobachtungen, wenn er feststellt, dass jeder Mensch weibliche und männliche Anteile in sich vereinige, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Aber sein Gesamturteil über die Frau ist vernichtend. Dem Typ W komme eine niedrigere Stufe des Bewusstseins zu und nur in den Anteilen M, den manche Frauen hätten, komme ihnen eine gewisse Emanzipationsmöglichkeit zu. Die Hauptthese ist, dass die Frau ganz das Prinzip der Geschlechtlichkeit vertritt und damit den Mann schuldig werden lässt. Aufschlussreich in diesem Kontext sind Weinigeres Verbindungen zwischen dem Verhältnis der Geschlechter und dem Antisemitismus, die auch in der Tatsache zum Ausdruck kommen, dass der Begriff Emanzipation sowohl auf die Juden als auch auf die Frauen angewandt wird. Viele Frauenfeinde im 19. Jahrhundert sind Antisemiten. 12 Auch Freud bedient sich des Mythos' und sein "Ödipus-Komplex" darf sicher zu den wirkmächtigsten Mythen der letzten hundert Jahre gerechnet werden. Wobei man sich FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 45 fragen muss, ob Freud dem Zeitgeist Ausdruck gegeben oder ob er ihn geprägt hat. Christiane Olivier weist in ihrem Buch "Jokastes Kinder"13 darauf hin, dass sich Freud bei seiner Beschreibung des Ödipus-Komplexes ausschließlich für Ödipus interessiere, während die Nebenfiguren der Tragödie nicht berücksichtigt wurden. Die Mutter und auch die Mutter seiner Kinder, Antigone und Ismene, sie, die Opfer seiner Schuld, werden unterschlagen. Freuds Psychoanalyse kranke eben an der Verwendung von Mythen, die aus patriarchalischen Kulturen entstammten und dadurch die gesamte Die moralische Selbsterkenntnis, die in schwerer zu ergründenden Tiefen (Abgrund) des Herzens zu dringen verlangt, ist aller menschlicher Weisheit Anfang. Das heißt, dass der Mensch sich zu aller erst selbst ergründen und erkennen muss, bevor er überhaupt zur Interaktion mit anderen Menschen fähig ist. Jeder muss also in sich gehen und mit sich selber klären, wer er ist und was er wirklich will, auch im moralischen Sinne, um schließlich ein funktionierender Teil der Gemeinschaft zu werden, Wenn man nicht weiß, wie man selber ist, kann man auch der Gesellschaft nicht produktiv dienen und seine Pflichten erfüllen, wie Kant beschrieben hat, weil man sich dann nämlich nicht rational verhält und seine Handlungen nicht durchdenkt. Auch heute ist es noch so, dass viele Menschen unmoralisch handeln, weil sie sich ihres Verhaltens nicht bewusst sind und statt dessen ihren Gefühlen folgen. Man kann aber nicht nach dem kategorischen Imperativ handeln, wenn man seinen inneren Willen nicht ergründet hat und auch nicht bereit ist, diesen rational zu überprüfen. Anstatt aus Selbsterkenntnis und Rationalität zu handeln und die – laut Kant – ursprüngliche Anlage eines guten Willens in sich selbst zu ergründen, ist es heute so, dass man sich vermehrt entweder nach dem Gefühl oder aus Anpassung an andere in bestimmter Weise verhält. (Yannick O.) Theorie eben diesen patriarchalischen Charakter habe. Benoite Groult habe recht, wenn sie sage: "Die Frauen waren gerade dabei, die Startrampe zu erklimmen, als ein großes Unglück sie ereilte: Freud".14 Die Frau wir zur Projektionsfläche des männlichen Logos. Sie ist in dieser Theorie ein Geschöpf, das laut Freud seine gesamte Geschlechtlichkeit aus dem Neid auf das andere Geschlecht ziehe. Weibliche Sexualität ist also nur Kehrseite oder Rückseite der männlichen. Man spürt, dass diese Mythen das Denken sehr geprägt haben, dass es schwer ist, dieses Denken wieder zu befreien. Man sollte noch einmal an die Erzählung von der Sphinx erinnern. Im klassischen Mythos ist die Sphinx ein rationales Wesen, das durch eine Denkaufgabe terrorisiert. Und es gibt auch andere Interpretationen des Mythos wie z.B. bei Flaubert, der in der "Versuchung des heiligen Antonius" im Dialog zwischen Sphinx und Chimäre die Sphinx als das rationale, berechnende Prinzip deutet. Vielleicht wird diese Deutung deshalb möglich, weil die Sphinx im Französischen männlich ist. Sie erfährt dann - je nach Zeitgeist - eine sich verändernde Bedeutsamkeit und damit auch Umwandlung des Mythos selbst. Die MITTEILUNGEN 44/2004 46 Mythologisierung, die im 19. Jahrhundert allgegenwärtig ist, dient also wechselnden Zwecken und spiegelt damit wesentliche Aspekte der Zeit wieder. Nun wird auch deutlich, warum diese Form der Mythologisierung gerade im 19. Jahrhundert entsteht. In der historischen Realität sind Frauen noch rechtlos, abhängig, schwach, ohnmächtig dem Mann ausgeliefert. Aber es regen sich "die Köpfe der Hydra". Benoit Groult hat recht, wenn sie sagt, die Frauen hätten sich auf einer Startrampe befunden. Frauen verlangen mehr Rechte, die Emanzipationsbewegung beginnt, Frauen drängen in die Berufswelt der Männer, sie schreiben und ihre Bücher werden verlegt. Sie beginnen, die männliche Vorherrschaft zu durchbrechen. Noch sind es wenige, aber sie lösen ganz offensichtlich große Ängste aus, die nun - unter anderem - in Künstlerphantasien zum Ausbruch kommen. Soziologisch betrachtet ist der Mythos vom Geschlechterkampf der Realität entsprungen. Die "Bedeutsamkeit" des Mythos ist durch die Realität angeregt worden. Die Mythologisierung der Frau ist im Kern eine Entsprechung des Konfliktes 'Leiblichkeit und Logos' und damit von 'Weiblichkeit und Männlichkeit'. Die Künstler verlagern hier, wie schon Heine in seinem Gedicht, den Konflikt, der zwischen der Kunst als dem Irrationalen und der Gesellschaft, als Vertreter des männlichen Logos auf ihre eigene Bühne, also in die Kunst selbst und fechten hier einen Stellvertreterkrieg aus. Bleibt die abschließende Frage an die Gegenwart, welche Perspektiven sich im Zeitalter der Emanzipation öffnen. Gibt es die Möglichkeit, die beiden Geschlechter in ihrem Eigenrecht bestehen zu lassen, ohne die bekannten Fehler zu wiederholen und einfach nur den "weiblichen Logos" zum prinzipiell besseren zu erklären? Es besteht offensichtlich eine enge Verbindung zwischen der Rolle der Kunst und der Rolle der Frau. Beide haben sich im zwanzigsten Jahrhundert zu emanzipieren versucht. Dass dies notwendig und wichtig war, ist sicher nicht zu bestreiten, aber wie bei allen Aufklärungsbewegungen haben wir dabei auch viel verloren. Wir haben die Frau und die Kunst gleichermaßen entzaubert, haben sie der Ratio unterworfen, haben auch noch die letzten Residuen der Sinnlichkeit und des Rausches "restlos" aufgeklärt. Die Emanzipation der Frau und der Kunst15 fand im Zeichen des patriarchalen Logos statt. Das bedeutet, dass der Zauber des Anderen in der Emanzipationsbewegung zu verschwinden drohte. Deshalb versucht die postmoderne Philosophie seit Jahren das Weibliche als Vertreter des genuin anderen Logos, als Leiblichkeit zu rekonstruieren. Dabei wird aber das Dilemma der Philosophie deutlich, die, indem sie auf den sprachlichen Logos angewiesen ist, gerade nicht den Zauber retten kann. Sobald sie dies versucht, wird sie Dichtung. Die Kunst, die "Vision", der Klang und die Poesie bringen uns zum Verstummen. Wenden wir uns mit Baudelaire noch einmal unserem Bild zu und überlassen wir uns dem Rausch der Sinne in stillem Staunen. "O Jungfrauen, o Dämonen, o Ungeheuer, o Märtyrer, der Wirklichkeit Verächter großen Geistes, nach Unendlichem süchtig, Beterinnen und Satyre, bald voller FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 47 Schreie, bald von Tränen überströmt, Ihr, denen in eurer Hölle meine Seele nachging, arme Schwestern, ich liebe euch...". 16 ____________ 1 Alle Bilder wurden dem Ausstellungskatalog entnommen: Eschenburg, Barbara: Der Kampf der Geschlechter. Der neue Mythos in der Kunst 1850-1930. 2 Griechische Sagen, bearbeitet und ergänzt von Richard Carstensen. Reutlingen 1954, S.152. 3 Zitiert nach Eschenburg: a.a.O. S.11 4 Eschenburg a.a.O. S.10 5 Die Ausstellung und der Katalog führen uns viele Beispiele dieser Art vor. 6 Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos. Frankfurt/M.1986. Blumenberg zeigt in diesem Buch, dass Mythen im Verlauf der Rezeptionsgeschichte immer neue Phasen der Bedeutsamkeit erleben können. Dann werden sie wieder aufgegriffen und mit den Mitteln der Zeit spielerisch verändert, angeeignet, variiert und umgedeutet. Den Mythen selbst eignet diese Struktur, dass sie Spielräume anbieten, im Sinne von Räumen zum Spielen, zum Umformen und Ausarbeiten. 7 Deicher, Susanne (Hg.): Die weibliche und die männliche Linie. Das imaginäre Geschlecht der modernen Kunst von Klimt bis Mondrian. Berlin 1993. 8 Deicher a.a.O. S.11ff. 9 Bronfen, Elisabeth: Nur über meine Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik. München 1994 10 v.Braun, Christina: Die schamlose Schönheit des Vergangenen. Zum Verhältnis von Geschlecht und Geschichte. Frankfurt 1989. 11 v.Braun a.a.O. S.67. 12 v. Braun a.a.O. S. 81ff. 13 Olivier, Christiane: Lokastes Kinder. Die Psyche der Frau im Schatten der Mutter. Düsseldorf 1987. 14 Olivier, a.a.O. S.19 15 Gudrun Inboden beschreibt diesen Prozess hervorragend im Ausstellungskatalog: Leiblicher Logos. 14 Künstlerinnen aus Deutschland. Eine Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen. Stuttgart 1995. 16 Baudelaire, Charles: Die Blumen des Bösen. Vollständige zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Friedhelm Kamp. München 1975, S.247. Wer sich die Pocken einimpfen zu lassen beschließt, wagt sein Leben aufs Ungewisse, ob er es zwar tut, um sein Leben zu erhalten, und ist so fern in einem weit bedenklicheren Fall des Pflichtgesetzes, als der Seefahrer, welcher doch wenigstens den Sturm nicht macht, dem er sich anvertraut, statt dessen jener die Krankheit, die ihn in Todesgefahr bringt, sich selbst zuzieht. Ist also die Pockeninokulation erlaubt? Diese Argumentation möchte ich zunächst mit Kant selbst widerlegen: In seinem kategorischen Imperativ behauptet er, es komme auf den Willen, die gute Absicht, MITTEILUNGEN 44/2004 48 nicht aber auf die Folgen dieser Handlung an. Und genau jene gute Absicht ist gegeben, weil man sich impfen lässt, um einer schweren Krankheit zu entgehen. Da heutzutage die Impfmethoden und –wege besser sind, sollte man sich nach meiner Ansicht grundsätzlich impfen lassen, solange die Impfgefahr geringer ist als die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit ausbricht. Eventuell kommt Kant zu einem anderen Schluss, weil das Impfen damals noch gefährlicher war, so dass man sich einer Todesgefahr ausgesetzt hat- allerdings könnte er die Behauptung nur aufrecht erhalten, wenn die Risiken überwögen. Dann könnte man eventuell unterstellen, sich willentlich dieser Todesgefahr hingegeben zu haben. In meinen Augen ist es eher ein Laster sich nicht impfen zu lassen, weil man vielleicht Angst davor hat oder gar, weil man zu träge ist zum Arzt zu gehen – man handelt also unvernünftig. Bei den heutigen medizinischen Standards ist die Gefahr aber meines Erachtens minimal, das heißt der Wille einer Krankheit zu entgehen ist gegeben. (Sören E.) Nachrichten aus den Landesverbänden Landesverband Berlin Die Arbeit im Berliner Landesverband ist zur Zeit durch die vom Senat im Sommer 2003 verordnete Mehrarbeit (bis zu 4 Stunden je nach Schultyp) und die ständigen Gehaltskürzungen stark beeinträchtigt. Nachdem bei den vorangegangenen Stundenerhöhungen immer wieder gesagt worden war, dass es die letzte sei, ist das Vertrauen in den öffentlichen Arbeitgeber gesunken. Es ist deshalb nur mehr wenig Bereitschaft vorhanden, sich über die normale Unterrichtstätigkeit hinaus in Gremien und im Verband zu engagieren. Demgegenüber steht ein von außen blind wirkender Aktionismus der Schulverwaltung. Ein neues Schulgesetz befindet sich mal wieder im Gesetzgebungsverfahren. Die Schulen sollen autonomer werden und sich Schulprogramme geben, die Schulzeit soll verkürzt werden (zur Zeit ist die Rede von 12 Jahren, was auch ein Jahr weniger Philosophieunterricht bedeutet), das Zentralabitur soll zunächst in Deutsch, Englisch und Mathematik eingeführt werden. Die Kirchen haben wieder Alternativanträge zum Schulgesetz gestellt, um Religion und alternativ Philosophie/Ethik als ordentliches Schulfach einzuführen. Alle Veränderungen sollen kostenneutral erfolgen, was auf eine weitere Mehrarbeit hinausläuft. In allen Fächern sind Rahmenlehrplankommissionen eingerichtet worden, die unter Zeitdruck und ohne genauere Vorgaben kompetenzorientierte offene Rahmenlehrpläne erarbeiten sollen, die Grundlage für ein mögliches Zentralabitur sein sollen. Auf der einen Seite scheint alles in Bewegung, auch offen, sollen alte Zöpfe abgeschnitten werden, andererseits ist kein klares Konzept zu erkennen, ist jede Veränderung mit Einsparungsdruck verbunden, scheint alles auf weitere Niveausenkungen im Unterricht hinauszulaufen. Der Landesvorstand versucht die Mitglieder, die oft vereinzelt als PhilosophielehrerInnen an Schulen arbeiten, über Rundbriefe möglichst gut zu informieren, über informelle Treffen Foren für einen Austausch zu schaffen und Anregungen für den Unterricht zu geben (z.B. Film und Philosophieunterricht). Außerdem arbeiten in allen Gremien und Kommissionen Mitglieder des Fachverbandes mit. FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 49 Manfred Zimmermann (Vorsitzender des Fachverbandes Berlin) Landesverband Sachsen-Anhalt Seit der Gründung des Fachverbandes Philosophie im Januar 2000 hat sich dieser in der Bildungslandschaft Sachsen-Anhalts etabliert und wie das Fach Philosophie insgesamt eine positive Entwicklung genommen. Die Mitgliederzahl ist stabil bei 18, jedoch hat sich die Zahl der Gymnasien, an denen Philosophie angeboten werden kann, auf mittlerweile 21 erhöht. Dabei wird Philosophie über die letzten vier Schuljahrgänge bis zum Abitur angeboten. Diese Stellung wird das Fach auch weiterhin haben, da es als Alternativfach zum Religionsunterricht nicht in Frage kommt, weil diese Stellung der zunehmend eingerichtete, aber immer noch nicht flächendeckend angebotene Ethikunterricht einnimmt. In der Praxis ist die Situation des Faches etwas komplizierter, da vom laufenden Schuljahr an bis zum Schuljahr 2006/07 die Umstellung von 13 auf 12 Schuljahren bis zum Abitur erfolgt. Dadurch konnte Philosophie in diesem Schuljahr bereits im Schuljahrgang 9 begonnen werden, weil dieser der erste ist, der das Abitur nach 12 Schuljahren ablegen wird. Das Fach Philosophie wird ausschließlich als Wahl- bzw. Wahlpflichtfach angeboten, hat dabei aber den Status eines möglichen mündlichen Abiturfachs und wird als solches auch seit 1996 an einigen Gymnasien geprüft. Eine Besonderheit ist hierbei, dass es ebenfalls seit 1996 eigene Landes-EPA für Philosophie gibt. Inzwischen sind die nunmehr dritten Rahmenrichtlinien im August 2003 erschienen, die konzeptionell und inhaltlich eine sehr weit gehende Neuorientierung des Fachs bedeuten und besonders durch eine Reduzierung und Präzisierung der Lernziele als Grundlage zur Formulierung von den aktuell zunehmend nachgefragten Standards des Faches Philosophie dienen können, weshalb sie speziell in dieser Hinsicht über die Landesgrenzen hinaus positive Reaktionen ausgelöst haben. Im Juni 2003 wurde ein neuer Vorstand gewählt, dem außer mir Dr. Gisela RaupachStrey als Stellvertretende Vorsitzende und die ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Stefan Koch und Constanze Groß als Kassenwart und Schriftführerin angehören, so dass erfreulicherweise eine Kontinuität in der Vorstandsarbeit gewährleistet ist. Die vordringlichen Probleme, die das Fach Philosophie betreffen, werden hauptsächlich durch die äußerst knappe Haushaltslage des Landes bestimmt. Denn obwohl die Studentenzahlen enorm ansteigen und damit in absehbarer Zeit auch Referendare und Referendarinnen auszubilden sein werden, gibt es weder Fachseminare noch Fachbetreuer für Philosophie. Diese Situation wird noch durch die geplante Konzentration der Lehramtsstudiengänge an der Universität HalleWittenberg verschärft, weil sowohl dieser als auch der zweite Studienort Magdeburg bereits jetzt gewaltige personelle und organisatorische Probleme bei Bewältigung des Studentenandrangs haben. Diese Situation wurde auf einem ersten Gespräch des Vorstands mit dem zuständigen Staatssekretär und Referatsleitern im November erörtert, wo diese im Rahmen ihrer vor allem finanziellen Möglichkeiten oder besser Grenzen Verbesserungen anstreben wollen. Bemerkenswert erschien uns dabei die große Aufgeschlossenheit dem Anliegen des Faches Philosophie gegenüber, die ja durchaus nicht selbstverständlich ist und ein wenig Hoffnung macht. MITTEILUNGEN 44/2004 50 Ebenfalls verstärkt werden soll die Zusammenarbeit mit dem Fachverband Ethik, mit dem in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung eine mehrtägige Fortbildung im Sommer geplant ist, wozu die ersten Absprachen bereits getroffen wurden. Dr. Rainer Bartholomai (Vorsitzender des Fachverbandes Philosophie Sachsen-Anhalt) Kants Werke im Internet http://www.ikp.uni-bonn.de/kant Die Universität Bonn hat die kompletten Werke und Briefe Immanuel Kants ins Netz gestellt. Das Kant-Informationssystem erlaubt Nutzern auch den Zugriff auf gescannte Originalschriften. In den kommenden zwei Jahren sollen auch noch die vorhandenen von Kant benutzten Lehrbücher mit seinen persönlichen Notizen erfasst und eingestellt werden. (Bernd Rolf) Berichte von Tagungen und Kongressen Bundeskongress des Fachverbands Philosophie in Schwerin Vom 19.-21.September 2003 veranstaltete der Fachverband Philosophie seinen Bundeskongress unter dem Thema „Philosophie und Praxis“. Hauptorganisator war der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, unterstützt durch die Landesverbände Hamburg und Schleswig Holstein. An die 80 Teilnehmer reisten von weiter an, ca. 40 Lehrerinnen und Lehrer kamen aus Mecklenburg-Vorpommern, um sich mit Problemen der Neuen Medien, der Bioethik, technologischer Visionen und der Frage nach der Philosophie als Lebenshilfe auseinander zu setzen. Nach der Begrüßung und Einführung durch den Bundesvorsitzenden des Fachverbandes, Dr. Frank Witzleben, und den Grußworten des Ministers für Bildung, Forschung und Kultur des Landes M/V, Hans Robert Metelmann, hielt Heiner Hastedt das erste Hauptreferat zum Thema „Philosophie, Schriftkultur und Neue Medien“. Er ging zunächst auf den Zusammenhang zwischen Philosophie und Schriftkultur ein. Entgegengesetzte Positionen werden hier durch Platon und Derrida besetzt. Platon hebt im „Phaidros“ die Stärke der lebendigen Rede im Unterschied zur toten Schriftkultur hervor. Derrida dagegen kritisiert den Phonozentrismus und hält die Schriftlichkeit für das einem gründlichen Nachdenken Angemessene. Hastedt gewinnt seine eigene Position unter Bezug auf Jan Assmanns These, dass das Klassische nur auf dem Boden der Schriftkultur gedeihe: „Philosophische Nachdenklichkeit ist systematisch nicht an die Schriftkultur gebunden. Das philosophische Abendland würde nicht mit der Schriftkultur untergehen. Aber gleichwohl tun wir in der Philosophie gut daran, die Schriftkultur vorauszusetzen.“ Aufgabe des Philosophieunterrichts sei es von daher, schriftorientierte Basiskompetenz zu vermitteln. - Die Frage, ob die Neuen Medien die Schriftkultur gefährden oder erweitern, muss nach Hastedt differenziert gesehen werden. Wenn man eine Hauptaufgabe der Schriftlichkeit darin sieht, Wissen dauerhaft verfügbar zu machen, dann ist beim Internet Skepsis angebracht. Auch unter dem z.B. von Heidegger hervorgehobenen Aspekt, das Lesen letztlich Sammlung bedeutet, muss man den Computer als problematisch ansehen. Dennoch ist das Internet deutbar als vernetzte FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 51 Schriftkultur. Es wirkt vor allem auch als Beschleuniger, so wie der Buchdruck seinerzeit eine beschleunigende Wirkung hatte. Die Frage, ob philosophische Reflexion mit Neuen Medien möglich sei, fordert nach Hastedt zu einigen Differenzierungen heraus: „Daten auf einem Server irgendwo in der Welt sind noch keine Informationen. Erst empfangene Daten können zur Information werden. Erst verarbeitete Informationen können zu Wissen werden. Bildung und Kompetenz sind mehr als kognitives Wissen.“ Wichtig sei es, mit Neugierde und Offenheit in die neue Welt des Internet zu gehen, aber der Lehrer müsse nicht mit jeder Mode gehen. Bloße Computernutzung bilde nicht; die entscheidende Frage sei, was aus den vernetzten Computern im Unterricht eigentlich gemacht werde. Das zweite Hauptthema des Kongresses war die sogenannte Bioethik. Dr. Johann Ach moderierte ein Streitgespräch zwischen der ehemaligen Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin und dem Hamburger Rechtsphilosophen Reinhard Merkel. Frau Däubler-Gmelin plädierte dafür, den Embryo unter Grundrechtsschutz zu stellen, da die Entwicklung des Embryo ein Kontinuum sei und man keinen Einschnitt feststellen könne, an dem sich der Beginn des menschlichen Lebens festmachen ließe. Dass der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Bedingungen unter Straffreiheit stelle, widerspreche dem nicht, hier liege eine Ausnahmeregelung vor, die mit der Konfliktsituation der Frau zu tun habe. - Für Merkel stellt es jedoch einen unhaltbaren Widerspruch dar, dass der Embryo in Deutschland einerseits verfassungsrechtlich geschützt ist, aber eine schwangere Frau die Möglichkeit hat, über die Tötung des Embryos zu entscheiden, und der Staat sogar verpflichtet ist, sie (durch die Bereitstellung der entsprechenden medizinischen Kapazitäten) beim Töten des Embryos zu unterstützen. Damit werde aber faktisch der Grundrechtsschutz des Embryos gestrichen. Wenn die Abtreibung zugelassen werde, dann dürfe konsequenterweise der Embryo kein Grundrechtsträger sein. –Eine Annäherung der beiden Positionen konnte nicht erzielt werden. Däubler-Gmelin argumentierte intuitiv vom Einzelfall her, während Merkel seine Argumentation systematisch anlegte. Auch unter den Teilnehmern war – nicht anders als beim gesamten Bioethik-Diskurs in Deutschland - die Parteinahme gespalten, Technologische Visionen waren das Thema des Vortrags der Phänomenologin und Pädagogik-Professorin Käte Meyer-Drawe. In ihrem mit zahlreichen Abbildungen angereicherten Vortrag „Welt ohne Widerstand“ machte sie auf einen Widerspruch, auf eine gegenläufige Entwicklung aufmerksam: Während die konkrete sinnliche Welt zusehends durch eine virtuelle, unsinnliche ersetzt wird, geht die Entwicklung dahin, den Computer als Analogie zum menschlichen Leib in einen Körper einzubauen. Nach Meyer-Drawe werden wir zusehends sprachlos vor einer Welt, die wir nicht mehr für wahr halten. In vier Arbeitskreisen konnten sich die Teilnehmer unter der Leitung von Jürgen Langlet mit weiteren Fragen der Bioethik auseinandersetzen. Martina Dege organisierte einen Arbeitskreis zur Medienphilosophie und Jutta Kähler zur Wirtschaftsethik. In dem Arbeitskreis von Elena Ivanova aus Sofia ging es um Philosophieren als Mittel zur Persönlichkeitsstärkung bei sozial Benachteiligten MITTEILUNGEN 44/2004 52 (vgl. dazu den Beitrag auf S. 17). Den Abschluss der Tagung zugleich bildete dein Vortrag von Wilhelm Schmid mit dem Thema „Kann die Philosophie eine Hilfe für das Leben sein?“ Schmid beantwortete die Frage positiv: Die Philosophie öffnet den logischen Raum, in dem eigenständige Urteilskraft zu gewinnen ist, die ein autonomes Leben ermöglicht. Darin sieht Schmid auch den Grund für die wachsende Bedeutung, die der Philosophie in der Gegenwart zukommt. Worin besteht die Hilfestellung der Philosophie? Sie hilft bei der Klärung von Lebensfragen. indem sie eine Art Geburtshilfe ist, das je eigene Denken hervorzubringen. Die Stärke der Philosophie sieht Schmid in ihrer Schwäche, keine letztbegründenden Klärungen bringen zu müssen, was sie von konkurrierenden religiösen und esoterischen Traditionen unterscheidet. Das macht die Philosophie gerade für diejenigen interessant, die negative Erfahrungen mit letzteren hinter sich haben. Erwähnt sei an dieser Stelle auch das „Philosophische Cafe“, bei dem Christa Runtenberg und Johann Ach am Abend auf höchst vergnügliche Weise vom „Highländer-Argument“ bis zum „Carpe-aeternitatem-in-momento-Argument“ elf Argumentationen zur Frage nach menschlicher Unsterblichkeit vortrugen. Anregend und zugleich vergnüglich war auch das Rahmenprogramm, das der Fachverband organisiert hatte. Den Organisatoren sei Dank für eine in jeder Hinsicht gelungene Tagung. Bernd Rolf Tagung des Fachverbands Ethik in Nürnberg „Methoden moralischer Erziehung und ihre Wirksamkeit“ war das Thema der Bundestagung des Fachverbandes Ethik vom 14.-16.November 2003 in Nürnberg. Für den Eröffnungsvortrag konnte der ehemalige Bundesminister Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin gewonnen werden. In freiem Vortrag stellte er jnteressante Betrachtungen darüber an, was die philosophische Ethik zur Lebenspraxisbeitragen kann. Anschließend führte Stefan Küpper aus, dass die Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände dem Bildungsauftrag dem „Bildungsauftrag Werteerziehung“ eine herausragende Bedeutung zumisst. Dementsprechend habe beim Bildungspreis der Arbeitgeber die Persönlichkeitsbildung und Werterziehung im Mittelpunkt der Prämierung gestanden (Preisträger in der Kategorie Schule: Lobdeburgschule Jena, http://www.-lobdeburgschule.de) Der Vortrag von Dr. habil. Siegfried Uhl (PH Karlsruhe) behandelte das zentrale Thema Kongresses, die Frage der Wirksamkeit .... Folgt man den einschlägigen empirischen Untersuchungen auf diesem Gebiert, dann ist der Einfluss traditioneller Methoden ethischer Unterweisung wie Ermahnung, Abschreckung, aber auch von Wertklärungsprogrammen, Programmen zur Verbesserung der moralischen Urteilsfähigkeit (Kohlberg), Just-community-Programmen etc. auf das tatsächliche Handeln kaum nennenswert ist. Am wirksamsten seien noch „Schrotschussprogramme“, die unterschiedlichste Ansätze miteinander kombinieren. FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 53 Wichtiger als alle zu vermittelnden Inhalte selbst seien als Erziehungsfaktoren die gefühlsmäßige Tönung des Erzieherverhaltens (Zuwendung) , die Festigkeit in der Einhaltung vereinbarter Regeln, das Selbst-überzeugt-sein vom Wert der zu vermittelnden Inhalte, das Lernen durch selbständiges Tun und Übernahme von Verantwortung. Dr. Ruth Linssen, Mitverfasserin der Shell-Jugendstudie 2002, stellte Tendenzen der Werteorientierung Jugendlicher vor. Demnach befinde sich Politikinteresse der Jugendlichen sich im Abwind (lediglich 34% interessieren sich noch für Politik gegenüber 57% im Jahr 1991) und Freizeit und Konsum werde immer wichtiger. Die allgemeine Entwicklung (besonders am Arbeitsmarkt) mache ihnen Sorgen, ihre persönliche Zukunftschancen beurteilen sie jedoch weitgehend positiv. Kinder und Familie, Sicherheit, Fleiß und Ehrgeiz, Macht und Einfluss hätten wieder einen höheren Stellenwert. Die Jugendlichen von heute seinen „keine Rebellen“, eher „kleine Spießer“, die die „Vereinigung von Widersprüchen“ versuchten. (Weitere Informationen: www.shell-jugendstudie.de) Prof. Hermann Häring, ehemaliger Mitarbeiter von Hans Küng in Tübingen, jetzt Direktor des Heyendaal Institute in Nymegen (Niederlande), vertrat die These, dass ein Ethos der Weltreligionen als Wertorientierung in den Kulturen unserer Zeit dienen könne. Dies setze jedoch unter anderem voraus, dass Religionen lernen, Provinzialismus zu überwinden und Menschheit und Humanität als entscheidende Dimensionen anzuerkennen. Prof. Elisabeth Gössmann legte in ihrem Vortrag „Geburtsfehler weiblich“ dar, dass Philosophie nicht nur männlich ist und führte dafür überzeugende Beispiele aus der Geschichte an. Vier Arbeitskreisen dienten dazu, die in den Vorträgen angesprochenen Themen zu vertiefen. Dr. Thomas Kisser befasste sich mit der Frage: Hilft es als Ethik-Lehrer ein guter Mensch zu sein? Dr. Volker Pfeiffer stellte Methoden zum ethischen Lernen im Unterricht vor. Dr. Christa Hasselmann, ebenfalls ehemalige Küng-Mitarbeiterin, vertiefte das Thema „Ethik-Unterricht – Brücke zwischen den Religionen“ und Christoph Steinbrinck bot unter dem Thema „Die Eine Welt im Unterricht“ ein Konzept Globalen Lernens mit praktischen Beispielen an. Eine Führung durch das Dokumentationszentrum am Reichsparteitagsgelände bildete den beeindruckenden Abschluss einer hervorragend organisierten und gut besuchten Tagung. Bernd Rolf 25 Jahre ZDPE - ein Geburtstagssymposion Joachim Siebert hatte geladen und alle kamen oder fast alle, die in den letzen 25 Jahren die Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik begleitet und mitgestaltet haben. Es gab viel zu feiern. Die Geschichte einer Zeitschrift und den Geburtstag ihres Mitbegründers Ekkehard Martens, der 60 Jahre alt wurde. Es war ein Symposion von Freunden für Freunde, die in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren die Philosophiedidaktik entscheidend mitbestimmt haben. MITTEILUNGEN 44/2004 54 Der Vortrag von Ekkehard Martens erinnerte an die Anfänge der Zeitschrift beim Schrödel Verlag, als sich zu den Herausgebern und Begründern der Zeitschrift Joachim Siebert als damaliger Verlagslektor gesellte. Es war eine deutschösterreichische Gemeinschaftsidee: Ekkehard Martens und Wolf Deicke aus Hamburg, Thomas Macho und Jakob Huber aus Klagenfurt, Elisabeth List aus Graz, Ludwig Nagel aus Wien, Ekkehard Nordhofen aus Frankfurt/M. und Gisela RaupachStrey aus Hannover hatten sich entschlossen, der Philosophiedidaktik im deutschsprachigen Raum ein Forum zu verschaffen. Heute, fünfundzwanzig Jahre später, kommt wohl kein Philosophielehrer an der Zeitschrift vorbei. Über die Jahre haben die Herausgeber gewechselt, aus der Anfangsbesetzung sind nur Ekkehard Martens und Joachim Siebert geblieben. Nachdem der Schrödel Verlag die Zeitschrift verkauft hatte und sie eingestellt werden sollte, hat Joachim Siebert einen eigenen Verlag gegründet – den Siebert Verlag – und dadurch die Existenz der Zeitschrift gesichert. Nach dem anfänglichen tristen Graphitgrau der ersten Jahre wurde die Zeitschrift in den Neunzigern dann fröhlich gelb um inzwischen ein eher elegantes Graublau und ein neues Layout anzulegen. Auch der Titel wurde erweitert von „Zeitschrift für Didaktik der Philosophie“ zu „Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik“. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass in vielen Bundesländern das Unterrichtsfach Ethik an Stelle von Philosophie eingerichtet wurde. Sowohl Ekkehard Martens als auch Werner Busch aus Kiel nahmen ihren Beitrag zum Anlass, einen Blick auf die Entwicklung der Didaktik in Deutschland zu werfen. Martens aus der Sicht des Universitätsphilosophen und Busch aus der Sicht des erfahrenen Lehrers mit Begeisterung und Liebe zur Vermittlung der Philosophie an Schüler. Inzwischen hat es 100 Hefte der Zeitschrift gegeben – auch das ein Jubiläum. Die Zeitschrift fand immer die Mitte zwischen „klassischen“ Themen und den neuesten fachphilosophischen wie didaktischen Strömungen, so dass sich diese 100 Hefte auch wie eine Geschichte dieser Entwicklung lesen lassen. Dieter Birnbacher aus Düsseldorf leitete den Nachmittag ein mit einem Vortrag über die Frage: Was könnte uns motivieren, Zukunftsverantwortung zu übernehmen? Damit war auch die Richtung der Zeitschrift gewiesen: Die heutigen Herausgeber Monika Sänger (Karlsruhe), Johannes Rohbeck (Dresden), Volker Steenblock (Münster) und Ekkehard Martens (Hamburg) zielen auf philosophische Orientierung in einer komplexen Welt, die durchaus handlungsorientiert gedacht werden kann. Zum Abschluss mündete das Symposion in eine Feier von Ekkehard Martens’ sechzigstem Geburtstag, die ihren Höhepunkt in der Überreichung einer Festschrift fand. Der Titel spiegelt das Interesse aller Anwesenden wider: Philosophie und ihre Vermittlung. Ekkehard Martens zum 60. Geburtstag. Herausgegeben von Dieter Birnbacher, Joachim Siebert und Volker Steenblock. 2003 Siebert Verlag, Hannover. Wegbegleiter, Freunde und Schüler von Ekkehard Martens geben mit ihren Beiträgen einen Einblick in den Stand der gegenwärtigen Diskussion zwischen Universitätstheorie und Unterrichtspraxis, so dass sich das Buch als Überblick über die Möglichkeiten philosophischer Bildung insgesamt liest. Um seinem Namen Ehre zu machen wurde aus dem Symposion ein regelrechtes Gastmahl. So wurden die Gäste durch wunderbare Cembaloeinlagen von Fritz Siebert und köstliche Mahlzeiten zwischendurch verwöhnt. FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 55 Der Fachverband Philosophie – durch viele Beiträger der Zeitschrift eng verbunden – gratuliert beiden, der Zeitschrift und Ekkehard Martens, herzlichst zum Geburtstag. (Martina Dege) Tagungen der Gesellschaft für antike Philosophie (GANPH) Die GANPH, bei der der Fachverband Philosophie neuerdings Mitglied ist, entfaltet zur Zeit größere Aktivitäten. Der Arbeitskreis „Praktische Philosophie in der Antike“ der GANPH veranstaltete vom 14.-16.11.2003 in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin eine Tagung zum Thema Epistemologie praktischer Fragen. Christoph Rapp, Ernst Heitsch, Jörn Müller, Jan Szaif u.a. befassten sich vor allem mit verschiedenen Aspekten der aristotelischen und stoischen Ethik. Am 10. 01.2004 fand am Philosophischen Seminar der Universität Hamburg das 3. Kolloquium zur antiken Philosophie der GANPH statt. Wolfgang Künne (Hamburg) stellte Überlegungen zur ‚Gigantomachie’ an. Jonathan Beere (Princeton, Berlin) sprach zu Energeia und Teleologie in Aristoteles’ Metaphysik Theta. Weitere Referate: Ludger Jansen (Bonn) : Der zweifache Ursprung des Pros ti bei Aristoteles, Hermann Schmitz (Kiel): Heraklits Äquivalenzprinzip, Michael Schramm (Jerna): Politik und Freundschaft bei Aristoteles und Derrida, Gyburg Radke (Marburg): Der Inhalt der Form – neuplatonische Zugänge zur Platonischen Dialogform. MITTEILUNGEN 44/2004 56 Rezensionen Ein begrüßenswertes Unternehmen: Joachim Siebert, Verleger der ZDPE, hat begonnen, eine Reihe mit Schriften speziell zur Didaktik der Philosophie und Ethik aufzubauen. Einem Methodenbuch von Ekkehard-Martens folgen u.a. vier Praxishandbücher Philosophie/Ethik. Ekkehard Martens: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik. Hannover: Siebert 2003. 191 Seiten. ISBN 3-237223-00-2 Ekkehard Martens versteht seine Methodik als Ergänzung und Fortentwicklung der „Dialogisch-pragmatischen Philosophiedidaktik“ (1979). Leitendes Verständnis von Philosophie ist hier Philosophie als Tätigkeit des Philosophierens i. S. einer elementaren Kulturtechnik. Die Frage, wie man solches Philosophieren vermitteln kann, verlangt eine genauere Reflexion des Methodenbegriffs. Methoden sind für Martens zunächst weder die Lernmethoden der allgemeinen Didaktik (etwa darstellendes und entdeckendes Lernen) oder die allgemeinen Unterrichtsmethoden (etwa freies oder gelenktes Unterrichtsgespräch), noch die speziellen philosophischen Unterrichtsmethoden oder Arbeitstechniken (wie Gedankenexperiment, Dilemmageschichte), sondern Wege des Philosophierens, das Fach konstituierende Methoden. Erst im weiteren Verlauf wird der Zusammenhang zwischen diesen Denkmethoden und speziellen Unterrichtsverfahren aufgezeigt. Martens gewinnt sein Methodenspektrum vor allem durch eine Untersuchung der sokratischen Methodenpraxis und der aristotelischen Methodenreflexion und reichert die gewonnenen Verfahren durch eine Untersuchung der entsprechenden modernen Denkrichtungen der Philosophie an. Sein Methodenmodell lässt sich prägnant als „Fünffingermodell“ von Phänomenologie, Hermeneutik, Analytik, Dialektik und Spekulation darstellen: Unter phänomenologischer Methode ist das Ausgehen von (brüchig gewordenen) Alltagserfahrungen unter Berücksichtigung empirischer Daten zu verstehen. Es geht darum differenziert und umfassend zu beschreiben, was ich beobachte, erfahre, wahrnehme oder bei mir denke. Hermeneutisch vorzugehen heißt, Lehrmeinungen und Interpretationen oder ideengeschichtliches Wissen und die eigenen alltäglichen Ansichten oder Deutungsmuster heranzuziehen oder Texte zu lesen, wie wir unsere Beobachtungen etc. verstehen können und welche Deutungsmuster in der Geschichte vorliegen. Die analytische Methode besteht darin, zentrale Begriffe und Argumente hervorzuheben und zu prüfen oder Prämissen, Widersprüche oder verengte und zu weite Definitionen aufzudecken. Dialektische vorgehen bedeutet: unterschiedliche Positionen zuspitzen und gegeneinander abwägen oder ein (als Gespräch oder Text vorliegendes) Dialogangebot wahrnehmen, dessen Pro und Contra diskutieren und Aporien aushalten. Schließlich geht spekulativ (intuitiv-kreativ) vor, wer ungeschützte Einfälle und Phantasien zulässt und spielerisch erprobt oder neue Ideen und Hypothesen kreativ nutzt. FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 57 Martens zeigt, dass philosophisches Denken, wo immer es stattfindet - ob in der Philosophenstube, im Klassenzimmer, in öffentlichen Diskurs ... - sich jeweils einer dieser Methoden bzw. einer Mischung aus mehreren dieser Methoden bedient. Damit gelingt es ihm, eine Brücke zu schlagen zwischen philosophischer Theorie und unterrichtlicher Praxis. Vor allem aber kann er mit einer großen Unsicherheit aufräumen: Im Hinblick auf den Unterricht mit jüngeren Schülerinnen und Schülern wird oft gefragt, ob die dort praktizierten schüler-, handlungs- und anschauungsorientierten Methoden ein geeignetes Mittel sind, um die angeblich abstrakte, prinzipienorientierte und systematische Philosophie zu unterrichten. Martens legt überzeugend dar, dass man auch mit Kindern und jüngeren Schülern ins Philosophieren kommen kann, indem man die von ihm beschriebenen Denkmethoden anwendet. Praxishandbücher Philosophie/Ethik: Band 1: Theoretische Philosophie., hg. von Volker Steenblock, Hannover: Siebert 2003. 219 Seiten, ISBN 3-937223-02-9; Band 2: Praktische Philosophie., hg. von Johannes Rohbeck, Hannover: Siebert 2003. 206 Seiten, ISBN 3-937223-03-7 Ziel der auf vier Bände geplanten Reihe ist es, den Lehrenden erforderliches Wissen für die Unterrichtspraxis bereitzustellen, so dass sie sich schnell in das jeweilige Gebiet einarbeiten und es unterrichten können. Jeder Beitrag soll ...bietet zunächst die fachlichen Grundlagen und in einem zweiten Teil Vorschläge für die Unterrichtspraxis. Schließlich folgen Materialhinweise und eine Übersicht über fachliche und didaktische Literatur, dazu die einschlägigen Schulbücher und Medien. Die meisten Beiträge des Bandes Theoretische Philosophie können diesem Ziel entsprechen und geben eine schnelle, gründliche und anregende Orientierung für die Unterrichtspraxis. Das gilt für Volker Steenblocks Beiträge über Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie ebenso wie für Joachim Bromonds/Lothar Ridders Ausführungen zum Thema „ Wahrheit“ und Verena Wilkes angewandtes Logiktraining. Michael Rahnfeld befasst sich mit Wissenschaftstheorie, Sabine Hester mit Technikphilosophie und Harald Sieberg mit dem Thema „Lebenszeit und Weltzeit“. Leider sind die ausgerechnet beiden ersten Beiträge nicht ganz überzeugend; sie leiden daran, dass hier jeweils zwei Verfasser (offenbar ziemlich unabhängig voneinander) am Werke waren. Sven Rohm gibt zwar einen lesenswerten Überblick über Stationen der Metaphysik von Aristoteles zu Kant und darüber hinaus und Antonietta P. Zeoli zeigt, wie man die Gleichnisse Platons im Unterricht der Sekundarstufe I und II behandeln kann. Auf die im ersten Teil genannten Stationen der Metaphysik wird im unterrichtspraktischen Teil jedoch nicht eingegangen; zudem kommen wichtige, auch für Schüler interessante Themen der Metaphysik wie Existenz Gottes, Unsterblichkeit der Seele, Anfang der Welt nicht vor. - Ulrich Pardeys Beitrag „Ein Streit über ‚Nichts’ – ‚nichts’ und ‚sonst nichts’“, der eine Kontroverse zwischen Heidegger und Brentano zum Gegenstand hat, bleibt sehr akademisch; trotz aller (z.T. etwas weitschweifiger) Bemühungen Volker Steenblocks, gelingt es m. E. nicht, deutlich zu machen, dass es sich hier um ein Thema handelt, das von solch grundlegender unterrichtspraktischer Relevanz ist, die eine Aufnahme in ein Praxishandbuch hätte rechtfertigen können. Ähnliche Bedenken hege ich auch MITTEILUNGEN 44/2004 58 gegenüber letzten Beitrag: Stephan Funke erläutert durchaus einleuchtend den Begriff der Kritischen Medienkompetenz behandelt die Frage des Einsatzes der sog. Neuen Medien in der Schule und speziell im Philosophieunterricht – aber inwiefern dies ein Beitrag zur theoretischen Philosophie sein soll, bleibt rätselhaft. Rundum gelungen ist dagegen die Auswahl der Beiträge im zweiten Band der Reihe: Praktische Philosophie. Monika Sänger erläutert Grundpositionen der Ethik und gibt Vorschläge für ihre Behandlung im Unterricht; Volker Pfeiffer widmet sich in seinem Beitrag dem „Ethischen Argumentieren“. Ausgiebig wird das Gebiert der Angewandten Ethik behandelt, nämlich durch Beiträge zu Umweltethik (Brigitte Wiesen), Medizin und Ethik (Johannes S. Ach), Wirtschaftsethik (Bernd Rolf). Mit dem Thema „Menschenrechte“ setzt sich Hans-Bernard Petermann auseinander, mit der vertragstheoretischen Legitimierung des Gemeinwesens Monika Sänger, mit dem Thema Liberalismus und Kommunitarismus Klaus Blesenkemper. Brigitte Grögor geht es um die Philosophie der Freundschaft und Johannes Rohbeck und Gerhard Voigt um die Geschichtsphilosophie. Den beiden vorliegenden Praxishandbüchern sollen 2004 weitere folgen, nämlich Religionsphilosophie und Anthropologie. Es ist dem Verlag zu wünschen, dass das wohldurchdachte Konzept der Reihe von Lehrerinnen und Lehrern, Lehramtsanwärtern, Studierenden etc. angenommen wird und auf entsprechende Resonanz stößt. Bernd Rolf „Gott ist das Produkt unserer eigenen Vernunft“. “Das Ideal einer Substanz, welches wir uns selbst schaffen.“ „Die Vernunft macht sich selbst einen Gottesbegriff“. “Gott ist nicht ein Wesen außer mir, sondern bloß ein Gedanke in mir!“ Kants Gottesbegriff, also eine Idee, ein höchstes Prinzip, welches in jedem aus der eigenen Vernunft waltet, scheint mir persönlich tiefgreifender als die Vorstellung eines allem übergeordneten kirchlichen Gottes. Das kirchliche Gottesbild rührt, wie mir scheint, daher, dass es für Menschen oftmals wichtig ist, etwas Greifbares zu haben, das eine gewisse Identifikation ermöglicht. Bei Kant ist die Befolgung dieses höchsten Prinzips eine Eigenleistung und damit viel anstrengender. (Benjamin G.) Nach Kant gibt es außerhalb des Menschen keinen Gott. Unsere Vernunft baut sich ihr eigenes Gottesbild. Kant setzt im Grunde die uns eigene Vernunft mit Gott gleich. Daraus kann man folgern, dass wir in dem Moment, wo wir nicht vernunftgemäß handeln, gottlos sind. Allerdings bleibt festzustellen, dass der Mensch nicht ausschließlich aus Vernunft besteht, sondern von starken Emotionen geleitet wird. Ist er damit schon gottlos? (Julia H.) Ich finde Kants Gottesbegriff gut, weil ich schon immer „gewusst“ habe, dass man Gott ganz unabhängig von Kirche sehen sollte und kann. Ich bin der Meinung, das jeder Mensch sich selbst Gott schaffen und ihn in jedem Gegenstand, Gefühl und Moment spüren oder sehen kann. Ich kann in einem Stein Gott sehen, ich kann ihn FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 59 aber auch in mir finden. Für mich ist Gott das Gute, was man jemandem tut, wenn man aus reinem Gewissen handelt. In solchen Momenten kann ich Gott in mir und in dieser Handlung oder einem Gespräch spüren. (Tobias B.) MITTEILUNGEN 44/2004 60 Protokoll der Mitgliederversammlung in Schwerin am 20.09.03 Ort: Beginn: InterCityHotel Schwerin 17:15 Bei Beginn der Mitgliederversammlung sind 35 stimmberechtigte Mitglieder anwesend. - Die Tagesordnung wird angenommen. TOP 1 (Tätigkeitsbericht des 1. Bundesvorsitzenden, Dr. Frank Witzleben, und des 2. Bundesvorsitzenden, Dr. Bernd Rolf - Aussprache) Dr. Witzleben legt seinem Tätigkeitsbericht im wesentlichen seine Ausführungen im letzten Heft der ,Mitteilungen‘ ( Heft 43/2003 ) zugrunde. Er hebt einige Aktivitäten hervor, die erfolgreich waren, andere, die der ,Fachverband‘ mit Nachdruck weiter verfolgen sollte. Erfolgreich hat sich die Zusammenarbeit im Bereich Didaktik der Philosophie und Ethik mit Prof. Rohbeck (TU Dresden) entwickelt. - Die Veranstaltungen des ,Fachverbandes‘ bei den Kongressen der AGPD bzw. Dt. Gesellschaft für Philosophie in Konstanz und Bonn hatten eine sehr positive Resonanz, wovon u.a. die Konstanzer und die Bonner Erklärung zum Philosophieund Ethikunterricht zeugen. - Dr. Witzleben verweist auf einen Beitrag im Heft 4/2002 des Germanisten-Verbandes, in dem er Ausführungen zur Umgestaltung der Lehramtsstudiengänge in Bachelor- und Master-Studiengänge macht; das Problem besteht z.Zt. noch in der ungesicherten internationalen Anerkennung vor allem des Bachelor-Studienganges. Dr. Witzleben hält es für dringend geboten, daß der ,Fachverband‘ bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Faches Philosophie in den neuen Studiengängen mitwirkt. - Auf einem Kongreß in Kaliningrad war - so Dr. Witzleben - das außerordentliche Interesse der osteuropäischen Staaten an Philosophie als Unterrichtsfach erkennbar. Dr. Rolf teilt mit, daß er den Bundesvorsitzenden nie habe vertreten müssen; es habe einen ständigen Informationsaustausch gegeben. In der Aussprache wird von einem Mitglied die Koppelung von Religion/Philosophie/Ethik dahingehend thematisiert, daß die Ersatzfachregelung zu überdenken sei; in Hessen - so der Hinweis - besitzt Philosophie nicht einmal den Status des Faches Ethik als Ersatzfach. Dr. Busch (SchI.-Holst.) weist darauf hin, daß Eltern- und Schülervertretungen die geeigneten Instanzen seien, um auf ministerieller Ebene der Gefährdung des Unterrichtsfaches Philosophie zu begegnen. - Herr Müllenmeister (NRW) stellt einen Antrag zur Geschäftsordnung, daß die im Anschluß an die Tätigkeitsberichte der beiden Vorsitzenden geäußerten Gesprächsbeiträge nicht zu diesem Tagesordnungspunkt gehören. - Dem Antrag wird ohne weitere Aussprache zugestimmt. TOP 2 (Finanzbericht des Bundeskassenwartes - Aussprache) Herr Willareth erläutert den Kassenbericht der letzten drei Jahre, den die anwesenden Mitglieder zuvor erhalten haben. - Er betont hierbei die gute Zusammenarbeit mit den Landeskassenwarten. - Der aktuelle Kassenstand beläuft sich auf ca. 10.500.- €. - Dr. Witzleben hebt hervor, daß die Konsolidierung des Verbandes ohne die Konsolidierung seiner Finanzen undenkbar war; das zentrale Einzugsverfahren, das FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 61 Herrn Willareths ständigem Bemühen zu danken ist, sei hierbei ein entscheidender Faktor gewesen. - Eine Aussprache über den Kassenbericht findet nicht statt. - Dr. Pätzold hebt als Kassenprüfer die Transparenz und große Sorgfalt der Kassenführung hervor; alle Unterlagen hätten vorgelegen. - Die Ausgaben des Bundesvorsitzenden seien angemessen gewesen. TOP 3 (Entlastung des Bundesvorstandes) Dr. Witzleben und Dr. Rolf werden mit je 33 Ja-Stimmen bei jeweils 2 Enthaltungen entlastet; Herr Willareth wird mit 34 Ja-Stimmen bei 1 Enthaltung entlastet. - Da Dr. Witzleben und Herr Willareth nicht wieder kandidieren, werden beide mit Beifall und Blumen verabschiedet; ebenso werden Dr. Rolf und Herr Mühlstädt bedacht. TOP 4 (Neuwahl des Bundesvorstandes) Auf Vorschlag aus den Reihen der Mitglieder wird Dr. Witzleben zum Wahlleiter nominiert. - Die folgenden Voten erfolgen in offener Abstimmung. - Herr Dr. Bernd Rolf (NRW) ( geb. am 01.03.’50, Hubertusstr. 123, 47623 Kevelaer) wird als Bundesvorsitzender vorgeschlagen; weitere Vorschläge werden nicht gemacht. Dr. Rolf nimmt die Kandidatur an und gibt kurze Hinweise zu seinen Tätigkeiten; für den Fall seiner Wahl wird er den Vorsitz im Landesverband NRW niederlegen. - Die Abstimmung hat folgendes Ergebnis: 33 Ja-Stimmen, 2 Enthaltungen. Herr Dr. Rolf nimmt die Wahl an. - Als stellvertretende Bundesvorsitzende wird Frau Martina Dege (Hbg.) ( geb. am 27.04.’52, Heinrich-Barth-Str. 8, 20146 Hamburg) vorgeschlagen; weitere Vorschläge werden nicht gemacht. - Frau Dege nimmt die Kandidatur an und gibt Hinweise zu ihren Tätigkeiten. - Die Abstimmung hat folgendes Ergebnis: 34 Ja-Stimmen, 1 Enthaltung. Frau Dege nimmt die Wahl an. - Herr Edgar Fuhrken (Schl.-Holst.) (geb. am 23.11.42, Seeadlerweg 10, 24159 Kiel ) wird als Bundeskassenwart vorgeschlagen; weitere Vorschläge werden nicht gemacht. - Herr Fuhrken nimmt die Kandidatur an und gibt Hinweise zu seinen Tätigkeiten. - Die Abstimmung hat folgendes Ergebnis: 34 Ja-Stimmen, 1 Enthaltung. Herr Fuhrken nimmt die Wahl an. - Herr Jürgen Mühlstädt (Bremen) (geb. am 24.02.41, Klattenweg 17, 28213 Bremen ) wird als Schriftführer vorgeschlagen; weitere Vorschläge werden nicht gemacht. - Herr Mühlstädt nimmt die Kandidatur an. - Die Abstimmung hat folgendes Ergebnis: 34 Ja-Stimmen, 1 Stimmenthaltung. Herr Mühlstädt nimmt die Wahl an. - Als Kassenprüfer werden Herr Dr. Pätzold (NRW) und Frau Tanja Kunz (Bln.) vorgeschlagen; weitere Vorschläge werden nicht gemacht. - Beide nehmen die Kandidatur an. - Die Abstimmung hat folgendes Ergebnis: Dr. Pätzold und Frau Kunz erhalten jeweils 34 Ja-Stimmen bei je 1 Enthaltung. Herr Dr. Pätzold und Frau Kunz nehmen die Wahl an. TOP 5 (Antrag der Arbeitsgruppe ,,Philosophieren mit Kindern im Primarbereich“, s. Anlage) Frau Dr. Pfeiffer, die Sprecherin der ,Arbeitsgruppe‘, erläutert den Mitgliedern ihren MITTEILUNGEN 44/2004 62 Antrag. Die Arbeitsgruppe soll in Zukunft unter dem Dach des ,Fachverbandes Philosophie e.V.‘ im Sinne ihres Gründungspapieres (s. Anlage) als Interessenvertretung für das Philosophieren mit Kindern im Primarbereich tätig sein. Der Antrag wird nach kurzer Aussprache einstimmig ohne Enthaltung angenommen. TOP 6 (Mitteilungen) Dr. Witzleben teilt mit, daß der ,Fachverband‘ kooperatives Mitglied in der ,Gesellschaft für antike Philosophie‘ geworden ist. - Dr. Busch (Schl.- Holst.) weist auf die nächste Tagung der AIPPh im November hin. - Herr Baldrian (Ba.- Wü.) dankt dem alten Vorstand des ,Fachverbandes‘ für die Zusammenarbeit mit dem ,Fachverband Ethik‘ und weist auf die Homepage des ,Fachverbandes Ethik‘ hin. TOP 7 (Schluß der Mitgliederversammlung) Dr. Witzleben schließt die Mitgliederversammlung. Ende: 18:55 Bremen, den 11.10.2003 gez. Dr. Bernd Rolf (Bundesvorsitzender) Jürgen Mühlstädt (Schriftführer) „Die Regeln der Übung in der Tugend gehen auf die zwei Gemütsstimmungen hinaus, wackeren und fröhlichen Gemüts in Befolgung der Pflicht zu sein.“ Kant spricht davon, dass man die Pflicht aus einem inneren Wollen heraus erfüllen solle. Damit meint er, das man die Pflicht vom freien, eigenen Verstand heraus wollen soll, auch die damit verbundene Enthaltsamkeit von der Lust. Somit soll man die Triebe zurückstellen, um dem Verstand Vorzug zu geben. Nun stellt sich mir die Frage, ob die Freude, die man bei der Erfüllung der Pflicht empfindet, mit der Freude(?) bei der Befriedigung der Triebe vergleichbar ist. Schließlich soll jeder Mensch aus seinem eigenen freien Willen heraus die Pflicht erfüllen, er gibt demnach freiwillig einige Lebensfreuden auf. Diese Entscheidung für die Pflicht ist eine sehr schwierige, denn der Mensch neigt zur Bequemlichkeit und ist am ehesten geneigt, den status quo beizubehalten, als einen unsicheren Schritt in eine andere Richtung zu tun, bei dem er sogar auf einige Freuden im Leben verzichten muss. (Alissa B.) „Dankbarkeit ist Pflicht.“ Diese These würde ich nur teilweise unterstützen. Sicherlich ist man, rein rational betrachtet, rein „objektiv“ zu Dank verpflichtet, aber die echte, die fühlbare Dankbarkeit kommt doch aus unserem Innersten, eben aus dem „Herzen“ und nicht aus dem Kopf heraus. Egal woraus das Pflichtbewusstsein resultiert, Gefühle, welche aus diesem entstehen, sind irgendwie genormt, rational und irgendwie kalt. Spürt das nicht auch derjenige, dem gedankt wird.? Kann Dankbarkeit aus der Pflicht heraus nicht zu einer Art Notlüge werden? Es wäre doch eine falsche Dankbarkeit, wenn diese nur aus Pflicht und nicht aus der Seele heraus entstünde, selbst wenn das Pflichtgefühl in der Seele verankert wäre. Und jemand, der aus reiner Menschenliebe FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 63 handelt, erwartet auch keine Dankbarkeit, weshalb diese Pflicht gar nicht bestehen dürfte. (Nick F.) MITTEILUNGEN 44/2004 64 Antrag auf Mitgliedschaft im Fachverband Philosophie (Bitte an die/den Landesvorsitzende/n senden. Anschriften auf den nächsten Seiten.) Hiermit beantrage ich die Mitgliedschaft im Fachverband Philosophie, Landesverband ________________________________________ . Name: _______________________________________________________________ Straße: ______________________________________________________________ PLZ, Ort: _____________________________________________________________ Tel.: ________________________________________________________________ Ich bin im aktiven Dienst (Mitgliedsbeitrag 20 €/Jahr) Referendar(in)/Teilzeitbeschäftigte(r) (Mitgliedsbeitrag 8 €/Jahr) Student(in) (Mitgliedsbeitrag 5 €/Jahr) im Ruhestand (Mitgliedsbeitrag 8 €/Jahr) zur Zeit arbeitslos (Mitgliedsbeitrag 5 €/Jahr) (Zutreffendes bitte ankreuzen!) Die Einzugsermächtigung ist beigefügt. Mit der Weitergabe meiner Adresse an einen philosophischen Verlag (betrifft Zusendung der Verbandsmitteilungen) bin ich einverstanden bin ich nicht einverstanden. (Zutreffendes bitte ankreuzen!) ____________________________________________________________________ (Ort) (Datum) (Unterschrift) FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 65 Fachverband Philosophie e.V. Einzugsermächtigung Einzug von Forderungen mittels Lastschrift Hiermit ermächtige ich Sie widerruflich, die von mir zu entrichtenden Beitragszahlungen für den Fachverband Philosophie e.V. bei Fälligkeit zu Lasten meines Kontos Nr.: ________________________________________________________________ Kontoinhaber:________________________________________________________ bei Kontoinstitut: ______________________________________________________ Bankleitzahl: _________________________________________________________ mittels Lastschrift einzuziehen. Wenn mein Konto die erforderliche Deckung nicht aufweist, besteht seitens des Kreditinstitutes keine Verpflichtung zur Einlösung. Zur Sicherheit des Kontoinhabers ist gesetzlich geregelt, dass für jede Lastschrift vom Kontoinhaber innerhalb von sechs Wochen die Rückbuchung verlangt werden kann. Sollte die Lastschrift mangels Kontodeckung nicht ausgeführt werden können oder nehme ich eine ungerechtfertigte Rückbuchung vor, so werden die dadurch entstehenden Buchungskosten durch den Fachverband Philosophie e.V. von mir zurückgefordert. Name: _______________________________________________________________ Straße: ______________________________________________________________ PLZ, Ort: _____________________________________________________________ Tel.: ________________________________________________________________ ____________________________________________________________________ MITTEILUNGEN 44/2004 66 (Ort) (Datum) (Unterschrift) FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V. 67 ____________________________________________________________________ F A CHV E RBA ND PHI LO S OP HIE E .V . ____________________________________________________________________ Bundesvorsitzender Dr. Bernd Rolf Hubertusstr. 123 47623 Kevelaer E-Mail: [email protected] Stellv. Bundesvorsitzender Martina Dege Heinrich-Barth-Str. 8 20146 Hamburg E-Mail: [email protected] Bundeskassenwart Edgar Fuhrken Seeadlerweg 10 24159 Kiel E-Mail: [email protected] Schriftführer Jürgen Mühlstädt Klattenweg 17 28213 Bremen E-Mail: [email protected] LANDESVERBÄNDE Baden-Württemberg Dr. Eva Hirtler Südendstr. 30 76137 Karlsruhe E-Mail: [email protected] Berlin Manfred Zimmermann Niebuhrstr. 77 10629 Berlin E-Mail:[email protected] E-Mail: [email protected] Brandenburg Reinhard Unverricht Heinestr. 18 14482 Potsdam Bremen StD Jürgen Mühlstädt Klattenweg 17 28213 Bremen E-Mail: [email protected] Hamburg Martina Dege Heinrich-Barth-Str. 8 20146 Hamburg E-Mail: [email protected] Hessen Dr. Johann Maier Grüner Weg 19c 61116 Bad Vilbel E-Mail: [email protected] Mecklenburg-Vorpommern Torsten Köpp Ahornweg 40 19069 Schwerin E-Mail: [email protected] Niedersachsen Till Warmbold Granastr. 6 30823 Garbsen E-Mail: [email protected] MITTEILUNGEN 44/2004 68 Nordrhein-Westfalen Dr. Bernd Rolf Hubertusstr. 123 47623 Kevelaer E-Mail:[email protected] www.fv-philosophie-nrw.de Rheinland-Pfalz Dr. Ernst Georg Renda Am Damsberg 12 55130 Mainz E-Mail: [email protected] Sachsen-Anhalt Dr. Rainer Bartholomai Dorfstr. 20 29485 Lemgow E.Mail: [email protected] Schleswig-Holstein Jutta Kähler Adolfplatz 1 23568 Lübeck Impressum Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes: Der Bundesvorsitzende Dr. Bernd Rolf, Hubertusstr. 123, 47623 Kevelaer Tel. 02832-7392, Fax 02832-970652, E-Mail: [email protected] www.fv-philosophie.de Herausgeber: Der Bundesvorstand des Fachverbandes Philosophie 1. Vorsitzender: Dr. Bernd Rolf, Hubertusstr. 123, 47623 Kevelaer 2. Vorsitzender: Martina Dege, Heinrich-Barth-Str. 8, 20146 Hamburg Kassenwart: Edgar Fuhrken, Seeadlerweg 10, 24159 Kiel Schriftführer: Jürgen Mühlstädt, Klattenweg 17, 28213 Bremen FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.