Organisationale Aspekte des Sterbefalls im Krankenhaus

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Vortrag anlässlich der Tagung „Humanismus in der Medizin 2002“ in Alpbach, Tirol
Organisationale Aspekte des Sterbefalls im Krankenhaus
von
Dr. Andreas Jung
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich möchte Sie einladen mit mir das Krankenhaus einmal unter einem für Mediziner
ungewöhnlichen Blickwinkel zu betrachten. Ungewöhnlich deshalb, weil die Situation,
einen Sterbenden zu betreuen, per se einen speziellen Fall der Patientenversorgung
darstellt und ich diesen Fall nicht aus der gewohnten medizinisch-therapeutischen Sicht
darstellen möchte, sondern aus der Sicht der Organisationslehre. Ein Patient stirbt. Mit
ihm stirbt der Auftrag an die Organisation Krankenhaus, allen voran an die Ärzteschaft
und das Pflegepersonal. In meinem Vortrag werden Begriffe fallen wie
Gruppendynamik, Hierarchie, Leitung, Führung, Expertenorganisation, Kommunikation,
Kooperation. Eigentlich eine Begriffswelt der Betriebswirtschaftslehre und der
Psychologie, die in der derzeitigen Mediziner-Ausbildung so gut wie nicht vorkommt, die
aber den Medizinern im Krankenhaus sehr nützlich sein kann. Bei der Vorbereitung
dieses Vortrages wurde mir bewusst, dass das einzige, was ich explizit in meiner
eigenen Mediziner-Ausbildung über den Tod gehört habe, die Empfehlung eines
Turnusarztes im Klopfkurs war, sich den Film „Stadt der Engel“ anzusehen. Das holte
ich nun nach. Beeindruckt hat mich der Film in seiner Betonung des Fühlens. Ein Engel
verliebt sich in eine Herzchirurgin, gibt für sie seine Unsterblichkeit auf und kurz darauf
verstirbt sie und geht dorthin, wo er herkommt. Der Film beschreibt eine Medizinerin,
die ihre rational-medizinische Lebenssicht zu Gunsten einer stärkeren Gefühlsbetonung
verändert. Gefühlsduselei gilt im Krankenhaus eher als hinderlich und störend. Man
muss technokratisch funktionieren. In einer Szene muss die Chirurgin einer Familie
mitteilen, dass ihr angehöriger Patient die Operation nicht überlebt hat. Sie tut dies sehr
sachlich kurz, in weißem Schutzmantel, in der Tür stehend. Anschließend geht sie ins
Stiegenhaus des Krankenhauses, dem einzigen Platz im Krankenhaus an dem sie allein
sein kann und wo es keiner der Kollegen oder Patienten sehen kann, dass der Tod ihr
nahe geht. Sie zerbricht sich den Kopf darüber, was sie falsch gemacht haben könnte.
Ich verstehe diese Szene so, dass sie wie jeder Mediziner den Tod nur implizit als die
Verliererseite beim ärztlichen Kampf ums Leben kennengelernt. Wir suchen immer
nach einem Schuldigen und wenn wir uns selbst die Schuld geben müssen, denn wir
haben gelernt, dass der Tod in der Medizin nicht natürlich vorkommt, obwohl wir alle
aus dem Bauch heraus wissen, dass der Tod Teil jedes Lebens ist. Ich werde in
meinem weiteren Vortrag versuchen aufzuzeigen, welche rationalen Prozesse in einer
Organisation unser emotionales Befinden in einer solchen beeinflussen.
Die Medizin als Naturwissenschaft hat sich lange ausschließlich mit der chemischphysikalisch gesetzmäßig geregelten Seinsebene der Körperwelt beschäftigt. In
Anlehnung an den Philosophen Sir Karl Popper bezeichne ich dies als Welt 1. Wir alle
erleben jedoch auch eine andere Welt, die Seinsebene der seelischen Befindlichkeit
bzw. der seelischen Störungen, die Welt 2. Die Welt also unserer Erlebnisse, unseres
subjektiven Erlebens. Sie kann zwar ohne Welt 1 nicht existieren, da sie sich ihrer
Stoffwechselvorgänge bedienen muss, wie z. B. die neuronale Übertragung der
Gedanken und Gefühle in unserem Gehirn, aber die Welt 2 kann sich diesen
biologischen Gesetzmäßigkeiten auch mehr oder weniger entziehen.
In unserem medizinischen Alltag ist dies der Lebensbereich der Psychosomatik, wo
nicht primär die ausgewogene Steuerung des chemisch-physikalischen Stoffwechsels,
sondern die wohltemperierte Ausgewogenheit der subjektiven Erlebnisse die Basis des
Wohlbefindens darstellt. Der gravierende Unterschied liegt darin, dass wir die
physikalisch chemisch-biologischen Vorgänge weitgehend objektiv erfassen können,
aber die Seele weder begreifen, noch messen können. Und dennoch erleben wir sie
sehr realistisch, wenn uns ein Erlebnis in der Seele wehtut, wenn unsere Seele jubelt,
wenn sie nach Liebe dürstet, wenn uns die Sucht zerstört oder unser Glaube uns
gesund macht. Und wir können auch mehr oder weniger wissenschaftlich die
Auswirkungen seelischer Gesundheit oder Krankheit beobachten und analysieren.
So dürfen wir uns also auch die Frage stellen: Welches Enzym, welcher Katalysator,
welche Triebfeder stimuliert und steuert denn auf dieser Seinsebene der subjektiven
Erlebnisse die Homöostase des seelischen Wohlbefindens bzw. welches Defizit führt zu
Störungen?
Eines können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass das Erleben immer auf
Kommunikation beruht, auf zwischenmenschlicher oder anderer Beziehung zu Tieren,
zur Natur oder zu Gott. Nehmen wir einmal als Gedankenexperiment in symbolischer
Analogie zur Welt 1 an, dass die Kommunikation das seelische Grundnahrungsmittel,
das Substrat darstellt. Dann fehlt uns aber noch immer das Enzym, der Katalysator, der
als heilsame Quelle die glückliche Homöostase der Erlebnisse zum seelischen
Wohlbefinden steuert oder bei Enzymmangel tiefe existentielle Not und sprachloses
Leid verursachen kann. Ganz unbewusst entlehnen wir ja für diesen enzymatischen
Prozess der Kommunikation im seelischen Bereich einen Ausdruck aus der Welt 1: „Es
muss die Chemie stimmen“. Dieses Enzym nenne ich mit Prof. Kurz das
psychosomatische Enzym. Hier wird hier also Beziehung als Enzym ja sogar als
Medikament eingesetzt.
Dieser kleine Exkurs in die Psychosomatische Medizin verdeutlicht den Stellenwert der
zwischenmenschlichen Beziehung im Arzt-Patienten-Verhältnis. Die Welten 1 und 2
existieren aber für jeden von uns, gleichgültig in welcher Rolle oder Funktion wir im
Krankenhaus sind.
Der Organisationale Blick nun beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel dieser Rollen
und Funktionen. Anders formuliert optimiert die Organisationsentwicklung im
Krankenhaus die Rahmenbedingungen damit die Chemie zwischen dem Helfenden und
dem Patienten auch weiterhin stimmen kann. Organisationsentwicklung ist ein Begriff
der Betriebswirtschaftslehre aus der Arbeits- und Betriebspsychologie, der die
fortschreitende
Prozessoptimierung
und
Anpassung
an
sich
ändernde
Rahmenbedingungen beschreibt.
Wir, als Berufstätige im Gesundheitswesen, können viel lernen aus den Theorien der
Wirtschaft, die zwar kapitalistisch motiviert entstanden sind, uns nun aber Verständnis
vermitteln können, um effizient mit unseren eigenen Ressourcen hauszuhalten. Diese
Ressourcen und der bewahrende Umgang mit ihnen rettet uns zum Beispiel vor einem
Burn-Out-Syndrom. Oft fällt es uns schwer unsere Rolle als Helfer so
patientenorientiert, also so gut wie möglich, zum Wohle des Patienten auszuüben. Der
Tod gehört dabei genauso zum Leben eines Patienten wie seine Geburt. Einerseits sind
da unsere persönlichen seelischen Konflikte bei der Betreuung Sterbender, wie z.B.
eigene Erfahrungen mit dem Tod der Eltern oder anderen Nahestehenden, und
andererseits die persönliche Betroffenheit in der Situation, der Zeitmangel, die
fehlenden Räumlichkeiten, differierende Vorstellungen zwischen Betroffenen, deren
Angehörigen und dem Personal bezüglich der Gestaltung der letzten Lebenszeit und
scheinbar unerfüllbare letzte Wünsche der Betroffenen. Letztlich fordern alle diese
Ansprüche Energie aus unseren ureigenen Ressourcen, sie bedrohen damit auch
unsere Identität. Wir stehen damit vor der Frage:
Bin ich immer noch ein guter Arzt/Schwester/Therapeut etc., wenn ich an meine
Grenzen stoße und mich nicht darüber hinaus überlasten will?
Meine Antwort lautet Ja. Es nützt weder dem der Hilfe gibt noch dem der Hilfe
bekommt, wenn der der gibt, mehr gibt als gut für ihn ist. Einfacher ausgedrückt lernt
das jeder im Rettungsdienst Tätige: Selbstschutz geht vor Fremdrettung.
Während diese Erkenntnis in der Ärzteschaft eher Berücksichtigung findet, trifft man in
der Pflege immer noch auf das historische Vorbild der Pflegehelfer aus dem
Dienstbotenstand mit Kraft, Ausdauer, Dienstwilligkeit und Anspruchslosigkeit und dem
Leitbild der selbstlosen, aufopfernden Krankenschwester aus den gebildeten Ständen,
die sich den Ärzten also Männern unterzuordnen hat.
Die Rolle der Frau und die des Mannes als Angehörige des Krankenhaus möchte ich an
dieser Stelle ihrer Fantasie überlassen und nicht noch näher darauf eingehen, obwohl
dies auch ein wichtiger Aspekt der Zusammenarbeit ist.
Mein Thema sind heute die organisationalen Aspekte einer speziellen Situation im
Krankenhaus.
„Organisational“ deshalb, weil ich keine „organisatorischen“ Abläufe hier skizzieren will,
sondern ihnen einen theoretischen Zugang zum Phänomen Organisation eröffnen.
Organisatorisch bezeichnet eher die Beschreibung eines Status Quo, wie Dinge
ablaufen, ohne Hypothesen über zugrundeliegende Mechanismen zu bilden.
Dazu ein Beispiel:
„Der Patient kann nicht mehr.“ Er gilt als austherapiert – die Krankheiten sind nicht mehr
zu bremsen. Das ist oft der Moment, da auch der Arzt festgestellt hat: Therapeutisch
kann er hier nichts mehr tun – also Schluss mit Chemo, Operationen und eingreifenden
Untersuchungen. Die Anweisung lautet nur noch: Luft geben, Schmerzen nehmen,
Wohlbefinden schaffen. „Wir bereiten dann das Feld drum herum, damit der Mensch
sich verabschieden kann“, sagt die Stationsleiterin. Sie organisiert ein Einzelzimmer,
auch wenn dafür mal ein frisch eingelieferter Erste-Klasse-Patient kurzzeitig in ein
Mehrbettzimmer muss. Sie sorgt für Ruhe und für eine gute Atmosphäre.
Aber ist das nicht viel zu wenig angesichts all der seelischen Not in den Zimmern? Zu
wenig – wer so der Stationsleiterin kommt, kriegt was zu hören: „Dass wir morgens auf
der Station ein gemeinsames Kaffeetrinken anbieten für Angehörige und Patienten –
das ist auch was für die Seele! Dass hier der Stationsarzt jederzeit ansprechbar ist und
nicht erst nach Termin, dass die Patienten sogar ins Schwesternzimmer reinkommen
können – das sind alles Dinge, die wir uns auferlegen. Gehen Sie mal ein paar Tage auf
die Chirurgie oder in andere Krankenhäuser, dann sehen Sie, was wir hier für die Seele
tun!“
Betrachten wir nun die Situation dieser Stationsleiterin: Sie erlegt sich und ihrer Station
Dinge auf, die nicht in ihrem Arbeitsvertrag stehen und die auch nicht in der
Hausordnung oder dem Leitbild der Klinik erscheinen. Warum tut sie das also und wie
kann das ganze Krankenhaus von ihrer Vorreiterrolle profitieren? Auf solche und
ähnliche Fragen sucht und findet die Organisationstheorie Antworten.
Identität
Die Wurzel der Entwicklung von Organisationen in der menschlichen Gesellschaft liegt
in jedem einzelnen von uns, nämlich das Streben nach Identität. Identität wird von
jedem Menschen gesucht, gefunden und aufrechterhalten. Identität beantwortet zwei
elementare Fragen an uns selbst:
Wer bin ich?
Was will ich?
Die Beantwortung ist aber nicht unabhängig von unserer Umwelt, d.h. auch von den uns
umgebenden Menschen. Wir brauchen andere Menschen um unsere Annahmen über
uns selbst zu bestätigen oder zu widerlegen, als Korrektiv oder psychiatrisch
ausgedrückt als Realitätsprüfung.
Nach Lothar Krappmann braucht Identität eine Darstellung nach außen, eine Art
Marketing meiner selbst. Die Bestsellerlisten werden derzeit angeführt mit etlichen
Büchern darüber. Weiterhin braucht Identität sowohl Empathie als auch Rollendistanz,
d. h. sowohl die Fähigkeit sich in jemanden hineinfühlen zu können als auch Rollen, die
man übernommen hat, von seinem selbst trennen zu können. Diese Ambivalenz
erfordert auch ein gewisses Maß an Ambiguitätstoleranz um Uneindeutiges aushalten
zu können. Wir erleben auch unsere grössten Glücks und Unglücksmomente in der
Bestätigung oder Widerlegung unsrer Identität. Zwei Felder in denen wir nach diesen
Momenten jagen sind einerseits unsere Liebesbeziehungen und andererseits unsere
Arbeitsbeziehungen. Es wird also deutlich, dass ich arbeite damit ich wer bin und weil
ich was will. Und das ist nicht nur bei mir so sondern bei uns allen.
Haben sie gemerkt, was gerade passiert ist?
Gruppe
Wir sind gerade eine Gruppe geworden. Wir sind deshalb eine Gruppe geworden, weil
ich als Individuum mein Risiko, angegriffen zu werden für meine etwas flapsige
Aussage, mit ihnen teile. Noch deutlicher wird diese Risikoverschiebung bei
risikoreicheren Entscheidungen: Ich als Individuum entscheide unriskanter, da ich ja
meine Identität schützen will, als wenn ich mit ihnen als Gruppe gemeinsam die gleiche
Entscheidung treffen müsste. Bezogen auf den Sterbefall im Krankenhaus bedeutet
das, dass eine Teamentscheidung ein grösseres Risiko tragen kann als die
Entscheidung eines Einzelnen. Die Gruppendynamik nennt diesen Vorgang „Risk-Shift“.
Aber leider gibt es keinen Vorteil ohne Nachteil. Um sich einer Gruppe zugehörig zu
machen muss das Individuum einen Teil seiner individuellen Identität zu Gunsten der
Gruppe aufgeben. Beobachtet hat man das sehr deutlich bei Jugend-Gangs in den
USA, die sich sogar eine Art Uniform auferlegt haben. Gefährlich bei dieser
Risikoübernahme durch die Gruppe ist das Abschieben der Verantwortung: Es sind
plötzlich alle verantwortlich und damit plötzlich niemand mehr. Die Verantwortung löst
sich in Luft auf, sie diffundiert. Wenn zusätzlich zu dieser Verantwortungsdiffusion auch
noch
eine
Emotionalisierung
einer
Entscheidung
passiert,
wird
die
Gruppenentscheidung lt. Prof. Krainz dann „blöd“, weil rationale Argumente plötzlich
„stören“. Genannt wird dieses Phänomen „Groupthink“ und wurde anhand von
politischen Entscheidungen untersucht. Dabei wurde der Weg einer „blöden“ politischen
Entscheidung rekonstruiert und genau diese Emotionalisierung festgestellt, die dann
ausschlaggebend letztlich war, obwohl alle rationalen Argumente, die man im
Nachhinein gesammelt hat, vorher schon bekannt waren.
Wo liegt nun aber der Vorteil einer Gruppe und der daraus abgeleiteten Organisation?
Der sogenannte Gruppenvorteil liegt in der sicheren Bestätigung der eigenen Identität:
Wir sind wer und wir wollen was. Gemeinsam können wir mehr leisten als die Summe
unserer Individualleistungen. Unsere Gruppe bietet Schutz gegen Anfeindungen von
Nichtzugehörigen, denen wir individuell schutzlos gegenüberstünden. Somit tritt ein
neues Phänomen auf: der Außenfeind. Alle nicht zur Gruppe Gehörigen werden von der
Gruppe als Feinde betrachtet, da sie jedem Individuum der Gruppe wahrscheinlich nicht
helfen würden, da sie sich ja nicht der Gruppe angeschlossen bzw. unterworfen haben.
Diese Abgrenzung nach außen macht die Gruppe nach innen geschlossener und
fördert deren Zusammenhalt. Man spürt das oft, wenn man z.B. als Arzt auf einer
fremden Station auf die „einheimische“ Gruppe der Schwestern trifft.
Organisation
In der Organisation wird nun versucht diese Vorteile der Gruppe zu nutzen ohne allzu
viele Nachteile übernehmen zu müssen. Organisation ist also eine von Menschen
geschaffene Kunstwelt, deren soziale Struktur mit ihren zentralen Leistungsprozessen,
vom jeweiligen kulturellen Hintergrund abhängig ist.
Seit 1945 hat der Grad der weltweiten Organisiertheit stetig zugenommen. Obwohl es
für den inneren Zusammenhalt einer Gruppe förderlich ist, einen Außenfeind zu haben,
bringt ein Friedensabkommen mit einer anderen Gruppe noch größere nämlich
langfristigere Vorteile. In Mitteleuropa hat noch nie so lange Frieden geherrscht wie im
letzten Jahrhundert. Diese Verflechtung der Staaten zur Friedenssicherung stößt
natürlich auf innere Feinde, wie z.B. die österreichische Diskussion des EU-Beitritts
zeigt. An diesem Beispiel wird deutlich, dass ab einer gewissen Größe die persönliche
Beziehung der Gruppenmitglieder als Verbindung nicht mehr ausreicht. Es müssen
Regeln der Interessenvertretung aufgestellt und Abläufe Institutionalisiert werden.
Dadurch entfernt sich das Gruppenziel bzw. jetzt das Organisationsziel immer mehr von
den Individualzielen der Mitglieder.
Anschaulicher wird diese Diskrepanz im Krankenhaus als Organisation. Hier arbeiten
sehr viele unterschiedliche Berufe nebeneinander. Organisationsberater nennen dies
eine Expertenorganisation:
Experten sind aufwendig ausgebildet und haben viel Zeit und Geld investiert, um einen
hohen Spezialisierungsgrad zu erreichen. Die Leistungsfähigkeit des Experten ist das
Kapital der Organisation. Das wichtigste Produktionsmittel - das Wissen - befindet sich
in der Hand der Experten. Die Organisation muss daher Arbeitsbedingungen schaffen,
die dem Mitarbeiter die Entwicklung seiner Professionalität ermöglichen und seine
Leistungsbereitschaft sicherstellen. Der Experte liefert sehr komplexe, nicht triviale
Produkte bzw. Dienstleistungen, die technologisch nur sehr bedingt erzeugbar und
kontrollierbar sind. Zentrale Leistungen der Organisation werden von einzelnen
Experten meist direkt für "Kunden" (Patienten, Studenten etc.) erbracht und haben
somit die Form einer Beziehung.
Die Qualität dieser Beziehung wirkt sich auf die Qualität der Produkte aus.
Die Reputation des einzelnen Experten ist zudem von großer Bedeutung für die
Reputation der Gesamtorganisation.
Gleichzeitig haben Expertenorganisationen aber oft Schwierigkeiten im Umgang mit
Experten, die die Standards der eigenen Profession missachten oder wenig eigenes
Engagement und Motivation in ihre Arbeit einbringen. Es erscheint höchst schwierig zu
sein, hier Gegenmaßnahmen zu treffen. Durch ein Dienstrecht, das starke Aspekte der
Sicherstellung aufweist und wenig Leistungsanreize bietet, wird diese grundsätzliche
Schwierigkeit noch verstärkt.
Der Experte identifiziert sich weniger mit der Organisation, in der er arbeitet, sondern
stärker mit seiner Profession, der er angehört. Man sieht sich eher als Vertreter eines
bestimmten Faches (z.B. Onkologie, Psychologie), denn als Mitarbeiter eines
bestimmten Krankenhauses. Diese mangelnde Identifikation mit der Organisation und
deren Zielen führt auch dazu, dass es wenig Engagement für die Interessen des
Gesamten gibt. Jeder Experte versucht, sich um das Funktionieren seiner Arbeit und
seiner unmittelbaren Umgebung zu kümmern, jedoch nicht um übergeordnete
Gesamtziele. Er sieht die Organisation eher als ein notwendiges Übel an, das er in Kauf
nimmt, um an bestimmte Ressourcen (Gelder, wissenschaftliche Einrichtungen, wie
Labors und Bibliotheken, Patienten, Austausch mit anderen Kollegen usw.) gelangen zu
können.
Ein Experte hat in seiner Ausbildung vor dem Eintritt in die Organisation eine
fachspezifische Sozialisation durchlaufen. Er hat gelernt, sich auf einen bestimmten
Teilbereich der Wissenschaft zu konzentrieren und andere Bereiche anderen Experten
zu überlassen. Charakteristisch für Expertenorganisationen ist der Widerspruch
zwischen dem Fachsystem der Profession und dem sozialen System der Organisation.
Auf der Ebene des Faches finden häufig Innovationen statt und Fortschritte werden
schnell umgesetzt, hier gibt es eine große Anpassungsfähigkeit an neue Entwicklungen.
Die Organisation als ganze hingegen verhält sich in ihrer Struktur und
Innovationsfähigkeit sehr träge. Größere, tiefgreifende institutionelle Veränderungen
sind selten und ergeben sich eher aus veränderten externen Anforderungen, denn aus
strategiegeleiteten Prozessen der Selbstorganisation. Es ist schwierig, Energie für die
Entwicklung der Organisation zu mobilisieren, vor allem bezogen auf die
Gesamtorganisation. Der Widerspruch wird vor allem auch durch die Karrierelogik der
Experten gefestigt. Der Experte hat mehr die unabhängige Anwendung und Pflege
seiner eigenen Profession und die daraus resultierende Anerkennung durch seine
Kollegen und damit seine eigene Karriere vor Augen. Sie ist durch wesentlich andere
Faktoren bestimmt, als die interne Stellung und Funktionstüchtigkeit der Person in ihrer
Rolle in der Organisation oder gar das reibungslose Funktionieren der Organisation
selbst. Aufstiegschancen hat der Experte, der (internationale) Reputation durch
Forschung und Weiterentwicklung der Fachexpertise erlangt hat. Dagegen werden gute
Organisations-, Management- und Koordinationsleistungen für die eigene Organisation
zumeist weder finanziell noch durch einen verbesserten Status honoriert. Es ergibt sich
daher aus dem Engagement in diesen Bereichen wenig persönlicher Nutzen für den
einzelnen, solange individuelle Karrierechancen und die Entwicklung der Organisation
weitgehend entkoppelt bleiben.
Die Macht der Subsysteme
Da die Reputation sehr von der Originalität des eigenen Expertentums abhängt,
arbeiten auch viele Experten am Aufbau eines eigenen Spezialfeldes mit
eigenständigen Inhalten und Methoden, um der ausgewiesene Experte eines neuen
Feldes zu werden. Die Spezialisierung ist auch ein sehr bewährtes Medium des
Konkurrenzkampfes um Positionen, Prestige und Ressourcen.
Auf der Organisationsebene drückt sich die fachliche Spezialisierung in einer
fortschreitenden Ausdifferenzierung in Organisationseinheiten aus, wie etwa
medizinische Abteilungen/Institute. In dieser Unterteilung der Organisation in kleinere
Einheiten also Untergruppen liegt viel gruppendynamischer Sprengstoff. Solche
Abteilungen sind gut zusammenzuhalten, indem sich die Führung das Phänomen des
Außenfeindes zunutze macht: Nur Angehörige der eigenen Gruppe sind unreflektiert
„gut“, alle anderen sind per se „schlecht“, aber eigentlich nur deswegen, weil sie nicht
zu uns gehören. Die verschiedenen Spezialdisziplinen und Einheiten verfügen über
jeweils unterschiedliche Arbeitsformen und Kulturen. Auf der Ebene der
Gesamtorganisation wirkt das natürlich eher abgrenzend statt integrierend. Als Regel
lässt sich daraus ableiten, dass je fester der Zusammenhalt in der Subgruppe ist desto
schlechter ist das für die Gesamtorganisation und umgekehrt je besser der
Zusammenhalt in der Organisation desto schlechter ist er in der Subgruppe.
Expertenorganisationen
werden
traditionellerweise
von
der
Verwaltung
zusammengehalten. Administrative Fachkräfte und mit Einschränkung auch Techniker
sind in Expertenorganisationen, wie dem Krankenhaus, oft die einzigen Berufsgruppen
mit einem wirklichen fachlichen Interesse an der Gestaltung der Gesamtorganisation.
Diese Gruppen sind in ihrer Arbeitstradition allerdings historisch und strukturell mit der
Verwaltung verbunden. Für die Experten repräsentieren sie die Limitierungen durch die
Gesamtorganisation, die zumeist als störend für die fachliche Arbeit empfunden wird.
Sie werden als verlängerter Arm der Zentralgewalt erlebt, der Bundesministerien, der
Gesundheits- oder Wissenschaftsverwaltung der Länder und Kommunen oder anderer
Trägerorganisationen, die ständig versuchen, sich mit untauglichen Mitteln in die
fachliche
Arbeit
einzumischen.
Hier
stoßen
radikal
unterschiedliche
Organisationskulturen, Arbeitsweisen und Referenzsysteme aufeinander, deren
Spannung die Organisation zusätzlich desintegriert.
Vielfältige sichtbare und unsichtbare Trennlinien prägen Expertenorganisationen. So
werden im Krankenhaus die Arbeitsprozesse durch die parallelen Hierarchien der
Berufsgruppen Medizin und Pflege zerteilt. Horizontal existiert durch die Trennung von
Verwaltung und Experten und vertikal durch die parallelen Hierarchien eine meist sehr
strikt gegliederte Hierarchie. In den Bereichen Technik und Administration, als Teil
staatlicher Verwaltung, ist die steile hierarchische Struktur sehr deutlich sichtbar. Die
Hierarchie der Experten verläuft dagegen flacher aber sozial oft sehr streng angelegt
und hüllt sich in das Gewand der Kollegialität. Zusätzlich weisen die Organisationen
auch noch ein deutliches Hierarchiegefälle zwischen den Berufsgruppen auf, zwischen
den eigentlichen Experten und den anderen, also den Medizinern und den sogenannten
medizinischen Hilfsberufen im Krankenhaus.
Kooperation
Für die zu erbringende Leistung (Forschung, Patientenbehandlung, Lehre etc.) ist die
Motivation des Experten von immenser Bedeutung. Wenn man also versucht, dem
Experten Vorschriften zu machen, die seinen eigenen Vorstellungen und den Regeln
seiner eigenen Profession nicht entsprechen und ohne seine Mitsprache beschlossen
und durchgeführt werden, so riskiert man Widerstände, auch wenn es sich um durchaus
sinnvolle Maßnahmen handelt. Dies führt in der Regel zu einer Störung des
Alltagsbetriebes der entsprechenden Einrichtung. Auch wird der Experte seine ganze
Autorität verwenden, um institutionelle Entscheidungen abzuwenden, die ihn
möglicherweise einschränken. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen den
Professionalitätsvorstellungen und der Organisationsentwicklung. Die Experten müssen
sich und auch ihr professionelles Selbstverständnis also ändern, um eine
organisationale Weiterentwicklung zu ermöglichen. Gewünschte Veränderungen
scheitern fast immer, wenn sie nicht zu einem Teil der herrschenden
Organisationskultur werden.
Die Experten sollten ihre fachliche Arbeit auf Organisationseinheiten beziehen, und
dabei die Entwicklung des jeweiligen Systems, dem sie angehören, mit im Auge
behalten. Das Wissen der Experten muss auch im notwendigen Maße zum Wissen der
Organisation werden, damit sich die Organisation an eine veränderte Umwelt anpassen
kann. Hierzu ist es besonders wichtig, den Experten Erfahrungen darüber zu
ermöglichen, in welchem Ausmaß die Entwicklung des Systems, in dem sie arbeiten,
die Qualität der Arbeit beeinflusst. Im Krankenhaus ist dies beispielsweise sehr
offensichtlich.
Die
Kooperation
der
verschiedenen
Gruppen,
deren
Behandlungskonzepte und Ausrichtung haben unmittelbare Konsequenzen auf die
Qualität der Arbeit. Die Art und Weise, wie die Arbeit organisiert ist, hat Rückwirkung
auf die Leistung und die Qualität der Leistung des einzelnen. Die Experten müssen sich
auch mit Überlebensfragen der Gesamtorganisation beschäftigen. Erst wenn sich eine
Abteilung als organisationale Einheit eine Meinung über die aktuelle Situation der
Umwelt der Organisationseinheit und die geeignete eigene Reaktion darauf bilden kann,
erst dann kann die Gesamtorganisation Krankenhaus darauf gezielt reagieren. Das
bedeutet, es muss gelingen, die Gedanken der einzelnen Experten in eine Antwort der
Organisation zu übersetzen, um ihre Funktionsfähigkeit zu stärken. Solange Verwaltung
und Management als fachferne Bürokraten abgewertet werden, fallen sie auch als
Ressourcen im Sinne der Steuerung des Systems aus. Konzepte, wie sie stärker in die
Organisation integriert werden können, fehlen aber derzeit noch.
Managementarbeit wird in Zukunft zu einem ganz wichtigen Element der
Expertenorganisation werden. Dazu müssen aber auch entsprechende Leitungsrollen,
die es teilweise, z.B. im Gesundheitswesen, auch rechtlich noch nicht gibt, ausgestaltet
werden. Es kommt zu einer notwendigen Doppelrolle von Fachmann und Manager bzw.
Leitungskraft. Gleichzeitig müssen auch neue Karrierefelder gefunden werden.
Komplexe Organisationen brauchen auch spezialisierte Funktionen in ihrer Leitung. Es
muss zu einer Trennung von Fach- und Leitungskarrieren kommen.
Beispielsweise muss ein leitender Oberarzt, der etwas von Krankenhausorganisation
versteht und die Integrationsleistung zwischen Fach und System als seine Aufgabe
sieht und dafür vielleicht bei den neuesten fachlichen Entwicklungen nicht mehr vorne
dabei ist, auch entsprechende Reputation und Bezahlung erhalten. Leitung wird zu
einem relevanten Subsystem der Organisation. Es stellt sich dabei nicht nur die Frage
nach geeigneten Einzelpersonen, sondern vor allem nach geeigneten Leitungsteams
mit einer konsequent interprofessionellen Ausrichtung, also zwischen Ärzten,
Pflegekräften
und
Fachkräften
der
Verwaltung
als
eine
wichtige
Steuerungsvoraussetzung.
Das Krankenhaus steht, verglichen mit anderen Expertenorganisationen wie der
Universität und der Schule, unter dem höchsten Druck, bereichsübergreifend zu
arbeiten, weil Patientenversorgung nur so angemessen möglich ist.
Innenorientierung
Expertenbetrieben fällt es schwer, die eigene Arbeit aus einer Außenperspektive
wahrzunehmen. Die Leistungen werden nach den eigenen fachlichen Kriterien beurteilt.
Da zumeist ein klares Feedback über den Markt fehlt, verschärft sich diese Problematik
der Innenorientierung.
"Kunden" müssen stärker mit ihren Bedürfnissen wahrgenommen und auch in der
Qualitätsbeurteilung einbezogen werden. Prof. Pendl hat das anlässlich meiner
Promotionsfeier in seiner Rede so ausgedrückt: „Richten Sie sich in Ihrer Arbeit nach
dem, was der Patient braucht, aber auch nach dem, was der Patient will!“ Das fällt
Expertenorganisationen jedoch schwer. Gründe hierfür sind die Unorganisiertheit der
meisten Kunden und ihre gleichzeitig große Abhängigkeit von der Organisation. Oft
fallen Zahler und Kunden auseinander. Das Selbstbewußtsein der Kunden und auch die
Wahlmöglichkeiten der Kunden nehmen jedoch stetig zu. Es kommt nicht so selten vor,
dass alle Mitarbeiter eines Krankenhaus ganz gut beschäftigt wären, ohne dass es dazu
einen einzigen Patienten braucht. Ein bekanntes Bonmot besagt, dass Krankenhäuser
wunderbar funktionieren würden, wäre da nicht der unkalkulierbare Störfaktor Patient
und seine Angehörigen.
Patientenorientierung
Mit Ausnahme von Unfallopfern, den Opfern von Gewaltverbrechen oder von
unvorhersehbaren natürlichen Todesfällen befinden sich die meisten Sterbenden in
ärztlicher Behandlung. Ein Großteil von ihnen stirbt im Krankenhaus. Das durch
medizinische Interventionen begleitete Sterben ist also in der westlichen Welt der
Regelfall. 70 % der Menschen, die jährlich in Deutschland an Krebs sterben, verbringen
die letzte Lebensphase im Krankenhaus.
Daher ist es vielmehr notwendig zu prüfen, wie weit die Anwendung des heutigen
Potentials medizinischer Möglichkeiten in bestimmten Situationen überhaupt sinnvoll ist
und wo die humanen Grenzen der modernen Medizin liegen.
Die Frage aber, welches Leiden als sinnlos oder sinnvoll empfunden wird, ist kein
Problem des medizinischen Fortschritts, sondern der religiösen oder weltanschaulichen
Einstellung und der persönlichen Lebensumstände Gleiches gilt für die Diskussion um
die ethische Relevanz der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen.
Das eigene Sterben und der Tod von Angehörigen wird in der Gesellschaft vielfach
verdrängt und ist mit großen Ängsten belastet, mit denen sich die Menschen
alleingelassen fühlen: mit der Angst, unerträgliche Schmerzen erleiden zu müssen; mit
der Angst, den Angehörigen und der Gesellschaft zur Last zu fallen; mit der Angst im
Sterben alleingelassen zu werden; mit der Angst, ausgeliefert zu sein und der Würde
beraubt zu werden; mit der Angst, auch gegen den eigenen Willen unnötig lange am
Leben erhalten zu werden, was keiner Lebens-, sondern einer Sterbeverlängerung
gleichkommt; mit der Angst, dass das Leben fahrlässig verkürzt wird durch mangelnde
medizinische und pflegerische Hilfe oder gar durch vorsätzliche Tötung. Es wird
deutlich, dass die Menschen Angst vor dem Sterben haben und nicht vor dem Tod. Die
gesellschaftliche Aufgabe besteht darin, der Einsamkeit der Sterbenden
entgegenzuwirken und eine neue Kultur der Solidarität mit den Sterbenden zu
entwickeln. Eine mögliche organisationale Umsetzung dieser Forderung liefern folgende
Beispiele:
„Wenn das Essen nicht kommt, funken die Stationen die 607 an, und wenn einer
durchdreht, funken sie eben die 308 des Pfarrers an“, sagt dieser nicht unzufrieden.
Aber langfristig soll Sterbebegleitung nicht nur Sache der Seelsorger sein, sondern aller
Krankenhausangestellten. Wirklich zufrieden wäre der Pfarrer erst, wenn dem Sterben
eine ähnliche Aufmerksamkeit zuteil würde wie einer komplizierten Operation.
„Schließlich stirbt hier – wie in anderen Krankenhäusern auch – jeder 50. Patient. Das
ist die Realität.“
Auf dem 12. Krebskrankenpflegesymposium in Heidelberg zum Thema: „Leben bis
zuletzt ...“ zeigte der Klinikpfarrer Thomas Wigant mit dem Ethik-Konsil einen Weg auf,
um in schwierigen Situationen und Konflikten die richtige Entscheidung treffen zu
können. Ein Ethik-Konsil biete die Gelegenheit, mit anderen über die problematischen
Situationen und ggf. über Alternativen und Lösungsmöglichkeiten zu sprechen und nach
einem Konsens zwischen den Beteiligten zu suchen.
Das Florence-Nightingale-Krankenhaus der Kaiserswerther Diakonie in Düsseldorf will
demnächst zum Beispiel:
•eine Ethikberatung einrichten, die interdisziplinär klärt, ob und wie viel Chemotherapie,
künstliche Beatmung und Ernährungssonde im Einzelfall am Lebensende sein soll
•Sitzwachen für Sterbende anbieten – mit Hilfe örtlicher Hospizvereine
•die Schmerzbehandlung am Lebensende (Palliativmedizin) verbessern
Jürgen Krauth von der Universitätsschwesternschule Heidelberg geht noch einen Schritt
weiter: Er hob die persönliche Anleitung und Unterstützung eines Mentors in der
Sterbebegleitung als Vorbild hervor, gegen die häufige Aussage „Ich möchte da am
liebsten gar nicht reingehen...“, auf das man nicht nur bei Auszubildenden in der
Krankenpflege sondern auch bei gestandenen Chefärzten in der Betreuung sterbender
Menschen stößt.
Dieser Verdrängungsstrategie der Scheuklappen lässt sich wohl am besten in einem
interdisziplinären Leitungsteam begegnen, da man sich gegenseitig unterstützen kann
im Sinne eines Risk-Shift. Aber für die Weiterentwicklung der eigenen ExpertenSpezialisierung braucht man leider eher nur die anderen Spezialisten der gleichen
Disziplin - egal wo in der Welt sie tätig sein mögen - als den Kollegen nebenan, der
einer anderen Spezialisierung angehört. Grossmann et al. schlagen deshalb auf der
Ebene des Leistungsprozesses Kooperation und Koordination vor, da viele aktuelle
gesellschaftliche Problemlagen nur auf der Ebene der Forschung sowie
interdisziplinärer Kooperation erfolgreich bearbeitet werden können.
Abschließend möchte ich wieder an den Anfang meines Vortrages anknüpfen und das
psychosomatische Enzym die Beziehung als das Wesentliche einer interdisziplinären
Kooperation betonen, sei sie nun organisatorisch gelebt oder organisational angelegt.
Ich sehe den Einsatz des psychosomatischen Enzyms als medizinischen Grundsatz an,
als eine ethische Grundhaltung, als evidente heilsame Anwendung eines generellen
ubiquitären Wirkungsprinzips in und außerhalb der Medizin und möchte als
Schlusspunkt dieses Prinzip auch für die Forschung angewandt sehen : „Amor perfecit
scientiam“.
Literatur:
Christine Holch: Großer Zorn, kleines Glück; Sterben im Krankenhaus – Horrorvision
oder würdiger Abschied? Chrismon 2002
„Es gibt Lachen und Weinen nebeneinander, auch im Sterben“ 12.
Krebskrankenpflegesymposium in Heidelberg zum Thema: “Leben bis zuletzt ...“ 2002
Ulrich H.J. Körtner: Ethische Probleme beim Sterben an der Intensivstation, Vorlesung
am AKH Wien, 12.6.2002
Ronald Kurz: Das psychosomatische Enzym, Vortrag als Geschenk für Herrn Professor
Dr. Peter Scheer zum 50. Geburtstag anlässlich der Tagung 20 Jahre Psychosomatik
und Psychotherapie an der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz,
5./6.10.2001
Ralph Grossmann, Ada Pellert, Victor Gotwald: Krankenhaus, Schule, Universität:
Charakteristika und Optimierungspotentiale, Was unterscheidet Expertenorganisationen
von anderen Institutionen?
Ewald Krainz: Arbeits- und Betriebspsychologie, Vorlesungsmitschrift Uni Klagenfurt SS
2002
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