begründen, verstehen, beurteilen – Argumentation, Hermeneutik und Kritik als Methoden wissenschaftlichen Arbeitens 190170 VO, UE - Grundlagen: philosophische Methoden, 2.2.3 [21b2] laut Studienplan Pädagogik 2002 (2 Std.) Lehrveranstaltungsleiter: Mag. Martin Steger /TutorInnen: Claudia Gusenbauer, Angela Jansen, Marlis Stöckl Donnerstag, 9.00 - 11.00, HS 31 4. Termin 27.10.05: Wissenschaft und Wahrheit II Formalia: Der Teilnahmeprozess ist abgeschlossen - tut mir leid, aber wer noch nicht auf der Liste ist, ist nicht dabei. Sollte ich Ihr mail übersehen haben, bitte möglichst schnell melden. Auch an alle anderen: Bitte Teilnahmeliste kontrollieren - vor allem die Daten, die sind zeugnisrelevant - und Korrekturen mailen. Gruppenbildung: Fast alle TeilnehmerInnen sind schon in Gruppen. Nächsten Dienstag werden die StudentInnen, die noch keine Gruppe gefunden haben, eingeteilt. Wenn Sie sich Ihre PartnerInnen aussuchen wollen, sollten sie sich beeilen. Sie können mir aber auch mailen, wenn Sie schon zu zweit oder dritt sind – dann teile ich Ihnen noch KollegInnen zu. Inhalte: Wir haben in der letzten Lv einen kurzen Durchlauf durch den theoretischen Rahmen wissenschaftlichen Arbeitens begonnen, den ich im folgenden kurz – mit einigen neuen Inhalten wiederholen und daran anschließen will: Begonnen haben wir mit der Frage Was ist Wissenschaft? und dabei festgestellt, dass Wissenschaft mit zunehmender Komplexität selbst kaum mehr angeben kann, was denn ihr Gemeinsames sei – eine allgemein akzeptierte Definition existiert nicht. Wir haben uns daher mit einer vorläufigen Arbeitshypothese beholfen und Wissenschaft als ein System der Produktion, Sammlung und Ordnung von Wissen beschrieben, dh. 1 als ein komplexes Gebilde von in Beziehung zueinander stehenden Elementen, die mit Wissen umgehen – Wissenschaft kann man derart nicht prinzipiell ('rundum') definieren, aber zumindest funktional je und je entscheiden, was dazu gehört und was nicht. Damit haben wir aber 1. unseren Anspruch zurückgeschraubt 2. unser Erkenntnisinteresse – worum es bei Wissenschaft geht – dennoch bloß weitergereicht. Es stellt sich die nächste Frage: Was ist im wissenschaftlichen Sinn Wissen? Hier haben wir uns mit einer knapp 2500 Jahre alten Beschreibung beholfen – sie stammt von Platon (427-347 v.Chr): "Wahrer Glaube ergibt erst durch Aufweisen seiner Begründung Wissen" Wir glauben etwas, für das wir den (universalen) Anspruch auf Wahrheit erheben und begründen es daher. Damit haben wir zwei Unterscheidungskriterien für Wissen im wissenschaftlichen Sinn gegenüber anderen Systemen von Glaubenssätzen: Wissen beansprucht eine allgemeine, d.h. hier im Prinzip für jeden gültige Verbindlichkeit einer behaupteten Wahrheit. Darin liegt genau genommen bereits das zweite Kriterium, das aber wichtig genug ist, es explizit hervorzuheben: Diese verbindliche Wahrheit ist im Prinzip durch jeden überprüfbar. Wir agieren in der Wissenschaft daher prinzipiell in einer im Prinzip für jeden nachvollziehbaren Art und Weise – egal ob wir jetzt forschend/investigativ oder begründend/legitimierend agieren (falls man diese Grenze überhaupt sinnvoll ziehen kann) – d.h. wir agieren methodisch. Damit haben wir im Prinzip schon die Grundstruktur von Wissenschaft skizziert: Wissenschaft besteht im Kern aus Wahrheitsaussagen (zwischen den Polen von verallgemeinerten Aussagen wie Theorien, Axiome, Hypothesen und konkreten wie Daten) und Verfahren zur Gewinnung und Glaubhaftmachung dieser Aussagen (Methoden). Im methodischen Vorgehen liegt somit der grundlegende Unterschied zwischen Wissenschaft und anderen Wahrheitssystemen (z.B. Religion). 2 1. Wahrheitsaussagen Wenn wir derart von Wahrheitsaussagen sprechen, inkludieren wir zweierlei 1. legen wir fest, dass es in der Wissenschaft um Wahrheit geht. als eine der Grundperspektiven des Menschen auf die Welt: Dieses Verhältnis ist in mehreren Perspektiven beschreibbar, wie sie schon in den sogenannten 'Transzendentalien' bzw transzendentalen Prädikationen des Mittelalters ausgedrückt werden: Quodlibet ens est unum, verum, bonum, pulchrum. Wo immer etwas seiend ist, ist es Eines - ein Wahres, ein Gutes, ein Schönes. Transzendentale Prädikationen heißt, das sind prinzipielle Aussagemöglichkeiten – Aussagen, die über jeden gegebenen Anlass hinausreichen: Ich kann nur eine Aussage treffen, wenn ich etwas gegen alles andere (das Chaos der Antike und Kants, die Umwelt der Systemtheorie, das Rauschen der Informationstheorien, ...) abgrenze - es als etwas/als eine Einheit überhaupt erkenne (unum). Über diese Einheit kann ich Aussagen betreffend ihre Wahrheit, ihre Gutheit, ihre Schönheit machen. That's it. In der Wissenschaft machen wir Aussagen, die die Wahrheit betreffen – das ist unser Spielfeld. ist wahr Etwas (in der Welt) ist eins ist gut [ist schön] Das Gute und das Schöne werden in der Wissenschaft dort behandelt, wo sie mit Wahrheitsanspruch formuliert werden – es handelt sich somit um perspektivische Dimensionen auf die Welt mit gemeinsamen Schnittflächen 3 In der Wissenschaft thematisieren wir das Grundverhältnis Mensch-Welt unter der Perspektive der Wahrheit(sfähigkeit). 2. tun wir so, als wüsste die Wissenschaft, was Wahrheit sei. Was aber ist Wahrheit? Wahrheitstheorien Tatsächlich existiert keine unbestrittene Theorie, was Wahrheit sei. Es lassen sich aber zumindest drei weithin akzeptierte Denkansätze ausmachen, die teilweise in Konkurrenz, teilweise in Ergänzung zueinander stehen. Alle drei sehen Wahrheit als Phänomen einer Metaebene – also als Charakteristikum einer Aussage über etwas, wobei immer Übereinstimmung behauptet wird. Korrespondenztheorien Wahrheit ist Übereinstimmung mit (allen Phänomenen) der Wirklichkeit Kohärenztheorien Wahrheit ist Übereinstimmung mit (allen) anderen Aussagen Konsenstheorien Wahrheit ist Übereinstimmung mit (allen) anderen Personen Anzuraten ist, sie in der 'Praxis' wissenschaftlicher Arbeit als faktisch einander ergänzend zu betrachten, d.h. alle 'Wahrheitsbedingungen' zu beachten, bevor man eine Aussage als wahr zu begründen versucht. Wenn im Folgenden von 'Korrespondenztheorien', 'Kohärenztheorien' und 'Konsenstheorien' - also in die Mehrzahl gesetzt – die Rede ist, dann deswegen, weil damit durchaus unterschiedliche Theorien in verschiedensten Kontexten angesprochen sind, die jeweils einen Grundgedanken – das jeweilige Bild von 'Wahrheit' - gemeinsam haben. Wir wollen uns jetzt diese 3 Theorietypen näher anschauen – in einem Modell der historischen Entwicklung erkenntnistheoretischer Theorien – extrem vereinfacht auf 2 Aspekte (Verhältnis Mensch – Welt / Orientierungsfunktion und Bezug auf eine metaphysische 'Ordnung der Dinge'). Wir haben im ersten Schritt die Eingebundenheit des Menschen auf ein Grundverhältns das Verhältnis Mensch Welt – unter der Perspektive der Wahrheit reduziert. wahr In seiner Grundfigur betrachtet dabei der Mensch die Welt/die Wirklichkeit und sagt etwas darüber aus, wofür er Wahrheit beansprucht: der korrespondenztheoretische Ansatz. 4 Korrespondenztheorien Korrespondenztheorien der Wahrheit besagen im Kern nichts anderes, als dass Wahrheit die Übereinstimmung des Ausgesagten mit der Wirklichkeit (des Verstandes mit der Sache) sei. Sie entsprechen damit dem Alltagsverständnis von Wahrheit und sind auch im Bereich der Wissenschaft von Beginn an - zumindest seit Platon und Aristoteles – dominierend. In weiten Bereichen werden sie bis heute völlig unproblematisch verwendet. Auf dieser Ebene von Beobachtungssätzen ist der Anspruch auf Verbindlichkeit und damit auch auf Vermittelbarkeit der Evidenz zumeist kein Problem. z.B.: Das ist eine Semmel Evidenz (Offensichtlichkeit) zielt auf die fraglose Übereinstimmung der Sinneseindrücke / Daten (und hat damit konsenstheoretische Aspekte) – jeder sieht die Semmel. Mit zunehmendem Abstraktionsgrad kann eine derartige Einsicht jedoch immer weniger vorausgesetzt werden. Es bedarf dann mehrerer Vermittlungsebenen an Daten und Beobachtungssätzen, um Übereinstimmung mit Wirklichkeit zu behaupten – an die Stelle von Evidenz treten (standardisierte) Prüfungsverfahren auf Basis von Übereinkunft. z.B.: E=mc² Wir nähern uns damit sukzessive einer nur mehr von Experten tatsächlich prüfbaren Wahrheit – aber das ist lediglich ein pragmatisches Problem. Das prinzipielle Problem der Korrespondenztheorien beginnt eben dort, wo keine – wenn auch abstrahierte - direkte Beziehung zu Wirklichkeit behauptet wird. Offensichtlich werden die Probleme etwa bei antinomischen (in sich widersprüchlichen, paradoxen) Sätzen wie dem bekannten: 'Dieser Satz ist falsch' Was passiert hier? Sätze wie die oben genannten sind selbstbezüglich und beruhen damit darauf, dass wir auf verschiedenen 'Metaebenen' über die Welt sprechen – durch die wechselseitige Verschränkung von Mensch und Welt können wir das formal richtig sogar innerhalb eines Satzes: zB Ich lüge ein paradoxer (d.h. der Satz bezieht sich auf sich selbst und verneint sich dabei) und performativer (d.h. das beschreibend, was man gerade tut, z.B.: Ich begrüße dich) Satz. Hier kollidieren Bezugesebenen der Sprache. Um sie aufzulösen, benötigt man - im Modell der Korrespondenztheorie - ein Bündel von Theoriegebäuden für diese unterschiedlichen Ebenen neben der besagten Theorie über die Wirklichkeit, etwa 5 - eine Vorstellung/Theorie über das Bewusstsein und die Form, wie Gegenstände der Wirklichkeit darin repräsentiert sind - eine Theorie über Sprache als vermittelnder Instanz, die etwa zwischen Objektebene (Satz über einen Gegenstand) und Metaebenen (Sätze über Sätze über Sätze etc.) unterscheiden kann, um derartige Abstraktionsprobleme zu bewältigen, - eine Theorie über die Art des Verhältnisses von Wirklichkeit, Bewusstsein und Sprache zueinander, um für hochabstrakte Sätze eine Korrespondenz mit der Wirklichkeit zu behaupten. Die Sätze selbst sind dadurch immer noch nicht bewiesen und der Grundgedanke des repräsentativen Zusammenhangs von Wirklichkeit und dem Bewusstsein darüber wird im Extremfall ad absurdum geführt. Korrepondenztheorien in klassischer Form haben somit schlicht eine eingeschränkte 'Reichweite', sie sind letztlich angewiesen auf sinnlich/empirisch fassbare Phänomene. Sätze wie dieser zeigen, dass ein direkte Entsprechung eines Satzes in der Wirklichkeit – eine 'Korrespondenz' - kaum prinzipiell angenommen werden kann, sobald die Ebene evidenter Wirklichkeitsaussagen verlassen wird. In unserem Modell zeigt sich als dahinter liegendes Problem, dass die direkte Relation, wie wir sie aufgezeichnet haben, nicht ausreicht: Der Mensch ist Teil der von ihm betrachteten Welt und durch seine Reflexivität und Expressivität 'trägt er diese Welt auch in sich' und schafft sie mit: So entstehen Paradoxien – in der Verneinung - oder Tautologien – in der Bejahung (die dann inhaltsleer werden, weil sie sich nur selbst aussagen). Ein Problem der Zirkularität: Diese gedankliche Rückkoppelungsschleife finden Sie unter verschiedenen Namen in unterschiedlichsten Theoriegebäuden: die Reflexivität des Idealismus, der Zirkel der Hermeneutik, die Selbstreferenz der Systemtheorie, die Kybernetik als soche ua. verweisen auf das selbe Gedankenbild (allerdings in teilweise extrem unterschiedlichen Theoriekontexten: also bitte nicht einfach gleichsetzen). Diese Problemlage ist in Wirklichkeit nicht neu – sie war schon den Griechen bekannt (das 'KreterParadoxon': Alle Kreter lügen – sagt der Kreter). Allerdings betraf es die Griechen in anderer Weise als uns: Wissenschaft als eine 'Praxis', eine Lebens- und Handlungsform des Menschen verstanden (vgl. etwa Buck)– nämlich als Teil des Verhältnisses Mensch-Welt unter der Perspektive der Wahrheitsfähigkeit – war selbstverständlich 6 eingebettet in die allgemeine Weltvorstellung/-orientierung. Diese beruhte auf der religiös gestützten Annahme einer feststehenden, ‘natürlichen’ Ordnung des 'Kosmos', deren Teil Mensch und Welt sind. Wenn also die Welt nicht immer erkennbar ist, kann man die kosmischen Prinzipien auch 'innerhalb' des Menschen annehmen– und weiter auf die Welt schließen. In der Vorstellung der Griechen waren diese 'Ideale' (das 'Schöne an sich',..) sogar unverfälschter als ihr materielles, unvollkommenes Abbild in der Welt. Dementsprechend können auch Aussagen, die kohärent – in sich stimmig – sind, als wahr (der Idee als Muster der Welt entsprechend) angenommen werden – eine kohärenztheoretische Vorstellung, allerdings noch auf 'Technischer Ebene', denn diese 'innere Ordnung' wird nach wie vor von außen – einer mythologisierten Welt – garantiert. Diese Vorstellung wurde problemlos ins Mittelalter mit übernommen – man sieht hier, warum sich 'heidnische' Philosophen – vor allem Aristoteles – im Christentum so halten konnten – der Kosmos bekam einfach einen neuen Namen: Gott; der 'Kosmos' fand seine Entsprechung in einer Gottesvorstellung, die die irdische Welt als Schein und vorläufig ansah und das 'himmlische Reich' als das wahrhaft Reale, das die Ordnung der Dinge auf Erden garantierte (Realismus im Mittelalter). Kohärenztheorien In Kohärenztheorien bildet die innere Stimmigkeit von Aussagen und Aussagesystemen das Kriterium der Wahrheit. Eine Annahme gilt dann als wahr, wenn sie sich in ein kohärentes (zusammenhängendes) und umfassendes Gefüge von Aussagen einfügt. Sie findet ebenfalls im Alltagsverständnis seine Entsprechung, indem etwa eine Aussage, die nicht mit den bisherigen Aussagen des Sprechers übereinstimmt, für unwahr gehalten wird. Kohärenz kann in verschiedenen 'Graden' angenommen werden: Zunächst ist damit die Konsistenz, d.h. die innere Widerspruchsfreiheit von Aussagesystemen angesprochen. Das bedeutet etwa auf Ebene von Argumenten, dass einander die Vorannahmen und Schlussfolgerungen nicht widersprechen, aber auch weiter, dass etwa implizite Argumentationsvoraussetzungen Gegenstandsbereich her sowie in dem und darin Begriffsbestimmungen enthaltenen von Wissenschaftsverständnis ihrem und Menschenbild der expliziten Argumentation entsprechen. z.B. kann man inkonsistent argumentieren, wenn man Alfred Adlers Individualpsychologie interpretiert und dabei den Begriff des Unbewussten mit einem Zitat von Sigmund Freud libidinös bestimmt; oder wenn man in der Diskussion von Gruppenphänomenen nicht zwischen psychologischen und soziologischen Argumenten unterscheidet. 7 In dieser Kontextabhängigkeit von Begriffsbestimmungen und Argumentationsvoraussetzungen ist bereits eine weitere, stärkere Interpretation von Kohärenz angesprochen: Als Konsequenz der Forderung nach innerer Stimmigkeit kann nämlich angenommen werden, dass eine Theorie umso eher Wahrheit beanspruchen kann, je besser sie mit einer möglichst kleinen Zahl von zentralen Begriffen und Axiomen - das sind die zumeist hochabstrakten Anfangssätze (Gesetze) einer deduktiven Argumentationskette - auskommt, von denen sich alle anderen Sätze ableiten lassen, bzw. mit einer kleinen Anzahl von Beobachtungssätzen, auf die sich die übrigen beziehen. In diesem Verständnis gilt eine Theorie oder ein Argument als überlegen, das den selben Sachverhalt mit weniger Prämissen oder Basisannahmen erklären kann als ein(e) andere(s). z.B. sprach für Kopernikus These, dass sich die Erde um die Sonne drehe, zunächst nur, dass er die selben Berechnungen einfacher durchführen konnte als die vorherrschende geozentrische Theorie des antiken Ptolomäus. Die Kohärenztheorien liefern in der Stimmigkeit ein Beurteilungskriterium für Aussagen, deren Wahrheit nicht per se evident ist. Sie ergänzen und konkurrieren derart die Übereinstimmung mit der (sinnlichen) Erfahrung als Kriterium der Korrespondenztheorien. Kritisiert wird an ihnen, - dass sie in ihren Konsequenzen selbst inkonsistent sind. Sie benötigen letztlich ein einziges umfassendes System von kohärenten Annahmen, das anstelle der Wirklichkeit das Bezugssystem für Wahrheit bildet. Ein solches System ist aber nicht in Sicht und auch nicht vorstellbar: Wir kämen letztlich auf die Allegorie der Kartographen bei Borges und Baudrillard, die eine so detaillierte Karte des REICHES erstellen, das Karte und Territorium schliesslich zur Deckung kommen. Wir hätten somit eine Beschreibung der Welt, die selbst ein Welt darstellt – über die wir dann auf der Metaebene sprechen würden bis wir eine Beschreibung hätten .... ad infinitum. Daher sind einander entgegegesetzte – oder bezuglose - Annahmen vorstellbar (und existent), die sich in verschiedene, wissenschaftlich anerkannte Aussagesysteme fügen und daher beide zugleich als wahr gelten können. - dass sie andererseits das Risiko bergen, dass vorherrschende wissenschaftliche Schulen und Denkrichtungen gestützt auf ein kohärentes Aussage- und Begriffssystem quer über unterschiedlichste Disziplinen Wahrheit für ihren theoretischen Ansatz beanspruchen und andere davon ausschließen - Wissenschaftliche Wahrheit kann derart zu 'Wahrheiten der Schulen' degradiert werden. 8 z.B. wenn Forschungsansätze, die nicht auf dem Falsifikationsprinzip Poppers beruhen, als 'streng genommen nicht wissenschaftlich' bezeichnet werden. - Zudem kann ich Kohärenz nicht von Beginn an alternativ zu Korrespondenz einsetzen – ohne Inhalte ist Kohärenz leer, ich brauche zunächst einen Wirklichkeitsbezug, von dem weg ich dann ableiten kann. - Dementsprechend wird an Kohärenztheorien auch kritisiert, dass sie Wahrheit mit Indizien für die Wahrheit verwechseln: Kohärenz der Aussagen deute auf Wahrheit im Sinne der Korrespondenztheorien - nämlich als Übereinstimmung mit der einen Wirklichkeit - bloß hin und sei mit ihr nicht gleichzusetzen. Zurück zu unserer historischen Betrachtung: Ihren Höhepunkt erreichen Kohärenztheorien in Humanismus und Aufklärung. Warum? In der Neuzeit und der Aufklärung wurden die Vorstellungen der äußeren, 'übergeordneten' Ordnung der Antike und des Mittelalters zunehmend unhaltbar: Die humanistische Hinwendung zum Menschen verlangte eine 'Fundierung der Erkenntnis von Welt' im Menschen selbst. Rene Descartes berühmtes 'Cogito ergo sum' versucht eben das: Wenn ich vom Menschen ausgehe – wie weiß ich, dass ich all das, was ich erlebe (und mich selbst) nicht einfach träume? Wer garantiert mir die Wirklichkeit? Muss das eine äußere Instanz sein oder kann ich aus mir selbst sicher sein, zu existieren? Descartes findet den Fixpunkt im menschlichen Denken: Wenn ich träume zu reiten, muss das Pferd nicht existieren, wenn ich mir vorstelle, zu essen, muss es das Essen nicht geben – aber selbst die Vorstellung, der Traum zu denken ist schon ein Gedanke. Meines Denkens bin ich mir sicher, mein Denken über mich garantiert mir, dass ich bin: 'Cogito ergo sum'. Auf Descartes aufbauend etabliert Immanuel Kant mit seiner ‘kopernikanischen’ Wende in der Philosophie ein 'neues' Erkenntnisprinzip: von Erkenntnis des regelhaft Bestehenden zu regelhafter Erkenntnis des Bestehenden. Damit wird Kohärenz vom ergänzenden zum alternativen Wahrheitskriterium. Immanuel Kant lehnt die Grundüberlegung der Korrespondenztheorie - die direkte Entsprechung von Erkenntnis und Wirklichkeit – erstmals prinzipiell ab: in seinem erkenntnistheoretischen Grundgedanken, dass man nie sagen könne, was wirklich sei, sondern immer nur, was der Mensch fähig sei, als wirklich zu erkennen (mit seiner Form der Sinne, der Vernunft etc.): "Was es für eine Bewandtnis mit den Gegenständen an sich und abgesondert von all dieser Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns gänzlich unbekannt. Wir kennen nichts als unsere Art, sie wahrzunehmen." (Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft.- Frankfurt am Main: Suhrkamp 199011, §8/I, S. 87) 9 Wie die Wirklichkeit an sich ist, können wir nicht erfahren, weil sie uns nicht unvermittelt gegeben ist – sondern nur vermittelt durch unsere Erkenntnisfähigkeiten (Sinne und Vernunft). Wahrheit ist möglich, weil diese Fähigkeiten bei uns allen gleich sind (der Titel der 'Kritik der reinen Vernunft' verweist auch auf die Vorstellung Kants der im Prinzip gleichen, nur unterschiedlich 'aufgeklärten', klaren, 'gesäuberten', von individuellen Erfahrungen unabhängigen, weil formalisierten Vernunft). Wahrheit ist hier wieder eine 'kohärente', basierend auf der inneren Übereinstimmung und Widerspruchsfreiheiheit (der Gesetzmäßigkeit) von Aussagen. Kant zieht mit unserer Erkenntnisfähigkeit einen 'Filter' zwischen der Welt und dem Menschen ein – ein Theoriegebäude, das uns erlaubt, von Wissen zu sprechen, ohne letztlich auf eine 'höhere, ordnende, schöpferische - Instanz' zu verweisen. Dieses Modell erlaubt Kant auch, vom Menschen als 'Bürger zweier Welten' zu sprechen, der Teil der Natur/Wirklichkeit ist und ihren Gesetzen unterworfen und zugleich der Freiheit und Moral fähig und für sein Tun selbst verantwortlich ist. In unserem Modell entspricht das in etwa folgendem Bild: In dieser Konstruktion zeigen sich aber zugleich die Kritikpunkte an Kant und die Richtungen, in denen sich Erkenntnistheorie weiterentwickelte: prinzipiell ist seinem eigenen Modell zufolge die Gleichheit der Erkenntnisfähigkeit Teil der Natur – also von uns eigentlich gar nicht feststellbar. Nachdem diese Fähigkeiten rein formale sind (die Art, wie Inhalte aus der Welt 'verarbeitet' werden), treten sie auch nie als gleiche in Erscheinung. Individuelle, historische und kulturelle Unterschiede des Umgangs mit Vernunft sind aber mit Kant nicht fassbar. praktisch bedeutet Kants Konstruktion eine 'Abwendung von der Welt' - indem er Inhalt (Welt) und Form (Erkenntnisweise) trennt und nur über letzteres Aussagen macht, ist ihm der Mensch in der Welt - in seiner konkreten Existenz – erkenntnistheoretisch kein Thema. Erkenntnistheoretische Theorien nach Kant setzen dementsprechend vor allem bei den Charakteristika an, die den Menschen in seiner Existenz in der Welt auszeichnen: Geschichtlichkeit, Körperlichkeit, Wille, Sozialität,... Sie gehen dabei aber nicht hinter Kant zurück, sondern bauen auf seiner Konstruktion der Vernunftfähigkeit des Menschen auf. 10 Faktisch bedeutet das folgendes: War schon Kants Theorie gegenüber den vorigen Erklärungsweisen eine Rückzugsposition (Wir wissen nichts über die Welt an sich, aber kraft der uns gleichen Vernunft, wissen wir etwas über die Welt, wie sie uns allen gleich erscheint) sind spätere Modelle dadurch geprägt, dass sie diese Gleicheit der Erkenntnis nicht mehr aufrechterhalten und - im weiteren Rückzug - dafür 'Ersatz' suchen - oder Konsequenzen ziehen, wo sie keinen Ersatz sehen. In aller Kürze einige Positionen: Hermeneutik ist in unserem Modell dann beschreibbar als Erkenntnismodell, dass die Konstruktion des Menschen als 'Bürger zweier Welten' weiterführt und darauf hinweist, dass der Mensch (in seiner Lebenswelt) als reflexives Wesen nicht in der selben Art 'erkennbar' ist wie die nicht reflexive Welt u.a. Dilthey. In unserem Modell entspricht das in etwa folgendem Bild: Empirisch-positivistische Wissenschaften des 20. Jahrhunderts (kritischer Rationalismus) drehen den Fokus des Erkenntnisprozesses um – mit der Überlegung: Wenn wir also (mit Kant) die Welt an sich nicht erkennen können und daher nicht sagen, was wahr ist (verifizieren), können wir zumindest uns dieser Wahrheit annähern, indem wir feststellen, was nicht wahr ist (der Welt, wie wir sie erkennen können, nicht entspricht – falsifizieren) u.a. Popper. In unserem Modell entspricht das in etwa folgendem Bild: Karl Popper geht davon aus, dass Wissenschaft insgesamt Suche nach Wahrheit sei, die er als Entsprechung zu einer existierenden Wirklichkeit versteht. Dieser Wahrheit nähert man sich sukzessive an, indem man Thesen streng prüft und falsche Annahmen aussondert. Von daher seien Hypothesen und Theorien prinzipiell nicht verifizierbar – weil eben die Wirklichkeit nicht zugänglich ist. Der wissenschaftliche Ethos bestehe darin, eigene Hypothesen nach Möglichkeit zu falsifizieren (als falsch zurückzuweisen). Gelinge das nicht, seien sie – bis zu einer späteren Falsifizierung - als vorläufig wahr zu behandeln, solange sie sich als wissenschaftliche Werkzeuge bewähren. 11 Vermutungen werden durch Kritik kontrolliert, und das heißt: durch versuchte Widerlegungen, also durch strenge kritische Prüfungen. Unsere Vermutungen können solche Prüfungen bestehen, aber sie können durch Überprüfung niemals positiv gerechtfertigt werden: man kann weder ihre Wahrheit sicherstellen noch ihre "Wahrscheinlichkeit" (im Sinne der Wahrscheinlichkeitsrechnung). Die Kritik unserer Vermutungen ist von entscheidender Wichtigkeit: durch Aufdecken unserer Fehler hilft sie uns, die Schwierigkeiten unseres Problems überhaupt zu verstehen. [...] Diejenigen unserer Theorien, die auch der schärfsten Kritik widerstehen und die uns zur Zeit als bessere Annäherungen an die Wahrheit erscheinen als andere bekannte Theorien, können (zusammen mit den Berichten über ihre Prüfungen) als "die Wissenschaft" unserer Zeit bezeichnet werden. Keine von diesen Theorien kann positiv gerechtfertigt werden; und so ist es im wesentlichen ihr kritischer und progressiver Charakter, der die Rationalität der Wissenschaft ausmacht: die Tatsache, daß wir aufgrund von Argumenten entscheiden können, daß sie die Probleme besser lösen als andere Theorien. Popper, Karl R.: Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis. Doch auch in der 'Arbeitsthese' Poppers bleiben Fragen, die die Korrespondenztheorie allein nur schwer beantworten kann - etwa wie mit einander widersprechenden, nicht falsifizierbaren Aussagen zweier Theorien zum selben Sachverhalt umzugehen sei. Einigungstheorien (Vertragstheorien, Diskurstheorien,...) versuchen, den Bezug auf die eine, allen gleiche und bloß 'aufzuklärende' Vernunft als Garant der Wahrheit durch Einigungsprozesse zu ersetzen: Wenn wir auch nicht davon ausgehen können, dass jeder für sich auf die gleiche Art denkt und derart zu den gleichen Ergebnissen kommen muss (weil Vernunft auch historisch ausgeformt, auf individuelle Erfahrungen rekurrierend,...), können wir doch annehmen, dass Aussagen, denen wir alle gemeinsam zustimmen können, wahr sind. Diese Theorien sind oft weiter verbunden mit der Annahme einer uns allen zukommenden Vernunftfähigkeit und sprechen daher von begündeten Einigungsprozessen – schließen also weiter Entscheidungsfähigkeit aus Vernunftgründen im Diskurs mit ein u.a. Habermas. "Die Bedingung für die Wahrheit von Aussagen ist die potentielle Zustimmung aller anderen. Jeder andere müsste sich überzeugen können, daß ich dem Gegenstand das besagte Prädikat berechtigterweise zuspreche, und müßte mir dann zustimmen können. Die Wahrheit einer Proposition meint das Versprechen, einen vernünftigen Konsensus über das Gesagte zu erzielen." Habermas, Jürgen: Wahrheitstheorien. – In: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns In unserem Modell entspricht das in etwa folgendem Bild: 12 Hier ist auch der dritte Typ von Wahrheitskonstruktionen mit angesprochen – der Konsens zwischen Vernünftigen. Konsenstheorien der Wahrheit führen die gemeinsame Überlegung der Kohärenztheorien noch einen Schritt weiter, indem sie den sozialen Aspekt einbringen: Wo Korrespondenztheorien von Übereinstimmung von Aussagen mit der Wirklichkeit sprechen und Kohärenztheorien von Stimmigkeit von Aussagen zueinander, sprechen Konsenstheorien von Übereinstimmung in der Beurteilung der Aussagen durch Sachverständige – letztlich beruhen alle drei auf einer Relationierung der thematisierten Aussage, behaupten eine Form von Übereinstimmung, von Zueinanderpassen als Kriterium von Wahrheit, allerdings unter einem je anderen Aspekt. Konsenstheorien gehen von Wissenschaft als einem sozialen System aus, in dem die Wahrheit einer Hypothese nur von denjenigen beurteilt werden kann, die in der Lage und willens sind, die darin thematisierte Problemlage zu verstehen. Demnach sind diejenigen Annahmen wahr, die von allen Gutwilligen, Normalsinnigen und Sachkundigen als wahr anerkannt werden. Sie haben damit die höchste 'Reichweite' (Konsens ist am leichtesten herzustellen), allerdings auch den problematischsten Wahrheitsstatus (als letzte Zuflucht) und können andere Argumente nicht ersetzen oder entkräften (auch wenn alle finden, es gibt keine grünen Schwäne, gibt es sie, wenn ich sie – in nüchternem Zustand [] – gesehen habe). Skepsis versucht im Grunde, sich diesen letztlich nicht haltbaren 'Kompromissen' zu entziehen, indem sie positive Aussagen zum Wesen / Zustand der Welt vermeidet – wenn wir nicht sagen können, wie die Welt an sich ist, sollten wir das auch nicht tun. Der Nachteil dieser Perspektive – und die Kritik an ihr – ist der 'fehlende konstruktive Beitrag' zu unseren Versuchen, die Welt zu erklären und uns in ihr zu orientieren. Ihr Vorteil ist die Klarheit des Denkens, wenn man sich nicht an ein zu erzielendes 'brauchbares' Ergebnis bindet und die Korrekturfunktion gegenüber anderen Positionen – etwa in der tranzendental-kritischen Ausformung, die nach den Erklärungsresten von Aussagen über die Welt fragt (mit Kant: Was ist die Bedingung der Möglichkeit von...) und derart imstande ist, Geltungsfragen zu thematisieren (Welchen Anspruch darf welche Position aufgrund ihrer Begründungsstruktur überhaupt stellen, ...) u.a. Breinbauer. In unserem Modell entspricht das in etwa folgendem Bild: ? 13 Konstruktivisten reagieren auf das Erkenntnisproblem mit abgeschwächtem Anspruch offensiv – wenn wir die Welt an sich nicht erkennen können, dann behandeln wir unsere Erkenntnisse eben wie Erfindungen und überprüfen, ob sie 'funktionieren' (Brauchbarkeit des Konstruktes ersetzt Wahrheit der Erkenntnis) Luhmann. „Entweder betrachte ich mich als den Bürger eines unabhängigen Universums, dessen Regelmäßigkeiten, Gesetze und Gewohnheiten ich im Lauf der Zeit entdecke, oder ich betrachte mich als Teilnehmer einer Verschwörung, deren Gewohnheiten, Gesetze und Regelmäßigkeiten wir nun erfinden. Immer wenn ich mit denjenigen spreche, die sich dafür entschieden haben, entweder Entdecker oder Erfinder zu sein, bin ich immer von neuem von der Tatsache beeindruckt, daß keiner von ihnen erkennt, jemals eine derartige Entscheidung getroffen zu haben. Wenn sie überdies herausgefordert werden, ihre Position zu rechtfertigen, bedienen sie sich eines Begriffssystems, das nachweislich auf einer Entscheidung über eine prinzipiell unentscheidbare Frage basiert.“ (FOERSTER 1993, S. 75)). In unserem Modell entspricht das in etwa folgendem Bild: ? In dem hier entworfenen Modell sind Koheränz- und Konsenstheorien natürlich nicht zwangsläufig im Widerspruch zu Korrespondenztheorien, sie wählen ein anderes Kriterium der Beurteilung von Wahrheit. Die Theorietypen können sogar als einander stützend gedacht werden. Metatheoretisch gesehen beziehen sie sich allerdings auf verschiedene Weltbilder (wie wieder bei Kant zu sehen, der kohärenztheoretisch argumentiert und die Korrespondenz explizit als prinzipiell nicht feststellbar ablehnt) und stehen, was ihre Brauchbarkeit im Rahmen wissenschaftlicher Tätigkeit betrifft, oft in Konkurrenz zueinander. Unser erkenntnistheoretisches Modell sieht dann im Überblick folgendermaßen aus (Details werden wir noch besprechen): 14 15